grundlagen der programmarbeit themen des jahres jb2010 themen des jahres.pdfsocial media in...

52
6 Grundlagen der Programmarbeit 1 Themen des Jahres

Upload: others

Post on 24-May-2020

1 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

6

Grundlagen der Programmarbeit

1

Themen des Jahres

Page 2: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL
Page 3: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    11

Das Jahr 2010 war ein Jahr des Umbruchs in der Medienbranche. Es war damit auch ein Schlüssel-jahr zum Beginn eines neuen Jahrzehnts mit ein-schneidenden Veränderungen. Fernsehen und In-ternet  werden  zusehends  verschmelzen. Fernse-hen  wird  Teil  eines  deutlich  größeren  Markts.  Es wird auch Teil  eines neuen Ökosystems digitaler Kommunikation.  Die  Digitale  Revolution  macht Ernst. Geltende Gewohnheiten der alten Fernseh-welt  werden  fast  ins  Grenzenlose  erweitert.  Dar-aus ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, aller-dings  auch  neue  Probleme.  Während  an  den Stellschrauben  des  globalen Medienmarkts mächtig gedreht wird, darf das Fernsehen seinen zentralen  gesellschaftlichen  Kernpunkt  nicht  aus dem Auge verlieren:

2010  war  das  Jahr,  in  dem  sich  der  Internet- riese Google anschickte, noch größer zu wer-den und auch den Inhalte-Markt des TV zu ero-bern. Auf der Suche nach entsprechenden Be-wegtbildern  wurde  ein  erster  Großangriff  auf etablierte  Inhalte-Anbieter  gestartet.  Das  Ziel: als  Internetportal  im Netz die Definitionshoheit über das Fernsehen zu erringen, um möglichst die gesamte Distributionskette in eigener Hand zu  haben.  Auch  wenn  der  neue  Markteintritt zum  Internetfernsehen  nicht  auf  Anhieb  ge-lungen ist, ist doch der Kampf eröffnet und das Szenario absehbar: Wenn die Bildschirme der neuen Generation schon in Kürze internetfähig standardisiert  sind,  verändern  sich  Fernseh- und  Internetangebot  automatisch.  Man  wird Netz und Schirm zusammen bald ähnlich ein-fach  bedienen  können  wie  das  klassische Fernsehen.  Ist  der  Angriff  siegreich,  kann  die Suchmaschine zum gigantischen Staubsauger für  sämtliche  Inhalte  werden.  Das  Problem: Klassische  Sender  und  etablierte  Programm-

Macher  drohen  mit  ihren  publizistischen  Mar-ken auf den Listen des algorithmischen Such-laufs unter »ferner liefen« zu verschwinden.2010 war auch das Jahr, in dem das iPad den Markt neu aufgemischt hat: Das flache, leichte Tablet ist E-Reader, Spielekonsole und Arbeits-rechner in einem. Mithilfe von Apps vereinigt es das Beste aus den Print-, Online-, Video- und Spielewelten  im  Kleinformat.  Es  ist  das  erste Gerät, das auf der Couch die Zeitung ersetzen kann.  Zur  praktischen  Handhabung  und  Ver-marktung  der  neuen  Nutzungsmöglichkeiten ist es Apple mit seinem App-Store gelungen, die  Gratiskultur  im  Internet  zu  verändern:  Die relativ  einfach  geregelte  Einkaufsstruktur  des Billings  kann  auch  in  der  breiten  Masse  rei-bungslos  funktionieren.  Ein  neues  Geschäfts-modell zeichnet sich ab. So bezeichnen deut-sche Medienhäuser das  iPad schon heute als die wichtigste Innovation der digitalen Zeit. Das Problem  hier:  Wie  verhält  sich  ein  öffentlich-rechtlicher  Inhalte-Anbieter  mit  seiner  bereits gebührenfinanzierten, also bezahlten »Ware« in einem  offensiv,  ja  aggressiv  expandierenden Markt allgegenwärtiger Bewegtbilder?2010 war schließlich auch das Jahr des Durch-bruchs von Social Media. Das Schlagwort des Jahres  hat  die  gängigen  Vorstellungen  von Kommunikation komplett auf den Kopf gestellt. Als  scheinbar  »soziale«  Kommunikation  steht Social Media in Wirklichkeit für eine hoch indi-viduelle,  sehr  persönliche,  meist  subjektive Kommunikation mit all ihren Bedingtheiten und auch  Belanglosigkeiten.  Fachleute  schätzen, dass die Sozialen Netzwerke das  Internet  tief-prägender verändern als alles, was wir bisher erlebt haben. Mit 500 Millionen »Fans« vereinigt Facebook  als  netzbasierte  Kommunikations-zentrale bereits  im Jahr 2010 – mit  stark stei-

Umbruch, Aufbruch, Durchbruch

Markus SchächterIntendant des ZDF

Umbruch, Aufbruch, Durchbruch2010 – Ein Schlüsseljahr auf dem Weg in die digitale Welt

Page 4: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch12    I

gender  Tendenz  –  mehr  Menschen,  als  Ge-samteuropa  Einwohner  hat.  Dabei  entsteht durch die Verknüpfung von persönlicher Kom-munikation  und  massenmedialer  Nutzung  auf einer  einzigen  Plattform  nicht  nur  eine  Art zweites Netz, sondern quasi ein personalisier-tes  Massenmedium  mit  einem  gesellschafts-politisch  nicht  zu  unterschätzenden  Potenzial. Das  Problem  für  uns:  Mit  seiner  nahezu  flä-chendeckenden  Individualkommunikation  be-droht  Social  Media  die  klassischen  Formen und Formate der Massenkommunikation, also jener eigentlichen  »sozialen«, gesellschaftsori-entierten Kommunikation, bei der das Fernse-hen traditionell Leitmedium war und es ist.

Internetfernsehen,  App-Store  und  Social  Media sind drei exponierte Beispiele einer neuen Ära, in der die digitale Welt des Netzes unsere Fernseh-welt auf unterschiedliche Weise erreicht, bedrängt, verändert, ja stellenweise umstürzt. Dabei geht es weniger  um  eine  äußerliche  Umschichtung  von Marktanteilen, sondern um eine substanzielle Um-strukturierung  von  Massenkommunikation.  Die Zeiten  des  gewohnten  Sendesystems  »One  to many«  sind  weitgehend  vorbei.  Im  integrierten Hybridfernsehen  aus  Netz  und  Schirm  entste-hen neue Angebotsformen und Nutzungsstruktu-ren: Die User sind längst keine bloßen Empfänger mehr,  sondern  suchen  ihrerseits  das  Gespräch mit  den  Sendern,  aber  auch  mit  anderen  »Emp-fängern«  –  kommentierend,  kritisierend,  reflektie-rend,  bewertend,  aber  auch  ergänzend  und  vor allem weiterempfehlend. So können die »heute«-Nachrichten  bereits  während  der  Ausstrahlung auf der gleichen Bildschirmseite von Nutzern ex-tern  weiter»verarbeitet«  werden.  So  kann  Face-book für Dritte aus der Fan-Community zu einem neuen Portal für ZDF-Programme werden, die von ihnen sonst  niemals eingeschaltet würden. Aller-dings  ist  man  damit  auch  nicht  mehr  alleiniger Kontaktgeber  und  Türöffner  für  das  eigene  Pro-gramm.  Folglich  muss  sich  auch  unsere  Ange-

botsstruktur  ändern,  muss  die  Ansprache  diffe-renzierter  und  individueller  werden,  auch  wenn der  öffentlich-rechtliche  Anspruch  natürlich  ge-samtgesellschaftlich, sprich: integral, bleibt.

Doch nicht nur der globale Markt hat im Jahr 2010 die  Wettbewerbslage  und  die  eigene  Positionie-rungsfrage weiter zugespitzt. Auch die nationalen Marktentwicklungen  und  Rahmenbedin-gungen haben sich strukturell verändert:

2010 war das Jahr,  in dem die kommerzielle TV-Konkurrenz  in  Deutschland  ihr  erfolg-reiches Comeback gefeiert hat: RTL ist zurück. Es hat – trotz Supersportjahr für die Öffentlich-Rechtlichen  mit  den  Olympischen  Winterspie-len  in Vancouver und der Fußball-Weltmeister-schaft in Südafrika – seit 2003 erstmals wieder die Marktführerschaft übernommen. Der plan-mäßige  Erfolg  ist  das  Ergebnis  einer  ebenso radikalen  wie  konsequenten,  sprich:  unterhal-tungsorientierten,  unterhaltungsdominierten Programmstruktur mit einer homogenen, quasi eindimensionalen  Zuschaueransprache,  also mit einem geringen Publikumsaustausch über den Tag hinweg. Die Konsequenz für uns: Das öffentlich-rechtliche  Programmangebot  ist  als mehrdimensionaler  Vielfaltsgarant  gerade  in Zeiten  eines  forcierten  digitalen  Wettbewerbs unverzichtbar gefordert.Bei  einem  gleichzeitig  rasanten  Anstieg  des Marktvolumens  im  Bereich  der  Fernsehwer-bung  kann man auch wirtschaftlich  von einer Renaissance  des  Privatfernsehens  sprechen. In  diesem  Kontext  war  Sat.1  vor  allem  damit beschäftigt,  seinen  immensen  Schuldenberg zu reduzieren und seinen Aktienkurs zu stabili-sieren.  Zusammen  mit  ProSieben,  aber  ohne den verkauften Nachrichtenkanal N24, kam es zu  einer  massenattraktiven  Programmierung unter  weitgehendem  Verzicht  auf  journalisti-sche  Konzepte.  So  betrachtet,  beleben  die kommerziellen  Vollprogramme  von  heute  viel-

Page 5: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    13

leicht das Geschäft, jedoch weniger den publi-zistischen  Wettbewerb.  Die  Konsequenz  hier: Der gesellschaftliche Programmauftrag ist und bleibt  im  Bereich  der  elektronischen  Medien nach Umfang, Inhalt und Vielfalt, nach Qualität und  Stabilität  eine  öffentlich-rechtliche Domäne.Im Printbereich hat das Jahr 2010 den Optimis-mus in die Zeitungs- und Zeitschriftenbran-che zurückgebracht nach dem Motto: »Print is back,  Print  war  nie  weg.«  Die  Verleger  spre-chen – ähnlich wie die Gesellschafter und Ei-gentümer der kommerziellen Sender – von re-kordverdächtigen  Bilanzzahlen.  Mit  dem  Vor- und  Kennzeichen  des  Internetzeitalters  trifft das  Kunstwort  »i-Phorie«  genau  das  neue Hochgefühl der Printbranche. Nach dem Hor-rorjahr 2009 schauen die deutlich erholten Ver-lage  nahezu  »euphorisch«  in  die  digitale  Zu-kunft. Durch das  Internet  ist  auch  ihre eigene Branche  variabler,  multifunktionaler,  wettbe-werbsstärker und damit zukunftsfähiger gewor-den. In diesem Entwicklungs- und Erwartungs-korridor kaum nachvollziehbar ist die völlig un-begründete  Angst  einiger  Verleger  vor  den elektronischen  Textangeboten  von  ARD  und ZDF, die auf diesem Feld eine geradezu margi-nale Größe darstellen. Das vom ZDF-Fernseh-rat in Auftrag gegebene Goldmedia-Gutachten vom Frühjahr 2010 hatte bestätigt: Ein Verzicht auf öffentlich-rechtliche Onlineangebote würde sich,  selbst  im  größten  betroffenen  Werbe-markt, dem für Onlinenachrichten, mit margina-len 0,433 Prozent auswirken, wäre also für die Konkurrenz kaum wahrnehmbar. Mit  dem  Abschluss  des  Drei-Stufen-Tests durch den Fernsehrat war das Jahr 2010 auch für  das  ZDF  von  richtungsweisender  Bedeu-tung.  Es  hat  künftig  Orientierungs-  und  Pla-nungssicherheit für seine Onlineangebote, also für das mediale Miteinander im Netz in der bis-herigen Grauzone zwischen Bild und Text. Wir wissen nunmehr, in welchem Umfang wir uns in 

der  digitalen  Welt  auf  dem  Boden  unseres Funktionsauftrags und im Rahmen unseres Te-lemedienkonzepts bewegen können. Alle ak-tuellen Onlineangebote sind fortan konkret be-auftragt und rechtlich abgesichert. Die Weichen sind gestellt und die Wegweiser für eine erfolg-reiche  Ansprache  auch  jüngerer  Netznutzer beschriftet.  Dies  ist  die  gute  Nachricht.  Die schlechte  muss  jedem  neutralen  Beobachter als  nahezu  grotesk,  jedenfalls  als  widersinnig erscheinen:  So  mussten  alleine  im  ZDF  rund 110 000  Textseiten  mit  zum  Teil  zeitgeschicht-lich wertvollen Dokumenten aus dem Netz ge-löscht  werden.  Solche  Depublizierung  zeigt, dass  es  auch  Grenzen  gibt  im  vermeintlich grenzenlosen, omnipräsenten und ubiquitären Netz.  Sie  verstoßen  eigentlich  sogar  gegen dessen Prinzip einer denkbar vielfältigen Offen-heit. Und so spricht es für den Wert der Inhalte, dass  bestimmte  Nutzergruppen  versuchen, gelöschte  oder  bedrohte  Inhalte  wieder  ins Netz  zurückzuholen  oder  auf  anderem  Wege zu  sichern.  Auch  wenn  dies  illegal  geschieht, scheint  es  doch  zu  bestätigen:  Das  Netz  hat seine eigene Logik. In ihm geht nichts verloren. Einmal Netz, immer Netz.Schließlich  hat  das  ZDF,  hat  das  öffentlich-rechtliche System auch durch die Neuordnung der  Rundfunkfinanzierung  für  seine  wirt-schaftliche  Zukunft  Sicherheit  erlangt:  Ende 2010  haben  die  Ministerpräsidenten  die  Re-form  der  Rundfunkfinanzierung  beschlossen. Sie  war  durch  die  Flut  neuer  multifunktionaler Endgeräte  unumgänglich  geworden.  Ab  dem 1. Januar 2013 wird es statt der bisherigen ge-rätebezogenen  Rundfunkgebühr  nur  noch einen  geräteunabhängigen  Wohnungs- und Betriebsstättenbeitrag geben. Das neue Bei-tragsmodell  ist  gegenüber  der  Erosion  des alten Systems alternativlos. Es ist einfacher, ef-fektiver  und  gerechter.  Es  entspricht  sowohl dem technologischen Fortschritt wie auch der vom  Verfassungsgericht  immer  wieder  be-

Umbruch, Aufbruch, Durchbruch

Page 6: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch14    I

tonten Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen  Rundfunk.  Somit  ist  es  auch  ein tragfähiger  Stabilisator  für  unsere  finanzielle Basis: Es macht uns zwar nicht reicher, aber es soll  uns  auch  nicht  ärmer  machen,  sondern solider,  belastbarer  und  damit  zukunfts- sicherer.

Alles  zusammengenommen,  war  das  Jahr  2010 mit seinen weichenstellenden und wegweisenden Umbrüchen auch ein Jahr des Aufbruchs: Es hat die Medienbranche in eine neue Umlaufbahn ge-bracht. Die Korridore einer künftigen Kommunika-tion  haben  an  Kontur  gewonnen.  Die  massiven Veränderungen  schlagen  Breschen,  setzen  Zei-chen. Damit die Zeichen nicht zum Menetekel an der Wand werden, hat das ZDF bereits vor einigen Jahren proaktiv seinen Transformationsprozess auf  den  Weg  gebracht.  Das  Konzept  mit  dem Kurznamen  »Trafo  2012«  hat  ein  ambitioniertes Ziel:  den Umbau des alten,  vergleichsweise  sta-tischen Einkanalsystems »ZDF« zu einem wettbe-werbsfähigen Multimediahaus mit digitaler Dyna-mik.  Der  Umbau  betrifft  das  gesamte  Haus,  auf allen  Ebenen.  Drei  Maßnahmen  sind  dabei  von entscheidender strategischer Bedeutung und sol-len  schon  im  Jahr  2011  weitgehend  umgesetzt sein:

Auf  der  konzeptionellen  Ebene  muss  das  ZDF künftig  strukturell  beziehungsweise  infrastruktu-rell,  dazu  technisch,  organisatorisch  und  pro-grammlich  auf  allen  erforderlichen  Plattformen präsent sein, sprich: über die passenden Kanäle und Portale seine Inhalte ebenso zielgerichtet wie zielgerecht an die Nutzer bringen. In einer umsich-tigen und umfassenden 360-Grad-Strategie geht es  um  eine  crossmediale  Produktions-  und  Ver-wertungskette, die auf  zeitgemäße Weise konse-quent  und  systematisch  das  öffentlich-rechtliche Leitziel  verfolgt,  als  »Rundfunk  für  alle«  auch  im digitalen  Zeitalter  möglichst  die  Gesamtgesell-schaft zu erreichen.

In  dieser  Absicht  ist  das  Hybrid Broadcast Broadband TV,  kurz:  HbbTV,  ein  zukunftswei-sendes  Projekt:  Es  ist  der  Versuch  europäischer Fernsehveranstalter  –  mit  maßgeblicher  Beteili-gung  des  ZDF  –,  der  früher  oder  später  erfol-genden  Landnahme  von  Google-  oder  Apple-TV durch die technische Alternative eines offenen eu-ropäischen  Hybridsystems  Grenzen  zu  setzen. Das  auf  der  IFA  2010  in  Berlin  vorgestellte  Kon-zept  bietet  standardisierte  Möglichkeiten,  alleine mit  der  Fernbedienung,  also  ohne  Tastatur  und Maus,  Fernsehinhalte  und  Internetangebote  zu verknüpfen. Es zielt dabei bewusst nicht auf eine Interaktivität  der  Massen,  sondern  auf  eine  opti-mierte Interaktivität im traditionellen Kontext eines TV-Programms.  Es  ist  somit  der  einfachere,  lo-gischere und deshalb vielleicht gangbarere Weg in eine digitale Zukunft, in der die Medienwelt nicht alleine  den  Marktgiganten  überlassen  werden darf.

Ein  bereits  etabliertes  Grundelement  einer  sol-chen Synthese oder Symbiose ist die ZDFmedia-thek  als  Flaggschiff  unserer  digitalen  Zusatzan-gebote. Mit durchschnittlich 23,35 Millionen Sich-tungen  pro  Monat  hat  sie  im  Jahr  2010  eine Nutzungssteigerung  von  70  Prozent  gegenüber dem Vorjahr erreicht. Die dadurch gewonnene Er-fahrung und Erkenntnis, dass das Abruffernsehen für die Zuschauer deutlich an Bedeutung gewinnt, hat das ZDF veranlasst, im Jahr 2011 die Media-thek auch als App-Angebot für alle gängigen mo-bilen Endgeräte zu präsentieren. Dabei sind uns einige  Zuschauer  sogar  ein  Stück  zuvorgekom-men,  indem sie bereits eigene Apps  für den Zu-griff auf ZDF-Programme selbst  installiert haben.  Nicht  nur  die  Mediennutzung  ist  interaktiv,  son-dern auch die Medienentwicklung.

Ein  dritter  substanzieller  Baustein  unserer  Trans-formationssystematik  ist  die  verbreitungstech-nische  Diversifikation  unserer  Inhalte  durch  digi-tale Kanäle und nichtlineare Portale. Längst ist die 

Page 7: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    15

zusehends fragmentierte Gesellschaft nicht mehr über  ein  einziges  Hauptprogramm  zu  erreichen. Darum  hatten  wir  Ende  2009  die  Babylonische Gefangenschaft  des  Einkanalsenders  verlassen und  unseren  vormaligen  Dokumentationskanal zum  neuen  Digitalkanal ZDFneo  umgestaltet. Komplementär  zum  Hauptprogramm  ist  ZDFneo mit über 30 eigenen Formatinnovationen und über 50  weiteren  Synergieprojekten  ein  qualitätsvolles und  innovatives  Programmangebot  für  jüngere Zuschauer. Als Synergie- und Kreativkanal, als In-novations- und Entwicklungsmotor ist er innerhalb von nur zwölf Monaten zu einem sowohl beim Pu-blikum wie auch in der Publizistik außerordentlich neugierig  und  freundlich  aufgenommenen  Zu-kunftsmodell  geworden.  Mit  seinen  beachtlichen Zugewinnen im Digitalmarkt liegt ZDFneo quoten-technisch deutlich vor allen anderen Digitalkanä-len  von  ARD  und  ZDF  und  spielt  als  »Aufsteiger des Jahres« bereits in einer Liga mit Sendern wie  EUROSPORT  oder  n-tv,  die  seit  über  20  Jahren auf dem Markt sind.

Der Weg, der mit ZDFneo begonnen wurde, wird 2011  Schritt  für  Schritt  konsequent  fortgesetzt: Wie  die  Synergien  der  Programmdirektion  für ZDFneo  sinnvoll  verwertet und kreativ weiterent-wickelt  wurden,  wird  auch  die  Chefredaktion  im Falle von ZDFinfo sowie die 3sat/ARTE-Direktion mit ZDFkultur verfahren. Dabei entstehen in den Nischen  der  Digitalkanäle  Talenträume  für  das ganze Haus, die dann auch  ins Hauptprogramm zurückstrahlen. Nach erfolgreicher Transformation soll  das  ZDF  2012  als  Programmfamilie  für  das Digitalzeitalter gerüstet sein: eine homogene Ein-heit in differenzierter Vielfalt.

All dies kostet Geld, allerdings kein zusätzliches: Die neuen Digitalkanäle sollen aus dem Bestand finanziert werden. Da man Geld allerdings immer nur  ein  Mal  ausgeben  kann,  müssen  Prioritäten gesetzt werden. Entsprechend wird  in einer strik-ten  hausinternen  Priorisierungsdiskussion 

genau definiert, auf was wir künftig verzichten, um das, was wir machen müssen, auch solide finan-zieren zu können. Dabei geht es um Sendeplätze und ihre finanzielle Ausstattung, um die dazu nöti-gen Konzepte und Investitionen, um größere Syn-ergiepotenziale und nicht zuletzt um Einsparmög-lichkeiten. Unser Haushalt 2011 ist auf Kante ge-näht. Wir sind an der Grenze unserer ökonomischen Flexibilität angekommen. Dennoch bleibt bei allem Aufbruch in Zeiten des Umbruchs unsere Maxime bestehen:  Das  ZDF  will  und  wird  am  Ende  der Gebührenperiode  eine  schwarze  Null  schreiben und damit als eines der wenigen Fernsehhäuser in Europa schuldenfrei bleiben.

Das Priorisierungskonzept belegt, dass es  insge-samt nicht um Expansion geht, sondern um Wer-tigkeiten  und  Wichtigkeiten  inhaltlicher  Art:  Pro-gramminhalte sind das entscheidende Priorisie-rungskriterium  einer  öffentlich-rechtlichen Programmfamilie. So nehmen wir aus allen Neue-rungen  des  Umbruchjahres  2010  dann  doch  die alte  Gewissheit  mit:  Der  Inhalt  zählt  –  »Content matters.« Hier  liegt unser Vorteil und unser Mehr-wert als Inhalte-Profi gegenüber den technik- und profitgetriebenen »Global Players«. Und hierin wer-den wir uns gemäß unserem Gesellschaftsauftrag stets von allen nationalen wie  internationalen Ge-schäftsmodellen unterscheiden. Dabei werden wir uns auch weiterhin von der kommerziellen Konkur-renz im eigenen Land abheben: Wir werden Fehler aus den 90er Jahren nicht wiederholen, als wir mit »Me too«-Imitaten unseren eigenen Erfolg zu stabi-lisieren suchten. Mit einem neuen Programmsche-ma setzen wir 2011 noch exponierter auf die drei Kernkompetenzen  des  »Public  Service«:  auf  um-fassende Information mit Hintergrund, auf orientie-runggebenden  Service  und  auf  hochwertiges, zeitgemäßes  Erzählfernsehen  von  gesellschaft-licher Relevanz. Das heißt: Wir müssen nicht nur technisch und strategisch, sondern vor allem auch inhaltlich auf der Höhe unserer schnelllebigen Zeit bleiben und den rat- oder orientierungsuchenden 

Umbruch, Aufbruch, Durchbruch

Page 8: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch16    I

Menschen von heute mehr denn  je ein  zuverläs-siger Wegweiser sein und bleiben.

Wie  erfolgreich  wir  dabei  sind,  sagt  uns  längst nicht  mehr  die  klassische  Quote.  Wir  begegnen unseren Zuschauern, im Unterschied zu früher, als Kunden  und  immer  weniger  als  »Masse«.  Er  hat einen individuellen Zeitplan, der sich auch immer weniger nach einem fixen Programmschema rich-tet. Und er sitzt  kaum mehr  im Wohnzimmer auf der Couch, sondern ist ständig unterwegs, mobil mit mobilen Endgeräten. Wir müssen auf  ihn zu-gehen und ihn abholen, wo immer er sich gerade befindet. Dabei verschieben sich einige Parame-ter erheblich: Fast ein Drittel der Nutzung unserer Satire »Neues aus der Anstalt« findet bereits zeit-versetzt  statt,  also  auch  mittels  Wiederholungen auf anderen Kanälen oder online mithilfe der ZDF-mediathek. Dort hatten alle Ausgaben des Jahres 2010 zusammen 3,22 Millionen Abrufe, die »heute-show«  sogar  4,27  Millionen.  Damit  belegen  die beiden Satire-Hits im Netz nicht nur obere Plätze, sondern bestätigen auch, dass dort ein anderes Ranking stattfindet als auf dem Bildschirm.

Dies bedeutet: Der Quotenerfolg eines Programms hängt nicht alleine vom Programm selbst ab, son-dern maßgeblich auch vom Medium, über das es verbreitet  wird.  Die  Quote  des  ZDF-Hauptpro-gramms  –  das  nach  wie  vor  der  Kern-  und Schwerpunkt  unseres  Angebots  bleibt  –  besagt, für sich genommen, nur bedingt etwas über den Erfolg der Marke »ZDF«. Man wird TV-Erfolge künf-tig nicht separat bewerten, sondern muss das ge-samte Netzangebot ins Auge fassen. Das bedeu-tet weiter: Ein nächster Umbruch zeichnet sich in Form einer neuen Quotendiskussion mit neuen Koordinaten ab. Wenn durch die Vielzahl der Ka-näle  und  durch  die  Vielfalt  des  Angebots  die Quote  klassischer  Hauptprogramme  zwangsläu-fig sinkt, kann die Programmfamilie sehr wohl da-zugewonnen haben.

Dabei geht es nicht um eine neue Additionsakro-batik,  sondern  um  den  eigentlichen  öffentlich-rechtlichen  Auftrag.  Er  wäre  klassisch  verfehlt, wenn  man  sich  mit  der  Erkenntnis  begnügte: Fernsehen als Teil des Netzes fördert und forciert durch  sein  Vielfaltsangebot  die  Fragmentierung unserer Gesellschaft, sprich: den »Digital Divide«. Dies  wäre  geradezu  kontraproduktiv  ohne  die zweite  Erkenntnis:  Das  Netz  schafft  gleichzeitig neue Wege, um dem Integrationsauftrag für die Gesamtgesellschaft zielgerichteter denn  je nach-zukommen.  Aus  der  herkömmlichen  Einkanal-struktur  »One  to  Many«  wird  die  neue  Distribu-tionsstruktur  »Few  to  Many«.  Von  der  Ausspiel-basis der Senderfamilie aus sollen über  »einige« Verteilwege »viele« Menschen, am liebsten »alle«, erreicht  werden.  Der  »Rundfunk  für  alle«  muss auch, und gerade im digitalen Zeitalter der Globa-lisierung,  in  möglichst  allen  Gesellschaftskreisen ringsum  ankommen.  Seine  Technik  ändert  sich, auch seine Struktur ändert sich, aber sein Auftrag bleibt. Er muss – so eine alte sizilianische Weisheit – sich ändern, um zu bleiben, was er ist.

Vor  diesem  Hintergrund  haben  wir  im  ZDF  die klassische  Balance  zweier  unterschiedlicher,  zu-weilen gegenläufiger Legitimationen neu zu justie-ren:  die  Legitimation  einerseits  durch  publizisti-sche Relevanz gegenüber einem kommerziell do-minierten Markt; und die Legitimation andererseits durch gesellschaftliche Akzeptanz als gebührenfi-nanziertes  »Massenmedium«  auf  eben  diesem Markt. Die Messlatte für den öffentlich-rechtlichen Programmerfolg  liegt  entsprechend  hoch:  Wir laufen  mit  jedem  Sendetag  neu  auf  sie  zu.  Wir müssen  uns  bei  diesem  Anlauf  gleichzeitig  360 Grad um die eigene Achse drehen, ohne die eige-ne Orientierung zu verlieren. Hinter den täglichen Etappenzielen  steht  die  Gesamtausrichtung  auf die  hoch  komplexe  digitale  Welt.  Für  den  Weg dorthin sind unsere Wegweiser neu und  leserlich beschriftet.

Page 9: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    17Rundfunkbeitrag statt Rundfunkgebühr

Der Weg von einer geräteabhängigen Rund-funkgebühr zu einem geräteunabhängigen Rundfunkbeitrag war lang und nicht frei von Hindernissen. Aber er musste gegangen wer-den, weil die Zukunft des öffentlichen-recht-lichen Rundfunks dauerhaft gesichert werden muss.

Früher  war  alles  ganz  einfach,  zumindest  in  der Medienpolitik: Es gab die Zeitung, die man las, es gab das Radio, das man hörte, und es gab das Fernsehen, das man – bis 1967 sogar nur schwarz-weiß  –  schaute.  Das  Sender-Empfänger-Modell war die feste Grundlage der Rundfunkpolitik.

Heute ist nicht mehr alles ganz so einfach, zumin-dest in der Medienpolitik. Denn durch den völligen Strukturwandel in den Medien – bedingt durch die Digitalisierung  und  das  Internet  –  konvergiert alles: Technik und Inhalte, Formate und Institutio-nen.  Grenzen  werden  verwischt,  Funktionen vermischt.

Auch im Hinblick auf die Rundfunkgebühr war frü-her alles ziemlich unproblematisch: Wer ein Radio- gerät hatte, zahlte die so genannte Grundgebühr, wer ein Fernsehgerät hatte, zahlte die Fernsehge-bühr;  beides  zusammen  ergab  die  Rundfunkge-bühr. Aber das, was  jahrzehntelang unproblema-tisch  war,  wurde  durch  die  schleichende  tech-nische  Konvergenz  problematisch,  denn  es  gab immer mehr Endgeräte wie Computer oder Han-dys,  über  die  Radio  und  Fernsehen,  also  Rund-funk,  empfangen  werden  konnte.  Der  klare  An-knüpfungspunkt für die gute alte Rundfunkgebühr, nämlich das Radio- und Fernsehgerät, wurde un-scharf.  Der  Rundfunkgesetzgeber,  die  Länder, mussten  nun  der  technischen  Konvergenz  im wahrsten Sinne des Wortes Rechnung tragen.

Im Jahr 1999 reagierte der Gesetzgeber erstmals mit  einer  Moratoriumslösung:  Für  Rechner,  die Rundfunkprogramme ausschließlich über das  In-ternet  wiedergeben  können,  mussten  keine  Ge-bühren bezahlt werden. Diese Regelung wurde im Jahr 2007 abgelöst von einer Regelung, die zwi-schen  »herkömmlichen«  und  »neuartigen«  Rund-funkempfangsgeräten unterschied. Klar war aber, dass  das  nur  eine  Zwischenlösung  sein  konnte, zumal  die  Unterscheidung  zwischen  herkömm-lichen und neuartigen Rundfunkempfangsgeräten immer  schwieriger  wurde.  Hinzu  kam,  dass  der zwischenzeitlich gefundene Kompromiss, für neu-artige  Rundfunkempfangsgeräte  nur  die  Grund-gebühr  zu  erheben,  absehbar  nicht  mehr  zu  halten  war  und  die  Gebührenpflicht  für  den  PC rechtlich angegriffen wurde. Dutzende von Verwal-tungsgerichten  beschäftigten  sich  mit  höchst  unterschiedlichen Ergebnissen mit der Frage, ob geräteabhängige  Anknüpfungspunkte  für  die Rundfunkgebühr  noch  tragen.  Und  auch,  wenn diese  Frage  vor  dem  Bundesverwaltungsgericht höchstrichterlich entschieden wurde, hat das Ge-richt  doch  an  den  Gesetzgeber  appelliert,  sorg-sam  zu  prüfen,  wie  lange  ein  geräteabhängiger Anknüpfungspunkt noch trägt. Parallel dazu geriet die – notwendige – Arbeit der Gebühreneinzugs-zentrale  des  öffentlich-rechtlichen  Rundfunks (GEZ) und die Arbeit der so genannten Gebühren-beauftragten der Rundfunkanstalten zur Durchset-zung der Gebührenpflicht immer mehr in die Kritik, obwohl immer mehr Menschen das Rundfunkan-gebot annehmen, ohne dafür die Rundfunkgebühr zu entrichten.

Im  Juli  2010  haben  sich  die  Ministerpräsidenten der Länder  für einen Wechsel  von der geräteab-hängigen  Rundfunkgebühr  hin  zu  einem  gerä-teunabhängigen  Rundfunkbeitrag  entschieden 

Rundfunkbeitrag statt RundfunkgebührWie die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesichert wird

Kurt BeckMinisterpräsident des Landes Rheinland-Pfalz/Vorsitzender des Verwaltungsrats des ZDF

Page 10: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch18    I

und Eckpunkte zur Neuordnung der Finanzierung des  öffentlich-rechtlichen  Rundfunks  formuliert. Diese  Eckpunkte  waren  klar:  Erstens:  Das  sehr komplizierte  Rundfunkgebührenrecht  sollte  ver-einfacht  und  für  den  Bürger  verständlicher  wer-den. Zweitens: Die mit dem Gerätebezug verbun-denen Kontrollnotwendigkeiten sollten deutlich re-duziert und die Arbeit der Gebührenbeauftragten mit  Nachfragen  an  der  Wohnungstür  nach  Mög-lichkeit  überflüssig  gemacht  werden.  Drittens: Kaum noch plausibel zu erklärende Gebührentat-bestände  sollten  abgeschafft  und  durch  klare, einfache Regeln ersetzt werden. Viertens: Alle Än-derungen sollten aufkommensneutral erfolgen.

Die  verfassungsrechtlich  fundierte  Grundlage  für den  Modellwechsel  lieferte  Professor  Paul  Kirch-hof. Er sieht  in der Annahme des Gesetzgebers, dass jeder Privathaushalt in einer Wohnung grund-sätzlich  eine  Empfangsgemeinschaft  bildet  und 

jede Betriebsstätte typischerweise von dem Sen-deangebot  der  Rundfunkanstalten  erreicht  wird, eine  sachgerechte  und  verfassungsrechtlich  ver-tretbare  Entscheidung.  Mit  dem  neuen  Modell eines  Rundfunkbeitrags  wurden  die  von  den  Mi-nisterpräsidenten  der  Länder  formulierten  Ziele weitestgehend erfüllt.

Der  Weg  von  der  jahrzehntelang  gültigen,  gerä-teunabhängigen  Rundfunkgebühr  hin  zu  einem geräteunabhängigen  Rundfunkbeitrag,  der  ab dem  Jahr  2013  die  Finanzierung  des  öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichern wird, war lang und nicht frei von Hindernissen. Aber ich halte ihn für richtig und notwendig, denn er  führt zu einer zu-kunftsfähigen  Finanzierung  des  öffentlich-recht-lichen  Rundfunks,  zu  dem  es  im  so  genannten Dualen  Rundfunksystem,  dem  geordneten  Ne-beneinander  von  Öffentlich-Rechtlichen  und  Pri-vaten, keine Alternative gibt.

Page 11: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    19

Seit  Jahrzehnten  wird  der  öffentlich-rechtliche Rundfunk  in  Deutschland  im  Wesentlichen  und vorrangig  über  die  Rundfunkgebühr  finanziert. Gebührenpflichtig  ist,  wer  unabhängig  von  der tatsächlichen Nutzung ein Rundfunkempfangsge-rät  zum  Empfang  bereit  hält.  Nach  ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Finanzierung durch Rundfunkgebühren die dem  öffentlich-rechtlichen  Rundfunk  gemäße Form der Finanzierung. Sie dient der Gewährleis-tung seiner Funktionsfähigkeit  in einer durch den Dualismus  von  öffentlich-rechtlichem  und  priva-tem  Rundfunk  geprägten  Rundfunkordnung.  Die Gebührenfinanzierung soll eine weitgehende Ab-koppelung der Funktionsbedingungen des öffent-lich-rechtlichen  Rundfunks  vom  ökonomischen Markt  bewirken  und  dadurch  sicherstellen,  dass sich die öffentlich-rechtlichen Programme primär an  publizistischen  Zielen,  insbesondere  denen der Vielfalt, orientieren und nicht  in Abhängigkeit von  Einschaltquoten  und  Werbeaufträgen geraten.

Die  Gebührenfinanzierung  ist  in  letzter  Zeit  aller-dings zunehmend infrage gestellt worden. So hat besonders  die  Gebührenpflicht  für  »Neuartige Rundfunkgeräte«, insbesondere für internetfähige Personalcomputer,  Zweifel  darüber  aufkommen lassen,  ob  die  Anknüpfung  der  Gebührenpflicht an  das  Rundfunkempfangsgerät  nicht  durch  die technische  Entwicklung  überholt  ist.  Vielen  Ge-bührenzahlern,  aber  auch  einigen  erstinstanz-lichen  Verwaltungsgerichten  war  nicht  mehr  zu vermitteln,  dass  für  internetfähige  Personalcom-puter  als  konvergente,  multifunktionale  Geräte Gebühren bezahlt werden sollten, mit denen zwar Rundfunk empfangen werden kann, die aber ihrer Zweckbestimmung nach auch  für andere Funkti-onen  ausgelegt  sind  und  in  der  Praxis  auch  so 

verwendet werden. Konvergente Empfangsgeräte lassen  auch  die  Unterscheidung  zwischen  Hör-funk- und Fernsehnutzung verschwimmen, an die das  staatsvertraglich  geregelte  Gebührenrecht unterschiedliche Folgen knüpft  (Grundgebühr  le-diglich  für  den  Hörfunkempfang,  Fernsehgebühr zuzüglich der Grundgebühr für den Fernsehemp-fang). Im Ergebnis ist deshalb ein erheblicher all-gemeiner  Akzeptanzverlust  der  Rundfunkgebühr zu verzeichnen, der sich nicht nur in einer anstei-genden Quote der Schwarzseher und -hörer nie-derschlägt,  sondern  absehbar  zu  einer  Erosion des Gebührenaufkommens insgesamt führt.

1. Der Rundfunkbeitrag – Modell einer zu-kunftssicheren RundfunkfinanzierungDieser  für  den  öffentlich-rechtlichen  Rundfunk problematischen  Entwicklung  soll  eine  grundle-gende  Reform  der  Rundfunkfinanzierung  Einhalt gebieten. Gefordert war eine Abkehr vom Modell der gerätebezogenen Rundfunkgebühr, gefunden werden sollte eine  von der  technischen Entwick-lung  unabhängige,  zukunftssichere  Finanzie-rungsform. Sie sollte den verfassungs- und abga-benrechtlichen Anforderungen genügen und unter dem Stichwort der Aufkommensneutralität sowohl das bisherige Gesamtaufkommen aus der Rund-funkgebühr garantieren als auch die Relation zwi-schen den Erträgen aus dem Bereich der privaten Gebührenzahler  und  dem  nicht  privaten  Bereich wahren.

Geprüft  wurden  unterschiedliche  Modelle  der Rundfunkfinanzierung. Sie reichten von einer Fort-entwicklung  der  gerätebezogenen  Rundfunkge-bühr über die Finanzierung aus staatlichen Haus-halten  oder  Steuern  bis  hin  zu  Sonderabgaben. Alle  diese  Finanzierungsformen  erwiesen  sich aber  nach  eingehender  Prüfung  als  nicht  tragfä-

Modellwechsel in der Rundfunkfinanzierung

Modellwechsel in der RundfunkfinanzierungDer neue Rundfunkbeitrag

Carl-Eugen EberleJustitiar des ZDF

Page 12: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch20    I

hig.  Einzig  das  Modell  eines  Rundfunkbeitrags wurde  als  geeignet  angesehen,  allen  gestellten Anforderungen  zu  genügen.  In  einem  finanzver-fassungsrechtlichen  Gutachten  entwickelte  der ehemalige  Richter  des  Bundesverfassungsge-richts Professor Paul Kirchhof die Eckpunkte der künftigen  Rundfunkfinanzierung.  Seine  wesent-lichen Ergebnisse lauten:

Der  öffentlich-rechtliche  Rundfunk  ist  durch einen  Rundfunkbeitrag  zu  finanzieren,  durch den die Empfänger des Rundfunkangebots zur Finanzierung dieses Rundfunks beitragen.Der  Rundfunkbeitrag  ist  das  Entgelt  nicht  für die  empfangene  Sendung,  sondern  für  das Nutzungsangebot  der  öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.Anknüpfungspunkt für die Beitragspflicht ist die Wohnung und die Betriebsstätte, wo die Men-schen  in einer sozialen Gruppe  (Haushalt, Er-werbsgemeinschaft)  typischerweise  Rundfunk empfangen.Für die Möglichkeit, Rundfunk zu empfangen, wird der Rundfunkbeitrag als Wohnungs- und Betriebsstättenabgabe erhoben.Für jede Wohnung wird ein Beitrag erhoben.Jede  Betriebsstätte  ist  entsprechend  der  An-zahl der dort Beschäftigten beitragspflichtig.

Indiziert  wird  die  Beitragspflicht  also  nicht  mehr durch das Bereithalten eines Rundfunkempfangs-geräts, sondern durch das Bestehen einer Emp-fangsmöglichkeit,  die  in  Wohnungen  und  Be-triebsstätten, aber auch in Kraftfahrzeugen vermu-tet werden darf.

Die Vorteile des Rundfunkbeitrags  liegen auf der Hand: Durch die Abkoppelung vom Gerätebezug wird das Modell des Rundfunkbeitrags von tech-nischen  Entwicklungen  unabhängig  und  führt  zu einer  zukunftssicheren  Finanzierung  der  Anstal-ten. Das neue Modell ist für den Bürger einfacher und transparenter. Es gilt der Grundsatz, dass für 

●●

eine Wohnung nur ein Beitrag zu entrichten ist. Die Ermittlung der Beitragspflichtigen wird durch den Rückgriff auf Daten aus dem Einwohnermeldewe-sen  und  aus  öffentlichen  Registern  vereinfacht. Vielfach kann deshalb auch die Tätigkeit der Ge-bührenbeauftragten  entfallen.  Kontrollen  enden vor der Haustür.

Mit der Einführung des Rundfunkbeitrags in seiner konkreten  Ausgestaltung  im  Rundfunkbeitrags-staatsvertrag gehen wesentliche Entlastungen der Beitragspflichtigen einher. So gibt es  im privaten Bereich  regelmäßig  keine  Zahlungspflicht  für Zweit- oder Drittgeräte mehr. Familien mit Kindern mit  eigenem  Einkommen  im  Haushalt  werden nicht mehrfach herangezogen. Nichteheliche Le-bensgemeinschaften,  Wohnungsgemeinschaften und Mehrpersonenhaushalte  zahlen nur  ein Mal. Eine gesonderte Beitragspflicht  für die berufliche Nutzung in der Wohnung (Arbeitszimmer) entfällt. Allgemein gilt: Für Betriebsstätten, die sich inner-halb einer beitragspflichtigen Wohnung befinden, für die bereits ein Rundfunkbeitrag entrichtet wird, fällt  kein  zusätzlicher  Rundfunkbeitrag  an.  Durch eine  zu  erwartende  verbesserte  Vollzugseffizienz sinkt  die  Quote  der  Schwarzseher  und  -hörer, deren Ausfall bisher von den ehrlichen Gebühren-zahlern auszugleichen war. Dadurch wird die Ab-gabengerechtigkeit verbessert und die Akzeptanz des Rundfunkbeitrags erhöht.

2. Die Ausgestaltung des Rundfunkbeitrags im RundfunkbeitragsstaatsvertragDie Wohnungsabgabe, als welche der Rundfunk-beitrag im privaten Bereich erhoben wird, wird für die  meisten  Gebührenzahler  keine  Veränderung bringen. Denn auch bisher schon war die Rund-funkgebühr  für  die  privaten  Gebührenpflichtigen nach  Art  einer  Wohnungsabgabe  ausgestaltet: Zweit- und Drittgeräte waren – ebenso wie Rund-funkempfangsgeräte in privat genutzten Kraftfahr-zeugen  –  gebührenfrei  und  bleiben  auch  in  Zu-kunft beitragsfrei. Deshalb sieht der Rundfunkbei-

Page 13: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    21

tragsstaatsvertrag  eine  Art  Bestandsüberführung vor  –  wer  bisher  Gebührenpflichtiger  war,  wird auch als Beitragspflichtiger herangezogen. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Entlastungstatbestand geltend gemacht wird, wozu die entsprechenden Tatsachen  der  zuständigen  Landesrundfunkan-stalt  anzuzeigen  sind.  In  Betracht  kommen  vor allem die Fälle, in denen eine Mehrfachgebühren-pflicht, wie oben dargestellt, künftig entfällt. Ände-rungen ergeben sich allerdings für die bisherigen Nur-Hörfunkteilnehmer,  die  nunmehr  zum  vollen Rundfunkbeitrag herangezogen werden, da künf-tig nicht mehr zwischen Hörfunk- und Fernsehteil-nehmern  differenziert  wird.  Änderungen  ergeben sich auch für finanziell leistungsfähige Behinderte (Ausnahme:  taubblinde  Menschen),  die  bislang gebührenbefreit waren und die künftig mit einem Drittelbeitrag  herangezogen  werden.  Diese  Ein-nahmen sollen zur Finanzierung barrierefreier An-gebote genutzt werden,

Größere Änderungen ergeben sich im nicht priva-ten Bereich durch die Einführung des Rundfunk-beitrags  als  Betriebsstättenangabe,  deren  Höhe nach Maßgabe der Anzahl der in der Betriebsstät-te  sozialversicherungspflichtig  Beschäftigten  (mit Ausnahme der Auszubildenden) und nicht mehr – wie bisher – nach der Anzahl der bereitgehaltenen Rundfunkempfangsgeräte  bemessen  wird.  Der Staatsvertrag  sieht  insoweit  eine  Staffelregelung vor, bei der  für eine Betriebsstätte auf der ersten Stufe  (bis zu acht Beschäftigte) ein Drittelbeitrag und auf der zweiten Stufe (neun bis 19 Beschäf-tigte) ein voller Rundfunkbeitrag erhoben wird. Die Staffel setzt sich dann  fort bis zu Betriebsstätten mit einer Mitarbeiterzahl von 20 000 Beschäftigten und mehr, für die 150 Beiträge erhoben werden.

Den  Bedenken  der  Wirtschaftsverbände,  die unzumutbare Belastungen für Klein- und Mittelbe-triebe, insbesondere Handwerksbetriebe, befürch-tet  hatten,  ist  im  Gesetzgebungsverfahren  nach-gekommen  worden.  So  wurden  die  beiden  Ein-

gangsstufen  der  Beitragsstaffel  ausgeweitet  (die erste von ursprünglich bis zu vier auf nunmehr bis zu  acht  Beschäftigte,  die  zweite  Stufe  von  ur-sprünglich bis zu 14 auf bis zu 19 Beschäftigte). Beide Stufen zusammen erfassen nunmehr über 90 Prozent aller Betriebe und tragen deren Situati-on durch eine moderate Beitragsbelastung Rech-nung.  Entlastet  werden  wohl  auch  grundsätzlich Betriebsstätten  des  Beherbergungsgewerbes durch einen auf ein Drittel des Rundfunkbeitrags ermäßigten  Satz  für  jedes  Hotel-  und  Gästezim-mer  und  für  jede  Ferienwohnung  zur  vorüberge-henden entgeltlichen Beherbergung ab der zwei-ten  Raumeinheit.  Darüber  hinaus  haben  eine Reihe  von  gemeinnützigen  Einrichtungen,  Schu-len und Hochschulen, Feuerwehr und Polizei, die bisher  nach  der  Zahl  der  Geräte  veranschlagt wurden,  künftig  nur  noch  einen  Beitrag  zu bezahlen.

Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag sieht  im nicht privaten Bereich auch eine Beitragspflicht für ge-werblich  genutzte  Kraftfahrzeuge  vor,  die  aller-dings auf jeweils ein Drittel des Rundfunkbeitrags beschränkt ist; zudem ist jeweils ein Kraftfahrzeug für  jede  beitragspflichtige  Betriebsstätte  vom Rundfunkbeitrag ausgenommen. Auch diese Re-gelung entlastet eine Vielzahl von kleineren Betrie-ben  und  Filialbetrieben  gegenüber  dem  Status Quo.

Anders als im privaten Bereich kann die Heranzie-hung der Betriebsstätteninhaber zur Beitragszah-lung nicht einfach dadurch erfolgen, dass man an die  bestehende  Gebührenpflicht  anknüpft:  War bislang  die  Zahl  der  Empfangsgeräte  maßgeb-licher Bestimmungsfaktor  für die Gebührenhöhe, so ist die Beitragshöhe künftig nach Maßgabe der in der Betriebsstätte Beschäftigten zu bestimmen. Aus diesem Grunde hat der Staatsvertragsgesetz-geber eine Auskunftspflicht für die Betriebsstätten vorgesehen,  von der auch schon  im Jahre 2012 Gebrauch gemacht werden kann und muss.

Modellwechsel in der Rundfunkfinanzierung

Page 14: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch22    I

3. Die Wahrung des DatenschutzesBereits  im  Gesetzgebungsverfahren  wurden  von Seiten einiger Datenschutzbeauftragter Bedenken dagegen formuliert, dass mit der Einführung des Rundfunkbeitrags  umfangreiche  Daten  erhoben und gespeichert würden, was mit dem Grundsatz der  Verhältnismäßigkeit  und  der  Datensparsam-keit  nicht  vereinbar  sei.  Die  Rundfunkanstalten haben  daraufhin  den  ehemaligen  Bundesdaten-schutzbeauftragten Professor Hans Peter Bull mit einem Gutachten beauftragt, das die verfassungs- und  datenschutzrechtlichen  Verfahrensanforde-rungen darlegen sollte. 

Das  Gutachten  bestätigte  die  im  seinerzeitigen Staatsvertragsentwurf  enthaltenen  Datenschutz-vorkehrungen als verfassungsgemäß. Gleichwohl hat  der  Gesetzgeber  weitere  Regelungen  aufge-nommen, die den Datenschutz über das hiernach gebotene Maß hinaus verstärken.

Von  Bedeutung  für  die  Vollzugseffizienz  ist  ein einmaliger  Abgleich  aller  Einwohnermeldedaten, der  innerhalb  von  zwei  Jahren  nach  Inkrafttreten des  Gesetzes  durchgeführt  werden  soll.  Dieser Zeitraum wird benötigt, um die in über 2 000 Ein-wohnermeldeämtern  dezentral  gespeicherten Daten,  aus  denen  für  die  Beitragsheranziehung relevante  Daten  gewonnen  werden  können,  mit den  bereits  vorhandenen  Daten  der  Gebühren-zahler abzugleichen. Auf diese Weise können Bei-tragspflichtige  ermittelt  werden,  die  sich  bisher ihrer Zahlungspflicht entzogen haben.

Daneben wird es aber auch weiterhin erforderlich sein,  Daten  aus  anderen  Quellen  zum  Abgleich heranzuziehen, um Lücken, die bekanntermaßen das  Einwohnermeldewesen  aufweist,  verlässlich schließen zu können. Während der Durchführung des  einmaligen  Einwohnermeldedatenabgleichs (2013  bis  Ende  2014)  sollen  allerdings  keine Adressdaten privater Personen angekauft werden dürfen.

Im Übrigen gelten für die Verarbeitung und Spei-cherung  aller  zur  Beitragserhebung  ermittelten Daten  strenge  gesetzliche  Zweckbestimmungen und  Löschungsfristen.  Sie  sollen  sicherstellen, dass  der  Datenschutz  bei  der  Beitragserhebung auf dem bei der GEZ vorhandenen hohen Schutz-niveau auch künftig gewährleistet bleibt.

4. Modellwechsel unter Wahrung von BeitragsstabilitätVon politischer Seite wurde im Laufe des Gesetz-gebungsverfahrens  wiederholt  betont,  dass  zum Modellwechsel aus Akzeptanzgründen keine Bei-tragserhöhung  stattfinden  dürfe.  Gleichzeitig wurde versichert, dass das turnusmäßig durchzu-führende Verfahren zur Ermittlung des Finanzbe-darfs der Rundfunkanstalten durch die unabhän-gige  Kommission  KEF,  das  alle  vier  Jahre  (und damit  zum  Zeitpunkt  des  Modellwechsels  2013) mit  einem  weitgehend  bindenden  Vorschlag  zur Beitragsanpassung abschließt,  aus Verfassungs-gründen  nicht  außer  Kraft  gesetzt  werden  dürfe. Um dennoch das Ziel einer Beitragsstabilität zum Zeitpunkt  des  Inkrafttretens  des  Rundfunkbei-tragsstaatsvertrags zum 1. Januar 2013 zu errei-chen, werden sich die Rundfunkanstalten um eine maßvolle Anmeldung  ihres Finanzbedarfs  im an-stehenden  KEF-Verfahren  bemühen.  Die  KEF  ih-rerseits  kann  angesichts  der  Unsicherheiten,  die bei der Ertragsprognose für den Rundfunkbeitrag bestehen, einen Spielraum möglicher unterschied-licher  Ertragsschätzungen  nutzen  und  wider  Er-warten eintretende Unterdeckungen in den ersten beiden Jahren nach dem Modellwechsel in ihrem nächsten Bericht korrigieren.

5. Weiteres VerfahrenDer  Rundfunkbeitragsstaatsvertrag,  der  den  be-stehenden Rundfunkgebührenstaatsvertrag ablö-sen  wird,  ist  eingebettet  in  ein  Vertragswerk,  in dem auch andere Staatsverträge an den Modell-wechsel  angepasst  werden.  Dieser  so  genannte Fünfzehnte  Rundfunkänderungsstaatsvertrag  ist 

Page 15: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    23

im  Dezember  2010  von  den  Ministerpräsiden-tinnen und Ministerpräsidenten aller Länder unter-zeichnet  worden  und  bedarf  nunmehr  der  Ratifi-zierung  durch  alle  Länderparlamente.  Deren  Zu-stimmung  muss  bis  zum  31.  Dezember  2011 vorliegen,  damit  ein  Inkrafttreten  zum  1.  Januar 2013 erfolgen kann.

6. FazitEinfach,  transparent,  effizient,  gerecht  –  mit  die-sen Attributen zeichnet sich der Rundfunkbeitrag gegenüber  der  bisherigen  Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus. Erwartet werden darf darüber hinaus eine deutlich verbes-serte  Vollzugseffizienz und, daraus  folgend,  eine erhöhte Abgabengerechtigkeit. Es gilt nun, diese 

Ergebnisse einer Neuordnung der Rundfunkfinan-zierung  breit  zu  kommunizieren  und  damit  dem Rundfunkbeitrag  zu  allgemeiner  Akzeptanz  zu verhelfen. Zwar wird die Anerkennung des öffent-lich-rechtlichen  Rundfunks  in  erster  Linie  durch ein vielfältiges und qualitativ hochstehendes, auf die Bedürfnisse der Nutzer ausgerichtetes Ange-bot zu gewinnen sein. Doch bedarf auch die Her-anziehung  der  Bürger  zur  Finanzierung  ihres Rundfunks  der  kommunikativen  Vermittlung,  die durch  den  Modellwechsel  wesentlich  erleichtert wird.  Insgesamt  steht  deshalb  der  Rundfunkbei-trag  für  eine  zukunftssichere  Finanzierung,  auf deren  Grundlage  ARD  und  ZDF  ihrem  Funkti-onsauftrag im Dienste der Gesellschaft nachkom-men können.

Modellwechsel in der Rundfunkfinanzierung

Page 16: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL
Page 17: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

Die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika

Page 18: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch26    I

Die erste Fußball-Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent stellte das ZDF und den WM-Programmchef Christoh Hamm vor enorme logistische, technische und strate-gische Herausforderungen. Wie diese ange-gangen und gemeistert wurden, erläutert er selbst auf den folgenden Seiten.

Die große Fußballwelt zu Gast in Südafrika – erst-mals ein Sportgroßereignis auf dem afrikanischen Kontinent.  »Können  die  das?«,  war  die  am  häu-figsten gestellte Frage vor dem ersten Anstoß am 11.  Juni  2010.  Sie  konnten –  wir  konnten;  ein Mammutprojekt auch  für das ZDF-WM-Team, mit vielen Unbekannten und großen Anstrengungen.

Am  Anfang  stand  die  übliche  Frage:  »Was  ma-chen  wir?«.  Zum  einen  waren  da  die  großen  Er-folge  der  ZDF-Übertragungen  aus  dem  Sony-Center  in  Berlin  2006  (Deutscher  Fernsehpreis) und  zuletzt  von  der  Seebühne  in  Bregenz  2008. Zum anderen lag die WM in einem zwar faszinie-renden  Land  vor  uns,  aber  in  einem  Land  mit hoher  Kriminalitätsrate,  schwieriger  Infrastruktur und  in  technischer  Hinsicht  von  einem  Kollegen als »Fernsehbrachland« bezeichnet.

Die historische, politische und sportliche Dimensi-on der ersten Fußball-WM auf dem afrikanischen Kontinent  war  für  uns  als  öffentlich-rechtlicher Sender alternativlos: Wir wollten aus dem Gastge-berland senden, nah dran sein an den Menschen, Emotionen, Traditionen und am Sport.

Aufgrund der Gegebenheiten  in Südafrika wuchs die Organisation der ZDF-Übertragungen zu einer außergewöhnlichen  Herausforderung  in  den  Be-reichen  Sicherheit,  Logistik,  Reisen  und  Unter-künfte. Hinzu kam die technische Premiere, einen 

solchen  Event  in  HD-Qualität  zu  senden.  Dieser Gemengelage geschuldet, aber auch um kosten-ökonomische  Synergien  erzielen  zu  können,  ar-beiteten  wir  in  allen  Aufgabengebieten  sehr  viel enger mit der ARD zusammen als bei den zurück-liegenden großen Fußballturnieren.

Kern des vielschichtigen ZDF-Programmkonzepts bildeten  die  vier  wesentlichen  inhaltlichen  As-pekte: Die Spiele, die deutsche Mannschaft, das Gastgeberland Südafrika und die WM-Stimmung in Deutschland.

Den  Mittelpunkt  der  Übertragungen  stellte  das »Match of the Day« dar. Präsentiert aus dem jewei-ligen Stadion durch das »ZDF-Paar« Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn. Sie, die erste Frau im deutschen Fernsehen an dieser prominenten Stel-le,  vor  20  bis  30  Millionen  Zuschauern,  in  einer Männerdomäne. Er, der Torwart-Titan, authentisch, eloquent und kompetent auf der Bühne, auf der er einst  als  Aktiver  agiert  hatte.  Dieses  Duo  ent-wickelte sich zum unterhaltsamen, witzigen, aber auch sehr kompetenten Team. Sowohl in den be-gleitenden  Medien  als  auch  beim  Publikum  er-fuhren  Katrin  Müller-Hohenstein  und  Oliver  Kahn eine sehr positive Resonanz. Hinter diesen Auftrit-ten  in den diversen Stadien und Städten steckte eine  ausgeklügelte  Organisation  der  Reisen,  der Technik und bezüglich der Sicherheit

Für den Zuschauer nachvollziehbar, war – bei bis zu drei Spielen pro Tag – die zusätzliche Modera-tionsposition  im »International Broadcast Center« (IBC) durch einen  lockeren, sympathischen Rudi Cerne, der die übrigen Begegnungen begleitete. Das Studio war ein schönes Beispiel für das enge Miteinander zwischen ARD und ZDF. Durch unter-schiedliche Lichtstimmungen und ein paar weni-

Die erste Fußball-WM auf dem afrikanischen KontinentFaszination und Herausforderung

Christoph HammProgrammchef FIFA Fußball-WM 2010 in Südafrika;  Stellvertretender Leiter der  Hauptredaktion Sport

Page 19: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    27Die erste Fußball-WM auf dem afrikanischen Kontinent

ge, unterschiedliche Deko-Elemente konnte diese Präsentationsfläche gemeinsam genutzt werden.

Michael  Steinbrecher,  das  ZDF-Gesicht  bei  der Nationalmannschaft,  berichtete  aus  dem  deut-schen Quartier nahe Pretoria und analysierte die deutschen  Spiele  im  Interview  mit  Bundestrainer Joachim Löw. Vor und nach den Spielen schilderten ZDF-Reporter aus aller Welt die Stimmung in den Städten  der  beteiligten  Nationen.  Dabei  bildete Deutschland  den  regelmäßigen  Schwerpunkt  in allen unseren Übertragungen. Martin Leutke mel-dete  sich  aus  Berlin,  Hamburg  und  weiteren Städten.

Trotz  des  engen  organisatorischen  Zusammen-spiels mit der ARD war es uns wichtig, einige ex-klusive  Elemente  zu  entwickeln,  die  deutlich  zur Programmqualität beitrugen:

3D-Analyse: Spielzüge und  -situationen sowie taktische Elemente  konnten mithilfe moderns-ter Computertechnik erklärt werden – regelmä-ßig in einem Beitrag vor dem Spiel und danach in der Analyse bei Oliver Kahn.Jo-Ann Strauss: Die ehemalige Miss Südafrika und  heutige  TV-Moderatorin  erzählte  in  ihren On-Reportagen sympathisch, authentisch und liebenswert  Geschichten  aus  ihrer  Heimat, wobei  die  Glamourwelt,  aber  auch  Traditio-nelles  ebenso  wie  das  arme  Südafrika vorkamen.Der Fanexperte: Ein Experiment, eine Innovati-on  im  deutschen  Fernsehen.  Dennis  Wiese, der  aus  einem  Casting  hervorgegangen  war, erwies sich als ein würdiger Vertreter der deut-schen Fußballfans  in Südafrika. Dabei füllte er seine Rolle einmal als atmosphärischer Bericht-erstatter sowie als Übermittler der Fanmeinung per  Internetvotings  in  einem  hohen  Maß  an Professionalität aus.ZDF-Schiedsrichterexperte Urs Meier: Die man-nigfaltigen  Diskussionen  um  Schiedsrichter-

leistungen zeigten einmal mehr, dass ein kom-petenter  und  in  der  Aussage  deutlicher Schiedsrichterexperte  unerlässlich  geworden ist. In Urs Meier hatte das ZDF den Besten sei-ner Zunft, dazu sympathisch und mit sicherem Auftreten.WM-Splitter:  Der  letzte  Beitrag  des  Sende-tages, mit leichter Hand gemacht, ein einzigar-tiges ZDF-Element.

Insgesamt  zeichneten  sich  die  ZDF-Übertra-gungen  durch  Kompetenz,  eine  moderne  Bild-sprache sowie eine frische und innovative Mach-art  aus. Dabei haben wir  auf eine ausgewogene Mischung zwischen sportlichen, hintergründigen, nachdenklichen und  leichten Beiträgen geachtet. Dazu  gab  es  eine  klare  Gesamtausrichtung  mit einer  auffälligen  strategischen  Verpackung,  die dem  Zuschauer  ein  stringentes,  modernes,  ein-heitliches Gesamtbild vermittelte.

In  enger  technischer  und  redaktioneller  Verzah-nung mit den Kollegen der Aktualität, die im ZDF-Studio  Johannesburg  ihre  Basis  hatten,  flossen auch die politisch und gesellschaftspolitisch rele-vanten Themen ein, ganz im öffentlich-rechtlichen Sinne. Zudem standen Ariane Vuckovic und Axel Storm als Schaltpartner in verschiedenen südafri-kanischen  Städten  zur  Verfügung.  Diese  beglei-tende Berichterstattung wurde, wie bereits bei der WM 2006 und der EM 2008 über das Koordinati-onszentrum  »Strafraum«  im  Sendezentrum  in Mainz gesteuert. Hierdurch wurde ein sehr aktu-eller,  schnell  reagierender  Informationsfluss  ge-währleistet, und als Nebeneffekt konnten effizient Ressourcen gemeinsam genutzt werden.

ZDFonline  hatte  nie  zuvor  einen  solch  reichhal-tigen  Rechteumfang,  der,  konsequent  und  um-fänglich  genutzt,  zu  einem  großen  Erfolg  des ZDF-Internetauftritts  führte.  So  wurden  alle  ZDF-Spiele  im  Livestream  angeboten,  dabei  durch-schnittlich 87 962 Sichtungen erzielt. Der Spitzen-

Page 20: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch28    I

wert  aller  Livestreams  zur  Fußball-Weltmeister-schaft wird mit 191 724 Sichtungen während des Viertelfinales Argentinien gegen Deutschland am 3. Juli 2010 erzielt.

Die  Livestream-Nutzung  bei  dieser  WM  war  so hoch wie nie zuvor. Alle Anbieter stießen an tech-nische Grenzen. Beim ZDF war diese Grenze trotz umfangreicher Vorbereitung beim Spiel Deutsch-land gegen Serbien am 18. Juni erreicht: Aufgrund der  hohen  Zahl  der  gleichzeitigen  Zugriffe  beim Anstoß brach der Livestream ab. Eine halbe Stun-de vor Spielende konnten die Zuschauer das Spiel auch wieder im Internet verfolgen. Das Livestrea-ming der weiteren Spiele verlief ohne Ausfälle. Alle Abrufvideos zur WM erzielten vom 1. Juni bis 18. Juli  2010  insgesamt  4,83  Millionen  Sichtungen. Zum Vergleich: Zur Fußball-EM 2008 waren es im Juni 2008 insgesamt 1,17 Millionen Sichtungen.

Neben den Videos und dem WM-Blog lieferte das Onlineangebot eine Rundumversorgung mit Live-Ticker,  Statistiken  und  WM-Kurzmeldungen  auf allen  drei  Plattformen  (zdf.de/heute.de/sport.zdf.de),  mit  Hintergründen  aus  Südafrika,  Berichten zur  deutschen  Nationalmanschaft  und  einer  um-gebauten Mediathek, um das vielfältige Video-An-gebot präsentieren zu können.

35,9  Millionen  Visits  erreichten  die  Onlineange-bote des ZDF, das entspricht einem Plus von fast 

50 Prozent  im Vergleich zu den Monaten vor der WM  und  ist  der  beste  Vierwochenwert  des  ZDF überhaupt.

Das  Zuschauerpotenzial  war  mit  61,88  Millionen insgesamt  so  hoch  wie  nie  (2006:  61,48  Millio-nen).  Im Schnitt  sahen 7,66 Millionen Zuschauer (38,4 Prozent Marktanteil) die Übertragungen der Fußball-WM  2010,  10,85  Millionen  (48,2  Prozent Marktanteil) die Spiele. Bei den Begegnungen mit deutscher  Beteiligung  war  ein  deutlicher  Anstieg des Zuschauerinteresses im Vergleich zu 2006 zu verzeichnen.

Die  WM-Spiele  im  ZDF  sahen  im  Schnitt  11,37 Millionen  (durchschnittlich 51,3 Prozent Marktan-teil). Damit erreichte das ZDF im Schnitt die meis-ten  Zuschauer.  Mit  dem  Halbfinale  Deutschland gegen Spanien stellte die ARD mit 31,1 Millionen Zuschauern  einen  neuen  Rekord  auf.  Dem  ZDF gelang  mit  dem  Viertelfinale  Argentinien  gegen Deutschland mit einem Marktanteil von 89 Prozent Zuschauern  (26,01  Millionen)  eine  neue Bestmarke.

Während das ZDF mit durchschnittlich 8,45 Millio-nen  Zuschauerinnen  und  Zuschauern  (41,7  Pro-zent  Marktanteil)  und  RTL  mit  durchschnittlich 6,46 Millionen Zuschauern (25,8 Prozent Marktan-teil)  insgesamt  eine  höhere  Sehbeteiligung  als 2006  aufweisen  konnten,  sank  die  durchschnitt-liche Sehbeteiligung bei der ARD (durchschnittlich 7,4 Millionen; 40,8 Prozent Marktanteil). Beim ZDF war  der  Anstieg  vor  allem  auf  höhere  Werte  bei den Spielen ohne deutsche Beteiligung sowie auf die  besser  eingeschaltete  Berichterstattung,  ins-besondere der Analyse nach den Spielen, zurück-zuführen.  In  der  Presse  wurden  die  programm-lichen  Hervorbringungen  des  ZDF  durchweg  als abwechslungsreich,  kurzweilig  und  kompetent gelobt, insbesondere die 3D-Analysen fanden An-erkennung. Die positive Entwicklung des ZDF-Ex-perten  Oliver  Kahn  fand  in  der  Chronologie  der 

Katrin Müller-Hohenstein, Dennis Wiese und Oliver Kahn

Page 21: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    29

Berichterstattung ihren Niederschlag. In der zwei-ten  Hälfte  der  WM  wurde  ihm  Lockerheit,  Witz, Eloquenz und Kompetenz bescheinigt. So wurde Oliver Kahn  in einem Artikel als der  »echte neue Netzer« bezeichnet.

In einer repräsentativen Umfrage haben ZDF- und ARD-Medienforschung  eine  Imagebewertung durchgeführt. Hierbei schnitt das ZDF am besten ab. 73 Prozent der Befragten bewerteten die Sen-dungen mit »sehr gut« oder »gut«. Dies entspricht einem  Notenschnitt  von  2,2  (Schulnotensystem). Die  ARD  folgte  knapp  dahinter  mit  71  Prozent »sehr gut« und »gut« und kommt damit ebenfalls auf einen Schnitt von 2,2. Sky ging mit 2,3 in die Wertung ein, RTL landete abgeschlagen mit einer Note von 2,5 auf dem letzten Platz. 

Umso  verwunderter  waren  die  Kollegen  sender-übergreifend  bei  der  Verleihung  des  deutschen 

Fernsehpreises 2010. RTL war aus Sicht der Jury wohl »mal dran«.

Unser Fazit jedenfalls ist positiv. Wir sind gemein-sam mit den Kollegen der ARD ein gewisses Risi-ko  eingegangen,  aus  Südafrika  zu  senden.  Was bei den erheblichen Anstrengungen von Produkti-on,  Technik,  Internationalen  Angelegenheiten, ZDFonline und der Hauptredaktion Sport heraus-gekommen ist, muss keinen Vergleich scheuen.

Die FIFA Fußball-WM im Zweiten war das farben-frohe und emotionale Ereignis, wie wir es uns vor-gestellt  hatten.  Modern  verpackt,  umfangreich, stimmungsvoll, charmant und zuschauernah prä-sentiert,  crossmedial  im  TV  und  Onlinebereich richtungweisend  genutzt  und,  was  den  Verant-wortlichen aus den verschiedenen Bereichen das Wichtigste war: Alles ist friedlich abgelaufen, nie-mand ist zu persönlichem Schaden gekommen!

Die erste Fußball-WM auf dem afrikanischen Kontinent

Page 22: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch30    I

Jo-Ann Strauss verstärkte die ZDF-WM-Be-richterstattung im Sommer 2010. Die gebür-tige Kapstädterin und ehemalige Miss Süd-afrika moderiert in ihrer Heimat TV-Shows, Events und Galas. Den ZDF-Zuschauern prä-sentierte sie ihr Land aus persönlicher Sicht.

Meine Fußball-WMIch  konnte  es  nicht  glauben:  Nach  Jahren  der Vorbereitung  und  Aufregung  fand  die  Fußball-Weltmeisterschaft  in  Südafrika  statt  –  und  ehe man sich versah, war sie auch schon wieder vor-bei. Heute  ist dieser ganz besondere Monat nur noch eine Erinnerung. Alles ging so schnell, dass viele Südafrikaner das Gefühl haben, dass sie die Aufregung gar nicht richtig genießen konnten. Ich schaue  mir  die  Geschichten  an,  die  ein  tolles Team und ich für das ZDF gedreht haben, und mir wird klar: Es war eine fantastische Zeit. Die Reisen durch das ganze Land und all  die  interessanten Menschen,  die  wir  den  Zuschauern  vorgestellt haben,  dies  war  ein  besonderes  Erlebnis  für mich.

Das  begann  schon  im  Dezember  2009  mit  der Auslosung  der  Gruppenspiele.  Es  war  ein  ganz besonderer Moment zu sehen, wie die Südafrika-ner  bereit  waren,  sich  und  ihre  Gäste  zu  feiern. Unsere Demokratie war gerade mal 15 Jahre alt, und wir wollten der Welt zeigen, dass es auch Po-sitives  aus  unserem  Land  zu  berichten  gibt.  Si-cherlich, es gibt Probleme  in Südafrika. Aber die gibt  es überall  auf der Welt. Das Einmalige, das wir haben,  ist der Geist von »Ubuntu«  in unseren Bevölkerungsgruppen. Wir sagen »Umntu ngumtu ngabantu«,  was  übersetzt  heißt:  »Ein  Mensch  ist ein Mensch, weil es die anderen gibt«. Und in den vier  Wochen  zwischen  Mitte  Juni  und  Mitte  Juli konnte die Welt sehen, dass ein Land, dem man bis wenige Monate zuvor nicht zugetraut hatte, die größte Sportveranstaltung der Welt  zu organisie-ren,  ein  wunderbarer  Gastgeber  war  –  ja,  sogar eine der besten Fußball-Weltmeisterschaften aller 

Zeiten auf die Beine gestellt hat. Es hat mich be-rührt  zu  sehen,  wie  meine  Mannschaft  »Bafana Bafana« die Herzen der ganzen Nation gewonnen hat – mit einem Sport, der bis dahin nur von einem Teil der Menschen  in unserer Regenbogennation unterstützt wurde. Und natürlich haben wir die Er-folge des Teams aus Deutschland, meiner zweiten Heimat, gefeiert.

Durch die Mitarbeit beim ZDF hatte ich die Mög-lichkeit,  mitten  im  Geschehen  zu  sein.  Mit »meinem«  ZDF-Team  bin  ich  durch  das  ganze wunderbare  Land  von  Süden  nach  Norden,  von Osten nach Westen gereist.  Ich wollte den deut-schen  Zuschauern  das  Südafrika  zeigen,  das kaum ein Besucher verlässt, ohne ein Stück sei-nes Herzens hier verloren zu haben. Aber selbst ich  war  überwältigt  von  der  Vielfalt  unserer  Kul-turen und Menschen. Ich habe mit Zulus getanzt, den  Geburtsort  Nelson  Mandelas  im  fast  unbe-rührten  Ost-Kap  besucht  –  eine  Ehre,  die  nicht vielen  zuteil  wird  –  und  habe  viele  unbekannte Helden in unserem geliebten »Mzantsi« gesehen, die versuchen, die Welt für alle zu verbessern.

Es ist nicht einfach, ein Land mit so vielen Unter-schieden in oft nur wenigen Minuten vorzustellen. Wir  haben  meine  Universität  in  Stellenbosch  be-sucht, das Leben der Schönen und Reichen ge-zeigt,  genauso  wie  die  Situation  der  Menschen, die  ihr  Leben  damit  verbringen,  den  Armen  im Land zu helfen.

Was  mich  berührt  hat,  war  die  Reaktion  der Zuschauer  aus  Deutschland,  der  Schweiz  und Österreich.  Die  vielen  E-Mails,  die  ich  von  Men-schen bekommen habe, die helfen wollen. Diese Zuschriften haben mir klar gemacht, dass die Welt wirklich ein »Global Village« ist und dass das süd-afrikanische  Motto  »Ein  Mensch  ist  ein  Mensch, weil es die anderen gibt« eigentlich für die ganze Welt gilt.

Jo-Ann Strauss

Jo-Ann Strauss

Page 23: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    31

Premiere in der WM-Berichterstattung: Den-nis Wiese aus Berlin fuhr als erster ZDF-Fan-Experte zur Fußball-Weltmeisterschaft nach Südafrika. Der 26-jährige Student konnte sich beim Casting gegen die Mitbewerber durch-setzen und kommentierte das Turnier aus Sicht der Fans.

» … Also, wir haben uns entschieden, dass Den-nis Wiese mit uns nach Südafrika geht!«. Da war er nun, der Ritterschlag, das Wechselbad der Ge-fühle – für mich als Fußballfan perfekt. Sechs Tage zuvor war Hertha BSC, mein Verein, in die Zweite Liga abgestiegen und jetzt, an einem Freitagnach-mittag auf dem Flur des ZDF-Hauptstadtstudios, wo  ein  provisorisches  Casting-Setting  aufgebaut war, sprach Oliver Kahn ebenjenen Satz. Fußball-Legende, Idol – und für viereinhalb Wochen mein Kollege.  Ich  war  der  frisch  gebackene  ZDF-Fan-Experte, der aus Sicht der Fans bei und von der Fußball-Weltmeisterschaft  in  Südafrika  berichten durfte.

Den Eingangssatz begründete die Jury später mit Fußballfachwissen,  Spontaneität,  der  Fähigkeit, offen und direkt auf Menschen zuzugehen und in etwa dem, was man als »Berliner Schnauze« be-zeichnen könnte.

Mit diesen Tugenden und einer Extraportion Neu-gier ausgestattet, ging es für mich am 9. Juni also nach  Südafrika.  Eine  Mini-DV-Kamera  und  ZDF-Sportredakteur  Daniel  Wever  waren  in  der  Folge meine  treuesten  Begleiter,  mit  denen  ich  mich auch sehr schnell angefreundet hatte.

Meine  Aufgaben  in  Südafrika  waren  zweierlei: Zum  einen  war  ich  stellvertretend  für  alle  deut-schen  Fußballfans  vor  Ort,  habe  über  den  On-

lineblog  auf  www.sport.zdf.de  und  über  das  neu geschaffene  Fußballforum  www.fanorakel.de  den Kontakt  mit  den  »Fankollegen«  in  der  Heimat  gehalten  und  diese  Meinungen  dann  gebündelt im  Studio  an  der  Seite  von  Katrin  Müller-Hohen-stein  und  Oliver  Kahn  vertreten.  Zum  anderen habe ich meine Erfahrungen und Erlebnisse rund um  die  Fußball-WM  in  einem  Videotagebuch  auf sport.zdf.de  festgehalten. Bei meinen Streifzügen mit der Kamera sollte dabei so manche exotische Begegnung herauskommen:

In einem Tierpark in Bloemfontein traf ich (wohlge-merkt,  ohne  Zaun)  auf  zweijährige,  fast  ausge-wachsene Löwen,  im Fitnessraum der Hotelanla-ge  in Johannesburg standen plötzlich Trainer-Ur-gestein  Bora  Milutinovic  und  der,  von  der  Frisur löwenähnliche, am Ball aber einst virtuose Kolum-bianer Carlos Valderrama vor mir. So viel zu den faszinierenden Randerscheinungen.

Im  Mittelpunkt  stand  selbstverständlich  der  rol-lende Ball. Und am 13. Juni war es dann soweit: Deutschland  gegen  Australien  in  Durban,  mein erstes WM-Spiel. 90 Minuten vom Vuvuzela-Getrö-te  untermalte  Gänsehaut,  die  Herren  Podolski, Klose,  Müller  und  Cacau  sorgten  für  das  Zähl-bare –  ein  Auftakt  nach  Maß.  Nach  dem  Abpfiff schnell  in  die  Maske  und  dann  der  erste  Auftritt vor einem Millionenpublikum: »Man sollte die Vu-vuzelas  verbieten«,  sagten  66  Prozent  der  deut-schen  Fans;  »Miroslav  Klose  als  einzige  Spitze einzusetzen,  war  die  richtige  Entscheidung«,  ur-teilten 81 Prozent.

Der Ball  rollte – und wir Fans diskutierten.  In der nächsten Zeit wurden Trainerentscheidungen hin-terfragt, die Schiedsrichter unter die Lupe genom-men, das Turnier bewertet und so weiter. Auf der 

Als Fan-Reporter in Südafrika

Als Fan-Reporter in SüdafrikaErfahrungen eines Fußballbegeisterten

Dennis WieseFan-Experte bei der Fußball-Welt-meisterschaft in Südafrika

Page 24: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch32    I

Suche nach einem Spitznamen  für die deutsche Nationalmannschaft  beispielsweise  entschied sich  ein  Großteil  von  über  1.200  Usern  des  On-lineblogs innerhalb weniger Tage für die »Adler«.

Spannende  Fußballthemen  und  immer  wieder Fußballfeste,  die  ich  live  vor  Ort  mitverfolgen konnte.  4:1  gegen  England,  4:0  gegen  Argenti-nien –  Spiele  der  Kategorie:  »Davon  erzähle  ich meinen Enkelkindern«.

Tolle  Geschichten  mit  Fans  aus  aller  Welt:  Zwei befreundete  Anhänger  aus  Deutschland  und  Ar-gentinien, die sich zu jeder Weltmeisterschaft tref-fen, oder die deutsche Studenten-WG in Port Eli-zabeth, die das Wohnzimmer in einen kleinen He-xenkessel verwandelt, rundeten die unglaublichen Eindrücke ab. Auch das  faszinierende Südafrika, mit  all  seinen  Spannungen  und  für  uns  unge-wohnten  Lebensweisen,  verstärkte  die  Flut  der Eindrücke.

Und  »ganz  nebenbei«  war  ich  Teil  der  Berichter-stattung  von  einem  der  größten  Sportereignisse überhaupt.  Unter  »normalen  Umständen«  hätte ich diese vier Wochen Fußball-WM garantiert ab-wechselnd  auf  der  heimischen  Couch  und  beim 

Public Viewing auf der Berliner Fanmeile verfolgt (gut,  ein  bisschen  Zeit  hatte  ich  auch  für  meine Linguistik-Magisterarbeit eingeplant).

Es kam bekanntlich anders. Michael Steinbrecher, Béla Réthy und all die anderen, die mein passives Sportlerleben  scheinbar  schon  immer  begleitet haben, waren plötzlich ebenso Fußballbegeisterte auf Augenhöhe. Béla Réthy war es übrigens auch, der bei  einer Nachbesprechung  an meinem Ge-burtstag das Ständchen für mich angestimmt hat. Wer es noch nicht wusste: Singen kann der Mann auch!

Nicht  nur diese  stimmgewaltige Einlage hat  sich dauerhaft  in mein Gedächtnis eingeprägt,  insge-samt möchte ich allen Kollegen und insbesondere meinem  »persönlichen  Betreuer«  Daniel  Wever herzlich  für  die  außergewöhnlichen  Wochen danken.

Diese Zeit hat mir bewiesen, dass mein Kindheits-traum, als Fußballmoderator/-kommentator arbei-ten zu wollen, weiterlebt. Ein Stück des Traums ist in Erfüllung gegangen, jetzt kann es gerne in die Verlängerung  gehen,  auch  für  ein  Elfmeterschie-ßen wäre ich gerüstet!

Page 25: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    33

24 Stunden Programm, zudem noch aus einem fernen Land, in nur fünf Monaten her-stellen. Das geht nur, wenn alle Bereiche des Hauses Hand in Hand arbeiten. Nach anfäng-licher Skepsis hatten alle Beteiligten bald den unbedingten Willen, es möglich zu ma-chen. Dabei entstand ein einmaliger Team-geist, ein »Wir-Gefühl«, das auch noch Mo-nate nach der Ausstrahlung unvergessen ist.

Samstag, 6. Juni, morgens Punkt sechs Uhr: Wir haben  ZDF-Geschichte  geschrieben.  Genau  24 Stunden zuvor hat sie begonnen, die längste Süd-afrika-Reportage aller Zeiten. 1 440 Minuten voller unvergleichbarer Einblicke in das Leben der Men-schen am Kap, in ein Land, das noch immer zwi-schen  Aufbruch  und  Umbruch  steckt,  das  eine schwere  Vergangenheit  hinter  sich  und  eine schwierige Zukunft vor sich hat.

Es ist aber nicht allein die schiere Länge und die inhaltliche  Strahlkraft,  die  das  Projekt  zu  etwas Besonderem  macht.  »24  Stunden  Südafrika«  hat bewiesen,  was  das  ZDF  mit  seinen  Mitarbeite-rinnen  und  Mitarbeitern  leisten  kann,  denn  der Startschuss  fiel  nur  fünf  Monate  vor  dem Sendetermin.

Am  Anfang  standen  Fragen:  Was  wissen  wir,  im Herzen Europas, heute von Südafrika – 16 Jahre nach  Abschaffung  der  Apartheid?  Kennen  wir mehr  als  die  Klischees  aus  der  Tourismuswer-bung?  Mehr  als  Diamanten,  wilde  Tiere,  Garten-route und Soweto? Das Jahr 2010 lenkte mit der Fußball-Weltmeisterschaft  die  Blicke  auf  Südafri-ka,  und  ohne  die  WM  hätten  wir  vermutlich  nie-mals unsere Idee verwirklichen können – die Idee, dieses spannende, wunderbare Land  im Spiegel seiner Menschen einen Tag und eine Nacht  lang zu betrachten.

In  den  ersten  redaktionellen  Sitzungen  wird  ent-schieden,  dass  die  Autoren  möglichst  in  allen Landesteilen unterwegs sein sollen, um ein aus-gewogenes Verhältnis herzustellen zwischen Stadt und  Land,  Arm,  Reich  und  neuer  Mittelschicht, Jung und Alt, Schönheit des Landes und Elend, Kultur und Politik.

Immer  wieder  kommen  neue  Fragen  auf.  Wie kommen  die  Kinder  in  Südafrika  morgens  zur Schule? Richten sich Familien in Kapstadt anders ein als in Johannesburg? Was wird mittags in den Küstengebieten  aufgetischt  und  was  im  Binnen-hochland? Wie weit ist das Land mit der Überwin-

»24 Stunden Südafrika«

Claudia RueteHauptredaktion Politik und Zeitge-schehen, Redaktionsleiterin Dokumentationen/Reportagen

»24 Stunden Südafrika«Ein unvergessliches »Wir-Gefühl«

Peter WagnerKoordinator ZDFinfokanal

Tebogo Ratau, ein 15-jähriger Fußballfan

Das Kernteam: Autoren, Cutter und Redaktion

Page 26: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch34    I

dung  der  jahrzehntelangen  Apartheid?  Welche Vorbehalte  gibt  es  immer  noch,  welche  Hoff-nungen sind erfüllt? Wie sieht das Zusammenle-ben  von  Schwarz  und  Weiß  heute  aus?  Welche Rolle  spielt  die  Kriminalität  im  täglichen  Leben? Und wie kleidet sich eigentlich der südafrikanische Fußballfan?

So kommen nach und nach über 70 Protagonis-ten  ins  Spiel,  die  einen  Querschnitt  Südafrikas darstellen.  Oberstes  Gebot:  Echtzeit.  Und  das bedeutet:  Was  die  Autoren  um  sechs  Uhr  mor-gens filmen, wird um sechs Uhr morgens gesen-det werden, was um zwölf Uhr mittags geschieht, wird auch  im Film um zwölf Uhr mittags  stattfin-den.  Es  müssen  also  Protokolle  geführt  werden. Die Erzählweise: nicht  kommentierend, die Men-schen selbst sollen Einblicke in ihre Sorgen, Nöte und Hoffnungen gewähren.

Zwölf  Reporter,  darunter  neun  Videojournalisten, sind im Frühjahr wochenlang überall  in Südafrika unterwegs, erleben Alltag und Abenteuerliches mit den  Menschen,  die  sie  begleiten.  Die  Nähe  der Autoren zu den Protagonisten prägt den Charak-ter  über  24  Stunden.  Sie  tauchen  intensiv  ein  in das  Leben  vieler  Menschen  in  Südafrika  und geben  einen  einmaligen  Einblick  in  die  wider-sprüchliche Realität des Landes, zu der neben der Freude über den politischen Aufschwung und die Fußball-WM nach wie vor die Angst vor Kriminali-tät und Gewalt gehören.

»24 Stunden« zeigt auch die Probleme dieser jun-gen Demokratie deutlich: immer noch gravierende Rassengegensätze, die bittere Armut vieler Men-schen, die verheerende Ausbreitung von Aids, die Angst vor der Wiederkehr der Apartheid unter um-gekehrten Vorzeichen.

Buelani Futshane betreibt ein Aids-Aufklärungsprojekt für  

Jugendliche in Kapstadt

VJ Birgitta Schülke im WM-Stadion Soccer City in Johannesburg

Robert bildet eine Gruppe junger Ranger aus, die Wilderer fangen 

sollen

Buschmänner in der Kalahari-Wüste

Page 27: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    35

Herz und Seele des Projekts wurde Lukas Schmid, der  Regisseur.  Schmid,  33  Jahre  alt,  Absolvent der Filmhochschule Ludwigsburg, erfahrener Ka-meramann  und  Cutter,  ein  überzeugter  »Freier« mit  schweizerischen  Wurzeln.  Dass  wir  ihn  ge-wonnen  haben,  ist  ein  wahrer  Glücksfall.  Ein  ru-hender Pol, ein kreativer Wirbelwind, ein Vermittler zwischen  den  Welten,  diplomatisch,  bestimmt, verbindlich. Zusammen mit den beiden Redakteu-rinnen Lisa Borgemeister und Andrea Gries bildet Lukas Schmid den harten Kern des Projekts. Alle sind stets erreichbar, steuern die Autoren und sor-tieren die Geschichten.

Mehr als 400 Stunden Drehmaterial kommen zu-sammen –  klar,  dass  die  Organisation  der  Post-produktion  zu  den  größten  Herausforderungen gehört. Das geht nur mit Disziplin und mathema-tischem Geschick. Die Zeit sitzt allen bis zuletzt im 

Nacken:  einer  der  Gründe,  sich  für  eine  unge-wöhnliche Bearbeitungsweise zu entscheiden. Die Autoren müssen  ihr Drehmaterial  auswerten und dann aus den Händen geben. Im Schnitt arbeite-ten  sie  überwiegend  mit  dem  Material  anderer Autoren. Dabei entsteht ganz nebenbei die längs-te Timeline der Welt – Matthias Haedecke berich-tet  in  seinem  Jahrbuch-Beitrag  (S.  37  ff.)  vom »Abenteuer  Schnitt«.  Auch  die  Vermarktung  und die  crossmediale  Begleitung  wird  durch  die  re-daktionelle Zelle in Mainz koordiniert.

ZDFonline  begleitet  die  »24  Stunden  Südafrika«-Dokumentation  mit  einem  interaktiven  Spezial. Der Onlineauftritt orientiert sich an der klaren zeit-lichen  24-Stunden-Struktur.  Der  User  kann  aus-wählen,  welche  Person  er  zu  welcher  Stunde sehen  will,  kann  aus  verschiedenen  Kategorien konkret  auswählen,  Steckbrief-Informationen  zu 

»24 Stunden Südafrika«

Mark Robertson hat ein Krokodil bezwungen, das nun ausgewildert werden soll

VJ Carsten Behrendt mit dem »Eggmann«, der die Touristen in Kapstadt zum Lachen bringt

Fans der Orlando Pirates bei einem Spiel im Stadion

Stefanie Schöneborn filmt die Be-sucher einer Shembe-Zeremonie

Page 28: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch36    I

den  einzelnen  Protagonisten  und  deren  persön-liche  Kommentare  abrufen.  Natürlich  ist  ein  24-stündiger  Livestream  der  Dokumentation  im  An-gebot.  Und  die  24-Stunden-Facebook-Seite  wird zum Forum von 1 500 Fans, die dort am Sendetag mit den Protagonisten und den Machern chatten.

Ein Satz aus unserer Dokumentation hat uns bis heute nicht mehr losgelassen. Thandi Ndlovu hat ihn  formuliert,  eine  imposante  schwarze  Frau  im besten Alter, deren kleiner Bruder 1976 bei Schü-lerunruhen  in  Soweto  erschossen  wurde,  eine Frau, die im Untergrund für den ANC (African Na-tional Congress) kämpfte, die dann Ärztin wurde und heute eine erfolgreiche Bauunternehmerin ist: »Wenn mir jemand 1989, vor der Freilassung Man-

delas, gesagt hätte, dass ich eines Tages ein Un-ternehmen  führe,  in dem ein  junger Weißer  alles überwacht und leitet, so wie ich mir das vorstelle, den  hätte  ich  für  verrückt  erklärt.  Weiß  war  weiß und schwarz war schwarz. Es ist so viel, was wir geschafft  haben  in  einer  so  kurzen  Zeit,  und meine Befürchtung  ist, dass wir nicht genug von der  Hoffnung  erzählen,  die  aus  diesem  Land kommt.«

»24  Stunden  Südafrika«  erzählt  von  dieser  Hoff-nung. Für dieses Projekt sind alle Beteiligten fünf Monate  lang über sich hinausgewachsen. Jeder, der dabei war, weiß, dass er etwas ganz Besonde-res  mitgestalten  durfte.  Eine  Erfahrung  fürs Leben.

Hammerhai im Netz der Shark Boards

Zulu-Junge in traditioneller Kleidung

Gewürzmischung auf dem  Victoria-Markt in Durban

Lifeguard Sithembiso am  Trainingspool in Durban

Strand von Kapstadt bei Sonnenuntergang

Page 29: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    37

400 Stunden Drehmaterial---------------------------------------- = »24 Stunden Südafrika«300 Tage Schnitt + Tonsynchro

Eine Gleichung, die allen Kolleginnen und Kollegen im Geschäftsfeld Bildgestaltung nicht plausibel erschien, als der Plan an uns herangetragen wurde, die gesamte Post-produktion für eine 24 Stunden lange Re-portage für den ZDFinfokanal innerhalb von drei Monaten durchzuführen. Aber natürlich haben wir die Herausforderung begeistert angenommen.

»May I have a copy ?« – ein Satz, der im Schneide-raum  von  Cutterin  Eva  Littau  große  Erleichterung auslöste.  Lulu  Xingwana,  die  Ministerin  für  Kunst und  Kultur  der  Republik  Südafrika  höchstpersön-lich war gekommen, um sich die ersten Ergebnisse von »24 Stunden Südafrika« anzuschauen. Und wer könnte  besser  beurteilen,  ob  die  Produktion  den Charakter ihres Landes wiedergibt als die höchste Repräsentantin  der  südafrikanischen  Kultur?  Eva hatte den Schneideraum extra mit einer Südafrika-flagge  aus  dem  Fundus  verschönert,  doch  das wäre  gar  nicht  nötig  gewesen.  Die  Ministerin  war sichtlich angetan und versuchte sich im Erraten der Drehorte, die sie natürlich fast alle kannte. Die Ma-cher  der  Reihe  waren  erleichtert  und  aufs  Neue motiviert. Dennnoch lag eine beträchtliche Strecke Wegs vor  ihnen. Der  »Tag« war noch  längst nicht vollständig geschnitten und der Sendetermin, der 5. Juni 2010, rückte bedrohlich näher.

Als  Claudia  Ruete1  uns  Ende  2009  vom  Projekt erzählte, war meine erste Reaktion: Das ist eigent-

1  Claudia  Ruete  und  Peter  Wagner  schildern  die  redaktionelle Sicht auf diese Produktion ab Seite 33 ff.

lich  unmöglich.  Denn  die  Produktion  sollte  nicht nur  »24 Stunden« heißen, sie sollte auch wirklich 24 Stunden Sendezeit dauern, und das bedeutete eine nie dagewesene  technische und  logistische Herausforderung, die es zudem binnen kürzester Frist  zu  stemmen  galt.  Natürlich  sollten  die  »24 Stunden«  im Vorfeld der Fußball-WM  laufen, und bis dahin war es kaum mehr als ein halbes Jahr hin. Aber nachdem die Teamleiter von Schnitt und Ton, Sabine Engelhardt und Bruno Hebestreit, erst einmal  kräftig  schlucken  mussten,  sagten  sie mutig ja. Zu erwarten waren mehr als 400 Stunden Material,  die  es  zu  verwalten  und  zu  verdichten galt.  Für  den  Feinschnitt  fielen  dann  elf  Schnitt-tage  an –  für  jede  geplante  Sendestunde.  Das heißt,  jedes  Schnittteam,  bestehend  aus  Cutter und  Autor,  hatte  drei  Stunden  des  magischen Tages vor sich, und es musste Kapazität  für 264 Schnitttage  geschaffen  werden.  Sabine  Engel- hardt und die Redaktion erstellten einen ausgeklü-gelten  Plan,  der  vorsah,  dass  acht  Cutterinnen und  Cutter  in  acht  zum  Teil  vernetzten  Schnei-deräumen vom Tagesgeschäft freigestellt werden mussten, um ausschließlich für die »24 Stunden« zur Verfügung zu stehen.

Eigentlich ist der Bereich Schnitt ohnehin sehr gut ausgelastet,  sodass  Arbeit  mindestens  im  Zwei-schichtbetrieb zu erwarten war. Nach Schnittende würde dann die Fackel an die Tonsynchro weiter-gegeben  werden,  die  das  Großprojekt  ebenfalls neben  ihren  Tagesaufgaben  würde  stemmen müssen.  Schließlich  mischten  sieben  Toningeni-eure 300 Arbeitsstunden  lang  in bis zu drei Syn-chroregieräumen  parallel.  Zwei  Hauptsprecher und  sechs  Nebensprecher  meisterten  die  Mara-thonstrecke mit Bravour. Und am Ende lag da ein echtes Mammutwerk, das es  in solchen Ausma-ßen  im  ZDF,  und  wahrscheinlich  so  auch  in  kei-

»24 Stunden Südafrika«

»24 Stunden Südafrika«Das Unmögliche wird möglich

Matthias HaedeckeLeiter des Geschäftsfeldes Bildge-staltung, Produktionsdirektion

Page 30: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch38    I

nem anderen deutschen Fernsehsender, je gege-ben hatte.

Für  Redaktion  und  Sender  bedeuteten  die  »24 Stunden«  einen  erstklassig  monothematisch  ge-füllten Sendetag, doch für das Geschäftsfeld Bild-gestaltung  war  diese  Produktion  sogar  noch mehr.  Die  Ausmaße  des  Projektes  waren  nicht ohne außergewöhnlichen Teamgeist zu meistern. Um  die  enge  redaktionelle  Betreuung  der  ver-schiedenen  Schneideräume  zu  gewährleisten, wurde ein eigener Raum im Schnittflur eingerich-tet. Regisseur Lukas Schmid war hier für die Kol-legen stets erreichbar und ansprechbar. Auch die Cutterinnen  und  Cutter  untereinander  mussten sich  aufs  engste  mit  Kolleginnen  und  Kollegen abstimmen,  um  am  Ende  ein  homogenes  Ge-samtwerk zu präsentieren. Das schränkte die  je-weiligen Möglichkeiten der individuellen Bildspra-che, die jedem Cutter eigen ist, ein. Kompromisse waren zwingend notwendig. 

Auf  der  anderen  Seite  boten  sich  visuelle  Gele-genheiten, die manche schon lange vermisst hat-ten. Zum Beispiel, endlich mal wieder eine Szene stehen zu lassen: Zwei, drei oder sogar fünf Minu-ten – ohne dass ein nervöser Autor oder Redak-teur  entgeistert  auf  die  begrenzte  Sendezeit  ver-wies. In seinem Ausmaß zog die Produktion auch viel Aufmerksamkeit aus dem Kollegenkreis nach sich. Denn über Wochen ertönten südafrikanische 

Musikklänge über die Schnittflure, und selbst ein kurzer  Blick  auf  die  Monitore  zeigte  die  faszinie-rende  Schönheit  des  Landes  an  der  Südspitze Afrikas.  An  einem  Abend  schmetterten  Cutterin Kirstin Weber und die Übersetzerin sogar die Na-tionalhymne  Südafrikas.  »Was  macht  ihr  da  ei-gentlich?«,  diese  Frage  hörten  die  angehenden »Südafrikaner«  in  den  Schneideräumen  immer häufiger.

Viele der Fragen aus dem Kollegenkreis konnten wir mit der Ausstellung »Die  längste Timeline der Welt« beantworten. Cutter Klaus Eichler hatte die Idee, das Großprojekt in einem neun Meter langen Ausdruck  zu  visualisieren,  bei  dessen  Realisie-rung uns das Geschäftsfeld Design und das Team der  Bühne  tatkräftig  unterstützten.  Diese  »Kons-truktionszeichnung« der Sendung wirkt für sich als grafisches Kunstwerk und zeigt auf verschieden-

Lulu Xingwana im Schneideraum

Die »Timeline«

Page 31: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    39

farbigen Ebenen die von den Cuttern gestalteten Video- und Tonspuren. Hier  lassen sich auch die unterschiedlichen  Handschriften  gut  erkennen, und  es  wird  auch  für  Laien  nachvollziehbar,  wie sich  die  Sendung  in  ihrer  kaum  vorstellbaren Länge  zusammensetzt.  Die  Ausstellung  am  Be-ginn der Schnittflure hat das  Interesse und auch das  Verständnis  für  die  Arbeit  des  Geschäfts-feldes  Design  auch  bei  denjenigen  Kolleginnen und Kollegen geweckt, die mit der Postproduktion sonst  wenig  zu  tun  haben.  Auch  ein  Effekt,  der uns sehr freut.

Die »24 Stunden Südafrika« haben für die Cutter, die  Tonmeister,  die  Schnitt-Disponenten,  die  be-hutsam das »normale Geschäft« um die Südafri-kaner herum platzierten, und die Systembetreuer erst  einmal  eine  große  Herausforderung  darge-stellt.  Sie  alle  standen  vor  einem  Berg,  dessen wahre Höhe zu Anfang kaum absehbar war. Doch am Ende hat sich gerade diese Produktion für alle zu einer großen Bereicherung entwickelt. Ob wir in vier Jahren dabei sein möchten, wenn es vor der Fußball-Weltmeisterschaft heißen sollte: »24 Stun-den Brasilien«? Mit Sicherheit ja.

»24 Stunden Südafrika«

Page 32: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch40    I

Seit August 2007 leitet Ariane Vuckovic das ZDF-Studio in Johannesburg. Kristina Kepp-ler ist Producerin im Studioteam, das aus dem gesamten südlichen Afrika berichtet. Die erste Fußball-WM auf dem Kontinent war für den Gastgeber Südafrika und auch für das Studio ein voller Erfolg …

Vom Lerchenberg etwa 8 700 Kilometer entfernt, an der Südspitze Afrikas, liegt das Studio Johan-nesburg. Von hier aus berichten wir über das ge-samte südliche Afrika, das die Länder Südafrika, Namibia, Angola, Botswana, Sambia, Simbabwe, Malawi, Mosambik, Lesotho und Swasiland sowie Madagaskar, Mauritius, Mayotte und die Komoren umfasst.  Eine  vielgestaltige  Region  also,  in  der Fortschritt und Rückschritt Hand  in Hand gehen, Verzweiflung  und  Hoffnung  oft  nah  beieinander liegen.

Im  Fokus  unserer  Aufmerksamkeit  stand  in  den letzten  Jahren  besonders  ein  Land:  Südafrika, Gastgeber  der  ersten  Fußball-Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent. Schon seit Ende der  WM  in  Deutschland  2006  richtete  sich  der Blick der (Fußball-)Welt auf den Kapstaat. Und so wurde es unsere Aufgabe, Antworten auf die zahl-reichen Fragen nach Stadionbau, Kriminalität und Vorbereitungen  zu  geben –  und  das  WM-Land vom  ersten  Spatenstich  an  journalistisch  zu  be-gleiten.  Eine  spannende  und  arbeitsintensive  Er-fahrung für unser Team.

Durch die neue »Lust auf Afrika« bei Zuschauern und Redaktionen konnten wir von sämtlichen Fa-cetten  des  Lebens  im  südlichen  Afrika  erzählen: Von Politik über Gesellschaft, von Kultur über Wirt-schaft  und  natürlich  Sport  reichten  unsere  Be-richte und Dokumentationen. Denn das Interesse 

an  Südafrika  war  gigantisch,  sowohl  im  ZDF-Hauptprogramm als auch in den Redaktionen von ZDFonline, ZDFinfokanal, ZDFneo oder 3sat und PHOENIX.  Und  deshalb  bemühten  wir  uns  also, das Land,  im Sinne des ZDF-Programmauftrags, auf  unterschiedlichste  Weise  und  mit  den  ver-schiedensten Themen abzubilden. Die Studio-Ver-stärkungen  vor  und  während  des  Turniers  unter-stützten uns dabei.

Aufgrund  des  gesteigerten  Interesses  bedeutete das Mammutprojekt WM-Logistik für unser kleines Studioteam natürlich eine hohe zusätzliche Belas-tung,  die  den  Enthusiasmus  der  fünf  festen  und auch der zusätzlichen freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedoch nicht trübte. Für Sport und Ak-tualität  bereiteten  wir  über  Monate  hinweg  auf-wändige  Logistik  vor,  recherchierten  von  Hotels über Sicherheitsfirmen und Büroräumen bis hin zu Satellitenleitungen für die über 200 ZDF-Kollegen. Und unterstützten die Afrika-Projekte des Hauses, wie etwa die crossmedialen »24 Stunden Südafri-ka« oder »Afrika unplugged«.

Und  der  Einsatz  hat  sich  gelohnt:  Die  WM  war nicht  nur  für  das  Austragungsland  Südafrika  ein großer Erfolg, sondern auch für die sportliche und politische  ZDF-Berichterstattung  rund  um  das Fußballfest.  Dem  »WM-Fieber«  im  Land  selbst konnten  wir  uns  natürlich  auch  nicht  entziehen, hatten  wir  die  Vorbereitungen  vor  Ort  schließlich schon  seit  Jahren  verfolgt.  Deshalb  waren  wir auch persönlich erleichtert, dass die Austragung ohne besondere Vorfälle oder Probleme ein Rie-senerfolg für Südafrika wurde.

Vier Wochen lang herrschte im Land eine einzige Party, überall wurde gesungen und getanzt. Und das  gemeinsam:  Die  neue  Kultur  des  Miteinan-

Ariane VuckovicLeiterin des ZDF-Auslandstudios Johannesburg

Das Studio Johannesburg und die WMNeues Interesse an Afrika

Kristina KepplerProducerin und Koautorin im ZDF-Studio Johannesburg

Page 33: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    41

ders  von  schwarzen  und  weißen  Südafrikanern, ein  neues  Nationalgefühl –  das  erlebten  wir  als den schönsten WM-Erfolg und hoffen, dass dieser dem  immer noch  in vielen Bereichen der Gesell-schaft geteilten Südafrika erhalten bleibt. Eines je-denfalls ist sicher: Für den Kapstaat bedeutete die erfolgreiche Ausrichtung des Turniers einen unbe-zahlbaren  Imagewechsel – der die Wirtschaft auf Investitionen hoffen lässt.

Natürlich gab es auch Nachrichtenereignisse jen-seits  des  Sports,  über  die  wir  in  den  vergangen Jahren aus dem Studio berichteten. Etwa die ge-walttätigen  Hetzjagden  auf  afrikanische  Einwan-derer  im  Mai  2008,  bei  denen  in  Südafrika  62 Menschen  ermordet  wurden.  Die  umstrittenen Wahlen in Simbabwe 2008 sowie die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen im Land. Oder Süd-afrikas  Präsidentschaftswahlen  2009  –  und  die darauf  folgenden  Ausschreitungen  in  Südafrikas Armenvierteln,  bei  denen  die  Menschen  für  ihre Forderung  nach  besseren  Lebensverhältnissen auf  die  Barrikaden  gingen.  Noch  sind  sie  fragil, die  Demokratien  in  den  Ländern  des  südlichen Afrika,  die  meist  durch  einen  Befreiungskampf nach  Apartheidkonflikt  und  Kolonialisierung  oder durch  lang  anhaltende  Bürgerkriege  legitimiert sind.

Unsere  Arbeit  im  Berichtsgebiet  ist  also  oft  von starken  Gegensätzen  gezeichnet.  Obwohl  die 

Menschen  hier  mit  vielen  Problemen  kämpfen, wird unser Team stets mit offenen Armen empfan-gen, werden wir bei unseren Drehs immer wieder besonders warmherzig willkommen geheißen. Bei der Berichterstattung aus unserer Region ist aller-dings auch Sensibilität gefragt – die vielen unter-schiedlichen Kulturen, Sprachen und Denkweisen und nicht zuletzt die Wunden der südafrikanischen Apartheid  erfordern  im  Umgang  mit  Menschen viel Respekt und Einfühlungsvermögen.

Südafrika ist ein besonderes Land, und wir erfah-ren  täglich die Gastfreundschaft und Freundlich-keit seiner Menschen – ganz gleich, welche Haut-farbe sie haben oder aus welcher sozialen Schicht sie kommen. Und doch ist das Leben und Arbei-ten hier so ganz anders als in anderen Berichtsge-bieten. Unser Studio liegt mitten in Johannesburg, der gefährlichsten Stadt Südafrikas, einer der ge-fährlichsten Metropolen der Welt. Die Polizeistatis-tik  verzeichnet  im  Land  etwa  50  Morde  pro  Tag, die Vergewaltigungsrate ist im internationalen Ver-gleich extrem hoch.

So sind auch wir täglich der hohen und scheinbar willkürlichen  Gewalt  ausgesetzt,  müssen  auf  der Arbeit und privat ständig wachsam sein. Fast alle Mitarbeiterinnen  und  Mitarbeiter  des  Studios waren schon selbst Opfer von (Gewalt-)Kriminali-tät. Die Tochter eines Kollegen wurde vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Der Bruder einer Kollegin 

Das Studio Johannesburg und die WM

Äthiopische Kinder

Kristina Keppler,  Producer Mfanasibili Nkosi  und Ariane Vuckovic

Page 34: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch42    I

beim  Hijacking  erschossen.  Ehefrau  und  Sohn eines  weiteren  Kollegen  wurden  beim  Hausein-bruch  von  den  Eindringlingen  gefesselt  und  mit Waffen  bedroht.  Diese  und  andere  Geschichten machen  deutlich,  dass  die  schwierigen  Lebens-bedingungen  auch  bei  unserer  Zusammenarbeit im Studio viel Flexibilität und Verständnis fordern.

Dennoch  überwiegen  unsere  positiven  Erfah-rungen, steckt im südlichen Afrika so viel Lebens-freude  und  Hoffnung,  gibt  es  hier  so  viele  Ge-schichten  von  Aufbruch  und  Heilung.  Deshalb wünschen  wir  uns  für  die  Zeit  nach  der  Fußball-Weltmeisterschaft  vor  allem  eines:  Nachhaltig-keit – auch  in unserer Berichterstattung aus dem südlichen Afrika. Wir sind gespannt, wie sich das Interesse  an  Themen  aus  unserer  Region  nun 

weiterentwickelt – und hoffen sehr, dass Zuschau-er und Redaktionen ihren Blick aufs südliche Afri-ka durch die WM-Berichterstattung geschärft und weiterhin  Freude  an  Berichten  aus  dem  Studio Johannesburg haben.

Fischer bieten ihren Fang an

Page 35: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    43

…, dass an einem Abend mehr als 15 Millio-nen Zuschauer deutschlandweit ein und das-selbe Programm sehen? ARD und ZDF. Ge-meinsam. Mit der gleichzeitigen Ausstrahlung des TV-Spots der Kampagne »ARD, ZDF und Sie« zur FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika am 6. Juni 2010 um 20.14 Uhr. Wie es dazu kam, erläutert Hans-Joachim Suchan, ZDF-Verwaltungsdirektor und Leiter der AG »ARD, ZDF und Sie«.

Bis  Sommer  2010  war  der  Öffentlichkeit  die  Be-werbung des gemeinsamen öffentlich-rechtlichen Auftritts unter dem Motto »ARD und ZDF. Ihr gutes öffentliches  Recht.«  bekannt.  Pünktlich  zum  Be-ginn der FIFA Fußball-WM 2010 Anfang Juni star-tete die neue Gemeinschaftskampagne von ARD und  ZDF  erstmals  mit  neuem  Logo  und  neuem Claim.

In  einer  großen  Gemeinschaftlichkeit  haben  die öffentlich-rechtlichen Programme – ARD, die Drit-ten,  Deutschlandradio,  ARTE,  KI.KA,  PHOENIX, 3sat  und  das  ZDF –  seitdem  in  TV  und  Radio Spots und Trailer ausgestrahlt, die alle das gleiche Kommunikationsziel  hatten:  die  Gebührenakzep-tanz bei den Zuschauerinnen und Zuschauern zu stärken.  Die  dafür  eingesetzten  Elemente  waren zum einen der Hinweis im Claim » … weil Sie Ge-bühren zahlen« sowie die Absender. Im Fokus der Marketingaktivitäten  rund  um  die  Fußball-WM standen  hierbei  die  gemeinsam  produzierten Kino-,  TV-  und  Radiospots  sowie  Online- Maßnahmen.

Die Kampagne wurde schließlich Mitte Juli mithilfe von  zwei  neu  überarbeiteten  TV-Spots  (»Kinder/Neugier« und »Kultur«) weitergeführt und startete Ende Oktober mit einem zweiten großen Flight mit 

dem  Thema  »Krimi-Kompetenz«  in  eine  weitere Runde.

Die  Ansprache  der  Zielgruppe  (Zuschauer  und Meinungsbildner; Schwerpunkt:  junge Menschen zwischen  17  und  28  Jahren)  erfolgte  dabei  im Sinne einer auffallenden und modernen Kommu-nikation.  Hierbei  galt  es,  das  vielfältige  Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Qua-lität des Programms unter dem Motto »Gebühren sind für die Gesellschaft notwendig und sinnvoll« zu verzahnen. Konkret bedeutet dies:

Meine Gebühren sorgen dafür, dass Millionen Kinder  gewaltfreie  Sendungen  sehen  können.Meine Gebühren ermöglichen für alle weltweite Informationsfreiheit.Meine  Gebühren  helfen,  die  Demokratie  in Deutschland zu fördern.Meine  Gebühren  fördern  alle  Richtungen  von Kunst und Kultur.Meine  Gebühren  sorgen  dafür,  dass  wir  alle unabhängig informiert werden können.Meine  Gebühren  sorgen  dafür,  dass  gute (deutsche)  Krimis  produziert  werden,  die  da passieren, wo ich zu Hause bin.Meine  Gebühren  sorgen  dafür,  dass  wieder ganz Deutschland mitfiebert und die FIFA Fuß-ball-Weltmeisterschaft live und unverschlüsselt gesehen und gehört werden kann.

Erfrischend neuAnders als bei der Kampagne »ARD und ZDF. Ihr gutes öffentliches Recht.« wurde im Mediamix zur Fußball-WM  die  Werbung  im  Internet  erstmals deutlich intensiviert und gleichzeitig aufgrund des Absenders  der  Kampagne  auf  die  Ausstrahlung von  Spots  in  Privatsendern  verzichtet.  Bei  der neuen  ARD/ZDF-Kampagne  sind  die  kommerzi-

Die ARD/ZDF-WM-Kampagne

Hans Joachim SuchanZDF-Verwaltungsdirektor und Lei-ter der AG »ARD, ZDF und Sie«

Die ARD/ZDF-WM-KampagneWer sorgt eigentlich dafür …

Page 36: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch44    I

ellen  Fernsehsender  daher  nicht  mehr  Teil  des Mediaplans. Die dadurch wegfallenden Kontakte wurden  einerseits  durch  zielgruppenaffine  Inter-netwerbung  ausgeglichen  und  um  die  erstmals stattfindenden  Radio-Bewerbungen  durch  die Landesrundfunkanstalten zielorientiert ergänzt.

In der Zeit  vom 1. Juni bis einschließlich 11. Juli 2010 wurde die neuartige Kampagne durch enge Zusammenarbeit aller öffentlich-rechtlichen Rund-funkanstalten als Kampagnen-Spot 1 156 Mal im TV  ausgestrahlt  und  das  Kampagnen-Motto  im Radio  insgesamt  mehr  als  2  725  Mal  gesendet. Flankierend  zur  Ausstrahlung  im  öffentlich-recht-lichen  Programm  wurde  eine  45-sekündige  Vari-ante  des  Spots  produziert,  welche  parallel  zur Fußball-WM  auch  deutschlandweit  im  Kino  zu sehen war.

Viraler ErfolgWichtiges Anliegen der Gemeinschaftskampagne ist es, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk  insbe-sondere bei den  jungen Menschen  ins Bewusst-sein zu  rücken, die ARD und ZDF nicht mehr so stark nutzen. Deshalb wurden die TV- und Radio-spots zusätzlich zu den eigenen Flächen auch im Internet geschaltet. Damit erreichte die klassische Kampagne auch die Fans vieler Sendungen des Privatfernsehens  durch  Prerolls  (Schaltung  des TV-Spots vor der jeweiligen Sendung im Internet) und  die  Freunde  von  über  4 000  Radiosendern 

durch  Schaltung  des  Spots  auf  einer  speziellen Onlineplattform.

Die  Onlinekampagne  holte  die  junge  Zielgruppe also  sowohl  bei  ihrem  Kommunikationsverhalten via Internet ab, als auch bei  ihren Sport- und TV-Interessen, bei ihrem Bedürfnis nach Unterhaltung und bei ihrem Informationsbedürfnis.

Den Anstoß  für diese erste  virale Aktion gab die breit angelegte Onlinekampagne im Rahmen der Fußball-WM, die mit großformatigen und  impact-starken  Werbeformaten  auf  die  Aktionsplattform aufmerksam gemacht hat. Zusätzlich wurden Ent-scheider  aus  den  Bereichen  Politik  und  Gesell-schaft  beispielsweise  auf  prominenten  Portalen der Nachrichtenpresse gezielt angesprochen.

Mithilfe  von  Onlinewerbemitteln  wurde  auf  den von  den  Zielgruppen  frequentierten  und  bevor-zugten Seiten geworben. Ergänzt wurde das On-

Plakatmotiv der  ARD/ZDF-WM-Kampagne

Kampagnenmotiv

Page 37: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    45

lineangebot um die zum Start der Kampagne neu geschaffene,  so  genannte  »Landingpage«  www.ardzdf.de  mit  Informationen  über  das  neue  Bei-tragsmodell (früher »Gebühren«). Unter einer dar-unter verlinkten weiteren Seite (»Microsite«) konn-ten zudem alle Informationen zur Gemeinschafts-kampagne abgerufen werden.

Letztere bot darüber hinaus auch die Plattform für einen »viralen Spot«. Ein Spot, der sich durch die Mitwirkung der Internetuser und ihr ganz persön-liches  Sich-Einbringen  im  Netz  verbreitet.  Hier konnte der User mit dem Hochladen seines Fotos eine personalisierte Variante des Spots an Freunde und Bekannte verschicken.

Wichtige KommunikationsbasisDie  Homepage  www.ardzdf.de  (Landingpage) und die Microsite sind wichtige Kommunikations-bausteine  für  die  Kampagne  und  darüber  hin-aus –  und  darin  liegt  der  eigentliche  Wert –  eine wichtige Ausgangsbasis sowohl für die für die Öf-fentlichkeit relevanten Informationen sowie für die Bewerbung derselben.

Unter der Seite www.ardzdf.de, die als einziger Di-rektlink kommuniziert wird, sind alle Informationen rund um die Gemeinschaftskampagne sowie über 

Gebührenfragen  im  Allgemeinen  nachzulesen. Von hier aus wird es auch zukünftig einen Direkt-link  zur  Kampagnen-Website  (Microsite)  geben, auf der analog zur Schaltung von Bannern Kam-pagnenmotive  und  Extras  zu  finden  sind.  In  der gemeinsamen Kombination und Verlinkung unter-einander  bieten  beide  Homepages  eine  gute Basis für die Beitrags- und Markenkommunikation der Gemeinschaftskampagne.

Der Zuschauer im MittelpunktDie  Print-Kampagne  im  ersten  Flight  hatte  das Ziel, zum Start der Fußball-WM die größtmögliche 

Die ARD/ZDF-WM-Kampagne

Plakate zur Kampagne

Kampagnenplakat

Page 38: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch46    I

Reichweite  zu  erzielen  und  gleichzeitig  die  Ge-bührenkommunikation zu unterstützen. 

Um möglichst viele Menschen zu erreichen, wur-den  Titel  wie  14-tägige  TV-Zeitschriften  und  wö-chentliche Illustrierte belegt. Da die Kampagne im ersten Flight den Mittelpunkt »Fußball« hatte, wur-den  auch  Anzeigen  in  Sportmagazinen  geschal-tet.  Zusätzlich  sollten  Meinungsführer  erreicht werden,  die  über  die  Entscheiderpresse  ange-sprochen werden.

Die Anzeigenmotive – mit dem Bild einer riesigen, jubelnden und mit Deutschlandtrikots ausgestat-teten  Menschenmenge –  wurden  in  der  Zeit  von 1. Juni  2010  bis  11.  Juli  2010  in  reichweitenstar-ken und zielgruppenaffinen Publikumszeitschriften und  Zeitungen  eingesetzt  und  erreichten  56,7 Prozent der im Vorfeld der Kampagne definierten Zielgruppe  (Erwachsene  zwischen  17  und  28 Jahre).  Auch  für  die  zukünftigen  Flights  ist  eine ebensolche,  insgesamt  sehr  erfolgreiche  Vorge-hensweise angedacht.

Kampagnenmotive

Page 39: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

Das ZDF und die Neuen Medien

Page 40: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch48    I

Der Drei-Stufen-Test zum Telemedienbestand wurde im August erfolgreich abgeschlossen. Rückblick und Fazit des Vorsitzenden des ZDF-Fernsehrats.

Er war schon vor seinem Start als »bürokratisches Monster«  bezeichnet  worden.  Nun  ist  der  Drei-Stufen-Test  zum  Telemedienbestand  von  ZDF, 3sat  und  PHOENIX  erfolgreich  abgeschlossen. Mit der Bekanntgabe der Ergebnisse der  rechts-aufsichtlichen Prüfung am 13. August 2010  fand der  Drei-Stufen-Test  seinen  formalen  Abschluss. Die zuständige Staatskanzlei des Landes Schles-wig-Holstein  teilte  dem  Intendanten  mit,  dass einer  Veröffentlichung  der  Telemedienkonzepte nichts  mehr  entgegensteht.  Die  Rechtsaufsicht bestätigte damit erfreulicherweise, dass der Fern-sehrat  beim  Drei-Stufen-Test  korrekt  gearbeitet und  die  Vorgaben  des  Rundfunkstaatsvertrags eingehalten hat.

Für den Fernsehrat und seine Geschäftsstelle be-deutete dies den Abschluss  von  zwei  Jahren  in-tensiver Arbeit zusätzlich zu den laufenden Aufga-ben  des  Gremiums.  Für  das  Haus  brachte  das Ergebnis  Planungssicherheit  und  Rechtssicher-heit. Zum ersten Mal gibt es nun einen klar defi-nierten Auftrag  für die Telemedien. Die Telemedi-enkonzepte geben Richtlinien dafür vor, was das Haus im Netz anbieten darf und wo die Grenzen zu  nicht  zulässigen  Angeboten  liegen.  Auch  für Dritte  und  Marktteilnehmer  besteht  nun  Klarheit, wie weit der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Tele-medienangebote reicht.

Kritik der VerlegerverbändeLeider  entsteht  angesichts  der  auch  nach  Ab-schluss der Verfahren immer noch heftig vorgetra-genen Kritik der Verlegerverbände in den Printme-

dien der Eindruck, ihre spezifischen Interessen in dem Verfahren seien nicht angemessen gewürdigt worden. Dem kann ich für das Verfahren des ZDF-Fernsehrates  entschieden  widersprechen.  In  der eigens  für  den  Drei-Stufen-Test  eingerichteten Projektgruppe Telemedien wurden alle Stufen des Prozesses  in  zahlreichen  Sitzungen  intensiv  be-gleitet. Daran waren auch die Verleger mit einem der  beiden  Vertreter  des  Bundes  Deutscher  Zei-tungsverleger  (BDZV)  im  Fernsehrat  beteiligt. Dass  am  Ende  nicht  alle  Entscheidungen  im Sinne der Verleger ausgefallen sind,  liegt  in dem demokratischen Meinungsbildungsprozess  inner-halb des Gremiums Fernsehrat begründet.

In einem Rückblick möchte  ich noch einmal den Hintergrund des Drei-Stufen-Tests und den Verlauf des  Verfahrens  darstellen,  um  abschließend  ein erstes  Fazit  aus  den  dort  gesammelten  Erfah-rungen zu ziehen.

Hintergrund des Drei-Stufen-TestsDie  Europäische  Kommission  hatte  das  Beihilfe-verfahren,  das  durch  Beschwerden  unter  ande-rem über die Online-Aktivitäten der deutschen öf-fentlich-rechtlichen  Rundfunkanstalten  bereits  im Jahr 2002 angestoßen worden war, im April 2007 eingestellt. Vorausgegangen war ein Kompromiss mit  der  Bundesregierung,  der  für  ARD  und  ZDF eine gesetzliche Präzisierung des Auftrages sowie die Einführung eines Testverfahrens für neue und wesentlich  veränderte  Telemedienangebote  vor-sah.  Nach  dem  in  der  Folge  novellierten  Rund-funkstaatsvertrag war dieses Testverfahren, der so genannte Drei-Stufen-Test, auch für den Bestand der  Telemedien  durchzuführen.  »Herren  des  Ver-fahrens«  waren  die  für  das  Programm  zuständi-gen Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten,  im Fall des ZDF also der Fernsehrat.

Transparenz zahlt sich ausZum Abschluss des Drei-Stufen-Tests

Ruprecht PolenzVorsitzender des ZDF-Fernsehrats

Page 41: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    49

VerfahrenDer  Fernsehrat  prüfte  die  Telemedienkonzepte des ZDF  (zdf.de, heute.de, sport.zdf.de, ZDFme-diathek, tivi.de, theaterkanal.de, unternehmen.zdf.de  und  ZDFtext),  von  3sat  (3sat.de,  3sat-Media-thek  und  3sat-Text)  und  PHOENIX  (PHOENIX.de und PHOENIX-Text). Grundlage der daraus resul-tierenden  Entscheidungen  waren  die  jeweiligen vom  Intendanten  fortgeschriebenen  Telemedien-konzepte.  Die  weiterentwickelten  Konzepte  be-rücksichtigten vor allem die  im Zuge des Verfah-rens formulierten Erwartungen des Fernsehrats an die Telemedienkonzepte.

Der Fernsehrat konnte bei seinen Beratungen auf verschiedene  Erkenntnisquellen  zurückgreifen. Dazu zählten die Telemedienangebote selbst, die Stellungnahmen Dritter, die Ausführungen des In-tendanten,  die  Gutachten  zu  den  marktlichen Auswirkungen  sowie  eine  zusätzliche,  gesetzlich nicht  vorgegebene  Expertenkonsultation.  Diese bot  ausgewählten  gesellschaftlichen  Gruppen und  Verbänden  die  Möglichkeit,  zusätzlich  zu ihren schriftlichen Stellungnahmen ihre Positionen im Dialog mit dem Gremium darzulegen. Eingela-den  waren  sowohl  Kritiker  als  auch  Befürworter der Telemedienangebote sowie der Intendant des ZDF.

Die  marktlichen  Gutachten  wurden  nach  einem vorangegangenen  europaweiten  Vergabeverfah-ren  von  der  Bietergemeinschaft  Goldmedia GmbH,  Salans  LLP und Goldmedia Custom Re-search GmbH erstellt. Die Gutachten kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Telemedien von ZDF, 3sat und PHOENIX nur in geringem bis sehr gerin-gem Ausmaß auf die untersuchten Märkte auswir-ken. Bei einem Marktaustritt der ZDF-Onlineange-bote würden werbefinanzierte Anbieter lediglich in einem Umfang von 0,4 Prozent des Marktes profi-tieren.  Bei  den  3sat-Onlineangeboten  wären  es 0,1  Prozent,  bei  den  PHOENIX-Onlineangeboten 0,01 Prozent.

In die Entscheidungen zu den 3sat- und den PHOE- NIX-Telemedien  wurden  die  Beschlussempfeh-lungen  der  Gremienvorsitzendenkonferenz  der ARD einbezogen, da es sich hierbei um Gemein-schaftsangebote von ARD und ZDF handelt.

Ein  weiterer  wichtiger  Verfahrensbestandteil  war die Durchführung eines Workshops zur Identifizie-rung von Qualitätskriterien. Hierfür  zog der Fern-sehrat  mit  verschiedenen  renommierten  Wissen-schaftlern  externen  Sachverstand  hinzu.  Darauf aufbauend  konnte  er  eine  Konkretisierung  von Qualitätskriterien  nach  verschiedenen  Rubriken (Information, Sport, Unterhaltung/Fiktion, Bildung/Wissen,  Ratgeber,  Kultur,  Kinderangebote)  und bezogen  auf  die  staatsvertraglich  vorgegebenen Werte  (demokratischer,  sozialer  und  kultureller Wert) erarbeiten. Diese Kriterien leiteten den Fern-sehrat  bei  der  Beurteilung  des  qualitativen  Bei-trags der ZDF-Telemedienangebote zum publizis-tischen Wettbewerb.

Entscheidungsfindung und Beschlüsse des FernsehratsDer Fernsehrat wurde bei seinen Aufgaben in den Prüfverfahren durch die Projektgruppe Telemedien unterstützt.  Die  Beschlüsse  des  Fernsehrats  ba-sieren  außerdem  auf  den  Beratungen  des  Aus-schusses für Finanzen,  Investitionen und Technik sowie  der  jeweiligen  Programmausschüsse  für die Chefredaktion, die Programmdirektion und die Partnerprogramme.

Die  Projektgruppe  Telemedien  sowie  die  Aus-schüsse und das Plenum des Fernsehrats prüften die  Genehmigungsfähigkeit  (Einhaltung  der  ge-setzlichen Ge- und Verbote) sowie die Genehmi-gungsvoraussetzungen (die drei Stufen) des § 11 f Rundfunkstaatsvertrag: Erstens, das kommunika-tive Bedürfnis,  zweitens, den qualitativen Beitrag zum  Wettbewerb  und  drittens,  den  finanziellen Aufwand  der  Telemedien  von  ZDF,  3sat  und PHOENIX.  Dabei  wurden  deren  marktliche  Aus-

Transparenz zahlt sich aus

Page 42: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch50    I

wirkungen  berücksichtigt  und  der  publizistische Beitrag  der  vorhandenen  Angebote  von  Wettbe-werbern  gewürdigt.  Die  abschließende  Prüfung ergab, dass der publizistische Wert dieser Ange-bote  bei  weitem  den  von  Kritikern  befürchteten Einfluss auf den Markt überstieg. Der Aufwand für die Telemedien wurde vom Intendanten plausibel dargelegt, sodass keine Anzeichen für eine Über-kompensierung zu erkennen waren.

Streitfrage »Presseähnlichkeit«Besonders  ausführlich  erörterte  der  Fernsehrat die Frage, ob etwa bei heute.de Verstöße gegen das  gesetzliche  Verbot  von  presseähnlichen  An-geboten  ohne  Sendungsbezug  vorliegen.  Nach umfänglicher  In-Augenscheinnahme  der  Ange-bote und Prüfung der Telemedienkonzepte kam er mit klarer Mehrheit zu dem Ergebnis, dass die Te-lemedien von ZDF, 3sat und PHOENIX nicht pres-seähnlich sind. Aufgrund ihrer hohen Videoanteile und der Kombination von Standbildern und Texten mit Verlinkungen sowie Blogs und anderen  inter-aktiven Elementen unterschieden sie sich in ihrer Gestaltung von Zeitungen und Zeitschriften.

Dessen ungeachtet lieferte der Intendant auf Auf-forderung  des  Fernsehrats  in  den  fortgeschrie-benen  Telemedienkonzepten  eine  ausführliche Begründung  für  die  umfangreiche  Textbasierung von Angeboten wie heute.de. Auch sicherte er zu, den Fernsehrat bei einer erheblichen Ausweitung des  Textanteils  bestehender  Angebote  zu informieren.

FazitDer Fernsehrat wird sich noch mit der systemati-schen Evaluation des Drei-Stufen-Tests beschäfti-gen,  um  daraus  Schlüsse  für  eventuelle  weitere Verfahren  zu  ziehen.  Eine  wichtige  Erkenntnis kann an dieser Stelle bereits vorweg genommen werden: Sämtliche Befürchtungen, der Fernsehrat als binnenplurales Aufsichtsgremium sei mit dem Drei-Stufen-Test überfordert, wurden widerlegt. Es 

ist gelungen, das Verfahren in einem engen Zeit-korsett und in Einklang mit den gesetzlichen Vor-gaben erfolgreich durchzuführen. Wir haben hier gemeinsam  Neuland  betreten.  Die  Fernsehräte mit den unterschiedlichen gesellschaftlichen, wirt-schaftlichen und politischen Hintergründen konn-ten  gerade  in  diesem  Verfahren  ihr  jeweiliges Know-how  konstruktiv  einbringen.  Ich  bestreite nicht,  dass  mit  dem  Drei-Stufen-Test  ein  hoher personeller  und  finanzieller  Aufwand  verbunden war. Die externen Kosten beliefen sich auf  insge-samt rund 808 000 Euro, wobei die Kosten für die Erstellung des Marktgutachtens mit rund 511 000 Euro den größten Teil davon ausmachten. Die ge-wonnenen Erfahrungen und die noch zu leistende Evaluation werden dazu beitragen, den Aufwand bei  eventuellen  weiteren  Verfahren  in  Zukunft  zu minimieren.

Die  Transparenz  im  Verfahren  gegenüber  der  Öffentlichkeit und innerhalb des Fernsehrates hat sich  ausgezahlt:  Die  wesentlichen  Dokumente wurden  zeitnah  zu  den  Entscheidungen  auf  der Webseite  des  Fernsehrats  der  interessierten  Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Alle wichtigen Verfahrensschritte  wurden  mit  entsprechenden Pressemeldungen begleitet. Mit der Expertenkon-sultation  ging  der  Fernsehrat  im  Interesse  der Transparenz des Verfahrens über die gesetzlichen Anforderungen hinaus und erhielt dafür auch eine positive  Resonanz.  Für  den  Fernsehrat  selbst wurde  mit  dem  Fernsehrats-Intranet  eine  Infra-struktur geschaffen, die für die Mitglieder auch in Zukunft von großem Nutzen sein wird.

Mit  dem  Drei-Stufen-Test  wurde  schließlich  die Zusammenarbeit  der  beiden  Organe  Fernsehrat und  Intendant  auf  eine  neue  Grundlage  gestellt. Der Fernsehrat wurde durch die neue Aufgabe als Kontrollorgan  und  »Quasi-Gesetzgeber«  aufge-wertet,  was  auch  für  seine  zukünftige  Rolle  von Bedeutung  sein  wird.  Denn  er  musste  den  vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmen zur Konkre-

Page 43: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    51Transparenz zahlt sich aus

tisierung des Auftrags für die Telemedienangebote ausfüllen. Zu beachten war dabei die so genannte »chinesische  Mauer«:  Auf  der  einen  Seite  stand das Gremium als Aufsichtsorgan der Rundfunkan-stalt, das die Telemedienkonzepte zu prüfen hatte, und auf der anderen Seite das Haus als zu kon-

trollierende  Institution.  Eine  zeitlich  und  fachlich derart  intensive  Auseinandersetzung  mit  einem höchst  komplexen  Thema  wie  dem  Telemedien-auftrag  hatten  beide  Organe  seit  Bestehen  des ZDF noch nicht zu bewältigen. Dass dies nun ge-lungen ist, erfüllt mich mit besonderer Freude.

Page 44: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch52    I

Das ZDF ist »drin« – im Netz. Seit 2010 mehr denn je. Politisch haben wir eine nicht heiß geliebte, aber tragfähige Ordnung bekom-men. In den Köpfen der Mitarbeiter nistet sich crossmediales Denken ein. Mitten im unru-higen Strom der Entwicklungen im Internet bereiten wir den nächsten Sprung in eine gute Zukunft vor. Und es gibt ein Zauberwort für unseren Erfolg: die »Marke« – im Netz erst recht.

Ein paar Tage  im Oktober 2010. Die Welt schaut auf einen Fleck im chilenischen Nirgendwo. Zehn Kameras der EBU (European Broadcasting Union) fangen selbst das unterirdische Gefängnis ein, in dem 33 Bergkumpel seit Wochen gefangen sind. In  der  Schaltkonferenz  der  Chefredaktion  ent-scheiden  wir,  das  EBU-Angebot  als  schlichten Stream ins Netz zu stellen. Nackte Livebilder aus einem Wüstenort am anderen Ende der Welt, mit spanisch  sprechenden  Menschen –  ohne  Kom-mentar,  ohne  Übersetzer.  Kein  Mensch  im  ZDF hätte Vergleichbares als Fernsehübertragung an-geboten. Aber der Livestream findet  im Netz am Ende mehr Zuspruch als der Stream der dazuge-hörigen  »ZDF  spezials«  oder  die  legendäre »Obama-Netz-Nacht«  vor  zwei  Jahren. Ein  schö-ner  quantitativer  Erfolg.  Aber  mehr  als  das:  Der Entschluss  der  Redaktion  dokumentiert,  dass  in diesem  Sender  »online  gedacht«  wird.  Wir  sind »drin« –  im  Netz  sowieso,  aber  nicht  weniger  in den  (meisten) Köpfen unserer  eigenen ZDF-Pro-gramm-Macher. Das ist die Standortbeschreibung 2010.

Es  gibt  viele  erfolgreiche  Onlineprojekte,  die dieses Fazit untermauern könnten. Die Preise, die das  ZDF  im  vergangenen  Jahr  für  seine  Online-Ideen und deren Umsetzung bekam, belegen das 

(siehe Kasten) ebenso, wie die ständig steigende Nutzung der Mediathek und der anderen Portale. Dass  wir  dabei  in  der  Konkurrenz  der  Informati-onsangebote  im Mittelfeld  liegen, spornt uns nur an. Im Übrigen sind wir nachrichtlich schneller als die meisten Konkurrenten. Wir begleiten TV-Groß-projekte  wie  das  »Terra  X«-Produkt  »Universum der  Ozeane«  mit  einem  vielfach  beachteten  3D-Auftritt  im Netz.  In der Selbstverpflichtung für die Jahre 2011/2012 sagt das ZDF mehr »Interaktivi-tät«  und  »Crossmedialität«  zu.  Mit  anderen  Wor-ten: Wir versprechen, das Netz ernst zu nehmen.

Dabei  spielen  die  Sozialen  Netzwerke  eine  ent-scheidende Rolle. Sie sind die Diskussionsräume der  Moderne.  Wir  generieren  deshalb  längst ganze Fernsehsendungen nur aus Online und or-ganisieren  einen  interaktiven  »Dialog«  zwischen TV  und  Sozialen  Netzwerken.  Menschen,  die  im Begriff sind, sich medial von dem klassischen In-formationsmedium Fernsehen zu verabschieden, schickt heute.de zwei Mal am Tag politische und gesellschaftlich  relevante Fragen auf  ihren Face-book-Account.  So  organisieren  wir  auch  fernab von  Fernsehgerät  und  Startseite  Meinungsaus-tausch über Rente, Hartz IV oder Integration. Und als  ZDF-Korrespondent  Stephan  Hallmann  Mitte des Jahres in eindringlichen Reportagen aus dem pakistanischen  Katastrophengebiet  berichtete, fanden seine täglich mehrfach verschickten, knap-pen  Twitter-Botschaften  eine  zusätzliche,  eigene Netzöffentlichkeit. »Eine neue Form von Journalis-mus!«, rief dem ZDF-Mann das mediale Echo zu. Eines  der  vielen  Beispiele  für  die  wachsende Selbstverständlichkeit,  mit  der  sich  das  ZDF  auf die  Netzöffentlichkeit  einlässt.  Mit  anderen  Wor-ten: Wir sind »drin« – mit unseren Inhalten und un-serem  gesellschaftlichen  Auftrag,  der  im  Netz mehr denn je Geltung haben muss.

Die »Anarchos« wollen noch mehrOnline 2010 fordert vom linearen TV mehr Mobilität, mehr Flexibilität und vor allem »Marke«

Eckart GaddumHauptredaktionsleiter Neue Medien

Page 45: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    53

Wir sind »drin«! Das lässt sich seit 2010 auch als gesicherte  Zukunftsperspektive  ausrufen.  Möge niemand von Redakteuren Begeisterung für Tele-medienkonzepte,  Drei-Stufen-Tests  und  Depubli-zierung erwarten! Sie kosteten Geld, das man lie-ber  ins  Angebot  gesteckt,  Zeit,  die  man  lieber dem  Nutzer  geschenkt  und  Kreativität,  die  man lieber  ins  Erstellen  statt  ins  Unsichtbarmachen von Inhalten investiert hätte. Lange Listen von Ar-tikeln  zu  Sport,  Politik,  aber  auch  Kinderthemen, mussten  zum  großen  Teil  händisch  aus  dem Schaufenster des Angebots entfernt und zugleich möglichst  intelligente  Automatismen  zum  künf-tigen Umgang mit neuen Stoffen  implantiert wer-den.  Nicht  nur  die  Onlinejournalisten  des  ZDF, auch viele Nutzer empfanden den Drei-Stufen-Test als  eine  Versündigung  an  der  Grundidee  des Netzes,  Inhalte  frei  und  wann  immer  nutzen  zu können – gebührenfinanzierte allemal. Zuschriften und Protestmails aus der Netzgemeinde belegen ein weit verbreitetes Unverständnis. Und dennoch kann  man  unter  dem  Strich  sagen:  Jetzt  wissen wir,  woran  wir  sind.  Mit  dem  Regelwerk  zur  Ver-weildauer  und  erlaubten  Inhalten  können  wir  ein glaubwürdiges  und  konkurrenzfähiges  Angebot im  Web  machen.  Die  aufgeregte  Diskussion  um 

Sein oder Nichtsein der Öffentlich-Rechtlichen im Netz hat eine wichtige und entscheidende Etappe genommen. Das Jahr 2010 hat eine, wenn auch nicht heiß geliebte, so doch akzeptable Ordnung gebracht.

Wir  sind  »drin«!  Das  heißt  auch:  mitten  im  stets unruhigen Strom der Entwicklung im Netz. Dieses Medium  lebt  von ständiger, nervöser Bewegung. Onliner sind ohne ordentlich  linearen Programm-ablauf  unterwegs –  das  macht  uns  zum  Dauer-Anarcho in einem sonst durchstrukturierten Medi-enhaus. Unsere User verfolgen eine Fußball-Welt-meisterschaft  in  Südafrika  auf  mehreren Plattformen zeitgleich – Livestream, Twitter, Face-book, Chat –, das muss Einkanalplaner  irritieren. Selbst  die  agile  ZDF-Medienforschung  hat  noch nicht alle Winkel der Spezies »User« auszuleuch-ten  vermocht.  Das  macht  Unberechenbarkeit  zu dem einzig verlässlichen Charakteristikum dieses Mediums.  Für  das  Jahr  2010  gilt  es  zwei  Strö-mungen zu beachten:

Die Markterfolge von iPads und Apps legen in-teressante  Facetten  zum  Nutzungsverhalten offen. Das iPad lädt die Nutzer ein, sich mit Zu-

Die »Anarchos« wollen noch mehr

Online-Preise für das ZDF

Gewonnene Preise 2010

Designpreis der BRD ZDFmediathek

Medienpreis des deutschen Bundestages Berlin-Bilanz

Red Dot Award Videothek (tivi Mediathek)

Redner- und Dialogpreis Projekt »Open Reichstag«

Goldener Spatz Beste TV-Site www.tivi.de

Giga Maus 2010 Online-Angebot zur Kinderserie »JoNaLu«

Deutscher Multimedia Award (Silber) Auslands-Geothek

Page 46: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch54    I

griff auf (vom Hersteller) begrenzte Inhalte zu-frieden  zu  geben.  Apps  sortieren  die  schwer überschaubare  Netzwelt  in  leicht  konsumier-bare  Häppchen.  »Das  (offene)  Netz  ist  tot«, mutmaßte einmal mehr die amerikanische Zeit-schrift  Wired.  Andere  prophezeien  die  organi-sierte  geistige  Verarmung  durch  den  Schleu-senwärter Apple. Wie auch immer: Beide Inno-vationen  sind  erfolgreich,  auch  weil  sie  ganz offensichtlich ein Bedürfnis nach Vorsortierung und Orientierung erfüllen.

Der  Anteil  der  Nutzer,  die  ein  Onlineangebot wie eine Zeitung »durchblättern«, geht zurück. Längst  kommt mehr als  jeder dritte Besucher unserer Angebote über gezielte Google-Anfra-gen,  nicht  über  die  Startseiten  von  heute.de oder ZDF.de. Das in sich geschlossene Design einer Site verliert gegenüber einer klaren, leicht 

zu erfassenden Struktur für Seiteneinsteiger  in unsere  Inhalte an Bedeutung. Suche, Auffind-barkeit  und  Mobilität  von  Inhalten  werden Schlüsselbegriffe von Erfolg.

Wie begleiten wir den Nutzer auf seinem Weg  in dieses sich verändernde mediale Konsumverhal-ten?  Die  technischen  Voraussetzungen  dafür  zu schaffen,  ist  das  Eine.  Vor  allem  aber  kann  die Antwort  auf  beide  Strömungen  nur  heißen,  dem Nutzer  die  Zuverlässigkeit,  Qualität  und  Vertraut-heit anzubieten, die er aus der linearen Welt kennt. Die »Marke« ist der entscheidene Träger dieser Ei-genschaften. Das ZDF hat viele davon. Es muss sie nur konsequent netzgerecht konfektionieren.

Mag sein, dass Text dabei nach wie vor ein zen-traler  Anker  beim  Konsum  von  Netzinhalten  ist. Doch die Zukunft gehört dem Bewegtbild, auf das 

Das ZDF und das  World Wide Web

33%

13%

6%

4%

38%

13%

7%

5%

33%

13%

6%

4%

38%

13%

7%

5%

Page 47: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    55

wir  unsere  Entwicklung  ausrichten  müssen.  Alle Zahlen, alle Perspektiven technischer Entwicklung für  mobile  und  andere  Plattformen  belegen  das. Wenn wir es richtig anstellen, arbeitet die Zeit für uns.

Schließlich: Wir sind »drin« – in der Strukturdebat-te. Die richtige Arbeitsorganisation ist mehr als ein lächerliches  Spielfeld  strukturverliebter  Büro-kraten. Eingefahrene Apparate sind mächtig, zäh und schlucken viele gute Ideen effektlos weg. Sie blockieren Zukunft. Wer das ZDF deshalb  inhalt-lich zukunftsfähig aufstellen will, muss es struktu-rell modernisieren. Online hat ein vehementes In-

teresse daran. Dazu gehört, dass sich die verant-wortliche Hauptredaktion Neue Medien selbst als eine Struktur des Übergangs begreift. Das Ziel, in integrierten, crossmedial ausgerichteten Redakti-onen  aufzugehen,  gehört  zum  Selbstverständnis der  Hauptredaktion.  Genauso  müssen  sich  TV-Redaktionen  in Organisation und Know-how neu erfinden.  Im  Jahr  2010  ging  eine  Arbeitsgruppe »tivi.de/Kinder und Jugend« an den Start. Sie soll beide Einheiten zu einer zusammenführen. Es gibt weitere  Initiativen,  die  auf  gemeinsame  redaktio-nelle  Verantwortung  für  Online-  und  TV-Inhalte  abzielen.  Die  Richtung,  in  die  es  geht,  zeichnet sich ab.

Die »Anarchos« wollen noch mehr

Page 48: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch56    I

Der Transformationsprozess im ZDF basiert auf der Erkenntnis, dass die bimediale Nut-zung von Fernsehen und Online eine immer bedeutendere Rolle spielen wird. Ein neues Wissensformat als Beispielprojekt zur Förde-rung des »360-Grad-Blicks« beschreibt im Folgenden Karin Müller aus der Hauptredak-tion Neue Medien.

Die  kleine  Schildkröte  schwimmt  um  ihr  Leben. Sie muss sich  ihren Weg durch den Kelpwald  in den  freien  Ozean  bahnen,  Nahrung  finden  und den  Gefahren,  die  überall  lauern,  ausweichen. Plötzlich  nähert  sich  von  rechts  ein  weißer  Hai – wird  die  Schildkröte  ihm  entkommen  können? Was  nach  einer  spannenden  Tierdoku  klingt,  ist noch viel mehr. Denn der Internetnutzer betrachtet das  Treiben  unter  Wasser  nicht  einfach  nur  am Bildschirm, er selbst ist die Schildkröte.

Aus  ihrer  Perspektive  oder  der  eines  anderen Meeresbewohners erlebt der Nutzer vor dem Bild-schirm das größte Ökosystem der Erde hautnah. Dieser interaktive Zugang ist der Kern des Online-begleitangebots  zum  Dreiteiler  »Terra  X:  Univer-sum der Ozeane – Mit Frank Schätzing«. Mit einer aufwändigen  3D-Unterwasserwelt  sorgte  die  Re-

daktion zdf.de Anfang Oktober  für Aufsehen. Sie ermöglichte es den Internetnutzern, auf eine faszi-nierende  virtuelle  Tauchfahrt  zu  gehen  und  fünf verschiedene  Lebensräume  zu  erkunden.  Mit einer passenden 3D-Brille ist die Erfahrung sogar noch intensiver: Mit dem räumlichen Sehen kommt beim  Zuschauer  das  Gefühl  hinzu,  tatsächlich unter Fischen zu sein und hautnah die Faszination und die Gefahren der Meere zu durchleben. Ganz nebenbei  lernt  der  Online-User  Schwarmverhal-ten, Lebensräume und Lebenszyklen unterschied-lichster  Tiere  in  den  Weiten  der  Weltmeere  ken-nen. Schnell vollzieht sich der Rollenwechsel vom Jäger zum Gejagten: Eben noch steuert man die kleine Schildkröte, schon geht man als hungriger Hai auf Beutefang. So anregend und fast beiläufig kann  Wissensvermittlung  im  Internet  sein,  inhalt-lich  gestützt  von  einer  Hochglanzdokumentation im TV-Programm.

Für  die  Redaktion  zdf.de  bedeutete  dieses  Pro-jekt, bekannte Wege der Aufbereitung von TV-In-halten im Internet zu verlassen und völliges Neu-land  zu  betreten,  sowohl  technisch  als  auch  in-haltlich. Immer begleitet von der Frage, ob dieses Angebot sein Publikum findet und ein narrativ-un-terhaltender  Ansatz  überhaupt  der  richtige  Weg 

Karin MüllerHauptredaktion Neue Medien,  Redaktion zdf.de

Fernsehen und Online wachsen zusammenDas neue Wissensformat

Der Zuschauer als Schildkröte ...

... oder als Weißer Hai im Kelpwald

Page 49: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    57

ist. Ein Risiko, das es in jedem Fall Wert war ein-zugehen.  Wir  konnten  bei  diesem  Projekt  Erfah-rungen sammeln, die  in vielerlei Hinsicht wertvoll waren:  Angefangen  vom  Umgang  mit  stereo- skopem  3D  über  Programmierung  und  Entwick-lung einer komplexen Unterwasserwelt bis hin zur Zusammenarbeit  mit  der  stoffführenden  TV-Re-daktion.  Dabei  hat  sich  beispielsweise  gezeigt, dass  die  Einbindung  von  Online  in  ein  solches Produkt eigentlich viel früher stattfinden muss, als es hier der Fall war. Im Idealfall sollte dies bereits in  der  Konzeptionsphase  geschehen,  um  Syner-gien bei der Produktion nutzen zu können.

Unsere  Erfahrungen  beim  Schätzing-Projekt  flie-ßen  nahtlos  ein  in  eine  Fragestellung,  die  uns schon  länger  beschäftigt:  Wie  können  sich  die Kompetenzen  in  der  Wissensvermittlung  von  TV und  Online  auch  abseits  solcher  aufwändigen Produktionen  ergänzen?  Wie  kann  dauerhaft  ein Angebot aus einem Guss entstehen? Dieser Her-ausforderung stellt sich das Transformations-Pro-jekt  »Wissensformat«, an dem Vertreter aus allen Bereichen des Senderverbundes mitarbeiten: Die Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft, 3sat, die Redaktion Umwelt, die Hauptredaktion Kinder und Jugend,  der  ZDFinfokanal,  die  Hauptredaktion Aktuelles, die Formatentwicklung, das Geschäfts-feld Bildgestaltung und die Hauptredaktion Neue Medien. Seit drei Jahren ist »Transformation« das beherrschende  Schlagwort  in  der  strategischen 

Ausrichtung  des  ZDF.  Viele  Kollegen  arbeiten daran,  Fernsehen  und  Online  immer  enger  zu-sammenzubringen.  Das  geplante  Wissensformat ist eines der drei »inhaltlichen Beispielprojekte«.

Hilfreich für uns: Ein Kernansatz der Transformati-on  ist  in der Redaktion zdf.de  in vielen Projekten gelebter  Alltag.  Neben  dem  Schätzing-Projekt haben  bereits  die  Sendungen  »ZDF  log-in«  und »Was  nun,  …?«  eindrücklich  aufgezeigt,  wie  re-daktionsübergreifende  crossmediale  Arbeit  aus-sehen kann. Während »ZDF log-in« als neuartiges Gemeinschaftsprojekt des »Länderspiegels«, des ZDFinfokanals  und  der  Redaktion  zdf.de  poli-tische  Entscheidungsträger  unmittelbar  und  live mit Fragen und Meinungen aus dem Internet kon-frontierte, zeigten die »Was nun, …?«-Sendungen rund um die Bundespräsidentenwahl, wie ein be-währtes  Format  ganz  selbstverständlich  und  un-aufgeregt durch Fragen aus dem Netz bereichert werden kann.

Beides  sind  gelungene  politische  Formate,  bei denen die Meinung des Publikums unmittelbar in die Diskussion im TV zurückfloss – aber kann das auch  bei  Wissensthemen  funktionieren?  Wer genau  hinschaut,  findet  sehr  schnell  auch  hier spannende  Kontroversen:  »Grippeimpfung –  ja oder nein?« oder »Atomkraft – Fluch oder Segen?«. Ganz  zu  schweigen  von  Gentechnik,  Stammzel-lenforschung  und  Präimplantationsdiagnostik – 

Fernsehen und Online wachsen zusammen

... oder auch als Thunfisch

Schwarzer Raucher in der Tiefsee

Page 50: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

2010.Jahrbuch58    I

die Themenfülle ist gigantisch und bietet Stoff für viele spannende Sendeminuten im TV und Online. Beide  Plattformen  werden  von  Anfang  an  be-dacht.  Das  Wissensformat  soll  über  alle  tech-nischen  Grenzen  hinweg  erkennbar  sein  und gleichzeitig die Stärken, aber auch die medialen Eigenheiten  von  TV  und  Online  beachten.  Hinzu kommt: Für TV zu entwickeln heißt heute auch die Bespielung der Digitalkanäle mitzudenken, so wie ein  erfolgreiches  Onlineformat  über  die  eigenen Seiten zdf.de und heute.de hinaus immer auch auf YouTube, Twitter und die Sozialen Netzwerke wie Facebook schauen muss. Keine leichte Aufgabe.

Im Vorfeld musste geklärt werden, mit welcher Art von Wissen wir uns überhaupt beschäftigen wol-len. Gut zu wissen ist schließlich auch die Zusam-mensetzung der Bundesregierung oder der aktu-elle Tabellenplatz von Mainz 05.

Wissen, das war schnell klar, braucht für das neue Format einen wissenschaftlichen Bezug. Gesetz-mäßigkeiten  und  Zusammenhänge  sollen  erklärt werden. Damit das Format richtig gut wird, braucht es aber mehr als die trockene Erklärung: Kontro-vers, relevant, infektiös, unterhaltend, ehrlich, ein-ordnend  und  immer  mit  Wow-Effekt  soll  das  Er-gebnis  sein.  Die  Zielgruppe:  20-  bis  50-Jährige, mehrheitlich  eher  männlich,  formal  höher  gebil-dete  (Abi  plus),  aktive,  technikaffine  Zuschauer/Nutzer. Soweit die Rahmenbedingungen.

Das  Herzstück  des  Wissensformats  soll  der  so genannte bimediale Beitrag sein. Im Klartext: Der TV-Beitrag wird im Internet mit weiterführenden In-formationen ergänzt. Und zwar zielgenau dort, wo diese  Infos  benötigt  werden.  Spricht  ein  Experte über den CO2-Abbau durch Meeresalgen, wird im Internet  genau  an  der  Stelle  eine  Infografik  zu Photosynthese  und  CO2  angeboten.  Ganz  prak-tisch  läuft  das  so  ab,  dass  beim  Klick  auf  ein kleines  Vorschaubild  der  Beitrag  stoppt  und  die Erklärgrafik  erscheint.  Verlässt  man  die  Grafik, läuft  der  Beitrag  weiter.  Um  das  zu  schaffen, braucht man ein völlig neues Erzählen, sozusagen ein bimediales Storyboard.

Kein  Herz  funktioniert  ohne  ein  ausgeklügeltes Netz an Venen und Arterien. Rund um den bime-dialen  Beitrag  werden  weitere  Formatelemente entwickelt.  Um  im  Bild  zu  bleiben:  Die  Arterien 

Buckelwal im Atlantischen Ozean

Anaglyphe 3D-Darstellung eines Schwarzen Rauchers

Zum Erkennen der räumlichen Tiefe ist eine Rot-Cyan-Brille 

erforderlich

Page 51: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL

I    59

(führen das Blut vom Herzen weg) sind originelle Videos, die sich gut  im Internet verbreiten lassen und im Idealfall zum Selbstläufer werden. Sie sol-len die  Idee des gesamten Formats nach außen tragen. Die Venen  (führen das Blut  zum Herzen) sind  die  Interaktion  mit  dem  Nutzer.  Sie  führen dem  Herz  des  Formats  neue  Inhalte  zu:  Das Thema der Sendung wird vorab im Onlineangebot diskutiert, die Reaktionen werden in einem TV-Bei-trag aufgenommen oder in einem Videoblog auf-gegriffen. Nach der Ausstrahlung  im TV wird die Diskussion  im  Netz  weitergeführt.  So  fließt  der 

Blutkreislauf ständig weiter. Eine Redaktion steu-ert als Herzschrittmacher den Verlauf der Diskus-sion, hält ihn eng am Thema und empfiehlt weiter-führende  Links  zu  Internetseiten,  Foren  und Blogs.

Wie die Wissenschaft lebt auch Crossmedia vom Experiment.  Auch  wir  forschen  weiter.  Profitieren werden  TV  und  Online  gemeinsam –  vor  allem aber die ZDF-Zuschauer, die – wie schon im Bei-spiel unserer 3D-Unterwasserwelt – ihr Wissen er-weitern und sich selbst einbringen können.

Fernsehen und Online wachsen zusammen

Hauptmenü mit Auswahl der Habitate

Ein Buckelwal schwimmt am Tauchboot vorbei

Page 52: Grundlagen der Programmarbeit Themen des Jahres JB2010 Themen des Jahres.pdfSocial Media in Wirklichkeit für eine hoch indi- viduelle, sehr persönliche, meist subjektive ... RTL