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F E L I X A L F R E D P L A T T N E.R GENIE IM URWALD DAS W E R K D E S A U S L A N D S C 11 W E 1 V. E R S IM NZN B U C H V E R L A G ZÜRI 11 15-1]

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F E L I X A L F R E D P L A T T N E . R

GENIE IM URWALD

D A S W E R K D E S A U S L A N D S C 11 W E 1 V. E R S

I M N Z N B U C H V E R L A G Z Ü R I

1 1 15-1]

K W U I U j l

Mit 54 Photos v o n F. A . Plattner und A . L u n t e

M i t kirchlicher Druckerlaubnis

Al le Rechte vorbehalten

Copyright 1959 by N Z N Buchver lag Zürich

Printed in Switzerland by H. Börsigs Erben A G Zürich (Text)

und Graphische Anstalt W.St ier l i Z ü r i c h (Tafeln)

Gebunden v o n J. Stcmmlc & C o . Z ü r i c h

Z U M G E L E I T

Mein Heimatkanton gehört zu den kleinen im Land. Man nennt ihn sogar nicht ungern

den «kleinsten» aller Stände schweizerischer Eidgenossenschaft. Sie werden es deshalb

verstehen, wenn ich feststelle, daß wir Zuger mit besonderem Stolz auf die « G r o ß e n »

blicken, die aus unserer kleinen Heimat hervorgegangen sind und in fernen Landen

nicht nur ihrer Heimat, vielmehr auch dem ganzen schweizerischen Vaterland Ehre und

Ruhm eingelegt haben. Darin liegt denn auch der Hauptgrund dafür, daß ich mir ge-

statte, dem vorliegenden Band auf Ersuchen des Verfassers und des Verlages ein kurzes

Geleitwort mitzugeben. Denn P. Martin Schmid, dessen Leben und Werk in diesen Blät-

tern geschildert werden, darf ohne Bedenken in die Zahl der großen Auslandscbweiyer ein-

gereiht werden. Was wir heute unter der «1 lilfe an die Entwicklungsländer» verstehen,

das hat P. Martin Schmid schon vor beiläufig zwei Jahrhunderten durch ein ganzes

langes Leben in bewunderungswürdiger 1 i ingabe erfüllt. Priester und Künstler zugleich!

In diesen Blättern ist nicht davon die Rede, was der Priester als Missionär den armen

Indianern im Urwald schenkte. Diese Blätter gelten seinem künstlerischen Schaffen. Und

was uns der Verfasser nach dieser Richtung zu melden und durch einen reichen Bilder-

schatz zu belegen weiß, grenzt sozusagen ans Unglaubliche. Martin Schmid muß über

eine außerordentlich vielseitige Begabung verfügt haben: Architekt, Altarbauer, Bild-

hauer und Holzschnitzer, Geigenschreiner, Orgelbauer, Glockengießer, Ziegel- und

Glasbrenner, Silberschmied usw., und dazu noch Musiker und Komponist , und das alles

in einer Person! Was uns Felix Plattner in diesem Bande schenkt, ist im Grunde ge-

nommen nichts anderes als ein Stück in fernen Landen spielender schweizerischer Kunst-

geschichte. Wir teilen uns mit dem Verfasser in seine Entdeckcrfreude, und er sei unseres

herzlichen Dankes versichert.

Die Ulrico Hoepli-Stiftung; Se. Exc. Dr. Franziskus v o n Streng, Bischof von Basel

und Lugano; Herr Edgar K o c h e r , S a o Paulo (Brasilien), und die Familie Schmid, Baar,

haben durch Beiträge in dankenswerter Weise die Herausgabe dieses Buches ermöglicht.

M A R T I N S C H M I D V O N B A A R

Im Falle Martin Schmids von Baar darf man v o n einem außergewöhnlichen Glücksfall

sprechen. Dieser Auslandschweizer in Übersee ist nicht wie viele andere verschollen.

Sein Name ist nicht vergessen und sein Werk nicht untergegangen. Im Vergleich zu

unseren meist ärmlichen Kenntnissen über andere Schweizer Missionare des 17. und

18. Jahrhunderts sind wir über den «Großen Vater» der Chicjuitos in den Urwäldern

Ost-Boliviens sehr gut unterrichtet. Sein Leben ließ sich aus archivalischen und lite-

rarischen Quellen bis in alle wichtigen Einzelheiten verfolgen und so fand Martin

Schmid seine Biographen, darunter auch den Verfasser dieses Bandes.

A b e r die ganz eigenartige Bedeutung seines künstlerischen Werkes für die Kultur- und

Kunstgeschichte Südamerikas ist der Forschung bis jetzt entgangen. In Argentinien

wurde sie v o m führenden Kunsthistoriker Mario Buschiazzo geahnt. Sie konnte aber

von ihm aus Mangel an Beweismaterial nicht nachgewiesen werden. Eine wahrhaft

glückliche Verkettung v o n Umständen ermöglicht es heute, diesen Beweis zu liefern

und das künstlerische Lebenswerk eines Schweizer Missionars aus der Gesellschaft

Jesu in seinen wesentlichen Teilen noch in Bildern vorzuführen.

In den Jahren 1957 und 1958 unternahm ich eine Studienreise durch ganz Südamerika.

Ich verfolgte dabei das Ziel, möglichst viel Material über den kulturellen Beitrag der

Jesuitenmissionare aus den deutschen Ordensprovinzen während der spanischen Kolo-

nialherrschaft zu sammeln. Selbstverständlich hatte ich mir von Anfang an vorgenommen,

bei dieser Gelegenheit auch jenes Gebiet im bolivianischen Chaco aufzusuchen, w o Martin

Schmid vor 200 Jahren seine Kirchen gebaut und ausgeschmückt hat. Aber erst während

der Reise ist mir bewußt geworden, daß ich damit etwas fast Unbekanntes und Bedeut-

sames gewissermaßen «entdecken » könnte. So freue ich mich jetzt um so mehr, einem

unserer großen Auslandschweizer zum Ehrenplatz verhelfen zu dürfen, der ihm in der

Kunst- und Missionsgeschichte Südamerikas wirklich gebührt. Das ist auch die Recht-

fertigung für die Herausgabe dieses Bandes.

D I E Q U E L L E N

P. Martin Schmid hat schon bald nach seinem T o d im Jahre 1772 einen vortrefflichen

Biographen gefunden: P.JOSEPH PERAMAS SJ. Dieser katalanische Jesuit wirkte von

1755 bis 1767 in Paraguay und Argentinien als Missionar und Professor. Mit seinen

Ordensgenossen aus Amerika ausgewiesen, kam er nach Italien. Hier entfaltete er eine

rege literarische Tätigkeit. Neben anderen geschichtlichen Arbeiten veröffentlichte

P. Peramäs 1793 in Faenza, w o er viele Jahre seiner Verbannung verbrachte, eine Le-

bensbeschreibung von dreizehn bedeutenden Jesuiten-Missionaren seiner Ordens-

provinz. Das Buch trägt den Titel: « D e vita et moribus tredecim virorum paraguay-

corum». In einem ersten Teil (S. 1 - 1 6 2 ; vergleicht der hervorragende Humanist

Peramäs den «Jesuitenstaat» v o n Paraguay mit der utopischen Republik Piatos. Im

zweiten, biographischen Teil (S. 163-460) findet sich dann auch die ausführliche Skizze

über die Persönlichkeit P. Martin Schmids an krönender Stelle.' (S. 405-460)

Die Aufnahme P. Martin Schmids in eine Sammlung hervorragender Missionare zeigt,

daß ihn schon seine Mitarbeiter und Zeitgenossen als außergewöhnlich tüchtigen und

charaktervollen Jesuiten betrachteten. P. Peramäs schildert ihn als gottverbundenen,

ungemein gütigen und geduldigen Priester v o n staunenswerter und vielseitiger Be-

gabung praktischer Art.

Den gleichen Rindruck erweckt das Studium der 33 handgeschriebenen Briefe des

Paters, die im Archiv der Familie Schmid in Baar (Kanton Z u g ) aufbewahrt werden.

Die lückenlose Sammlung dieser Schreiben aus den Jahren 1726 bis 1772, also von der

Priesterweihe bis zum T o d e des Missionars, bildet eine einzigartige Geschichtsquelle

und einen Glücksfall eigener Art . Durch diese Nachrichten aus erster Hand sind wir

über den Lebenslauf und die wichtigsten Arbeiten des Paters genau unterrichtet.

Die Briefe wurden erstmals v o m bekannten Volksschriftsteller P. JOSEPH SPILLMANN

S.J., einem Zuger Landsmann des Missionars, für eine neue Lebensbeschreibung aus-

gewertet2. Damit fand P. Martin Schmids Name Eingang in die heimatliche Missions-

literatur. In der monumentalen «Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutsche

Z u n g e » von P. BERNHARD DUHR3 wird die Gestalt des großen Schweizer Missionars

ehrend gewürdigt.

Schließlich hat der Verfasser selbst für einen weiteren Leserkreis ein ausführliches

Lebensbild des «Reisläufer Gottes» P. Martin Schmid von Baar geschrieben4, wobei

vor allem auch die Umwelt und das missionarische Zeitgeschehen in Auswertung neuer

Forschungsergebnisse in die Darstellung einbezogen wurden. Infolge der Abschnürung

der Schweiz von der Außenwelt während des zweiten Weltkrieges war es aber 1944

nicht möglich, die neueste, in Amerika veröffentlichte Literatur einzusehen. So entging

ihm damals die kultur- und kunsthistorische Bedeutung des Werkes P. Schmids.

Anderseits sind diese in deutscher Sprache verfaßten Arbeiten über P. Schmid und

8

damit auch seine wertvollen Briefe in Südamerika kaum beachtet worden. In einem

längeren Beitrag über die Architektur in den Mojos- und Chiquitos-Missioncn5 be-

hauptet der sonst so belesene Kunsthistoriker und Direktor des Instituten de Arte

Americano von Buenos Aires, Professor MARIO J. BUSCH IAZZO, die Kirchen in Chiquitos

seien wie anderswo von Laienbrüdern erbaut worden, von denen man nur den Schweizer

Martin Schmidt (sie) bei Namen kenne. Er bedauert, in Erwartung besserer Informatio-

nen kein kritisches Urteil über die Kirchen der Chiquitos-Mission geben zu können.

Der argentinische Gelehrte mußte sich noch im Jahre 1952 mit den knappen Notizen

in den amtlichen Inventaren anläßlich der Ausweisung der Jesuiten 1767(1), mit den

kurzen Beschreibungen des französischen Reisenden d 'Orbigny aus dem Jahre 1831 (1),

mit einigen wenigen Angaben aus Missionsberichten und ein paar «unscharfen Ama-

teurphotographien» zufrieden geben. So wenig wußte man also noch vor wenigen

Jahren im maßgebenden kunsthistorischen Institut Argentiniens von den architekto-

nischen Leistungen P. Schmids. «Wir stehen v o r einem wahren Kunstschatz, der fast

unbekannt ist», gesteht Buschiazzo. «Lind doch wäre die Erforschung dieser Kunst-

werke unerläßlich, damit sie das Gesamtbild amerikanischer Kunst ergänzen und allen-

falls die Zerstörung der dortigen Kirchen verhindern könnte.»

Der vorliegende Band mit seinen zahlreichen Abbildungen darf also wohl den Anspruch

erheben, diesem Wunsche zu entsprechen und einen wesentlich neuen Beitrag über

das Werk P. Martin Schmids, ja selbst zur Geschichte der Indianermissionen und der

religiösen Kunst Südamerikas zu leisten. Neben das Zeugnis seiner Zeitgenossen, wie

es uns P. Peramäs bietet, und neben das Selbstzeugnis der Briefe des Missionars tritt

hier das photographische Bild seines Wirkungsfeldes und seiner Arbeiten, vor allem

der Kirchenbauten und der von ihm gefertigten Altäre. Unbestechlich und sachlich

stellt die Kamera diese Werke vor unser kritisches A u g e und zwingt wohl zu neuer

Bewunderung dieses «Genies im Urwald».

Die hier veröffentlichten photographischen Bilder entstanden während meiner oben

erwähnten Studienreise, bei der ich mich v o n Herrn Albert Lunte, einem Berufsphoto-

graphen, begleiten ließ. V o n Rio de Janeiro aus besuchten wir im A u t o zunächst das

Gebiet des ehemaligen «Jesuitenstaates» in Südbrasilien, Argentinien und Paraguay.

So erhielt ich wertvolle Vergleichsmöglichkeiten zwischen den größeren und bekann-

teren Jesuiten-Reduktionen bei den Guaram'-Indianern und den Dörfern der bolivia-

nischen Chiquitos. Wir folgten später dem Reiseweg P. Schmids von Buenos Aires

durch die weiten Pampas nach Tucumän und über die Kordillerenpässe nach Potosi

und wieder hinunter in die Niederungen von Santa Cruz de la Sierra. Hier waren wir

gezwungen, das A u t o einzustellen. Seit zwei Jahren waren infolge ungewöhnlich er-

giebiger Regenzeiten die Zufahrtswege zu den Siedlungen der Chiquitos nicht mehr

benutzbar. Wir erreichten diese nach einem eher abenteuerlichen Flug von neunzig

Minuten über das grüne Meer einer undurchdringlichen Wildnis. So abgelegen, so

urwaldverloren, so ganz auf sich selbst gestellt sind noch heute die Dörfer, in denen

P. Schmid vor zweihundert Jahren wirkte und seine Kirchen baute. Um seinem stau-

nenswerten Werk gerecht zu werden, muß man immer wieder diese Tatsache v o r A u g e n

halten. Er war auf seine eigene Tatkraft und seinen eigenen Genius angewiesen.

Wir dürfen ferner nicht vergessen, daß die zwei Jahrhunderte seit der Austreibung

P. Schmids und seiner Mitbrüder aus ihrem Wirkungsfeld für die Chiquitos-Mission

eine Zeit fast unaufhörlichen Niederganges war. Mit dem Einzug der staatlichen Ver-

waltungsbeamten und von Klerikern, die weder an Kenntnissen noch an sittlicher

Führung mit den früheren Missionaren auch nur annähernd verglichen werden können,

begann in den abgelegenen, jeder Kontrol le entzogenen Urwalddörfern eine mensch-

liche Tragödie, die zum Himmel schreit. RENE-MORENO hat darüber amtliche Dokumente

bis weit ins 18. Jahrhundert hinein veröffentlicht und damit eines der erschütterndsten

Bücher geschrieben, die je in meine Hand gekommen sind.6 Der Leser hört hier von

der Ausbeutung der Indios, dem Niedergang ihres blühenden Gewerbes, der Untergra-

bung ihrer reinen Sitten durch unwürdige Geistliche, Soldaten und I ländler aus Santa

Cruz. Dörfer brennen nieder oder werden leichtsinnig verlegt, die Kirchen werden aus-

geraubt und vernachlässigt, die wohlbestelltcn Bibliotheken mit ihren Sammlungen

an Wörterbüchern, Grammatiken, Predigten und Musikalien verludert.

Doch, o Wunder, die naturhafte Leidensfähigkeit der Indios und ihre tiefverwurzelte

Treue zu den Überlieferungen aus der unvergeßlichen Jesuitenzeit triumphiert irgend-

wie über das Böse. Im Jahre 1831 besucht der französische Forscher ALCIDE D'ORBIGNY

die Chiquitos-Mission und wird so zum unparteiischen Kronzeugen für die Kultur-

leistungen der Männer aus der Gesellschaft Jesu und P. Martin Schmids im besonderen.

Wiederum möchte ich von einem unerhörten «Glücksfal l» sprechen, daß ein als klas-

sisch geltender Reisebericht uns den geistigen und materiellen Zustand seiner Mission

in einem Zeitpunkt schildert, der trotz allem Niedergang noch ein Urteil über die

frühere Blüte erlaubte.7 D ' O r b i g n y erweist sich als ein vorzüglich geschulter Natur-

wissenschaftler, als ungeheuer fleißiger und gewissenhafter Beobachter, der, selbst

areligiös, unvoreingenommen das Werk der Jesuiten zu würdigen weiß.

10

Unser eigenes Urteil über P. Schmids kunsthandwerkliche Arbeiten muß sich also an die

Aussagen dieses Gewährsmannes erinnern. Mehr noch als ihm ist uns nur noch ein «Ab-

glanz» zu sehen gegeben.

D A S L E B E N

Es braucht hier nicht wiederholt zu werden, was ich in meiner Biographie des Missio-

nars ausführlich berichtet habe. Eine kurze Skizze des Lebenslaufes scheint mir aber

von Wert, zumal unterdessen bisher unbekannte Tatsachen bekannt wurden und einige

Gesichtspunkte besser herausgestellt werden müssen.

P. Martin Schmid stammt aus einer angesehenen Familie, die heute noch in Baar (Kanton

Z u g ) beheimatet ist. Hier wurde er am 26. September 1694 geboren. Sein Vater, Ratsherr

Martin Schmid, hatte bereits drei Frauen in ziemlich rascher Folge durch den T o d

verloren, als er sich in vierter Ehe mit Katharina Hurter vermählte. Diese schenkte ihm

als erstes von zehn Kindern den Knaben Martin.8 Mehrere seiner Geschwister traten

in den geistlichen Stand. E r selbst schloß sich nach Abschluß seiner Gymnasialstudien

am Jesuitenkolleg in Luzern am 13. September 1717 dem Orden seiner Lehrer an.

A m Dreifaltigkeitsfest des Jahres 1726 feierte P. Schmid in Ingolstadt seine Primiz-

messe. Schon am u . Juli teilte er von München aus seiner Familie mit, er sei zum

«Indianer-Missionar» bestimmt worden und müßte noch am gleichen Tag , ohne in

Baar von den Angehörigen Abschied nehmen zu können, über Innsbruck und Genua

nach Spanien abreisen. Mit bewegten Worten schilderte der junge Priester, daß diese

Bestimmung einen langgehegten Wunsch erfülle, den er dem Ordensgeneral mitgeteilt

hatte. Eine Reihe von Briefen P. Martins berichten von dessen fast zweijähriger Warte-

und Lehrzeit in Spanien. Erst im Dezember 1728 konnte er sich mit ungefähr achtzig

Mitbrüdern, darunter etwa zwanzig Deutschen und Österreichern, einschiffen. Al le

erreichten nach einer glücklichen Überfahrt v o n 117 Tagen Buenos Aires. P. Schmid

wurde wegen seiner musikalischen Begabung für die Chiquitos-Mission in Bolivien

bestimmt. E r erreichte Monate später nach vielen Abenteuern und Beschwerden sein

Arbeitsfeld Mitte 1730. Die Reise hatte also vier lange, kostbare Jahre gedauert.

Die Dörfer oder «Reduktionen» der Chiquitos liegen auf dem flachen Hügelland, das

die Wasserscheide zwischen den südlichen Zuflüssen des Amazonas und dem Einzugs-

gebiet des obern Paraguay-Stromes bildet. Sie waren erst um die Wende des 17. und

18. Jahrhunderts gegründet worden. Lange hatten die zahlreichen Indianer-Sippen,

die hier in unermeßlichen Urwäldern wohnten und jagten, den Spaniern getrotzt, die

von ihrem Vorposten Santa Cruz aus dieses wichtige Vorfe ld gegen den Zugriff portu-

giesisch-brasilianischer Kolonisten sichern wollten. E s war eine meisterhafte Leistung

mutiger Missionare, die kriegerischen und sprachlich so verschiedenen Stämme in

einige wenige Siedlungen zusammenzuführen und allmählich zu bekehren. Um 1744

bestanden nach einer Angabe P. Schmids sieben Reduktionen mit 14 232 Seelen und

3144 Haushaltungen. V o n Westen nach Osten gezählt waren ihre Namen, die sie heute

noch tragen: San Javier, Concepciön, San Ignacio, San Miguel, San Rafael, San Jose

und San Juan (bei Robore) . Später erfolgte noch die Gründung von Santa Ana und

Santo Corazön, dieses als äußerster Vorposten im Nordosten des Gebietes. Mit ihrer

kriegstüchtigen Mannschaft bildeten diese Reduktionen fortan ein zuverlässiges Boll-

werk gegen die sklavenjagenden Bandeirantes oder Mamelucken Brasiliens, denen sie

den Zugang zu den reichen Silberminen Hochboliviens und Perus verwehrten.

Als P. Schmid um 1730 die Chiquitos-Mission erreichte, befand sich diese noch in

unentwickeltem Zustand. Die kulturelle Blüte, die damals in den Reduktionen der

Guaranfs von Paraguay schon sichtbar wurde, hatte sich hier noch nicht entfalten kön-

nen. Infolge des spanischen Erbfolgekrieges im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts

war der Nachschub an Missionaren stark hinter den steigenden Bedürfnissen der weit-

läufigen Ordensprovinz von Paraguay zurückgeblieben, zu der auch diese Mission

gehörte. P. Peramäs schildert die Lage um diese Zeit mit folgenden Worten: «Da die

beiden Missionare (jedes Dorfes) T a g und Nacht mit der v o r allem notwendigen Seel-

sorgsarbeit voll beschäftigt waren, konnten sie nicht daran denken, den materiellen

Fortschritt der Indianer zu fördern und ordentliche Bauten aufzuführen. Infolgedessen

war das Handwerk ganz vernachlässigt oder doch sehr unentwickelt geblieben. Die

Patres konnten sich auch die notwendigen Werkzeuge nirgendsher beschaffen; denn

vorerst wurden ihnen die königlichen Unterstützungsgelder noch nicht ausbezahlt.

So ungefähr war der Stand der Chiquitos-Mission zur Zeit, als P. Schmid auf dem

Schauplatz erschien. Als Mann von großem praktischem Talent und Geschick faßte er

sogleich den Plan, das öffentliche Wohl ungeachtet aller Mühen zu fördern.»

Über die fast vierzigjährige Tätigkeit P. Schmids sind wir vor allem durch einige

ausführliche Briefe unterrichtet, die der Missionar in den Jahren 1744 und 1761 an

Angehörige und Mitbrüder in der Schweiz gerichtet hat. Wir können heute seine eher

spärlichen chronologischen Angaben aus bisher unbekannten Quellen ergänzen.

P. Schmid verbrachte seine ersten Jahre in SAN JAVIER, eine Tatsache, die er in seinem

eisten Missionsbrief von 1744 nicht eigens erwähnt. Im Pfarr-Archiv dieser ältesten

Chiquitos-Mission fand ich unter andern, von Termiten stark beschädigten Bänden

auch ein Ehe-Buch aus dem Jahre 1729. Hier machte P. Schmid am 14. Januar 1731

eine erste Eintragung. Es handelt sich um die Einsegnung der «zweiten Heirat» von

vier Witwen. Der Pater unterschreibt noch «Martin Schmid». Andere Eintragungen

v o m August 1732 und den folgenden Jahren sind dann mit dem spanisierten Namen

Esmid unterschrieben. Ein T a u f b u c h beginnt mit dem Jahre 1738. D e r Titel weist

unverkennbar die Handschrift des Schweizer Missionars auf, wie denn auch die ersten

Eintragungen mit seinem Namenszug bestätigt werden. Die letzten Taufzeugnisse

stammen v o m O k t o b e r 1740, wobei allerdings schon v o m November 1739 bis Juli

1740 eine ungewöhnlich lange Pause festzustellen ist.

Entgegen früherer Annahmen ist also P. Schmid erst um diese Zeit nach SAN RAFAI-I,

versetzt worden. V o n diesem weiter östlich gelegenen D o r f schrieb er im Jahre 1744

seine ersten Briefe aus Bolivien. Sie berichten hauptsächlich über Land und Leute, so-

dann über sein musikalisches Schaffen und schließlich auch über die Einführung von

Handwerken durch seine Bemühungen. Wir müssen annehmen, daß diese Schilderun-

gen auch für sein fast zehnjähriges Wirken in San Javier Gültigkeit haben.

P. Schmid war vor allem wegen seines musikalischen Talentes zu den Chiquitos gesandt

worden. So hat er sicher sofort mit der Ausführung seines Auftrages begonnen und in

San Javier Sing- und Musikklassen organisiert. Er verfertigte, wie er selbst schreibt

und P. Peramäs bestätigt, die nötigen Instrumente mit eigener Hand, «Geigen und

Baßgeigen aus Zedernholz, Harfen, Trompeten, Flöten, Spinette, ja selbst kleinere

Orgeln». Den Orgelbau hatte er während einer längeren Rast in Potosf einem dortigen

Meister abgeschaut, und ein erstes von ihm erbautes Instrument unter vielen Mühen

in die Mission eingeführt. Zusammen mit dem Deutsch-Böhmen P. Mesner sorgte er

auch für ein ausreichendes Repertoire an geistlichen Liedern, Messen und Vespern, sei

es durch Abschrift, Bearbeitungen oder eigene Kompositionen. Der berühmte P. Car-

diel schreibt 1747 in seinem ausgezeichneten Bericht über die Missionen von Paraguay,

«bei den Chiquitos bringe jetzt ein Pater, ein großer Musiker, die Musik in Schwung.

Er wirke dort seit 17 Jahren», also seit 1730. Das Lob gilt somit unserem P. Schmid.9

Dieser selbst berichtet in seinen Briefen mit offensichtlicher Freude und Befriedigung

v o n den Erfolgen seiner musikalischen Arbeit. Daß es sich um keine Selbsttäuschung

handelt, beweist auch der oben genannte Kronzeuge Alcide d 'Orbigny. Das erste Dorf ,

das der französische Reisende 1831 in Chiquitos besuchte, war San Javier. Er schreibt:

«Bei der Sonntagsmesse war ich wirklich erstaunt, eine Musik zu hören, die ich allem

vorzog, was ich bis dahin selbst in den reichsten Städten Boliviens vernommen hatte.

Die beiden Dirigenten des Chors und des Orchesters brachten verschiedene Stücke in

bewundernswerter Harmonie zur A u f f ü h r u n g . Jeder Sänger hatte sein Notenblatt

vor sich und leistete seinen Teil mit Geschmack, v o n der Orgel und vielen Violinen,

die von den Indios selbst verfertigt worden waren, begleitet. Ich lauschte dieser Musik

mit umso größerer Freude, als ich in ganz Amerika nichts besseres gehört hatte»9®.

Später schienen ihm die Sänger v o n Santa Ana ein noch größeres L o b zu verdienen.

Leider sind heute die meisten Partituren verloren gegangen. In San Rafael ist immerhin

ein ansehnliches Notenbuch erhalten geblieben. Ich sah selbst, wie es am Kirchweihfest

von den Sängern während der Vesper in den Händen gehalten wurde, obwohl sie ganz

offensichtlich die Noten und Texte nicht mehr lesen konnten und die auswendig ge-

sungenen lateinischen Psalmen, wie auch die Worte der Choralmesse v o n uns Priestern

in ihrer textlichen und melodiösen Verstümmelung kaum mehr verstanden werden

konnten. A u c h die Musikinstrumente sind zum allergrößten Teil der Ungunst der

Zeit zum Opfer gefallen. Immerhin stehen auf der Sänger-Empore der Kirche von

San Rafael die Reste einer O r g e l : der Tisch mit den Tasten und dem Pedal, ein Regi-

ster und Teile des Blasbalgs. Einige halbzerbrochene Instrumente konnte ich schließ-

lich in San Javier photographieren.

Gleichzeitig mit dem Musikunterricht begann P. Schmid auch die Einführung ver-

schiedener Handwerke, wie sie in diesen Gemeinden nötig waren. Er meint in dem er-

wähnten Brief, die Missionare müßten eben «nicht nur Ratsherrn und Richter, D o k -

toren und Ärzte sein, sondern auch Maurer, Tischler, Schreiner, Schmide, Schlosser,

Schuhmacher, Schneider, Müller, Köche , Bäcker, Hirten, Sennen, Gärtner, Maler,

Bildhauer, Drechsler, Wagner, Ziegelbrenner, Hafner, Weber, Gerber, Wachsbleicher,

Kerzenmacher, Zinngießer und was nur für Handwerksleute in einem Staat vonnöten

sind». A u s dieser langen Aufzählung können wir die vielfältigen Bemühungen des

Paters ersehen, durch Schulung geeigneter Indianer das Handwerk einzubürgern und

so allmählich auch die Lebensbedingungen zu bessern und den Wohlstand zu heben.

Es ist ganz selbstverständlich, daß der Missionar niemals die Bauten, von denen noch

die Rede sein wird, ohne die Mitarbeit angelernter einheimischer Handwerker hätte

ausführen können. P. Peramäs schreibt P. Schmid auch die Einführung der Töpferei

und der Zinngießerei zu, die er während seiner Reise bei dem deutschen Bruder Klaus-

ner in Cördoba gelernt habe. Dieser sei wahrscheinlich auch sein Lehrer in der Kunst,

Glocken zu gießen, gewesen. Tatsächlich besitzen heute noch die meisten Dörfer ein

altes Geläute aus der Jesuitenzeit. Ebenso wird dem lindigen Talent P. Schmids die

Herstellung von Fensterglas zugeschrieben. Die allerdings nicht sehr klaren und kleinen

Rundscheiben sind noch an einigen Kirchenfcnstern vorhanden. Schließlich errichtete

er auch eine erste Ziegelei. Die langen Hohlziegel, welche heute noch die Kirchen und

viele der alten Indianerhäuser bedecken, stammen aus diesem Unternehmen. Endlich

war P. Martin der Uhrenmacher der Mission. Er hielt die teuer bezahlten Werke in

Stand, versah verschiedene Stationen sicherheitshalber mit Sonnenuhren und erfand

sogar einen Apparat, um des Nachts an der Konstellation des südlichen Kreuzes die

Zeit ablesen zu können. Nach solchen Leistungen, die hier in aller Kürze zusammen-

gefaßt sind, versteht man das Urteil P. Peramäs: «P. Schmid hat das Aussehen der

Reduktionen bei den Chiquitos völl ig gewandelt».

Eine zuverlässige Beurteilung des wirtschaftlichen Fortschrittes würden die amtlichen

Inventare ermöglichen, die bei der Ausweisung der Jesuiten aufgenommen wurden.

Leider sind diese bisher nur auszugsweise veröffentlicht worden. 1 0 Immerhin steht

fest, daß sich in allen Dörfern Werkstätten befanden, deren Produkte nicht nur der

einheimischen Bevölkerung unmittelbar oder durch Tauschhandel zwischen den Re-

duktionen zugute kamen, sondern auch nach Hochbolivien und Peru ausgeführt wur-

den. Nach d ' O r b i g n y " soll der Erlös in der Jesuitenzeit jährlich 300 000 Goldfranken

betragen haben. Damit wurden die vorgeschriebenen Kopfsteuern an die königliche

Kasse, die eingeführten Rohmaterialien wie Silber und Eisen und schließlich die A u f -

wendungen für die Kirchen bezahlt. Strenge Vorschriften der Ordensleitung verhin-

derten jeden Mißbrauch dieser Gelder zu Gunsten ordenseigener Zwecke.

Als d 'Orbigny 1831 die Mission besuchte, war er v o m kulturellen Fortschritt trotz des

offensichtlichen Niedergangs unter der neuen Verwaltung immer noch tief beeindruckt.

«Beim Anblick jeder neuen Mission war ich überrascht, denn ich mußte daran denken,

daß diese Anlagen das Werk von Menschen waren, die unter Leitung der Jesuiten vor

kurzer Zeit der Wildheit entronnen waren. Ich konnte nicht müde werden, den un-

glaublichen Fortschritt zu bewundern, den dieser Orden in so kurzer Zeit erreicht

hatte»12. In San Javier fand er noch eine Weberei mit 40 Webstühlen, eine Gerberei,

Schusterei, Schreinerei, Dreherei und Schmiede. In San Rafael staunte er besonders

über die Werkstätten und Gegenstände, d ic dort erzeugt wurden: Möbel, Textilien,

Schlösser. Er hatte in den reichsten Städten Boliviens nichts besseres gesehen.

In den andern Missionsstationen scheint nach seinem Bericht besonders die landwirt-

schaftliche Produktion entwickelt gewesen zu sein. Wir dürfen daraus schließen, daß

in den beiden Orten, w o P. Schmid am längsten wirkte, die handwerkliche Tradition

am tiefsten verwurzelt war und sich auch am längsten behaupten konnte. Der Nieder-

gang infolge der schlechten Verwaltung blieb d 'Orbigny jedoch nicht verborgen. Die

Einnahmen, besonders aus der Gewinnung von Bicnenwachs, aus dem Verkauf v o n

Stoffen und v o n einigen zehntausend Rosenkränzen, waren auf 60 000 Goldfranken

gesunken und das Budget damit defizitär geworden.

Die Einführung der verschiedenen Handwerke hatte in den vierziger Jahren des 18.

Jahrhunderts die Vorbedingungen geschaffen, daß P. Schmid allmählich auch an

schwierigere Unternehmungen herantreten durfte. Wir müssen annehmen, daß zunächst

die Indianerhäuser wohnlicher gestaltet oder neugebaut wurden. Wie in allen spani-

schen Kolonialstädten und Indianerreduktionen wurden die Wohnhäuser um den

großen, meist quadratischen Hauptplatz in geraden Reihen errichtet, so daß Licht und

Luft freien Zutritt hatten und auch Ordnung und Überwachung erleichtert wurden.

Die einstöckigen Häuser, von denen noch manche heute bewohnbar sind, besitzen

Lehmmauern und ziegelgedeckte Dächer, die weit vorgezogen und durch Holzsäulcn

abgestützt sind. Die so gebildeten Lauben schützen die empfindlichen Mauern gegen

Regen und Sonne und erlauben zugleich den Bewohnern, bei jeder Witterung einen

Rundgang durchs ganze D o r f zu machen.

Schließlich war die Zeit gekommen, um auch an den Neubau der Kirchen zu denken.

In seinen Briefen aus dem Jahr 1744 erwähnt P. Schmid von solchen Plänen noch nichts.

Anderseits trägt die Kirche von San Rafael auf einem Balken an der Fassade ganz deut-

lich in chiquitanischer Sprache die Inschrift: Dem Andenken unseres hl. Erzengels

Raphael 1747 geweiht. Das Gotteshaus muß also in diesen Jahren entstanden sein und

die Ausschmückung der Kirche wird den Missionar noch einige Zeit beschäftigt haben.

Im Frühjahr 1749 war das erste Gotteshaus jedenfalls vollendet. Um diese Zeit wurde

nämlich der «Missions-Architekt» nach San Javier zurückversetzt, «um dort eine

ähnliche Kirche zu bauen ».

P. Schmid hatte eigenartigerweise zwischen 1744 und 1761 keine Briefe in die Heimat

gesandt, wie aus deren Wortlaut klar hervorgeht. So schildert er erst recht spät seine

Arbeiten als Kirchenarchitekt, Bauleiter und Vorarbeiter. E r verzichtet auf genauere

chronologische Angaben. Diese können aber aus anderen Quellen ergänzt werden.

Tatsächlich fand ich in dem oben erwähnten T a u f b u c h von San Javier eine erste Ein-

tragung aus P. Schmids Hand, datiert v o m Juni 1749. Sein Name erscheint dann immer

16

wieder bis in den November 1752 hinein. In diesen drei Jahren muß also der Bau seiner

zweiten Kirche erfolgt sein. A u f dem Querbalken der Fassade befindet sich, ähnlich

wie in San Rafael, die Inschrift: Ma aanaucubo mo naqui Apostol San Francisco Xavicr

- ano 1750. (Wörtlich übersetzt: Unsere Verehrung dem heiligen Apostel Franz Xaver) .

Über sein Werk urteilt der Baumeister, «es sei in etlichen Dingen besser als das erste>».

Im gleichen Schreiben berichtet P. Martin sodann v o n einem weiteren Kirchenbau.

Die Indianer der benachbarten Reduktion Concepciön wurden beim Anblick des schö-

nen Gotteshauses v o n San Javier von einer heiligen Eifersucht erfaßt. «Sie haben

inständig angehalten, ihr D o r f könne doch nicht ohne neue und schönere Kirche blei-

ben; seine Patronin sei ja die König in der Engel und die Mutter Gottes. Deswegen

mußte ich auch diese dritte Kirche aufrichten. Sic ist ebenso schön wie die andern.»

Diese briefliche Mitteilung steht in vollem Einklang mit einem Memoriale des

Visitators P. Pedro Liziain v o m 15. September 1752. Es heißt da: «Das Dorf Con-

cepciön hält alle Materialien für den Bau einer neuen Kirche bereit und benötigt eine

solche sehr, denn die jetzt benützte droht einzufallen. Sobald also die unabwendbaren

Arbeiten des Dorfes (San Javier) es erlauben, sorge Euer 1 lochwürden, daß P. Martin

Schmid (Smid), mit dem ich gesprochen habe, in dieses D o r f (Concepciön) übersiedelt

und hier bleibt. Ich wünsche ferner, Hochwürden achte darauf, daß man in diesem

D o r f P. Martin auf jede Weise unterstützt und fördert. Denn die Art , Klugheit , Reli-

giosität und Geschicklichkeit des Paters verdienen alle Beachtung und alles Vertrauen. »

G e w i ß eine außerordentliche Anerkennung der Tugend und Tüchtigkeit des Schweizer

Missionars durch seinen spanischen Vorgesetzten! '3

Nach Vol lendung der Kirche in Concepciön, etwa im Jahre 1755, wurde P. Schmid

nach SAN JUAN, das weit südöstlich liegt, versetzt. V o n hier aus ist der Brief vom Sep-

tember 1761 datiert, der über seine drei Kirchenbauten berichtet. In diesem Dorf ging

sein langgehegter Wunsch in Erfüllung, nun einmal als richtiger Missionar zu wirken

und in den Urwäldern neue Sippen heidnischer Indianer bekehren zu dürfen. Er scheint

hier auch die Neugründung von Santo Corazön vorbereitet zu haben.

Aber schon warteten andere Arbeiten auf den Künstler der Chiquitos-Mission. Im

Herbst 1759 mußte er nach Concepciön zurückkehren, um die Altäre in der Kirche

anzufertigen. Nach seinen eigenen Worten hat er 1760 den 15 Ellen hohen Hauptaltar

und 1761 die Nebenaltäre geschnitzt «auf die Weise, wie sie in Europa gemacht werden ».

Der Missionsobere P. Francisco Lardin berichtet darüber in einem Brief v o m iH. Au-

gust 1761 aus Concepciön: «Dieses D o r f ist nun fertig eingerichtet. Es hat gute Altäre,

die jetzt vergoldet werden. Bald werde ich P. Martin Schmid (Esmid), der Fachmann

ist, beauftragen, solche auch im D o r f e San Miguel zu machen, w o man bereits das Holz

bereit gestellt hat. V o n dort wird er nach San Ignacio gehen (wo eben die Kirche vollen-

det wurde) und v o n dort in die anderen Dörfer . » , 4

P. Martin bestätigt im September des gleichen Jahres, an seine Verwandten schreibend,

diese Aufträge. «Ich muß jetzt in das D o r f SAN MIGUEL gehen, um auch dort vergoldete

Altäre zu machen, dann nach SAN IGNACIO, wenn mir G o t t das Leben gibt .» Diese

beiden Arbeiten müssen also Ende 1761 begonnen und in den folgenden Monaten oder

Jahren ausgeführt worden sein. A n beiden Orten sind diese Spätwerke des Paters

noch erhalten, in San Ignacio allerdings in etwas abgeänderter Form.

P. Peramäs bezeichnet P. Schmid auch als Erbauer der Kirche von San Miguel, eine

Ansicht, die sich nach dem Selbstzeugnis P. Martins kaum aufrecht erhalten läßt. Im-

merhin gleicht dieses Gotteshaus in Anlage und Ausführung so sehr der benachbarten

Kirche v o n San Rafael, daß man fast v o n einer K o p i e sprechen kann. Es ist also durch-

aus möglich, daß der gewiegte Baumeister seinen Mitbrüdern beim Bau beratend und

helfend zur Seite stand, zumal der Seelsorger v o n San Miguel, P. Mesner, P. Schmids

engster musikalischer Mitarbeiter war.

Nach Abschluß der erwähnten Arbeiten wurde der nun alternde und durch ein lang-

wieriges Beinleiden behinderte Missionar wieder nach SAN JUAN versetzt. Hier wurde

er im Jahre 1767 v o n der Ausweisung der Jesuiten-Missionare aus den spanisch-ameri-

kanischen Kronkolonien betroffen. Die K u n d e von der Verhaftung der Mitbrüder in

den argentinischen Kollegien, die im Juli erfolgte, erreichte die Reduktionen der Chi-

quitos-Mission schneller, als die königlichen Behörden geahnt hatten. Als daher der

Kommissar, Oberst D o n D i e g o Antonio Martinez, mit 12 Beamten und 200 Mann in

San Javier eintraf und in der Morgenfrühe des 14. September den Missionaren das

Ausweisungsdekret mitteilen wollte, wurde er v o m Prokurator P. Priego mit den

Worten empfangen: «Handelt es sich um die Ausweisung der Jesuiten aus allen Be-

sitzungen des K ö n i g s ? Wir sind darüber unterrichtet und bereit zu gehorchen.»1®

Oberst Martinez gab Weisung, zwei alte Patres in der Mission zu lassen, da er ihren

Abtransport offenbar als unmenschliche Maßnahme betrachtete. Wie aus einem ver-

meintlichen Abschiedsbrief P. Martins v o m 5, Oktober 1767 hervorgeht, muß er einer

der beiden Greise gewesen sein, die zurückbleiben sollten: «Der K ö n i g befiehlt, alle

Missionare nach Spanien zu überführen. Nur die ganz alten und kranken, die nicht

mehr reisen mögen, sollen in diesen Völkerschaften bleiben. D a v o n bin ich einer. Ich

18

zähle ja 73 Jahre. Und darum bleibe ich hier. ... Nur allein aus lauter Barmherzigkeit

mit diesen armen Indianern bleibe ich ganz gern bei ihnen, um wie bisher, so auch in

Zukunft ihnen beizustehen ... Unser allmächtiger und gütigster Herr und G o t t sei für

alles gelobt, gebenedeit, geehrt und gepriesen. In seine unendliche Güte befehle ich

mich; in seinen allerheiligsten Willen ergebe ich mich ganz. Jetzt sind wir wahre Nach-

folger Christi, wahre Socii Jesu, der mit dem Kreuz vorangeht und uns zum Himmel

führt. O Trost, o Freude, o Seligkeit! Dies ist der letzte Brief ...»

Es sollte anders kommen. Die zuständigen Oberbehörden in Sucre (Bolivien) bestanden

auf der Ausweisung aller Jesuiten und ordneten auch P. Schmids Ausweisung an. In

gleich adeliger Gesinnung fügte sich der Missionar dem neuen Entscheid. Nach einem

ergreifenden Abschied v o n den wehklagenden Indianern erreichte P. Schmid im Januar

1768 die Stadt Santa Cruz und fünf Monate später den Hafen von Arica.

A u f dem beschwerlichen Ritt über die Kordilleren starb P. Schmids Mitarbeiter P.

Mesner. Andere Leidensgenossen wurden während der langen Seereise über Panama

nach Spanien hinweggerafft. Ende Mai 1769 kam P. Schmid in Cadix an und wurde

dort in einem Kloster interniert. Fünfzehn Monate später schob ihn die spanische Re-

gierung nach Italien ab. Im Oktober 1770 konnte er endlich v o n Innsbruck aus seinen

Angehörigen die erste Mittelung v o n seiner Heimschaffung geben.

Den Winter verbrachte der Greis noch im Kreise seiner Mitbrüder aus der Oberdeut-

schen Provinz in Augsburg. A u f Bitten der Angehörigen und der Mitbrüder des Lu-

zerner Jesuiten-Kollegs wurde ihm nach Eintritt milder Witterung gestattet, nach

Luzern zu reisen und dort seinen Lebensabend zu verbringen. Im August des Jahres

1771 konnte P. Schmid von dort aus noch seine Heimat Baar besuchen, w o ihm Pfarrei

und Familie einen feierlichen Empfang bereiteten. A m 10. März 1772 erlag P. Martin

Schmid den Folgen eines Schlaganfalles. Ein Neffe, der seinem Beispiel gefolgt und in

den Jesuitenorden eingetreten war, stand dem Onkel in der letzten Stunde bei. «Das

Hinscheiden war nicht hart noch streng », schreibt er in dem Brief, worin er den T o d

des großen Missionars der Familie in Baar mitteilte.

D A S W E R K

Die Leistungen P. Martin Schmids auf dem Gebiet der Musik und des Gesanges sind

bereits kurz angedeutet worden. Die Jesuiten betrachteten in allen südamerikanischen

Indianerreduktionen die Pflege dieser Künste als außerordentlich wichtiges und wirk-

sames Erziehungs- und Bildungsmittel. Musik, Gesang und Tanz in Form religiöser

Pantomimen verliehen dem Gottesdienst festlichen Glanz, für den die Indianer sehr

empfänglich waren. Die Liturgie wurde ganz im Sinne moderner Bestrebungen unter

aktiver Teilnahme der Gemeinde gestaltet. Das musikpädagogische Wirken P. Schmids

war ein seelsorgliches Anliegen allererster Ordnung.

Auch seine Bemühungen um die Einführung der verschiedensten Handwerke faßte er

nicht nur als soziale I lilfe, sondern als priesterlichen Dienst auf: « Die Missionare müs-

sen auch für den Leib ihrer Untergebenen Sorge tragen und für alles, was in einer Ge-

meinde nötig ist; denn ohne dies könnten sie auch nicht für ihre Seele sorgen». Welche

Verdienste sich der « G r o ß e Vater», wie ihn die Chiquitos nannten, auf dem Gebiete des

Handwerks für die ganze Mission erworben hat, wurde ebenfalls schon erwähnt.

A u f P. Schmids Tätigkeit als Architekt müssen wir dagegen näher eingehen. Er selbst

hat über die Konstruktionsweise seiner Kirchenbauten nur wenige Zeilen geschrieben.

«Die Kirche v o n San Rafael ist achtzig Ellen lang, 24 Ellen breit, 15 Ellen hoch. Sie

hat zwei Reihen v o n Säulen, acht auf jeder Seite. Diese Säulen sind große, dicke und

lange Bäume, wohl bearbeitet wie Salomonische Säulen. Die Wände haben auch ihre

Säulen, Kapitäle und Sockel. Sie sind zwar aus ungebrannten Ziegeln gemacht, scheinen

aber hübsch, weil sie mit verschiedenen Farben schön bemalt sind, wie auch die ganze

Kirche und die Altäre. Diese haben Bildnisse, die wir von weither kommen ließen. Der

Boden ist mit Ziegelsteinen bedeckt und das Dach mit Ziegeln, die wir erstmals für die

Kirche und hernach für unser ganzes Haus gemacht und gebrannt haben. Bisher waren

unsere Dächer nur mit Gras und Stroh bedeckt.»

In einer Nachschrift auf dem Briefumschlag heißt es noch: «Die Wände der Kirche

sind von ungebrannten Ziegelsteinen gemacht, leiden aber durch den Regen keinen

Schaden, weil sie außerhalb ein langes und breites Dach auf Säulen haben».

Diese recht kärglichen Nachrichten werden von P. Peramäs auf Grund v o n Zeugen-

aussagen einiger Kameraden des Baumeisters ergänzt. Besonders wichtig erscheint mir

eine Angabe über die Art und Weise, wie die Fundamente gelegt wurden: «Hohe und

dicke Bäume wurden im Wald ausgegraben und mit Ochsen in das D o r f geführt. Martin

Schmid versenkte die Wurzelstöcke in die eigens aufgeworfenen Gruben, die dann mit

Erde bis zur Bodenhöhe aufgefüllt wurden •>. Diese wurde festgestampft, so daß sich

die Wurzelstöcke nicht mehr senken konnten. Nach der gleichen Methode arbeiteten

auch die Jesuiten-Baumeister in den Guaranl-Reduktonen Paraguays, wie P. Cardiel

berichtet.'6 U m das Holz gegen die Bodenfeuchtigkeit zu schützen, wurde es im Feuer

angebrannt. Für die Fundamente und Säulen wurde ausschließlich das I lolz des Que-

bracho-Baumes, in Bolivien «Cuchi» genannt, aus der Familie der Anacardiazeen

verwendet, da es sehr hart und witterungsfest ist.

Nach Peramäs wurde der aus dem Boden hervorragende Strunk kunstvoll als Sockel

ausgebildet und auf ihn der Stamm als Säule aufgesetzt. Die Bausch reiner formten dann

das Säulenende zu einem einfachen Kapitäl aus, in das die Quer- und Längsbalken aus

dem harten Tajibo- oder Lapacho-Holz (aus der Familie der Bignoniazeen) eingelassen

wurden. So erhielt die Konstruktion die nötige Festigkeit. Erst jetzt wurden die Lehm-

wände aufgeführt, die also keine tragende Funktion besitzen. Peramas berichtet auch,

P. Schmid habe die bisher üblichen Winden so verbessert, daß die erstaunlich großen

Säulen viel leichter aufgerichtet werden konnten als bisher.

Diese zeitgenössischen Berichte können wir heute durch die hier erstmals veröffent-

lichten Photographien der Bauten P. Schmids besser verständlich machen und ergänzen.

Die Kirchen sind nämlich in fast unveränderter Gestalt erhalten geblieben.

Der Architekt hat mit dem einzigen Material gebaut, das ihm zur V e r f ü g u n g stand,

mit dem Holz, das die benachbarten Urwälder in überreicher Fülle und in den verschie-

densten Qualitäten lieferten. Stein und Kalk dagegen sind kaum zu finden. Bei der

Planung waren die seelsorglichen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Die Kirche mußte

wegen des Priestermangels und der Gemeinde-Ordnung soviel Raum bieten, daß je-

weils alle Gläubigen, also etwa 2-3000 Personen, gleichzeitig dem Gottesdienst bei-

wohnen konnten. D e r Grundriß dieser Pfarrkirchen weist deshalb überdurchschnitt-

liche Ausmaße auf. Die Länge beträgt 50-60, die Breite 20-25 Meter. Für die Höhe und

die Spannweiten war die Länge der Cuchi- und Tajibostämme entscheidend.

P. Schmid hat seine drei Kirchen nach dem gleichen Plan gebaut, sie unterscheiden

sich nur unwesentlich in den Größenverhältnissen und in Einzelheiten der Ausführung.

Sein architektonisches System finden wir in ähnlicher Form bei den altrömischen Basi-

liken mit ihrem dreischiffigen, rechteckigen Langbau und der einfachen, giebelförmigen

Dachkonstruktion. Es war wohl wegen seiner Einfachheit der vorherrschende T y p u s in

den alten Kolonialkirchen aus Holz. Ich habe Beispiele dafür, zum Teil allerdings nur in

alten Zeichnungen oder in Ruinen, sowohl in Paraguay als auch in Hochbolivien, Santa

Cruz und selbst in Kolumbien gefunden. P. Schmid übernahm also offensichtlich ein

bewährtes Muster, ohne nach einer originellen Lösung zu suchen.

Man kann die Bauweise dieser Kirchen im bolivianischen Urwald etwa so beschreiben:

Der Baumeister errichtete auf den oben beschriebenen Fundamenten aus eingegrabenen

Wurzelstöckcn scchs Reihen v o n je 12 bis 14 Ilolzsäulen. Zwischen der dritten und

vierten Reihe sparte er für das Mittelschiff einen möglichst großen Zwischenraum aus.

Für diese innersten Reihen wurden die höchsten Stämme gewählt. Die Säulen der

zweiten und fünften Reihe sind etwas kürzer. Sie wurden später in die Lehmmauer der

Außenwände einbezogen, so daß das Holz nicht mehr sichtbar ist. Noch niedriger

sind die erste und sechste Reihe, welche das überstehende Dach tragen müssen. Die so

entstandene Laube diente als Sonnen- und Regenschutz, wie P. Schmid selbst betont.

Wir finden aber ein entsprechendes Schutzdach auch auf den Querseiten der Kirche,

also beim Portal und an der Chorwand. Die erste und letzte Säule der Zwölfer- oder

Vierzehnerreihe stehen frei und stützen auch hier das vorstehende Dach ab.

Im Innern entstand somit durch je sechs bis acht freistehende Säulen eine Gliederung

in ein breiteres Hauptschiff und zwei schmälere Seitenschiffe. Diese sind etwas ver-

kürzt, da durch eine Quermauer ein Teil als Sakristei abgesondert wird. Diese ist v o m

gut sichtbaren, wenig erhöhten Chor durch eine verschieden gestaltete Wand abge-

schirmt. Der Hauptaltar füllt jeweils die ganze gerade Chorwand aus. Die zwei Neben-

altäre lehnen sich an die Querwand bei den Sakristeien. Das Licht tritt durch große

Seitenfenster, durch die drei mächtigen T o r e an der Front und den Längsseiten, sowie

durch eine große ovale Öffnung über dem Hauptportal ein. Diese erhellte vor allem

auch die Empore für Sänger und Musikanten.

Die Dachkonstruktion aus schwerem Gebälk ist so einfach als möglich. Die Längs-

und Querbalken sind durch Holznägel ineinanderverkeilt. Weil keine Decke eingezogen

wurde, gewinnt der Innenraum beträchtlich an Höhenwirkung, G r ö ß e und Wucht.

Im Vergleich zu andern Kirchen dieser Bauweise sind die von P. Schmid gebauten

Gotteshäuser reich ausgeschmückt und in vielen Einzelheiten sorgfältig durchgearbeitet.

Die Säulen in San Rafael sind durch spiralförmige Rillen - in Nachahmung der gewun-

denen oder «salomonischen» Säulen - zu noch schlankerem Aussehen gebracht. In

Concepciön und San Javier sind sie heute im Innern der Kirche in eine Hülle bogen-

förmiger Ziegel eingeschalt und verputzt. Dabei scheint es sich mit ziemlicher Sicher-

heit um eine spätere «Modernisierung» im klassizistischen Stil zu handeln, die den bei-

den Gotteshäusern weder konstruktiv noch künstlerisch zum Vortei l gereicht hat.

Wie mir nämlich die heutigen Seelsorger, Franziskanermissionare, versichern, müssen

die freistehenden Säulen sowohl im Kircheninnern als in den offenen Laubengängen

alle paar Jahrzehnte erneuert werden, weil sie in Bodennähe zu faulen beginnen. Die

Verschalung vermag diesen Prozeß nicht zu verhindern und erschwert anderseits die

Kontrolle wie auch die Ausbesserungsarbeiten. Künstlerisch wirkt sie plump und steif.

Sie bricht die Harmonie zwischen den Säulen und dem Gebälk.

Vielleicht liegt der Änderung jedoch ein praktisches Motiv zugrunde. Es stehen seit

langem in den Wäldern nicht mehr so schöne Stämme wie einst in erreichbarer Ent-

fernung v o n den Kirchen zur V e r f ü g u n g , und den heutigen Bewohnern fehlt offenbar

auch das handwerkliche Können ihrer Vorfahren. So versuchte man durch die Ver-

schalung die Unregelmäßigkeiten des zur V e r f ü g u n g stehenden Bauholzes auszuglei-

chen. Wenn Buschiazzo die stümperhafte Bearbeitung einiger Säulen in San Rafael

und San Miguel kritisiert, so trifft sein Urteil sicher nicht das ursprüngliche Werk P.

Schmids, sondern spätere Ersatzstücke. A u s Mangel an Fachleuten mußte übrigens

die allzulange vernachlässigte Kirche v o n San Ignacio schließlich abgebrochen werden,

und die Kirche von San Jose ist bei Gelegenheit einer solchen Restauration, die nicht

fachgemäß ausgeführt wurde, teilweise eingestürzt. In San Rafael wurde nach meinem

Besuch eine ähnliche Katastrophe nur mit Mühe verhindert.

In P. Schmids Kirchen weist das ganze Holzwerk heute allerdings verblaßte Spuren

vielfarbiger Bemalung auf, die in ihrer Buntheit mit den Altären wetteiferte und sicher

dem Geschmack der farbenfrohen Indianer sehr entgegenkam.

Die Lehmmauern von außerordentlicher Dicke, sowohl auf der Längsseite als auch an

der Fassade, wurden von P. Schmid durch eine Art Stuck gegliedert. Wir erkennen

immer wieder die gleichen Elemente: Säulen mit Sockel und Kapitäl an der Stelle, w o im

Innern der Wand der tragende Holzstamm steht; ein Fries, der in der Höhe der Kapitale

an der ganzen Längsseite durchgezogen ist und auch im Chor wieder erscheint, und

schließlich die Rundbogen in den einzelnen so gebildeten Feldern, die abwechslungs-

weise Raum bieten für das Seitentor, die Fenster oder die Beichtstühle. (In der Kirche

von San Miguel fehlen diese Bogen. Sie zeigt auch in der Ausbildung der Kapitälc und

in der Art und Weise wie das Dach aufgesetzt ist, erhebliche Unterschiede zu den drei

Bauten, die nachweisbar von P. Schmid aufgeführt worden sind.) Die Wände wurden

mit weißer Kaolinerde übertüncht und teilweise bunt bemalt oder mit Glimmerplätt-

chen belegt. Dieser eigenartige Schmuck, den schon d 'Orbigny besonders erwähnt

hat, ist heute bis auf wenige Reste verschwunden. Die Bemalung, für die meistens

ein roter Farbstoff v o m Urucü-Baum (Bixa orellana) verwendet wird, haben die Indianer

immer wieder auf unbeholfene Art erneuert und kann deshalb im heutigen Zustand

nicht mehr als maßgebend für die Qualität der ursprünglichen Leistung gelten.

Ganz besondere Beachtung verdienen die von P. Schmid entworfenen und mit Hilfe

seiner Indianer-Handwerker ausgeführten Altäre. Außer in den drei Kirchen, die er

selber baute, machte er solche, wie oben nachgewiesen wurde, auch für San Miguel

und San Ignacio. In San Javier ist der Hauptaltar einem Brand zum Opfer gefallen

und eingestandenermaßen in unbefriedigender Weise ersetzt worden. A u c h die Seiten-

altäre dieses Gotteshauses erreichen mit ihren eher plumpen Lehmsäulen die barocke

Schönheit der aus Zedernholz geschnitzten Retablos der übrigen vier Kirchen bei

weitem nicht. Man muß w o h l annehmen, daß sie späteren Ursprungs sind. In San Ignacio

schließlich wurden die Altäre P. Schmids v o r dem Abbruch der Kirche entfernt und

einstweilen in der heutigen Notkirche behelfsmäßig aufgestellt. D a deren geringe Höhe

den kunstgerechten A u f b a u unmöglich machte, kommen sie vorderhand nur in ein-

zelnen Teilen, nicht aber als Gesamtwerk zur Geltung.

Die drei Hauptaltäre v o n San Rafael, Concepciön und San Miguel haben die gleiche

Disposition: Das Retablo ist durch Säulen und ein Fries in sechs Felder eingeteilt, in

deren Nischen Heiligenfiguren stehen. Besonders reich gestaltet sind die Retablos der

beiden, den Erzengeln geweihten Kirchen. In Concepciön wurden vor einigen Jahren

die Statuen ersetzt und die Auskleidung der Nischen erneuert. Der Altar wirkt heute

sicher sehr würdig, aber etwas nüchtern. P. Schmid redet von einem \ ergoldeten Altar,

während dieser jetzt eine tiefgrüne Farbe trägt.

Die Nebenaltäre weisen stets die gleiche Anordnung auf. A n der Evangelienseite steht

ein Kreuzaltar, auf der Epistelseite ein Marienaltar. Jedes Paar zeigt trotz kleineren

Verschiedenheiten die gleiche Form, differiert aber von Kirche zu Kirche. Man sieht

hier das Bemühen P. Martins, sich nicht einfach zu wiederholen.

Mir scheint, daß der Künstler mit besonderer Sorgfalt in San Rafael gearbeitet hat, als

sich die Aufträge noch nicht so drängten. Ganz großartig sind jedenfalls die reichge-

schnitzten Altarantependien dieses Gotteshauses. A u c h die Sakristei ist hier besonders

schön ausgestattet. Den prachtvollen Schrank, der eine ganze Wand des großen

Raumes ausfüllt, fand ich mit einer Kreuzigungsgruppe und zwei Gemälden ausge-

schmückt. Die offenbar guten, aber schlechterhaltenen Arbeiten stellen Christus an

der Geißelsäule und am ö l b e r g dar. Diese Bilder scheinen mit einigen aus Santa Ana

fast die einzigen zu sein, die sich aus der Jesuitenzeit noch erhalten haben. D 'Orbigny

sah in Concepciön viele «gothische Gemälde», die dem Gotteshaus ein besonderes

Gepräge gegeben hätten.17 Heute fehlt von ihnen jede Spur. Auch in anderen Chiquitos-

Reduktionen dürften manche Bilder verloren gegangen sein.

Das gleiche gilt von den Statuen. P. Schmid bezeichnet sich in der Aufzählung seiner

verschiedenen Handwerke auch als «Bildhauer». Er berichtet aber später, man hätte

für die Kirchen «die Statuen von weither kommen lassen», also wohl aus den Kunst-

werkstätten von Potosi und Cuzco, vielleicht aber auch einiges aus Spanien und Italien.

So schreibt die Überlieferung zum Beispiel die hervorragende Statue des Erzengels

Michael auf dem Hochaltar von San Miguel einem römischen Künstler zu. ' 8 Manche

Plastiken wirken sehr primitiv. Viele sind in schlechtem Zustand, andere durch ständig

neues Übermalen oder durch die Bekleidung mit kitschigen Stoffen oder buntem Papier

entstellt. Es war mir nicht möglich, eine genauere Bestandesaufnahme aller vorhandenen

Statuen zu machen oder deren Ursprung genauer zu erforschen.

Schließlich sei noch erwähnt, daß auch die Kanzeln, Beichtstühle und Kommunion-

bänke durchwegs sorgfältig und geschmackvoll ausgearbeitet sind. Die Kanzeln stan-

den ursprünglich, von einem schlanken Sockel getragen, in der Nähe einer der frei-

stehenden Säulen des Kirchenschiffes. In San Javier und Concepciön wurden sie von

einem Missionar vor dem Chor aufgestellt, da die gewaltigen Gotteshäuser heute von

den entvölkerten Gemeinden nicht mehr gefüllt werden.

Wenn schon die Holzschnitzerei in den Chiquitos-Kirchen eine beachtenswerte künst-

lerische Höhe erreichte, so staunt man noch mehr über die Schönheit des noch vor-

handenen Silberschmuckes. Gerne möchte man mehr und genaueres über seine I ler-

kunft wissen. P. Schmid bezeichnet sich selbst in einem seiner Briefe als «Silberschmied »,

ohne aber leider auf seine Werke näher einzugehen. D a ß seine Werkstätte mit der Zeit

zu einer gewissen Berühmtheit gelangte, läßt sich aus der Bestellung eines silbergetrie-

benen Altarantependiums für die Jesuitenkirche in Cordoba (Argentinien) schließen.

Aus einem Brief des P. BAYLINA S.J. vom Jahre 1746 geht nämlich klar hervor, daß

dieser aus seinem väterlichen Erbe der Hauptkirche der paraguayanischen Jcsuiten-

provinz ein solches Schmuckstück schenkte. Mit der Ausführung hatte er die Kunst-

schule von San Rafael in Chiquitos beauftragt, die von P. Schmid gegründet und im

genannten Jahr auch noch geleitet wurde. Die «außerordentliche Arbeit» wird heute

in der Dominikanerkirche von Cordoba aufbewahrt." ' Es ist nun nicht anzunehmen,

daß P. Martin mit seinen indianischen Gesellen einen so bedeutenden Auftrag für das

ferne und vornehme Cordoba erhalten hätte, wenn er nicht schon zuvor auf Grund

ähnlicher Arbeiten für die eigene Mission als tüchtiger Meister bekannt gewesen wäre.

Tatsächlich finden wir in allen seinen Kirchen heute Silberschmuck wie Monstranzen,

Leuchter, Kelche, Prozessionskreuze, Versehgarnituren, 1 leiligenscheine und Altar-

schmuck in Form künstlicher Blumen. Leider ist aus den bisherigen Veröffentlichungen

der Inventare, die 1768 bei der Ausweisung der Jesuiten aufgenommen wurden, der

ursprüngliche Besitz der Chiquitos-Kirchen an Silberschmuck nicht ersichtlich. Vieles

ist sicher verlorengegangen, wie aus späteren Aufzeichnungen in Pfarrarchiven zu

ersehen ist. Manches wurde zum Beispiel, wie in der benachbarten Mojos-Mission,

während der Unabhängigkeitskämpfe beschlagnahmt oder gestohlen, anderes von Be-

amten, von unwürdigen Geistlichen oder Reisenden entwendet. Während des 19. Jahr-

hunderts war eben in Chiquitos alles Mögliche möglich!

Bei näherer Betrachtung der einzelnen Arbeiten fällt jedenfalls die häufige V e r w e n d u n g

des Jesuitenwappens ( j u s ) und von Motiven aus der tropischen Umwelt auf. Wenn

man weiß, daß die Silberarbeiten der benachbarten Mojos-Mission geradezu berühmt

waren, so darf man auch der Werkstätte P. Schmids etwas zutrauen. Manche sind zu

Unrecht der Versuchung erlegen, jedesmal auf einen fremden Ursprungsort zu schlies-

sen, wenn sie in alten Missionskirchen etwas Schönes feststellen konnten.

In allen Jesuiten-Reduktionen Amerikas bildete die Kirche nur einen Teil der Seelsorgs-

station. Z u dieser gehörten auch das «colegio» oder Priesterhaus, sowie Schulräume

und Werkstätten. D e r bewährte Grundplan war unter kluger Anpassung an die ört-

lichen Verhältnisse überall derselbe.

Das Gotteshaus blickt mit der möglichst imposanten Fassade auf den Hauptplatz. A u f

der Höhe der Sakristei ist rechtwinklig ein Wohntrakt angebaut. Andere Wohnzimmer,

zum Beispiel für Gäste, waren in dem Flügel untergebracht, der parallel zur Kirche

stand und mit seiner schmalen Seite deshalb ebenfalls auf den Platz mündete. Die Laube

längs der Kirchenwand fand selbstverständlich auf beiden Seiten der fast immer ein-

geschossigen Wohngebäude ihre Fortsetzung. Der Hof zwischen Kirche und Colegio

wurde gegen den Dorfplatz hin durch eine hohe Mauer geschlossen, wobei gelegentlich

die Laube auch hier weitergeführt ist, so daß eine A r t Kreuzgang entstand. Über dem

T o r zu diesem, den Missionaren reservierten, H o f erhob sich der Glockenturm, so in

San Miguel, San Jose und wohl auch einst in San Rafael.20

Die Wohnzimmer in San Javier weisen eine Grundfläche von ungefähr neun zu neun

Metern auf, sie sind also sehr geräumig und luftig. Der Boden besteht aus Ziegelplätt-

chen. Das Dach wird von schwerem Holzgebälk getragen. Die Decke besteht aus einer

dreifachen Lage von Bambusrohr, Lehm und langen Rundziegeln. Die Lehmmauern

sind fast ein Meter dick. Nach dem Urteil der heutigen Missionare bewährt sich diese

Bauweise in dem zu Extremen neigenden Kl ima v o n Chiquitos ganz ausgezeichnet.

Die Schulräume und Werkstätten waren in rückwärtigen Verlängerungen des Wohn-

26

traktcs oder auf angrenzenden Grundstücken untergebracht. In San Javier gruppier-

ten sie sich früher um vier Höfe.

Die Gebäude des Colegio sind großen- und konstruktionsmäßig ganz auf die Kirche

abgestimmt. Man muß deshalb wohl annehmen, daß sie jeweils beim Bau des Gottes-

hauses mitgeplant und wohl auch miterneuert wurden, obwohl in den Berichten je-

weils nur v o m Kirchenbau als dem wesentlichsten Anliegen gesprochen wird.

Blicken wir nach dieser Beschreibung noch einmal auf die architektonische und kunst-

handwerkliche Leistung P. Martin Schmids zurück. E r ist der Erbauer von drei großen

und von ihm reich ausgestatteten Kirchen samt deren Colegios. In zwei weiteren Gottes-

häusern hat er die Altäre angefertigt. Wenn man alle die übrigen handwerklichen

Arbeiten dazu rechnet, stehen wir v o r einem staunenswert fleißigen und erfolgreichen

Lebenswerk. Wir verstehen jetzt besser, warum P. Peramäs sagen durfte, P. Schmid

habe das Gesicht der Chiquitos-Dörfer völlig verändert.

Der große Baumeister spricht in seinen Briefen von diesen Arbeiten ohne Eitelkeit,

aber doch mit einer berechtigten, männlichen Befriedigung. E r freute sich an der An-

erkennung, die sein Werk bei den Indianern, den Mitbrüdern und den Obern fand.

Wer immer diese Urwalddörfer besuchen durfte, wird in dieses L o b einstimmen müs-

sen und mit d 'Orbigny «von einem unglaublichen Fortschritt» sprechen.

Die Sorgfalt, die P. Schmid auf seine Gotteshäuser verwendete, hat auch einen theo-

logischen oder religionspädagogischcn Grund. Es galt, den Indianern durch die glanz-

volle Ausstattung des Gotteshauses zu helfen, eine möglichst große Idee von der Maje-

stät Gottes, der hier sein irdisches Zelt aufschlug, zu geben. Dieses Anliegen finden

wir in alten Missionsberichten immer wieder ausgesprochen, o b es sich nun um Kirchen

in Paraguay, in Hochperu, am Maranon oder in den Wäldern Ostboliviens handelt.

P. Schmid hat nach dem Geständnis seiner Chiquitos dieses Ziel erreicht. Seine Kir-

chen mögen von außen gesehen zunächst einen etwas schwerfälligen Eindruck machen.

A b e r bald wird man zugeben müssen, daß die Fassaden mit ihren mächtigen Säulen

neben den niederen Indianerhäusern, die den weiten Platz umsäumen, durchaus mo-

numental wirken. Sobald man das Innere betritt, so ist man von der Raumwirkung

sehr angenehm überrascht. Das Schiff" mit den schlanken Säulen erscheint viel höher,

als man vermuten möchte. Und das Licht spielt auf dem Holz so warm wie der T o n

alter Geigen. Als einst die Altäre noch in ihrer Vergoldung leuchteten, alle Farben in

ihrer Buntheit erglänzten und die Sänger und Musiker den weiten Raum mit herrlichen

Klängen erfüllten, dann wußte die Menge der gläubigen Indios sich wirklich in die

Vorhalle des I limmels versetzt. Mir seihst wird das heilige 1 lochamt, das ich am Patro-

natsfest in San Rafael feiern durfte und das ein ach so schwacher Abglanz einstiger

Festfeiern war, ein unvergeßliches Erlebnis bleiben.

D A S E R G E B N I S

Der größte - Glücksfal l» im Wirken P. Martin Schmids ist die geradezu einzigartige

Erhaltung wesentlicher Teile seines Lebenswerkes. Die Kirchen der dreißig Reduktio-

nen des <; Jesuitenstaates» Paraguay sind samt und sonders den Kriegen, dem Feuer

oder den Stürmen zum Opfer gefallen. Sie sind v o m Plrdboden verschwunden, v o m

Urwald überwuchert und in einigen wenigen Fällen als tote Ruinen wieder hergestellt

worden. A u c h die südlicheren Indianersiedlungen in den Pampas Argentiniens sind

spurlos untergegangen. Selbst die vielen Gotteshäuser, die andere Missionare der G e -

sellschaft Jesu in den feuchten Urwäldern im obern Amazonas-Gebiet oder in der

bolivianischen Provinz Beni bei den Mojos-Indianern ebenso großzügig bauten und

ausstatteten, sind, wie mir versichert wurde, ausnahmslos der Ungunst des Klimas

und der Fahrlässigkeit der Menschen erlegen.

Einzig bei den Chiquitos ragen einige dieser alten Gotteshäuser als Zeugen einer groß-

artigen Missions- und Kulturleistung in unsere Zeit hinein. Das macht - in den großen

Zusammenhängen gesehen - ihren einmaligen und unersetzlichen Wert aus. V o n den

zehn alten Jesuitenkirchen dienen fünf heute noch dem Gottesdienst, darunter alle

drei von P. Schmid erbauten Kirchen: San Rafael, San Javier und Concepciön, w o

sie heute als Kathedrale einer jungen Diözese zu Ehren gelangt ist.

Die kulturgeschichtliche Wichtigkeit dieser Bauten stand bisher in keinem Verhältnis

zu den spärlichen Kenntnissen, die selbst die Kunstfreunde Südamerikas davon hatten.

Ich möchte deshalb mit einer kurzen Bestandaufnahme auf Grund eigener Anschau-

ung oder zuverlässiger Berichte der Franziskaner-Missionare schließen:

Die besterhaltene Anlage dürfte SAN JAVIER sein. Die Kirche und das Colegio sind in

gutem Zustand. Die Werkstätten sind eingegangen.

In CONCEPCION wurde um 1900 die Fassade durch den Einbau eines unförmigen Turmes

verschandelt, dessen Entfernung bereits geplant ist.

SAN RAFAEL hat fast das ganze Colegio und den Turm eingebüßt. Die Kirche scheint

von späteren Änderungen verschont geblieben zu sein. Sie bedarf dringend einer Re-

stauration, die vom halb entvölkerten D o r f nicht geleistet werden kann.

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In SAN MIGUEL ist die Kirche in einem etwas besseren baulichen Zustand, da hier ein

ständiger Seelsorger zum Rechten schaut. V o m Colegio besteht nur mehr der Quertrakt

und der aus Lchmzicgeln gebaute Turm mit einem alten Glockenspiel.

In SAN IGNACIO mußte die Kirche, wie bereits berichtet, wegen Einsturzgefahr vor

einigen Jahren abgebrochen werden. Eine deutsche Reporterin hat den heutigen Mis-

sionaren deswegen Vorwürfe gemacht. Nachdem ich während eines längeren Aufent-

haltes in Chiquitos deren verantwortungsbewußte Sorge für das künstlerische und

religiöse Erbe aus der Jesuitenzeit kennen gelernt habe, fühle ich mich verpflichtet,

solche Anklagen als unberechtigt zurückzuweisen. Die in sich bedauerliche Maßnahme

wurde getroffen, weil das Gebäude vor dem Eintreffen der österreichischen Franzis-

kaner lange vernachlässigt wurde und nicht mehr zu retten war. So konnten diese we-

nigstens die wertvollen Altäre und andere Teile der Einrichtung für den geplanten

Neubau sicherstellen. V o n der alten Anlage stehen noch ein Teil des Colegio, das

heute als Schule benützt wird, und die Ruinen der Fassade.

SAN JUAN wurde schon bald nach der Vertreibung der Jesuiten verlegt. Nach Aus-

sagen v o m P. Lorenzo Hammerschmid OIM bestehen nur noch Ruinen der Kirche

und der Rumpf des steinernen Turmes.

SANTIAGO wurde 1801 größtenteils durch einen Brand zerstört und an einem andern

Ort neu angesiedelt. SANTO CORAZÖN erlitt ein ähnliches Schicksal.

SANTA ANA war wie Santo Corazön eine verhältnismäßig späte Gründung. Bei der

Ausweisung der Jesuiten war dort der deutsche P. Knoglcr tätig. Er hatte nach einem

Visitationsbericht des zuständigen Bischofs von Santa Cruz aus dem Jahre 176K die

Pläne für einen Neubau der Kirche fertiggestellt und auch schon das nötige Baumaterial

gesammelt. Im gleichen Jahr wurde dieses bei einem Dorfbrand größtenteils vernich-

tet.21 Unter der neuen Verwaltung wurde dann die heutige Kirche wohl nach den be-

stehenden Plänen gebaut. Das Gotteshaus ist etwas niedriger und einfacher als die

Kirchen P. Schmids. Die Fassade unterscheidet sich von den Kirchen P. Martins dadurch,

daß die Treppe und eine Balustrade, die zur Sängerempore führen, nach außen verlegt

sind, wie das auch in San Ignacio der Fall war.

Eine große Überraschung erlebt sicher jeder Besucher von SAN JOSE. Wenn man von

der Graspiste des Flugplatzes kommend den großen Dorfplatz betritt, steht man plötz-

lich einer imposanten Reihe von Gebäuden aus solidem Stein gegenüber: Dem «Depo-

sito» oder der ehemaligen Totenkapelle, der Kirchenfassade, einem hohen T u r m und

dem gewölbten Colegio. Der Eindruck dieser steinernen Front mitten im Urwald ist

cinfach überwältigend. Schon d 'Orbigny hat diese Leistung eines Indianerdorfes be-

wundert und in einer Skizze festgehalten.22

Buschiazzo gesteht, hier v o r einem unlösbaren Rätsel zu stehen, da sich seine Infor-

mationen über die Entstehungsgeschichte dieser mächtigen Anlage widersprächen.23

Er zitiert ein Memorialc des P. Visitators Lizoain v o m 28. August 175 2. Danach hätten

die Notabein v o n San Jose gebeten, das Haus der Patres in Kalk und Stein aufführen

zu dürfen, da G o t t ihnen diese Materialien zur Hand gegeben habe und sie genügend

erfahren seien, diese zu gebrauchen. Dann würde das Gebäude fast ewig dauern und

man müsse nicht mehr die selten gewordenen Stämme in den Wäldern suchen gehen.

Der Obere gab die Bauerlaubnis. Das Colegio stellt sich heute als ein 50 Meter langer

Bau dar, dessen sechs Wohnräume und beidseitige Lauben durch G e w ö l b e gedeckt

sind. Das Dach ist als leicht geneigte Terrasse ausgeführt, zu der eine Treppe hinauf-

führt. V o n ihr genießt man eine herrliche Aussicht auf die Hügel , w o die Steine für

den Bau gebrochen wurden. A n der fensterlosen Fassade liest man in einen Stein ge-

hauen die Jahrzahl der Erstellung: 1754. Diese Angabe entspricht genau der Datierung

der Bauerlaubnis von Ende 1752. Wir dürfen deshalb annehmen, daß auch die Jahr-

zahlen, die man an den übrigen Gebäuden liest, historisch richtig sind. Damit wäre

ihr Ursprung aus der Jesuitenzeit nachgewiesen.

Der dreistöckige Turm, ein großartiges Werk mit Anlehnungen an den maurisch-

spanischen Stil, trägt nämlich die Jahrzahl 1748, die Totenkapelle am Giebel die Jahr-

zahl 1750. A n der Kirche ist nach mündlicher Mitteilung des heutigen Seelsorgers der

Stein mit der Jahrzahl unglücklicherweise entfernt worden, als man das neue Kreuz

auf den Giebel setzte. Es kann aber aus stilistischen und organisatorischen Gründen

kein Zweifel bestehen, daß auch diese Fassade in jenen Jahren gebaut worden ist. So

versteht man jetzt, warum die Indianer schreiben konnten, sie hätten genügend Er-

fahrung mit Stein! Im übrigen dürfte das schöne Wappenschild des Jesuitenordens, das

j u s im Strahlenkranz, das letzte Bedenken am Ursprung dieser Bauten zerstreuen.

Die steinerne Kirchcnfassade steht nun aber in keinem Größenverhältnis zum niederen

Schiff des Gotteshauses. Eine nähere Untersuchung ergibt zudem, daß die Laube an

der Längsmauer der Kirche, die dem Colegio zugewandt ist (an der Epistelseite), aus

solidem Stein gebaut ist. Wir werden dadurch zum Schluß genötigt, daß das Gottes-

haus zum gegebenen Zeitpunkt erneuert und - mit Ausnahme des Daches - ganz aus

Stein gebaut worden wäre. Die Jesuiten sind nicht mehr dazu gekommen. Ich neige

deshalb zur Ansicht, daß auch das 60 Meter lange Schiff des Gotteshauses im wesent-

liehen aus ihrer Zeit stammt und älter ist als die Fassade. Deshalb ist wohl seine Archi-

tektur eher ärmlicher als in anderen Kirchen. So fehlen zum Beispiel die Schwibbogen

über den Seitenschiffen. Der Raum ist niedriger. Viele wertvolle Einzelheiten wie der

schöngeschnitzte Türrahmen der Taufkapelle, der machtvolle Schalldeckel der

Kanzel, die Altäre, manche wertvolle Statuen deuten ebenfalls auf eine Entstehungs-

zeit hin, da das D o r f noch in Blüte stand. Im Patreshof steht noch eine Sonnenuhr mit

der Jahrzahl 1765. Alle diese Reste machen zusammen mit der einzigartigen Front

San Jose zu einer der sehenswertesten Anlagen aus der Jesuitenzeit von Chiquitos.

Leider befindet sich die Kirche heute in einem bejammernswerten Zustand. Beim Ver-

such, eine angefaulte Säule v o r dem Chor auszuwechslcn, stürzte vor mehreren Jahren

ein Teil des Daches ein. Da das Gotteshaus unter Denkmalschutz steht, können die

Franziskaner die bitter nötigen Reparaturarbeiten nicht ohne Genehmigung der Re-

gierung von La Paz unternehmen. Unterdessen dringt natürlich der Regen durch die

weite Lücke ein und gefährdet auch den Chor mit den Altären.

Als ich mich v o r dreißig Jahren für die Briefe und das Leben P. Martin Schmids zu

interessieren begann, habe ich niemals geahnt, daß ich eines Tages die Stätten seines

so fruchtbaren Wirkens selbst besuchen, seine Werke erstmals im Bild festhalten und

hier veröffentlichen dürfte. G e w i ß , seit der gewaltsamen Vertreibung des Missionars

im Jahre 1767 und selbst seit den ehrlich begeisterten Schilderungen eines d 'Orbigny

im Jahre 1831 ist dort noch Vieles zugrunde gegangen, sowohl an kirchlichen Bauten,

als an religiöser Tradition und am sittlichen G e f ü g e der zu Christus bekehrten Stämme,

die man unter der Bezeichnung Chiquitos zusammenzufassen pflegt. Die Werkstätten

sind verödet oder verschwunden. Die Musik ist verstummt oder verwildert. Die Dörfer

und Felder sind in den Besitz einer stärkeren, wenn auch nicht wirklich überlegenen

Klasse v o n weißen Zuwandcrern und ihrer Mestizos übergegangen. Die Indios wur-

den an den Rand der einst so blühenden Siedlungen oder in den Urwald zurückgedrängt.

Dort erleiden sie das Schicksal halbversklavter Knechte. Viele sind in die Gummi-

plantagen Benis und Brasiliens verzogen und nie wieder zurückgekommen. Es ist alles

über diese ewigen Kinder der Tropen gekommen, was ihnen die Väter der Gesellschaft

Jesu in liebevoller Zucht ersparen wollten. Was die Chicjuitos verloren, können ihnen

die heutigen Missionare, wackere Franziskaner aus Österreich und Bayern, trotz besten

Willens nicht mehr zurückgewinnen.

Und doch versichern diese Priester, daß die Reste des chiquitanischcn Volkes an ihren

alten christlichen Traditionen festhalten, auch wenn sie deren Sinn oft nicht mehr

verstehen und deren sittliche Forderungen, durch vielfältiges Ärgernis verführt und v o m

Trunk geschwächt, allzuoft nicht mehr erfüllen. Mit Liehe und Eifersucht hüten und

hegen sie nach bestem Wissen ihre letzten Kirchen und ihre lieben Heiligen. A b e r sie

vermögen die Gotteshäuser nicht mehr zu füllen, selbst wenn in den Tagen der Kar-

woche alle aus den weiten Wäldern in ihre alten Dörfer zurückfinden. Trotz allem sind

die Dörfer der Chiquitos heute noch lebendige Gemeinden, w o also mit den Kirchen

P. Schmids auch sein priesterliches Wirken bis in die Gegenwart nachwirkt. So ist im

Urwald Ostboliviens noch genug Schönes und Großes verborgen, das jedem Missionar,

jedem Reisenden, das auch mir zum unvergeßlichen Erlebnis wurde.

Ist es da nicht meine Pflicht, die Heimat aufzurufen, den heutigen Hütern dieser Heilig-

tümer die Mittel zu geben, um das Werk unseres großen Landsmannes P. Martin

Schmid, besonders seine erste und vielleicht schönste Kirche, das so gefährdete Gottes-

haus v o n San Rafael, für spätere Zeiten zu retten?

1) vg l . G . F u r l o n g SJ, Jose Manuel Peramäs y su

Diar io del Dest icrro (1768), Buenos Aires, 1952.

2) In: Die Katholischen Missionen, Freihurg im

Breisgau, 1876.

5) München 1928, 4. Band, 2. Tei l , S. 54.3 rf".

4) F. A . Plattner, E in Reisläufer Gottes , Luzern,

1944, 194 S. (Die hier zitierten Briefstellen sind

dieser Arbeit entnommen.)

5) Anales de Instituto de Arte americano e investi-

gaciones esteticas, Buenos Aires , Band 5, 1952,

S. 38f.

6) A r c h i v o de Chiquitos y M o j o s , Santiago, 1866.

7) V o y a g c dans l 'Ameriquc meridionalc (1826 bis

183}), Paris, 1839fr. 2. Band (1843) S. 568-665.

8) N a c h A n g a b e n der Familienchronik (Privat-

archiv) der Familie Schmid, Baar.

9) G . F u r l o n g , Josö Cardicl , SJ y su Carta-

Rclaciön (1747)» Buenos Aires , 1953, S. 190.

9a) d ' O r b i g n y , 1. c. 590 f.

10) Rene-Moreno, 1. c .

1 1 ) d ' O r b i g n y , 1. c. 3. Band, S. 65.

12) d ' O r b i g n y , 1. c. 2. Band, S. 6x8.

3 2

13) M. Buschiazzo, La Arquitectura de las mi-

siones de Mojos y Chiquitos, in Anales del Instituto

de arte americano, Buenos Aires, Band 5, 1952,

s. ! 5 . 14) zitiert bei Buschiazzo, 1. c .

15) Rene-Moreno, 1. c .

16) G . Furlong, Artesanos Argent inos, Buenos

Aires, 1956, S, 59.

17) d ' O r b i g n y , 1. c. 2. Band, S. 594. Der franzö-

sische Reisende spricht bestandig v o n «mittel-

alterlichem Stil», auch wenn es sich klar um Barock

handelt.

18) d ' O r b i g n y , 1. c . S. 601.

19) Anales del instituto de arte americano,

Buenos Aires, Bd. 7, 1954, S. 29. Die Photoauf-

nahme verdanke ich der gütigen Vermitt lung v o n

P. G r c n o n 5 j , Cordoba.

20) d ' O r b i g n y , 1. c. S. 618.

21) Rene-Moreno, 1. c . , vgl . auch Anales, I . e . ,

S. 35, 56.

22) d ' O r b i g n y , 1. c. 2. Band, S. 624.

23) Anales, 1. c . 1952, S. 37.