heike munder

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«Essen richte ich nach optischen Kriterien an» Exakt eine Minute vor dem vereinbarten Termin betritt Heike Munder das Restaurant ihrer Wahl: das «Zentraleck» im Zürcher Kreis 3, eine über das Quartier hinaus bekannte Adresse für gehobene Küche mit marktfrischen Produkten. Chef Matthias Hunziker begrüsst sie mit Handschlag – und eröffnet ihr, dass er das Lokal schliessen werde. Doch sein Nachfolger werde seine Sache «genauso gut» machen. Heike Munder ist froh. Sie wohnt gleich um die Ecke und weiss ein Lieblingslokal in der Nähe zu schätzen. Noch während sie den Mantel ablegt, verlangt sie nach einem Pfefferminztee. Warum bestellen Sie denn Pfefferminztee? Heike Munder: Bei dem Regenwetter erwärmt er und ermuntert das Gemüt. Sie mussten unser Treffen zweimal absagen. Anscheinend haben Sie viel um die Ohren. Das kann man wohl sagen. Eigentlich wäre mir ein Nachtessen lieber gewesen, denn die Abendkarte ist im Zentraleck noch besser. Aber im Moment konnte ich selbst abends jeden Termin mehrmals vergeben. Bis zur Wiedereröffnung des Museums im Lowenbrau-Areal am 31. August gibt es unheimlich viel zu tun. Die gesamte Museumsstruktur muss erweitert und erneuert werden. Heute war ich den ganzen Vormittag an Sitzungen. Hatten Sie überhaupt Zeit zum Frühstücken? Klar. Ich bin absolut abhängig von regelmassigem und gesundem Essen. In den Tag starte ich meist mit Obst und einem Müesli. Wegen meiner Laktose unvertraglichkeit rühre ich es mit Wasser an. Dazu gibt es einen Liter Gruntee. Ich muss viel trinken, sonst kriege ich leicht Kopfschmerzen. Abends koche ich mir etwas, sofern ich zu Hause bin: Polenta, Reis, Linsen, Gemüse – einfache Sachen, aber von bester Qualität. Für Kunstankäufe und die Pflege von Kontakten sind Sie von London über Turin und Berlin bis Mumbai viel auf Achse. Ihr Partner, ein Galerist, wohnt in Neapel. Ist es schwierig, sich bei diesem Lebensstil gesund und regelmässig zu ernähren? Zum Glück ist mein Partner öfter in Zürich als ich in Neapel. Aber beruflich halte ich mich monatlich gut viermal im Ausland auf. Das Essen ist dann kein Problem: Im Flugzeug ordere ich die

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a tavola l'occhio vuole la sua parte

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Page 1: Heike Munder

«Essen richte ich nach optischen Kriterien an»

Exakt eine Minute vor dem vereinbarten Termin betritt Heike Munder das Restaurant ihrer Wahl: das «Zentraleck» im Zürcher Kreis 3, eine über das Quartier hinaus bekannte Adresse für gehobene Küche mit marktfrischen Produkten. Chef Matthias Hunziker begrüsst sie mit Handschlag – und eröffnet ihr, dass er das Lokal schliessen werde. Doch sein Nachfolger werde seine Sache «genauso gut» machen. Heike Munder ist froh. Sie wohnt gleich um die Ecke und weiss ein Lieblingslokal in der Nähe zu schätzen. Noch während sie den Mantel ablegt, verlangt sie nach einem Pfefferminztee.

Warum bestellen Sie denn Pfefferminztee?Heike Munder: Bei dem Regenwetter erwärmt er und ermuntert das Gemüt.

Sie mussten unser Treffen zweimal absagen. Anscheinend haben Sie viel um die Ohren.Das kann man wohl sagen. Eigentlich wäre mir ein Nachtessen lieber gewesen, denn die Abendkarte ist im Zentraleck noch besser. Aber im Moment konnte ich selbst abends jeden ≪ ≫Termin mehrmals vergeben. Bis zur Wiedereröffnung des Museums im Lowenbrau-Areal am 31. August gibt es unheimlich viel zu tun. Die gesamte Museumsstruktur muss erweitert und erneuert werden. Heute war ich den ganzen Vormittag an Sitzungen.

Hatten Sie überhaupt Zeit zum Frühstücken?Klar. Ich bin absolut abhängig von regelmassigem und gesundem Essen. In den Tag starte ich meist mit Obst und einem Müesli. Wegen meiner Laktose unvertraglichkeit rühre ich es mit Wasser an. Dazu gibt es einen Liter Gruntee. Ich muss viel trinken, sonst kriege ich leicht Kopfschmerzen. Abends koche ich mir etwas, sofern ich zu Hause bin: Polenta, Reis, Linsen, Gemüse – einfache Sachen, aber von bester Qualität.

Für Kunstankäufe und die Pflege von Kontakten sind Sie von London über Turin und Berlin bis Mumbai viel auf Achse. Ihr Partner, ein Galerist, wohnt in Neapel. Ist es schwierig, sich bei diesem Lebensstil gesund und regelmässig zu ernähren?

Zum Glück ist mein Partner öfter in Zürich als ich in Neapel. Aber beruflich halte ich mich monatlich gut viermal im Ausland auf. Das Essen ist dann kein Problem: Im Flugzeug ordere ich die vegetarischen Menus. Vor Ort gehe ich in Restaurants mit lokaler Küche. Dort ist das Risiko gering, Convenience-Produkte oder Tiefgefrorenes vorgesetzt zu bekommen. Dafür ist die Chance gross, frisches Gemüse aus dem jeweiligen Land zu erhalten.

Haben Sie im Ausland Lieblingslokale?In London ist das St. John eine wunderbare Adresse. In Berlin gehe ich gerne in den Grill ≪ ≫ ≪Royal – auch wenn ihn viele Berliner als zu schickimicki verschmähen. Noch besser gefallt mir ≫der Laden Lebensmittel in Berlin Mitte, der nur suddeutsche Gerichte auf der Karte hat. Und in≪ ≫ Neapel macht man praktisch nie etwas falsch: Die Nahrungsmittelqualitat ist einfach unschlagbar.

In Zürich stehen viele Geschäftsessen mit Künstlern auf Ihrem Terminplan. Haben Sie dafür Stammlokale?

Da ich die kulinarischen Vorlieben meiner Gaste nicht kenne, wähle ich immer Restaurants mit guter Fleisch-, Fisch- sowie Vegiauswahl Das Volkshaus gehört dazu. Dort mag ich auch das ≪ ≫

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grosszugige Ambiente. Das Italia und die Alpenrose gefallen mir ebenfalls. Nur einmal, ≪ ≫ ≪ ≫als ich mit dem Musikmanager Malcolm McLaren sowie gemeinsamen Freunden essen war, lief es total schief.

Was ist denn passiert? Es heisst doch, die Briten seien punkto Essen nicht verwöhnt.Das sagen Sie! Mein Fehler war: Ich wusste nicht, dass in dem Lokal der Koch und das Team gewechselt hatten. Malcolm war damals schon schwer krank. Das Essen fanden wir aber alle ungeniessbar.Es ist grauenvoll, wenn man seiner Gastgeberrolle so wenig gerecht werden kann.

Bewirten Sie Künstler auch zu Hause?Ja, ich koche oft für Leute, mit denen ich arbeite. Mein letzter Gast war der isländische Künstler Ragnar Kjartansson.Er bestreitet bei uns die Ausstellung anlässlich der Wiedereröffnung.

Mit Bedacht studiert Heike Munder die Karte. Tagessuppe oder Salat zum Menü? Die Entscheidung ist schnell gefällt:Das Kartoffelrahmsüppchen kann sie nicht nehmen, es enthält Milchprodukte. Für die Hauptspeise liebäugelt sie mit pochierten Lachstranchen anSpargelrisotto und Champagnerschaum. Sie will von der Bedienung wissen, ob es Wildlachs sei. Nein, ist es nicht. Munder wählt Bärenkrebse mit Gnocchi und Spargeln. Dazu Mineralwasser ohne Kohlensäure.

Warum essen Sie keinen Zuchtlachs?Bei einer Dienstreise nach Kanada ass ich so guten, frisch gefangenen Wildlachs, dass ich Zuchtlachs seither nicht mehr ertragen kann.

Essen Sie denn Fleisch?Seit meinem 17. Lebensjahr nicht mehr – mit Ausnahme von Bundnerfleisch. Schweinefleisch mochte ich von klein auf nicht. Ich akzeptierte höchstens ein paar Rindfleischgerichte wie Sauerbraten oder Rouladen. Gemüse war mir viel wichtiger. Doch mit diesen Sonderwünschen konnte ich mich in der Familie schwer durchsetzen.So half irgendwann nur Radikalität. Lediglich als meine Mutter vor sechs Jahren starb, ass ich kurzfristig Fleisch. Mein Körper brauchte das, aber auch damals nur in homöopathischen Dosen – etwas Rindstatar oder Wild.

Wie verlief Ihre kulinarische Erziehung?Ich wurde dazu erzogen, Lebensmittel wichtig zu nehmen. Schon meine Grossmutter buk ihr Brot selbst und liess sich das Mehl in der Mühle mahlen. Convenience-Food gab es damals zum Glück nicht, aber es wäre wohl auch nie auf den Tisch gekommen. Sie wurde in China geboren und ist dort aufgewachsen. Ihr Vater baute in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts als Ingenieur die Flughafen in Peking und Shanghai. Die Hygienestandards waren seinerzeit bei weitem nicht so gut wie in Europa – möglicherweise achtete sie deshalb stark auf die Herkunft der Produkte. Sie wuchs ausserdem mit der Idee auf, dass es auf die natürlichen Wirkstoffe von Kräutern und Lebensmitteln ankommt. Danach lebt sie bis heute.

Sie sind in Stuttgart geboren, haben Ihre Kindheit aber in der süddeutschen Stadt Ulm bei der Grossmutter verbracht. Wie kam das?Meine Mutter war bei meiner Geburt erst 17. Ich wurde sozusagen den fünf Kindern meiner Grossmutter angeschlossen. Eine echte Grossfamilie. Essen und Kochen waren häufig etwas

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Gemeinsames, wir sassen meist – zusammen mit beiden Urgrossmüttern – zu zehnt am Tisch. Zu feierlichen Anlassen gab es chinesische Speisen, die in vielen Schusselchen auf den Tisch kamen. Gegessen wurde mit Stabchen. Grossmutter beherrschte selbstverständlich auch die schwäbische Küche: Gerne erinnere ich mich, wie wir den ganzen Tag zusammen Maultaschen hergestellt haben.

Da ging es bei Tisch sicher hoch her.Nicht mal so sehr. Die eine von meinen Urgrossmüttern hatte uns im Griff: Manieren waren ihr sehr wichtig. Und, dass alle den Teller leer assen. Für ein Kind wie mich, dem vieles nicht schmeckte, war die Grossfamilie praktisch: Verschmähte ich etwas, fiel es nicht weiter auf.

Der Salat kommt, frisch und bunt. Sorgfältig inspiziert Heike Munder jedes Blättchen. Während sie redet, zupft sie mit den Fingern einen Petersilienstängel auseinander. Sie ist eine behutsame Esserin.

Bevor die Bärenkrebse serviert werden, stellt sie die zur Hälfte leergegessene Schüssel zur Seite.

Können Sie sich erklären, warum die einen klaglos alles essen, während andere, wie Sie zum Beispiel, höchste Ansprüche stellen?Das ist eine Sache der Gewichtung. Nach meiner Erfahrung suchen geerdete Menschen eher den Bezug zu guter Ernährung. Luftelemente leben mit dem Geist. Wie mein Vater. Er lebt vom Verschlingen seiner Bucher. Essen ist für ihn Nebensache. Meiner Mutter und mir dagegen war es immer wichtig, mit welchen Lebensmitteln wir uns ernährt haben.

Spielt für Sie als Kunstexpertin die Präsentation der Speisen eine Rolle?Ja, unbedingt. Ich bin sozusagen uberasthetisiert – auf allen Gebieten. Essen richte ich zu Hause nach optischen Kriterien an. An gewissen Tagen bevorzuge ich zum Beispiel die Farben Grün, Gelb oder Weiss – entsprechend wähle ich Gemüse und Beilagen aus. Ich mag Teller aus schlichtem, weissem Porzellan. Die Glaser müssen farbig sein.

Essen und Trinken sind auch gesellschaftspolitische Themen. Können Sie sich vorstellen, eine Ausstellung darüber zu machen?Lebensmittel haben im Migros Museum zwar auch schon eine Rolle gespielt. Aber grundsätzlich interessiere ich mich mehr für die Theorie. Ich will die tiefenpsychologischen Unterstrome, die Wirkung des kollektiven Unterbewussten zeigen: Was findet hier im Land statt? Was beschäftigt die Menschen? Was steckt dahinter?

Viele Menschen gehen nicht ins Museum, weil ihnen die Kunst zu kopflastig erscheint. Was unternehmen Sie gegen diese Schwellenangst?Wir haben ein Vermittlungsprogramm. Lasst der Besucher seine Angst zu Hause und verlasst sich auf seine Intuition, wird er feststellen, dass er der Kunst viele Anregungen zu entlocken vermag. Ich finde es wichtig, das Publikum nicht zu bevormunden. Es ist sehr wohl fähig, sich eigene Gedanken zu machen. Und für die Wissensdurstigen gibt es genügend Texte zum Studieren.

Dessert? Sicher, ohne Nachtisch gehts nicht, findet Heike Munder. Sie wählt Pistazienkuchen mit Glace von Passionsfrüchten und Rhabarber und bittet die Bedienung um einen weiteren Satz

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Besteck, damit die Tischgenossen ebenfalls probieren können. Das Dessert esse sie grundsätzlich nicht allein.

Wo finden Sie Erholung von der vielen Theorie?In den Bergen oder an der Amalfikuste in Italien. Das sind wunderbare Orte. Einfach Balsam für die Seele. In der Schweiz beginnt eine meiner liebsten Tageswanderungen in Braunwald bei Glarus: Die Landschaft ist herrlich abwechslungsreich, und es gibt einen kalten Bergsee zum Baden. Ich kehre dann in einen rustikalen Berggasthof ein und esse frisch gemachten Käse von der Alp nebenan, obwohl ich weiss, dass ich ihn nicht sonderlich gut vertrage. Aber in diesem Fall muss es das volle Programm sein.

DIDASCALIE

Essen auf Reisen«Beruflich halte ich mich monatlich gut viermal im Ausland auf. Im Flugzeug ordere ich die vegetarischen Menüs. Vor Ort gehe ich in Restaurantsmit lokaler Küche. Dort ist das Risiko gering, Convenience-Produkte vorgesetzt zu bekommen.»

«Ich wurde dazu erzogen, Lebensmittel wichtig zu nehmen.»

Heike MunderAlter: 43Wohnort: ZürichLaufbahn: Die gebürtige Stuttgarterin ist seit 2001 Direktorin des Migros Museums für Gegenwartskunst in Zürich. Zuvor war Heike Munder – neben kuratorischen Tätigkeiten – als Lehrbeauftragte in diversen Institutionen an den Universitäten Lüneburg und Bern sowie dem «Goldsmith College» in London engagiert. Parallel dazu gestaltete sie als Co-Kuratorin verschiedene Kunstprojekte in Belgrad, Luxemburg, Mali und New York. Sie rezensiert und publiziert seit 1995 in einer Vielzahl von Kunstzeitschriften, Magazinen und Büchern. Dieses Jahr ist sie Mitglied der Jury des Turner-Prize.

Chinesischer Einfluss«Wir sassen meist – zusammen mit den beiden Urgrossmüttern – zu zehnt am Tisch. Zu feierlichen Anlässen gab es chinesische Speisen mit vielen Schüsselchen auf dem Tisch, gegessen wurde mit Stäbchen.»

DIE MUSEUMSDIREKT ORIN achtet auf eine ausgewogene Ernährung.

Heike Munders MenüwahlVorspeise: Gemischter SalatHauptspeise: Bärenkrebsschwänze mit Gnocchi und SpargelnDessert: Pistazienkuchen mit Glace von PassionsfrüchtenGetränke: Pfefferminztee, Mineralwasser ohne Kohlensäure

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Rustikaler Genuss«Eine meiner liebsten Tageswanderung beginnt in Braunwald. Ich kehre dann in einen rustikalen Berggasthof ein und esse frischen Alpkäse, obwohl ich weiss, dass ich ihn nicht sonderlich gut vertrage. Aber in diesem Fall muss es das volle Programm sein.»