hubig, christoph - natur und kultur - von inbegriffen zu reflexionsbegriffen

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1 Christoph Hubig »Natur« und »Kultur«: Von Inbegriffen zu Reflexionsbegriffen 1 1. Einleitung Daß die Auseinandersetzungen um eine Naturalisierung der Kultur oder eine Kulturalisierung der Natur bisweilen dramatische Züge weltanschaulicher Kontroversen annehmen, ist in der fundamentalen Aporie unseres Weltverhältnisses begründet: Einerseits zielen unsere Erkenntnisbemühungen auf die Freilegung unseres Status und unserer Verortung in der Welt. Die humane Kultur soll als besonderer Seinsbereich innerhalb der Welt transparent werden, eingebunden in einen geschlossenen Zusammenhang des Prozessierens. Wird dieser Zusammengang als durch Naturanlagen, Naturkonstanten, Naturgesetze einschließlich derjenigen evolutionärer Prozesse bestimmt erachtet, geht es um unsere Einbettung in die Natur, um unsere Kultur als Teil der Natur, um uns als ein Stück Natur, wie wir es insbesondere in unserer Leiblichkeit angeblich unmittelbar zu erfahren vermögen. Ansätze dieser Art sind im weitesten Sinne monistisch; sie suchen nach dem einen Grund. Auch unsere Erkenntnisbemühungen sollen hierdurch bestimmt sein. Freilich folgt zunächst aus dem Leibniz’schen »Nichts ist ohne Grund« (für alle x gilt, daß es ein y gibt, sodaß y Grund für x) nicht, daß es einen Grund y gibt, sodaß für alle x gilt, daß y Grund für x ist. Ferner zeigen sowohl unterschiedlich modellierte basale Naturkonzepte etwa bei Spinoza, Schelling oder Whitehead als auch Versuche eines »weichen Naturalismus« 2 oder eines »weichen Kulturalismus«, der Kant mit Darwin versöhnen will 3 - Versuche also, unsere auf mentale Repräsentationen gestützten Weltverhältnisse in die (evolutive) Gesamtwelt zu integrieren – die Unverzichtbarkeit eines modellierenden Zugriffs. Gleiches gilt für Charakterisierungen der Kultur als »hervorgebracht Natürliches« (Gilbert Simondon, Serge Moscovici) oder als das »natürlich Künstliche« (Helmuth Plessner). 4 Alle Versuche dieser Art stehen unter der 1 Dieser Beitrag erschien erstmals in: Zeitschrift für Kulturphilosophie, Heft 1/2011, 2 Wolfgang Detel, „Forschungen über Hirn und Geist“, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie [im folgenden: DZPhil] 52/6 (2004), 891-920. 3 Jürgen Habermas, „Verantwortliche Urheberschaft und das Problem der Willensfreiheit“, in: Dt. Zs. f. Philosophie 54/5 (2006), 669-707. 4 Gilbert Simondon, Du mode de l’existence des objets techniques, Paris 1958, 256; Serge Moscovici, Versuch über die menschliche Geschichte der Natur, Frankfurt/M., 1982, 43; Helmuth Plessner, Die Stufen des

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technik und kultur

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Page 1: Hubig, Christoph - Natur Und Kultur - Von Inbegriffen Zu Reflexionsbegriffen

1

Christoph Hubig

»Natur« und »Kultur«: Von Inbegriffen zu Reflexionsbegriffen1

1. Einleitung

Daß die Auseinandersetzungen um eine Naturalisierung der Kultur oder eine Kulturalisierung

der Natur bisweilen dramatische Züge weltanschaulicher Kontroversen annehmen, ist in der

fundamentalen Aporie unseres Weltverhältnisses begründet: Einerseits zielen unsere

Erkenntnisbemühungen auf die Freilegung unseres Status und unserer Verortung in der Welt.

Die humane Kultur soll als besonderer Seinsbereich innerhalb der Welt transparent werden,

eingebunden in einen geschlossenen Zusammenhang des Prozessierens. Wird dieser

Zusammengang als durch Naturanlagen, Naturkonstanten, Naturgesetze einschließlich

derjenigen evolutionärer Prozesse bestimmt erachtet, geht es um unsere Einbettung in die

Natur, um unsere Kultur als Teil der Natur, um uns als ein Stück Natur, wie wir es

insbesondere in unserer Leiblichkeit angeblich unmittelbar zu erfahren vermögen. Ansätze

dieser Art sind im weitesten Sinne monistisch; sie suchen nach dem einen Grund. Auch

unsere Erkenntnisbemühungen sollen hierdurch bestimmt sein. Freilich folgt zunächst aus

dem Leibniz’schen »Nichts ist ohne Grund« (für alle x gilt, daß es ein y gibt, sodaß y Grund

für x) nicht, daß es einen Grund y gibt, sodaß für alle x gilt, daß y Grund für x ist. Ferner

zeigen sowohl unterschiedlich modellierte basale Naturkonzepte etwa bei Spinoza, Schelling

oder Whitehead als auch Versuche eines »weichen Naturalismus«2 oder eines »weichen

Kulturalismus«, der Kant mit Darwin versöhnen will3 - Versuche also, unsere auf mentale

Repräsentationen gestützten Weltverhältnisse in die (evolutive) Gesamtwelt zu integrieren –

die Unverzichtbarkeit eines modellierenden Zugriffs. Gleiches gilt für Charakterisierungen

der Kultur als »hervorgebracht Natürliches« (Gilbert Simondon, Serge Moscovici) oder als

das »natürlich Künstliche« (Helmuth Plessner).4 Alle Versuche dieser Art stehen unter der

1 Dieser Beitrag erschien erstmals in: Zeitschrift für Kulturphilosophie, Heft 1/2011, 2 Wolfgang Detel, „Forschungen über Hirn und Geist“, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie [im folgenden: DZPhil] 52/6 (2004), 891-920. 3 Jürgen Habermas, „Verantwortliche Urheberschaft und das Problem der Willensfreiheit“, in: Dt. Zs. f. Philosophie 54/5 (2006), 669-707. 4 Gilbert Simondon, Du mode de l’existence des objets techniques, Paris 1958, 256; Serge Moscovici, Versuch über die menschliche Geschichte der Natur, Frankfurt/M., 1982, 43; Helmuth Plessner, Die Stufen des

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Begründungshypothek, die Hegel bereits gegen Spinoza geltend gemacht hat: zu erklären, wie

das Verhältnis desjenigen Geistes, der diese Prozesse eines Weltverhältnisses als Teil der

Welt modelliert, als Moment eben des derart Modellierten erfaßt werden kann. Dieser

Aufgabe stellen sich Anthropologen durchaus. Sie suchen – ohne daß der Wert ihrer

Forschungserträge in Frage gestellt werden sollte – in unterschiedlicher Weise zu erfassen,

etwa wie aus »überprägnanten« Erscheinungen als Präsentationen (Gehlen)5 Repräsentationen

werden, also aus Dingen »Sachen«. Dabei wird mit Begriffen wie »Projektion« oder

»Rückprojektion« gearbeitet (z.B. bereits bei Ernst Kapp) 6 oder mannigfach weiter

differenzierenden Erklärungen bis hin zu solchen auf neurologischer Basis, die das

Zustandekommen von Weltverhältnissen betreffen. Die Identifizierung von Dingen oder

Ereignissen bzw. Ereignisfolgen/Prozessen als Sachen entlastet jedoch nicht von dem

Problem, daß keine Erkenntnis über die Sache abzulösen wäre von dem Wissen, das der

Erklärende von sich selbst bzw. seinem Repräsentationssystem hat. Ein solches Wissen

basiert auf der Unterstellung von Kompetenzen als Fähigkeiten zu erkennen, die sich ihrer

selbst bewußt sind. Hier scheiden sich freilich die Geister: ob in naiv-idealistischer Weise der

Geist als »Bildhauer der Welt« mit dieser Welt sein Verhältnis zu ihr selbst festlegt, oder, von

seinen Ergebnissen kontemplativ zurücktretend, sich bloß als Steno- oder Seismograph

erachtet, oder er sich (mit Hegel) als Trieb gewahr wird, der durch die Hemmung seiner

Begierde Natur als Restriktion erfährt, die er schrittweise bearbeitet und in seinem Sinne –

zugleich mit sich – bildet.

Damit kommen wir zu dem »Andererseits« der Aporie: Alle Versuche, unsere

Weltverhältnisse als Teil der Welt zu begreifen, rücken uns in die Position, mit den

unterschiedlichen Optionen eines solchen Begreifens umgehen zu müssen. Es ist mit seinen

Alteritäten zu konfrontieren, in deren Lichte Leistungen und Grenzen ersichtlich werden;

Bewertungen (unter welchen Maßstäben?) sind vorzunehmen etc. Die Reflexion vermag sich

nur selbst zu potenzieren, nicht aber in die Welt zu integrieren, die ihr eigentliches

Erkenntnisziel ist.

Sowohl hinter den Leitdifferenzen, unter denen Kulturkonzepte verhandelt werden, als auch

denjenigen, die zur Abgrenzung von Konzepten der Natur führen, verbergen sich

unterschiedliche Stufen potenzierter Reflexion: Wenn »Kultur« unter der Leitdifferenz

Organischen und der Mensch, Gesammelte Schriften, hrsg. von Günter Dux et al., Bd. 4, Frankfurt/M. 1980, 385, 391. 5 Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, Frankfurt/M., 1977, 138. 6 Ernst Kapp, Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Kultur aus neuen Gesichtspunkten, Düsseldorf 1978, 26, 96.

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»Kultur-Zivilisation« konturiert wird, verdankt sich diese einer erst-stufigen Reflexion als

Selbstvergewisserung des sich objektivierenden Geistes, der sich durch die »Sachzwänge« der

notwendiger Weise einzusetzenden Mittel eingeschränkt sieht (»Tragödie der Kultur« und

»Kulturpessimismus«) oder – jetzt nicht in Ansehung der Begrenzung durch die Mittel,

sondern in Berücksichtigung ihres Potenzials – sich fortlaufend weitere Bedingungen seiner

Entfaltung erarbeitet (»Kulturoptimismus«). Wird das Kulturkonzept im Horizont der

Leitdifferenz »Kultur-Lebenswelt« gefaßt, zeugt dies von einer höherstufigen Reflexion, die

bereits auf ein Weltverhältnis als (selbstverständlicher) Lebenswelt absieht und Formen der

Kulturalisierung (»Ordnung«) einer solchen Lebenswelt auf ihre Leistungen und Grenzen hin

untersucht, als Verhältnis zu einem Verhältnis. Wird schließlich Kultur als »Einspruch« dem

»System« gegenübergestellt, so werden – in weiterer Höherstufigkeit – funktionale

Ordnungsleistungen der Kulturalisierung von Weltverhältnissen mit den – aus ihrer Sicht

kontingenten – alternativen Sinnverständnissen bezüglich dessen, was »Funktion« sei,

konfrontiert, also »Funktion« reflektiert. Diese Konfrontation ist ihrerseits reflektierbar in

Konzepten der »Inter-« oder »Transkulturalität« etc.7

Eine analoge Stufung findet sich in einschlägigen Konzeptionen von »Natur«: Als

Unmittelbarkeit einer Verfasstheit, in die wir gestellt sind und deren Wirken wir an uns selbst

und an unserer Umwelt erfahren, erscheint sie als genetisches und qualitiatives Sosein ohne

unser Zutun (natura naturans und natura naturata), als uns gegenüberstehendes Subjekt von

Wachstums- und Entwicklungsprozessen bzw. ihren Resultaten. In höherstufiger Reflexion

auf unser Verhältnis zu dieser Instanz erscheint sie als obstat, als Restriktion, die sich – als

Widerfahrnis – unseren diese Natur erkennen- und gestaltenwollenden Eingriffen widersetzt,

unsere Generalisierungen unterläuft, die Prognosen und unsere geplanten Eingriffe scheitern

läßt (bis hin zu einer »Rache der Natur«). Eine potenzierte Reflexion hierauf, die einer

solchen »Natürlichkeit« einen wenigstens negativen Wert zusprechen will in dem Sinne, dass

derart indisponible Bedingungen nicht zu tangieren sind, entdeckt schnell unsere Projektionen

bei der Modellierung einer solchen »Als-ob-Natur«, die wir als ökonomisches Subjekt (»sie

tut nichts umsonst«), züchtendes Subjekt einer Selektion, komplexitätssteigerndes Subjekt

(Komplexität ist ein subjektives Maß des Erkenntnisaufwandes relativ zu einer

paradigmatischen Erkenntnisbasis), kurz: als »Technik der Natur« begreifen. Wird diese

Technomorphizität der Naturkonzepte, der die Naturwissenschaften ihre enormen Erfolge

7 Zum Überblick über diese Leitdifferenzen s. Christoph Hubig, „Kulturbegriff – Abgrenzung, Leitdifferenzen, Perspektiven“, in: Technik und Kultur. Bedingungs- und Beeinflussungsverhältnisse, hrsg. von Gerhard Bause und Armin Grunwald, Karlsruhe 2010, 55-65.

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verdanken, ihrerseits als Ausweis der Natürlichkeit dieses Weltzugriffs herausgestellt und

damit der Realismus der Naturwissenschaften gerechtfertigt, finden wir uns in der ersten

Dimension der Aporie wieder. Denn was soll heißen, daß die Natur erfolgreich sei?

Wie auch immer – der Rest eines »Wunderns« verbleibt auf beiden Seiten der Aporie: Der

Konstruktivist, der, mit Kant gesprochen, der Natur ihre Gesetze vorschreibt, muß, mit Kant,

»bewundern«8, daß sein von ihm gestaltetes theoretisches und praktisches Naturverhältnis

erfolgreich ist; der Realist hat sich darüber zu wundern, daß die Natur vorgesehen hat, daß wir

sie adäquat erkennen können. Erklärungsversuche dieser Wunder (oder Wunderlichkeiten)

finden sich auf weltanschaulicher Ebene, will man nicht zirkulär argumentieren in dem Sinne:

»Die Natur hat diejenigen kulturellen Bestrebungen selektiert, die das Natürliche als

deterministischen Selektionsprozeß begreifen und sich entsprechend anpassen« oder: »Die

Kultur ist die Gesamtheit der gegenstands-konstitutiven Konstruktionsschemata, die in einer

Kultur als Schemata anerkannt sind«.

Da solche existentiellen Bekenntnisse oder zirkelhafte Ausgangsprämissen nicht Sache der

Philosophie sein sollten, stehen die nachfolgenden Überlegungen unter bescheideneren

Ansprüchen: Ich gehe davon aus, daß die unter den großen Titeln »Kultur/Kulturalismus« und

»Natur/Naturalismus« diskutierten Konzepte von Weltverhältnissen theoretischer und

praktischer Art (Konstruktivismus/Realismus, Libertarismus/Determinismus bzw.

»evolutionäre Ethik«) elementar dem Interesse einer – handlungs- und

planungsermöglichenden – Sicherung, einer Stabilisierung unserer Weltbezüge geschuldet

sind. Diese Sicherung müssen wir erbringen, weil wir sie nicht vorfinden mangels gegebener

Orientierung und angetroffener Ausstattung.

Wir müssen uns orientieren und unsere Lebensbedingungen selbst erarbeiten. Hierfür steht

zunächst einmal elementar die Technik im weitesten Sinne, also als Intellektual-, Sozial- und

Realtechnik, als deren Erfinderin im mythischen Kontext die »Kopfgeburt« Athene steht.

Solcherlei Technik kann auf die äußere und innere Natur (»Selbsttechnik«) des Menschen

bezogen sein und bestimmt zugleich die Herkunft elementarer Kulturkonzepte als

Cultura/Ackerbau oder cultura animi.

Entsprechend will ich versuchen, »Natur« und »Kultur« zunächst einmal von »Technik« her

zu beleuchten, nicht in der Absicht, technomorphe Natur- oder Kulturkonzepte geltend zu

machen, sondern das Interesse an »Sicherung« in seine Verästelungen zu verfolgen. Dieser

Zugriff erscheint angemessen, weil sowohl auf naturalistischer Seite die Befunde und ihre 8 Immanuel Kant, „Erste Fassung der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft“, in: Werke in 6 Bänden, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd. 5, Darmstadt 1964, 193, 197.

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Generalisierungen sich dem Zugriff einer technisch-experimentellen Naturerschließung

verdanken (die – aus diesem Grunde – dieser Befunde technisch »anwendbar« macht), und

auf kulturalistischer Seite die Kulturkonzepte in Abgrenzung von einer Natur entworfen

werden, die als Gegen- oder Korrekturinstanz ex negativo entwickelt wird. Dabei soll in

einem ersten Schritt deutlich werden, daß »Technik«, »Natur« und »Kultur« in objektstufiger

Verwendung den Charakter von Inbegriffen haben: Sie werden als kategorial inhomogene

Inbegriffe eingesetzt werden, ohne daß hinlänglich auf ein für solche Inbegriffe notwendiges

»einheitliches Interesse« und ein daraus resultierendes »einheitliches Bemerken«, wie Husserl

in seiner Charakterisierung von Inbegriffen betont hat,9 abgehoben wird. (Es wird mit den

Begriffen und kaum an den Begriffen gearbeitet – das bestimmt den Pluralismus der

Meinungen.) Die Untersuchung dieses einheitlichen Bemerkens bei jenen objektstufigen

Charakterisierungen von Natur und Kultur führt uns auf bestimmte modale Inferenzen der

Grundbegriffe, die uns veranlassen, in einem zweiten Schritt das Konzept der Medialität

geltend zu machen, wie es für Natur einschließlich der menschlichen Natur eine lange

Tradition aufweist, darüber hinaus aber in neuerer Zeit auch für Technik und Kultur in

Anschlag gebracht wird: Grundbegriffe wie »Ursache-Wirkung«, »Mittel-Zweck«, »Setzung-

sinnhaftes Gebilde (Text)« erweisen sich als korrelativ in dem Sinne, daß die Wirklichkeit des

einen von der Möglichkeit des anderen abhängt. Der Raum dieser Möglichkeit ist das, was als

Medium/Medialität zu begreifen ist. Dabei wird deutlich werden, daß die Unterscheidungen,

die sowohl unter den Inbegriffen als auch den Konzepten jeweiliger Medialität angebracht

werden, nicht solche zwischen Gegenständen, sondern solche an Gegenständen bzw.

Gegenstandsbereichen sind. Dies verweist uns abschließend auf die Problematik ihres

Einsatzes als Reflexionsbegriffe, die nicht auf die Vorstellungen referieren, sondern Namen

für Strategien sind, unter denen Vorstellungen erzeugt werden. Damit findet sich m.E. ein

Instrumentarium, welches uns erlaubt, die einschlägigen Entwicklungen zu diagnostizieren,

ohne ontologische Begründungshypotheken übernehmen zu müssen. An die Stelle einer

ontologischen Begründung hat dann diejenige einer praktischen Rechtfertigung unter der Idee

subjektiver Freiheit zu treten, die auch der erfolgreichst arbeitende Neurophysiologe oder

Evolutionsbiologie nicht wegzudiskutieren vermag. Von diesem Standpunkt aus wird

ersichtlich werden, daß unsere Intuition einer wie immer gearteten Einbettung von Kultur in

die Natur als deren besonderer Seinsbereich immer auf einem Verhältnis zu einer solcherart

erfahrenen und modellierten Natur beruht, welches durch das Naturkonzept selbst nicht 9 Edmund Husserl, „Philosophie der Arithmetk“, in: Gesammelte Werke, Bd. 12, hrsg. von Lothar Eley, Den Haag 1970, 23, 74.

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abgedeckt sein kann. Das ist eine Grundarchitektonik, wie sie sich in vielen Facetten von

Hegels Kritik an Spinoza bis zu den Paradoxien der Selbstbezüglichkeit immer wieder findet.

2. »Technik«, »Natur«, »Kultur« als Inbegriffe

Werfen wir also zunächst einen Blick auf geläufige Konzepte von Technik, Natur und Kultur,

in denen deren Charakter als objektstufiger Inbegriff ersichtlich wird. Ohne Anspruch auf

Vollständigkeit lassen sich für Technik entsprechend ihrer von Max Weber vorgenommenen

allgemeinen Charakterisierung10 als Inbegriff der Mittel (1) Fertigkeiten, (2) Verfahren und

Routinen als types, (3) das Wissen über diese Verfahren, (4) die Aktualisierung der Verfahren

als konkreter Mitteleinsatz (token) und schließlich (5) die Gesamtheit künstlich produzierter

Gebilde anführen.11 Während Max Weber ein für diesen Inbegriff konstitutives einheitliches

Interesse und Bemerken nur lapidar im planvollen Handeln sah, brachte Martin Heidegger –

wohl unter dem Eindruck seiner Gespräche mit Werner Heisenberg – dieses Interesse schärfer

auf den Begriff: das Interesse spezifisch menschlicher Technik läge neben der Steuerung in

der Sicherung,12 die eben Erwartbarkeit, Verfügbarkeit, Antizipierbarkeit, Bestellbarkeit und

Planen ermöglicht. In der Sprache des Ingenieurs ist dies der Bereich der Regelung, wie er

von dem Klassiker der Kybernetik, Ross W. Ashby, in dreifacher Weise bestimmt wurde,

nämlich (1) als statische Verteidigung, statischer Schutz vor störenden Einflüssen, (2) als

Kompensation von Störungen qua Störgrößenaufschaltung unter Modellen solcher Störungen

und (3) – dies ist der engere Begriff der Regelung im Sinne der DIN 19226 – als Nutzung der

störungsbedingten Abweichung von einer Sollgröße als rückgekoppelten zusätzlichen

Steuerungsimpuls.13 Alle diese Regelungsformen sind seit der neolithischen Revolution in

den technischen Systemen vorfindlich und machen – mit graduellen Übergängen – den

Unterschied zwischen dem instrumentellen Agieren höherer Spezies und spezifisch

menschlicher Technik aus. Diese Sicherung besteht mithin in der Einbettung instrumentellen

Handelns in technische Systeme. Sie findet ihr Analogon in der Einbettung in

intellektualtechnische Systeme der Zeichenverwendung und -deutung bis hin zu Theorien

sowie der Einbettung in sozialtechnische Systeme der Normierung von Interaktionen. Deshalb

10 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1921/1976, 32. 11 Christoph Hubig, Die Kunst des Möglichen, Bd. 1, Bielefeld 2006, 28. 12 Martin Heidegger, Die Technik und die Kehre, Pfullingen 1962, 18, 27. 13 William Ross Ashby, Einführung in die Kybernetik, Frankfurt/M. 1974, 290.

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konnte Heidegger formulieren: »Das Wesen der Technik ist nichts Technisches«,14 zu lesen

als: Das Wesen der Technik ist nichts Instrumentelles, sondern liegt in ihrem Charakter als

Gestell, welches sowohl die Natur überformt als auch den Menschen herausfordert, wenn er

sein Handeln gelingen lassen will. Ashby formulierte ganz in diesem Sinne: »Perfekte

Regelung [– heideggerianisch: Sicherung –] macht das Gelingen der Steuerung möglich«.15

Auf technikhistorische Irrtümer im Rahmen von Heideggers Diagnose möchte ich hier jetzt

nicht weiter eingehen – so ist z.B. die von ihm zitierte Wassermühle als Gegeninstanz zum

Wasserkraftwerk im Rhein ebenfalls ein geregeltes System; der Unterschied liegt in der

Umlenkung von Kräften hin zur Wandlung von Kräften.

Analoge Schichtungen finden wir nun auch im Inbegriff der Natur, der als Inbegriff des

Wirkens zu fassen wäre, welches ohne Zutun des Menschen oder allenfalls auf dessen

Veranlassung hin eintritt und diese Veranlassung ermöglichen soll. So erscheint Natur (1) als

Gesamtheit der Kräfte und Substanzen in Gestalt von Dispositionen und Restriktionen, (2) als

Gesetzmäßigkeit von Verläufen, (3) als Inhalt von Hypothesen über jene beiden, (4) als

Gesamtheit realer Wirkungen einschließlich evolutionärer Prozesse und schließlich (5) als

Gesamtheit solchermaßen entstandener, entwickelter und »gewachsener« Gestalten, wobei die

Charakterisierung als gewachsen im Unterschied zu dem technischen Produzieren einen noch

unbestimmten Aspekt des Nicht-Disponiblen vorläufig charakterisieren soll. Das »einheitliche

Interesse und Bemerken«, welches diese kategorial inhomogenen Momente eines

solchermaßen grob skizzierten Inbegriffs zusammenhält, ist die Fixierung auf eine Arché als

Titel für nicht-anthropogene Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten, die zusammen eine gegebene

Ordnung ausmachen, die ihrerseits der Topos ist, unter dem Natur als Ganzheit begriffen

wird. Dieser Auffassung liegt jedoch, wie es insbesondere Edmund Husserl herausgearbeitet

und Heidegger zum Grundzug seiner Metaphysik-Kritik gemacht hat, bereits ein

technomorphes Naturverständnis zugrunde, insofern nämlich, als die Natur als transzendentes

Subjekt, personalisiert im Schöpfer, säkularisiert in Schöpfung oder Evolution, gedacht wird,

so dass Hans Michael Baumgartner sinngemäß ausführen konnte: Das Wesen der Natur ist

nichts Natürliches.16

Ähnlich facettenreich erscheint Kultur als Inbegriff der Traditionsbildung. Dieser umfaßt –

unterschiedlich fokussiert in den verschiedenen kulturphilosophischen Ansätzen – (1)

14 Heidegger, Die Technik und die Kehre, 20f. 15 William Ross Ashby, Einführung in die Kybernetik, Frankfurt/M. 1974, 290. 16 Hans Michael Baumgartner, Natur aus der Perspektive spekulativer und kritischer Philosophie, in: Natur als Gegenstand der Wissenschaften, hrsg. von Ludger Honnefelder, Freiburg/München 1992, 244.

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dingliche, epistemische und normative Schemata als gesetzte Ordnungen und Dispositive,17

(2) die Institutionalisierungsprozesse, die Prozesse des Setzens, (3) ein kanonisiertes

Orientierungswissen hierüber einschließlich eines reflexiven Wissens über unterschiedliche

Konzepte von Kultur überhaupt, (4) ein Sich-Orientieren unter solchen Ordnungen als deren

»strategische Wiederauffüllungen« (Foucault) und schließlich (5) alle Gebilde, die als

sinnhaft, nämlich als Objektivationen des Geistes, als nachvollziehbare Resultate eines

solchen Sich-Orientierens, erscheinen – »Texte« i.w.S.18 Ein einheitliches Interesse und

Bemerken zielt auf eine Tradierung der Sicherung menschlicher Existenz als Ermöglichung

ihrer Permanenz, konkreter, wie es Peter Janich einmal formuliert hat, auf die Tradierung

situations- und personeninvarianter Praxen als Schemata, 19 wobei hier Schellings

Charakterisierung von Schema als sinnlich-anschaubarer Regel paßt.20 Wissend nicht nur um

die Unterschiedlichkeit von Kulturen, sondern auch unter dem Eingeständnis einer Alterität

kultureller Auffassungen darüber, was Kultur überhaupt sei, wäre analog zu den Aperçu’s,

daß das Wesen der Technik nichts Technisches und das Wesen der Natur nichts Natürliches

sei, hier anzumerken, daß das Wesen der Kultur sehr wohl etwas Kultürliches ist.

Bild 1: Analogie der Inbegriffe

17 Michel Foucault, Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978; hierzu Christoph Hubig, „‚Dispositiv‘ als Kategorie“, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie 1 (2000), 34-47. 18 Hubig, Die Kunst des Möglichen, 240ff. 19 Peter Janich, „Die Struktur technischer Innovationen“, in: Dirk Hartmann, Peter Janich (Hg.), Die kulturalistische Wende, Frankfurt/M. 1998, 129-177, hier 37f. 20 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Sämmtliche Werke, hrsg. von K.F.A. Schelling, Bd. I/3, Stuttgart 1856-61, 510.

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Potenzial Regelung des Prozessierens Repräsentation Verwirklichung Ergebnisse (Wirklichkeit)

Technik Fertigkeiten Verfahren als types Wissen über diese Verfahren Aktualisierung dieser Verfahren Gesamtheit künst-lich produzierter Gebilde

Natur Gesamtheit der Kräfte als Dispositionen Gesetzmäßigkeiten von Verläufen hypothetische Naturgesetze Eintretende Wirkungen, einschl. derjenigen evolutionärer Prozesse Gesamtheit gewachsener Gebilde

Kultur Schemata als Dispositive Institutionalisierungs-prozesse kanonisiertes Orientierungswissen Sich-Orientieren / Strategische Wiederauffüllung Gesamtheit sinnhafter Gebilde (»Texte«)

Der Einsatz dieser Inbegriffe oder fokussierter Teilelemente dieser Inbegriffe in den

gegenwärtigen Debatten bringt eine ganze Reihe von Problemen mit sich, die in

unterschiedlicher Weise bearbeitet werden. So wird erstens immer wieder auf Äquivokationen

im Zuge der Verwendung von Teilbegriffen jener kategorial inhomogenen Inbegriffe

verwiesen, und man versucht entsprechend, das Problem definitorisch zu bereinigen. Daraus

resultiert die erwähnte Vielfalt von Ansätzen, die sich untereinander nichts zu sagen haben,

weil sie mit den Begriffen und nicht an den Begriffen arbeiten. Dramatischer gestaltet sich

jedoch die Situation, wenn mit unterschiedlich fokussierten Teilbegriffen jener Inbegriffe eine

Modellierung von Verhältnissen zwischen jenen Bereichen des Technischen, des Natürlichen

und des Kultürlichen vorgenommen wird. Objektstufige Abgrenzungen oder ein

objektstufiger Aufweis von Einbettung, von Bedingtheit und »Wechselwirkungen« von Natur,

Technik und Kultur lassen sich unschwer auf die jeweiligen Fokussierungen zurückführen

und mit Hinweis auf das jeweils nicht Erfaßte konterkarieren. Dies gilt etwa für technische,

geregelte Systeme in ihrem Status als naturwissenschaftliche Experimente – Francis Bacons

»vexatio naturae artis« – im Kontrast zu möglichen Störungen durch eine externe

»ursprüngliche« Natur, oder den Aufweis zivilisatorisch-kultureller Bedingungen für

dasjenige, was wir als die »Natur« unseres Leibes erfahren, oder die Modellierung von

Supervenienzen, Auf- und Abwärtskausalitäten in der Gehirn-Geist-Interaktion etc.. In der

Regel wird hierbei auf den eigenen Standpunkt, von dem aus die Modellierungen

vorgenommen werden, in zu geringem Maße reflektiert, ja im Gegenteil: Es werden unter

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plausibel erscheinenden Grundannahmen dogmatische Systeme aufgebaut, wie sie

insbesondere die philosophische Anthropologie prägen, und es wird dabei objektstufig ein

jeweilig so oder so gefaßtes Grundverhältnis zwischen Mensch als technischem Subjekt,

seiner Natur und seiner Kultur unterstellt. So erscheint mal der Mensch als biologisches

Mängelwesen oder als kulturinitiierendes Überschußwesen (Arnold Gehlen vs. Ernst Kapp)

oder Kultur und Technik erscheinen als Krönung oder als Katastrophe der Evolution (Jacques

Ellul vs. Franz Wuketits). 21 Diese Meinungsvielfalt verdankt sich einem verborgenen

Technomorphismus, in dessen Lichte der Mensch oder die Evolution als technisches Problem

erscheinen, welches mittels Technik gelöst werden soll bzw. kann bzw. wird. Das spricht

nicht gegen Technomorphismus überhaupt, sondern nur gegen dessen unreflektierte

Hypostasierung.

Letztlich scheitern jene monistischen Ansätze an der Unmöglichkeit der Selbstverortung des

denkenden Subjektes im gedachten System und ersetzen das kantische »Bewundern«

bestimmter Erkenntnisleistungen des Subjekts, die unter diesen Modellierungen möglich sind,

durch ein blindes Vertrauen auf die Triftigkeit plausibilitäts- oder induktionsgestützter

Generalisierungen.

Versuchen wir daher, etwas weiter an den Begriffen zu arbeiten.

3. Modale Inferenzen der korrelativen Grundbegriffe für Technik, Natur, Kultur

Innerhalb der Bereiche von Technik, Natur und Kultur wird das konkrete Prozessieren jeweils

mit zwei korrelativen Grundbegriffen gefaßt. Für die Technik scheinen mir dies Mittel und

Zweck zu sein, für die Natur Ursache und Wirkung und für die Kultur Setzung und Resultat

dieser Setzung: sinnhaftes Gebilde. Ich will dabei auf bestimmte modale Inferenzen abheben,

die die Spezifik jener Bereiche näher zu erhellen erlauben, als es die für sich dastehenden

Grundbegriffe m.E. vermögen. Denn diese Grundbegriffs-Paare, mit denen innerhalb dieser

Teilbereiche operiert wird, erlauben für sich gesehen gerade nicht die Modellierung eines

Verhältnisses zwischen den Teilbereichen Technik, Natur, Kultur. Ein flüchtiger Blick zeigt

nämlich sogleich, daß Mittel als Ursachen und Zwecke als Wirkungen oder physische

Ursachen als Mittel für Steuerungseffekte als Zwecke und kultürliche Setzungen wiederum

als Mittel oder Ursachen zur Erzeugung sinnhafter Gebilde als Zwecke oder Wirkungen

21 S. hierzu die Darstellung in: Hubig, Die Kunst des Möglichen, Kap. 2-3.

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erachtet werden können. Wie dieses Erachten geartet ist, legt dann fest, was als worin

eingebettet oder durch was bedingt gedacht wird.

Betrachtet man hingegen modale Inferenzen dieser korrelativen Grundbegriffe, so kommen

unterschiedliche Möglichkeitsräume in den Blick, die erlauben, diese Bereiche über einen

jeweils unterschiedlichen Typ von Medialität genauer zu charakterisieren. Für die Technik

heißt dies zunächst, daß Zwecke nur solche sind bei unterstellter Herbeiführbarkeit (sonst

sprechen wir von bloßen Wünschen). Mittel sind nur solche bei unterstellter Dienlichkeit für

einen Zweck, also nicht als Dinge oder Ereignisse per se. Herbeiführbarkeit und Dienlichkeit

sind modale Inferenzen, die noch potenzierbar sind, wenn die Herbeiführbarkeit qua

möglicher Mittel unterstellt wird bzw. die Dienlichkeit für mögliche Zwecke. Analog verhält

es sich mit Ursache und Wirkung, sofern sie nicht als ceteris paribus regelmäßige Sukzession,

sondern naturgesetzlich modelliert werden: Wirkung wird als Wirkung einer Ursache unter

deren modaler Inferenz einer möglichen Kraft, als Potential, gedacht, die sich in der Wirkung

aktualisiert, und dies nur unter der Bedingung, daß die Natur der Substanz, in der sich die

Kraft aktualisiert, als Disposition, erlaubt, daß die Ursache diese Wirkung zeitigt. Die

kultürliche Korrelation zwischen Setzung und ihrem Ergebnis, dem sinnhaften Gebilde zeigt

für den Bereich der Kultur analoge modale Inferenzen für Setzung und sinnhaftes Gebilde.

Eine Setzung gilt nur als eine solche, wenn sie innerhalb eines Schemas, eines Codes im

weitesten Sinne als dessen Aktualisierung möglich ist, und ein Gebilde ist nur dann sinnhaft,

wenn eine Einstellung als Verhältnis des Verstehens zu einem solchen Gebilde aktualisiert

werden kann. Die dieses fundierende Möglichkeit ist diejenige der Intentionalität als

Fähigkeit zum Sich-Orientieren, des sich Ins-Verhältnis-Setzens zu (Sinn-)Optionen als

Schemata.

Die korrelativen Grundbegriffe sind in allen drei Bereichen also deshalb korrelativ, weil der

eine Begriff jeweils eine Aktualisierung einer Möglichkeit ist, die als Potential unter dem

jeweils anderen Begriff mit thematisiert ist. Mittel und Zwecke hängen zusammen qua

Herbeiführbarkeit und Dienlichkeit, Ursache und Wirkung qua Kraft als Potenzial und

Disposition zur Aktualisierung der Kraft, Setzung und sinnhaftes Gebilde qua Schema/Code

und Intentionalität. Die drei Bereiche Technik, Natur, Kultur unterscheiden sich mithin durch

unterschiedliche modale Inferenzen ihrer korrelativen Grundbegriffe; Inferenzen, die die

Korrelation als eine jeweilig spezifische erscheinen lassen und allesamt durch

Dispositionsprädikate bezeichnet werden.

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Bild 2: Grundbegriffe und modale Inferenzen

korrelative Grundbegriffe

modale Interferenzen

Technik

Mittel – Zweck

Dienlichkeit – Herbeiführbarkeit

Natur

Ursache – Wirkung

Kraft als Potenzial

Disposition zur Aktualisierung jener Kraft

Kultur

Setzung – sinnhaftes

Gebilde

Codierbarkeit/ Sinnhaftigkeit, Schema

– Intentionalität/ Fähigkeit zum Sich-Orientieren

Ich schlage nun vor, für eine Untersuchung des Verhältnisses dieser drei Bereiche auf jene

Dispositionen abzuheben. Hierfür bietet sich an, das Konzept der Medialität in Anschlag zu

bringen, weil unter diesem Konzept klassischerweise jene Ermöglichungsverhältnisse

material diskutiert werden.

4. Medium als »eigentliche« und »absolute« Metapher

Was haben wir überhaupt zu erwarten, wenn nun »Medium« oder »Medialität« ins Felde

geführt werden, um die Klärung weiterzubringen? Wenn von den Verfechtern der

unterschiedlichen Medienphilosophien vorwurfsvoll darauf verwiesen wird, daß Medien

»bislang den blinden Fleck der Philosophie abgegeben« hätten, wird gerade der Grund

angesprochen, warum es keine buchstäbliche Medienphilosophie geben kann. 22 Unsere

Intuition, die auf ein Vermittelndes abzielt, das jene vorhin angesprochenen Konnexe

herzustellen vermag, wird enttäuscht, sofern wir uns von diesem Vermittelnden selbst eine

Vorstellung machen wollen, wo es sich doch nur in seinen Resultaten zeigt. Beim

Philosophieren müßte diese Vorstellung die Vorstellung ihrer eigenen Möglichkeit in Gänze

mit einschließen. Daß wir uns mit Metaphern behelfen, wenn solche Möglichkeiten

vorgestellt werden sollen, wie z.B. derjenigen des »Raumes des Möglichen«, führt diese

Schwierigkeiten vor. Und so ist auch Medium zunächst nichts als eine Metapher, und zwar

eine technomorphe Metapher (wie der Begriff »Metapher« selbst), die einen Eindruck, wie er 22 Jochen Hörisch, „Der blinde Fleck in der Philosophie: Medien“, in: DZPhil 5 (2003), 888-890.

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bei Herstellungs- oder Schöpfungsprozessen gezeitigt wird, auf andere Seinsbereiche

überträgt. Freilich ist diese Metapher keine bloß ursprüngliche Metapher mit heuristischer

Leistung, die dann in Begriffe übersetzbar wäre, sondern eher im Sinne von Bruno Snell und

Josef König eine eigentliche Metapher als Ausdruck für eine Instanz erfahrener Wirkungen,

eine absolute Metapher als Ausdruck für eine grundlegende Formierung unseres Denkens, der

wir nicht entrinnen können. 23 In der Tradition wird diese Metapher eingesetzt zur

Charakterisierung ursprünglicher basaler Vermittlungselemente äußerer Art der Natur

(Wasser, Luft), auch des Leibes (z.B. bei Paracelsus), ferner aber auch und gerade, worauf

Hegel hinweist, für innere oder geistige Vermittlungsinstanzen, wie sie beispielsweise die

Sprache ausmacht im Bereich der Kultur.24 Diese Doppelung findet sich bereits in der

Ursprungsszene der Medialität, Platons Timaios, in der diese einerseits als Chora, Raum

umherschweifender Ursachen bindungsloser Kausalität charakterisiert wird, andererseits als

Schüttelsieb, nach Maßgabe dessen diese Ursachen überhaupt unterscheidbar werden.25

Jedenfalls vermitteln diese Medien irgendwie zwischen Schöpfer und Schöpfung oder

zwischen Schöpfung als Akt und Geschöpf als dessen Resultat, und sie aktualisieren sich als

irgendwie geartete Botschaft ihrer Verfaßtheit in der Wirklichkeit des Resultats. Sie sind, wie

es im Timaios heißt, nur über einen »Bastard-Schluß«, 26 modern: eine Abduktion

erschließbar, auf die, wie Hegel formuliert, »reale Möglichkeit […], worin diese

Bestimmungen alle sind«27 oder noch prägnanter bei ihm auf ein »Auch von Eigenschaften«,

welche sich als Überraschung oder Enttäuschung, jedenfalls als Widerfahrnis im intendierten

Resultat offenbaren.28

Die bislang vage charakterisierte unmittelbare, natürliche Medialität ist sowohl als äußere als

auch als innere von alters her Gegenstand von Versuchen einer technischen Überformung, die

ihr den Widerfahrnischarakter nehmen soll. Es entstehen, wie u.a. Hans Freyer

nachgezeichnet hat, »sekundäre Systeme«, die die Sicherheit der Zielrealisierung, die

Sicherheit des Gelingens überhaupt, gewährleisten sollen. So führt Hans Freyer neben

anderem die Artifizialisierung der Stoffe und Kräfte (qua Wandlung und Speicherung) an,

einschließlich unseres Körpers, wodurch die Effektivität der Zielrealisierung erhöht wird.

23 Josef König, „Bemerkungen zur Metapher“, in: Kleine Schriften, hrsg. von Günter Dahms, Freiburg 1994, 156-176; Bruno Snell, Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen, Göttingen 1946; Hans Blumenberg, Theorie des Unbegrifflichen, Frankfurt/M. 2007. 24 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, Frankfurt/M. 1969, 431. 25 Platon, „Timaiois“, in: Platons Werke (griechisch/deutsch), hrsg. von Fr. W. Wagner, Leipzig 1845, 51c. 26 Platon, Timaiois, 52b. 27 Hegel, Wissenschaft der Logik, 431. 28 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, hrsg. von Johannes Hoffmeister, Hamburg 1957, 91.

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Ferner verweist er auf die zunehmende Organisierung und Delegation der Arbeitsprozesse,

unter der die Effizienz als Aufwandsminimierung vergrößert wird. Schließlich hebt er,

ähnlich wie Heidegger, ab auf die damit verbundene Herausforderung an den Menschen

selbst, die Zivilisierung als notwendige Unterdrückung und Transformation der Triebe

einschließlich entsprechend funktionalisierter Triebausbrüche in Gestalt künstlicher

Erlebniskulturen wie Abenteuerurlaub etc. – eine Funktionalisierung des Menschen, die in die

Systemfunktionalität eingebunden sein muß, wollte man nicht auf die entsprechenden

Systemleistungen verzichten.29 Diese Dominanz des Technischen präge die moderne Kultur.

Jene allgemeinen Charakterisierungen, verbunden mit den für die kulturpessimistische Szene

der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts typischen durchaus scharfsinnigen Diagnosen und

Prognosen, laden dazu ein, zu einer Analyse der Binnenstruktur der Medialität weiterzugehen,

aus der vielleicht Impulse für eine weitere Klärung unserer Fragestellung resultieren könnten.

Wie beim Einsatz derart allgemeiner Konzepte zu erwarten, haben wir bislang kein besonders

spektakuläres Ergebnis. Der Versuch einer Systematisierung bestimmter

Argumentationslinien der Medienphilosophien läßt jedoch deutliche Analogien zwischen den

Binnenstrukturen der Medialität für die Bereiche der Technik, Kultur und der Natur

ersichtlich werden, was nicht überrascht angesichts der technomorphen Verfaßtheit der

Naturkonzepte, sowohl – im weiteren Sinne – im theoria-Paradigma der Antike als auch – im

engeren Sinne – im interventionistischen Paradigma Bacon’scher Naturwissenschaft.

Deutliche Unterschiede werden jedoch erkennbar für den Bereich der Kultur, die in neuerer

Zeit, z.B. bei Ernst Wolfgang Orth, ebenfalls als Medium modelliert wird.30 Beginnen wir mit

dem einfachen Fall technischer Medialität, orientiert am technischen Handlungsvollzug.

Auf einer ersten Ebene wird ein Möglichkeitsraum als Raum der Realisierung möglicher

Zwecke unterstellt, und zwar zunächst im Sinne einer potenziellen Ermöglichung. Diese

basiert als äußere Medialität auf der Unterstellung von Ursächlichkeit angeboten, den

»umherschweifenden Ursachen« der platonischen Chora, »lose gekoppelten Ursachen«, wie

Niklas Luhmann in Übernahme der Formulierung Fritz Heiders sie nennt, 31 als

Möglichkeitsraum zunächst der Trennung von Ursachen. Die Unterscheidbarkeit dieser

trennbaren Ursachen macht die Dimension innerer Medialität auf dieser Ebene aus. Platons

Metapher des Schüttelsiebs als Ordnungsinstanz steht für das vom Subjekt bzw. den

29 Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Berlin 1955. 30 Ernst Wolfgang Orth, Was ist und was heißt „Kultur“? Dimensionen der Kultur und Medialiät der menschlichen Orientierung. Würzburg 2000, 29ff. 31 Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft Bd.1, Frankfurt/M. 1998; vgl. Hubig, Die Kunst des Möglichen, 155f.

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Demiurgen in Anschlag gebracht Instrument, nach Maßgabe dessen die umherschweifenden

Ursachen identifizierbar werden.

Neben dieser ersten Ebene potenzieller Ermöglichung liegt nun eine zweite Ebene des

Medialen, die als Wirklichkeitsraum der Realisierung möglicher Zwecke, also der realen

Ermöglichung, zu erachten ist. Im medientheoretischen Jargon spricht man hier von einer

»Performanz des Medialen«; gemeint ist seine Verfaßtheit in konkreten technischen

Systemen.32 Als Beispiel für den Übergang von der ersten zur zweiten Ebene sei aus dem

künstlerisch-technischen Bereich das Verhältnis der dreidimensionalen Perspektive, unter der

Größen, Abstände und Bewegungsdauern identifiziert werden, hin zur Installation einer

Guckkasten-Bühne oder eines Fotoapparates erwähnt, die einen realen Möglichkeitsraum für

die Wahrnehmung entsprechend überformter und modifizierter Effekte abgibt. Die äußere

Seite derartiger medialer Performanz ist durch die Infrastruktur der jeweiligen technischen

Systeme (einschließlich der messtechnischen Systeme, die die experimentelle Naturforschung

ermöglichen) gegeben, ihre innere Seite durch entsprechend unterstellte Funktionsideen.

(Wenn wir dies einmal auf ein prosaisches und elementares Beispiel technischer Medialität

herunter buchstabieren, würde sich etwa für ein Schienenverkehrssystem als Element einer

Kultur des Reisens folgendes ergeben: Ein solches System ermöglicht das Erreichen von

bestimmten Reisezielen und verunmöglicht das Erreichen anderer Ziele unter Nutzung der im

System bereitgestellten Mittel zu anderen als den vorgesehenen Zeitpunkten. Ein solches

System sei ein Medium des entsprechenden Verkehrs. Auf der Ebene potenzieller

Ermöglichung (1) ist seine äußere Medialität gegeben u.a. durch die maximale Steigfähigkeit

des Verkehrsmittels, seine innere Medialität durch den Stand des jeweiligen technischen

Knowhows. Auf der Ebene realer Ermöglichung (2) wäre die äußere Medialität u.a. durch die

Verfaßtheit des realen Schienennetzes und den Zustand der Fahrzeuge realisiert, die innere

Medialität u.a. durch die – etwa im Fahrplan ausgedrückten - Funktionsideen. Zu ergänzen

wäre diese Aufzählung durch die Angabe der institutionellen und organisatorischen

Verfaßtheiten der Betreiber und Nutzer des Systems.) Dieser Raum der Realisierung

möglicher Zwecke macht, um einen beliebten aber undifferenziert verwendeten Topos in der

Medialitätsdiskussion anzubringen, die »Spuren für …« einer Realisierung aus, die »Bahnen«

– einem Vorschlag Eugen Finks folgend.33 In diesem Raum findet qua instrumentellem

Handeln eine Aktualisierung der Möglichkeiten statt, eine, wie Niklas Luhmann es ausdrückt:

32 Sybille Krämer, „Das Medium als Spur und als Apparat“, in: Dies. (Hg.), Medium, Computer, Realität, Wirklichkeitsvorstellungen und neue Medien, Frankfurt/M. 2000, 29. 33 Eugen Fink, Nähe und Distanz, Freiburg 1976, 184-186.

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»feste Kopplung« zwischen den medialen Elementen (so wie im natürlichen Medium der Luft

beim Versuch akustischer Kommunikation die lose gekoppelten Luftmoleküle angestoßen

und dirigiert werden, um das Beispiel des Aristoteles34 zu erwähnen). Ergebnis dieser

Aktualisierung (3) ist die Erfahrung einer Differenz zwischen dem intendierten und dem

realisierten Zweck (Hegel spricht hier von einer Differenz zwischen dem subjektiven und dem

objektiven Zweck),35 wobei in dieser Differenzerfahrung die Medien Spuren hinterlassen im

Sinne einer »Spur von …«. Diese Enttäuschung veranlaßt einen abduktiven Schluß (4) auf die

Verfaßtheit des Mediums, seine Surplus-Eigenschaften (Hegels »Auch von Eigenschaften«)

und seine Restriktionen, und veranlaßt im Bereich des Technischen dann ggf. eine weitere

Überformung und Umarbeitung der technischen Systeme als Medien.

Die jeweilige Unterscheidung zwischen Mittel und Medium, wobei Mittel die Aktualisierung

des Mediums ist, ist allerdings abhängig vom eingenommenen Standpunkt der Betrachtung

und Wertung: Ein Haus kann als geeignetes manifestes Mittel zum Schutz vor Witterung und

zugleich als ungeeignetes Medium – Möglichkeitsraum - des Wohnens als »Kultur« erachtet

werden. Eine E-mail ist ein Mittel zu Überbringung einer Beileidsbekundung und zugleich ein

Medium, das bestimmte Dimensionen des Austauschs persönlicher Anteilnahme restringiert.

Bezüglich der Konzeptualisierung von Natur als Medium lassen sich nun deutliche Analogien

zu jenem Vierer-Schritt feststellen; die Analogie fällt enger oder weiter aus, je nachdem, ob

Natur im interventionistischen Paradigma seit Bacon als experimentell-technomorph verfaßte

Natur gedacht wird, oder in ontologischer Konzeptualisierung als »experimentierend«-

evolutionärer Gesamtorganismus. Die Ebene potenzieller Ermöglichung, hier von Wirkungen

überhaupt, wäre in gleicher Architektonik zu entfalten wie für die Technik. Für die Ebene

realer Ermöglichung, diejenige medialer Performanz, wäre im interventionistischen

Paradigma die experimentelle Anordnung als technisches System anzusetzen, unter der

Wirkungen als Effekte auftreten können; ihre Aktualisierung wäre das kausale Prozessieren

selbst, und die Störungen, die dann einschlägige Abduktionsschlüsse und eine Reflexion auf

die Systembedingungen provozieren, wären die nicht exhaurierbaren abweichenden

Resultate. Im ontologisch-evolutionistischen Paradigma wäre auf einer Ebene medialer

Performanz von natürlichen Systemen, etwa Organismen, zu sprechen, deren äußere

Medialität durch die einschlägigen adaptions- oder präadaptionsfähigen Infrastrukturen, ihre

innere Medialität durch die unterstellten funktionalen Erfordernisse (»Überleben«) der

34 De Anima, 435b 25-435a 10. 35 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, Frankfurt/M. 1969, 3. Buch, 2. Abschn., 3. Kap. Teleologie.

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Adaption begriffen wird. Ergebnis ihrer Aktualisierung im kausalen Prozessieren wäre die

Reaktion auf Störungen des entsprechenden Fließgleichgewichts, welche entweder zu dessen

Wiederherstellung oder zum Untergang des Organismus führt. Analog zur

standpunktabhängigen Unterscheidung zwischen Mittel und Medium im Bereich der Technik

findet sich hier die standpunktunabhängige Unterscheidung zwischen Ursache und Medium:

Stickstoffhypertrophie ist eine Ursache für das Ableben eines Baumes und Medium der

Regeneration des Waldes. Je nachdem nun, ob Natur als Medium im weiteren Sinne

technomorph gedacht wird als das jedem technisch orientierten Zugriff Vorausliegende, oder

im engeren Sinne technomorph als in ihrem So-Sein technisch induziert, stellt sich das

Verhältnis natürlicher Medialität zu technischer Medialität unterschiedlich dar. Dies schließt

die Option ein, die Medialität der Natur als Konzept für dasjenige zu reservieren, was sich als

unbestimmte Alterität in Gestalt der Störungen, Überraschungen, Hemmungen bemerkbar

macht. Ein solches Konzept ist seinerseits negativ technomorph: Das nicht Verfügbare

erscheint im Lichte von Ansprüchen auf technischen Zugriff. Nichtverfügbarkeit absolut und

ggf. als normativ geladenes Konzept – etwa im Sinne einer »Ehrfurcht vor der Schöpfung«,

als Tabu etc. – zu thematisieren, ist in dieser Konstellation nicht möglich. Wir werden hierauf

später zurückkommen.

Wenn wir unter dieser Architektonik als Leitfaden nun weiter suchen im Bereich einer als

Medium konzeptualisierten Kultur, wie sie – wie bereits erwähnt – Ernst W. Orth in

phänomenologischer Absicht entwickelt hat, ergibt sich ein komplexeres Bild. Die Frage

richtet sich nach den medialen Voraussetzungen eines Sich-Orientierens, welches als

Aktualisierung jener Möglichkeiten begriffen wird. Auf der ersten Ebene, derjenigen

potenzieller Ermöglichung, wäre dies der Raum potenzieller Bedeutungsträger, dessen äußere

Medialität durch das, was überhaupt tradiert ist (im Unterschied zum nicht Tradierten und

Vergessenen), und dessen innere Medialität angelegt ist in den Kriterien, unter denen wir

Sinnhaftes von Sinnlosem unterscheiden. Die Performanz dieser Medialität als realer

Ermöglichung wäre gegeben durch die realen, epistemischen und normativen Schemata oder

Dispositive (Foucault), als in ihrer Einheit anschaubare Regeln, zu denen man in ein

Verhältnis treten kann.36 Der Übergang exemplifiziert sich etwa im Unterschied zwischen

bloßen »Räumen« hin zu traditionsgeladenen »Orten« (– eine Leitdifferenz wie sie

neuerdings fruchtbar für die Analyse des Cyberspace eingesetzt wird, in dem lediglich noch

Räume bereitgestellt werden, was manche veranlaßt, hier von einem Kulturverlust,

36 Vgl. Anmerkung 16.

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mindestens aber von einer Deinstitutionalisierung zu sprechen). Wenn nun die Möglichkeit,

zu solchen Schemata in ein Verhältnis zu treten, in der Wirklichkeit des Sich-Orientierens

aktualisiert ist, dann wird im Unterschied zu den bisher besprochenen Bereichen

Widerständigkeit in ganz unterschiedlicher Weise erfahrbar: Sie kann zunächst auftreten in

Gestalt von Sanktionen derjenigen Institutionen, die als Dispositive der Macht das

Überschreiten der bereitgestellten Möglichkeitsräume bekämpfen, kompensieren, die Räume

immunisieren. Es kann aber auch und gerade Widerständigkeit erfahren werden seitens einer

Natur, auch derjenigen unseres Leibes, die sich – als Leid - unvermittelt zu Wort meldet. Und

schließlich kann Widerständigkeit auftreten in Gestalt des »Einspruchs« anderer Kulturen,

wie es Dirk Baecker nennt, infolge dessen die Orientierung sich als Bedrohung anderer

Orientierungen erfährt, als störende Umwelt einer anderer Kultur.37 Die hierdurch provozierte

Reflexion läßt die Eigenart der medialen Verfaßtheit der je eigenen Kultur ersichtlich werden,

was zu Modifikationen, Destruktionen oder einer ggf. gewaltsamen Affirmation derjenigen

Tradition führt, die für die entsprechende Kultur konstitutiv ist. Schließlich finden wir auch

hier die standpunktabhängige Einschätzung des Orientierungsaktes als Mittel oder Medium:

Er kann Manifestation, z.B. des Ignorierens einer Sanktion, sein und auch zugleich in seiner

Intentionalität Medium für das Aushöhlen einer Tradition oder ihre Transformation, etwa im

Zuge der von Foucault so bezeichneten »strategischen Wiederauffüllung«38 von Leerstellen

der Macht durch individuelle Subjekte mit abweichenden Intentionen (z.B. die Entstehung

krimineller Milieus in den Haftanstalten).

Unsere Überlegungen bezüglich einer Auffassung von Technik, Natur und Kultur als Medien

sind insgesamt gesehen bislang genauso objektstufig geblieben wie der Einsatz der

einschlägigen Inbegriffe. Freilich wurde in Berücksichtigung der jeweiligen modalen

Inferenzen der Definitionsbereich erweitert und strukturiert. In Abhängigkeit der jeweiligen

Charakterisierung vom erkennenden Standpunkt kann etwas jeweils als Mittel oder

technisches Medium, Ursache oder Medium der Natur, Orientierung oder kultürliches

Medium erachtet werden. Dann wird in jeweils spezifischer Weise versucht, eine Wirklichkeit

des Produzierens, des kausalen Prozessierens oder des Sich-Orientierens einzusetzen, um

abduktiv eine partielle Vorstellung derjenigen Instanzen zu gewinnen, die diese

Verwirklichung ermöglichen. Solcherlei verweist uns darauf, daß hier Unterscheidungen nicht

37 Dirk Baecker, „Kommunikation im Medium der Information, in: Rudolf Maresch, Niels Weber (Hg.), Kommunikation, Medien, Macht, Frankfurt/M. 1999, 174-191, hier 59f.; Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, Frankfurt/M. 1999, 48. 38 Foucault, Dispositive der Macht, 126.

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zwischen Gegenständen und Gegenstandsbereichen, sondern an bestimmten Gegenständen

vorgenommen werden. Was ist der logische Ort dieser Unterscheidungen an Gegenständen?

Aus der Verwendung der Inbegriffe von Technik, Natur, Kultur konnten wir entnehmen, daß

ein einheitliches Interesse oder Bemerken unterstellt werden muß. Dieses Interesse ist

dasjenige an einer Bestimmung jeweils spezifischer Faktoren einer Sicherung des

Verhältnisses zwischen dem Subjekt und seinem Gegenstandsbereich. Es geht also um ein

Verhältnis zu einem Verhältnis. Objektstufige Charakterisierungen sind abkünftig und stehen

unter dieser Einheitlichkeit des Bemerkens. Es sind Vorstellungen, die unter jenen

Verhältnissen produziert werden. Wie kommen diese Verhältnisse zu den Verhältnissen

zustande? Entsprechend der anfangs erwähnten Aporie könnte die erste Antwort eines

Naturalismus, der hier in die »überschwängliche Metaphysik« Schellings umschlägt, lauten:

Die Natur liegt »als äußere Welt vor uns aufgeschlagen, um in ihr die Geschichte unseres

Geistes wiederzufinden«. 39 Ihr Ganzes ist so beschaffen, daß es die Struktur des Ich »als

Verhältnis eines Verhältnisses im Verhältnis zu sich und zu anderen und zur Welt zu stehen«

hervorgebracht hat und einschließt. 40 Die zweite Seite des Dilemmas, die die

Unhintergehbarkeit reflexiver Distanz herausstellt, findet sich paßgenau in der Formulierung

des Schelling-Kritikers Kierkegaard:

»Der Mensch ist Geist. Doch was ist Geist? Geist ist das Selbst. Doch was ist das

Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder es ist in

diesem Verhältnis jenes, daß dieses zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das

Verhältnis, sondern daß sich das Verhältnis zu sich selbst verhält. [...] Ein solches

Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, ein Selbst, muß sich entweder selbst gesetzt

haben oder durch ein Anderes gesetzt sein.

Ist das Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, durch ein Anderes gesetzt, dann ist

das Verhältnis zwar das Dritte, doch dieses Verhältnis, das Dritte, ist dann wiederum

ein Verhältnis und verhält sich zu dem, was das ganze Verhältnis gesetzt hat«.41

Kurz: Es bleibt das sich potenzierende Verhältnis. Verhältnisse dieser Art lassen sich nun

näher untersuchen, und zwar mit Blick auf ihre vorstellungsermöglichende Kraft. Diese zu

erfassen, werden so genannte Reflexionsbegriffe eingesetzt, und zwar in zweifacher Weise. 39 Friedrich Wilhelm Josef Schelling, Allgemeine Übersicht der neuesten philosophischen Literatur, Historisch-kritische Ausgabe Bd. I, 4, Stuttgart 1988, 110. 40 Baumgartner, Natur aus der Perspektive spekulativer und kritischer Philosophie, 252. 41 Søren Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, Stuttgart 1997, 13 f. (Herv. C.H.)

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5. »Technik«, »Kultur« und »Natur« als Reflexionsbegriffe

Zunächst setzen wir Termini ein, die lebensweltliches (oder natur- oder

kulturwissenschaftliches) Handeln und lebensweltliche (oder wissenschaftliche)

Erkenntnisgewinnung, bei der ja vielfältige Prädikate eingesetzt werden, unter bestimmten

tertia comparationis beschreiben. Sie sortieren als Metaprädikate unsere Vorstellungen, die

dem objektstufig-prädikativen Begriffsgebrauch, der sich auf dasjenige richtet, »was es gibt«,

zugrunde liegen. Entsprechend der Kantischen Terminologie handelt es sich um einen Typ

logischer Reflexionsbegriffe als conceptus comparationis. Dabei läßt sich, folgt man Peter

Janich, Armin Grunwald und Yannik Julliard42 eine erste Unterscheidung, diejenige nämlich

zwischen »Technik« und »Natur« einziehen: »Technik« als Reflexionsterminus zeigt dieser

Auffassung von Reflexion gemäß an, »ob wir uns sprachlicher Mittel bedienen, die unser

eigenes poietisch-handwerkliches wie sprachlich-begriffliches Handeln betreffen«, eben

Methoden zur Absicherung, Regelung des Steuerns. Der Begriff »Natur« dagegen zeige an,

daß wir »solche (sprachliche) Mittel benutzen, die das Widerfahrnishafte, am Gelingen und

Mißlingen unserer technischen Handlungen Gelernte« betreffen, das, was das technisch

Mögliche und das technisch Unmögliche (im prädikativen Sinne) bestimmt. In dieser Fassung

drücken Reflexionsbegriffe also höherstufige Vorstellungen von denjenigen Vorstellungen

aus, die durch prädikative Ausdrücke vermittelt werden. Reflexion, so könnte man auch

sagen, wird als Auffinden von Metaprädikaten aufgefaßt. »Natur« und »Technik« sind

demnach Begriffe für die Konzeptualisierung von Operationen an Gegenständen, nicht

Begriffe der Unterscheidung zwischen Gegenständen. Es wird ferner deutlich, daß »Natur« in

ihrer Konzeptualisierung abhängt von »Technik« als primärem Reflexionsbegriff, weil sie ex

negativo charakterisiert wird. Was das »Technische« betrifft, kann dann unterschieden

werden zwischen nicht tradiertem und nicht geregeltem poietischem nennendem Zugriff auf

Gegenstände und tradiertem und geregeltem poietischen und (dann) begrifflichem Zugriff.

Tradiert und geregelt werden solche Zugriffe unter dem Interesse, Bedingungen eines

weiteren Disponierens bereitzustellen. Solche Bedingungen machen dann die oben erwähnten

realen, epistemischen und normativen Schemata des objektstufigen Handelns aus. Die

42 Peter Janich, Kultur und Methode, Frankfurt/M. 2006, 44f.; Armin Grunwald, Yannik Julliard, „Technik als Reflexionsbegriff – Überlegungen zur semantischen Struktur des Redens über Technik, in: Philosophia naturalis 42, 127-157.

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Gesamtheit dieser Schemata ist dann als »Kultur« im Sinne eines eben solchen logischen

Reflexionsbegriffes, also als Metaprädikat zu begreifen.

Während die erwähnten Metaprädikate als logische Reflexionsbegriffe gemeinsame

Intensionen von Unterscheidungen an Gegenständen benennen, führt Kant einen weiteren Typ

von Reflexionsbegriffen ins Feld, die sich nicht direkt auf Vorstellungen beziehen und

deshalb in seiner Liste von Vorstellungen nicht auftauchen.43 Es handelt sich nicht um Titel-

und Sortierworte, sondern Namen für Regeln eines bestimmten Gebrauchs von

Erkenntnisvermögen als Ensemble von Strategien, unter denen jenes Vergleichen von

Vorstellungen (bei den logischen Reflexionsbegriffen) stattfindet. Solcherlei ist Thema einer

»transzendentalen Reflexion«, als derjenigen Überlegung bzw. Handlung, die (irgendwie)

gegebene Vorstellungen mit den Bedingungen ihrer Möglichkeit, also den jeweiligen

Erkenntniskräften bzw. -vermögen »zusammenbringt«. Eine solche transzendentale Reflexion

ist also Voraussetzung der logischen Reflexion; den Katalog der Hinsichtnahmen in

Zuordnung zu den Erkenntniskräften als rationalem und empirischem Vermögen, also

Verstand und Sinnlichkeit, bezeichnet Kant als transzendentale Topik. Unter ihren

Gesichtspunkten kann ein Gegenstand der Erkenntnis in Hinsicht auf die Erkenntniskräfte, die

seine Identifizierung ermöglichen, diskutiert werden – dies betrifft mithin unseren

theoretischen Naturbezug. Hier »bewundern« wir die Leistung unserer Erkenntniskräfte, die

uns eine »Als-ob-Natur« als quasi rational agierende, teleologisch verfaßte Ganzheit

vorzustellen erlauben. Da »Technik« und »Kultur« nun nicht einen theoretischen, sondern

einen praktischen Weltbezug meinen, ist an dieser Stelle Kant unter Beibehaltung seiner

Architektur zu ergänzen bzw. zu modifizieren: Es wäre hier also der Bezug dieser

Reflexionsbegriffe zu unserem Handlungsvermögen als Vermögen der Freiheit herzustellen

bzw. zu unseren Vorstellungen hiervon. Die basale Vorstellung im Zusammenhang mit

»Handeln« ist die Vorstellung der Disponibilität von Mittel- und Zwecksetzungen. Einen

empirischen Nachweis des Vermögens der Freiheit kann es gar nicht geben, will man nicht

der von Kant aufgezeigten Amphibolie der Reflexionsbegriffe, hier: der Verwechslung des

transzendentalen mit dem empirischen Gebrauch, der »Sensifizierung der Begriffe« – wie sie

den Psychologisten und Neurologen unterläuft – erliegen. Daß wir subjektive Freiheit als

Konzept unterstellen, erfahren wir daran, daß wir beim Handeln Hemmungen als Provokation

empfinden. »Technik« als transzendentaler Reflexionsbegriff würde ausdrücken, daß wir

Verfahren, Fähigkeiten, Vollzüge und deren Resultate nach Maßgabe ihrer Disponibilität

43 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 376.

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bzw. Verfügbarkeit relativ zu unserem Freiheitsanspruch identifizieren – Hegels »List der

Vernunft«,44 die sich auf diese Weise erfährt. Wenn aber nun diese Disponibilität im Lichte

einer Reflexion auf unseren Freiheitsanspruch mit ihren Grenzen konfrontiert wird, kann das

Andere ihrer selbst ebenfalls mit einem Reflexionsbegriff belegt werden, der zunächst das

Negative von Disponibilität ausdrückt. Sowohl »Natur« als auch »Kultur« stehen für

dasjenige, was prima facie im singulären Akt technischer Realisierung als nicht disponibel

erscheint, freilich in unterschiedlicher Weise.

Im ersten Falle, im Falle von »Natur«, handelt es sich um abduktiv erschlossene (mithin

unsicher unterstellte) Wirkschemata bezüglich der Realisierung unseres Freiheitsanspruchs.

Kant denkt diese Dimension (in der Kritik der Urteilskraft) unter dem Titel des »Erhabenen«,

das unsere Erkenntnisvermögen und unsere Handlungsmacht übersteige und sich in der »Lust

an der Unlust« artikuliert, die wir verspüren, wenn wir nicht real unterliegen, sondern ein

Unterliegen nur als möglich – aus der Distanz – betrachten. Die aktuale Einschätzung eines

solchen Unterliegens ist jedoch relativ zum Stand der (Intellektual-und Real-)Technik und der

Ausprägung der Kultur: Was früher »als unvorgreiflich« oder als natürliches Schicksal

erachtet wurde, erscheint im Lichte neuer Optionen des Modellierens und Handelns als

gestaltbar bzw. in seinen Wirkungen ggf. als Resultat eines Unterlassens, welches ebenfalls

ein Handeln ist. Der Aufweis von Determinanten unseres Kalkulierens, Fühlens und Agierens

setzt uns sogleich in ein neues Verhältnis zu diesen mit der Maßgabe, die Disponibilität der

Determinanten zu reflektieren. (Im Kapitel »Beobachtende Vernunft« von Hegels

Phänomenologie des Geistes wird gezeigt, wie der Geist in Reflexion seiner

Naturbeobachtung seine eigenen Ansprüche an seinen Naturbezug freilegt und im Zuge dieser

Arbeit über eine Diagnose seiner Klassifikationskriterien und Modellierung von

Entwicklungsstufen der Organismen – Naturgeschichte – auf die eigenen normativen

Grundlagen seiner Systembildung stößt.

Im zweiten Falle, im Falle von »Kultur«, geht es um Schemata der Mittel-Zweck-

Verknüpfung, unter denen bestimmte gewünschte Sachverhalte allererst als Handlungszwecke

so oder so denkbar werden. Die Anerkennung solcher Schemata kann verweigert werden,

sofern Handlungszwecke nicht gesetzt oder Gratifikationen (bzw. Sanktionen) als unerheblich

erachtet werden. Wenn auf Handlungsfreiheit verzichtet wird, können jene

institutionalisierten Schemata ignoriert werden und die »Geburt der (Handlungs-)Freiheit aus

der Entfremdung« der Institutionen (Arnold Gehlen) findet nicht statt. Mit »Natur« liegt

44 Hegel, Wissenschaft der Logik, Kap. Teleologie.

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23

mithin eine abgrenzende, mit »Kultur« eine affirmative Selbstbeschreibung derjenigen

Handlungssysteme vor, in denen Technik eingesetzt wird nach jeweiliger Maßgabe unserer

(situativen) Auffassung subjektiver positiver Handlungsfreiheit. »Technik«, (ex negativo-)

»Natur« und »Kultur« als transzendentale Reflexionsbegriffe drücken mithin den Bezug

einschlägiger Vorstellungen zu unserem Handlungsvermögen aus. Die Anerkennung von

etwas als nicht disponibel (»Natur«), bedingt nicht disponibel, sofern die Realisierung eines

konkreten Zweckes für erforderlich gehalten wird (»Kultur«), und disponibel (»Technik«)

beruht auf einer Entscheidung, da sie selbst nicht erkenntnismäßig zu fundieren ist, wie Kant

für die Domäne der Erkenntnisvermögen bereits betont. Eine solche Entscheidung ist in

unserem Fall nur unter normativen Gesichtspunkten zu rechtfertigen. Daß solche

Rechtfertigungen unter unterschiedlicher normativer Orientierung erfolgen können, erklärt,

warum im Zuge der Problem- und Ideengeschichte unter einer wechselnden Bewertung von

wechselnden Erfahrungen der Disponibilität oder Nicht-Disponibilität »Natur«, »Technik«

und »Kultur« jeweils unterschiedlich gefaßt wurden, letztlich als Manifestation reflexiver

Kultur.