hans-peter friedrich · 2013. 4. 5. · hans-peter friedrich mit anregungen klaus töpfer mit...

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Hans-Peter Friedrich Mit Anregungen Klaus Töpfer Mit Wahrheiten Ilse Aigner Mit Energie Magazin für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft Vor dem Wahljahr Ausgabe Dezember /12 Einzelpreis 5e Harte Debatten & vernünftiger Konsenz

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  • Hans-Peter FriedrichMit Anregungen

    Klaus TöpferMit Wahrheiten

    Ilse AignerMit Energie

    Magazin für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft

    Vor dem Wahljahr

    Aus

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    Dez

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    Harte Debatten & vernünftiger Konsenz

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  • Seite 3 SENATE

    EDiToriAl

    Vor dem Wahljahr

    Praktiker als Parlamentarier gesucht

    Herausgeber Dieter Härthe

    Es gehört zum parlamentarischen Entscheidungspro-zess, Mehrheiten zu gewinnen. Auf diesem Weg ist der Politiker auf Unterstützung, Zuspruch, Medienberichte und Verständnis angewiesen. Schnell werden da die Mei-nungsäußerungen zur Kompromissrhetorik, die Kontu-ren werden unscharf, die Methoden weichen auf.Das gilt auch und besonders für den Wettbewerb der Politiker um Mandate. Gebeten werden nur wenige, ge-rufen wird kaum jemand. Um Mandate entsteht regel-mäßig ein Wettbewerb in den Parteien. Zu verlockend scheint es zu sein, die Politik als Beruf zu sehen und Macht oder Ansehen neben den Diäten als Lebensziel zu entdecken. Ein solcher Wettbewerb ist verständlich, eigentlich ein wichtiges Instrument, denn auch um die Durchsetzung der Gesetze muss gerungen werden. Wer es nicht schafft, seine Parteifreundinnen und Freunde zu gewinnen, der wird auch im Parlament keine Überzeu-gung hinbekommen. Da gilt es aber schon von Beginn an die Worte zu finden, die möglichst keinen stören könnten. Es lohnt sich, die Freundlichkeit gegenüber jedermann zu üben, die nicht immer aus dem tiefsten Herzen kommt. Kantenfreiheit der eigenen Rede und Angriffe auf die eigene Person er-tragen können, sind Pflichtprogramm.

    Typen sind gefragt

    Wer wird das aushalten wollen, wenn man in anderen be-ruflichen Bereichen erfolgreich ist, anerkannt wird, aus-kömmlich verdient und klare Entscheidungen zu treffen gewohnt ist?Ehrlich – wer ist bereit, aus der eigenen Erfolgsspur auszuscheren und im Sinne einer gemeinwohlorientier-ten Verantwortung den Wettbewerb um ein Mandat im Bundestag anzutreten? Scheut die Managerin oder der Unternehmer die Arbeit im Parlament nicht, dann kommen sicher die Zweifel, ob denn der Kampf um die Nominierung in der eigenen Partei zu gewinnen ist. Könnte nicht sogar Schaden fürs eigene Unternehmen entstehen, wenn in der Öffentlichkeit eine Niederlage bekannt wird?

    Andererseits könnten gerade die erfolgreichen Praktiker, deren lebenslanges Berufsziel nicht alleinig auf einen Sitz im Parlament ausgerichtet ist, dem Bundestag dringend benötigte Impulse geben. Politik auf Zeit, möglichst ohne Abhängigkeit vom Mandat, mit Erfahrungen aus ganz anderen Bereichen – alles keine neuen Forderun-gen. Möglich, dass solche Parlamentarier auch zu einer neuen Brücke zwischen der, sich von der Politik entfer-nenden, Gesellschaft und der parlamentarischen Zunft werden würden.Sicher, es gibt diese Experten, es gibt die Praktiker in Parlamenten, aber es sind zu wenige. Kann es nicht eine wichtige Anregung für die Parteien sein, den Weg zu den Mandaten für Quereinsteiger strukturell auszubauen? Der Aufbau einer systematischen Mischung der etablier-ten Funktionäre und der Frischlinge.

    Die Expertenquote

    Ja, es hat viel Ungerechtigkeit, es hat viele Kanten und Ecken, es wird ein Risiko für Parteien mit sich bringen. Wer soll sich zum Beispiel die Last aufbürden zu ent-scheiden, welche fleißigen Aktivisten denn dann zurück-gesetzt werden? Wer kann entscheiden, was ein Berufs-politiker ist oder nicht? All das sind Hindernisse eines parteilichen Realismus. Was aber wird sich im Verständnis für Parteien beim Ab-bau der Kluft zu den Bürgern verändern, wenn Parteien nicht bereit sind, sich zu verändern? Nur noch 1,5 Prozent der Bevölkerung sind in Parteien organisiert, davon nehmen nur 10 Prozent an Veranstal-tungen der Parteien regelmäßig teil, also 0,15 Prozent der Deutschen. Das bedeutet, 99,85 Prozent aller Bürger sind raus aus dem Personalkarussell, wenn es nach her-kömmlichen parteilichen Strickmustern gehen wird. Das kann nicht gut sein für die Parteien, das kann nicht gut sein für unsere parlamentarische Demokratie.Angesichts der Diskussion um „Quoten“ in einigen Be-reichen der politischen Diskussion, wie wäre es denn mit einer Quote für Praktiker und Experten bei der Aufstel-lung der Kandidatenlisten?

  • SENATE Seite 4

    iNHAlTSVErzEicHNiS

    Europa und die deutsche Energiewende

    Seite 20

    Energiewende und Verbraucher

    Seite 34

    Gesellschaft im Wandel

    Seite 6

    WirtschaftsWeltEnergiewende braucht impulse ..................................36

    ralf Hoffmann

    Autovermieter Hertz setzt auf Nachhaltigkeit ................38Katrin Teichert

    open Government ...................................................46Michael Bartl (HYVE AG)

    Die Waldinitiative .....................................................50

    Wasser gewinnen und aufbereiten ..............................54

    Politik und ParlamentGesellschaft im Wandel ..............................................6

    Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich

    Gedanken zur Ethik und Nachhaltigkeit in einerglobalen Gesellschaft ................................................8

    Klaus Töpfer

    Gemeinsamkeiten in der Politik ..................................16interview Sigmar Gabriel

    Europa und die deutsche Energiewende .....................20interview EU-Kommissar oettinger

    Die Eurokrise macht gerade im Süden Sorgen, aber die lebensart zieht uns immer wieder an.

  • Seite 5 SENATE

    iNHAlTSVErzEicHNiS

    Energiewende und Verbraucher .................................34interview mit ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, landwirtschaft und Verbraucherschutz

    Die Grünen und ihre bürgerliche Spitze ......................56

    PersönlichNachdenken und dennoch die Mundwinkel einStückchen höher .......................................................12

    Bernd Stelter

    Die Marktwirtschaft hat eine echte chance aufmehr Gerechtigkeit ...................................................24

    Nobelpreisträger Joseph Stiglitz

    EUroPA, wie wir es lieben ........................................30christoph Brüssel

    aus dem senatKlaus Töpfer ist Ehrensenator des Senates ...................40

    Energiegespräch mit EU-Kommissar oettinger ............41

    Nachhaltigkeit für das Stabilitätsgesetz .......................42

    EU-Kommissar a.D. im Senatsgespräch Berlin .............43

    Jahrestagung ...........................................................44

    Gastbeiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder. Trotz größtmöglicher Sorgfalt kann der Herausgeber keinerlei Gewähr für die Aktua-lität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der be-reitgestellten Informationen übernehmen. Nachdruck, auch auszugsweise unter Angabe der Quelle gestattet. Belegexemplar erbeten.

    IMPRESSUMHerausgeber:Dieter Härthe, ViSdPPlatz der Vereinten Nationen 753111 BonnTel: +49 (0)228-915-605-0www.senat-deutschland.deHauptstadtbüro:Schiffbauerdamm 4010117 BerlinTel: +49 (0)30-310-195-95

    Redaktion:Dr. Christoph Brüssel(Chefredaktion)Jennifer Simon (RvD)Constantin HärtheMaria C. WilhelmAnnette AhlbornDoris Mäder (Redaktionsassistenz)Layout: Heiner StellmachLektorat: Alectis, BonnDruckerei: SZ-DruckAuflage: 10.000 Exemplare

    Gedanken zur Ethik und

    Nachhaltigkeit

    Seite 8

    Nachdenken und dennoch die Mundwinkel ein

    Stückchen höher

    Seite 12

    Die Marktwirtschafthat eine echte

    chance auf mehr Gerechtigkeit

    Seite 24

    Die Eurokrise macht gerade im Süden Sorgen, aber die lebensart zieht uns immer wieder an.

  • SENATE Seite 6

    PoliTiK UND PArlAMENT

    „Das Vertrauen der Bürger in den Staat ist

    eine notwendi-ge Vorausset-zung für das

    Funktionieren der demokra-

    tischen und auch der sozia-len ordnung.“

    Veränderungen bestimmen seit Men-schengedenken unser Leben. Nehmen

    wir nur das Beispiel Internet, ein Medium, das in rasender Geschwindigkeit unsere

    privaten und beruflichen Lebensbereiche durchdrungen hat. Wichtig ist, sich nicht von

    den Entwicklungen und Ereignissen überrollen zu lassen, ganz gleich, ob sie auf techni-schen Errungenschaften, gesellschaftlichen oder politischen Umbrüchen beruhen. Aufgabe von Staat und Gesellschaft ist es, Wandel aktiv zu gestalten. Mit Blick auf unser ge-sellschaftliches Zusam-menleben müssen wir uns daher fragen, welche

    Bedingungen gegeben sein müssen, damit sich ein Leben in Freiheit und Verantwortung entfalten und für jeden Einzelnen wie auch für die Gemein-schaft sinnvoll gestaltet werden kann. Ein zentrales Element ist unsere demokratische Gesellschaftsord-nung. Doch Voraussetzung für gelebte Demokra-tie sind nicht nur die verfassungsrechtlichen und politischen Institutionen und Verfahren, hinzu-treten muss die Bereitschaft der Bürger, die Pflege der demokratischen Ordnung als eigenes Anliegen anzunehmen. Über sechzig Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und dreiundzwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer dürfen wir dankbar und auch stolz auf das Erreichte sein. Doch wir erleben derzeit auch Entwicklungen, die sich gegen den Grundkonsens unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung richten.

    Gesellschaftliche Veränderungsprozesse bringen oft auch Verunsicherung, Selbstzweifel, Enttäuschun-gen, Ängsten, individuelle Rückzugstendenzen, aber auch Radikalisierungen mit sich. Das Gefühl etwa, keine Perspektive auf eine gute Arbeit oder so-

    zialen Aufstieg zu haben, gar überflüssig zu sein und nicht gebraucht zu werden, führt zum Rückzug aus dem sozialen Leben. Gesellschaftlicher Zusammen-halt ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine unserer großen Daueraufgaben. Was unsere Gesellschaft vor allem – auch angesichts europäischer oder internationaler Herausforderun-gen – zusammenhält, sind ihre Bindekräfte. Werte wie die Gemeinwohlorientierung, Leistung und Bil-dung, verbunden mit sozialem Engagement, Tole-ranz und gegenseitigem Respekt. Solche Bindekräf-te des gesellschaftlichen Zusammenhalts müssen wir stärken und damit zu einer gesellschaftlichen Atmosphäre beitragen, die gleichermaßen zukunfts-taugliche und wertorientierte Lösungen fördert. Denn gerade in sich verändernden und bisweilen noch nicht erfahrungsgesättigten Situationen wer-den Menschen und (extremistische) Gruppen ideo-logisch versuchen, die Verunsicherung für sich zu nutzen, indem sie scheinbar einfache, aber oft auch ausgrenzende und damit nicht gemeinwohlorien-tierte Lösungen anbieten.

    Das Vertrauen der Bürger in den Staat ist eine not-wendige Voraussetzung für das Funktionieren der demokratischen und auch der sozialen Ordnung. Dabei ist die Gestaltungskraft der Bürgerinnen und Bürger zugleich eine starke Ressource eines Staates, der sich seiner Begrenztheit bewusst ist. Denn der demokratische Staat kann von sich aus nicht gesell-schaftliche Maßstäbe vorschreiben, er kann dafür werben, aufklären, Befähigungen und Teilhabe för-dern, auch in der Substanz dazu beitragen, Binde-kräfte in unserer Gesellschaft zu festigen, indem er Fliehkräfte reduziert. Umsetzen, mit Leben erfüllen müssen dies die Bürgerinnen und Bürger.

    Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Beteili-gungsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger an politischen Prozessen. Gerade bei der Durchfüh-rung von Großvorhaben werden immer öfter wei-tergehende Mitsprachemöglichkeiten eingefordert. Dabei wird aktuell allerdings die Idee der repräsen-

    Gesellschaft im Wandel

    Exklusiv in Senate: Jeder Einzelne trägt eine Mitverantwortung für das Gelingen einer funktionierenden Gesellschaft

    Bundesinnenminister Dr. Hans-Peter Friedrich

    BundesinnenministerDr. Hans-Peter Friedrich

  • Seite 7 SENATE

    PoliTiK UND PArlAMENT

    tativen Demokratie stärker hinterfragt, die nach der Meinung mancher in der gegenwärtigen Ausprä-gung nicht mehr den Vorstellungen der Menschen von einer angemessenen Vertretung entspricht. Die Institutionen der parlamentarischen Demokratie – periodische Wahlen, Wahlkämpfe, Parteienkonkur-renz – seien auf der einen Seite formal gesehen zwar intakt. Doch auf der anderen Seite stimme die da-hinter stehende Figur der Legitimation politischen Handelns durch die Partizipation des Volkes nicht mehr mit den realen Gegebenheiten überein, weil die zentralen Anliegen der Bürger von den Parteien vermeintlich ignoriert werden. Verliert die Demo-kratie ihren partizipativen Kern? Verkommt sie gar zur elitären Zuschauerdemokratie?

    Für die Berechtigung dieser These spricht zunächst eine seit Jahren sinkende Wahlbeteiligung, wenn auch auf Bundesebene nicht so stark wie auf Länder-ebene. Mitglieder verlassen die Parteien, teilweise scheint die Bürgerschaft den Rückzug ins Private angetreten und die Verfolgung des Gemeinwohls den politischen „Eliten“ überlassen zu haben. Von der wachsenden Skepsis gegenüber den einge-spielten Formen der Politik kann jedoch nicht ohne Weiteres auf eine Verdrossenheit an der Politik als solcher oder gar auf eine allgemeine Demokratie-verdrossenheit geschlossen werden. Vielmehr zeigt sich: Wenn die Bürger frühzeitig informiert und of-fen angehört werden und eine Auseinandersetzung mit ihren Argumenten erfolgt, führt dies zu einer deutlich höheren Identifikation und Verantwor-tungsübernahme für das Gemeinwohl. Mehr Bür-gerbeteiligung ist daher nicht nur sinnvoll, sondern auch geboten, wenn sie in das bestehende System integriert wird.

    Wir sehen das ganz deutlich bei der Bewältigung de-mografischer Probleme. Auch hier spielt die gesell-schaftliche Wahrnehmung eine nicht unerhebliche Rolle. 73 Prozent der deutschen Bevölkerung halten es für ein „ernsthaftes Problem, dass es in Deutsch-land immer mehr ältere und immer weniger jüngere

    Menschen geben wird“ (Umfrage Allensbach, Feb-ruar 2012). Negative Vorstellungen über das Alter sind in unserer Kultur tief verwurzelt. Es ist ein wichtiger Schritt, zur Nutzung des Potenzials der gewonnenen Jahre einseitig negative Vorstellungen über das Alter zu revidieren. Altersstereotype wer-den der Vielfalt des individuellen Alterns nicht ge-recht.

    Die im Bundesministerium des Innern federfüh-rend erarbeitete Demografiestrategie der Bundes-regierung, die im April dieses Jahres im Kabinett verabschiedet wurde, hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, das Bewusstsein für die langfristigen Ver-änderungen in der Bevölkerungsentwicklung zu schärfen und zur Formulierung kollektiver Ziele und Visionen anzuregen. Sie hat zu diesem Zweck die Einbindung aller gesellschaftlichen Akteure, der Menschen vor Ort, Gespräche mit Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft und Sozialpartnern, aber auch eine breite Presse- und Öffentlichkeitsar-beit vorgesehen.Der informative Austausch zwischen Staat und Bür-gern wird intensiviert werden. Themen wie lebens-langes Lernen, gesunde Lebensführung und famili-äres Zusammenleben gehen uns alle an und können nur mit den Bürgern gemeinsam vorangebracht werden. Es ist uns gelungen, einen übergreifenden Arbeitsprozess in Gang zu setzen. Er wird nicht nur strukturpolitische Entscheidungen voranbrin-gen, sondern die gesellschaftlichen Kräfte und die einzelnen Bürger an seinen Entscheidungen aktiv beteiligen.

    Jeder Einzelne kann viel zum Gelingen einer funk-tionierenden Gesellschaft beitragen. Der Staat muss ihm dazu natürlich die Möglichkeit geben, ihn for-dern und fördern. Politik muss mehr informieren, aufklären und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Ich bin zuversichtlich, dass wir so gemeinsam eine gesamtgesellschaftliche Debatte befördern können und vernünftige gesellschaftliche und politische Antworten finden werden.

  • SENATE Seite 8

    PoliTiK UND PArlAMENT

    Prof. Dr. Klaus Töpfer bezieht in freier Rede Stel-lung in der Diskussion um Folgen der Finanzkrise und neue Wege einer ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft. In Hamburg äußert er sich beein-druckend vor dem Senat der Wirtschaft.

    Fast zwölf Jahre lang bin ich Bundesminister ge-wesen, also einer von dieser Spezies, die, wie man so schön sagt: „Im Leben nichts verstehen, aber

    davon viel“ und die im Allgemeinen so etwas in die Richtung abgehakt werden: „Da

    kannst du eigentlich auch ohne negati-ve Konsequenz draufhauen“. Politiker-Bashing ist was Feines.

    Da erinnere ich mich an einen Schweizer Juristen, der einmal den schönen Satz gesagt hat: „Die Politi-ker werden immer von den Menschen

    nach dem Motto bewertet: Warum seid ihr eigentlich nicht so, wie wir sein sollten“. Ich finde den Satz wirklich ge-

    diegen. Und manchmal bin ich in Versuchung,

    die Maßstäbe, die man an das Politische an-legt, auch in anderen Be-reichen mal zu erproben.

    Gedanken zur Ethik und Nachhaltigkeit in einer globalen Gesellschaft

    Von Klaus Töpfer

    Was mir in ganz besonderer Weise Sorge macht, ist, dass wir in einer Zeit angekommen sind, in der wir so etwas wie ein Diktat der Kurzfristigkeit haben. Ein Satz, den der gegenwärtige Ministerpräsident von Italien gesagt hat: „Man muss das Diktat der Kurzfristigkeit überwinden.“

    Warum?

    Alle Krisen, die wir haben, sind eigentlich der Of-fenbarungseid der Kurzfristigkeit. Und das ist eine ethische Dimension erster Qualität. Wenn wir uns daran gewöhnen, dass wir Kosten unseres gegenwär-tigen Wohlstands auf neue Rechnung vortragen, in der Hoffnung, dass wir nicht immer diejenigen sind, die die neue Rechnung bezahlen, dann ist es eine im Kern unethische Position.

    Wenn wir uns daran gewöhnen, dass wir sagen, wir können Teile der Produktionskosten, etwa die Be-seitigung von Abfällen, nicht mehr bei uns haben, und es schieben auf andere, die Nachholbedarf in der Ökonomie haben und woanders in dieser Welt leben, dann ist das eine, wie ich meine, unethische Position. Es ist eine zutiefst unchristliche Position.

    Nachhaltigkeit heißt für mich gegenüber der Kurz-fristigkeit und darüber hinaus, zu fragen, was die mittleren und langfristigen Konsequenzen sind, und macht ein Unternehmen das auch zu seiner Entscheidung?

    Ich möchte Hans Jonas zitieren, den großen Philo-sophen der Verantwortung, ein deutscher Jude, der vor dem Holocaust geflohen ist, und dann hinterher

    Diktat der Kurzfristigkeit

  • Seite 9 SENATE

    PoliTiK UND PArlAMENT

    in seiner Heimatstadt Mönchengladbach das Buch „Prinzip Verantwortung“ geschrieben hat. Mit der erweiterten Entwicklung des kategorischen Impe-ratives: „Handle so, dass die Konsequenzen deines Handelns im Einklang stehen mit der Dauerhaftig-keit echten menschlichen Lebens auf Erden.“

    Die Dauerhaftigkeit, darum geht es mir in ganz be-sonderer Weise und das muss man dann auch bitte immer wieder, wenn es irgendwie geht, konkret wer-den lassen.Andere Diskussionen, die man so erlebt, sind nicht immer zielführend, und da sind Politiker wirklich sehr führend.

    Immer häufiger entwickeln sich Problemdiskussio-nen nach dem Motto: „Wenn wir jetzt alle Eier hät-ten, könnten wir Schinken mit Ei machen, wenn wir Schinken hätten.“ Und in dieser Weise sind wirklich auch viele Öko-nomen unterwegs. Ich sag das jetzt nur noch ganz leise, dass ich mal Volkswirtschaft mit Erfolg stu-diert habe. Nachdem ich gesehen habe, mit welcher großen überzeugenden Leistung die Ökonomie als Wissenschaft die Vorhersage dieser Krise und die Bewältigung dieser Krise begleitet hat. Und ich weiß, dass wir uns eigentlich in unseren Fragestel-lungen von denen entfernt haben, für die wir eigent-lich Wissenschaft machen.

    Ich bin halt auch in einer Zeit Ökonom geworden, in der zunehmend nicht mehr die Frage beantwor-tet wurde: Was ist denn relevant in der aktuellen Wirtschaft, sondern: Was ist nach welchem mathe-matischen Algorithmus belegbar? Wir haben wunderschöne Modelle gemacht. Mit der Wirtschaft hat dies eigentlich wenig zu tun gehabt.

    Es ist gut zu wissen, dass die Vergabe des Nobel-preises für Ökonomie jetzt langsam eine Wendung nachvollzieht und so etwas wie verhaltensbezogene ökonomische Aussagen macht.

    Gibt es nur ein Modell der Nachhaltigkeit?

    Und da kommen wir zu der Fragestellung: Gibt es eigentlich nur eine nachhaltige Entwicklung oder gibt es nicht nachhaltige Entwicklungen? Ich zitiere da gerne ein kleines Ereignis, als man Gandhi mal gefragt haben soll: „How do you think about western civilization?“ Und er hat darauf ge-antwortet: „That would be a good idea.”

    Können wir nicht mal fragen, ob es auch unter an-deren kulturellen Bedingungen eine Lösung nach ethischen Bedingungen und andere Entwicklungs-fragen gibt? Sind wir nicht sehr eurozentrisch, wenn wir glauben, dass das, was wir Entwicklung nennen, das ist, was die ganze Welt ebenfalls nachzuahmen hat?

    In der Funktion für die UN habe ich acht Jahre in Afrika gelebt. Es wäre wirklich eine Schande, würde man mit denselben Augen zurückkommen, mit de-nen man dahin gegangen ist. Wie viel Augenöffner hat man damals gehabt?Also, ich glaube schon, dass wir nicht nach dem guten Motto vorgehen: Wir machen das jetzt mal anders und alle laufen nach.

    Ich plädiere dafür, dass wir uns wirklich ernsthaft darüber Gedanken machen: Welche Konsequenzen

  • SENATE Seite 10

    PoliTiK UND PArlAMENT

    Nein, wir müssen wieder das Politische politisch machen. Das scheint mir der wichtige Punkt zu sein. Und eine Demokratie, in der in allen Umfra-gen nach Bewertung der Berufe der Politiker sich im Augenblick mit dem Banker um den letzten Platz kloppt, eine solche Demokratie wird nicht stabil sein können. So kann es ja nicht sein, denn es gibt dann hinter-her möglicherweise so etwas wie eine „Selffulfilling Prophecy“. Müssen wir nicht so etwas wie eine kulturelle Wie-derbelebung des Politischen haben?Und wir müssen uns schon darüber Gedanken ma-chen: Wie kriegen wir denn eine ethische Dimen-sion in eine Zeit hinein, in der der Mensch immer mehr daran kommt, ein Stück Schöpfer sein zu wol-len und nicht nur ein Geschöpf ? Müssen wir nicht ingenieurmäßig das korrigieren, was wir als mensch-liches Tun kaputtgemacht haben?

    Ulrich Bedger, ein Mitglied der Ethikkommission war ein wirklich großer Denker und engagierter Mensch in der Realität der Politik.Er hat darauf hingewiesen, dass es eigentlich gar kei-ne Naturkatastrophen gibt. Dass die Natur sich im-mer bewegt, das sich immer Verändernde ist Natur. Es wird zu der Katastrophe dadurch, dass etwas, was der Mensch gemacht hat, dadurch betroffen wird. Dies als Naturkatastrophe bezeichnet, ist wiederum der Ausdruck eines sehr anthropozentrischen Den-kens. Ein Tsunami im Pazifik ist nur dann eine Kata-strophe, wenn man an einem Strand vier Kernkraft-werke nebeneinander baut und nicht dafür Sorge trägt, dass die das nicht zerstört.Dann ist es eine Katastrophe. Oder wenn man in seiner Bauleitplanung an einen Fluss, von dem man weiß, dass der Hochwasser bekommt, Ausweise für Bauten macht, von denen man von vorneherein weiß, das wird eine Katastrophe. Vor allen Dingen dann, wenn man am Oberlauf des Flusses gleichzei-tig noch abholzt, damit wir da Lebensmittel erzeu-gen können, landwirtschaftliche Produkte, dann ist das sicherlich keine Naturkatastrophe mehr, son-dern es ist eigentlich deswegen eine Katastrophe, weil der Mensch da so gehandelt hat.

    hat denn das Entwicklungsmodell, das uns dorthin gebracht hat, wo wir jetzt sind. Benötigen wir nicht eine globalisierte Welt, die mit anderen Wertstruk-turen ebenfalls auskommt und mit diesem Denken sogar unseren eigenen Bereich schon mit erreicht hat?

    Auf einer der ersten globalen Konferenzen in Stock-holm 1972 hat Indira Gandhi teilgenommen und eine fantastische Rede gehalten. Und da hat sie unter anderem gesagt, das sei ja verständlich, dass die hoch entwickelten Länder den Entwicklungs-ländern sagen, was sie denn nicht tun sollen, weil sie damit schlechte Erfahrung haben. Sie möchten doch aber den hoch entwickelten Ländern sagen, dass genau diese Fehler, vor denen sie uns warnen, die Gründe dafür sind, dass sie jetzt reich sind.Und deswegen glaube ich, es ist gut, dass wir uns in diese gesamten Bereiche gedanklich hinein begeben. Ich glaubte in der Zeit nach Lehman, als auf einmal herausragende Ökonomen in Deutschland sagten: Wir müssten jetzt jedem einen Geldschein geben, damit die kaufen. Dann wird nicht mehr gefragt, ob sie das, was sie kaufen, brauchen, sondern die Tatsa-che, dass sie kaufen, ist für einige entscheidend.Als ich aus Afrika zurückkam, war ich der Meinung, wir hätten eine Änderung des Grundgesetzes erfah-ren. Ein neuer Artikel sei aufgeschrieben worden, die Pflicht zum Konsum.

    Als ich heranwuchs, gab es noch so etwas wie eine Verpflichtung und eine Herausforderung zu sparen.Sparen in der Zeit, in der wir leben, mit einer der-artigen massiven Vermehrung der Geldmenge? Wer kommt noch auf solche Ideen?

    Sind das nicht Umkehrun-gen von Werten?

    Also, man wird sich schon Gedanken zu machen haben, wenn man Ehrensenator dieses Senats der Wirtschaft wird. Und wenn man solche Vorgänger hat, wie ich sie darin vorfinde, umso mehr.

  • Seite 11 SENATE

    PoliTiK UND PArlAMENT

    Wie gehen wir damit eigentlich auch in unserer ethischen Bewältigung um? Deswegen waren wir der Meinung, es war die höchste Zeit, dass wir für die Beurteilung des technologischen Vorgehens so etwas wie eine ethische Betrachtung dazu geliefert haben. Höchst gefährlich. Wenn du einmal damit anfängst, fragt jeder: Ist das jetzt das Kochbuch zur Bewertung von Technik unter ethischen Gesichts-punkten?

    Und wenn es so bei dir zu dem Ergebnis kommt, es gäbe ethische Gründe dafür, eine Technik nicht zu nutzen und dein Nachbar nicht dazu kommt, haben wir dann eine deutsche Ethik oder sind die Nach-barn nicht ethisch?

    Es ist die Perspektive, und die begehen wir in einer Welt, die eigentlich anthropogen ist, Menschenzeit-alter ist. Da werden wir sehen, dass wir eigentlich aufgerufen sind, die Folgen, die Fehler vorange-gangenen Tuns durch menschliches Tun wieder zu korrigieren.

    Viele gute Gedanken sind darüber noch zu entwi-ckeln. Und ich wünsche allen viel Glück dabei, da-ran mitzuwirken. Mitwirken aber bitte nicht mit dem Hinweis: „Wenn wir jetzt Eier hätten!“ Das nicht. Denn dieses Mitwirken frustriert und führt genau zu dieser Ablehnung öffentlichen Engage-ments, die wir uns nicht leisten können.

    Für mich ist das Politische mehr als das Parteipo-litische. Und wir müssen uns in dieser Gesellschaft darin klar sein, dass das Politische heißt, wir wollen nach Werten, nach Vorstellungen, wie wir zusam-menleben wollen, jetzt und in der Zukunft mitsu-chen und uns engagieren.Ob das in einer Bürgerinitiative ist, ob das in einem Verein ist, ob das bei der Tafel ist, in der wir arme Menschen bei uns ernähren. Weil wir das mögli-cherweise nicht mehr staatlich regeln können oder vielleicht nicht wollen, sagen andere. Alles dies ist das Politische, ist die Dimension unserer Gesell-schaft. Und wir sollten glücklich sein, dass wir sie haben.

    Klaus Töpfer trifft beim Senat Klaus Töpfer, ein Senatsmitglied und Namensvetter

    Prof. Klaus Töpfer mit Prof. Franz-Josef radermacher

  • SENATE Seite 12

    PErSÖNlicH

    Nachdenken und dennoch die Mundwinkel ein Stückchen höher

    Von Maria C. Wilhelm

    kender Kopf, der es schafft, die Gedanken witzig, aber intelligent auf den Punkt zu bringen.

    Zu der Zeit war er im Rheinland schon längst ein großer Star, denn in den letzten 20 Jahren hat er in jeder Karnevalssession mit einer Mischung aus Per-siflage und Pointen die großen Säle zum Kochen gebracht. Zahlreich die Preise, die er bekommen hat für seine Bühnenerfolge.

    Dort wissen die wenigsten von dem politischen Kern Bernd Stelters. In den 80er-Jahren gehörte auch er zu der Liedermacherszene, wenngleich seine Medienpräsenz geringer als bei anderen war. Mögli-cherweise ist dies darin begründet, dass Bernd Stel-ter zu den wenigen Liedermachern gehörte, die sich dem bürgerlichen Lager verschrieben haben. Das bedeutet nicht, dass er eine parteipolitische Fest-legung hatte, aber die linke Revolution war nicht seine. Von Wirtschaft versteht er auch was, denn er studierte Volkswirtschaft.

    Damals erzählte man sich in der Bonner Fakultät für Rechts- und Staatswissenschaften, dass dieser Bernd Stelter auf der Uni zu den Begabten zählte, weil er in den Arbeiten Spitzennoten erreichte. Das ist nicht immer das, was man von den Künstlern und TV-Stars typischerweise erwartet.Aber genau dieses Bild von Bernd Stelter hat die SENATE-Redaktion auf die Idee gebracht, mit ihm über das Verhältnis zwischen Comedy und Gesell-schaft, zwischen Bühne und Wirtschaftsleben nach-zudenken. Das passt auch gut zu seiner derzeitigen

    TV-Star Bernd Stelter exklusiv in SENATE

    Ernsthafte Gedanken einesKomikers

    Wenn Du normalerweise zu einem Interview gehst, habe ich mir auf dem Weg zum Gespräch gedacht, dann recherchierst Du genau zur Per-son, guckst im Internet nach und liest einiges zum Werdegang des Gesprächspartners.

    Aber diesmal ist es anders. Diesmal, vor dem Ge-spräch mit dem Komiker und TV-Moderator Bernd Stelter, glaube ich sogar mehr Informatio-nen zu haben, als sich bei Wikipedia oder anderen Google-Recherchen finden lassen. Wir kennen uns schon aus Studentenzeiten. Deshalb kenne ich ei-nen Bernd Stelter, der, bevor er zum TV-Star wurde, auch schon viele interessante Facetten aufzuweisen hatte.

    Dem bundesweiten Publikum wurde er richtig be-kannt, als er bei „7 Tage, 7 Köpfe“ jede Woche unter Beweis stellte, wirklich ein „Kopf “ zu sein. Ein den-

  • Seite 13 SENATE

    PErSÖNlicH

    Bühnentournee. Denn neben der lustigen Arbeit für den Karneval, bei der er regelmäßig um die 100 Auftritte zu absolvieren hat, ist Bernd Stelter in die-sem Jahr zu weiteren 80 Bühnenabenden mit seinem Programm „Die Mundwinkel ein Stückchen höher“ quer durch Deutschland unterwegs.Da interessiert uns direkt zu Anfang des Gesprächs, wie Comedy und politischer Anspruch denn zusam-mengehen. Bernd Stelter stellt erst einmal richtig:

    … ich seh’ mich nicht als Comedian. Ich glaube, ein Comedian, der hat ein Mikro-fon in der Hand und rennt zwei Stunden lang über die Bühne und erzählt, Haupt-sache es ist lustig. Das wäre mir zu wenig. Das würde mir nicht reichen. Natürlich will ich auch, dass die Leute bei mir lachen, das ist das Ziel eines jeden Komikers. Ich sehe mich also wirklich eher als Komiker oder als Kabarettist. Also natürlich will ich, dass die Leute lachen, aber ich habe immer ein Thema und dieses Thema beackere ich dann, das beleuchte ich dann auch immer von mehreren Seiten. Im Moment das aktuelle Thema ist Mund-winkel hoch und ja, das ist schon ein Zwei-Stunden-Programm über Optimismus.

    Optimismus aber durchaus auch dann, so wie ich das heraushöre, mit einem gesellschaftspolitischen Anspruch?

    Ja natürlich. Das ist ja der Witz, dass gera-de wir Deutsche, denen es nun wirklich gut geht, uns geht es wirtschaftlich gegenüber den meisten anderen Staaten immer noch sensationell, der Vettel wird schon wieder Weltmeister, wir hatten einen Knaller-Som-mer und eigentlich müssten wir alle rum-laufen wie Lothar Matthäus im Mädchenin-ternat – und wir tun´s nicht.

    Da hab’ ich mich natürlich gefragt, wor-an liegt das? Warum habe ich, wenn ich in Holland im Urlaub bin, obwohl das nur einen Katzensprung weg ist, den Eindruck, die Menschen sind fröhlicher als bei uns. Und dann hab’ ich einmal recherchiert, ob das nur eine Idee von mir ist oder ob das wohl belegbar ist. Es existiert eine Studie der University of Michigan, die nennt sich „World Values“.Die messen jedes Jahr anhand von ver-schiedenen Kriterien die Zufriedenheit der einzelnen Bevölkerungen. Und da ist raus-gekommen, dass weltweit die Zufriedenheit überall angestiegen ist, nur in Deutschland nicht.

    Ja, wir sind da wirklich die einzige Aus-nahme. Die andere Beobachtung ist, die Holländer sind tatsächlich in diesem Zufrie-denheits-Ranking Top Ten. Die Skandinavi-er, alle vier Länder Top sechs, unsere Nach-barn im Osten, die Polen sind Platz 11. Wir Deutschen sind hinter Ruanda und Ni-geria auf Platz 47. Also, insofern ist ein Pro-gramm über Optimismus und Fröhlichkeit natürlich gesellschaftspolitisch.

    Und nehmen die Zuhörer denn Botschaften an oder sind es nur die Lacher, die wirken, der Inhalt bleibt als Witz in Erinnerung?

    Nein, nein ich denke schon, dass die Bot-schaft auch angenommen wird. Am Ende sage ich dann, wenn Sie jetzt nach Hause gehen und Sie dann den Eindruck haben, dass Ihre Mundwinkel tatsächlich 2 Milli-meter weiter oben sind, dann tun Sie mir ei-nen Gefallen, klingeln Sie beim Nachbarn und erzählen Sie ihm das. Und ich höre hinterher, wenn ich im Foyer sitze, immer,

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    Mensch da sind die Mundwinkel wirklich hochgegangen, und wenn Du Dir einmal mein Gästebuch anguckst im Internet, was die Leute da reinschreiben, also ich denke schon, dass die Leute das annehmen.

    Wie beobachtest Du das, als früher politischer Künstler und auch als Volkswirt, wenn Du diese Beobachtung jetzt auf die wirtschaftliche Ent-wicklung beziehst?

    Ich denke mal, diese Unzufriedenheit der Deutschen hat eben mit der wirtschaft-lichen Seite wenig zu tun, denn die ist ja ausgesprochen positiv. Ich denke, was in Deutschland problematisch ist, dass die Leute nicht mehr rausgehen, dass sich die Leute mit ihrem Internet und ihren E-Mails und Facebook und Fernsehen einigeln. Vor Urzeiten hat man das mal als Facepopcorn beschrieben.Um zufrieden zu sein und fröhlich zu sein, muss man gute, schöne Bilder sehen und diese Bilder sieht man nicht vor dem Com-putermonitor, die sieht man sicher auch nicht im Fernsehen und die Leute müssten rausgehen.Die Suchtbeauftragte der Bundesregierung hat im letzten Jahr mal Zahlen bekannt gegeben, dass 25 %, also ¼ der Jugendli-chen in Deutschland nicht mehr am öffent-lichen Leben teilnehmen, weil sie nur noch vor dem Computer sitzen. Das sind ganz schlimme Verhältnisse und da müsste man ganz dringend was dran tun.Wenn ich jetzt z.B. sage, denk mal einen Apfel, dann kannst Du mir hinterher sagen, welche Farbe der hatte. Das heißt, Du hast nicht A. P. F. E. L. gedacht, sondern Du hast einen Apfel vor Dir gesehen.So funktionieren wir ja. Der Mensch denkt in Bildern. Ich sag’ immer auf der Bühne: Der Mensch ist eine Digitalkamera mit ei-ner riesigen Speicherkarte. 9.000 Bilder, hat ein Mann ausgerechnet – ein schlauer

    Mensch denken wir – ca. pro Tag. So, und diese 9.000 Bilder, die speichern wir natür-lich ab, und zwar im Unterbewusstsein, und dieses Unterbewusstsein ist dafür zuständig, wie das geht.Das heißt, wenn wir jetzt nur Schrottbilder gucken, dann wird es uns auch nicht gut gehen. So, und wenn man sich jetzt einmal überlegt, was für Realityserien und Formate da jeden Nachmittag auf uns einprasseln. Wir machen morgens um sieben Uhr das Radio an, hören jede Stunde die Nachrich-ten und fahren den Computer hoch und das Internet läuft auf Flatrate durch. Damit bauen wir uns einen Informationspool auf und deswegen meinen wir, wir müssten gar nicht mehr rausgehen.

    Als Künstler mit dem Hintergrund Volkswirt-schaftslehre und einer Erfahrung als politischer Liedermacher, kommt da in den Programmen auch im Beruf das Sendungsbewusstsein durch, Themen wir Ökologie oder Verantwortung der Wirtschaft?

    Nein. Ich teile diese Einstellung, ich versu-che alles, was ich mache, mit einem hohen Qualitätsmaßstab zu verbinden. Ich kaufe z.B. Wurst nicht mehr im Supermarkt, son-dern ich gehe zum Fleischer. Und ich ver-suche, mein Obst und Gemüse auf dem Markt zu kaufen oder bei einem Bauern um die Ecke. Ich erkundige mich, wer mein Hähnchen hergestellt hat oder woher die Eier sind. Das finde ich sehr wichtig.

    Ich achte genau darauf, wie viel Strom wir verbrauchen und versuche da unseren gan-zen Haushalt so zu strukturieren, dass das auch in zehn, fünfzehn Jahren noch mach-bar ist, wenn ich vielleicht nicht mehr 80 Tournee-Auftritte pro Jahr fahren möchte. Für mich persönlich ist es eine wichtige Ge-schichte. In meinem Beruf selber, da nehme ich es so nicht wahr.

    Künstler mit Hintergrund: Bernd Stelter

    Wenn ein Mensch 20 Sekunden laut lacht,das ist die gleiche körperliche Anstrengung wie drei Minuten stark rudern.

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    Sind Künstler in der Lage, Gesellschaft in ihrem Verhalten zu beeinflussen?

    Also, bei Comedy nicht, Hauptsache, die Leute lachen. Das reicht mir sicherlich nicht. Dass Kabarettisten Leute beeinflus-sen können und auch durchaus sollen, das ist natürlich so. In der Richtung sehe ich mich nicht als Comedian.

    Wie vergleichst Du denn eigentlich diesen Denkansatz mit der Arbeit im Karneval? Früher hat man immer darüber gesprochen, dass Karne-val auch der Gesellschaft einen Spiegel vorhält.

    Ich bin ja in Köln sozusagen der einzi-ge politische Redner mittlerweile und ich mach’ in meinem Programm im Karneval es durchaus politisch. Karneval, finde ich, ist ein tolles Phänomen und passt auch extrem gut in das, was ich vorher zum Mundwinkel hoch gesagt habe.

    Es gibt jede Menge Kritiker, die sagen, Karneval, das ist verordnete Fröhlichkeit. Und dann sage ich immer: Ja und, wo ist das Problem? Medikamente werden auch verordnet. Wir gehen auch alle davon aus, dass sie helfen.

    Und wenn die Fröhlichkeit verordnet sein soll, mir persönlich ist es egal. Ich glaube, dass sie nur immer am Aschermittwoch unterbrochen wird, sonst würden die Rheinländer durchfeiern. Also insofern finde ich es nicht verordnet. Aber wenn man das als verordnet sieht, macht auch nichts, weil es trotzdem wirken wird.

    Wenn ein Mensch 20 Sekunden laut lacht, das ist die gleiche körperliche Anstren-gung wie drei Minuten stark rudern. Das bedeutet, Karneval ist gesund und das bedeutet, das sollte es auf Krankenschein geben.

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    PoliTiK UND PArlAMENT

    Harte Debatten und politische Kultur Sigmar Gabriel im Gespräch mit dem Magazin SENATE

    Von Maria C. Wilhelm

    1

    Sie unterstützen die europaweiten Proteste gegen die Sparpolitik der regierungen. ist die Staatsverschuldung aus ihrer Sicht nicht so gra-vierend, dass Sparen zur Pflicht wird?

    Natürlich brauchen wir eine verantwortungs-volle Haushaltspolitik. Das heißt, dass Ausga-be- und Einnahmeseite fortlaufend überprüft werden müssen. Einseitig und ausschließlich auf Haushaltskürzungen zu setzen, kann aber auch in die Sackgasse führen. Das sehen wir ja gerade in Griechenland. Mich wundert es ein bisschen, dass die Troika der griechischen Re-gierung zwar aus guten Gründen Vorschriften macht, wie sie ihren aufgeblähten Staatsap-parat reduzieren soll, aber keinerlei konkrete Vorschriften zur Verfolgung von Steuerkrimi-nellen. So entsteht bei vielen Menschen der Eindruck, dass die Super-Reichen, die ihr Ver-mögen am griechischen Fiskus vorbei auch nach Deutschland schaffen, geschont werden, während den ganz normalen Bürgern Renten und Löhne gekürzt werden. Übrigens ist in Deutschland die Staatsver-schuldung in Folge der Finanzkrise von 62 Prozent auf 82 Prozent gestiegen. Die Ver-

    schuldung in Deutschland beträgt nunmehr mehr als zwei Billionen Euro! Deswegen können wir uns in Deutschland keine nicht gegenfinanzierten Steuersenkungen leisten.

    Die Krise in der Eurozone ist aber eben nicht in erster Linie eine Schuldenkrise. Spanien und Irland haben die Maastricht-Kriterien immer eingehalten. Die Krise ist in erster Li-nie eine Finanzmarkt- und Bankenkrise und eine Krise der wirtschaftlichen Ungleichge-wichte. Deswegen müssen wir endlich zu ei-ner wirkungsvollen Finanzmarktregulierung kommen. Wichtige Bereiche wie die Regulie-rung des Schattenbankensektors, die Beteili-gung des Finanzsektors an der Krise und die Reduzierung der Systemrelevanz sind noch nicht angegangen.

    Außerdem müssen wir die wirtschaftlichen Ungleichgewichte reduzieren: In einer Wäh-rungsunion ist es nicht möglich, dass einige Länder permanent Defizite haben und andere Überschüsse. Deswegen müssen wir zu einer symmetrischen Angleichung kommen. Dazu müssen wir in Deutschland die Binnennach-frage stärken – unter anderem durch Min-destlöhne und eine angemessene Tarifpolitik.

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    PoliTiK UND PArlAMENT

    2

    Die Herausforderungen an die Politik sind sehr gravierend, Eurokrise, Demografie, Klimaver-schiebung, Energiezu-kunft und andere. ist es nicht zeit für gemein-same lösungen aller Parteien, wie skizzieren Sie die erforderliche lösungssuche und Konsequenzen der par-lamentarischen zusam-menarbeit?

    Sie haben recht. Die von Ihnen genannten Themen sollten am besten im Konsens zu-mindest zwischen den großen Volksparteien angegangen werden.

    Ich glaube, dass die politische Kultur in Deutschland besser ist als ihr Ruf. Anders als beispielsweise in den USA ist das Klima bei uns nicht so vergiftet, dass es nicht Zusam-menarbeit auch zwischen konkurrierenden Parteien gäbe. Bei der Bekämpfung der Kri-se in der Eurozone gab es im Bundestag trotz harter inhaltlicher Debatten immer eine breite

    Mehrheit. Das gilt auch für den Beschluss zur Energiewende. Und auch die Rentenpolitik ist früher immer im Konsens von Union und SPD gestaltet worden. Über das ursprüngli-che Rentenkonzept von Frau von der Leyen hätten wir bei aller inhaltlichen Kritik mitei-nander reden können. Aber das, was jetzt die Koalition beschlossen hat, ist ein Torso, darü-ber lohnt es sich nicht zu verhandeln.

    Übrigens: Ich glaube, was die überparteiliche Zusammenarbeit angeht, sind die Parteien mutiger als Teile der Öffentlichkeit. Immer wenn wir Sozialdemokraten im Bundestag gemeinsam mit Union und FDP abstimmen, wird in den Medien das Gespenst einer gro-ßen Koalition heraufbeschworen. Viel zu häufig werden Kompromisse geradezu reflex-haft als „faul“ bezeichnet. Dabei ist das Leben ja in den seltensten Fällen schwarz-weiß, das gilt eben auch für die Politik.

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    PoliTiK UND PArlAMENT

    3

    Die Energiewende scheint vom Ansatz her als ziel gesellschaftli-cher Konsens zu sein, haben Sie bei dieser Frage Ansätze einer parteiübergreifenden lösung?

    Es wäre sicherlich wünschenswert, dass in Deutschland Politik, Unternehmen und Gesellschaft gemeinschaftlich und von der Bundesregierung wirksam koordiniert am größten technologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Projekt seit der Wie-dervereinigung arbeiten. Denn die von der Bundesregierung gesetzten Ziele sind durch-aus richtig. Wir teilen sie. Vom Ziel her gibt es deswegen sehr wohl gute Ansätze für eine parteiübergreifende Lösung.

    Es geht um eine glaubwürdige Umsetzung der einstimmigen Beschlüsse des Deutschen Bun-destages. Dieser Prozess der Umsetzung ver-langt Kompetenz, Konsistenz und Transpa-renz und zwar mindestens in drei Bereichen: Als Erstes und Wichtigstes muss Ordnung in-nerhalb der Bundesregierung geschaffen wer-den. Die Kompetenzen in der Energiepolitik aus dem Wirtschafts-, Umwelt- und Verkehrs-

    ministerium müssen in einem eigenen Ener-gieministerium gebündelt werden, das aus einem Guss das für Gesellschaft und Industrie überlebenswichtige Projekt der Energiewen-de umsetzt.Die Energiewende ist eine gemeinsame He-rausforderung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft: Sie kann nur als Gemeinschafts-werk gelingen – mit einem Zusammenwirken aller Beteiligten und Interessierten. Vertrau-en in den Prozess ist Voraussetzung für das Gelingen. Das kommt nicht von alleine; das muss organisiert werden – in einem Nationa-len Forum Energiewende.

    Die Energiewende besteht aus einer Vielzahl von Einzelentscheidungen, die von ganz un-terschiedlichen Akteuren getroffen werden: teilweise von der Bundesregierung, zu einem großen Teil von Unternehmen, teilweise von Landesregierungen, teilweise von der Wissen-schaft, auf wichtigen Gebieten von Kommu-nen und nicht zuletzt von den Menschen, den Bürgerinnen und Bürgern.

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    PoliTiK UND PArlAMENT

    4

    Sehen Sie Ansätze, das Ansehen der Politik zu verbessern und wo kann Wirtschaft oder Gesellschaft aktiv zu einem verbesserten An-sehen beitragen?

    Natürlich ärgere ich mich manchmal über Vorurteile über „die Politik“. Zum einen, weil Politik eben nicht nur im Bundestag gemacht wird, sondern vor allem von buchstäblich Tausenden ehrenamtlichen Menschen auf kommunaler Ebene. Zum anderen, weil im-mer alle gerne in einen Topf geworfen wer-den. Sei’s drum. Ich glaube, das Ansehen „der Politik“ kann man nicht durch irgendwelche Imagekampa-gnen verbessern. Im Kern geht es darum, dass Politiker aller Parteien zeigen müssen, dass sie das Leben der Menschen kennen. Dass sie nicht abgehoben sind. Das weitverbreite-te Gefühl „die da oben machen ja eh‘, was sie wollen“ – das ist das eigentlich Gefährliche. Denn diese Distanz kann schnell auch in Ver-achtung umschlagen.

    Das beste Instrument, um Politik und Gesell-schaft wieder stärker zusammenzuführen, ist aus meiner Sicht die Einführung plebiszitä-rer Elemente in das Grundgesetz. Ich glaube nicht, dass die Ergebnisse von Volksabstim-mungen per se „besser“ sind als Entscheidun-gen des Bundestages. Aber wenn wir Politiker wissen, dass unsere Positionen durch einen Volksentscheid revidiert werden können, müssen wir uns automatisch bemühen, für unsere Position zu werben, sie überhaupt erst einmal zu erklären. Argumentieren und erklä-ren – das tun wir Politiker viel zu selten. Na-türlich ist es bequemer, die eigene Meinung als „alternativlos“ zu bezeichnen. Aber das ist Gift für die Demokratie. Denn die lebt von Alternativen.

    5

    Wie charakterisieren Sie das Verhältnis der SPD der Jahre 2012 / 2013 zu Unternehme-rinnen und Unterneh-mern bzw. zu Führungs-menschen – gerade unter Berücksichtigung der Forderungen nach Vermögenssteuer und Spitzensteuersatz- Erhöhung?

    Sehr entspannt. „Die Wirtschaft“ gibt es na-türlich genau so wenig wie „die Politik“. Aber ich pflege einen engen Austausch gerade mit mittelständischen Unternehmern. Und da habe ich den Eindruck, dass uns beispielswei-se in der Energie- und Industriepolitik viel mehr zugetraut wird als der gegenwärtigen Regierung. Gerade Verbandsvertreter sagen das lieber hinter vorgehaltener Hand, aber das ist ja auch okay.

    Manche regen sich natürlich über die maß-volle Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung einer Vermögenssteu-er auf, die explizit nicht als Substanzsteuer wirkt. Aber das ist völlig legitim. Den Spit-zensteuersatz wollen übrigens selbst die Jusos nicht auf das Niveau der Kohl-Zeit anheben. Und die Vermögenssteuer ist nicht von Rosa Luxemburg erfunden worden, sondern von Konrad Adenauer.

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    Europa und die deutsche EnergiewendeEU-Kommissar oettinger exklusiv im SENATE-interview

    Von Maria c. Wilhelm und Alexander Grieswald

    1. Stehen die Umwelt- und Klimaziele, die durch eine qualifizierte Mehrheit der Gesellschaft unterstützt werden, auch auf EU-Ebene auf der politischen Agenda?

    Ja, in der Tat! Umwelt-und Klimaziele haben einen hohen Stellenwert auf der EU-Agenda. Wir sind in den letzten Jahren wichtige Schritte in Richtung ei-ner nachhaltigen Entwicklung gegangen, indem die 20/20/20-Ziele definiert wurden. Und wir sind auf dem Weg, diese einzuhalten.Dazu gehört: Erreichen einer 20-Prozent-Energie-ersparnis, ein Anteil von 20 Prozent erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch und eine 20-prozentige Senkung der Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020. Ich denke, dass diese Ziele den Wil-len der europäischen Gesellschaft widerspiegeln, und das ist sehr wichtig, weil: Nachhaltige Energie geht alle etwas an. Nur wenn Bürger, Unternehmen und Politiker dazu beitragen, erreichen wir unsere Umwelt- und Klimaschutzziele.

    2. Wie lautet Ihre Meinung zur Wiederaufforstung von biodiver-sen Wäldern, um CO2 aus der Atmosphäre zu absorbieren und damit die CO2-Ziele durch Kom-pensation zu erreichen?

    Ich denke, dass es keinen Zweifel daran gibt, dass die Anpflanzung von Bäumen und die damit verbunde-ne Absorption von CO2 dem Klima helfen können. Internationale Regeln ermöglichen es den Ländern, diesen absorbierten Kohlenstoff in ihrer Treibhaus-gasbilanz zu verwenden, und wir bereiten derzeit die ersten Schritte vor, um dies ebenso in die EU-Klimastrategie einzubinden.Allerdings sollte beim Anpflanzen neuer Wälder berücksichtigt werden, wofür das Land vor der Wiederaufforstung genutzt wurde, da einige Flä-chen besser für andere produktive Zwecke verwen-det werden könnten, z.B. für den Anbau von Le-bensmitteln.

    EU-Kommissar Günther oettinger,Kommissar für Energie

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    3. Herr Kommissar, Sie warnen aufgrund der hohen Energieprei-se nachdrücklich vor einer Dein-dustrialisierung in Deutschland. Welche konkreten Gefahren sehen Sie? Wie lassen sich diese Gefahren abwenden?

    Die Energiepreise für die Industrie stiegen in Deutschland zwischen 2003 und Anfang 2012 um 32 Prozent. Dies ist nur ein wenig mehr als der Durchschnitt der europäischen OECD-Länder (plus 27 %), aber im Vergleich mit Nordamerika verliert Europa an Boden: Der Index ist in den USA heute auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 2003.In Bezug auf Strom wird die europäische Industrie im Durchschnitt mit höheren Preisen konfrontiert als die Konkurrenz in anderen entwickelten Volks-wirtschaften wie den USA, Kanada, Mexiko und Ko-rea. Dieser Preisunterschied hat in den letzten zehn Jahren zugenommen. Der durchschnittliche Strom-preis, den die deutsche Industrie gezahlt hat, war Ende 2011 fast doppelt so hoch wie im Jahr 2003. Diese Entwicklungen üben einen zusätzlichen Druck auf die sogenannten energieintensiven Bran-chen aus, für die Energie einen beträchtlichen Teil der Gesamtkosten ausmacht. Einige dieser Bran-chen unterliegen der globalen Preisentwicklung für die Produkte, die sie verkaufen, und können daher die zusätzlichen Kosten nicht einfach an die Kun-den weitergeben.In diesem Zusammenhang müssen wir mögliche Auswirkungen auf die Energiepreise sorgfältig prü-fen, wenn wir neue Richtlinien auf der EU-Ebene vorschlagen. Darüber hinaus müssen wir dringend sowohl für Gas als auch für Strom den Binnen-markt für Energie schließen. Dies wird zusätzliche

    Konkurrenz auf den Markt bringen und mittel- bis langfristig helfen, eine vergleichbare und bezahlba-re Energieversorgung zu gewährleisten. Die Wirt-schaftlichkeit der bestehenden Praktiken muss ebenfalls verbessert werden.In der Zwischenzeit erwägen einige Mitgliedstaaten bzw. einige haben bereits veranlasst, die Belastung energieintensiver Industrien zu mindern. Es ist wich-tig, dass diese Maßnahmen den Wettbewerb und die Marktintegration in die EU nicht behindern. Darü-ber hinaus dürfen sie nicht zu einem unzumutbaren Aufwand für andere Energieverbraucher führen.

    4. Wie wird der Ausbau von Spei-chertechnologien sichergestellt?

    Lassen Sie mich daran erinnern, dass die Lagerung ein hervorragendes Mittel ist, um die Volatilität ei-nes wachsenden Anteils erneuerbarer Energie aus Fotovoltaik und Wind-Quellen zu bekämpfen.Zusammen mit der Einführung von Smart Grids (intelligente Stromnetze, Anm. d. Red.) wird sie eine zunehmend entscheidende Rolle spielen, und deshalb konzentrieren wir uns auf die Entwicklung von Speichertechnologien. ir wollen in der Zukunft auf der einen Seite vorhandene Lager in einer viel intelligenteren Art und Weise und über nationale Grenzen hinweg nutzen und auf der anderen Seite die Entwicklung von Speichertechnologien für alle Möglichkeiten der Lagerung gewährleisten.

    Diese Entwicklung wird durch die Ausschreibung von Projekten in Kooperation mit dem R & D-Bereich (Forschung und Entwicklung, Anm. d. Red.) geschehen. Im Jahr 2011 wurden mit einer EU-Unterstützung in Höhe von 25 Mio. € zwei sehr große industriegetriebene Projekte ausgewählt. Und

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    das war erst der Anfang. Diese Projekte werden si-cherlich als ausgezeichnete Katalysatoren für die europaweite Koordinierung und Verbreitung von Lagerungstechnologien dienen.

    5. Wie wird sichergestellt, dass die festgestellten Mängel an KKW rasch beseitigt werden?

    Die Kommission ermutigt derzeit alle beteiligten Länder, die Empfehlungen der Stresstests schnell zu implementieren. Aktuell bereiten die Mitgliedstaa-ten nationale Aktionspläne mit Zeitplänen für die Umsetzung vor. Ein Peer-Review-Verfahren wird den Aktionsplänen Anfang 2013 angefügt, um zu über-prüfen, dass die Empfehlungen der Stresstests kon-sequent auf transparente Weise in ganz Europa um-gesetzt werden. Wir werden im Juni 2014 über die Umsetzung der Stresstest-Empfehlungen berichten. Parallel schlagen wir bis Anfang 2013 Änderungen der derzeit für die nukleare Sicherheit geltenden Regelungen vor, um die Erfahrungen des Stress-tests und der Fukushima-Katastrophe zu berück-sichtigen. Zudem wird ein weiterer Vorschlag zur nuklearen Versicherung und Haftung vorbereitet, zusammen mit einem Vorschlag über die zulässigen Höchstwerte an Radioaktivität in Nahrungs-und Futtermitteln.

    6. Neben der Sicherheit der Energieversorgung ist der spar-same Umgang mit Ressourcen ein weiterer wichtiger Aspekt Ihrer Politik. Kürzlich haben Sie sich für Energieeffizienz-Regeln ausge-sprochen. Was ist Ihre Vision und was sind Ihre Ideen dabei?

    Meine Idee der Energieeffizienz ist, dass sie für je-den von uns von Vorteil ist, da dadurch unsere Ener-giekosten gesenkt werden und gleichzeitig unsere Lebensqualität steigt. Eine starke Energieeffizienz-Politik ist die vielver-sprechendste und kostengünstigste Weise, unsere Energieleistung ohne Einschränkungen für unser Wachstum zu verbessern.Das Festhalten an unseren Energieeffizienz-Zielen generiert Wachstum und Beschäftigung in vielen Branchen, wie dem Bauwesen, dem Bereich der erneuerbaren Energie, der Stromerzeugung und -übertragung, der energieeffizienten Geräte und Fahrzeuge.Darüber hinaus wird durch deren Umsetzung Euro-pa weniger abhängig von externen Energielieferun-gen und dies wird unsere externe Versorgungsbilanz reduzieren. Es liegt an Europa, zur Nutzung dieser Chancen eine starke industrielle Basis zu schaffen.

    „ ich denke, dass die europäische zusammenarbeit auf dem Gebiet der Energie automatisch wachsen wird.“

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    7.Die Zusammenarbeit zwischen den Ländern im Bereich der Energiepolitik ist keine leichte Aufgabe, auch in Anbetracht der Tatsache, dass diese in Deutsch-land und Österreich schon auf der Ebene der verschiedenen „Länder“ scheitert. Allerdings ist eine stärkere Zusammenarbeit in allen Bereichen der Energiepolitik (Gas, Öl, Strom, RES etc.) von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit der Energieversorgung, die Entwicklung erneuerbarer Energieträger. Wie kann eine bessere europäische Zusammen-arbeit im Bereich der Energiepoli-tik erreicht werden?

    Sie heben einen wichtigen Punkt hervor: Es ist wahr, dass die Mitgliedstaaten zwar die Verant-wortung für die Wahl ihrer Energie-Portfolios haben, aber ihre Entscheidungen haben in einem paneuropäischen Binnenmarkt für Energie einen direkten Einfluss auf ihre Nachbarn. Daher ist es wichtig, dass sie – unter der Führung der Euro-päischen Union – in einer koordinierten Weise unter Wahrung der nationalen Energiesysteme und Produktionen handeln. Darüber hinaus zeigt unsere Roadmap 2050, dass die Kosten viel gerin-ger sind, wenn Europa zusammen in Solidarität und einem gemeinsamen Energiemarkt agiert. Ich denke, dass die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Energie automatisch wachsen wird. Die Mitgliedstaaten teilen ein starkes Inter-esse: die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit sowie die Nachhaltigkeit und Sicherheit des europäischen Energiesystems. Alle von ihnen wissen, dass Europa nur mit einem echten Energiewandel die zunehmen-den globalen Herausforderungen meistern kann. Alle streben auf ihre Weise in Richtung dieser Revo-lution, aber pflegen gleichzeitig den Dialog und die Zusammenarbeit entlang des gesamten Prozesses.

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    Die Marktwirtschaft hat eine echte chance auf mehr Gerechtigkeit

    Der Nobelpreisträger und sein „Preis der Ungerechtigkeit“ –Nach einem SENATE-Gespräch mit Joseph Stiglitz

    Von christoph Brüssel

    Wer mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wird, der gilt als außerordentlicher Erfinder, Denker, Wissen-schaftler oder Autor. Regelmäßig sind es die global bewegenden Entdeckungen, Erfindungen oder Werke, die mit dem Nobelpreis die Spitze aller Eh-rungen erfahren.

    So gelten deren Empfänger gleichsam als die Spitze der Vorbilder in ihren jeweiligen Disziplinen.Prof. Joseph Stiglitz ist eben solch ein Wissenschaft-ler, dem von weiten Teilen der globalen Gesellschaft hoher Respekt entgegenkommt. Eine außergewöhn-liche Persönlichkeit, deren Biografie mehr aufzeigt, als nur in Elfenbeintürmen der Wissenschaft geses-sen zu haben.

    Stiglitz wurde bekannt als Chefvolkswirt des dama-ligen Präsidenten Clinton und hatte die vergleich-bare Aufgabe bei der Weltbank. Bekannt wurde er aber besonders dadurch, dass er die Grenzen der Marktwirtschaft und des Wohlstandes tatkräftig aufzuzeigen gewillt ist. Als Direktor der Weltbank trat er zurück, als ihm diese Grenzen gefährdet schienen, als Professor der ehrwürdigen Columbia Universität New York setzte er sich zu den Wirt-schaftsrebellen an der Wall Street, unterstützte kör-perlich die Occupy-Bewegung.

    Dieser Wirtschaftswissenschaftler plädiert für die Marktwirtschaft, er plädiert aber dabei leidenschaft-lich für eine ausgewogene Vermögensverteilung. Keine Schelte gegen die gut verdienenden, keine Ideologie, aber ein deutlicher Appell für eine Balan-ce zwischen Reichen und Armen. Seine Erkenntnis

    Nobelpreisträger Joseph Stiglitznimmt die bekannten Fakten auf und will die Markt-wirtschaft als sozial und ökologisch unterstützen.Nüchterne Zahlen zeigen ohne Ideologie, immer weniger Menschen häufen immer größeren Reich-tum an, während die Zahl der Armen wächst und die Mittelschicht vom Abstieg bedroht ist. Doch diese Entwicklung ist, laut Stiglitz, keine zwangsläu-fige Folge einer Marktwirtschaft. Sie ist das Ergebnis einer globalisierten Ökonomie, die zunehmend vom reichsten einen Prozent der Bevölkerung beherrscht wird.

    In seinem neuesten Buch beschreibt Prof. Stiglitz:Besonders drastisch lässt sich diese Entwicklung in den USA erkennen.

    Die wachsende Ungleichheit hat ihren Preis. Sie behindert Wirtschaft und Wachstum, führt zu we-niger Chancengerechtigkeit und korrumpiert Justiz und Politik, schreibt Stiglitz. Deswegen ruft der Nobelpreisträger dazu auf, die zunehmende Un-gleichheit in unseren Gesellschaften nicht einfach hinzunehmen, sondern Wirtschaft und Politik so zu reformieren, dass der Wohlstand wieder gerech-ter verteilt ist. Die weltweiten Demonstrationen der Occupy-Bewegung können aus seiner Sicht ein ers-ter Schritt in diese Richtung sein.

    In diesem neuen Buch zeigt Stiglitz auch Ansät-ze seines Bildes für eine Veränderung der globalen Marktwirtschaft, die er als eine ökosoziale und da-mit gerechte Wirtschaft ansieht. Diesen Teil des Werkes bietet SENATE hier als Leseausschnitt von Prof Stiglitz.

  • SENATE Seite 26

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    Die wirtschaftliche reform-agenda

    Eine Wirtschaftsreform, die ihren Namen verdient, sollte gleichzeitig die ökonomische Effizienz, die Fairness und die Chancengerechtigkeit verbessern. Die meisten Amerikaner würden gewinnen; die ein-zigen Verlierer wären vielleicht einige aus dem obers-ten einen Prozent – diejenigen zum Beispiel, deren Einkommen sich überwiegend aus Rent-Seeking speist, und jene, die ihnen allzu nahestehen. Die Reformen orientieren sich eng an unserer Diagnose: Wir haben ein Problem an der Spitze, in der Mitte und im unteren Bereich der Einkommenspyramide. Einfache Lösungen werden nicht genügen.Wir haben gesehen, dass mehrere Faktoren zu dem hohen Maß an Ungleichheit und dem niedrigen Grad an Chancengerechtigkeit in den USA beitra-gen. Ökonomen streiten sich oftmals über die rela-tive Bedeutung jedes dieser Faktoren, ein Problem, das, wie ich erläutert habe, beinahe unmöglich zu lösen ist. Überdies hat die ungleiche Chancenver-teilung in den USA ein Ausmaß erreicht, dem wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln ent-gegenwirken müssen.Einige Ursachen für die Vermögenskonzentration an der Spitze mögen sich weitgehend unserer Kon-trolle entziehen, andere können wir nur allmählich, langfristig beeinflussen, aber wieder andere können wir sofort angehen. Wir brauchen einen Generalan-griff, und einige der dazu nötigen Schlüsselelemente lege ich nachfolgend dar.

    Wie sich die Exzesse an der Spitze eindämmen lassen

    In Kapitel 2 zeige ich, dass das Vermögen des reichs-ten einen Prozents zu einem Großteil auf die eine oder andere Art das Produkt von Rent-Seeking und Spielregeln ist, die diese Gruppe begünstigen.

  • Seite 27 SENATE

    PErSÖNlicH

    übernehmen, ganz egal, ob wir sie als Versi-cherung, als eine Form des Glücksspiels oder als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“, wie Warren Buffett sie nannte, betrachten.

    (c) Der Wettbewerb im Bankensektor und unter den Kreditkartenunternehmen sollte gestärkt werden, und es sollte dafür gesorgt werden, dass sie auch wettbewerblich handeln. Wir verfügen über die Technik, um einen effizienten elektronischen Zahlungsmecha-nismus für das 21. Jahrhundert einzurichten, aber unser Bankensystem ist entschlossen, an einem Kredit- und Debitkartensystem festzu-halten, das nicht nur die Verbraucher ausbeu-tet, sondern auch den Einzelhändlern für jede Transaktion überhöhte Gebühren auferlegt.

    (d) Den Banken sollten ausbeuterische Kre-ditgeschäfte, bei denen sie gezielt die Unwis-senheit ihrer Vertragspartner ausnutzen, und unlautere Kreditkartengeschäfte erschwert werden; dazu gehört auch die Einschränkung von Zinswucher.

    (e) Bonussysteme, die überzogene Risikobe-reitschaft und kurzsichtiges Verhalten för-dern, sollten verboten werden.

    (f ) Offshore-Bankplätze (und ihre „On-shore“ -Pendants), die sich Regulierungen so erfolgreich entzogen und zugleich Steuer-flucht und -hinterziehung gefördert haben, sollten geschlossen werden. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, so viele Finanzge-schäfte auf den Cayman Islands zu tätigen; weder die Inseln an sich noch ihr Klima sind Bankdienstleistungen besonders förderlich. Der Bankplatz dient nur einem einzigen Zweck: Steuerhinterziehung.

    Unser gesamtes Wirtschaftssystem ist durchgängig verzerrt und pervertiert, aber die folgenden sieben Reformschritte würden schon erhebliche Verbesse-rungen nach sich ziehen.

    Rent-Seeking begrenzen und gleiche Bedingungen für alle schaffen. Den Finanzsektor zügeln. Da die Zunahme der Ungleichheit zu einem Gutteil mit den Auswüchsen im Finanzsektor zusammenhängt, bietet es sich an, hier mit einem Reformprogramm anzusetzen. Der Dodd-Frank Act zur Finanzmarkt-regulierung war ein Anfang, aber nicht mehr.

    Die folgenden sechs Reformschritte sind dringend erforderlich:

    (a) Die überzogene Risikobereitschaft der Finanzinstitute muss gezügelt sowie deren „Systemrelevanz“ – durch schiere Größe und Vernetzung – eingeschränkt werden; diese tödliche Kombination ist für die wiederhol-ten Rettungspakete der letzten dreißig Jahre verantwortlich. Beschränkungen der Fremd-kapitalaufnahme und der Liquidität sind von entscheidender Bedeutung, denn die Banken glauben aus irgendeinem Grund, sie könnten wie mit einem magischen Hebel (Leverage-Effekt) Schulden in Eigenkapital verwan-deln. Aber das ist ein fauler Zauber. Was sie in Wirklichkeit erschaffen, sind Risiken und extreme Instabilität.

    (b) Banken müssen transparenter werden, ins-besondere was ihren außerbörslichen Handel mit Derivaten anbelangt, der stark begrenzt werden sollte und von dem mit Staatsbürg-schaften abgesicherte Finanzinstitute die Finger lassen sollten. Der Steuerzahler sollte für diese riskanten Produkte keine Haftung

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    PErSÖNlicH

    Viele dieser Reformen hängen miteinander zusam-men: Mehr Wettbewerb im Bankensektor wird vermutlich dazu führen, dass die unlauteren Ge-schäftspraktiken zurückgehen und die Banken beim Rent-Seeking weniger erfolgreich sein werden. Es wird schwer sein, dem Finanzsektor Zügel anzule-gen, weil die Banken so geschickt darin sind, Regeln zu umgehen. Selbst wenn man die Größe der Ban-ken beschränkt – eine Aufgabe, die schwer genug ist –, werden sie untereinander Kontrakte schließen (etwa Derivate), durch die sie so eng miteinander verflochten sind, dass der Staat sie notfalls wieder herauspauken muss.

    irgendein zweizeiliger zwi-schentitel

    Strengere und effektiver durchgesetzte Wettbe-werbsgesetze. Auch wenn jeder Aspekt unseres (auf-sichts-)rechtlichen Ordnungsrahmens sowohl für die ökonomische Effizienz als auch für die soziale Gerechtigkeit von Belang ist, sind die Gesetze, die den Wettbewerb, die Corporate Governance und das Insolvenzverfahren regeln, besonders wichtig. Monopole und unvollkommene Wettbewerbsmärk-te sind eine wichtige Quelle von Renteneinkom-men. Das Bankgewerbe ist nicht der einzige Sektor, in dem zu wenig Wettbewerb herrscht. Betrachtet man die einzelnen Wirtschaftssektoren, ist es ver-blüffend, wie viele von höchstens zwei, drei oder vier Firmen beherrscht werden. Früher einmal hielt man das für unproblematisch – weil in dem dynamischen Wettbewerb, der mit dem technischen Wandel einhergeht, ein marktbeherr-schendes Unternehmen ein anderes ablösen würde. Es gab einen Wettbewerb „um“ den Markt, statt ei-nes Wettbewerbs auf dem Markt. Aber wir wissen, dass dies nicht ausreichen wird. Marktbeherrschen-de Unternehmen verfügen über Instrumente, mit denen sie Wettbewerber unterdrücken und häufig auch Innovationen unterbinden können. Die höhe-ren Preise, die sie verlangen, verzerren nicht nur die Wirtschaft, sondern sie wirken auch wie eine Steu-er, deren Einnahmen allerdings nicht öffentlichen Zwecken zugutekommen, sondern die Schatullen der Monopolisten füllen.

    Verbesserung der Corporate Governance – insbe-sondere um die Möglichkeiten von Vorstandschefs einzuschränken, Gewinne des von ihnen geführten Unternehmens für sich selbst abzuzweigen. Topma-

    nager von Konzernen haben zu viel Macht, und ih-rer vermeintlichen intellektuellen Brillanz wird zu viel Respekt entgegengebracht. Wir haben gesehen, wie sie diese Macht missbrauchen, um in die eige-ne Tasche zu wirtschaften. Gesetze, die Aktionären ein Mitspracherecht in Fragen der Führungskräfte-vergütung einräumen, wären ein wichtiger Schritt. Das Gleiche gilt für Bilanzierungsregeln, die den Aktionären ein genaues Bild darüber vermitteln, wie die leitenden Angestellten ihres Unternehmens entlohnt werden.

    Umfassende Reform der Insolvenzgesetze – mit Blick auf Derivate, überschuldete Hausbesitzer bis hin zum Umgang mit Studentendarlehen. Das In-solvenzrecht liefert ein weiteres Beispiel dafür, dass die grundlegenden Spielregeln der Märkte erhebli-che Verteilungsfolgen und Effizienzeffekte haben. Wie in vielen anderen Bereichen bevorteilen diese Regeln in zunehmendem Maße die Topverdiener. Jeder Kredit beruht auf einem Vertrag, der nur durch übereinstimmende Willenserklärung von Kreditnehmer und Kreditgeber zustande kommt, wobei jedoch im Allgemeinen eine Vertragsseite viel bessere Marktkenntnisse besitzt als die andere; daher liegt eine massive Asymmetrie bezüglich des Informationsstands und der Verhandlungsmacht vor. Entsprechend sollte der Kreditgeber, nicht der Kreditnehmer, die Hauptlast der Folgen tragen, die ein Fehler nach sich zieht.Ein schuldnerfreundlicheres Insolvenzrecht würde Banken einen Anreiz geben, bei der Kreditvergabe mehr Sorgfalt walten zu lassen. Wir hätten weniger Kreditblasen und weniger hoch verschuldete Ame-rikaner. Eines der skandalösesten Beispiele unlaute-rer Kreditvergabe sind die Studentendarlehen; und diese sittenwidrigen Geschäfte werden für die Ban-ken durch den Umstand besonders attraktiv, dass die Schulden im Fall einer Privatinsolvenz nicht erlöschen. Kurzum, ein unausgewogenes Insolvenz-recht hat mit zu der Aufblähung des Finanzsektors, zu ökonomischer Instabilität, zur Ausbeutung der Armen und Uninformierten und zu ökonomischer Ungleichheit beigetragen.

    Schluss mit staatlichen Geschenken – ob bei der Verfügung über öffentliche Vermögenswerte oder bei der Auftragsvergabe. Die vorherigen vier Refor-men konzentrieren sich darauf, den Spielraum der Superreichen, darunter jener aus dem Finanzsektor, zur Ausbeutung von Verbrauchern, Kreditnehmern, Aktionären und anderen bei privaten Transaktio-nen zu begrenzen. Aber Rent-Seeking ergibt sich

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    PErSÖNlicH

    oft auch aus der Ausbeutung der Steuerzahler. Diese Ausbeutung nimmt viele verschiedene Formen an – einige lassen sich am besten als Geschenke beschrei-ben, andere fallen unter die Rubrik „Konzernwohl-fahrt“. Wie wir in Kapitel 2 sahen, geht es bei den Geschenken der öffentlichen Hand an Unterneh-men um gewaltige Summen. Das Spektrum dieser Gaben reicht von der Klausel, die Behörden Preis-verhandlungen mit Pharmaherstellern untersagt, über die Kostenzuschlagsverträge mit Halliburton im Verteidigungsbereich, schlecht geplante Auktio-nen von Ölbohrrechten, die kostenlose Vergabe von Frequenzspektren an Fernseh- und Radiosender bis hin zu Förderabgaben für Erze unter dem Markt-preis. Diese Geschenke sind schlicht ein Transfer von der Gesellschaft an Unternehmen und an die Reichen; aber in einer Zeit knapper Budgets sind sie mehr als das, denn sie führen dazu, dass hochren-tierliche öffentliche Investitionen zurückgefahren werden.Schluss mit der „Konzernwohlfahrt“ – einschließ-lich versteckter Subventionen. In den vorangegan-genen Kapiteln habe ich gezeigt, dass die Regierung allzu oft, statt Bedürftigen zu helfen, ihr kostbares Geld lieber dafür ausgibt, Unternehmen zu stüt-zen. Viele dieser Subventionen sind im Steuergesetz versteckt. Obwohl alle Schlupflöcher, Ausnahmen, Befreiungen und Präferenzen die Steuerprogression bremsen und Anreize verzerren, gilt dies für solche

    zugunsten der Konzernwohlfahrt in besonderem Maße. Unternehmen, die es nicht aus eigener Kraft schaffen, sollten vom Markt verschwinden. Viel-leicht brauchen ihre Mitarbeiter Hilfe bei der Suche nach einer neuen Stelle, aber das ist etwas ganz an-deres als Konzernwohlfahrt. Die Konzernwohlfahrt wird weitgehend intransparent gewährt – vielleicht deshalb, weil die Bürger, wenn sie wirklich wüssten, wie viel sie das kostet, dagegen rebellieren würden. Neben den Vergünstigungen im Steuerrecht gibt es die Subventionen, die sich in billigen Krediten und staatlichen Kreditbürgschaften verbergen. Zu den gefährlichsten Formen der Konzernwohlfahrt gehören jene, welche die Haftung für die Schäden, die Unternehmen anrichten können, begrenzen – ob es die beschränkte Haftung für Kernkraftwerke oder für die Umweltschäden der Ölindustrie ist. Wenn man nicht die vollen Kosten für einen Scha-den, den man durch sein Handeln angerichtet hat, tragen muss, kommt dies einer impliziten Subven-tion gleich, sodass alle Branchen, die zum Beispiel anderen Umweltkosten auferlegen, de facto subven-tioniert werden.Wie viele der anderen Reformen, die ich in diesem Abschnitt vorgestellt habe, hätten auch diese eine dreifach positive Wirkung: Die Wirtschaft würde effizienter, es gäbe weniger Exzesse an der Spitze, und der gesamtgesellschaftliche Wohlstand würde steigen.

    Nobelpreisträger Joseph Stiglitz im Gespräch mit Dieter Härthe

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    PErSÖNlicH

    EUroPA, wie wir es liebenDie Eurokrise macht gerade im Süden Sorgen, aber die lebensart zieht uns immer wieder an.

    Von christoph Brüssel

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    PErSÖNlicH

    Schönheit des Baustils

    Gelassenheit des Alltags, die wir im Urlaub geniessen

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    PErSÖNlicH

    Eine sonnige Atmosphäre, die Freude am leben

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    PErSÖNlicH

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    PoliTiK UND PArlAMENT

    Von christoph Brüssel

    1. Die Energiewende ist zum Brennpunktthema für Wirtschaft und Verbraucher geworden. Ist der Anspruch in Deutschland aus Ihrer Sicht vorschnell oder ist Deutschland Vorreiter in Europa?

    Die Energiewende in Deutschland ist nicht nur eine Weltpremiere, sondern auch bereits jetzt schon ein großer Erfolg, davon bin ich überzeugt. Nur müs-sen wir diesen Erfolg in der Öffentlichkeit vielleicht noch besser vermitteln. Die Fortschritte müssen sichtbarer, die Kosten erklärt werden, deshalb brau-chen wir insgesamt in diesem Prozess mehr Transpa-

    Energiewende und Verbraucherinterview mit ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, landwirtschaft und Verbraucherschutz

    renz für Wirtschaft und Verbraucher. Das Erneuer-bare-Energien-Gesetz (EEG) gibt einen wichtigen Impuls für die Entwicklung erneuerbarer Energien. Wir brauchen diesen Schub, aber wir müssen die Technologien dann auch Schritt für Schritt in den Markt entlassen.Bei möglichen Fehlentwicklungen, die es bei einem solchen Mammutprojekt immer geben kann, wer-den wir gemeinsam gegensteuern.

    2. Sehen Sie als Verbraucher-ministerin Perspektiven, die Energiekosten für Verbraucher sozialverträglich zu halten, oder muss mit einem stetigen Anwachsen gerechnet werden?

    Die Energiewende ist unser gemeinsames Ziel – und den Verbrauchern ist bewusst, dass der Ausstieg aus der Atomkraft nicht zum Nulltarif zu haben ist. Aber klar ist auch: Die Energiewende muss bezahl-bar bleiben, die entstehenden Lasten müssen ge-recht verteilt werden. Dafür werde ich mich weiter einsetzen. Ich sehe durchaus, dass bei immer mehr Stromkunden eine Schmerzgrenze erreicht ist.

    3. EU-Kommissar Oettinger sieht die Gefahr, dass Europa in eine „Deindustrialisierung“ durch eine ehrgeizige Energiewende kommen kann. Haben Sie ein Auge auf das aus-gewogene Verhältnis zwischen Wirtschaft, Energiewende und Verbraucher?

    Ich bin als Bundesministerin für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz zuständig. Ich habe also auf der einen Seite immer die Konsumen-ten im Blick, aber selbstverständlich stets auch die

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    PoliTiK UND PArlAMENT

    5. Sie haben I h r en Wech -sel von Berlin in die baye-rische Landespolitik erklärt. Welche Perspektive stellt sich für Sie mit diesem Schritt?

    Die CSU steht vor entscheidenden Wahlen. Es ist unser gemeinsames Ziel, die CSU 2013 so stark wie möglich zu machen – und dafür will ich als Vorsit-zende des CSU-Bezirksverbandes Oberbayern mei-nen Beitrag leisten. Dem größten Bezirksverband der CSU kommt bei der Landtagswahl eine be-sondere Bedeutung zu. Ich nehme das Amt der Be-zirksvorsitzenden und die Verantwortung, die sich daraus ergibt, sehr ernst, und will mich mit ganzer Kraft für Bayern einbringen. Der Landtag ist und bleibt die Herzkammer der CSU – und auf Ober-bayern kommt es entscheidend an. Ich kann mich noch besser einbringen als bisher, wenn ich hier in meiner politischen Heimat noch stärker verankert bin – mit einem eigenen Landtagsstimmkreis, um den ich mich bewerben möchte.Bis zum Herbst 2013 habe ich eine wichtige Auf-gabe als Bundesministerin und ein Mandat als Bundestagsabgeordnete und ich werde beide Äm-ter erfüllen, mit großer Freude und vollem Einsatz. Das ist selbstverständlich und das erwarten die Bürgerinnen und Bürger auch von mir. Als Bundes-ministerin und Bundestagsabgeordnete konnte ich viel bewegen – und ich habe noch vieles vor in den kommenden zwölf Monaten. Sowohl in der Land-wirtschaftspolitik als auch im Verbraucherschutz wartet bis zur Wahl noch viel Arbeit auf mich: Auf europäischer Ebene beginnt die heiße Phase der Ag-rarverhandlungen, auf nationaler Ebene werden wir in entscheidenden Punkten den Verbraucherschutz stärken, ob durch neue Standards bei der Bankbe-ratung, durch strengere Regeln für die Vergabe von Antibiotika oder besseren Datenschutz im Internet. Ich habe mir noch vieles vorgenommen und werde mich weiter mit ganzer Kraft als Bundesministerin einbringen.

    Wirtschaft und ihre Bedürfnisse. Wir müssen na-türlich vermeiden, dass Privatverbraucher überfor-dert werden, aber wir müssen auch verhindern, dass energieintensive Unternehmen aus Deutschland ab-wandern. Entscheidend ist, dass die Belastungen auf breite Schultern verteilt werden. Als Verbraucher-ministerin sage ich: Wir brauchen den Anlagenbau und den Netzausbau in Deutschland und dafür brauchen wir privates Kapital. Klar ist aber auch: Es kann nicht sein, dass das Risiko voll auf die Verbrau-cher abgewälzt und den Investoren gleichzeitig eine traumhafte Rendite versprochen wird. Hier kommt es auf die richtige Balance an.

    4. Immer wieder wird in schnell vermittelten Schlagzeilen von dem Nord-Süd-Gefälle der regenerativen Energieerzeugung gespro-chen. Im Norden weht der Wind, im Süden wird die Energie gebraucht. Wie sehen Sie die Entwicklung in Bayern bezogen auf regenerative Energieerzeugung und eine dauerhafte Perspektive?

    Bayern ist außerordentlich erfolgreich bei der Um-setzung der Energiewende: Mehr als ein Viertel des in Bayern erzeugten Stroms stammt inzwischen aus erneuerbaren Energien. Diesen Erfolgskurs werden wir fortsetzen – und immer darauf achten, dass die Energie bezahlbar und die Versorgung sicher bleibt. Natürlich sind die Gegebenheiten in jedem Bun-desland unterschiedlich – und jedes Bundesland hat bei der Energieversorgung in Teilen unterschiedli-che Interessen. Diese Interessen gilt es zusammen-zuführen, wenn die Energiewende in Deutschland auch langfristig ein Erfolg sein soll. Deshalb steht die Bundesregierung in Kontakt mit den Ländern – denn die drängenden Fragen bei der Energieversor-gung und der Weiterentwicklung des EEG können wir nur gemeinsam lösen.

    ilse Aigner im Gespräch mit irmtraud Pawlik

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    WirTScHAFTSWElT

    Von ralf Hoffmann

    1ressourcen intelligent nutzen

    Die Weltbevölkerung und ihr Energiebedarf wach-sen unaufhörlich. Die auf der Erde verfügbaren Res-sourcen aber bleiben konstant. Solange wir nicht den Mond, Mars oder sonstige Planeten besiedeln können, müssen wir mit dem Vorhandenen auskom-men. Bleibt uns als Gesellschaft nur der Ausweg, das, was wir haben, auf immer intelligentere Art und Weise zu nutzen.

    2Technologisches Konzept und gesell-schaftliche idee verbinden

    Energie ist eine begrenzte Ressource. Die Menge an nutzbarem Erdöl oder Gas ist durch ihr Volumen begrenzt. Und auch die im Zuge der Energiewende ausgebauten alternativen Energieformen sind be-grenzt. Denn gerade der Strom aus Sonnen- oder Windkraft steht nur sporadisch zur Verfügung. Im Falle einer Windstille oder eines wolkenbedeck-ten Himmels im Laufe der ohnehin beschränkten Zeitspanne mit Tageslicht nimmt die Menge an er-zeugter Energie rapide ab. Oder der Wind weht im Norden des Landes, während der Strom im Süden benötigt wird. All diese Einflüsse müssen bei der Umsetzung des Energiewandels in technische Lö-sungen berücksichtigt werden.

    3Stromtransporte sicher bewerkstelli-gen

    Ein entscheidender Faktor dabei ist das Stromnetz. Gerade durch die Unberechenbarkeit von Sonne und Wind ist es wichtiger als bisher, den Strom vom Ort der Erzeugung zum Ort des Verbrauchs trans-portieren zu können. Und während früher der Weg des Stroms vom Erzeuger zum Verbraucher einfach vorausgeplant werden konnte, ändert er sich heute in Abhängigkeit von nicht beeinflussbaren Rah-menbedingungen wie dem Wetter. Wodurch es in der Folge wiederum zu Engpässen beim Transport kommen kann. Denn das Stromnetz ist kapazitäts-kritisch. Das heißt, die Gesamtzahl der zu einem be-stimmten Zeitpunkt vorhandenen Elektronen darf nicht überschritten werden. Oder, um eine Ana-logie aus dem Straßenverkehr zu wählen: Es pas-sen immer nur eine bestimmte Anzahl von Autos gleichzeitig auf eine Autobahn. Wollen aufgrund ei-ner Großveranstaltung mehr Autos als sonst auf die Autobahn, funktioniert das nur bis zu einem gewis-sen Grad, darüber hinaus kommt es zu einem Stau. Das Problem beim Stromtransport ist, dass ein Stau im schlimmsten Fall einen Ausfall bedeuten kann.

    4Energiewandel be-herrschbar machen

    An dieser Stelle kommen intelligente Zähler ins Spiel. Während die von der Selbstablesung bekann-ten schwarzen Ferraris-Zähler lediglich das Volu-men der Energie erfassen und anzeigen können, können intelligente Zähler, die Smart Meter, auch einen Bezug zur Kapazität herstellen. Oder, um bei unserer Analogie zu bleiben: Die alten Zähler kön-nen nur sagen, dass hundert Autos von A nach B gefahren sind. Die neuen Zähler können zusätzlich noch sagen, wie viele Autos gleichzeitig auf einem bestimmten Streckenabschnitt unterwegs waren. Dieser Bezug zur Kapazität, den die Leistungsmes-

    Die Energiewende braucht noch fachliche impulse

    ralf Hoffmann,Vorstandsvorsitzender der GÖrliTz AG

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    WirTScHAFTSWElT

    sung intelligenter Zähler bietet, hilft, das begrenz-te Energieangebot der Zukunft besser einzuteilen. Denn mit einer Anbindung an zeitgemäße, prakti-sche Instrumente wie Datenportale und Smartpho-ne-Anzeigen können sie dem Verbraucher seinen aktuellen Anteil an der Kapazitätsnutzung des Net-zes darstellen. Und das ist ganz wichtig. Denn der Verbraucher muss zukünftig sein Verhalten an das jeweils bestehende Angebot an Energie anpassen. Entweder durch sein Nutzungsverhalten oder sein Zahlungsverhalten.

    5Tarife anpassen und Feedback geben

    Technik und Preismodelle müssen Hand in Hand arbeiten. Wenn der Energiewandel beherrschbar ge-macht werden soll, sind neue Tarifmodelle und ein Feedback an den Verbraucher über seinen aktuellen Verbrauch genauso wichtig wie intelligente Zähler. Energie wird in Zukunft zu unterschiedlichen Prei-sen bezogen werden. Bis hin zum Endverbraucher müssen wir uns darauf einstellen, den Zugang zur Energie auch nach der aktuell zur Verfügung stehen-den Kapazität des Netzes zu bezahlen. Ist das Netz schon stark ausgelastet, müssen wir wahlweise einen höheren Tarif bezahlen oder aufschiebbare Tätig-keiten wie Wäsche waschen zu einem späteren Zeit-punkt durchführen. Das mag auf den ersten Blick vielleicht etwas kompliziert und aufwendig klingen, ist es bei der Nutzung von Smart Metering aber überhaupt nicht. Die intelligenten Zähler arbeiten gewissermaßen als Anzeige des jeweiligen Kapazi-tätszustandes im Netz und können den Verbrauch zeitgleich zum vorhandenen Angebot messen. Sie sind damit so etwas die Darstellung des Smart Grids für den Endkunden.

    6Wechselnde Kosten sichtbar machen

    Eine einfache Handhabung ist für die Akzeptanz neuer Systeme wichtig. Es versteht sich natürlich von selbst, dass der Endkunde zukünftig nicht un-entwegt in den Keller laufen möchte, um auf sei-nen Zähler zu schauen. Das muss er auch gar nicht. Diese Arbeit nehmen ihm schon heute moderne IT-Systeme und Datenübertragung ab. Die Anzei-ge der Daten erfolgt auf ebenso modernen Instru-menten wie Smartphones oder Browsern. Mit dem Einbau intelligenter Technik in den Haushalt, wie zum Beispiel Heizungstechnik, die über Smartpho-ne und Browser gesteuert werden kann, wird die Wohnung zum Smart Home. Der Endkunde kann von zuhause oder unterwegs schnell auf die Ereig-nisse am Energiemarkt reagieren und sein Verhalten an das bestehende Energieangebot anpassen. Damit unterstützt er nicht nur den sparsamen Umgang mit den verfügbaren Ressourcen, sondern trägt auch wesentlich zum Gelingen des Energiewandels bei. Grundlage, damit all dies technisch auch umgesetzt werden kann, ist die Nutzung intelligenter Messsys-teme – also Smart Metering.

    7intelligente Systeme einsetzen

    Je mehr intelligente Systeme insgesamt eingesetzt werden, desto leichter lassen sich Angebot und Verbrauch abstimmen. In Deutschland müssen ab dem 1.1.2013 solche intelligenten Zähler bei allen Kunden mit einem Verbrauch von mehr als 6.000 Kilowattstunden pro Jahr eingebaut werden und sie müssen zusätzlich umfangreichen Auflagen zum Datenschutz genügen. Viele Haushalte verbrauchen jedoch weniger und fallen so aus dieser Verpflich-tung heraus. Obwohl, wie beschrieben, Smart Meter einen entscheidenden Beitrag zur intelligenten Nut-zung der uns zur Verfügung stehenden Ressourcen leisten.

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    WirTScHAFTSWElT

    Autovermieter Hertz setzt auf Nachhaltigkeit

    Katrin Teichert, Geschäftsführerin der Hertz Autovermietung in Deutschland, über Nachhaltigkeitsstrategien des Unternehmens

    Von Katrin Teichert

    Die Mobilität des Menschen ist von je-her auch Ausdruck seiner Freiheit. Im 21. Jahrhundert ist Mobilität zum We-

    senselement globalen Wirtschaftens und Zusammenlebens geworden. Aber Mobilität erfordert heute auch einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und Energie. Als weltweit agierendes Unternehmen und Dienst-leister für Mobilität mit einer Fahr-zeugflotte in 150 Ländern sieht sich die Hertz Autovermietung in beson-derer Verantwortung gegenüber Um-welt- und Klimaschutz.

    Auch aus Marktsicht wird nachhalti-ge Mobilität weltweit zum Thema

    Nachhaltigkeit ist längst zu einem Erfordernis auf dem Markt für Mobilitätsdienstleistungen gewor-den. Energieverbrauch und Klimabilanz eines Pro-dukts oder einer Dienstleistung tragen heute zu-nehmend zur Preisbildung und Kaufentscheidung bei. Diese Faktoren spielen in allen Bereichen des Lebens eine wachsende Rolle, aber besonders in der Mobilität, die per se mit dem Verbrauch von Ener-gie verbunden ist. Kraftstoffverbrauch und Höhe der CO2-Emission werden daher auch bei der Ver-mietung von Fahrzeugen immer wichtiger.Bei einem Privatkunden, der neben der Fahrzeug-miete auch die Treibstoffkosten aus eigener Tasche zahlt, sind diese Faktoren eine Frage von Kosten und persönlicher Einstellung. Bei gewerblichen Kunden kommt ein wesentlicher Gesichtspunkt hinzu: Die Zahl der Unternehmen, die sich Umweltstandards und Klimaschutz-Policies verpflichtet haben, steigt kontinuierlich. Der unverkennbare Trend bei priva-

    ter wie auch bei geschäftlicher Nutzung geht daher hin zu kleineren und vor allem verbrauchsärmeren Fahrzeugen.Um den Mobilitätsbedürfnissen seiner Kunden in puncto Umwelt- und Klimaschutz gerecht zu wer-den, hat Hertz in Europa und den USA bereits im Jahr 2006 eine Flotte besonders kraftstoffsparen-der Fahrzeuge eingeführt. Die „Green Collection“ umfasst verbrauchsarme