historische entwicklung der mobilität · 3 jared diamond: arm und reich – die schicksale...
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Historische Entwicklung der
Historische Entwicklung der Mobilität
Hartmut Plötz – Für das Brannenburg Fo
Mobilität
orum im August 2013
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Hartmut Plötz – Historische Entwicklung der Mobilität
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Mobilität bedeutet nach Auffassung der UN – Dekade 2013 „Beweglichkeit, aber auch Veränderung
und Wandlungsfähigkeit.“1 Der Frage warum, zu wessen Nutzen und in welchem Interesse sich die
Mobilität verändert, wird heute vielfach gar nicht mehr gestellt. „Freie Fahrt für freie Bürger“ ist ein
häufig zu hörender Slogan und wer will eigentlich nicht frei sein? Die Zwillinge „Mobilität und
Freiheit“ scheinen in unserer Gesellschaft erstrebenswerte Ziele zu sein, aber in welchem Interesse
hat sich die Mobilität entwickelt? In unserem Interesse oder in dem Interesse anderer Menschen, die
mit unserer „freien Mobilität“ vielleicht Geld verdienen wollen oder noch andere Interessen haben,
die uns noch nicht bekannt sind?
Von welcher Art von Mobilität, von welcher Art Beweglichkeit sprechen wir? Nahrung anbauen und
sammeln, spazieren gehen, joggen, reiten, sich am Boden, auf dem Wasser oder in der Luft
bewegen? Ein kurzer Rückblick in die neusten Erkenntnisse der Geschichte zeigt, dass sich die
Mobilität historisch entwickelt hat und im Wesentlichen von der Verfügbarkeit der Ressourcen,
genauer gesagt,
- von der Verfügbarkeit der in der Natur vorgefundenen Antriebsenergie und
- von der Verfügbarkeit der in der Natur vorgefundenen Stoffe für die jeweiligen „Mobile“
begonnen hat. Bis zur Sesshaftwerdung der egalitären Scharen von Jägern und Sammlern bezogen
diese ihre (Antriebs-) Energie direkt aus der Natur. Die Versorgung ihrer Körper und der von ihnen
gejagten Tiere wurde durch die Energie der Sonne, mittels der temperaturabhängigen Fotosynthese
durch die Natur, in den Primärproduzenten, also in allen Pflanzen mit Blattgrün, gebildet und den
Menschen kostenlos zur Verfügung gestellt. Hierbei sollten wir den von den Pflanzen abgegebenen
Sauerstoff ebenso wenig wie den in den Pflanzen gebildeten Kohlenstoff nicht vergessen, da beide Stoffe für die weitere Entwicklung der Mobilität von grundlegender Bedeutung sind.2
Innerhalb der letzten 11. 000 Jahre gingen einige Völker zu dem über, was wir heute als
Nahrungsmittelerzeugung oder Landwirtschaft bezeichnen: Zur Züchtung wildwachsender Pflanzen zu Kulturpflanzen und zur Zähmung wildlebender Tiere zu Haustieren, der sog. Domestikation um
7.000 v. Chr., zur Gewinnung von Nahrungsenergie in Form von pflanzlicher Kost und Fleisch. Vielfach
wird hierbei der Flachs als einer der ältesten Anbaupflanzen des Menschen vergessen. Aus Flachs
wurde Leinen hergestellt und er blieb „der in Europa wichtigste Stoff, bis nach der industriellen
Revolution Baumwolle und Kunstfasern an seine Stelle traten.“3
Die Herausbildung der Landwirtschaft bedeutete die evolutionäre Ablösung der einfachen
Produktionsweise der Sammler- und Jägergesellschaften von einer „Ernte- und
Aneignungswirtschaft“, zu einer erstmalig „vorausschauenden, zumindest begrenzt planenden
Wirtschaft.“ Von den Völkern die den Übergang zur Landwirtschaft zu unterschiedlichen Zeiten
vollzogen, entwickelten sich in nur fünf Gebieten – Vorderasien, auch bekannt als Naher Osten oder
„Fruchtbarer Halbmond“, China, Zentral- und Südmexiko mit südlich angrenzenden Gebieten, die
südamerikanischen Anden und eventuell im benachbarten Amazonasbecken sowie im Osten der
heutigen USA, eine unabhängige Landwirtschaft. Andere Völker, wie z.B. die Ägypter, haben sie bei
ihren Nachbarn abgeschaut.
1 http://www.unesco.de/bne_jahresthema_2013_mobilitaet.html
2 Vgl. hierzu auch den Prolog des WBGU in: Die Grosse Transformation – Klima – Kriegen wir die Kurve? 2013
3 Jared Diamond: Arm und Reich – Die Schicksale menschlicher Gesellschaften, 6. Auflage 2010, S. 136 ff
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Hartmut Plötz – Historische Entwicklung der Mobilität
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In den klimabegünstigten Zonen, im
„Fruchtbaren Halbmond“, konnte die älteste
definitiv nachgewiesene unabhängige
Domestikation von Pflanzen und Tieren
nachgewiesen werden, während z.B. in West-
und Mitteleuropa, wo die Landwirtschaft mit
der Ankunft von Kulturpflanzen und
Haustieren aus dem nahen Osten erst zwischen
6.000 und 3. 500 v. Chr. einen nicht eigenständigen Entwicklungsverlauf begann.
Sie wurde vielmehr durch die Ankunft
domestizierter Pflanzen und Tiere aus
Vorderasien in Gang gesetzt.
Der “fruchtbare Halbmond”, das vorderasiatische Entstehungsgebiet
der Landwirtschaft. Kursiv sind zur besseren Orientierung heutige Staaten genannt.
4
Pflanzliche und Tierische Reproduktion
Vor Jahrtausenden wurde somit ein erstes Wissen entwickelt, welches es der damaligen Bevölkerung ermöglichte, in den Stoffwechsel mit der Natur bewusst und gestaltend einzugreifen und ihn
dauerhaft zu erneuern. In dem diese Menschen das Wissen um die Reproduktion, um die Erneuerung
- der sie umgebenden Natur und ihrer Nahrungsgrundlagen- anwendeten, wurde die
landwirtschaftliche Produktionsweise nach einer einfachen jährlichen Wertschöpfungskette über
Jahrtausende reproduziert: „Säen – Wachsen – Ernten – Säen“, war und ist bis heute die Formel der
einfachen Reproduktion.5
So wenig eine Gesellschaft aufhören kann zu konsumieren, so wenig kann sie aufhören zu
produzieren. In einem dauerhaften Zusammenhang und auf die dauerhafte Erneuerung des
Stoffwechsels achtend, ist der gesellschaftliche Produktionsprozess daher zugleich ein
Reproduktionsprozess. Die Bedingungen der Produktion sind zugleich die Bedingungen der
Reproduktion. Keine Gesellschaft kann fortwährend produzieren und reproduzieren, ohne
fortwährend einen Teil der Produkte der gesellschaftlichen Arbeit, hier die geernteten Samenkörner,
wieder als Produktionsmittel für die Neuproduktion zurückzuhalten. Eine bestimmte Anzahl der geernteten Samenkörner müssen immer für die Neuproduktion zurückgehalten werden, bevor der
Rest für den individuellen Verbrauch, den Konsum für Mensch und Tier, verteilt werden kann.
Die Beachtung der Reproduktionsregeln, der dauerhaften Erneuerung des Stoffwechsels mit der
Natur, als der ersten Quelle des menschlichen und tierischen und auch des gesellschaftlichen Lebens und Überlebens überhaupt, ist die Grundbedingung allen gesellschaftlichen Überlebens und
Wirtschaftens. Nehmen wir einen Baustein aus dem unten stehenden Stoffflussbild raus, bricht die
Reproduktion dieser Produktionsweise zusammen.
4 http://www.oekosystem-erde.de/html/entstehungsgebiete.html
5 Vgl. Diamond, S. 139
Arbeitskräfte halten Teile der Ernte für die
Vorratshaltung zurück
Pflanzen stellen Saat
gut bereit
Arbeitskräfte
ernten
Arbeitskräfte und Tiere
erhalten Nahrung
Arbeitskräfte säen Samen aus der
Vorratshaltung für die neue
Periode aus
Arbeitskräfte ernten
und säen den Samen
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Die dauerhafte pflanzliche Reproduktion ermöglichte im weiteren Verlauf auch die tierische
Reproduktion, die vorab die Domestikation des Tieres verlangte. Domestikation des Tieres besagt,
„dass ein Tier vom Menschen gehalten und durch Zuchtauswahl im Hinblick auf seine Nützlichkeit
verändert wird und seine Fortpflanzung und Futterversorgung von Menschen bestimmt und geregelt
wird.“6 Ohne die pflanzliche Reproduktion ist keine vom Menschen bestimmte, dauerhafte
Futterversorgung der pflanzenfressenden Tiere möglich.
Die Ausstattung der Arbeitskraft mit neuen Produktionsmitteln, wie Zugtier und Pflug, steigert die
Produktivität der Arbeitskraft. Bei der Bearbeitung des Bodens wird der Stoffwechsel zwischen
Mensch und Natur in einer gewissen Zeit erweitert und führt zum Ergebnis, dass die produktivere
Arbeit gegenüber der herkömmlichen Arbeit wesentlich mehr ernten kann. Sie hat ein größeres
landwirtschaftliches Mehrprodukt erzeugt, welches nun von der Gesellschaft bevorratet und
anschließend verteilt werden kann. Die Herstellung eines Mehrprodukts wurde somit die materielle
Grundlage für die weitere Entwicklung der Menschheit.
Pferde verändern die Mobilität
Eine weitere Veränderung der Lebensweise durch die Herstellung eines größeren Mehrprodukts
bewirken domestizierte Säugetiere auch im Bereich der Mobilität, im Bereich des Transportwesens,
wo sie bis zur Erfindung des Automobils gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Haupttransportmittel
im Überlandverkehr darstellten: Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wurde es möglich,
schwere Güter und Personen in großer Anzahl und mit relativ hoher Geschwindigkeit über große
Entfernungen zu bewegen. Als Reittiere diente in den verschiedenen Kulturen insbesondere das
Pferd, während andere, wie z.B. drei Kamelarten und das Lama, als Transporttiere genutzt wurden.
Die Entwicklung der Landwirtschaft führte aber nicht nur zu einer Verbesserung der
Nahrungsversorgung, der Geburtenraten und der Mobilität, sondern auch zu politischen und
militärischen Vorteilen einiger Völker über andere. Der unmittelbarste Beitrag zu Eroberungskriegen war die Domestikation des Pferdes, „das in seiner militärischen Funktion zum Jeep und Panzer der
antiken Kriegsführung in Eurasien aufstieg.“7 Als Pferde später „eingespannt“ werden konnten,
revolutionierten pferdebespannte Kampfwagen die Kriegsführung in Eurasien. Erst mit Einführung
von Lastkraftwagen und Panzern im Ersten Weltkrieg wurde das Pferd als Angriffsvehikel und
schnelles Transportmittel allmählich abgelöst.
Wer entscheidet über die Verwendung des Mehrprodukts
Gleichzeit stellt sich uns die Frage, wer denn in dieser „Menschheitsgeschichte“ die wirtschaftlichen
Entscheidung getroffen hat, wie viel Vorrat an Samen bevorratet werden muss um genügend Samen für die nächste Wirtschaftsperiode zu haben und wer hat über die Verteilung der Ernte, über die
Fütterung der Tiere entschieden? Die Landwirtschaft wurde nach den oben genannten
Reproduktionsregeln so organisiert, dass Nahrungsüberschüsse erzielt und Vorräte angelegt werden
mussten. Das so erzielte Mehrprodukt, der Überschuss, war eine Voraussetzung der ökonomischen
Differenzierung und der Gliederung der Gesellschaft in Klassen: Auf der einen Seite standen die
Bauern die Nahrung produzierten und auf der anderen Seite diejenigen, die selbst keine Nahrung
produzieren und von den Ergebnisse anderer Hände Arbeit lebten.
Mit den Überschüssen können Angehöriger aller Klassen ernährt werden: Häuptlinge, Bürokraten
und andere Mitglieder der Herrschaftsschicht; Wissenschaftler, Schreiber, Handwerker und weitere
Spezialisten, die selbst keine Nahrung produzieren; und schließlich die Bauern selbst in Zeiten in
denen sie Frondienst leisten müssen. In seiner „Freizeit“ darf der Bauer sich aber nicht erholen,
sondern er wird nach der Saat- Erntezeit von der politischen Zentralgewalt für andere Zwecke
eingespannt – etwa zur Errichtung öffentlicher Bauwerke als Symbol der Staatsmacht (ägyptische
6 Diamond, S. 186
7 Diamond, S. 98
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Pyramiden), zum Bau von Einrichtungen, die der Ernährung von noch mehr Menschen dienen
(Bewässerungssysteme und Fischteiche der polynesischen Hawaiianer), oder zur Führung von
Eroberungskriegen, durch die größere politische Einheiten geschaffen werden.
In wirtschaftlicher Hinsicht war das auffälligste Merkmal von Häuptlingsreichen die Abkehr vom
ausschließlich einfachen Warenaustausch, wie sie für Gruppen und Stämme typisch sind. Dabei
werden Waren (W) gegen Waren (W) von vergleichbarem Wert getauscht. Die Häuptlinge führten
noch kein Geld als Zahlungsmittel ein8, sondern „schufen etwas Neues: die Umverteilungswirtschaft.
In ihrer einfachsten Form bestand sie darin, daß ein Häuptling zur Erntezeit von jedem Bauern seines
Reiches beispielsweise einen Teil der Weizenernte erhielt und dann für alle ein Fest veranstaltete,
auf dem Brot gereicht wurde; oder er bewahrte den Weizen auf und verteilte ihn in den nächsten
Monaten vor der nächsten Ernte.“9 Mit dem selbstbestimmten Leben und Arbeiten, mit der
Selbstbestimmung über die Verwendung des Überschusses durch die Bauern war nun Schluss!
Mit der Einführung dieser „Umverteilungswirtschaft“ durch die Häuptlinge wurde die Geschichte der
Menschheit nicht mehr durch diejenigen weiterentwickelt, die produzierten, sondern von einer
Minderheit die von dem Überschuss lebten, die die nicht mehr mitbestimmende Mehrheit erzeugte.
Die Entwicklung der weiteren Menschheitsgeschichte verlief ab dieser Zeit, vor ca. 5. 500 Jahren v.
Chr., nicht mehr im Interesse der Mehrheit, sondern im Interesse einer nicht arbeitenden Minderheit. Der ehemals geregelte Stoffwechsel mit der Natur, der ehemals der Verbesserung der
Lebengrundlage der Gruppen und Stämme diente, wurde nun nicht mehr zur Verbesserung der
Lebensgrundlage der Mehrheit, sondern von einer notwendigen Produktion in die Richtung einer
nicht notwendigen Produktion, in die Produktion, Beschaffung und Handel von Luxusgütern für die
Herrschenden gelenkt.
Die Umverteilungswirtschaft bringt einen zentralistisch geregelten Stoffwechsel und eine Mobilität
im Interesse der Herrschenden, der „Kleptokraten“, hervor
Nicht nur, dass die Mehrheit des Volkes nicht mehr über die Verwendung des Überschusses
mitbestimmen durfte und nur einfach bestattet wurde, nein noch mehr: „Erhielt die einfache
Bevölkerung einen großen Teil der abgelieferten Güter (die sie ja selbst produziert hatte! H.P.) nicht
wieder zurück, sondern wurde diese von den Häuptlingssippen und Handwerkern verbraucht, so
wurde aus Umverteilung Tribut (ein Vorläufer unserer Steuern).“ Wer den Überschuss produziert,
aber nicht über ihn verfügen kann, wird zusätzlich mit Tribut durch den Häuptling belegt!
Mit der Einführung der Umverteilungswirtschaft und der Pflicht zur Abgabe eines Tributs trat
erstmalig in der Menschheitsgeschichte, bereits vor ca. 5. 500 Jahren v. Chr., ein „Dilemma“ ein, „das
für alle nichtegalitären Gesellschaften mit zentralistischer Herrschaft von grundlegender Bedeutung
ist. Im besten Falle tun solche Gesellschaften Gutes, indem sie aufwendige Dienstleistungen
erbringen, die sich der einzelne nicht leisten kann. Im schlimmsten Fall handelt es sich um eine
schamlose Kleptokratie, die das Volk ausplündern und den von ihm erarbeiteten Reichtum nach oben
verteilen. Solch nobles beziehungsweise selbstsüchtiges Verhalten bildet zwei Seiten einer Medaille,
wobei der Schwerpunkt in der Realität, wie jeder weiß, sehr unterschiedlich gesetzt werden kann. Zwischen Kleptokratie und weisem Staatsmann, zwischen Räuberbaron und dem Hüter der Armen
besteht nur ein gradueller Unterschied, der davon abhängt, wie hoch der Prozent des Tributs ist, der
8 Der Begriff „Geld“ gehörte anfangs zur kultischen Sphäre und bezeichnet „das, womit man Buße und Opfer erstatten bzw. entrichten
kann“ und nimmt erst ab dem 14. Jahrhundert seine aktuelle Bedeutung als „geprägtes Zahlungsmittel” an. Vorher wurden begehrte Güter wie Getreide, Muscheln, Kaurischnecken, Silber oder Gold Zwischentauschmittel eingesetzt, hatten also eine Geldfunktion. Die ersten Münzen wurden im Reich der Lyder zwischen 650 und 600 v. Chr. als Zahlungsmittel herausgegeben. Dabei handelte es sich um unförmige
Brocken aus Elektron, einer natürlich vorkommenden Gold-Silber-Legierung, zuerst bildlos. Bildliche Darstellungen auf Münzen kamen um 600 v. Chr. auf. Danach folgten Goldmünzen in verschiedenen Größen und Werten. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Elektron_(Legierung) König „Krösus“ war der letzte König des in Kleinasien gelegenen Lydiens. Krösus war der
erste Monarch Kleinasiens, dem die dortigen Griechenstädte regelmäßig Steuern zahlen mussten. Vor seiner Zeit fanden nur Plünderungszüge und Tributeintreibungen statt. Er regierte von etwa 555 v. Chr. bis 541 v. Chr. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Krösus 9 Diamond, S. 336
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in den Taschen der Elite verschwindet, und wie sehr dem einfachen Volk mit dem, wozu der
umverteilende Tributanteil verwendet wird, gedient ist.“10
Wie hoch der jeweilige Tribut war, den die Bauern den nichtarbeitenden Herrschenden leisten mussten, wurde durch die Interessen der Herrschenden und deren Wissen bestimmt. Während die
Abstammungslinien bei Stämmen - wir erinnern uns, dort mussten alle mitarbeiten, -
gleichberechtigte Sippen (Clans) bildeten, besaßen in Häuptlingsreichen alle Angehörigen der
Abstammungslinie des Herrschers Privilegien, die weitervererbt wurden. Praktisch war die
Gesellschaft in erbliche Klassen von Adligen und Nichtadligen gespalten. Da die Bauern für die
Überschüsse auf den Feldern sorgen mußten, die Häuptlinge aber zusätzlich noch Dienstboten für
niedere Arbeiten und Handwerker benötigten, „unterschieden sich Häuptlingsbereiche auch darin,
dass es zahlreiche Tätigkeiten gab, die von Sklaven verrichtet werden konnten. Diese wurden
typischerweise auf eigens zu diesem Zweck veranstalteten Sklavenjagden gefangen.“11 Die Ernährung
der Slaven erforderte wiederum einen noch höheren Tribut von den Bauern.
Herrschende bestimmen die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung
In welche Richtung sich die damaligen Gesellschaften weiterentwickelten, war auch davon abhängig,
welche Gruppierungen der Herrscher mit den umverteilten Tributen zu welchem Zweck förderte. Der
Stoffwechsel mit der Natur wurde im Interesse der Herrschenden in völlig neue Bahnen gelenkt, die
nicht unbedingt zur Kategorie einer notwendigen Produktion gehörten. Ein Beispiel hierfür ist die
spätere Entwicklung von Benzin aus natürlichen Materialien, dessen Grundlagenkenntnisse durch die
Alchemisten, den „Wissenschaftlern“ der damaligen Zeit, erforscht wurden. Diese hatten bereits um
2.000 v.Chr. in Mesopotamien Tonnen von Erdöl durch Erhitzung von Naturasphalt gewonnen, um Waffen und Geräte herzustellen sowie Schmuck und Skulpturen farbig zu gestalten und Schiffe mit
Asphalt abzudichten.12 Die Alchemisten der Griechen entdeckten die Verwendungsmöglichkeiten
verschiedener Mischungen aus Erdöl, Pech, Harz, Schwefel und ungelöschtem Kalk als Brandbomben,
die mit Schleudern, Pfeilgeschossen und Schiffen zum Ziel befördert wurden. Die
Destillationskenntnisse, die sich moslemische Alchemisten im Mittelalter aneigneten, um Alkohol
und Parfüms herzustellen, verschafften ihnen auch die Möglichkeit, Erdöl in seine Bestandteile zu
zerlegen, von denen sich einige als noch wirkungsvollere Brandstoffe erwiesen. Abgefeuert mit
Granaten hatten sie entscheidenden Anteil am Sieg der Mohammedaner über die Kreuzfahrer.13
Nach dem Verfall des römischen Reiches und dem Beginn des Mittelalters verlor Asphalt stark an Bedeutung. Das Wissen, welches über Jahrtausende hinweg angesammelt wurde, ging durch den
Untergang der Herrschenden verloren und wurde erst im 18. Jahrhundert wieder erworben.
Ideologien als Methoden zur Beruhigung des Volkes
Bei jeder auf sozialer Ungleichheit gegründeten Gesellschaft stellt sich die Frage, warum das Volk
geduldig zuschaut, wie sich Kleptokraten die Früchte seines Schweißes aneignen. „Kleptokraten aller
Epochen“ haben nach Jared Diamond auf diese Frage Antworten gefunden, die meist eine
Kombination von vier verschiedenen Vorgehensweisen darstellen. Beim Umbau zu einer
nachhaltigen Wirtschaftsweise sollten wir nicht nur die technischen, finanziellen und gesellschaftsgestaltenden Chancen des Umbaus aufzeigen, sondern wir sollten auch die Ideologie,
die Weltanschauung, der sog. herrschenden „Eliten“ erkennen und erklären können, wessen
Interessen deren Ideologien, die wir zum Teil unbewusst übernehmen und wiedergeben, tatsächlich
10
Diamond, S. 337 11
Diamond, S. 335 12
Natürlicher Asphalt (auch Erdpech oder Bergteer genannt) entsteht aus Erdöl oder Ölsanden durch Aufnahme von Luftsauerstoff (Oxidation genannt) und Verdunstung von leichtflüchtigen Bestandteilen. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Asphalt#Geschichte Bei der neuzeitlichen Destillation von Erdöl entdeckten Chemiker im 19. Jh. Die „Fraktion der Mitteldestillate“ als nützlichen Brennstoff für
Petroleumlampen. Das Rohbenzin betrachteten sie als Abfallprodukt – bis man herausfand, dass sich dieser Stoff ideal für als Verbrennungsmotoren eignete. Wer mag heute glauben, das Benzin ebenfalls zu den Entdeckungen zählte, für die erst ein Verwendungszweck, ein Verbrennungsmotor, gesucht werden mußte? 13
Das Abfeuern von Granaten wäre ohne das von den Chinesen zu jener Zeit entwickelte „Schießpulver“, eine Mischung aus Schwefel, Holzkohle und Salpeter, nicht möglich gewesen. Vgl. Diamond, S. 297
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dienen. Wie, warum und womit schaffen es die „Eliten“ immer wieder, das Volk hinter sich zu
bringen und zugleich ein wesentlich komfortableres Leben auf Kosten der Natur und der
Arbeitskräfte zu führen, und gleichzeitig dem sog. „kleinen Mann“ einzureden, dass er „über seinen
Verhältnissen lebe und nun einsehen muss, dass sein Gürtel enger geschnallt werden müsse.“
Warum nehmen sog. „Umweltprobleme“ trotz zunehmender wissenschaftlicher Erkenntnisse,
Studien, etc. immer schneller zu, während die Mehrheit der Bevölkerung sich fragt, warum diese
Probleme nicht gelöst werden? Die Widersprüche eskalieren, während die Herrschenden ungestört
weiter machen. Warum?
Beim Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise wird mitentscheiden sein, dass sich jeder
Einzelne von uns, über die Interessen die wir und unsere Kinder gemeinsam bei diesem Umbau
haben, klar werden. Auf Grundlage unserer ver.di Grundsatzerklärung ist kollektives Handeln
möglich. Seine Richtung bekommt unser Handeln nur dann, wenn wir uns alle über die unmittelbaren
Ursachen der zunehmenden Verschlechterungen verständigen, über die Ursachen also, die offen zu Tage liegen, die uns tagtäglich vor Augen geführt werden. Eine der Ursachen der zunehmenden
Probleme ist die Nichtbefassung, das Ausblenden der Ideologie, durch uns und auch durch die
Mehrheit der Wissenschaftler, die sich z.B. nicht mit den „Triebkräften des Wachstums“ beschäftigen
wollen! Sie wollen die „Ursachen der Triebkräfte“ nicht untersuchen und sie wollen „die Übeltäter“,
die das zerstörende Wachstum verursachen, nicht beim Namen nennen!
So sagt Dennis Meadows bereits 1992: „Es ist kaum Bereitschaft erkennbar, sich mit den
grundlegenden Triebkräften des Wachstums der Weltbevölkerung und des Kapitals zu befassen.
Selbst gut informierte Gruppen und Vereinigungen wie etwa die Weltkommission für Umwelt und
Entwicklung, welche die globalen Entwicklungstrends als „einfach unhaltbar“ bezeichnet hat, sehen
sich offensichtlich außerstande, unmißverständlich zu erklären: „Die Menschheit hat ihre Grenzen
überschritten.“ Und sie bemühen sich auch nicht ernstlich um Gegenmaßnahmen. Es ist freilich
verständlich, weshalb man das Thema der Grenzen so gerne ausklammert. Sobald es angeschnitten
wird, kommt es zu erbitterten Diskussionen: Wer sind denn die Übeltäter?“14 Wenn denn schon die
Wissenschaftler sich nicht mit den grundlegenden Triebkräften befassen wollen, müssen wir uns selbst auf die Suche nach den „Übeltätern“ begeben.
Jared Diamond berichtet uns von vier kombinierbaren Methoden, die aus Sicht der Kleptokraten
dazu geeignet sind das Volk zu beruhigen. Diese geben wir hier in Kurzfassung wieder und erläutern ihren historischen Werdegang:15
1. Entwaffnung der Massen, Bewaffnung der Eliten
2. Zufriedenstellung der Massen durch Rückgabe eines Anteils des Tributs. Hierbei sollte stets
darauf geachtet werden, dass die Ausgaben beim Volk „auch gut ankommen.“ 3. Nutzung des Gewaltmonopols zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zur
Eindämmung der Gewalt.
4. Die vierte Möglichkeit der Kleptokraten sich der Unterstützung des Volkes zu sichern, ist „die
Ersinnung einer Ideologie oder Religion“, die ihre Herrschaft rechtfertigt.16
In Jäger- und Sammlergruppen und Stammesgesellschaften glaubte man bereits an übernatürliche
Dinge, gar nicht viel anders als in den großen Religionsgemeinschaften unserer Zeit. So rechtfertigen
viele Häuptlinge ihre Stellung u.a. damit, dass sie sich für das Volk bei den Göttern verwendeten und
die rituellen Formeln, die Liturgien vortragen, um für Regen, eine gute Ernte und reiche Fischfänge zu
sorgen.
14
Donella und Dennis Meadows: Die neuen Grenzen des Wachstums, 1992, S. 131 f 15
Diamond, S. 338, ff 16
Einer der älteren Ersinnungen ist der Glaubenssatz „Ora et Labora“: So heißt es nach dem Sündenfall in Genesis 3:19: Im Schweiße Deines
Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; von ihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück. „Ora et Labora bezeichnet also den Glauben, dass der Weg zur Gottheit letztlich nur über Gebet und harte Arbeit führt.
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Häuptlingsreiche verfügen als Stütze der Häuptlingsautorität über eine Weltanschauung, eine
Ideologie, den Vorläufern einer institutionalisierten Religion. „Entweder vereint der Häuptling dabei
in seiner Person die Ämter des politischen Führers und Priesters, oder er fungiert als Schirmherr
einer eigenen Gruppe von Kleptokraten (der Priester), deren Funktion darin besteht, die Stellung des
Häuptlings ideologisch zu rechtfertigen. Hierin liegt auch der Grund, warum in Häuptlingsbereichen
ein so großer Teil des erhobenen Tributs in Tempel und andere öffentliche Bauten investiert wird, die
als Stätten zur Ausübung der offiziellen Religion und als sichtbare Zeichen der Häuptlingsmacht
dienen.“17
Desweiteren schafft eine Ideologie oder Religion z. B. erstens ein nicht auf Verwandtschaft
basierendes Band der Gemeinsamkeit und trägt damit zur Lösung des Problems bei, nicht
miteinander verwandten Menschen ein Zusammenleben ohne Mord und Totschlag – Du sollst nicht
töten! – zu ermöglichen. Zweitens aber, gibt die Ideologie oder Religion den Menschen auch das dem
Grundsatz widersprechende Motiv - Du sollst nicht töten! – das Motiv eigenes Leben zu opfern, in dem es andere Menschen töten soll. Auf Grund dieser Ideologie oder Religion gewinnt eine
Gesellschaft auf Kosten einer kleinen Zahl von Menschen, die als „unsere Soldaten“, als „unsere
Helden“ auf dem Schlachtfeld sterben, insgesamt an Schlagkraft bei der Eroberung anderer
Gesellschaften und deren Rohstoffquellen bzw. bei der Abwehr von Feinden.
Die patriotische Bereitschaft „sich zu opfern“ „wird den Bürgern moderner Staaten von Schulen,
Kirchen und Regierungen immer wieder eingehämmert, da daß uns gar nicht bewußt wird, welch
radikale Abkehr von älteren Verhaltensweisen darin liegt. (…) Für Angehörige von Jäger – Sammler –
gruppen und Stämmen sind derartige Gemütsbewegungen unvorstellbar“, die im völligen Gegenteil
dazu „das Risiko das eigene Leben für das Dorf opfern zu müssen, um jeden Preis vermeiden.“18
Die Ersinnung von Ideologien und Religionen sind somit das historische Produkt der jeweils
Herrschenden zur Festigung ihrer Macht durch eine Überschuss erzeugende Produktionsweise und
zur Legitimation der Produktionsverhältnisse durch das beruhigte Volk, welches sich durch die
Beibehaltung der Produktionsweise und -verhältnisse ein besseres Leben erhofft. Neben Schreiben
und Erfinden ermöglichten die landwirtschaftlichen Überschüsse auch den Unterhalt von Politikern
und Wissenschaft und die Ersinnung ihrer Ideologie.
Die Ideologie einer Umverteilungswirtschaft wird von den arbeitenden Menschen in den historischen
Epochen im Laufe der Zeit als „das normale Leben“ empfunden und Kindern, die in diese
Umverteilungsgesellschaft hineingeboren werden, wird erklärt „so ist das Leben halt, find Dich damit
ab, das war schon immer so!“ Menschen die mit dieser Wirtschaftslogik groß werden, können sich
gar nicht vorstellen, dass es außerhalb einer Umverteilungswirtschaft eine andere Wirtschaftsweise
geben könnte.
Beim Aufbau einer nachhaltigen Produktionsweise gilt es somit nicht nur den gesellschaftlichen
Stoffwechsel mit der Natur zu ändern, sondern es gilt auch aufzuzeigen, dass die ehemaligen und die
derzeit herrschende Ideologie einer sich selbstzerstörenden Wirtschaftsweise nicht im nationalen
und globalen Interesse der arbeitenden Menschen und ihrer Kinder ist: Zerstören wir die Natur weiter, bringen wir uns langfristig selbst um unsere Existenz- und Wirtschaftsgrundlagen. Trotz all
dieser Erkenntnisse leben wir in heute mehrheitlich in Gesellschaften, deren Ideologen und Politiker
uns immer noch predigen, dass wir nur mit mehr wirtschaftlichem Wachstum ein besseres Leben,
einen „Wohlstand für alle“, erreichen können. Welche Folgen aber solche Versprechen und
Ideologien für die weitere Entwicklung der Menschheit haben in der Geschichte hatten, zeigt auch
das historische Beispiel, des „weißen Mannes“ zur weiteren Welteroberung, dem „ökologischen
Imperialismus“ mittels Einführung einer neuen Mobilität, der Hochseeschifffahrt.
17
In Mesopotamien war der Tempel nicht nur religiöser Mittelpunkt, sondern auch Zentrum der wirtschaftlichen Umverteilung, der Schrift
und der Handwerkstechnik. Vgl. Diamond, S. 345 18
Diamond, S. 345
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Die Früchte des weißen Mannes: Hochseeschifffahrt und „ökologische Imperialismus“.
Mit den ersten Kreuzzügen unternahmen „die Kleptokraten Europas“ die ersten massiven Versuche
ihren Machtbereich auf Dauer über die Grenzen des eigenen Kontinents hinaus auszuweiten. Als der Kaiser des Byzantinischen Reiches, Alexios I. Komnenos, aufgeschreckt durch den Siegeszug der
seldukischen Türken, Pabst Urban II. um Beistand ersuchte, reagierte dieser 1095 n. Chr. mit seinem
Aufruf zum Kreuzzug. „Die Antwort der römischen Christenheit war der erste Kreuzzug: eine Art
selbstmörderischer Ansturm von Horden gottesfürchtiger Christenmenschen, die das heilige Grab
aus den Händen der Moslems befreien wollten.“ Mit der Entwicklung eines Feindbildes, „der böse
Moslem“ und dem Versprechen auf einen „nie verwelkenden Ruhm im Himmelreich“, gelang es den
Herrschenden der Bevölkerung einzureden, sich für diesen Glaubenskrieg zu opfern und einen
großen Teil des erwirtschafteten Überschusses in den „Heiligen Krieg“ zu lenken.19 Im Laufe der
nächsten zweihundert Jahre machten sich Hunderttausende von Europäern zu Lande und zu Wasser
auf, um an den Küsten des östlichen Mittelmeeres, den Küsten des „Fruchtbaren Halbmond“, die „ungläubigen Moslems“ zu bekämpfen und ihnen das „Heilige Land“ zu entreißen.20
Hinter dieser religiösen Volksverblendung wurden die wahren Interessen und Machtansprüche der
Kleptokraten verborgen: Einerseits strebte Urban II. eine Wiedervereinigung mit der byzantinisch
geführten Ostkirche an, andererseits konnte er die Kirche als zielgebende Ordnungsmacht in Mitteleuropa etablieren. Zudem gab es vor allem im niederen Adel vieler Regionen Europas
zahlreiche Söhne, die nichts oder nur sehr geringe Besitzungen erbten und deshalb ein großes
Interesse an einem Kriegszug zum Erwerb von Schätzen und Ländereien hatten. Die Kreuzzüge waren
somit ein geschickt initiiertes machtpolitisches Instrument zur Ausdehnung des religiösen
Machtbereichs und zur weiteren Ausbeutung anderer Völker im Interesse der Kleptokraten.
Die Unfähigkeit der Kleptokraten die damalige Produktionsweise zu regeln, zu organisieren und zu
reproduzieren, ließ die Kreuzzüge in einem Fiasko enden. Die Kreuzfahrer konnten in der Ferne nur
überleben und kämpfen, wenn sie ununterbrochen mit beträchtlichen Mengen Hilfsgütern aus den
Überschüssen Europas versorgt werden konnten. „Der christliche Glaubenseifer hielt sich zwar über
viele Jahre, aber irgendwann floß die Hilfe nur noch sporadisch, um allmählich vollständig zu
versiegen. Die Kreuzritterstaaten von Edessa, Antiochia, Tripoli und Jerusalem vegetierten nur noch
dahin und verschwanden schließlich von der Landkarte.“21 Der erste Versuch von Westeuropäern,
große Ansiedlungen außerhalb Europas zu gründen, hatte damit sein Ende gefunden. Im Jahre 1291 verloren die Kreuzfahrer Akko als christliche Bastion im „Heiligen Land“ und als 1453 auch
Konstantinopel an die Moslems fiel, wurde endgültig deutlich, dass die über fast vierhundertjährige
aufopfernde Haltung der Mehrheit der Bevölkerung für die Interessen der Kleptokraten umsonst
gewesen war: Der erarbeitete Überschuss war nicht zur Steigerung des Volkswohlstandes verwendet
worden, sondern er war „verschwendet“ worden.
Das Versuchslabor des kolonialen Imperialismus: Madeira
Trotz dieser Niederlage trugen die Kreuzfahrer aber zur beschleunigten Verbreitung wichtiger
Erkenntnisse aus dem „Fruchtbaren Halbmond“ bei. So wurden z.B. auf dem Gebiet der Schiffkonstruktion und Navigation, das Hecksteuerruder und der Kompass von den Moslimen
übernommen. Mit diesen Erkenntnissen aus dem Morgenland und einem neuen Wissen zur
Beherrschung der atlantischen Winde wurden die zukünftige Expansion der Europäer zu ihren ersten
Kolonien, der Insel Madeira, den Azoren und den Kanarischen Inseln, ermöglicht. Die „brutale
Unterwerfung dieser ersten Kolonien durch die Europäer begann im Jahre 1402, das wir als
19
Alfred W. Crosby: Die Früchte des weißen Mannes – Ökologischer Imperialismus, 900 – 1900, 1991, S. 61 20
„Ein Übriges taten die über das Land gesandten Wanderprediger der Kirche, die dafür sorgten, dass viele einfache Menschen,
Abenteurer, Verbrecher, aber auch Bauern in den Krieg zogen. Den Kampfwilligen wurde Ablass für ihre Sünden zugesagt. Unter dem Motto: „Gott will es!“ wurde allen, die dem Ruf folgten, „nie verwelkender Ruhm im Himmelreich versprochen.“ Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Kreuzzug
Und was stand auf dem Koppelschloss der deutschen Soldaten im 2. Weltkrieg? „Gott mit uns“! 21
Crosby, S. 63
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Hartmut Plötz – Historische Entwicklung der Mobilität
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Geburtsjahr des modernen europäischen Imperialismus ansetzen können.“22„Die drei Inselgruppen
im Ostatlantik dienten dem europäischen Imperialismus als Versuchslabor, und die hier gewonnen
Erkenntnisse sollten die Weltgeschichte in den folgenden Jahrhunderten entscheidend beeinflussen.
Die wichtigste Erkenntnis bestand darin, daß die Europäer samt ihren Pflanzen und Tieren auch in
Landstrichen, in denen sie zuvor nie existiert hatten, ganz gut zurechtkommen konnten.“23
Da die Kreuzzüge nicht die erhofften Erfolge gebracht hatten, wendeten sich „interessierte
Geldgeber, Machthaber und Aristokraten“ im „Sinne ihrer Selbstbereicherungspläne“, so Alfred W.
Crosby, neuen Zielen zu. Ihr Ziel war einen größtmöglichen Gewinn zu erzielen und um dieses Ziel zu
erreichen, wurden die Reichen mit einem bis dahin völlig unbekannten und neuem Produkt
„beglückt“: Dem Zucker, dem weißen Gold.24 Während das „gemeine Volk“ noch mit eingekochtem
Traubensaft und Honig süßte, wurde Zucker zu einem Luxusgut der Reichen. Da Zucker als so wertvoll
wie Gold angepriesen wurde, „wanderte“ das Zuckerrohr, von den Kreuzrittern auch „Honigschilf“
genannt,25 zunächst von Palästina nach den Mittelmeerinseln und der Iberischen Halbinsel, anschließend nach Madeira und den Kanarischen Inseln und von dort „über die Nahtlinien der
Pangäa hinweg Richtung Westen.“26 Am Beispiel des Zuckers lässt sich zeigen, welche
grundsätzlichen Überlegungen von den Kleptokraten angestellt wurden, um eine völlig neue
Produktionsweise aufzubauen die ihren Gewinnerwartungen gerecht wurde. Mit dieser neuen
Produktionsweise für das Luxusgut Zucker zum Zwecke der Gewinnerzielung wurde der Stoffwechsel
mit der Natur durch den Rohrzuckeranbau in eine völlig neue Richtung gelenkt.
Für uns ist das Beispiel der Insel Madeira besonders erwähnenswert, da in den letzten 800 Jahren in
den klimatisch geeigneten Kolonien wie Española, Haiti, Brasilien, Martinique, Mauritius, Hawaii usw.
mit dem Anbau von tropischen Luxuswaren, für den europäischen Markt bestimmten
Agrarprodukten immer wieder gewaltige Gewinne für die Kleptokraten gemacht wurden. Kreta,
Zypern und Rhodos waren die ersten dieser Kolonien im Mittelmeerraum, Madeira aber spielte
sozusagen „den Leithammel“ für alle danach entstandenen Kolonien.27 Vor dem Hintergrund eine
nachhaltige Wirtschaftsweise zu entwickeln, muss auch die Frage erlaubt sein, die Produktion von
Luxuswaren in Frage zu stellen, die den Regeln einer notwendigen Produktionsweise widersprechen und die einen nicht notwendigen Stoffwechsel mit der Natur hervorgebracht haben.
Die portugiesische Insel Madeira, vom portugiesischen Wort „madeira”, „Holz“, liegt westlich der
marokkanischen Küste im Atlantischen Ozean. Madeira war „jungfräulicher Boden“, unbewohnt und ohne Anzeichen menschlicher Besiedlung. Sie bot das ideale Klima für den Zuckerrohranbau und als
die Europäer zum ersten Mal auf Madeira stießen, gab es auf der Insel nicht einen Fußbreit Boden,
der nicht vollständig mit Bäumen bewachsen wäre. Zwar erwies sich das Holz als wertvolles
Exportgut, insbesondere das kostbare Lorbeerbaumholz für den Schiffbau, aber es war einfach zu
viel! Im Gegensatz zu den Clans und Stämmen die den Fruchtbaren Halbmond besiedelten und dort
die Landwirtschaft aus den vorgefunden Wildgräsern weiterentwickelten, begnügten sich die
Europäer nicht mit den Einnahmen aus dem Holzhandel, sondern verfolgten konsequent ihre
höheren Gewinnerwartungen: Wo Wald steht, kann keine Zuckerrohrplantage entstehen, folglich
muß der Wald weg! Deshalb begannen sie Feuer zu legen, doch mit den daraus entstehenden
Waldbränden hätten „sie sich bald selbst von der Insel gefeuert. (…) Einem Bericht, wonach der Waldbrand sieben Jahre angedauert habe, kann man vielleicht so interpretieren, daß die Siedler ihre
22
Crosby, S. 84 23
Ebenda, S. 102 24
Weißes Gold ist ein Begriff für weiße Stoffe, die wegen ihrer angeblichen Kostbarkeit, im Sinne von etwas Wertvollem, auch „Gold“ genannt werden. So z. B. auch weißer Marmor, weißes (Meißner) Porzellan, weiße Kreide, Elfenbein, weißes Papier, Angora – Wolle, Baumwolle und Kokain. Bei den Lebensmitteln waren Zucker, Salz und Spargel früher ein kostbares Genussmittel, aber nur für reiche und
adlige Leute. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Weißes_Gold 25
http://www.suedzucker.de/de/Zucker/Geschichte-des-Zuckers/ Erst ab ca. 1850 entwickelte sich Zucker, welcher jetzt auch aus Zuckerrüben gewonnen wurde, zum täglichen Massenbedarfsgut. 26
Crosby, S. 71 27
Crosby, S. 77
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Hartmut Plötz – Historische Entwicklung der Mobilität
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Brandrodung sieben Jahre ohne Unterbrechung fortgesetzt haben.“28 Der Urzustand der Natur, mit
den Madeira – spezifischen Arten, war ein für allemal durch den vernichtenden Feuersturm verloren
gegangen.
Sklaven für die Produktion der Suchtware Zucker
Im Gegensatz zu den Clans und Stämmen des „Fruchtbaren Halbmondes“ wurde die Natur auf der
Insel Madeira nicht bewahrt und reproduziert, sondern vom „weißen Mann“ im Interesse seiner
Gewinnerwartungen zuerst weitestgehend zerstört und im weiteren Verlauf nach den Vorstellung der Kleptokraten völlig umgewandelt. Da das Gelände der Insel für die Monokultur des
Zuckerrohranbaus zu steil war, musste es terrassiert und bewässert werden. Die Länge des
Kanalnetzes beträgt auf einer Insel, die nur 60 Kilometer lang ist, heute 700 Kilometer. Der Aufbau
des offenen oder tunnelartigen, zum Teil gemauerten, zum Teil aus dem massiven Fels
herausgehauenen Kanalsystems, des „levada – Netzes“, erforderte die „schlimmste und gefährlichste
Arbeit“ von Generationen, die einer „echten Strafe“ gleich kam. Die Pflanzungen dehnten sich mit
der Zeit immer weiter aus und der Wasserbedarf nahm entsprechend zu. 1452 genehmigte die
portugiesische Krone der Bau der ersten wassergetriebenen Zuckerrohrmühle.
Immer mehr Arbeitskräfte wurden für die Anpflanzung des Zuckerrohrs, für seine Ernte und
Verarbeitung gebraucht. Da die Insel Madeira keine Ureinwohner hatte, mussten die
„Facharbeitskräfte“ von den anderen kanarischen Inseln, insbesondere von Lanzarote und Teneriffa,
gewaltsam als Sklaven „importiert“ werden. Die Ureinwohner der kanarischen Inseln, die
„Guanchen“, bauten Getreide an und im Meer gefangene Schalentiere und ihre großen Viehbestände
versorgten sie regelmäßig mit tierischen Eiweißen und Fetten. Die kanarischen Inseln boten den Ureinwohnern „alles was der Mensch zum Leben braucht, im wahren Überfluß“, bis der „weiße
Mann“ kam: 1402 landete ein französisches Expeditionscorps in spanischen Diensten auf Lanzarote
und die Sklavenjagd auf den Kanaren begann.
Da die Guanchen neben ihren landwirtschaftlichen Fähigkeiten auch noch die körperliche
Gewandtheit für das Herausmeißeln der levadas aus den nackten Felswänden besaßen, wurden sie
zu begehrten Arbeitskräften. Die Guanchen waren an ein Zusammenleben mit kleinen Tieren, mit
Ziegen und Schafen, gewöhnt, aber Soldaten auf großen Tieren wie Pferde hatten sie noch nie zu
Gesicht bekommen. Auf der europäischen Seite standen berittene Soldaten mit Schußwaffen,
Schwertern, Äxten und Lanzen aus Metall den Guanchen gegenüber, die nur mit Waffen aus Holz und
Stein ausgestattet waren. Es war der europäische Soldat zu Pferde der mit Eisen und Stahl über das
fast schutzlose Volk der Guanchen herfiel und sie zu Sklaven machte. „Der Sklavenhandel auf dem
Atlantik, deren Opfer wir uns immer nur als Schwarze vorstellen, war in seinen Anfängen großenteils
auf weiße Hautfarbe aus – oder um es noch präziser zu bestimmen: auf „olivfarbene … wie die Hautfarbe sonnenverbrannter Bauern. Mit anderen Worten: wie die Hautfarbe der Menschen von
den Kanarischen Inseln.“29 Die in der Geschichtsschreibung vielfach unbeachteten Guanchen waren
„das erste Volk, das der moderne Imperialismus in den Abgrund der Ausrottung getrieben hat.“30 Für
die Portugiesen waren die Kanarischen Inseln ein ebenso begehrtes Ziel wie für die Franzosen und
Spanier. Nach mehreren Invasionsversuchen kam auch für die Guanchen auf Teneriffa durch die
Spanier das Ende: „Halb verhungert, durch die scheinbar unerschöpflichen Ressourcen der Angreifer
demoralisiert und zahlenmäßig drastisch zusammengeschrumpft, mußten sie schließlich kapitulieren
– die Steinzeit auf den Kanarischen Inseln hat im September 1496 ihr Leben ausgehaucht.“31
Und wofür das alles? 1455 belief sich die Jahresproduktion von Zucker von Madeira auf über 6.000
Arroba, (ein Arroba entspricht 11 bis 12 Kilo), und ein Jahr später exportierte die Insel ihren Zucker
erstmals nach dem englischen Bristol. 1472 stieg die Jahresproduktion auf 15. 000 Arroba, und in
28
Crosby, S. 78 29
Crosby, S. 82 30
Crosby, S. 82 31
Crosby, S. 86
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den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts war sie bei 140. 000 Arroba angekommen. Hunderte
von Schiffen transportierten den Zucker von Madeira nach England, Frankreich und Flandern, nach
Rom, Genua, Venedig und bis Konstantinopel. Die Arbeit der kanarischen Sklaven „machte Madeira
innerhalb weniger Jahrzehnte zum weltweit größten Produzenten eines Stoffes, der als wichtiges
Arzneimittel galt, in der Praxis aber ein Suchtmittel war und immer noch ist. Und was die erzielten
Gewinne betrifft, so wurde der Zucker nicht einmal vom Tabak übertroffen, das als nächste Droge in
Mode kam und der Welt seinen Stempel aufdrückte.“32
Die Gewinnerwartungen der damaligen europäischen Kleptokraten hat somit erstmalig in der
Menschheitsgeschichte einen Produktionszweig hervorgebracht, dessen Überschuss nicht mehr
darauf abzielte die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Sinn und Zweck dieses
Produktionszweiges war einzig und allein die größtmöglichste Gewinnerzielung. Zu diesem Zweck
wurde die Natur des „Versuchslabors“ Madeira völlig umgestaltet, eine Monokultur eingeführt und
erstmalig wurden im größeren Stil Arbeitssklaven zur Produktion des „Suchtmittels“ oder der „Droge“ Zucker, wie Alfred W. Crosby sagt, eingesetzt. Die kanarische Urbevölkerung der Guanchen
wurde aus ihrem Leben im „Überfluß“ herausgerissen, versklavt und fast ausgerottet.
Die Ausbeutung der Natur und des Menschen wurden mit dem „erfolgreichen“ Experiment im
„Versuchslabor“ Madeira zum „normalen, gewinnstrebenden“ Denken der damaligen Kleptokraten. Die Rücksichtlosigkeit dieser kurzfristigen Gewinnsucht führte dazu, dass es bereits nach nur ca. 70
Jahren, nach der Errichtung der ersten wassergetriebenen Zuckerrohrmühle 1452, im Jahre 1521 zu
einem drastischen Niedergang der Zuckerrohrproduktion kam. Das Abholzen und Abbrennen der
Wälder leistete der Bodenerosion Vorschub, ließ die Flüsse abwechselnd zu reißenden Fluten
anschwellen oder versiegen und bewirkte auf allen kanarischen Inseln eine Reduzierung der
Niederschlagsmengen, worauf auch bereits Christoph Kolumbus hingewiesen hatte. Ohne Bäume
können die Inseln die vom Meer aufsteigende Feuchtigkeit nicht aufnehmen und vertrocknen: „Auf
Fuerteventura sind die Wasserläufe, an denen die Franzosen des 15. Jahrhunderts noch Mühlen
bauen wollten, überwiegend ausgetrocknet.“33
Das Mikroklima der kanarischen Inseln wurde durch die Gewinnsucht der Kleptokraten derart
geändert, dass dort Zuckerrohranbau nicht mehr möglich war. Viele Pflanzungen wurden in
Weinberge umgewandelt und mit Reben aus Zypern, Kreta und Sizilien bepflanzt. Im 16. Jahrhundert
wurde Madeira ein Exporteur von Weinen, während Christoph Kolumbus bereits auf seiner zweiten Amerika - Reise im Jahre 1493 bis 1496 die ersten Zuckerrohrstecklinge in die klimatisch besser
geeigneten Gebiete der Karibikinsel Hispaniola brachte. Nach der Einfuhr der ersten
Zuckerrohrstecklinge durch Columbus entwickelte sich die Karibik seit dem 16. Jahrhundert zur
Hauptanbauregion für Zuckerrohr und Rohrzucker zum Hauptaußenhandelsprodukt der
europäischen Karibik - Kolonien. Die auf der Insel Madeira regional gemachten Erfahrungen wurden
nun in einen anderen Erdteil „verpflanzt“ und führten zum berüchtigten Dreieckshandel mit
außergewöhnlichen Gewinnaussichten.
Der Dreieckshandel: Tausch von Waren gegen Menschen
Der Anbau von Zuckerrohr in der Karibik setzte eine enorme Nachfrage nach Arbeitsklaven in Gang.
Ohne diese Arbeitskräfte, die durch ihre Arbeit größere Warenüberschüsse wie z.B. Zucker erzeugen
können, als sie selbst zu ihrem Leben brauchten, waren die geplanten Gewinne nicht zu realisieren.
Da diese Arbeitskräfte aber niemals in den Genuss des von ihnen angebauten Zuckers kamen und
nur, wenn überhaupt, die überlebensnotwendigen Lebensmittel erhielten um ihre Arbeitskraft zu
reproduzieren, war klar, dass diese Arbeitskräfte nicht zu ihrem eigenen Wohl arbeiten mussten,
sondern ausschließlich zum Zwecke einer maximalen Gewinnerzielung für die Kleptokraten.
32
Crosby, S. 80 33
Crosby, S. 98
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Hartmut Plötz – Historische Entwicklung der Mobilität
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Diese, uns heute erscheinende, menschenverachtende Ausbeutung des Menschen durch den
Menschen wurde zur Grundlage der vorherrschenden Gewinnkalkulation: Wenn die Arbeitskraft
nichts oder nur wenig kostet, so deren Überlegung, könnte nach Abzug einiger Kosten, ein
größtmöglicher Gewinn erzielt werden. So tauschten europäische Sklavenhändler an der
westafrikanischen Küste minderwertige und billige Manufakturwaren, wie z. B. Gewehre, Alkohol,
Stoffe, etc., gegen die „Ware“ Mensch, gegen Sklaven. Im Gegensatz zu früheren Zeiten wurden
durch den „weißen Mann“ nun nicht mehr nur Waren gegen Waren, sondern Waren gegen
Menschen getauscht.
Eine weitere Möglichkeit zur Gewinnerzielung war und ist der, leider bis in unsere angeblich
„zivilisierten“ Zeiten, noch immer mögliche Menschenkauf und Menschenhandel. Durch den Kauf
einer billigen „Ware“ Arbeitskraft für 2 bis 3 Pfund in Afrika und den Verkauf des Sklaven, der „Ware“
Arbeitskraft, in der Karibik für 25 Pfund, wurden ebenfalls große Gewinne erzielt. In den frühen
Tages des Dreieckshandels entsprach der Preis für einen männlichen Sklaven dem Preis einer gebrauchten Muskete. Ein großer Teil der Sklaven überstand die Reise über den atlantischen Ozean
nicht, aber diese „Ausfallkosten“ wurden aber bereits bei der Gewinnkalkulation berücksichtigt.
Die Studien gehen davon aus, dass zwischen 10 und 15 Millionen Afrikaner im Zuge des Atlantischen
Sklavenhandels nach Amerika verschleppt wurden. Die Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen war außerordentlich hart und die Lebenserwartung der hier beschäftigten Sklaven war gering. Auf eine
relativ kurze Wachstumsperiode des Zuckerrohrs, das ständige Fürsorge verlangte, folgte die Mahl-,
Koch- und Reinigungssaison, in der die Sklaven fast rund um die Uhr arbeiten mussten. Von
Lateinamerika aus wurden vor allem Zucker, Tabak und Gold nach Europa verschifft. In Europa
wurden diese Waren entladen und erneut mit gutem Gewinn verkauft. Dann wurden auf die gleichen
Schiffe wieder Waren für den afrikanischen Kontinent geladen und an die westafrikanische Küste
geschickt. Erneut wurden Sklaven eingekauft, der Dreieckshandel ging in die nächste Runde. Armin
Fischer kommt bei seinen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass ein einmaliger Dreieckshandel
außergewöhnliche Gewinne ermöglichte: „Eine Gewinnspanne von 700 Prozent markierte eher die
untere Grenze.“34 Dagegen sind die heutigen Gewinne der Deutschen Bank wohl „peanuts“, aber auch deren Heimat ist Südamerika und gelangte über den Sklavenhandel zuerst nach Afrika und dann
Europa.
Unter der Führung Großbritanniens, neben Spanien und Portugal die dritte
große Kolonialmacht in Amerika,
entwickelte sich zwischen 1600 und 1700
der berüchtigte transatlantische
Dreieckshandel.
Quelle: Diercke Erdkunde 12/13, Braunschweig 2001
Aber auch die Deutschen waren, so Armin Fischer, am Menschenhandel beteiligt: Auf Geheiß des
Brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. ging ein Trupp Soldaten 1683 beim Kap Tres
Puntos im heutigen Ghana an Land und errichtete ein Handelsfort. Das Fort war nichts anderes als
ein Zwinger, in dem die an der Küste von lokalen Händlern aufgekauften Sklaven bis zu ihrem
Abtransport nach Übersee eingesperrt wurden. Auf die rechte Schulter wurden ihnen die vier
Buchstaben “CABC” eingebrannt (Churfürstliche Afrikanisch-Brandenburgische Companie). Insgesamt
waren die Brandenburger direkt verantwortlich für den Verkauf von ca. 30. 000 Afrikanern nach
Amerika. Doch weil die Gewinne nicht erwartungsgemäß hoch ausfielen, währte das deutsche
34
Armin Fischer: Die Sklaventransporter – Der Transatlantische Dreieckshandel, 13. 10. 2008 in: http://www.textundtext.de/2008/10/die-
sklaventransporter/ Armin Fischer zeigt hier auch die Kosten- und Gewinnrechnung des Sklavenschiffes “La Fortuna” aus Havanna aus dem
Jahre 1827
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Hartmut Plötz – Historische Entwicklung der Mobilität
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Interesse nicht lange. Schon 1721 verkaufte der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. das Handelsfort
“Großfriedrichsburg” an die Holländer.
Durch die Ausbeutung der Arbeitssklaven im Dreieckshandel wurde der ehemals regionale Stoffwechsel mit der Natur von den kanarischen Inseln, von Europa nach Afrika bis über den Atlantik
hinaus nach Amerika ausgeweitet. Die karibische Natur wurde ebenso wie die der kanarischen Inseln
zum Zwecke der Gewinnerzielung in Plantagenwirtschaften umgewandelt und in Afrika und
Südamerika wurden die ersten Kolonien des „weißen Mannes“ errichtet. Was hat das bisher gesagte
eigentlich noch mit unserem Thema „nachhaltiges Wirtschaften“ zu tun? Mit den bisherigen
Beispielen von der Insel Madeira und dem Dreieckshandel wollen wir dafür sensibilisieren, welche
Folgen es für den weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte haben kann, wenn man die
Kleptokraten eine Wirtschaftsweise errichten lässt, die nur ihren Interessen und Gewinnerwartungen
gerecht wird. Gleichzeitig wurde zuerst den Reichen und dann der Mehrheit der Bevölkerung
beigebracht, dass diese Produkte wie der Zucker „modern“ sind oder das sie der Gesundheitsverbesserung (ähnlich wie die Nahrungsergänzungsmittel) dienen. Die wahren Gründe
dieser Produktionsweise, die Gewinnmaximierung wird verschleiert und neuerdings wird keck
behauptet, dass die Nachfrage der Produzenten die Produktion steuert.35
Die Mehrheit der Menschheit hatte lange Zeit ohne die „Droge“ Zucker gelebt und überlebt. Als im Europa des 17. Jahrhunderts, aus den klimatisch günstigen Anbaugebieten und auf Kosten der
dortigen Arbeitskräfte, auch noch die Getränke Kaffee, Tee und Kakao bei den Reichen beliebt
gemacht wurden, gab dies der Zuckerproduktion nochmals einen enormen Aufschwung, da man
damals die Meinung verbreitete, alle drei seinen ohne Zucker kaum genießbar.36 Für viele von uns ist
erst seit den 1950er Jahren eine „gute Tasse Bohnenkaffe“ und Zucker in allen Variationen ein
„normales“ Getränk über dessen natürliche Lebensgrundlagen wir uns aber kaum Gedanken macht.37
Aber wie werden wir leben und überleben, wenn der Anbau dieser in langen Zeiträumen kultivierten
„modernen“ Pflanzen, in den von der Natur vorgegebenen klimatisch begünstigten Anbaugebieten,
durch die „von Menschen gemachte“ Klimaerwärmung unmöglich wird?38
Die Abwendung von einer dauerhaften und notwendigen Produktionsweise zur
Grundbedürfnisbefriedigung der Bevölkerung, wie sie noch in den Anfängen der Entwicklung der
Landwirtschaft im „Fruchtbaren Halbmond“ zu finden war, und die Hinwendung zu einer
ausschließlich gewinnmaximierenden Produktionsweise, organisiert und geregelt nach den Vorstellungen der Kleptokraten, brachte bisher keine Vorteile für die Natur und die arbeitenden
Menschen. Im Gegenteil: Die ursprüngliche Natur der Insel Madeira und der „Neuen Welt“ wurden
zerstört, die Guanchen wurden aus ihrem Lebensraum gerissen, der ihnen vorher alles was der
Mensch zum Leben brauchte, im Überfluß bot. Ebenso erging es den schwarzafrikanischen Sklaven
35
Im Bodenseeraum werden zurzeit wegen des Klimawandels neue Obstsorten angebaut, die der deutsche Nachfrager noch gar nicht
kennt. Durch eine Vermarktungsstrategie wird dem Verbraucher beigebracht, wie vorteilhaft diese Früchte für ihn sein werden. 36
Mit dem Beginn der Industrialisierung wurde der Kaffee ein Getränk für die gesamte Bevölkerung. Zunächst konnten es sich lediglich wohlhabende Bürger leisten. Später tranken auch ärmere Schichten Kaffee, allerdings aus anderen Gründen als ihre reichen Mitbürger.
Kaffee wurde nämlich für das breite Volk eine Art Nahrungsersatz. Den ganzen Tag über köchelte eine Kaffeesuppe auf dem Herd, in die Brotbrocken eingeweicht wurden. Diese Suppe hielt die Menschen warm, ließ den Hunger verschwinden und hielt wach. Fabrikarbeiter
tranken Kaffee, um ihre Konzentration zu stärken. Siehe: http://www.kaffeeverband.de/kaffeewissen/kaffeekultur/geschichte/kaffee-in-deutschland 37
Zu den natürlichen Lebensgrundlagen des Kaffee: „Kaffee-Sträucher (oder -Bäume) benötigen ein ausgeglichenes Klima ohne
Temperaturextreme, ohne zu viel Sonnenschein und Hitze. Die Durchschnittstemperaturen sollen zwischen 18 und 25 °C liegen, die Temperatur soll 30 °C nicht überschreiten und darf 13 °C nicht häufig unterschreiten, die Pflanzen vertragen keine Temperatur unter 0 °C. Der Wasserbedarf beträgt 250 bis 300 Millimeter je Jahr, weshalb die jährliche Niederschlagsmenge 1500 bis 2000 Millimeter betragen
muss, bei unter 1000 Millimeter im Jahr wird bewässert, bei unter 800 Millimeter im Jahr wird Kaffee nicht angebaut.“ Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Kaffee 38
Die neuesten Forschungsergebnisse zeigen, dass es im Südsudan schon 2020 keinen wilden Arabica-Kaffee mehr geben wird. Siehe: http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/kaffeepflanze-klimawandel-bedroht-wilden-arabica-kaffee-a-865922.html Hier wäre auch noch zu diskutieren, was unter „einer vom Menschen gemachten Klimaveränderung“ zu verstehen ist? Haben ihn z.B. die afrikanischen
Menschen verursacht? Der WBGU sagt in der angegebenen Quelle: „Der menschengemachte Klimawandel ist nicht mehr zu leugnen, und andere globale Umweltveränderungen wie das Artensterben hängen eng mit dem Klimawandel, aber auch mit unseren gewohnten industriellen Formen zu wirtschaften zusammen.“
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und der Urbevölkerung in der „Neuen Welt“. Der gewinnmaximierende Produktionszweig zur
Erzeugung von Luxusprodukten wie Zucker und die ihm folgenden Produkte wie Kaffee, Tee und
Kakao sowie auch tropische Früchte, Blumen etc. erlaubte der Bevölkerung in den genannten
Gebieten keine selbstbestimmte Produktion zur Befriedigung ihrer eigenen Grundbedürfnisse,
sondern zwang sie Waren zu produzieren, die sie selbst nicht gebrauchen konnten.
Die Beherrschung der Winde zur Gewinnmaximierung
Wenn wir uns bisher nur mit der ortsgebundenen Produktionsweise des Zuckers in den klimatisch günstigen Regionen beschäftigt haben, so stellt sich nun die Frage, auf welcher „mobilen“ Grundlage
der Handel mit Zucker stattgefunden hat. Der bisherige Austausch von Waren war Boden- und
Tiergebunden. So ist z. B. die Seidenstraße seit dem fünftem Jahrhundert v. Chr., als landgebundener
Verbindungsweg von China bis an die Küsten des Mittelmeers, zum Fruchtbaren Halbmond, der
älteste Handelsweg der Welt. Auf ihr gelangten nicht nur Kaufleute, Gelehrte und Armeen, sondern
auch Ideen, Religionen und ganze Kulturen von Ost nach West und umgekehrt. Die wichtigsten
Handelsgüter wie Seide, Edelmetall, Gold und Glas wurden auf der Hauptoute der Seidenstraße mit
Karawanen transportiert. Karawanen sind große Reisegesellschaften, die bis ins 20. Jahrhundert
insbesondere auf den seit Jahrhunderten betriebenen Karawanenwegen Vorder- und Mittelasiens
sowie Nordafrikas unterwegs waren. Solche Gesellschaften konnten teilweise 1000 und mehr Kamele, Pferde oder Esel mit sich führen.39
Der Handel mit Waren, Sklaven, Zucker, Gold, etc. zu und von den kanarischen Inseln und später mit
dem Dreieckshandel nach Afrika, in die Karibik und wieder zurück nach Europa, erforderte eine neue
Art der Mobilität, die der wassergebundenen Hochseeschifffahrt. Die koloniale Expansion Spaniens über den Atlantik begann 1492, am Ende eines Jahrhunderts, in dem der Bau hochseetüchtiger
Schiffe in Europa rasante Fortschritte gemacht hatte und in dessen Verlauf etliche Errungenschaften
auf Gebieten wie Navigation und Schiffbau von verschiedenen Kulturen der Alten Welt (Islam, Indien,
China, Indonesien), die sie im Indischen Ozean erprobt hatten, übernommen worden waren. Einige
dieser Fortschritte vermittelten heimkehrende Kreuzfahrer aus dem Morgenland. So berichtete der
römisch - katholische Bischof Jacques de Vitry bereits 1218 dem Publikum von einem islamischen
Kompass: „Nachdem man eine Eisennadel mit dem Magnetstein in Kontakt gebracht hat, dreht sich
dieser stets in Richtung des Polarsterns, der bewegungslos am Himmel steht, wohingegen die
übrigen Gestirne kreisen, wodurch er wahrhaftig die Achse des Firmamentes ist.“ Und er hob hervor: „Eine solche Nadel ist deshalb für diejenigen, die zu See fahren, ein unentbehrlicher Gegenstand.“40
Das Navigieren der Schiffe, auch in der Nacht, war durch den Kompass gelöst. Aber erst mit der
weiteren Entdeckung der Naturgesetze und dem Verstehen der Naturkräfte, wo und wann auf den
Ozeanen welche Winde wehen und welche Strömungen die Schiffe vor sich hertreiben, wurde die Unterwerfung und Ausbeutung anderer Länder und Völker durch die Hochseeschifffahrt des „weißen
Mannes“ möglich. Das grundlegende Problem lag darin, „dass 1421 niemand Genaueres darüber
wusste, wo und wann die Winde über den großen Meeren wehten.“41 Die Winde des Atlantik und
des Pazifik bewegen sich in kreisförmigen Systemen. In jedem Ozean dreht sich nördlich des Äquators
ein Luftmassenkarussel im Uhrzeigersinn, südlich des Äquators in der Gegenrichtung. Da aber bisher
noch kein Europäer den Äquator mit seinen unbekannten Passatwinden, den „Kalmengürtel“,
überquert hatte, wurde der Schlüssel zum Verständnis der Winde, die Kanarischen Inseln.
Als sich die Seefahrer des Mittelmeeres und der Iberischen Halbinsel erstmals in die Küstengewässer
westlich vor Gibraltar vorwagten, waren sie nur mit den Wildverhältnissen ihrer heimischen
Gewässer vertraut. Die südeuropäischen Seefahrer hatten ihre „Grundschulausbildung“ nur im
Mittelmeer erhalten. Für die nächste Stufe stand ihnen eine Wasserfläche zur Verfügung, deren
39
http://de.wikipedia.org/wiki/Seidenstraße 40
Crosby, S. 60 41
Die einzige Ausnahme war der Indische Ozean, der auf drei Seiten von Landmassen begrenzt und dessen Winde vom Monsun, einem saisonalen Wettersystem, geregelt werden, dessen Regeln auch für Landbewohner durchschaubar sind. Crosby, S. 109
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Vorzüge einem geschlossenen Meer, dem „mediterranem Atlantik“, nahekam. Ein großes Stück
Meer mit einigermaßen berechenbaren Winden und so vielen Inseln, dass ein Schiffsnavigator seine
Fähigkeiten erproben konnte, ohne gleich sein Leben einzubüßen. Der mediterrane Atlantik umfasst
den Bereich der wie ein breiter Keil von der Iberischen Halbinsel Madeira einschließt und von den
Kanarischen Inseln und den Azoren als Eckpunkte begrenzt wird. In dieser Zone konnte geübt
werden. Die Seefahrer entwickelten langsam eine Vertrautheit mit den dort vorherrschenden
Winden: In dieser Zone des Atlantik weht in den wärmeren Monaten ein ständiger Nordwind,
während Südwinde zu allen Jahreszeiten sehr selten sind. Mit diesen Passatwinden im Rücken war
die Überfahrt zu den Kanarischen Inseln ein problemloses Unternehmen von höchstens einer Woche und die Berggipfel der Kanaren waren weithin sichtbar und nicht zu verfehlen. Diese Inselgruppe hat
die portugiesischen Seefahrer, die „Marinheiros“ (und die anderen aus Genua, Mallorca, Spanien
usw., die häufig in portugiesischen Dienst standen) in die Weite des Atlantik hinausgezogen und
damit „für ihre historische Rolle als erste europäische Hochseefahrer seit den Zeiten der Norweger
bestimmt. (…) Und am „Ende der Reise auf diesem friedlichen Stück Atlantik warteten die
Reichtümer der Kanarischen Inseln: Tierhäute, Farbstoffe und Sklaven.“42
Mit dem Wind zu segeln war einfach, die Rückkehr aber, gegen den Wind, wesentlich schwieriger. Bei
der Lösung dieser komplizierten Frage haben die Seefahrer Europas einige naturgesetzliche
Kenntnisse erworben und Fertigkeiten weiterentwickelt, die es ihnen später möglich machten, nach
Amerika und nach Indien zu segeln und schließlich die erste wasser- und windgebundene
Globalisierung voranzutreiben. Wenn ein Seefahrer von den kanarischen Inseln aus nicht gegen die
nach Süden drückenden Winde und Meeresströmungen ankam, musste er zuerst nach Nordwesten
aufs offene Meer hinaus steuern und sich immer weiter von seinem letzten Punkt entfernen, wobei
er tagelang seiner Heimat keinen Zentimeter näher rückte, sondern sich weiter entfernte. Wenn er dann schließlich die südlichen Breiten hinter sich hatte, stieß er in den nördlichen Breitengraden auf
konstante Westwinde, die ihn problemlos nach Hause bliesen. Er mußte dazu freilich bereit sein, sich
den Windströmungen anzuvertrauen, dem sichern Land den Rücken zu kehren und sich wochenlang
auf die einsame Weite des Atlantiks einzulassen. Die hierbei gelernten Segelmanöver wurden von
den Portugiesen, dies es zur Perfektion entwickelt hatten, „volta do mar“ genannt, was „Rundreise
übers Meer“ bedeutet. Dieses komplexe Manöver – zunächst die Hinreise mit Unterstützung des
Passats, dann die „volta“, bis die Westwindzone erreicht war, schließlich mit diesem Westwind im
Rücken die zügige Heimkehr, wurde zum Grundmuster der Segelfahrten, entsprechend dem
Grundmuster der vorherrschenden Windverhältnisse. Die später folgenden Hochseefahrer Christoph
Kolumbus, der italienischer Seefahrer in spanischen Diensten; Vasco da Gama43, der portugiesische Graf von Vidigueira oder der Portugiese Ferdinand Magellan, der im Auftrag der spanischen Krone
segelte, wussten somit erstmals, dass sie mit dem Passat im Rücken hinaus segeln und mit dem
Westwind zurückkehren konnten.
Für die iberischen Seefahrer wurde das Wissen um die „volta da mar“ zu „einer Art Schablone, mit
deren Hilfe sie ihre Fahrten nach Asien, und den amerikanischen Subkontinenten und um die Welt
vorausplanten. (…) Seit 1552 besaßen die Europäer einen annähernd genauen Begriff von den
Windsystemen auf den Weltmeeren. Sie wußten, wie die Windverhältnisse im Atlantik zwischen dem
arktischen Polarkreis und etwa 40 Grad südlicher Breite und im indischen Ozean zwischen dessen
nördlichen Küsten und etwa 15 Grad südlicher Breite aussahen; und sie wußten, daß man den Pazifik
mit Hilfe der Passatwinde in Ost – West – Richtung überqueren konnten. Auch wußten sie bereits
eine Menge über die Winde jenseits der Südspitze Afrikas und hatten zu erfassen begonnen, wie die
Winde südlich von Amerika funktionierten. Nun galt es, das Erreichte auszubauen und abzusichern
42
Wenn europäische Seefahrer, wie z.B. die Norweger, vor der Epoche der Portugiesen auf straken Gegenwind stießen, gaben sie auf und traten die Heimreise an, oder sie holten die Segel ein und widmeten sich den auf dem Schiff allfälligen Bodenarbeiten, bis eben der Wind
aus einer anderen Richtung kam. 43
Die Karavellen Vasco da Gamas nahmen auf ihrer 3 1/2 jährigen Reise immerhin schon 2600 kg/Person Lebensmittel mit. Der Schiffsschreiber hielt damals genau fest woraus diese Lebensmittel bestanden: eine tägliche Ration aus Schiffszwieback, gesalzenem Fleisch
oder Fisch, Reis oder Trockengemüse, einem Liter Wasser und 3/4 Liter Wein. Siehe: http://www.portugal-libelle.com/sehenswert/karavelle.html
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und überhaupt und allgemein die Erkenntnisse der marinheiros zu Geld zu machen. Und das hieß:
Handel zu treiben, was wiederum die Möglichkeit von Rundfahrten über die Weltmeere
voraussetzte.“44
Geld machen heißt hiernach Handel zu treiben, Handel wiederum heißt, die ursprüngliche Natur der
südlichen Hemisphäre für eine Produktionsweise gemäß den Gewinnerwartungen des „weißen
Mannes“ zu zerstören und die „unbekannten Völker“ zu vernichten. Der Stoffwechsel mit der Natur
blieb bis dahin, durch die „unbekannten Völker“, weitestgehend ungestört. Durch eine Natur- und
Menschenverachtende Minderheitsherrschaft der Gewinnerwartenden wurde der Stoffwechsel mit
der Natur brutal verändert und ist seitdem mit dem Traum der globalen Eroberung behaftet. Seit
mehr als fünfhundert Jahren beherrscht „der Westen“ mit seiner Ausbeutungs- und
Unterdrückungsideologie nun den Planeten. Dabei stellen die Weißen lediglich 12, 8 Prozent der
Weltbevölkerung. So wurde es möglich, dass in Europa gebaute und bemannte Schiffe direkt zu den
„Westindischen Inseln“ segelten. Zu den Kolonien Spaniens in der Neuen Welt gesellten sich schon bald die Kolonien eines halben Dutzend anderer europäischer Staaten auch auf anderen Erdteilen.45
„Während des gesamten 19. Jahrhunderts wurde – vor allem in Afrika, aber auch in Asien das
koloniale System errichtet. Die militärische Besatzung garantierte den direkten Zugriff auf die
Bodenschätze und die landwirtschaftlichen Ressourcen. Die Vernichtung der autochthonen
(einheimischen H.P.) Kulturen durch die christlichen Missionare und die Apostel des westlichen
Universalismus brach den Widerstand der Unterdrückten. Dadurch wurde die Einführung der
Zwangsarbeit erheblich erleichtert.“46
Die dauerhaften Stoffflüsse aus der Natur der südlichen Hemisphären zu den Kleptokraten Europas
konnte aber nur durch einen ideologischen Unterdrückungsapparat ermöglicht werden, der
rücksichtslos und zielstrebig seine Gewinnerwartungen verfolgte. Der Apparat, der diese Funktion für
die indianischen Völker übernahm, war die „Heilige Inquisition“, deren offizieller Name harmloser
war: Glaubensgericht. Die Inquisition reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück und entstand auf Beschluss
des Konzils von Verona im Jahr 1184, das den lombardischen Bischöfen aufgetragen hatte ,
Menschen die ihren Glauben nicht aufgeben wollten, der Justiz zu übergeben. Da das Christentum im Gegensatz zu älteren Religionen als „monotheistische Offenbarungsreligion“ - also als eine Religion,
die nur einen Gott anerkennt - einen universellen Wahrheits- und Exklusivitätsanspruch hat, können
andere Glaubensrichtungen nicht geduldet werden.
Die Idee der Einheit des Herrschaftsgebiets der Kleptokraten verband sich mit der Idee der Einheit
der Kirche: Alles was sich der Idee der Einheit der Kleptokraten und der Kirche widersetzte und nicht
deren Glauben annehmen wollte, konnte als „minderwertiges Leben“ verfolgt, gefoltert, versklavt
oder sogar ermordet werden. Seit Ende des 15. Jahrhunderts schwärmten die Inquisitoren und ihre
Tribunale über die Weltmeere aus: vor allem nach Amerika und auf die Antillen. „Die Indianer
verdienen es nicht besser, denn mit ihren Sünden und Götzendiensten versündigen sie sich gegen
Gott.“47 Während der mehr als dreieinhalb Jahrhunderte, die die spanische Kolonialherrschaft in
Amerika dauerte, hat aber der indianische Widerstand bis auf die heutigen Tage nie nachgelassen. So
z. B. die Bauernaufstände von 1571 in den Zentralanden und der entschlossene Widerstand in den
Bergwerken 1776, der am 15. November 1781 dazu führte, dass Julian Apaza, alias Túpac Katari, seinersseits miterleben musste, „wie allen seinen Kindern und Familienangehörigen die Kehle
durchgeschnitten wurde, bevor er selbst enthauptet und gevierteilt wurde.“48 Auf den Hochebenen
der Anden in Ecuador, Peru und Bolivien sind heute Millionen Menschen davon überzeugt, dass der
heutige, erste indigene, Präsident Boliviens, Evo Morales Ayma, der wiedergeborene Túpac Katari
ist. Evo Morales verdankt seinen Wahlsieg dem „Movimiento al socialismo (MAS), Bewegung zum
44
Crosby, S. 116 ff 45
Crosby, S. 107 ff und Diamond, S. 463 f 46
Jean Ziegler: Der Hass auf den Westen – Wie sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren. 3. Auflage 2009, S. 84 47
Jean Ziegler, S. 184 48
Jean Ziegler, S. 187
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Sozialismus, einem Bündnis der bäuerlichen Bergarbeiter- und städtischen Gewerkschaften. Die
treibende Kraft des MAS ist die Gewerkschaft der Cocaleros, der Kokabauern.49
Die Ausbeutung der südlichen Hemisphären durch den „weißen Mann“ ermöglichte erst die weitere Entwicklung Europas. Zucker und Tabak aus der Landwirtschaft sowie Gold und Silber aus den
Bergwerken wurden zum wichtigsten Schatz, den es in der neuen Welt zu heben galt. Der Historiker
Earl Hamilton schätzt, dass schon Mitte des 17. Jahrhunderts das Silber mehr als 90 Prozent der aus
dem spanisch beherrschten Teil Amerikas exportierten Bodenschätze ausmachte. Allein aus dem
„Reichen Berg“ dem „Cerro Rico“ wurden 40. 000 Tonnen Silber in drei Jahrhunderten abgebaut, fast
vier Millionen Indianer kamen dabei ums Leben.50 Der auf der Hochseeschifffahrt basierende
Welthandel und der sich ausweitende Weltmarkt eröffnen bereits im 16. Jahrhundert die moderne
Lebensgeschichte des Kapitals. Der außerhalb Europas direkt durch Plünderung, Versklavung und
Raubmord erbeutete Schatz floss ins Mutterland der Kleptokraten zurück und verwandelte sich hier
in Kapital.51
Desweiteren ermöglichte die Hochseeschifffahrt nach der europäischen Entdeckung Amerikas auch
die Kolonialisierung des nordamerikanischen Kontinents durch Europäer in drei Hauptrichtungen:
Spanier siedelten zunächst in Zentralamerika und zogen (etwa ab 1528) aus Süden kommend über
den Rio Grande in das Gebiet des heutigen Kalifornien. Franzosen besiedelten (ab etwa 1605) den Kontinent vom äußersten Nordosten her und Englische Siedler schließlich landeten zunächst im
heutigen Jamestown (1607) und 1620 mit dem Segelschiff „Mayflower“ in Massachusetts.52 1770
erreichte Kapitän James Cook auch die Ostküste Australiens und nahm das Land formell als „New
South Wales“ für die britische Krone in Besitz. Nachdem die USA von Großbritannien unabhängig
geworden waren, suchte die britische Regierung nach neuen Möglichkeiten, Kolonien für ihre
Sträflinge einzurichten. 1788 trafen die ersten elf Schiffe mit rund 1000 Frauen und Männern,
darunter gut drei Viertel Sträflinge im Port Jackson ein. Die neue Ansiedlung der Sträflinge erhielt den
Namen Sydney, der heute größte Stadt des australischen Kontinents.53
Walöl und Entdeckung von Erdöl
Während die Herrschaftsgebiete des „weißen Mannes“ immer globaler wurden, erweiterte sich seine
Produktionsweise, sein Stoffwechsel mit der Natur, durch die Hochseeschifffahrt auch auf die
Weltmeere. Nachdem die „Pilgerväter“ bei ihrer Landung mit der "Mayflower" von zahlreichen
Walen vor der Küste Neuenglands berichtet hatten, wagten sich die ersten Siedler aufs Meer hinaus.
Mitte des 19. Jahrhunderts stachen mehr als zwei Drittel der weltweit 900 Walfangboote von
nordamerikanischen Häfen aus in See. Jahrhunderte lang war die Walfischindustrie in den USA ein
Wirtschaftsfaktor und verhalf Bereichen wie Schiffbau, Segeltuchherstellung, Böttcherei,
Schmiedewesen und Seilerei sowie der Produktion von Öllampen, Schmiermitteln und Kerzen, aber auch dem Versicherungswesen zu Wohlstand. Das Walöl oder genauer gesagt, der Tran des Wals war
eine wichtige Energiequelle für künstliche Beleuchtung, die erst durch die Entdeckung des Erdöls
abgelöst werden konnte. Daneben wurden aus ihm Seifen, Salben, Suppen, Farben, Gelatine oder
Speisefette (z. B. Margarine) sowie Schuh- und Lederpflegemittel produziert. Walöl war ursprünglich
nötig, um Nitroglycerin herzustellen. Noch nach dem Ersten Weltkrieg meinte die britische
Armeeführung: „Ohne das Walöl wäre die Regierung nicht in der Lage gewesen, sowohl die
Ernährungsschlacht als auch die Munitionsschlacht zu schlagen.“54
49
Ebenda, S. 193 50
Ebenda, S. 182 51
Ebenda, S. 184 Zur Geschichte der Metallgewinnung vgl. auch Werner Zittel / Alexander Exner: Bunte Metalle oder die Rückkehr des
Bergbaus in: Andreas Exner, Peter Fleissner, Lukas Kranzl und Werner Zittel (Hrsg.) Kämpfe um Land – Gutes Leben im post-fossilen Zeitalter, 2011, S. 109 ff 52
Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Einwanderung_in_die_Vereinigten_Staaten 53
Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Australiens 54
http://de.wikipedia.org/wiki/Walfang
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Auf seinem Höhepunkt zwischen Mitte des 18. und Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte der Walfang
zu den Triebkräften der Industriellen Revolution. In ihrem Jagdfieber spürten die Menschen die
weltweiten Walbestände auf und dezimierten sie. Geblendet von ihrer Gier, kümmerten sie sich
wenig um die Konsequenzen ihres Handelns. "Der arme Wal ist zum Aussterben verurteilt", schrieb
ein Walfänger bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, "oder er wird so stark ausgerottet, dass die
wenigen überlebenden Exemplare die Gewinnsucht des Menschen nicht mehr anstacheln." Wegen
des weltweiten Rückgangs der Walbestände und der Entdeckung von Erdöl in Pennsylvania im Jahr
1859 kam der amerikanische Walfang bald danach zum Erliegen.55
Zwischenfazit
Fassen wir das bisher gesagte kurz zusammen: Der bewußt geregelte Stoffwechsel des Menschen mit
der Natur ermöglichte in den klimatisch günstigen Breitengraden des Fruchtbaren Halbmondes die
Produktion und Reproduktion einer Landwirtschaft, von deren Überschuss sich ehemals alle
Menschen ernähren konnten. Die bei Jäger- und Sammlergesellschaften noch vorherrschende
„Geburtenkontrolle“ durch Kindestötung konnte beendet werden. Die steigenden Geburtenraten der
Menschen führten in Kombination mit ihrer wirtschaftlichen Fähigkeit, pro Hektar mehr Personen zu
ernähren, zu wachsenden Bevölkerungen. Der landwirtschaftliche Überschuss ermöglichte in ihren
Anfängen eine egalitäre Gesellschaft. Indem die Landwirtschaft Bauern in die Lage versetzte, einen Überschuss zu erzeugen, gestattete sie es bäuerlichen Gesellschaften, sich handwerkliche
Spezialisten zu leisten, die selbst keine Nahrung produzierten und ihre Fähigkeiten statt dessen der
Entwicklung neuer Techniken widmen konnten. Diese Arbeitsteilung, Arbeiten auf dem Land zur
Erzeugung eines Nahrungsmittelüberschusses und Arbeiten in technischen Bereichen, wird zur
wirtschaftlichen Grundlage aller weiteren Gesellschaften. Nur durch die dauerhafte Versorgung der
Arbeitenden in den technischen Bereichen mit überschüssigen Lebensmitteln aus dem Agrarbereich
kann dieser Wirtschaftszweig aufrechterhalten werden. Die dauerhafte Produktion und Reproduktion
einer arbeitsteiligen Gesellschaft basiert somit, für alle kommenden Genrationen, auf einem
geregelten Stoffwechsel mit der Natur. Die Natur wiederum ermöglichte durch ihre klimatischen und
evolutionären Vorgaben die weitere Menschheitsentwicklung mit ihren historisch unterschiedlichen Produktionsweisen. „Wirtschaften“ ist somit als ein gesellschaftlicher Stoffwechsel mit der Natur zu
verstehen.
Mit dem Aufkommen sesshafter, Nahrung produzierender Bevölkerung ging der Streit über die Verwendung des Überschusses einher und führte zur Spaltung der Gesellschaften in die Gruppe
derjenigen, die einen Überschuss erarbeiten mussten und in diejenige Gruppe von Menschen, die
Jared Diamond als die „schamlose Kleptokratie“ bezeichnet, „die das Volk ausplündern und den von
ihm erarbeiteten Reichtum nach oben verteilen.“ Die Aneignung des Überschusses durch die
Kleptokraten führte dazu, dass der gesellschaftliche Stoffwechsel mit der Natur, die Wirtschaft, in
eine Richtung gelenkt wurde, die den Interessen der Kleptokraten entsprach.
Die Überschüsse konnten nicht mehr selbstbestimmt von den Menschen erzeugt und verteilt
werden. Ein wesentlicher Teil des Überschusses wurde nun nicht mehr in die
Grundbedürfnisdeckung, sondern in neue Produktionszweige mit „neuen“ Waren investiert, die
ausschließlich den Kleptokraten einen Gewinn versprachen. Durch die Gewinnerwartung der
Kleptokraten, unterstützt durch die Weiterentwicklung des Herrschaftswissens und ihrer Ideologien,
wurde somit bereits sehr früh in der Menschheitsgeschichte die weitere Entwicklung der Menschheit
durch die wirtschaftlichen Interessen der Kleptokraten bestimmt. Der angeeignete gesellschaftliche
Überschuss ermöglichte nicht nur den Unterhalt bürokratischer Apparate und Ideologieträger, sondern er war auch die Voraussetzung für die Herrschaft über große Gebiete, ebenso für den
Unterhalt der Heere, die Aussendung von Flotten zur Ausbeutung ferner Länder und zum
Organisieren von Eroberungskriegen.
55
http://www.arte.tv/de/programm/244,broadcastingNum=1445815,day=1,week=2,year=2013.html
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Mit der Weiterentwicklung der seegebundenen Mobilität, der bewaffneten Hochseeschifffahrt,
konnte die Natur anderer Länder zerstört, die Völker überfallen und gezwungen werden, ihr
bisheriges selbstbestimmtes Leben aufzugeben. Sie wurden zur Arbeit gezwungen und mußten sich
gemäß den Gewinnerwartungen des „weißen Mannes“ verhalten. Natur, Menschen und Tiere haben
die Kleptokraten schon sehr früh nur interessiert, wenn sie ihren Gewinnerwartungen nützlich
waren. Das Erkennen einer kostenlosen Antriebskraft, der Naturkraft des Windes und dessen
Nutzbarmachung für die Schifffahrt ermöglichte es „den Europäern“ die außerhalb Europas
erbeuteten Schätze für ihre weitere Entwicklung zu nutzen: Die durch Plünderung, Versklavung und
Raubmord erbeuteten Schätze flossen in die Länder der europäischen, christlichen Kleptokraten zurück und verwandelten sich hier in Kapital.
Mit diesem, in den südlichen Hemisphären, erbeutetem Kapital verschafften sich „die Europäer“
einen historisch einmaligen wirtschaftlichen Entwicklungsvorsprung, der England zu einem kolonialen
Weltreich werden ließ. Deutschland hingegen besaß keine Kolonien, die es auszubeuten konnte und so überlegten einige deutschen Männer, wie sie denn nun auch so reich und mächtig werden
konnten, wie die „Kleptokraten“ in den europäischen Nachbarländern. Da Expansion, also
Aufschwung und Wachstum der Wirtschaft, das innerste Bewegungsgesetz des aufkommenden
Kapitalismus zur Profitmaximierung war und bis heute ist, wollen wir uns im Folgenden mit den
Expansionsstrategien des deutschen Kapitals befassen.
Der deutsche Imperialismus und seine Auswirkungen auf die Mobilität
Kapitalismus bedingt eine ständig wachsende Warenproduktion, die auf immer größer werdenden
Märkten gehandelt werden muss. Nur mit immer mehr, möglichst billig produzierten Waren, können immer mehr Profite auf immer größeren Märkten gemacht werden. Die wachsende Produktion von
aufkommenden Manufakturwaren erforderte ausweitende, expandierende Absatzmärkte und
Handelsbeziehungen, da die billigen Manufakturwaren gegen andere Waren getauscht bzw.
gehandelt werden müssen. Der Handel auf diesen immer größeren Märkten benötigt aber auch ein
sich ausbreitendes Handels- und Verkehrssystem, eine Wachsen der Mobilität in die Fläche. Der
expandierende Handel und in die sich mit ihm entwickelnden Mobilität, wird zur Achillesferse der
kapitalistischen Produktionsweise.
Ohne die grundlegenden Kenntnisse über „die sich historisch entwickelnden, deutschen