fritz krafft: „… denn gott schafft nichts umsonst!” das bild der naturwissenschaft vom kosmos...

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384 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23 (2000) : Rezensionen Rezensionen Meriwether Lewismilliam Clark: Tagebuch einer Entdeckungsreise durch Nordamerika von der Miindung des Missouri an bis zum Einflui3 des Columbia in den Stillen Ozean, gemacht in den Jahren 1804, 1805 und 1806 auf Befehl der Regierung der Vereinigten Staaten von den beiden Captains Lewis und Clark. Wyk auf Fohr: Verlag fur Amerikanistik 1998, 199 Seiten. ISBN: 3-89510- 054-4, DM: 94. Der relativ kleine, auf die nordamerikanische Ge- schichte und Volkerkunde spezialisierte Verlag in Wyk auf der Nordseeinsel Fohr gibt nicht nur popularwissenschaftliche Sachbucher und wissen- schaftliche Werke heraus, sondern uberrascht im- mer wieder mit hervorragend gestalteten Reprints oder Nachdrucken. Oft nur in wenigen hundert Exemplaren gedruckt, sind sie zu beliebten bi- bliophilen Sammelstucken geworden. Zu den oft- mals als Wiederentdeckung zu bezeichnenden Werken zahlen Bayard Taylor mit seinen Schilde- rungen einer Reise iiber Panama nach Kalifornien, Washington Irving mit einem Bericht uber eine Reise durch die Prairieen, Frederick Law Olmsted mit einem Report uber seine Wanderungen durch Texas und im rnexicanischen Grenzlande oder von Zebulon Montgomery Pike mit seiner Schilde- rung iiber eine Reise durch die westlichen Gebiete von Nord-America - um nur einige Titel aus der jungsten Produktion zu nennen. Nunmehr liegt der im Jahre 1814 in Weimar in deutsche Uberset- zung herausgegebene Bericht der zu Beginn des 19.Jahrhunderts unternommenen Forschungsreise der US-Offiziere Lewis und Clark vor. Der Text wurde fur diese Ausgabe neu gesetzt und mit einem Nachwort von Dietmar Kuegler, dem Verleger und ausgewiesene Experten fur nordamerikanische Geschichte und Volkerkunde, versehen. Auger einigen historischen und aktuel- len Fotos im Nachwort ist die Auflage unveran- dert, einschliefllich des Vorwortes vom damaligen US-Prasidenten Thomas Jefferson sowie des Yor- berichts' des damaligen Ubersetzers. Es ist somit eine authentische historische Quelle neu aufgelegt worden, die sowohl interes- sierte Laien, als auch Historiker und Ethnologen zu schatzen wissen. Dargelegt wird in dem Be- richt, wie Lewis und Clark mit 40 Mannern im Mai 1804 in die Weiten der westlichen Gegenden Nordamerikas aufbrachen. Die Expedition ge- langte in Gebiete, die zuvor kaum ein Europaer oder US-Arnerikaner betreten hatte. Sie erkunde- ten den Missouri, den Yellowstone und den Co- lumbia River; schliefllich gelangten die Expedi- tionsteilnehmer bis zur pazifischen Kuste. Sie sammelten Tausende von Pflanzenproben und be- schrieben mehr als einhundert bis dahin unbe- kannte Tierarten. Aber am spannendsten sind wohl fur die meisten Leser die Schilderungen uber die Begegnung mit Angehorigen der ver- schiedensten indianischen Ethnien. Dem Verlag fur Amerikanistik kann fur diese bibliophile Leistung, die zugleich auch ein verle- gerischen Wagnis darstellt, nicht genug gedankt werden. Ulrich van der Heyden, Berlin Fritz Krafft: ,,... denn Gott schafft nichts umsonst!" Das Bild der Naturwis- senschaft vom Kosmos im historischen Kontext des Spannungsfeldes Gott - Mensch - Natur. (Natur - Wissenschaft - Theologie. Kontexte in Geschichte und Gegenwart, Band 1) Munster: LIT Verlag 1999. X und 234 Seiten, DM 49,80. ISBN 3-8258-4219-3. Die mit diesem Band eroffnete Reihe sol1 - mit Bezug auf Pascal Jordan (1963) - die Mauer zwi- schen Religion und Theologie einerseits sowie ra- tionaler Naturwissenschaft andererseits auch fur die Vergangenheit abzubrechen helfen, was gegen- wartig durch Harmonisierung oder Vereinbar- keitshinweise oder auch nur durch den Aufweis von Korrespondenzen zwischen beiden geschehe - wobei es eine solche Mauer eigentlich nie gege- ben habe, auch wenn Ernst Haeckel und andere 0 WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim 2000 0170-6233/00/0309-0384 $10.00+.25/0

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384 Berichte zu r Wissenschaftsgeschichte 23 (2000) : Rezensionen

Rezensionen

Meriwether Lewismilliam Clark: Tagebuch einer Entdeckungsreise durch Nordamerika von der Miindung des Missouri an bis zum Einflui3 des Columbia in den Stillen Ozean, gemacht in den Jahren 1804, 1805 und 1806 auf Befehl der Regierung der Vereinigten Staaten von den beiden Captains Lewis und Clark. Wyk auf Fohr: Verlag fur Amerikanistik 1998, 199 Seiten. ISBN: 3-89510- 054-4, DM: 94.

Der relativ kleine, auf die nordamerikanische Ge- schichte und Volkerkunde spezialisierte Verlag in Wyk auf der Nordseeinsel Fohr gibt nicht nur popularwissenschaftliche Sachbucher und wissen- schaftliche Werke heraus, sondern uberrascht im- mer wieder mit hervorragend gestalteten Reprints oder Nachdrucken. Oft nur in wenigen hundert Exemplaren gedruckt, sind sie zu beliebten bi- bliophilen Sammelstucken geworden. Zu den oft- mals als Wiederentdeckung zu bezeichnenden Werken zahlen Bayard Taylor mit seinen Schilde- rungen einer Reise iiber Panama nach Kalifornien, Washington Irving mit einem Bericht uber eine Reise durch die Prairieen, Frederick Law Olmsted mit einem Report uber seine Wanderungen durch Texas und im rnexicanischen Grenzlande oder von Zebulon Montgomery Pike mit seiner Schilde- rung iiber eine Reise durch die westlichen Gebiete von Nord-America - um nur einige Titel aus der jungsten Produktion zu nennen. Nunmehr liegt der im Jahre 1814 in Weimar in deutsche Uberset- zung herausgegebene Bericht der zu Beginn des 19. Jahrhunderts unternommenen Forschungsreise der US-Offiziere Lewis und Clark vor.

Der Text wurde fur diese Ausgabe neu gesetzt und mit einem Nachwort von Dietmar Kuegler, dem Verleger und ausgewiesene Experten fur nordamerikanische Geschichte und Volkerkunde,

versehen. Auger einigen historischen und aktuel- len Fotos im Nachwort ist die Auflage unveran- dert, einschliefllich des Vorwortes vom damaligen US-Prasidenten Thomas Jefferson sowie des Yor- berichts' des damaligen Ubersetzers.

Es ist somit eine authentische historische Quelle neu aufgelegt worden, die sowohl interes- sierte Laien, als auch Historiker und Ethnologen zu schatzen wissen. Dargelegt wird in dem Be- richt, wie Lewis und Clark mit 40 Mannern im Mai 1804 in die Weiten der westlichen Gegenden Nordamerikas aufbrachen. Die Expedition ge- langte in Gebiete, die zuvor kaum ein Europaer oder US-Arnerikaner betreten hatte. Sie erkunde- ten den Missouri, den Yellowstone und den Co- lumbia River; schliefllich gelangten die Expedi- tionsteilnehmer bis zur pazifischen Kuste. Sie sammelten Tausende von Pflanzenproben und be- schrieben mehr als einhundert bis dahin unbe- kannte Tierarten. Aber am spannendsten sind wohl fur die meisten Leser die Schilderungen uber die Begegnung mit Angehorigen der ver- schiedensten indianischen Ethnien.

Dem Verlag fur Amerikanistik kann fur diese bibliophile Leistung, die zugleich auch ein verle- gerischen Wagnis darstellt, nicht genug gedankt werden.

Ulrich van der Heyden, Berlin

Fritz Krafft: ,,... denn Gott schafft nichts umsonst!" Das Bild der Naturwis- senschaft vom Kosmos im historischen Kontext des Spannungsfeldes Gott - Mensch - Natur. (Natur - Wissenschaft - Theologie. Kontexte in Geschichte und Gegenwart, Band 1) Munster: LIT Verlag 1999. X und 234 Seiten, DM 49,80. ISBN 3-8258-4219-3.

Die mit diesem Band eroffnete Reihe sol1 - mit Bezug auf Pascal Jordan (1963) - die Mauer zwi- schen Religion und Theologie einerseits sowie ra- tionaler Naturwissenschaft andererseits auch fur die Vergangenheit abzubrechen helfen, was gegen-

wartig durch Harmonisierung oder Vereinbar- keitshinweise oder auch nur durch den Aufweis von Korrespondenzen zwischen beiden geschehe - wobei es eine solche Mauer eigentlich nie gege- ben habe, auch wenn Ernst Haeckel und andere

0 WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim 2000 0170-6233/00/0309-0384 $10.00+.25/0

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das ganz anders gesehen hatten. Bis heute werde immer noch einer erforderlichen Emanzipation der Naturwissenschaft von der Religion das Wort geredet. Mittlerweile existiere jedoch ein neuer Hintergrund und Ausgangspunkt, von dem aus jene Beziehung neu zu iiherdenken ist. Die Quel- len seien im jeweiligen historischen Kontext neu zu befragen und interpretieren.

Diese von Fritz Krafft in Gemeinschaft mit Anne Baumer-Schleinkofer, Manfred Biittner und Jiirgen Hiibner herausgegebene Reihe stellt eine Weiterfiihrung der von Biittner herausgegebenen Reihe Physikotheologie im historischen Kontext dar, die den Themenkreis Physikotheologie in ihrem angestammten historischen Umfeld, also der Naturwissenschaft des 18. Jahrhunderts, be- lassen und keine Ausweitung in Richtung der Ge- samtheit der Beziehungen von Naturwissenschaft und Theologie vornehmen wollte, obwohl auch Biittner diese Notwendigkeit sah. Die neue Reihe sol1 vielmehr auch die dann im 19. und 20. Jahr- hundert in groBer Mannigfaltigkeit und mit ver- schiedensten Intentionen auftretenden Debatten um die Beziehung von Theologie und Naturwis- senschaft einschliefien und auch nach vorn keine zeitlichen Grenzen setzen.

Das bedeutet auch fur Krafft, da8 er sein Thema - das Bild der Naturwissenschaft vom Kosmos im historischen Kontext des Spannungs- feldes Gott-Mensch-Natur - nicht auf die im ei- gentlichen Sinne so genannte Physikotheologie beschrankt, ohne sie allerdings auszuschliegen. Vielmehr will er der Komplexitat des Themas auf zwei Ebenen gerecht werden: Zunachst diskutiert er den Gegenstand Zielgerichtetheit und Zielset- zung in Wissenschaft und Natur, also das Thema einer in der Natur beziehungsweise in Gottes Schopfung vorgegebenen und einer davon zu un- terscheidenden, vom Menschen fur die Erkennt- nisziele seiner Wissenschaften gesetzten Teleolo- gie. Die analytische Differenzierung orientiert sich dann zunachst vor allem an Aristoteles und die Aristoteles-Tradition sowie an Johannes Kep- ler, bis er sich der Physikotheologie als dem ,,letz- ten umfassenden Versuch einer Synthese von Na- turwissenschaft und Theologie" zuwendet. Das Ende der Physikotheologie - zumindest in Deutschland - sieht Krafft in Kants Kritik der Urteilskraft mit den dort enthaltenen Widerlegun- gen des physikotheologisch-teleologischen Got- tesbeweises erreicht.

1st der dominierende Parameter in diesen fiinf Kapiteln das Thema der Teleologie, so stellt Krafft im folgenden quasi ,quer' zu diesem histo- risch-systematischen AbriB eine nunmehr drei Kapitel umfassende Darstellung von Vorstellun- gen der Naturwissenschaft vom Kosmos in der

Geschichte. Hier geht es urn eine historische Ge- geniiberstellung verschiedener Welthilder von He- siodos, Pythagoras, Platon und Aristoteles, dann von Copernicus, Kepler und Galilei bis zum Weltbild der Renaissance und schlieBlich um den durch Astronomie und Kosmologie im 19. und 20. Jahrhundert nachgewiesenen Verlust der Mitte der Erde und auch des Menschen im Kosmos und die in der heutigen Lage daraus zu ziehenden Konsequenzen. Den AbschluB des Buches bildet eine Darstellung der Grundlagen der vorkepler- schen mathematischen Astronomie, die in einen Anhang gestellt wurden, um die vorstehenden Gedankengange von technischen Details entlasten zu konnen.

Man kann es begrugen oder bedauern, daB die meisten Kapitel auf der Grundlage bereits er- schienener Aufsatze und Vortrage des Autors neu verfaBt worden sind. Fur den Wissenschaftshisto- riker, der seit 30 Jahren mit der entsprechenden Literatur vertraut ist, ergeben sich dadurch sicher- lich viele Wiederholungen (wenn diese durch die in der Zusammenstellung aufscheinenden Beziige und Querverbindungen auch einen neuen Wert erhalten), nicht jedoch fur den Nicht-Historiker, der auf diese Weise gleich ein ganzes Stuck Ge- schichte der Wissenschaftsgeschichte mitgeliefert bekommt. Er kann so manche bekannte These, wie beispielsweise die iiber die Bewegungsauffas- sung des Aristoteles, genauer, konkreter und zu- gleich in ihrer Herausbildung wie auch nachfol- genden Kritik neu erfahren und seine wissen- schaftshistorischen Erkenntnisse vertiefen.

Da der Rezensent nun ebenfalls kein Wissen- schaftshistoriker ist, konnte er die vorliegende Publikation mit Gewinn durcharbeiten und muB sich nun freilich in der Besprechung auf be- stimmte allgemeinere Fragen konzentrieren, die eher wissenschaftstheoretischer (oder auch philo- sophischer) Art sind. Das ist deshalb zulassig, weil Krafft selbst, etwa im ersten Kapitel, aus- driicklich iiber den Zusammenhang von Wissen- schaftstheorie und Teleologie spricht. - Ich kon- zentriere mich dabei auf einige wenige Problem- kreise: 1. Wissenschaftliche Erkenntnis ist fur den Autor ein genuin geschichtliches Geschehen, das nicht selber wieder naturgesetzlich determiniert ist, sondern Ausdruck von durch intersubjektive Ziel- setzungen bestimmtem menschlichen Handeln ist. Diese Ziele wiirden zumeist von auBen an die Wissenschaft und ihr Objekt herangetragen. Das Zusammenwirken dieser auGeren, aber auch wis- senschaftsinterner Faktoren bilde den jeweiligen ,Historkchen Erfahrungsraum', dessen Kompo- nenten als Prusentabzlien, das heiBt den Bewoh- nern dieses Raumes prinzipiell prasenten, also zu-

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ganglichen neuen und iiberlieferten, freilich nicht immer realisierten Erfahrungen und Erkenntnisse (S. I), bezeichnet werden. Die Zielsetzungen in der Wissenschaft erwachsen dann nicht allein aus wissenschaftsinternen Erkenntnissen und Metho- den, sondern auch aus Orientierungen am Ziel weiterer Erkenntnis, also auch aus dem, Was man in der Natur erkennen will, sowie aus dem Wie und Wozu.

Aus der Gesamtheit moglicher Veranderungen, Innovationen, die den Prasenzbereich einer Wis- senschaftlergemeinschaft im Verlauf der Ge- schichte erweitern, will Krafft dann hier vor allem solche Innovationsschiibe untersuchen, die durch das Einbringen vormals wissenschaftsfremder christlicher Denkweisen bewirkt wurden (S. 2). Da es Aufgabe des Historikers der Naturwissen- schaften sei, die Griinde zu erforschen, die das je- weils andere Erscheinungsbild der Natur beim er- kennenden Subjekt verursachen, ware es natiirlich von groger Bedeutung fur die jeweilige Erkennt- nissuche (und -findung), wenn die Natur als Pro- dukt gottlicher, zweckmu/3zger Schopfung angese- hen wird. Klar sei dann auch, da8 es unstatthaft sei, uber Kriterien der Wissenschaftlichkeit von einem, etwa dem gegenwartigen Normensystem aus zu bestimmen (S. 3) . Kriterium der Wissen- schaftlichkeit sei vielmehr allein die logische Wi- derspruchsfreiheit sowohl innerhalb des jeweili- gen Systems von Satzen als auch dieses Systems gegeniiber dem Objekt der Wissenschaft unter den jeweiligen Zielsetzungen (S. 4). In dieser Hin- sicht seien eleatische Ontologie, aristotelische Physik und die Physik der Neuzeit gleichermagen widerspruchsfrei. Insbesondere die neuzeitliche Naturwissenschaft mit ihren - einem weitgehen- den Reduktionisrnus verdankten - Erfolgen wie auch Verlusten mache deutlich, dai3 fruher einmal eingenommene Sicbtweisen nicht schon deshalb unwissenschaftlich seien, weil sie heute nicht mehr vertreten werden. Dann wird der Gedanke verstandlich, dai3 christliche Glaubensvorstellun- gen, in die heidnisch-antike Aristotelische Natur- wissenschaft eingebracht, durchaus einen Innova- tionsschub hinsichtlich deren Umformung in Richtung neuzeitlicher Naturwissenschaft be- wirkten (demonstriert etwa in Kapitel2: ,,Die Er- weiterung der ,internen' durch die ,externe' Zweckmai3igkeit der ,Natur' bei Philoponos"). Endgiiltig fallenlassen miii3te man dann die Vor- stellung, dal3 Wissenschaftlichkeit oder vielmehr deren Auspragung mit der Emanzipation und Loslosung der Naturwissenschaften von der christlichen Religion und Theologie gleichzuge- setzen sei (S. 5).

Diese interessante Konstruktion hat vieles fur, aber auch einiges gegen sich. Insoweit sie Wider-

spruchsfreiheit (innerhalb bestimmter Bezugsrah- men) mit Wissenschaftlichkeit gleichsetzt, kommt man zu dem letztendlich wohl doch uberraschen- den Ergebnis, daB es eigentlich keine Entwick- lung der Wissenschaftlichkeit gibt, sondern nur immer neue Erkenntnisse, die aus einem geander- ten Naturverstandnis erwachsen. Es ist aber pro- blematisch, iiber die gesamte Geschichte der Wis- senschaft einen quasi uberparteilichen Standpunkt einnehmen zu wollen, der in der Lage ist, allen Natur- und Wissenschaftsverstandnissen gleicher- mai3en Recht zu tun. Auch und gerade der in der Gegenwart dominierende Aspekt ist subjektorien- tiert, und niemand kann aus diesem historischen Raum ausbrechen. Selbst wenn man der von Krafft und anderen bekampften Sicht nicht an- hangt, dai3 eigentliche Naturwissenschaft von Religion und Theologie (wieso eigentlich nicht auch von Philosophie?) emanzipiert sein mu& so ist es doch vorstellbar, von Entwicklungsetappen der Wissenschaft zu sprechen, in denen jeweils ein anderes Verhaltnis (der Abgrenzung wie Kon- kordanz) von naturwissenschaftlichem und theo- logisch-philosophischem Wissen realisiert ist. Man mui3 ja dieses Kriterium aui3erdem nicht zum alleinigen erklaren. Aber man wird es auch nicht einfach leugnen konnen, wilI man nicht als Apologet einer imtnerwahrenden Konkordanz der beiden Wissenstypen erscheinen und darauf ein ganzes Wissenschaftskonzept griinden. 2. Es ist wahrscheinlich, dal3 der Autor dem Re- zensenten vorwerfen wird, ein teleologisches Wis- senschafts- und Entwicklungskonzept zu vertre- ten, wogegen doch die Wissenschaft von der Na- tur keineswegs naturgesetzlich determiniert sei. Er wirft namlich auch der modernen Wissen- schaftstheorie vor, durch die Forderung nach Eli- minierung des teleologischen Elements in den Objekten der Wissenschaften (als Ausdruck von Unwissenschaftlicbkeit) gerade selber eine teleo- logische Betrachtung der Wissenschaft (das heifit: ihres Gegenstandes) vorzunehmen, insofern deren Ziel eine teleologie-freie Wissenschaft sein solle, womit sie aber als vorgebliche Wissenschaftstheo- rie ihre eigene Unwissenschaftlichkeit bezeuge (S. 7) - wenn denn Wissenschaft notwendig teleo- logiefrei ware und somit schon immer Teleologie- Freiheit angestrebt habe. Der durch bessere Ein- sichten in Komplexitat und Kontext (wieder) ge- wonnene funktional-teleonomische Aspekt natiir- licher, vor allem biologischer und okologischer Prozesse und Strukturen zeige aber, dai3 diese Forderung fur die Naturwissenschaft heute kaum noch pauschal zu erheben sei. Man durfe dieses teleologische Element allerdings nicht auf die Entwicklung und das Ziel der Wissenschaft von solchen (teleologischen) natiirlichen Prozessen

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iibertragen, woraufhin eben Wissenschaft selber als ein solcher natiirlicher, ,zielgerichteter' ProzeB mit eigener, interner Finalitat gelten miisse (S. 8). Krafft unterscheidet deshalb im Eingangskapitel zwischen (je nach der in der Geschichte sich wan- delnden diesbeziiglichen Vorstellung im Histori- schen Erfahrungsraum) durch die ,Natur' oder Gottes Schopfungsplan vorgegebener (objektiver) ,Zielgerichtetheit' in der Natur als dem Objekt der Wissenschaft (,,externe Finalitat") einerseits und vom Menschen seiner rationalen Betrach- tungsweise selbst gegebener (subjektiver) ,Zielset- zung' der Wissenschaft andererseits; letztere diirfe allerdings ebenfalls nicht dem Objekt selbst iiber- tragen werden.

Diese Konstruktion des Autors ist mir zu kom- pliziert; denn die Vorstellung einer zielgerichteten Entwicklung auch von Wissenschaft durch immer bessere Annaherung an die Wahrheit beziehungs- weise an ihre Gegenstande oder aber adaquatere Gegenstandsbildungen sowie Verdrangen nicht- wissenschaftlicher metaphysischer Vorstellungen diirfte alter sein als die Wiedergewinnung teleo- nomischer Sichtweisen in den modernen Wissen- schaften und auch dann noch ihre Giiltigkeit be- wahren. Das Hauptproblem liegt meines Erach- tens in dem von Krafft verwendeten Begriff von Teleologie. Die dem Objekt zugrundegelegte Fi- nalitat und Teleologie ist bei dem das Buch der Natur als Schopfungsabsicht lesenden Kepler und dem nach Selbstorganisation forschenden moder- nen Kosmologen oder Biologen nicht identisch. Wir miissen und diirfen auch Keplers Astronomie nicht deshalb aus dem Kreis der Wissenschaften auschlieBen - auch aus Sicht der heutigen Astro- nomie nicht, obgleich sie fur bestimmte Richtun- gen der Wissenschaftstheorie in dem MaBe der Wissenschaftlichkeit entbehren soll, in dem sie te- leologisch orientiert bleibt. Wo liegt also der Un- terschied? Er diirfte zum einen in der Art und Weise liegen, wie in beiden Fallen teleologische Aspekte in die wissenschaftliche Erkenntnis im- plementiert werden. Selbst wenn der Gottesbe- griff in Keplers Wissenschaft - hier ist Krafft zu- zustimmen - nicht einfach als wissenschaftsextern bezeichnet werden kann, so taucht er doch letzt- endlich im Keplerschen Erkenntnissystem, also in seinen Gleichungen und Formeln, selber gar nicht mehr auf. Gleiches gilt fur Newtons Gottesver- standnis (S. 77). Der Rezensent sieht hier bei Kepler und Newton im Sinne des urspriinglichen Ansatzes von Krafft zur Besrimmung von When- schuftlichkeir einen Widerspruch zwischen dem System wissenschaftlicher Satze auf der einen Seite und der jeweiligen Zielsetzung, namlich Gotteserkenntnis sein zu wollen, auf der anderen Seite. Ware Teleologie ein Anzeichen fur Unwis-

senschaftlichkeit, ware die Keplersche Astronomie also strenggenommen keine Wissenschaft.. . Krafft sieht hier jedoch schon deshalb keinen Wider- spruch, weil es sich nur um eine heuristische Set- zung gehandelt habe. Der alte Streit taucht also wieder auf: Was ist eigentlich wissenschaftsextern und was -intern? Der Rezensent geht natiirlich nicht so weit, aus jenem Widerspruch (wenn er denn fur existent angenommen wird, was Krafft leugnet), der durch Kepler also auch keine Lo- sung finden konnte, die Unwissenschaftlichkeit von Keplers und Newtons Astronomie herzulei- ten. Daraus folgt: wir benotigen differenziertere Kriterien, urn Wissenschaftsetappen auch auf ihre Wissenschaftlichkeit und nicht nur auf ihren Er- kenntniszuwachs hin beurteilen zu konnen.

Ich denke schon, daB neben dem immer tieferen Eindringen in die Naturgesetzlichkeit und dem Zurverfiigungstellen praktikablen Wissens ein wei- teres Hauptkriterium die AusschlieBung aller wis- senschaftsfremden Gegenstandsbildungen ist - wozu also auch religiose Naturbilder gehoren, die Gott als Ursache fur Naturerscheinungen nehmen. Aber das ist natiirlich ein komplizierter, wider- spriichlicher, bis heute nicht abgeschlossener Pro- zeB; Kepler und Newton sind wichtige Marksteine in dieser Entwicklung. Immanenter Bestandteil dieses Vorganges ist die historische Veranderung des Begriffs des Teleologischen selber.

Da es wohl heute nicht mehr sinnvoll ist, eine li- neare Kette aufziehen zu wollen, in der das Ergeb- nis oder Ziel einer bestimmten Entwicklung be- reits in der ersten Ursache vorherbestimmt und determiniert ist, und wenn gerade eine solche Vor- stellung Teleologie heiBen soll, dann waren Aspekte von relutiver, also erst innerhalb be- stimmter Etappen originar auftretender Zielge- richtetheit sinnvollerweise als funktionul-teleono- mzsch zu bezeichnen. Entwicklung gleicht dann eher einer gleitenden Projektierung, in der neue Etappen und Zielsetzungen erst im Verlauf bereits realisierter Ziele entstehen - eine Beschreibung, die freilich immer noch auf technologische oder politische Handlungsweisen hinweist und deren Analoga von den komplexeren Naturwissenschaf- ten immer noch nicht so ganz einfach nachzuwei- sen sind. Dies trotz Selbstorganisations- und Cha- ostheorie, dissipativer Thermodynamik und Phy- sik der Evolution. AuBerdem ware dann zusatzlich eine angemessene philosophische Interpretation der hier noch zu gewinnenen Begriffe erforderlich. 3 . In diesem Zusammenhang ist die Darlegung und Kritik des Aristotelischen Wissenschafts- und Naturkonzeptes durch Krafft ein interessantes Thema. Der Aristotelische teleologische Ansatz werde iiberhaupt erst durch die Naturwissen- schaft unserer Zeit mit ihren Struktur- und Funk-

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tionssystemen und iiber das Konzept der Selbst- organisation wieder verstehbar. Die Physik der Aufklarung wie auch noch die des 19. Jahrhun- derts hatte die Begrifflichkeit des Aristoteles mit ihren Methoden noch nicht nachvollziehen kon- nen und habe sie deshalb fallengelassen (S. 12):

,,Was im 17. Jahrhundert (Physik) und im 19. Jahrhundert (Biologie) als verdrangungswiir- dig erschien, war die Vorstellung von einer die ge- samte Natur durchwaltenden, gottgegebenen ,ex- ternen' Zweckmafligkeit, wie sie Aristoteles selbst iiberhaupt nicht ins Auge gefai3t hatte. Die ,in- terne' Finalitat oder Zweckmagigkeit eines Pro- zegverlaufes war fur den anorganischen Bereich noch nicht wieder entdeckt worden, und das aus- gehende 19. Jahrhundert meinte, sie durch die Anpassung an physikalisch-mechanistische Denk- weisen auch fur den organischen Bereich elimi- nieren zu konnen."

Andererseits seien gerade durch die christliche Modifizierung etwa der aristotelischen Bewe- gungslehre Keimzellen neuzeitlicher Naturwissen- schaft entstanden. Wahrend es fur Aristoteles nur eine dem Erreichen der eigenen Vollkommenheit dienende, interne Zweckmagigkeit des Einzeldin- ges und Einzelprozesses gegeben habe, waren be- reits durch den christlichen Aristoteliker Philopo- nos im 6. Jahrhundert, also am Ende der Antike, alle diese Einzelzwecke zu einer umfassenden, die gesamte Natur durchwaltenden, also fur das Ein- zelding externen Zweckmafiigkeit zusammenge- faBt worden. Diese konne dann nur als von einem Schopfergott und dessen zielgerichteten Wirken herriihrend verstanden werden, wie es bereits bei Platon und den Stoikern, sparer dann in der Na- tiirlichen Theologie des 16. und 17. Jahrhunderts und in der Physikotheologie des 18. und teilweise noch des 19. Jahrhunderts zu beobachten sei (S. 19). Gott miisse dabei in seiner Schopfung nicht unbedingt fur die Einhaltung der Zweckma- i3igkeit in jedem Einzelprozeg sorgen, wenn die Natur von ihm von vornherein auf diese Zweck- magigkeit hin eingerichtet worden sei und die Dinge die dafiir notwendige Kraft bei der Schop- fung eingepragt bekommen haben. Die Reaktion der Nominalisten auf die Aristotelesverbote im 14. Jahrhundert und die Rezeption des Philoponos seit etwa 1500 habe dann das neuzeitliche Denken in der Physik bei GaliIei zumindest vorbereitet (S. 31). Als zwei der dafiir erforderlichen und wirksamen Zwischenglieder benennt Krafft den Ubergang vom Konzept des horror wacui zur Vor- stellung des atmospharischen Luftdrucks und die Verdrangung des impetus-Konzeptes durch die Theorie der Allgemeinen Gravitation bei Kepler und Galilei (Kapitel3: ,,Die Verdangung teleologi- scher Denkweisen"). Causa finalis-Erklarungen

werden durch causa efficiens-Erklarungen ersetzt und die teleologische Denkweise damit insgesamt zuriickgedrangt. Die Aristotelische interne Finali- tat wird durch die gottliche externe Finalitat nicht nur iiberkompensiert, sondern im Sinne des Platon und die Stoiker wiederentdeckenden Renaissance- Humanismus ersetzt. 4. Typisch dafiir sei Keplers iiberkonfessionell orientierte Naturforschung: Ziel der Erkenntnis ist nun nicht mehr wie im Mittelalter Gotteser- kenntnis schlechthin, sondern Erkenntnis Gottes durch und in seinem Schopfungsplan, sichtbar in der Harmonie des Weltenbaus (S. 53). Kepler kann dabei unter anderem an neuplatonische Ideen ankniipfen und die Platonischen Korper zur rational-quantitativen Darstellung der Plane- tenbahnen nutzen. Fur den Revolutionar und Be- griinder neuzeitlicher Naturwissenschaft wird Astronomie zur Gotteserkenntnis und zugleich zum Gottesdienst (Krafft). Das System des Co- pernicus war fur ihn nicht nur mathematische Hypothese, sondern aufgrund einer okonomi- schen Betrachtung auch die rationellere Form der Welt und damit sowohl gottgemag wie auch me- taphysisch, also hier: physikalisch gesehen, real. Da die drei damals konkurrierenden Modelle (nach Ptolemaios, Copernicus und Brahe) empi- risch und mathematisch gleichwertig waren, griin- dete Kepler seine Entscheidung zugunsten des Heliozentrismus in der ontologisch iibergeordne- ten Geometrie, deren Archetypen selbst Gottes Handlungsplan bestimmt hatten (S. 62).

Einzubinden sind diese Uberlegungen in die sogenannte Natiirliche Theologie, aus der Kepler in seinen Tiibinger Studienjahren Anregungen empfing. Auch konnte in jener Zeit die Vorstel- lung iiberwunden werden, dai3 die mechanischen Kiinste einer besonderen Rechtfertigung bediir- fen, weil sie nach anderen Prinzipien verlaufen als die natiirliche Schopfung. Fur Galilei isr die Me- chanik dann schon Ausdruck natiirlicher Vor- gange, da der Mensch als Teil der Schopfung nichts gegen die iibrige Schopfung zu vollbringen vermoge. Schliefilich sei die Anwendung der Me- chanik wie dann auch der Arzneikunst und diese selbst nach der Bibel und den Kirchenvatern aus gottlichem Auftrag ableitbar.

Fur Kepler und Galilei ist das Bucb der Natur (Gottes Schopfung) in mathematischen Lettern geschrieben, in der Schopfung sind die mathema- tisch fagbaren Harmonien der Planetenspharen verwirklicht. Zur gleichen Zeit existierte aber auch die Lehre, dai3 es dem Menschen aufgrund des biblischen Siindenfalls nicht mehr moglich sei, Gott in der Natur zu erkennen (S. 73).

Den Widerspruch zwischen der copernicani- schen Astronomie und bestimmten Bibelstellen

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habe Kepler dadurch zu beseitigen versucht, dai3 er zwischen dem Heilsanliegen der Bibel selber und der sprachlichen Gestalt, in die dieses geklei- det sei, zu unterschied. Gott rede mit den Men- schen so, dad sie ihn verstehen, er konne zu ihnen nicht in der Sprache spaterer wissenschaftlicher Erkenntnisse sprechen (S. 73). Gemeinsam mit Galilei werde Kepler damit zu einem Vorreiter der historisch-kritischen Methode der Bibelex- egese. 5. In der historischen Etappe der sogenannten Physikotheologie (John Ray,William Derham, J. A. Fabricius, B. Nieuwentijt, der vorkritische Imma- nuel Kant) habe sich im Zusammenhang mit New- tons kausalmechanischer Physik nun die Frage ge- stellt, wie die externe, gottliche Zweckbestimmt- heit der Natur ,trotz' der umfassenden physikali- schen Gesetzlichkeit angenommen werden konne. Da Newton die Existenz und Allmacht Gottes so- zusagen nachtraglich aus den noch nicht erklarten Eigenschaften des Sonnensystems abgeleitet hatte, entwickelte sich freilich andererseits auch immer mehr das Bestreben, nun vollig ohne die Erkla- rungsursache Gott auszukommen. Unter diesen Bedingungen sei das Projekt der Physikotheologie, die Existenz Gottes nicht (wie die friihere Naturli- che Theologie) apriori anzunehmen, sondern apo- steriori aus den Naturerscheinungen selbst abzu- leiten und moglichst sogar zu beweisen, um so ho- her zu bewerten.

Krafft sieht die Wurzeln dieser Physikotheolo- gie vor allem im auf die providentia als standige Gegenwart Gottes verstehenden Lutherischen Protestantismus, aber auch schon in der theologza naturalis des Spatmittelalters (Raimundus von Sarbunde, gestorben 1437), die von der Redeweise der zwei Biicher Gottes ausgeht und das Buch der Natur fur vielleicht noch besser geeignet zum Nachweis des Wirken Gottes halt als das mog- licherweise durch die Mittlerfunktion des Men- schen verfalschte Buch der Offenbarung (S. 80). Krafft differenziert zwischen einer Physikotheo- logie, als die Teleologie noch wesentlicher Be- standteil der Lehre von der Natur war (Melanch- thon, Mercator), und einer solchen, die sich dann mit den kausal-mechanischen Erklarungsversu- chen der Naturforschung auseinanderzusetzen hatte. Letztere bis in die 1760er Jahre wahrende Phase werde in der deutschen Naturwissen- schaftsgeschichtsschreibung als die fur die Aufkla- rung wichtigste angesehen. Die Physikotheologen hatten eine kaum zu uberschauende Menge von Einzelwerken zu fast allen Bereichen der Natur- geschichte hervorgebracht. Es dominierten nun aber die Disziplinen, die sich einer mathematisch- mechanischen Durchdringung bis dahin entzogen hatten. Damit werde erklarlich, wieso es eher die

Naturerfahrung ist und weniger der mathemati- sche Geist wie bei Kepler, der jetzt den Zugang zu dieser Erkenntnis bahne (S. 86). Ein eigener Abschnitt iiber das Arzneimittel in der Physiko- theologie rundet diese Uberlegungen ab. Das Ende der Physikotheologie sieht Krafft dann mit Kant gekommen, und auch das Gehlersche Physi- kalzsche Worterbuch von 1791 nehme diese Kritik auf; in nachfolgenden Auflagen tauche der Begriff der Physikotheologie dann auch gar nicht mehr auf (S. 96). 7. In einem letzten, achten Abschnitt erortert Krafft bestimmte Konsequenzen, die sich aus dem Verlust der raumlichen und zeitlichen Endlichkeit durch die Historisierung von Natur und Kosmos sowie durch den Verlust der Mitte fur den Men- schen ergeben. (Beide Ansatzpunkte sind ubrigens leicht irritierend, denn man hatte fur die Ietzten Abschnitte der Wissenschaftsgeschichte durchaus auch von einem Wiedergewinn der Endlichkeit der Welt sowie von einem neuen Verstandnis der Mitte des Menschen in dieser Welt sprechen konnen - wenn man nur die moderne Kosmologie entspre- chend hatte auslegen wollen.) Selbst wenn in der bisherigen Geschichte der Kosmogonie und Kos- mologie durch immer weitergehende ,naturliche' Erklarungen Gottes Schopfungstat immer weiter zuruckgedrangt werde, konne der Urknall viel- leicht doch wieder als eine Art Schopfung angese- hen werden, zumal einige Konstanten in hochster Feinabstimmung als nicht ableitbare Singularitaten angesehen werden miifiten (S. 186). Dariiber dafi diese wiederum wohl auch nur als Kontingenz, als teleologischer Schopfungsakt, also grundsatzlich theologisch erklarbar seien (S. 170), lai3t sich frei- lich streiten, selbst wenn der gegenwartige Er- kennrnisstand der Kosmologie eine solche Inter- pretation nahelegt. Aber: Selbstorganisations- und Chaostheorie weisen darauf hin, dafi sich traditio- nellen Erklarungen entziehende Singularitaten of- fensichtlich unabdingbar fur Entwicklungsspriinge sind und dafi insofern der Begriff von Wissen- schaftlichkeit weiterer Ausgestaltung hinsichtlich einer Zielgerichtetheit bedarf, wie es Krafft durch den Nachweis ,teleologischer' Inhalte in auch von der modernen Wissenschaft als ,wissenschaftlich' anerkannten Theorien aus der Geschichte der Wis- senschaften wohl anstrebt. Auch die Theologie sollte hier vor einer voreiligen ,Liickenbiii3er- Theorie hoherer Art' geschutzt werden.

Aufierirdische Zivilisationen wiirden durch das anthropische Prinzip zwar nicht ausgeschlossen, die Wahrscheinlichkeit ihrer Existenz sei jedoch gering, stellt Krafft abschliefiend fest. Deshalb werde uns niemand helfen, mit den von uns ge- schaffenen Problemen der Naturzerstorung fertig zu werden. Auch dem Kosmos sei es egal, ob die

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Menschheit uberlebt oder nicht. ,,Die Erde ist eben nicht, wie man noch bis weir in die Neuzeit hinein annahm, ein nach Gottes Vorsehung er- richtetes teleologisches und selbstregulierendes Okosystem, geschaffen fur den Menschen" (S. 189). (Ob damit der von Krafft fur sein Buch gewahlte 'Iitel fur diesen letzten, nicht mehr wis- senschaftshistorischen Abschnitt seinen Sinn ver- liert, ware anzufragen.) Ohne sinnvollen Einsatz von Wissenschaft und Technik konne die Mensch- heir gar nicht mehr uberleben, auch ware es mitt- lerweile zu spat, wollte man nun einfach die Erde sich selbst uberlassen, um Schlimmeres zu verhu- ten. Naturwissenschaftsgeschichte konne dafur zwar keine Patentrezepte liefern, aber doch durch die historische Herleitung das BewuRtsein fur die gegenwartig bestehende Notwendigkeit einer Umorientierung scharfen und den Graben zwi- schen den ,beiden Kulturen' durch gegenseitige Verstandnishilfen zu uberbrucken helfen.

Ein interessantes Buch ohne Zweifel - auch fur den aus der marxistischen Tradition herkommen-

den Rezensenten. Soziale Aspekte der Thematik, die durchaus relevant sein konnen, bleiben aller- dings leider ausgespart. So wie aber Religion nicht nur eine anthropologische Seite im Leben der Menschheit ist - wie manch anderes auch: Neu- gier, Abenteuerlust, technischer Neuererdrang -, so haben diese Eigenschaften und Haltungen des Menschen eben auch eine ebenfalls historisch-be- stimrnte soziale Seite. Diese IaRt sich durch noch so viele Appelle ans Bewufitsein nicht eliminieren oder entscheidend modifizieren. Damit den Men- schen etwas Neues durch den Kopf geht, miissen auch soziale Dinge passieren, die solche Ideen fordern und ihre Urnsetzung und Ausstrahlung in die Breite ermoglichen. Das sollte auch fur das Bild der Naturwissenschaften im Spannungsfeld von Gott-Mensch-Natur zutreffen, ohne da8 da- mit eine einfache Reduktion komplizierter Sach- verhalte auf den Entwicklungsstand der Produk- tivkrafte vorgeschlagen werden sollte.

Frank Richter, Freiberg/Sachsen

Michael Friedewald: Der Computer als Werkzeug und Medium. Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers. (Aachener Beitrage zur Wis- senschafts- und Technikgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd 3) BerWDiepholz: Ver- lag fur Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik 1999, ISBN 3-928186- 47-7; zugleich Diss. Aachen, Technische Hochschule 1999.

Ich schaue auf einen Monitor, tippe auf einerTasta- tur und schreibe auf diese Weise mittels Textverar- beitungs- urid Betriebssystem (Software), Prozes- sor und Festplatte (Hardware) diese Rezension: der Computer als Werkzeug. Mit Herausgebergre- mium, Redaktion und Verlag der Zeitschrift, in der dieser Text erscheint, kann ich ebenso bequem per E-Mail kommunizieren, wie mit dem Autor des zu besprechenden Buches. Informationen zu diesem Buch kann ich mir bei vorhandenem Netz- zugang leicht aus dem Internet auf meinen Bild- schirm holen: der Computer als Medium.

Wir benutzen unseren Computer heute als Werkzeug und als Medium: wir brauchen ihn zum schreiben, zeichnen, spielen und rechnen, aber auch um uns tu informieren und um zu kommunizieren. Fur welche dieser Zwecke wir unseren Rechner einsetzen konnen, h a n g davon ab, welche Programme uns darauf zur Verfiigung stehen, und da wir in der Regel als Benutzer nicht die Programmierer solcher Systeme sind, erwar- ten wir (und oft genug wird diese Erwartung ent- tauscht), daR der Rechner aufgrund der installier- ten Softwarepakete als Buro- oder Datenbank- system einwandfrei funktioniert. Wir sehen in ihm, was wir gerade brauchen: eine Rechen- oder eine Schreibmaschine, ein Simulationssystem, eine

Spielkonsole oder eben ein Informations- und Kommunikationsmedium: Web-Browser bezie- hungsweise E-Mail-Tool.

Anfangs, als die Benutzer von Rechenanlagen auch deren Prograrnmierer waren, wufiten sie sich bei einer Fehlfunktion des Gerats auch zu helfen, den Fehler zu beheben. Heute sind in solchen Si- tuationen hilfloses Tastendriicken, Ein- und Aus- schalten oft die Regel und Gewalt gegen Compu- ter, wie Treten gegen den Tower oder Schlagen ge- gen den Bildschirm zwar die Ausnahme, aberTat- sachen. Auch dieser Wechsel im Verhaltnis des Menschen zum Computer ist ein Charakteristi- kum der ,Digitalen Revolution', die uns den Ein- tritt in die ,Informationsgesellschaft' verspricht. Das Buch von Michael Friedewald handelt von der Gcschichte dieses Ubergangs, von den Ver- schiebungen, die das Mensch-Maschine-Verhaltnis im 20. Jahrhundert erfuhr, als sich die Maschine vom Groficomputer der 1940er und 1950er Jahre zum heutigen Personal Computer entwickelte. Sein Buch beginnt bei Vannevar Bushs Memex, der ,visueller Entwurf geblieben ist, und endet mit Apple Macintosh, IBM P C und dem Soft- waregiganten Microsoft Windows, also den Syste- men, die schlie8lich kommerziell so erfolgreich waren, daR sie millionenfach verkauft wurden.

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