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Hydrodynamik Vorlesung zum Masterkurs Fortgeschrittene Theoretische Physik II Universit¨ at Bremen Peter H. Richter Sommersemester 2010 1

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Page 1: Hydrodynamik - itp.uni-bremen.de · mit ist das Gleichungssystem der Hydrodynamik einkomponentiger Flui-de vollst andig. Das vierte Kapitel untersucht die elementaren Anregungen (Schall

Hydrodynamik

Vorlesung zum Masterkurs

Fortgeschrittene Theoretische Physik II

Universitat Bremen

Peter H. Richter

Sommersemester 2010

1

Page 2: Hydrodynamik - itp.uni-bremen.de · mit ist das Gleichungssystem der Hydrodynamik einkomponentiger Flui-de vollst andig. Das vierte Kapitel untersucht die elementaren Anregungen (Schall

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 3

2 Ideale Fluide 52.1 Grundgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52.2 Hydrostatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72.3 Stationare Stromungen in inkompressiblen Fluiden . . . . . . . 102.4 Bernoulli-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212.5 Wirbelstarke, Potentialstromung . . . . . . . . . . . . . . . . . 222.6 Energie- und Impuls-Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322.7 Oberflachenspannung. Laplace-Formel . . . . . . . . . . . . . . 332.8 Schwerewellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392.9 Krummung von Flachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

3 Viskose Fluide 483.1 Die Navier-Stokes-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483.2 Stationare Stromungen: Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . 52

4 Warmeleitung, Diffusion 614.1 Diffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

4.1.1 Stationare Temperaturverteilungen . . . . . . . . . . . 634.1.2 Diffusion im unendlichen Raum . . . . . . . . . . . . . 664.1.3 Die Methode der Laplace-Transformation . . . . . . . . 684.1.4 Die Methode der Greenschen Funktionen . . . . . . . . 744.1.5 Teilchen-Diffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

5 Schall. Moden im Gleichgewicht 805.1 Schall in idealen Fluiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805.2 Die hydrodynamischen Moden im Gleichgewicht . . . . . . . . 81

6 Konvektion 876.1 Mechanische Stabilitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 876.2 Dimensionslose Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 886.3 Freie Konvektion in Boussinesq-Naherung . . . . . . . . . . . 916.4 Die Rayleigh-Benard-Instabilitat . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

7 Turbulenz und Grenzschichten 1047.1 Wege zur Turbulenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1057.2 Das Lorenz-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1057.3 Voll ausgebildete Turbulenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1147.4 Prandtls Grenzschicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

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7.5 Nachlauf und Krafte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1237.6 Krafte an Tragflugeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

8 Magnetohydrodynamik 1348.1 Die Grundgleichungen der MHD . . . . . . . . . . . . . . . . . 1358.2 Die Gleichung fur das Magnetfeld . . . . . . . . . . . . . . . . 1398.3 Stationare Zustande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1418.4 Hydromagnetische Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1448.5 Das Rayleigh-Benard-Experiment im Magnetfeld . . . . . . . . 1518.6 Dynamo-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

1 Einleitung

Die Hydrodynamik hat sich parallel zur Mechanik entwickelt, mit teilweisegleichen Protagonisten: Euler, Lagrange, Hagen, Poiseuille, Stokes, Rayleigh,Kelvin, Prandtl, von Karman, Kolmogorov, Obukhov, Großmann, Ahlers,Kadanoff, ... ...

Es kann hier nur um einige Grundlagen gehen. Als Literatur dazu verweiseich vor allem auf den 6. Band Fluid Dynamics aus der Lehrbuchreihe vonLandau und Lifshitz [18]. Weitere Literatur ist in der Liste auf der Lernplatt-form Stud.IP oder wird im Text dieses Skripts angegeben.

Wir werden nur einkomponentige Fluide (Gase, Flussigkeiten) betrachten,wobei lokales Gleichgewicht (GG) angenommen wird. D. h. es wird angenom-men, dass es elementare Volumina δV = δxδyδz ≡ d3r gibt, deren Abmes-sungen groß sind gegenuber der freien Weglange der Atome oder Molekule, sodass GG sich einstellen kann, aber klein gegenuber den typischen Langen derbetrachteten Systeme. Wir werden sie manchmal etwas lax als (makroskopi-sche)

”Teilchen“ bezeichen. Der dynamische Zustand eines solchen Systems

hat dann 5 unabhangige Felder:

1. ein dreikomponentiges Geschwindigkeitsfeld v(r, t) = (u, v, w)

2. zwei skalare Felder, die die Thermodynamik des lokalen GG charak-terisieren; das sind in der Regel die Dichte ρ(r, t) und eine Große wieDruck, Temperatur, Entropie- oder Energiedichte. Die anderen thermo-dynamischen Großen sind dann durch die jeweils relevanten Zustands-gleichungen bestimmt.

Zu den Dichten ist zu sagen, dass sie in diesem Kontext meist auf die Mas-se bezogen werden, also z. B. v = V/M (Volumen), s = S/M (Entropie),

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ε = U/M (innere Energie), η = ε+pv (Enthalpie), φ = ε−Ts+pv (freie Ent-halpie). Dabei ist M = mN mit Teilchenzahl N und Masse pro Teilchen m.Manchmal werden aber auch auf das Volumen bezogene Dichten betrachten,z. B. die Massendichte ρ = M/V = 1/v, die Teilchendichte n = N/V = ρ/m,die Entropiedichte ρs oder die Dichte der inneren Energie ρε.

Eine wichtige gedankliche Unterscheidung betrifft die Frage, ob wir an einemVolumenelement bei festem Ort interessiert sind (Lagrange) oder an dem,das sich mit der Stromung bewegt (Euler). Wenn wir im ersten Fall nachder zeitlichen Anderung einer Große f(r, t) fragen, meinen wir die Ableitungan festem Ort, ∂f(r, t)/∂t. Im zweiten Fall meinen wir die sog. substantielleAbleitung df(r, t)/dt. Es gilt nach Kettenregel

d

dt=∂

∂t+

dr

dt· ∂∂r

=∂

∂t+ v · ∇. (1.1)

Die Vorlesung hat sieben Kapitel. Wir beginnen mit idealen Fluiden, diedurch die Abwesenheit von dissipativen Effekten charakterisiert sind unddurch die rein konservative Euler-Gleichung beschrieben werden. Das magzunachst unrealistisch erscheinen, zumal ideale Stromungen keine Krafte aufKorper ausuben konnen. Spater wird sich aber zeigen, dass der Einfluss derViskositat, der im zweiten Kapitel ausfuhrlich diskutiert wird (Navier-Stokes-Gleichungen), auf die nahere Umgebung der Rander beschrankt bleibt; weit-ab von ihnen tendiert die Stromung dazu, ideal zu sein. Im dritten Ka-pitel wird zu den Erhaltungssatzen fur Massen- und Impulsdichten nochdie Energiebilanz hinzugenommen und der Warmetransport betrachtet. Da-mit ist das Gleichungssystem der Hydrodynamik einkomponentiger Flui-de vollstandig. Das vierte Kapitel untersucht die elementaren Anregungen(Schall und drei diffusive Moden) in einem unendlich ausgedehnten ruhen-den Fluid. Im funften wird als Beispiel fur Instabilitaten fernab vom Gleich-gewicht das Rayleigh-Benard-Experiment analysiert, bei dem ein Tempera-turgradient zum Einsatz von Konvektion fuhrt. Das sechste Kapitel befasstsich mit Turbulenz und Grenzschichten. Darin wird die Theorie von Prandtlfur Grenzschichten und Nachlaufbereiche vorgestellt, eine geniale Verbindungvon idealer und dissipativer Dynamik, die es endlich erlaubt, Widerstands-und Auftriebskrafte zu verstehen. In einem siebten Kapitel werden noch dieGrundzuge der Magnetohydrodynamik behandelt, d. h. das Fluid wird alsleitfahig angenommen und dem Einfluss von Magnetfeldern ausgesetzt.

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2 Ideale Fluide

Als ideal bezeichnet man Fluide ohne Dissipation, d. h. die Viskositat istµ = 0. Das ist zwar unrealistisch, aber manche Stromungseigenschaften lassensich so schon verstehen. Die Theorie wurde 1755 von Euler begrundet; denstatischen Teil dazu kannte schon Bernoulli. Nachzulesen ist das alles beiLandau-Lifshitz, deshalb hier nur das Wichtigste in Stichworten.

2.1 Grundgleichungen

Die drei Grundgleichungen fur die funf Felder sind

∂ρ

∂t+∇ · (ρv) = 0 (2.1)

∂v

∂t+ (v · ∇)v = −1

ρ∇p+ f (2.2)

∂s

∂t+ (v · ∇)s = 0 (2.3)

Gl. (2.1) ist die Erhaltung der Masse: sie kann sich an einem Ort nur durchStromen andern. Benutzt man in (2.1) die Produktregel, so lasst sich dasausdrucken als

dt+ ρ∇ · v = 0. (2.1a)

Gl. (2.2) heißt Euler-Gleichung und ist die Impulsbilanz. Sie beschreibt dieAnderung des Geschwindigkeitsfeldes aufgrund der wirkenden Krafte ∇p(Druckkraft) und ρf (z. B. Schwerkraft, f = g); sie ist nichts Anderes als das2. Newtonsche Gesetz fur jedes Volumenelement des Fluids. Dabei ist daranzu denken, dass die Kraft auf die bewegten Teilchen wirkt, in der EulerschenVersion wurde man deshalb schreiben

ρdv

dt= −∇p+ ρf . (2.2a)

Gl. (2.3) ist die Erhaltung der Entropie (pro Masse); sie besagt, dass in idea-len Fluiden keine Warme produziert wird. Das ist auch wieder eine Aussage,die sich auf die mitbewegten elementaren Volumina bezieht, deshalb ware

ds

dt= 0 (2.3a)

die einfachere Version derselben Aussage. Zusammen mit der Massenerhal-tung (2.1) kann man dies auch schreiben als

∂ρs

∂t+∇ · (ρsv) = 0, (2.3b)

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wobei man ρsv als Stromdichte der Entropie identifiziert. Meist wird beiidealen Fluiden aber sogar angenommen

s = const. (2.3c)

Man nennt die Bewegungen dann isentropisch. Wenn dies gilt, kann man diethermodynamische Identitat der Enthalpiedichte dη = Tds + vdp = dp/ρbenutzen und die Euler-Gleichung schreiben als

∂v

∂t+ (v · ∇)v = −∇η + f , (2.2b)

und wenn außerdem die Kraftdichte f = −∇u der (negative) Gradient einesFeldes u ist, gilt noch einfacher

∂v

∂t+ (v · ∇)v = −∇(η + u). (2.2c)

Dann aber gilt, nachdem man die Rotation dieser Gleichung genommen hat,eine Version, in der nur noch das Geschwindigkeitsfeld auftritt,1

∂t∇× v = ∇× (v × (∇× v)). (2.2d)

Dazu kommen noch geeignete Randbedingungen: das Geschwindigkeitsfeldmuss tangential zum (moglicherweise bewegten) Rand sein.

Bei dem bis hier diskutierten Satz von Gleichungen fur ρ, u, s muss dieKompressibilitat nicht unbedingt Null sein. Man kann also z. B. die Atmo-sphare diskutieren, soweit die Viskositat keine Rolle spielt. Wenn allerdingsdie Kompressibilitat verschwindet, also ρ = const ist, dann muss aufgrundder Massenerhaltung gelten

∇ · v = 0. (2.1b)

Dies vereinfacht die Euler-Gleichung (2.2) in der Weise, dass man ρ unterden ∇-Operator schieben kann, so dass

∂v

∂t+ (v · ∇)v = −∇p

ρ+ f (2.2e)

gilt und auch ohne Annahme von s ≡ const die Gleichung (2.2d). Wenn dieStromung außerdem noch isentrop ist, dann braucht man wegen ρ = constund s = const nur (2.2d) zusammen mit (2.1b) zu losen.

1Hier wurde die Gl. 12∇v

2 = v × (∇× v) + (v · ∇)v aus der Vektoranalysis benutzt

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2.2 Hydrostatik

Besonders einfach ist die Hydrostatik. Dort interessiert man sich fur stationareFelder ohne Stromungen:

∂t= 0, v = 0. (2.4)

Die Euler-Gleichung reduziert sich dadurch auf

∇p = ρf = −ρ∇u, (2.5)

letzteres, falls die außere Kraftdichte durch ein Potential gegeben ist, wieetwa bei der Schwerkraft f = g = −∇gz, wobei z die Hohe uber dem Bodenist. Dabei ist nur noch der Zusammenhang zwischen p und ρ zu berucksich-tigen, den die Zustandsgleichung der Thermodynamik herstellt.

Bei Fluiden wie Wasser unter außerem Atmospharendruck kann man Inkom-pressibilitat annehmen, ρ = const. Dann gilt

p(z) = p0 − ρgz, (2.6)

wobei p(z = 0) = p0 ist: Der Druck nimmt nach unten hin linear zu. Darausfolgt, was Archimedes uber den Auftrieb herausfand.

Bei der Atmosphare kann man in erster Naherung von idealen Gasen ausge-hen, wobei sie allerdings mehrere Komponenten hat. Sei etwa ν1 = 0.2 derAnteil des Sauerstoffs und ν2 = 0.8 der des Stickstoffs, ν1 + ν2 = 1. Dann istdie gesamte Teilchendichte n = n1 + n2 = (ν1 + ν2)n, die gesamte Massen-dichte ρ = ρ1 + ρ2 = m1n1 + m2n2 = (m1ν1 + m2ν2)n, der Gesamtdruck istdie Summe p = p1 + p2 = (n1 + n2)kBT = nkBT und daher

ρ =µ

kBTp mit µ = m1ν1 +m2ν2. (2.7)

Damit wird die Gleichung fur den Atmospharendruck

dp

dz= −ρ(z)g = − µg

kBTp. (2.8)

Soweit man annehmen kann, dass die Temperatur konstant sei, lasst sich diessofort zur barometrischen Hohenformel integrieren:

p(z) = p0e−µgz/kBT . (2.9)

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Bei der realen Atmosphare ist das allerdings nicht ganz so. In der Tropospharebis etwa 11 km Hohe fallt die Temperatur (im Mittel) von 15C auf −56C,hat also eine lapse rate γ = −dT/dz ≈ 6.5K/km. In der Tropopause bis20 km Hohe ist T konstant bei −56C. Daruber in der Stratosphare – bis45 km – steigt T wieder auf −2C an, es folgt die etwa 5 km hohe Strato-pause mit konstanter Temperatur, und dann sinkt T in der Mesosphare – bis85 km – auf −85C. Noch weiter oben liegt dann die Ionosphare. Hier sollbeispielhaft nur die Troposphare diskutiert werden, in der

dp

dz= − µg

kB(T0 − γz)p. (2.10)

Auch diese Gleichung ist leicht integriert (Trennung der Variablen z und p):

p(z) = p0e(µgz/γkB) ln(1−γz/T0) ≈ p0e−(µgz/kBT0)(1−γz/2T0), (2.11)

wobei in der letzten Gleichung nach z entwickelt wurde, da γz/T0 nicht großerwird als 0.24.

Aufgabe 1: Berechnen Sie die Schallgeschwindigkeit c in der Atmosphareals Funktion der Hohe. Hinweis: es gilt c2 = ∂p/∂ρ|s.

Losung:Mit Hilfe von Umrechnungen, wie sie in der Thermodynamik haufigvorkommen, macht man sich klar, dass die Ableitung ∂p/∂ρ|s bei konstanterEntropie (Schallwellen oszillieren zu schnell, als dass ein Temperaturausgleicherfolgen kann) die handlichere Ableitung bei konstanter Temperatur umge-rechnet werden kann:

∂p

∂ρ

∣∣∣S

=cpcV

∂p

∂ρ

∣∣∣S. (2.12)

Nun ist aber uberall in der Atmosphare die Annahme recht gut, dass dieLuft ein ideales Gas sei, p = (ρ/m)kBT . Das gilt auch in den Formeln (2.9)und (2.11): Druck und Dichte hangen in gleicher Weise von der Hohe ab.Darum ist generell ∂p/∂ρ|T = kBT/m und somit

c =

√cpcV

kBT

m= 20

√T/K m/s. (2.13)

Die Schallgeschwindigkeit hangt nicht von der Dichte ab, sondern nur vonder Temperatur! Bei 20C ist sie 343 m/s, in 11 km Hohe ist sie 296 m/s, alsonur wenig langsamer.

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Auf großeren Skalen ist die Schwerkraft nicht mehr konstant, sondern ge-horcht dem Newtonschen Gravitationsgesetz. Das Gravitationspotential einerMassendichte-Verteilung gehorcht der Poisson-Gleichung

∆u = 4πGρ(r) (2.14)

mit Gravitationskonstante G. Teilt man Gl. (2.5) durch ρ und nimmt danndie Divergenz, so folgt

∇ · 1

ρ∇p = −4πGρ (2.15)

oder, wenn man eine kugelsymmetrische Massenverteilung annimmt,

1

r2

d

dr

r2

ρ(r)

dp

dr= −4πGρ(r). (2.16)

Danby [7] schreibt zu solchen Gleichungen

These equations, it has been remarked, make mathematics mucheasier for anyone who does not have to solve them.

Aufgabe 2: Losen Sie die Gl. (2.5) bzw. (2.16) fur eine Kugel mit Radius Rund homogener Massendichte ρ. Im Außenraum sei die Massendichte Null.Wie sind die Randbedingungen fur u und p bei r = 0, r = R, r →∞?Losung: Der Fall einer Kugel mit Radius R und homogener Massendichte ρist leicht losbar. Fur r > R gelte ρ = 0 und daher p = 0 bei r = R.2 Durchsukzessives Integrieren von (2.16) im Innern der Kugel findet man

p =2π

3Gρ2(R2 − r2) = ρ

MG

2R3(R2 − r2). (2.17)

Außen ist der Druck Null, wahrend das Gravitationspotential bekannterma-ßen den folgenden Verlauf hat:

u(r) = −MG

R3

R3/r außen12(3R2 − r2) innen.

(2.18)

Sowohl innen als auch außen gilt die hydrostatische Grundgleichung (2.5);im Innern unterscheiden sich u und p allerdings um eine Konstante, weil furp die Randbedingung p = 0 bei r = R gilt, fur u ist u = 0 bei r →∞.

2Das Potential u, der Druck p und auch ∇u sind an der Grenzflache stetig, ∇p wegender Unstetigkeit von ρ aber nicht.

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2.3 Stationare Stromungen in inkompressiblen Flui-den

Der nachst einfache Spezialfall sind die stationaren isentropen idealen Stromun-gen, bei denen zwar ∂/∂t = 0 ist, nicht aber v. Es soll außerdem geltenρ = const. Man hat also die Gleichungen

∇ · v und (v · ∇)v = −∇pρ

+ f . (2.19)

Wir losen sie zunachst fur einige Falle, bei denen der Rand frei ist und sichaus der Bedingung ergibt, dass der Druck auf ihm konstant bzw. Null sei.

Der erste Fall ist Newtons beruhmter Eimer, mit dem sich feststellen lasst, obdas Ruhesystem des Eimers ein Inertialsystem oder ein rotierendes Systemist. Der Eimer sei ein Zylinder mit der Achse in z-Richtung und Radius R.Die Schwerkraft g sei (0, 0,−g). Der Eimer rotiere mit ω = (0, 0, ω) umseine Achse, so dass jeder Punkt r die Geschwindigkeit v = ω × r habe.Damit sind die Randbedingung bei x2 + y2 = R2 und die Gl. ∇ · v = 0automatisch erfullt. Gesucht ist die Form der freien Oberflache, die fur ω = 0bei z = h liege, aus der Bedingung p = const. Die Konstante ware Null ohneAtmosphare, in der Realitat ist sie 1 atm. Man rechnet nach, dass mit obigemGeschwindigkeitsfeld ∇× v = 2ω ist und deswegen3

(v · ∇)v = ω × v = −12∇v2. (2.20)

Die drei Komponenten der Gl. (2.19) sind daher

ω2x =1

ρ

∂p

∂x, ω2y =

1

ρ

∂p

∂y, 0 =

1

ρ

∂p

∂z+ g. (2.21)

Die Losung sieht man durch”scharfes Hinsehen“:

p

ρ= 1

2ω2(x2 + y2)− gz + const. (2.22)

Bestimmt man die Konstante so, dass fur ω = 0 die Oberflache bei p = 0und z = h ist (Volumenerhaltung), dann findet man fur die Oberflache dasParaboloid

z = h+ω2

2g(x2 + y2 −R2/2). (2.23)

Wenn der Eimer in einem Bezugssystem ruht, das gegenuber einem Inertial-system rotiert, dann ist seine Oberflache nicht flach. Auf diese Weise lasst sich

3siehe Fußnote auf Seite 6

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ein absolutes Bezugssystem jedenfalls hinsichtlich der Rotation bestimmen.Eine Translation mit konstanter Geschwindigkeit (Galilei-Transformation)lasst sich hingegen nicht feststellen.

Eine andere Version der Diskussion des absoluten Raumes ist das Problem desHimmelskorpers, der sich allein im Kosmos befindet. Ruht er in einem Iner-tialsystem, dann stellt sich im Gleichgewicht unter dem Einfluss der wechsel-seitigen Gravitation seiner Teile die Kugelgestalt mit Potential- und Druck-verlauf wie in Aufgabe 1 ein. Wenn er aber relativ zu einem Inertialsystemrotiert, erwarten wir eine andere Gestalt. Die soll hier berechnet werden.Ich beziehe mich dabei auf die Bucher von Danby [7] und Greiner [14]. Wirnehmen konstante Dichte ρ an und gleichformige Rotation v = ω × r mitω = (0, 0, ω).

Mit (2.19) und (2.20) sowie f = −∇u haben wir ∇(p+ ρu− 12ρv2) = 0 und

daherp+ ρu− 1

2ρ(ω × r)2 = const. (2.24)

Zu bestimmen ist die Form des Himmelskorpers aus der Bedingung p = 0an seiner Oberflache. Die Hoffnung ist, dass das mit einem Ellipsoid-Ansatzgelingt,

x2

a2+y2

b2+z2

c2= 1. (2.25)

Man vermutet sicherlich, dass ein Rotationsellipsoid bzgl. der z-Achse bereitsausreicht, aber Poincare hat gezeigt, dass bei hinreichend großen ω die Rotati-onssymmetrie spontan gebrochen werden kann und asymmetrische Ellipsoidestabil werden [5]. Deshalb soll hier das Potential u fur allgemeine Rotations-ellipsoide berechnet werden. Es werden aber nur die Ergebnisse angegeben.Die Rechnungen, die dahin fuhren, werden in der Vorlesung durchgefuhrt.Sie finden sich im Buch von Greiner [14] und (auch fur den Außenraum) beiDanby [7].Wir nehmen das Ergebnis vorweg und zeigen die Rechnung, die dahin fuhrt,hinterher.

Im Inneren des Ellipsoids ist die Losung der Poisson-Gleichung (2.14)

u = πGρabc(Ax2 +By2 + Cz2 −D) (2.26)

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mit

A =

∫ ∞0

dt

(a2 + t)w(t),

B =

∫ ∞0

dt

(b2 + t)w(t),

C =

∫ ∞0

dt

(c2 + t)w(t),

D =

∫ ∞0

dt

w(t)

(2.27)

undw(t) =

√(a2 + t)(b2 + t)(c2 + t) (2.28)

Es handelt sich um unvollstandige elliptische Integrale, die in Tabellen oderComputeralgebra-Systemen wohlbekannt sind [2, 13]. Sie werden weiter untenexplizit angegeben, nachdem wir zunachst noch den Außenraum behandelthaben.

Dort geht man folgendermaßen vor. Man betrachtet die Schar der konfokalenEllipsoide

x2

a2 + λ+

y2

b2 + λ+

z2

c2 + λ= 1, (2.29)

wobei λ = 0 zum Ellipsoid (2.25) gehort und λ > 0 zu weiter draußenliegenden. Sucht man das Potential u an einem Punkt (x, y, z), so bestimmeman zunachst das eindeutig definierte λ > 0, auf dessen Ellipsoid der Punktliegt. Dazu ist ein Polynom 3. Grades in λ zu losen; man uberzeugt sichleicht, dass es genau eine Losung λ > 0 gibt. Mit diesem λ ist dann

u = πGρabc(A(λ)x2 +B(λ)y2 + C(λ)z2 −D(λ)) (2.30)

mit ahnlich definierten Zahlen A,B,C,D wie in (2.26), namlich

A(λ) =

∫ ∞λ

dt

(a2 + t)w(t),

B(λ) =

∫ ∞λ

dt

(b2 + t)w(t),

C(λ) =

∫ ∞λ

dt

(c2 + t)w(t),

D(λ) =

∫ ∞λ

dt

w(t).

(2.31)

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Mit λ = 0 erhalt man offenbar die Werte (2.27), die im Innenbereich benotigtwerden. Wir geben jetzt die expliziten Ergebnisse an, wobei ohne Beschrankungder Allgemeinheit angenommen werde a < b < c. Die Spezialisierung aufRotationsellipsoide wird anschließend diskutiert. Am einfachsten ist das In-tegral D, denn es ist elliptisch von erster Art, d. h. der Integrand ist uberallauf der zu w(t) gehorenden Riemannflache holomorph:

D(λ) =2√

c2 − a2F (ϕ, k), k2 =

c2 − b2

c2 − a2, sinϕ =

√c2 − a2

c2 + λ. (2.32)

Dabei ist F (ϕ, k) das Jacobische elliptische Integral erster Art mit Modulusk, 0 < k < 1, und Winkel ϕ, 0 < ϕ < π/2. Die anderen drei Integrale sindvon 2. Art, d. h. sie haben Pole, deren Residuen allerdings verschwinden. Esgilt

A(λ) =2

(b2 − a2)√c2 − a2

(√(b2 + λ)(c2 − a2)

(a2 + λ)(c2 + λ)− E(ϕ, k)

)

B(λ) =2

(c2 − b2)√c2 − a2

(c2 − a2

b2 − a2E(ϕ, k)− F (ϕ, k)

)− 2

(b2 − a2)

√a2 + λ

(b2 + λ)(c2 + λ)

C(λ) =2

(c2 − b2)√c2 − a2

(F (ϕ, k)− E(ϕ, k)

).

(2.33)

Bei den Rotationsellipsoiden ist zwischen prolaten und oblaten zu unterschei-den. Da aber in jedem Fall zwei der drei Nullstellen zusammenfallen, sind dieIntegrale elementar. Wir finden fur prolate Ellipsoide mit a = b < c

D(λ) =1√

c2 − a2log

√c2 + λ+

√c2 − a2

√c2 + λ−

√c2 − a2

A(λ) = B(λ) =1

2(a2 + λ)(c2 − a2)

(2√c2 + λ− (a2 + λ)D

)C(λ) =

1

c2 − a2

(D − 2√

c2 + λ

) (2.34)

13

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Fur oblate Ellipsoide mit a < b = c gilt

D(λ) =2√

c2 − a2

(π2− arctan

√a2 + λ√c2 − a2

)B(λ) = C(λ) =

1

2(c2 + λ)(c2 − a2)

((c2 + λ)D − 2

√a2 + λ

)A(λ) =

1

c2 − a2

(2√

a2 + λ−D

) (2.35)

Diese Formeln sind anscheinend nicht leicht in der Literatur zu finden, des-halb habe ich sie hier zusammengestellt. Im Grenzfall der Kugelgestalt a =b = c =: R ergibt sich aus (2.34) oder (2.35)

D =2√

R2 + λ, A = B = C =

2

3(R2 + λ)3/2. (2.36)

Aufgabe 3: Diskutieren Sie die Grenzfalle Kugel, Scheibe, Stab. SkizzierenSie deren Potentialverlaufe im Außenraum.

Losung: Mit Hilfe von Maple habe ich die Formeln (2.34) und (2.35) um diein der Aufgabe angegebenen Grenzfalle entwickelt. Wir interessieren uns vorallem fur die Oberflachen der Ellipsoide, also fur λ = 0. Beginnen wir mitprolaten Ellipsoiden, die nur wenig von der Kugelform abweichen, und seia2 = c2(1− e2) mit kleiner Exzentrizitat e. Dann finden wir bis zur Ordnunge2

D(0) =2

c+

2

3ce2,

A(0) = B(0) =2

3c3+

4

5c3e2,

C(0) =2

3c3+

2

5c3e2.

(2.37)

Fur das Potential am Pol benotigen wir die Kombination

C(0)c2 −D(0) = − 4

3c− 4

15ce2, (2.38)

am Aquator dagegen

A(0)a2 −D(0) = − 4

3c− 8

15ce2. (2.39)

14

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Der Unterschied der Potentiale an der Oberflache ist also, vom Faktor πGρabcabgesehen, ist also −4e2/15c.

Im Grenzfall a → 0 wird das prolate Ellipsoid zu einem Stab. Die Entwick-lung nach kleinen a (bei λ = 0) bringt Logarithmen ins Spiel:

D(0) =2

clog

2c

a+O(a2)

A(0) = B(0) =1

ca2− 1

c3

(log

2c

a− 1)

+O(a2)

C(0) =2

c3

(log

2c

a− 1)

+O(a2)

(2.40)

An der Spitze des Stabes ist das Potential durch

C(0)c2 −D(0) = −2

c+O(a2) (2.41)

bestimmt, und in der Mitte durch

A(0)a2 −D(0) = −2

clog

2c

a+

1

c+O(a2). (2.42)

Analog behandeln wir das oblate Ellipsoid. In der Nahe der Kugelgestalterhalten wir, wieder mit a2 = c2(1− e2),

D(0) =2

c+

1

3ce2,

A(0) = B(0) =2

3c3+

3

5c3e2,

C(0) =2

3c3+

1

5c3e2.

(2.43)

In diesem Fall gibt die Kombination

C(0)c2 −D(0) = − 4

3c− 2

15ce2 (2.44)

das Potential am Aquator, wahrend

A(0)a2 −D(0) = − 4

3c− 2

5ce2 (2.45)

dem abgeflachten Pol entspricht. Die Differenz ist wieder −4e2/15c, aberdiesmal ist das Potential am Pol niedriger. Im Grenzfall a = b→ 0 wird das

15

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oblate Ellipsoid zu einer Scheibe. Die Parameter sind dann, bis zu linearerNaherung in a,

D(0) =π

c− 2a

c2

A(0) = B(0) =2

ac2− π

c3+

4a

c4

C(0) =π

2c3− 2a

c4

(2.46)

Am außeren Rand der Scheibe (Aquator) kommt es wieder an auf

C(0)c2 −D(0) = − π2c

4c3a2, (2.47)

in der Mitte (am Pol) auf

A(0)a2 −D(0) = −πc

+4

c2a. (2.48)

In niedrigster Ordnung ist das Potential in der Mitte der Scheibe doppelt sotief wie am Rand.

Die Abbildungen (1) und (2) zeigen einige Potentialverlaufe, wobei das In-nere der Ellipsoide rot, das Außere blau gezeichnet ist. Niveaulinien sind alsGrenzen zwischen weißen und farbigen Bereichen sichtbar gemacht; innerhalbeines Bildes sind die Potentialdifferenzen zwischen benachbarten Niveaulini-en konstant. In jedem Fall ist die Rotationsachse nach oben gerichtet.

Abbildung 1: Gravitations-Potential homogener Rotationsellipsoide; die Rotati-onsachse zeigt nach oben. Links: prolat, c/a = 2. Mitte: Kugel. Rechts: oblat,a/c = 2.

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Abbildung 2: Gravitations-Potential homogener Rotationsellipsoide. Links: Stab(prolat), c/a = 20. Rechts: Scheibe (oblat), a/c = 20.

Kommen wir nun endlich zu der Gl. (2.24) zuruck, in der die Gleichgewichts-bedingung ausgedruckt ist: an der Oberflache des Ellipsoids muss der Druckkonstant Null sein. Das Potential ist dort durch (2.26) gegeben, wobei fur diePunkte (x, y, z) die Ellipsengleichung (2.25) erfullen, und das Zentrifugalpo-tential ist

12(ω × r) = 1

2ω2(x2 + y2). (2.49)

Es muss also gelten

πGρabc(Ax2 +By2 + Cz2 −D)− 12ω2(x2 + y2) = const. (2.50)

Mit M = 43πρabc fur die Gesamtmasse des Planeten lasst sich dies umformen

in (A− 2

3

ω2

MG

)x2 +

(B − 2

3

ω2

MG

)y2 + Cz2 = D′, (2.51)

wobei D′ = D + const′ eine Konstante ist, die im Folgenden eliminiert wird.Denn es soll ja jetzt fur (x, y, z) die Ellipsengleichung gelten. Wir erhaltendaraus fur die Punkte (a, 0, 0, (0, b, 0) und (0, 0, c) die drei Gleichungen

D′ =(A− 2

3

ω2

MG

)a2

D′ =(B − 2

3

ω2

MG

)b2

D′ = Cc2.

(2.52)

17

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Mit der letzten Gleichung eliminieren wir in den ersten beiden die Konstan-te D′, dann losen wir die ersten beiden nach 2ω2/3MG auf:

2

3

ω2

MG= A− c2

a2C =

a2 − c2

a2

∫ ∞0

t dt

(a2 + t)(c2 + t)w(t)

2

3

ω2

MG= B − c2

b2C =

b2 − c2

b2

∫ ∞0

t dt

(b2 + t)(c2 + t)w(t)

(2.53)

Die linken Seiten sind positiv, also mussen es auch die rechten sein; da aberdie Integrale positiv sind, muss gelten a > c und b > c, d. h. die Achse, umdie herum der Planet rotiert, ist die kurzeste. Gleichsetzen der rechten Seitenergibt schließlich die Gleichgewichtsbedingung

(b2 − a2)

∫ ∞0

( a2b2

(a2 + t)(b2 + t)− c2

c2 + t

) dt

w(t)= 0. (2.54)

Dies kann auf zweierlei Weise erfullt werden: durch ein Rotationsellipsoida = b oder dadurch, dass das Integral verschwindet. Letzteres ist tatsachlichmoglich und wird in Chandrasekhars Buch ausgiebig diskutiert [5]. Hier sollnur die einfachere der beiden Losungen betrachtet werden, fur die dann geltenmuss

2

3

ω2

MG=a2 − c2

a2

∫ ∞0

t dt

(a2 + t)2(c2 + t)√c2 + t

. (2.55)

Dies ist wieder ein elementares Integral, dessen Losung sich wie folgt angebenlasst, wenn wir die Exzentrizitat e des oblaten Ellipsoids einfuhren uber c2 =a2(1− e2):

ω2 = 2πGρ(3− 2e2

e3arcsin e− 3

e2

√1− e2

)√1− e2. (2.56)

Dies ist der gesuchte Zusammenhang zwischen Rotationsgeschwindigkeit ωund Exzentrizitat e. Da es sich meist um kleine Abweichungen von der Ku-gelgestalt handelt, empfiehlt sich eine Taylorentwicklung nach e:

ω2 =8π

15Gρe2 +O(e4) ⇒ e ≈

√15

ω√Gρ

. (2.57)

Es ist interessant, was sich hiermit fur die Erde, fur Jupiter und fur die Sonneergibt. Mit G = 6.67 · 10−11m3/kg·s2 und fur die Erde ρ = 5.5 · 103kg/m3

ist Gρ = 3.68 · 10−7s−2, und mit der Frequenz ω = 2π/Tag kommt manauf e ≈ 9.3 · 10−2. Die Abplattung der Erde ist dann gegeben durch c/a =√

1− e2 ≈ 1 − e2/2 oder (a − c)/a ≈ e2/2 ≈ 0.0043. Der wahre Wert von

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0.0033 ist davon gar nicht so weit entfernt.

Fur Jupiter erhalt man mit ρ = 1.33 · 103kg/m3 und ω = 2π/9.84Std ei-ne Abplattung von 0.11, wahrend die beaobachtete etwa 0.067 ist. Fur dieSonne mit ρ = 1.41 · 103kg/m3 und ω ≈ 2.9 · 10−6/s findet man eine Ab-plattung 2.7·10−5, was der ziemlich perfekten Kugelform der Sonne ganz gutentspricht. Es ist erstaunlich, dass dieses einfache Modell die Verhaltnisseschon einigermaßen gut beschreibt.

Ein anderes interessantes Problem, das sich auf dieser Basis behandeln lasst,ist die Deformation eines Himmelskorpers aufgrund von Gezeitenkraften. Da-bei handelt es sich um den Quadrupolterm der Gravitationskraft, die einHimmelskorper auf einen anderen ausubt. Sprechen wir beispielhaft von derErde und der Anziehung durch den Mond, deren Potential an einem Punktr′ = (x′, y′, z′) der Erde gegeben ist durch

u(r′) = − Gm

|r − r′|= −Gm

r

(1 +

r · r′

r+

1

2r2

(3(r · r′)2 − r′2

)), (2.58)

wobei m die Masse des Mondes und r sein Ort ist (Ursprung des Koordi-natensystems sei der Mittelpunkt der Erde). Die Entwicklung geht bis zurzweiten Ordnung in 1/r. Der erste Term ist das Potential, das die Erde alsGanze anzieht. Der Dipolterm ∝ 1/r2 spielt keine Rolle, wenn der Schwer-punkt der Erde als Bezugspunkt genommen wird. Die Gezeiten werden durchden Quadrupolterm verursacht, den wir vereinfacht schreiben konnen, wennder Mond in z-Richtung stehend angenommen wird, r = (0, 0, 1) und r′ inPolarkoordinaten bzgl. der Mondrichtung angenommen werden:

um = −Gm2r3

(3z′2 − x′2 − y′2 − z′2) = −Gm2r3

(2z′2 − x′2 − y′2). (2.59)

An der Oberflache der dadurch deformierten Erde (wir sehen hier von der De-formation durch Rotation ab) muss die Summe der Potentiale (2.26) und (2.59)konstant sein. Wir nehmen noch an, dass die Deformation ein prolates El-lipsoid ergibt, dessen Achse zum Mond hin gerichtet ist. Dann ist a = b < cund es gelten die Gleichungen (2.34).

πGρabc((x′2 + y′2)A(0) + z′2C(0)−D(0)

)− Gm

2r3(2z′2 − x′2 − y′2) =

3GM

4

((x′2 + y′2)

(A(0) +

2m

3Mr3

)+ z′2

(C(0)− 4m

3Mr3

)−D(0)

)= const

(2.60)

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Wenn wir dies fur die Punkte r′ = (a, 0, 0) und (0, 0, c) hinschreiben, erhaltenwir durch Gleichsetzen die Gleichung

a2(A(0) +

2m

3Mr3

)= c2

(C(0)− 4m

3Mr3

)(2.61)

und damit

2m

3Mr3(a2 + 2c2) = c2C(0)− a2A(0) =

− 3c

c2 − a2+

2c2 + a2

2(c2 − a2)3/2log

c+√c2 − a2

c−√c2 − a2

(2.62)

Entwickelt man mit a2 = c2(1−e2) nach der als klein angenommenen Exzen-trizitat e, so ist die linke Seite in niedrigster Ordnung 2mc2/Mr3, die rechte4e2/15c. Daraus ergibt sich

e2 =15

2

m

M

c3

r3. (2.63)

Mit dem Verhaltnis der Massen von Mond und Erde m/M = 0.0123, denRadien rErde = 6378 km, rMond = 1738 km, der Entfernung Erde-Mondr = 384 400 km finden wir fur die Deformation der Erde durch den Monde2 = 4.22 · 10−7. Fur den Unterschied von c ≈ rErde und a ≈ c(1 − e2/2)bedeutet das c − a = ce2/2 ≈ 1.34 m. Dies ist die beobachtete Großenord-nung der Gezeiten auf der Erde. Fur die Deformation des Mondes durch dieErde gibt dieselbe Formel mit entsprechender Uminterpretation der Großene2 = 5.64 · 10−5, woraus sich eine Hohe des Gezeitenberges von 49 m ergibt.Der Effekt ist also 50 mal starker und hat im Verein mit der Gezeitenreibungoffenbar schon zu einer Gleichgewichtssituation der Art gefuhrt, dass Bahn-und Eigenrotation des Mondes synchron verlaufen.

Aufgabe 4: Bestimmen Sie das Ellipsoid, das sich fur die Erde im Gleich-gewicht ergibt, wenn zugleich eine Rotation um die z-Achse mit Frequenz ωund eine Quadrupolkraft des Mondes aus x-Richtung zu berucksichtigen sind.

Aufgabe 5: Der Jupitermond Io hat einen Radius von 1820 km und eineDichte von 3.5 g/cm3. Er lauft in 1.77 Tagen auf einer fast kreisformigenBahn mit Radius 421 600 km um Jupiter herum. Jupiters Dichte ist 1.33 g/c3,sein Radius 71 400 km. Bestimmen Sie den durch Jupiter auf Io verursachtenGezeitenhub. Alle 3.55 Tage begegnet Io dem nachsten Jupitermond Euro-pa, dessen Dichte 3.01 g/cm3 und Radius 1560 km betragen; der Radius vonEuropas ebenfalls nahezu kreisformiger Bahn ist 671 000 km. Wie groß ist

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die wechselseitige Gezeitenwirkung zwischen Io und Europa? KommentierenSie die Hypothese, dass Europa fur den Vulkanismus auf Io verantwortlich sei.

2.4 Bernoulli-Gleichung

Wir kommen wieder zuruck zur Diskussion der Euler-Gleichung fur stationareStromungen. Wir hatten Gl. (2.2b) fur isentropische Fluide, und aus derVektoranalysis kennen wir 1

2∇v2 = v × (∇ × v) + (v · ∇)v, so dass wir als

weitere Version der Euler-Gleichung schreiben konnen

∂v

∂t+ 1

2∇v2 − v ×∇× v = −∇η + f , (2.2f)

fur stationare Stromungen mit Potentialkraft f = −∇u also

12∇v2 − v ×∇× v = −∇η + f . (2.64)

Wenn also die Stromung stationar ist, konnen wir den Begriff der Stromlinieneinfuhren, die uberall tangential zur Geschwindigkeit v sind. Auf ihnen giltdr = vdt und daher

dx

vx=

dy

vy=

dz

vz(= dt). (2.65)

Der Einheits-Tangentenvektor an die Stromlinien ist t = v/|v| = dr/ds mitds = |v|dt, der Bogenlange. Wenn wir nun (2.64) skalar mit t multiplizierenund ausnutzen, dass fur jeden Vektor V gilt t · ∇V = (dr/ds) · (∂V /∂r) =dV /ds, dann finden wir

d

ds(1

2v2 + η + u) = 0, (2.66)

weil t auf dem Kreuzprodukt senkrecht steht. Es folgt, dass entlang einerStromlinie die Bernoulli-Gleichung gilt:

12v2 + η + u = const. (2.67)

Die Konstante kann von Stromlinie zu Stromlinie variieren. Bei inkompressi-blen Fluiden ist η = p/ρ + const. Mit Hilfe dieser Gleichung diskutiert manz. B. die Tatsache, dass bei erhohter Geschwindigkeit in einem enger werden-den Kanal der Druck geringer wird – so dass bei aneinander vorbei fahrendenICE-Zugen auch schon mal eine Tur herausgesogen werden kann.

21

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2.5 Wirbelstarke, Potentialstromung

Bei isentropen Stromungen idealer Fluide folgert man mit Hilfe der Euler-schen Gleichung, dass die Zirkulation

Γ :=

∮γ

v · dr =

∫A

(∇× v) · d2r, (2.68)

als Integral uber einen geschlossenen Weg γ = ∂A, der ganz innerhalb desFluids liegt und ein einfach zusammenhangendes Gebiet A umschließt, zeit-lich konstant ist, sofern man mit d/dt wieder die substantielle Ableitungmeint, also bei der Anderung die Bewegung des Weges mit der Stromungberucksichtigt. Zum Beweis siehe Landau-Lifshitz § 8. Insbesondere bedeu-tet dies (fur infinitesimal kleine Flachen A), dass die lokale Wirbelstarke(engl.: vorticity) ω = ∇ × v langs der Stromung konstant ist. Wenn nuneine Stromung, etwa an einem Hindernis vorbei, aus einem Bereich kommt,in dem v = const und daher ω = 0 ist, dann sollte das uberall so bleiben,auch noch hinter dem Hindernis. Man spricht dann von Potentialstromung,denn wenn ∇ × v = 0 in einem einfach zusammenhangenden Gebiet, dannexistiert ein skalares Feld φ(r), so dass v(r) dessen Gradient ist:

v(r) = ∇φ(r). (2.69)

Bei Stromungen, die an einem Hindernis vorbeiziehen (z. B. einer Kugel),gibt es hiermit allerdings ein subtiles Problem. In der Menge der moglichenLosungen der Euler-Gleichungen (mit Randbedingung: v muss tangential zurOberflache sein) sind solche, die ein Stuck weit an der Oberflache des Hinder-nisses entlang laufen und sich dann mit stetiger Tangente ablosen. Der Punkt,an dem die Ablosung stattfindet, ist weitgehend willkurlich, so dass es un-endlich viele dieser Losungen gibt. Sie schließen hinter dem Hindernis einenBereich ein, in dem das Geschwindigkeitsfeld v verschwindet. An der Grenzegibt es dann einen Sprung, was effektiv eine nicht verschwindende Zirkulationbedeutet fur einen Weg, dessen Mittelpunkt auf der Grenze liegt. Das stehtnicht in Widerspruch zum oben Gesagten, weil fur Punkte auf der Oberflachedes Hindernisses die Zirkulation gar nicht definiert ist, denn man kann keinegeschlossenen Wege um sie herum legen. Physikalisch spielen die Losungen,bei denen es einen derart stromungsfreien Schatten hinter dem Hindernisgibt, kaum eine Rolle, denn bei endlicher Viskositat µ kommt so etwas nichtvor. Da gibt es an der Oberflache des Hindernisses die strikte Randbedingungv = 0 (no slip), und damit ist die Losung eindeutig bestimmt. Sie hat aller-dings den Charakter, in einer Grenzschicht nahe der Oberflache prinzipiellanders zu sein als weiter draußen und nach dem Ablosen der Grenzschicht

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vom Hindernis Wirbelstraßen auszubilden. Das Konzept der Grenzschichtenwurde 1904 von L. Prandtl eingefuhrt, T. von Karman klarte 1911 den Cha-rakter der nach ihm benannten Wirbelstraßen. Ein lesenswerter Artikel dazuist [16]. Bei geeigneter Skalierung verschwindet die Grenzschicht auch im Li-mes µ→ 0 nicht, und deshalb ist dieser Limes verschieden von der Physik deridealen Fluide, bei der von vornherein µ = 0 angenommen wird. Die auchim Limes µ → 0 abgeloste unendlich dunne Grenzschicht verhindert, dassman im ganzen Gebiet um das Hindernis herum Potentialstromung anneh-men kann; hinter dem Hindernis gibt es eine Schicht, die mathematisch alsVerzweigungsschnitt zu beschreiben ist, also als Unstetigkeit, bei der gewisseGroßen einen Sprung machen. Wir werden darauf zuruckkommen, nachdemwir die Navier-Stokes-Gleichungen diskutiert haben.

Trotz dieser prinzipiellen Probleme mit idealen Fluiden und der Annahmev⊥ = 0 an Randern ist es fur viele Zwecke sinnvoll, den Fall der reinen Poten-tialstromung zu betrachten. Dann haben wir uberall v = ∇φ. Eingesetzt indie Euler-Gleichung (2.2f) auf S. 21 incl. Potential fur die außere Kraftdichtefindet man

∂φ

∂t+ 1

2v2 + η + u = f(t) (2.70)

mit einer beliebigen Funktion f(t), die nicht vom Ort abhangt und deswe-gen als Eichfunktion von φ absorbiert werden kann. Man kann sie deswegenauch als Null annehmen (was dann eine bestimmte Eichung darstellt). Beistationaren Stromungen findet man dann wieder die Gleichung (2.67), diewir von der Bernoulli-Stromung kennen. Allerdings kann dort die Konstantevon Stromlinie zu Stromlinie verschieden sein, wahrend sie hier im ganzenFluid dieselbe ist (und nur von der Wahl des Energie-Nullpunkts abhangt).

Wenn das Fluid noch inkompressibel ist, dann gilt außer ∇ × v = 0 auch∇ · v, so dass wir fur φ die Laplace-Gleichung finden,

∆φ = 0, (2.71)

die dann fur passende Randbedingungen zu losen ist. Hier begegnet sich dieHydrodynamik mit der Elektrodynamik und anderen Bereichen der Physik.Zur Losung (das Problem sind die Randbedingungen) gibt es die Methodeder Greenschen Funktionen, aber in vielen Fallen (den meisten!) ist das Pro-blem

”chaotisch“.

Im Falle zweidimensionaler Stromungen inkompressibler Fluide gibt es einenschonen Trick, der auch in der E-Dynamik bekannt ist: die Methode der

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harmonischen Funktionen bzw. konformen (d. h. winkeltreuen) Abbildungen.Da namlich

∇ · v =∂vx∂x

+∂vy∂y

= 0, (2.72)

gibt es eine Stromfunktion ψ(x, y), so dass

vx =∂ψ

∂y, vy = −∂ψ

∂x, (2.73)

denn (2.72) ist dazu die Integrabilitatsbedingung. Entlang der Stromlinien,s. (2.65), gilt vxdy − vydx = 0, woraus dann folgt

∂ψ

∂ydy +

∂ψ

∂xdx = dψ = 0, (2.74)

d. h. die Stromfunktion ist langs der Stromlinien konstant. Andererseits istdas Potential φ(x, y) konstant auf Linien senkrecht dazu, denn v = ∇φ.Darum bilden die Linien φ = const und ψ = const ein System orthogonalerKoordinatenlinien, und so etwas kennt man von den Linien konstanter Real-und Imaginarteile holomorpher Funktionen. Es liegt also nahe, das Problemfolgendermaßen zu komplexifizieren:

z = x+ iy, w(z) = φ(x, y) + iψ(x, y). (2.75)

Denn es gelten die Cauchy-Riemann-Dgln

∂φ

∂x=∂ψ

∂y= vx,

∂φ

∂y= −∂ψ

∂x= vy. (2.76)

Man hat daher zu jeder analytischen Funktion z 7→ w(z) ein Stromlinienfeld,wenn nur die Berandung des stromenden Fluids durch Linien Imw = ψ =const gegeben und w auf der Berandung bis auf diese Konstante reell ist.Einfachstes Beispiel: w(z) = cz und Berandung durch zwei Linien y = a,y = b. Dann ist φ = cx und das Geschwindigkeitsfeld v = ∇φ = (c, 0); dieStromlinien sind Linien y = const.

Ein interessanteres Beispiel ist die ideale Stromung um einen Zylinder vonRadius R, der in seiner Langsrichtung unendlich ausgedehnt sei. Im Unend-lichen soll die Stromung die konstante Geschwindigkeit v = (v0, 0) haben.Wir behaupten, dass die holomorphe Funktion

w(z) = v0z + v0R2

z(2.77)

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diese Situation beschreibt. Das sieht man wie folgt ein. Mit r2 = x2+y2 = |z|2sind Real- und Imaginarteil von w(z)

φ(x, y) = v0x(

1 +R2

r2

), ψ(x, y) = v0y

(1− R2

r2

). (2.78)

Mit v = ∇φ und (x, y) = r(cosϕ, sinϕ) erhalten wir daraus das Geschwin-digkeitsfeld4

vx =∂φ

∂x= v0 − v0

R2

r4(x2 − y2) = v0 −

R2

r2v0 cos 2ϕ,

vy =∂φ

∂y= 0− v0

R2

r42xy = −R

2

r2v0 sin 2ϕ.

(2.79)

Daraus sehen wir schon, dass die Randbedingung im Unendlichen erfulltist, v → (v0, 0). Auf der Oberflache des Zylinders ist r = R und daherv = v0

((1 − cos 2ϕ),− sinϕ

); bei ϕ = 0 und π ist die Geschwindigkeit Null

(Staupunkte), ansonsten ist sie tangential zum Zylinder und mit v = (2v0, 0),v2 = 4v2

0, maximal bei ϕ = ±π/2. Eine Gleichung, die die Stromlinien ψ =cv0 = const charakterisiert, erhalten wir aus dem zweiten Teil von (2.78):

c = y − R2

r2y ⇒ sinϕ =

cr

r2 −R2(r > R). (2.80)

Fur c = 0 sind y = 0 (die Symmetrieachse) und r = R (Oberflache desZylinders) Teile der Stromlinie. Sie teilt sich am Staupunkt (x, y) = (−R, 0)und kommt am gegenuber liegenden Punkt (R, 0) wieder zusammen. Strom-linien mit c > 0 verlaufen bei positiven y, solche mit c < 0 bei negativen.Das Stromungsbild ist symmetrisch sowohl zur x-Achse als auch zur y-Achse.

Mit Hilfe der Bernoulli-Gleichung 12ρv2 + p = const konnen wir auch das

Druckfeld berechnen. Aus (2.79) finden wir

v2 = v20

(1− 2

R2

r2cos 2ϕ+

R4

r4

). (2.81)

Deshalb ist das Druckfeld gegeben durch

p(r, ϕ) = p0 + 12ρv2

0

(2R2

r2cos 2ϕ− R4

r4

), (2.82)

wobei p0 der Druck im Unendlichen ist. An der Oberflache des Zylinders hatp gegenuber p0 bei ϕ = 0 und ϕ = π, also an den beiden Staupunkten, einen

4Verwechseln Sie bitte nicht die beiden verschiedenen Versionen des griechischen phi,φ und ϕ.

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um 12ρv2

0 erhohten Wert, an den Stellen ϕ = ±π/2 ist der Druck jedoch um32ρv2

0 erniedrigt. Bei cos 2ϕ = 1/2 oder ϕ = ±30 und ϕ = ±150 ist derDruck auf dem Zylinder derselbe wie im Unendlichen. Die Linien, auf denendas fur r > R der Fall ist, sind durch cos 2ϕ = R2/2r2 charakterisiert. Furr →∞ gehen diese Winkel gegen ±45 und ±135.

In Abb. 3 werden links Aquipotentiallinien und Stromlinien gezeigt, rechtsder Verlauf der Isobaren.

Abbildung 3: Links: Verlauf des Potentials φ(x, y) (Streifenmuster) und einigerStromlinien v. Letztere stehen auf den Aquipotentiallinien senkrecht. Rechts: Iso-baren. In der Nahe der horizontalen x-Achse ist der Druck zur Kugel hin erhoht,in der Nahe der Ebene x = 0 ist er erniedrigt; rot: p > p0, blau: p < p0.

Aufgabe 6: Das komplexe Potential w(z) = czπ/α beschreibt Stromungen,die durch zwei ebene Platten berandet werden, welche bei z = 0 im Win-kel α zusammentreffen, 0 < α < 2π. Diskutieren Sie das Stromungsfeldinsbesondere auch bei z → 0 und im Unendlichen. (Hinweis: benutzen SiePolarkoordinaten.)

In zwei Dimensionen ist diese Methode, die Laplace-Gleichung mit Hilfe holo-morpher Funktionen zu losen, sehr stark. Leider gibt es in drei Dimensionennichts Vergleichbares. Hier ist das Losen der Laplace-Gleichung eine Kunst,und sie gelingt eigentlich nur in Ausnahmefallen, wenn namlich das Problemin eindimensionale Probleme zerlegt – separiert – werden kann. Als einfa-ches Beispiel diskutieren wir das Stromungsfeld vor einem Staupunkt. DieserPunkt werde als Ursprung des Koordinatensystems gewahlt, und die Ober-flache des angestromten Korpers sei dort lokal als (x, y)-Ebene angenommen.

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Das Potential φ(x) werde fur kleine x, y, z bis zur zweiten Ordnung entwi-ckelt:

φ(r) = ax+ by + cz + Ax2 +By2 + Cz2 +Dxy + Eyz + Fzx. (2.83)

Es werden die Koeffizienten dann dadurch bestimmt, dass ∆φ = 0 und dieRandbedingung v = ∇φ = 0 bei r = 0 gilt: a = b = c = 0 und C = −A−B,E = F = 0. Den Term Dxy kann man durch Drehung um die z-Achse zumVerschwinden bringen. Es bleibt dann

φ(r) = Ax2 +By2 − (A+B)z2. (2.84)

Daraus folgt vx = 2Ax, vy = 2By, vz = −2(A + B)z. Fur Stromlinien giltnun dx/vx = dy/vy = dz/vz oder

dx

Ax=

dy

By= − dz

(A+B)z. (2.85)

Eine dieser Gleichungen hat die Losung

1

Alog x = − 1

A+Blog z + c ⇒ zx1+B/A = c1, (2.86)

die andere analogzy1+A/B = c2. (2.87)

Wenn das Stromungsfeld bzgl. der z-Achse rotationssymmetrisch ist, gilt A =B und daher

zx2 = c1, zy2 = c2. (2.88)

Das ist eine kubische Hyperbel. Wenn die Situation dagegen von y un-abhangig ist (Zylinder), ist B = 0 und daher zx = const – das ist einenormale Hyperbel.

Interessanter ist die Losung der Gleichungen fur das Stromungsprofil um eineKugel von Radius a, die mit konstanter Geschwindigkeit u durch ein ruhen-des Fluid gezogen wird. Aquivalent dazu ist das Feld um eine ruhende Kugel,wenn es in großem Abstand von ihr den konstanten Wert −u hat. Wir neh-men den ersten Standpunkt ein und setzen den Koordinatenursprung in denMittelpunkt der Kugel. Das Potential φ(r) soll im Unendlichen verschwindenund lasst sich nach Ableitungen von 1/r entwickeln (Multipolentwicklung):

φ =c

r+A · ∇1

r+ ... (2.89)

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Zuerst mache man sich klar, dass der Monopolanteil verschwindet, c = 0,denn in Analogie zur Elektrodynamik wurde er ein zentralsymmetrisches v-Feld generieren, das zwar mit r →∞ abfallt, das aber einen konstanten Flussnach außen oder innen bedeutet, wenn man Kugelflachen unterschiedlicherRadien um den Korper herum legt. Das ist hier aber nicht der Fall. Also istder niedrigst mogliche Term in der Entwicklung ein Dipol-Term

φ = A · ∇1

r⇒ v = ∇φ = (A · ∇)∇1

r=

3(A · r)r −Ar3

. (2.90)

Dabei ist r Einheitsvektor in Richtung r und A ein konstanter Vektor, denman aus der Randbedingung erhalt, dass auf der Oberflache der Kugel dieNormalkomponenten von v und u gleich seien:

v · r = u · r ⇒ 2A · ra3

= u · r. (2.91)

Da dies fur alle Punkte auf der Kugel gelten soll, muss A = (a3/2)u sein,also

φ = − a3

2r2u · r, v =

a3

2r3

(3r(u · r)− u

). (2.92)

Da man die Randbedingung auf diese Weise vollstandig erfullt hat, kommenvon der Entwicklung (2.89) keine weiteren Terme vor. Bei anders geformtenKorpern ware das anders, musste man auch hohere Kugelfunktionen beruck-sichtigen.

Nimmt man die u-Richtung als z-Achse, u = (0, 0, u), und betrachtet dasv-Feld in der (x, z)-Ebene (es ist rotationssymmetrisch bzgl. der z-Achse),mit r = (sinϑ, 0, cosϑ), dann ist

v =a3

r3

u

2(3 sinϑ cosϑ, 0, 3 cos2 ϑ− 1). (2.93)

An den beiden Staupunkten ist v = u, auf dem Aquator der Kugel ist v =−u/2. Interessant ist noch die Druckverteilung, die man mit (2.70) erhalt,wobei fur inkompressible Fluide η = p/ρ gilt:

p0 = p+ 12ρv2 + ρ

∂φ

∂t. (2.94)

Die Ableitung ∂φ/∂t ergibt sich aus folgender Uberlegung. Das zeitlich kon-stante Potential, das wir hier berechnet haben, ist auf die bewegte Kugelbezogen. Die Vektoren r haben ihren Ursprung im Mittelpunkt der Kugel.

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Wenn wir dieselben Punkte aber von einem raumfesten Bezugssystem mit r′

bezeichnen, dann gilt der Zusammenhang r = r′ − ut. Es gilt nun

0 =dφ(r)

dt=

dφ(r′ − ut)dt

=dφ(r′, t)

dt=∂φ

∂t+

dr′

dt·∇φ =

∂φ

∂t+u·∇φ (2.95)

Deshalb ist also∂φ

∂t= −u · ∇φ (2.96)

und somit das Druckfeld

p = p0 +1

2ρu2a

3

r3

(3 cos2 ϑ− 1− a3

4r3(3 cos2 ϑ+ 1)

). (2.97)

Auf der Oberflache der Kugel reduziert sich das zu

p = p0 +1

8ρu2(9 cos2 ϑ− 5). (2.98)

Wenn wir diese Ergebnisse im Bild darstellen wollen, empfiehlt es sich, denGesichtspunkt umzudrehen und die Kugel als ruhend, das Fluid als stromendanzusehen. Wir zeichnen in Abb. 4 einen (z, x)-Querschitt durch die axial-symmetrische Anordnung. Die schwarzen Linien sind Stromlinien, die uberalltangential zum Vektorfeld v−u liegen; wir denken uns das Fluid nach linksoder die Kugel nach rechts stromen. Dieses Bild wurde durch Integration derGleichung dx/(vx−ux) = dz/(vz−uz) gewonnen, die mit (2.93) in die Form

dx

dz=

3xz

2z2 − x2 − 2(x2 + z2)5/2/a3(2.99)

gebracht werden kann. Das zugehorige Potential φ(r) − u · r ist in der Ab-bildung als Streifenmuster geplottet. Dazu wurde die (z, x)-Ebene gescanntund jeweils das Potential berechnet. Naturlich kann man auch hier einzelneAquipotentiallinien zeichnen, indem man die Gleichung

φ− u · r = −2r3 + a3

2r3uz = const (2.100)

in eine Differentialgleichung verwandelt. Durch Entwicklung von (2.100) inder Umgebung der Staupunkte (z, x) = (±1, 0) findet man ubrigens, dass dieAquipotentiallinien dort mit den Steigungen dx/dz = ±

√2 auftreffen, was

einem Winkel von 54.7 entspricht.

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Abbildung 4: Links: Verlauf des Potentials φ(r)−u·r (Streifenmuster) und einigerStromlinien v −u. Letztere stehen auf den Aquipotentiallinien senkrecht. Rechts:Isobaren. In der Nahe der horizontalen z-Achse ist der Druck zur Kugel hin erhoht,in der Nahe der (x, y)-Ebene ist er erniedrigt; rot: p > p0, blau: p < p0.

Mit dem Stromungsfeld (2.92) ist eine Energie und auch ein Impuls verbun-den, die bei der Bewegung der Kugel durch das Fluid aufgebracht werdenmussen. Etwas allgemeiner wollen wir die Dipolstromung (2.90) betrachten,bei der der Vektor A von der Gestalt des Korpers und der Geschwindigkeitu anders abhangen kann als bei der Kugel; man muss dazu die Laplace-Gleichung ∆φ = 0 losen, was z. B. fur Ellipsoide exakt moglich ist, fur diemeisten Geometrien aber nur naherungsweise in Form von Reihenentwick-lungen. Wir werden deshalb zwar von einem allgemeinen A arbeiten, aberan das der Kugel denken.

Die Energie setzt sich aus innerer und kinetischer Energie zusammen. Bei in-kompressiblen Fluiden ist aber die innere Energiedichte konstant (dε = Tds−(p/ρ2)dρ = 0), so dass wir nur die kinetische Energie betrachten mussen. Wirintegrieren uber eine Kugel mit großem Radius R, außerhalb des Korpers mitVolumen V0, und lassen spater R→∞ gehen. Mit v2 = u2 + (v2 − u2) ist

E = 12ρ

∫v2d3r = 1

∫u2d3r + 1

∫(v + u) · (v − u)d3r. (2.101)

Das erste Iintegral gibt 12ρu2(V − V0), im zweiten schreiben wir v + u =

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∇(φ+ u · r) und benutzen ∇ · v = 0 und ∇ · u. Dann wird

E = 12ρu2(V − V0) + 1

∫∇((φ+ u · r)(v − u)

)d3r

= 12ρu2(V − V0) + 1

∮(φ+ u · r)(v − u) · d2r.

(2.102)

Das letzte Integral geht uber die Oberflachen der großen Kugel und desKorpers. Letzteres aber gibt Null, weil die Normalkomponenten v · d2r =u · d2r sind. Es bleibt auszuwerten mit d2r = R2rdo

(φ+ u · r)(v − u) · d2r

=(−A · r

R2+ u · rR

)(3(A · r)r −AR3

− u)· rR2do

= −(u · r)2R3do+A · rR2

u · rR2do+3A · rR3

u · rR3do− A · rR3

u · rR3do

= −(u · r)2R3do+ 3(A · r)(u · r)do+O(1/R3)

(2.103)

Benutzt man nun u = (0, 0, u), A = (0, 0, A) und r = (·, ·, cosϑ), dann ist

die Integration mit∮...do = 2π

∫ 1

−1...d cosϑ leicht ausgefuhrt und gibt

E = 12ρ(4πA · u− V0u

2) = 14ρV0u

2 = 14mu2. (2.104)

Die erste Gleichung gilt etwas allgemeiner als die obige Herleitung (auch wennA nicht in Richtung von u steht, was von der Gestalt des Korpers abhangt),die zweite Gleichung gilt speziell fur die Kugel wegen A = (a3/2)u. In jedemFall hangt aber A linear von u ab, so dass allgemein gilt

E = 12mikuiuk (2.105)

mit einem symmetrischen induzierten Masse-Tensor. Im Fall der Kugel istmik = 1

2mδik mit m = ρV0 der Masse des durch den Korper verdrangten

Fluids.

Um auch den Impuls P des durch den Korper in Bewegung gesetzten Flui-dums zu berechnen, benutzen wir aus der klassischen Mechanik die GleichungdE = u · dP = u ·Fdt; das ist die Arbeit, die eine Kraft F in der Zeit dt andem Fluid verrichtet, wenn sie den Korper beschleunigt. Das bedeutet aber

Pi = mikuk oder P = ρ(4πA− V0u), (2.106)

und speziell fur die Kugel P = 12mu.

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Der Korper gibt pro Zeiteinheit den Impuls dP /dt an das Fluid ab. Dasbedeutet, dass dieses eine Kraft

F = −dP

dt(2.107)

auf den Korper ausubt. Nun ist aber bei Potentialstromungen P = const,also F = 0. Es kostet also keine Kraft, den Korper durch das Fluid zu zie-hen. Dies wird als d’Alembertsches Paradox bezeichnet, entwpricht aber derAnnahme, dass keine Dissipation stattfindet. Das ist nichts Anderes als diezu Galileis Zeiten noch uberraschende Aussage, dass ein Wagen auf ebenerStrecke ohne Kraftaufwand fahren konnen sollte. So wie dort die beobachte-te Kraft gegen die Reibung aufgewendet werden muss, ist es auch hier: erstunter Hinzunahme der Viskositat kommt man der Realitat nahe. Wir werdendas Problem der Kugel spater noch einmal betrachten und den StokesschenAusdruck fur die Kraft herleiten.

Die Kraft (2.107) spielt aber schon in idealen Fluiden eine Rolle, wennnamlich außere Krafte f auf den Korper wirken. Diese verandern den Ge-samtimpuls (Korper mit Masse m0 = ρ0V0 plus Fluid) gemaß

m0du

dt+

dP

dt= f bzw. (m0δik +mik)

dukdt

= fi. (2.108)

Im Fall einer Kugel ist die virtuelle Masse m0 + 12m, wobei m = ρV0 die

Masse des verdrangten Fluids ist.

2.6 Energie- und Impuls-Bilanz

Statt der Gleichung fur die Entropiedichte ist haufig die fur die Energiedichtevon Interesse. Man rechnet die eine in die andere um, indem man noch diebeiden anderen Gln. zu Hilfe nimmt (s. Landau-Lifshitz). Das Resultat istzunachst nicht ganz offensichtlich:

∂t

(12ρv2 + ρε

)+∇ ·

(ρv(1

2v2 + η)

)= 0. (2.109)

Dabei ist ρε die innere Energie pro Volumeneinheit; zusammen mit der Vo-lumendichte der kinetischen Energie steht links die Anderung der gesamtenEnergiedichte an einem Ort. Sie wird bestimmt durch die Divergenz nicht derEnergiestromdichte, sondern der Enthalpiestromdichte! Der Grund: nicht dasVolumen eines Flussigkeitselements wird kontrolliert, sondern der Druck, sodass auch die Druckkrafte Arbeit auf das stromende Fluid ausuben. Man

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sieht das an der integralen Form der Gleichung, nachdem man das Volumen-integral uber die Divergenz in ein Oberflachenintegral umgewandelt hat:∫

ρv(12v2 + η)d3r =

∮ρv(1

2v2 + ε) · d2r +

∮pv · d2r (2.110)

(wegen η = ε+p/ρ). Der Term ganz rechts beschreibt den Einfluss der Druck-krafte. Man muss also ρv(1

2v2 + η) als Energiestromdichte ansehen.

Analog kann man die Euler-Gleichung fur das Geschwindigkeitsfeld umschrei-ben in eine Gleichung, die als Erhaltung des Impulses zu interpretieren ist.Man schreibt sie am besten in Komponenten hin, weil sonst der Vektorcharak-ter nicht so leicht zu erkennen ist. Fur die i-te Komponente der Impulsdichteρvi erhalt man – wiederum durch Umrechnung der Gln. (2.1), (2.2) –

∂(ρvi)

∂t+∂Πik

∂xk= 0, Πik = pδik + ρvivk. (2.111)

Bei festem i ist das wiederum als Kontinuitatsgleichung zu lesen: die Ande-rung der i-ten Komponente des Impulses ist die negative Divergenz eines Im-pulsstroms Πik. Dieser hat einen

”skalaren“ Anteil, der vom Druck herruhrt,

und einen, der direkt mit dem Fluss des kinetischen Impulses verknupft ist.Man nennt Πik den Impulstensor, weil er sich tatsachlich wie ein Tensorverhalt. Anmerkung: die obige Betrachtung gilt fur den Fall, dass die Gravi-tationskraft keine Rolle spielt. Berucksichtigt man den Term g in der Euler-Gleichung, dann ist im Impulstensor der Druck p zu erganzen um die Ener-giedichte des Gravitationsfelds, also p→ p− ρg · r (wobei Inkompressibilitatρ = const angenommen ist.)

2.7 Oberflachenspannung. Laplace-Formel

Ein besonderes Problem stellen freie Oberflachen von Fluiden dar. Dabeiist im Allgemeinen in Rechnung zu stellen, dass aufgrund von Oberflachen-spannung zusatzliche Krafte auftreten. Ich mochte nur kurz auf deren Natureingehen (§60 in Landau-Lifshitz [18]. Abschnitt 15 in Greiner-Stock [14])und danach dann Schwerewellen diskutieren. Das ist alles noch im Rahmender Gleichungen fur ideale Fluide moglich.

Wir betrachten eine Grenzflache zwischen zwei Fluiden (z. B. Wasser undLuft). Als außere Kraft f nehmen wir in der Regel die Schwerkraft, die innegative z-Richtung ziehen soll, also durch das Potential u = gz beschriebenwird. Das untere Fluid habe den Druck p1 und die Dichte ρ1, das obere p2

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und ρ2. Ausgangspunkt der Betrachtung ist meist die Situation, dass die(x, y)-Ebene z = 0 im Gleichgewicht die Grenzflache darstellt. Wenn nun dieGrenzflache durch irgendwelche Einflusse etwas verandert wird, kann manihre Lage durch eine Funktion z = δζ(x, y) beschreiben. Ist d2f = dxdy einFlachenelement in der unverschobenen Flache, dann ist das Volumenelementzwischen den beiden Flachen δζd2f , und die Arbeit, die bei der Verschiebungdes Flachenelements von z = 0 nach z = δζ gegen Druck und Potentialkraftgeleistet wird, ist

δA =

∫(p2 − p1) δζd2f +

∫(ρ2u2 − ρ1u1) δζd2f. (2.112)

Es wird aber in der Regel die Grenzflache nicht einfach nur verschoben, son-dern dabei auch deformiert, und das ist mit einer Energie pro Flacheneinheitverbunden, die man Oberflachenspannung nennt. Wenn die Flache um einenBetrag δf großer wird, muss eine Energie α δf aufgewendet werden. Mannennt α den Spannungskoeffizienten. Im Falle einer Grenzflache zwischenWasser und Luft bei 20C ist α = 7.25 · 10−2 J/m2, bei flussigen Metallenan Luft ist er deutlich großer, z. B. α = 4.76 · 10−1 J/m2 fur Quecksilber bei20C. Wir mussen uberlegen, um wieviel δf großer ist als d2f , wenn die Formder Grenzflache ζ(x, y) gegeben ist. Ohne tief in die Differentialgeometrie vonFlachen im Raum einzusteigen (s. die ausfuhrliche Diskussion am Ende vonAbschnitt 15 in [14]), kann man sich klar machen, dass es auf die Krummungder Flache ankommt, also auf die zweiten Ableitungen von ζ nach x und y.Genauer: die Flache z = ζ(x, y) hat in jedem Punkt zwei Hauptkrummungs-richtungen, die aufeinander senkrecht stehen. Zu ihnen gehoren Krummungs-radien R1 und R2, die positiv oder negativ sein konnen. Wir nehmen sie alspositiv an, wenn der jeweilige Krummungsmittelpunkt in dem Fluid 1 liegt,als negativ, wenn er im Fluid 2 liegt. Wenn R1 und R2 beide positiv sind, istdie Flache an der betrachteten Stelle zum Fluid 1 hin gekrummt; wenn beidenegativ sind, ist sie vom Fluid 1 weg gekrummt. Ist ein Radius positiv, derandere negativ, dann hat die Flache dort eine Sattelstruktur. Die Anderungder Flache eines Flachenelements auf Grund der Krummung hangt von derSumme der beiden Krummungen ab:

δf =( 1

R1

+1

R2

)dζd2f. (2.113)

Solange δζ uberall klein ist, gilt die Gleichung

1

R1

+1

R2

= −(∂2ζ

∂x2+∂2ζ

∂y2

). (2.114)

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Nach dieser Betrachtung konnen wir die gesamte Arbeit, die fur die Grenz-flache δζ(x, y) aufzubringen ist, wie folgt schreiben,

δA =

∫ [p2 − p1 + ρ2u2 − ρ1u1 + α

( 1

R1

+1

R2

)]δζd2f. (2.115)

Im Gleichgewicht muss diese Arbeit fur beliebige Variationen der Grenzflacheverschwinden, deshalb muss bereits der Integrand verschwinden:

p1 − p2 = ρ2u2 − ρ1u1 + α( 1

R1

+1

R2

). (2.116)

Dies ist die Laplace-Formel fur die Druckdifferenz an Grenzflachen zwischenFluiden. Wir schauen uns jetzt einige Anwendungen dieser Formel an.

Der triviale Fall ist der einer unendlich ausgedehnten ebenen Grenzflachez = 0. Die beiden Krummungsradien sind Unendlich, das Gravitationspoten-tial u = gz = 0 ist dort fur beide Fluide gleich, also muss im Gleichgewichtauch p1 = p2 sein. Interessant wird es, wenn die Grenzflache nicht eben istwie z. B. bei Seifenhauten oder an den Randern der Oberflache.

Der einfachste Fall ist der eines kugelformigen Wassertropfchens von Ra-dius R in Luft, bei dem wir die Schwerkraft vernachlassigen konnen. MitR1 = R2 = R ist p1 − p2 = 2α/R, der Druck im Innern des Tropfens alsoum 2α/R groser als draußen. Dasselbe gilt fur Gasblasen in einer Flussigkeit:der Druck im Innern ist immer großer als draußen, weil die Oberflache eineTendenz hat, sich zusammenzuziehen und nur ein erhohter Innendruck dementgegen wirken kann. Kleinere Blasen oder Tropfchen haben einen hoherenInnendruck als großere, deshalb werden sie bei Begegnungen verschluckt. Mitdem Wert α = 0.0725 J/m2 ist die Druckdifferenz ein bar, wenn R ≈ 1.4µist, was etwa biologischen Zellen entspricht. Dieser hohe Druck wurde zumPlatzen der Zellen fuhren; die seifenartige Lipidmembran setzt allerdings dieOberflachenspannung und damit den Gleichgewichtsdruck herab.

Eine Variation dieses Themas sind Seifenblasen. Sie haben innen Luft, danneine Seifenhaut mit einem inneren Radius Riund einem außeren Ra, schließ-lich außen wieder Luft. Zwischen Innenraum und Seifenhaut ist die Druck-differenz 2α/Ri, zwischen Haut und Außenraum 2α/Ra. Da die Haut sehrdunn und beide Radien fast gleich sind, gilt zwischen innen und außen

pi = pa +4α

R. (2.117)

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Bei den Seifenblasen mit 10 cm Radius, wie Pic sie mit Leichtigkeit fabriziert,ware die Druckdifferenz 3·10−5 bar, wenn die Membran aus Wasser ware; mitSeife ist α und damit der Druck herabgesetzt.5 Fur die Lebensdauer dieserBlasen ist aber nicht der Druck verantwortlich, sondern die Verdunstung derHaut.

Den Einfluss der Schwerkraft konnen wir beurteilen, wenn wir uns klar ma-chen, dass bei einer Dichte von 1 g/cm3 = 103 kg/m3 der Druck ∆p = 1 baruber ∆z = ∆p/ρg einer Hohendifferenz von 10 m entspricht. Bei der Diskus-sion einer biologischen Zelle ist die Schwerkraft deshalb ganz unerheblich.Sie wird dagegen wichtig, wenn der Radius der Kugel in die Großenordnungkommt, bei der R ≈ (4α/R)/ρg ist, also R ≈ 5 mm.

Aufgabe 7: In einem Raum ohne Schwerkraft seien zwei parallele Ringe mitZentren im Abstand h auf der z-Achse und Radien R gegeben. Zwischen ih-nen hange ein Flussigkeitsfilm, der offenbar rotationssymmetrisch bzgl. derz-Achse ist und unter den gegebenen Randbedingungen eine Minimalflachedarstellt. Wie sieht sein Querschnitt r = r(z) aus, wenn r der Abstand vonder Symmetrieachse ist? – Welchen kritischen Wert muss h/R ubersteigen,damit eine solche Situation nicht mehr moglich ist? Der Film zerreißt dannin zwei Teile, die jeweils in den Ebenen der einzelnen Ringe liegen. Hinweis:Der Flacheninhalt einer Rotationsflache ist 2π

∫ √1 + r′2 rdz.

Die Schwerkraft kommt ins Spiel, wenn wir Probleme betrachten, bei denenuber einer Flussigkeit (Fluid 1) die Atmosphare (Fluid 2) steht. Deren Druckkann an der Grenzflache als konstant angesehen werden, die Dichte ρ2 alsvernachlassigbar gegenuber ρ1. Der Druck p1 ist direkt an der Grenzflachegleich p1, also ebenfalls konstant. Die Laplace-Formel wird dann

p1 = −ρ1gz + α( 1

R1

+1

R2

). (2.118)

Ohne den Term mit der Oberflachenspannung ware das die Gl. (2.6) fur denhydrostatischen Druck als Funktion der Hohe. Man fuhrt an dieser Stelle dieKapillaritatskonstante

a =

√2α

ρg(2.119)

der Flussigkeit ein. Sie hat die Dimension einer Lange und ist bei Wasser von20C a = 0.38 cm. Ihre Bedeutung liegt darin, dass auf Skalen, die kleiner

5Ich habe keine quantitativen Angaben fur die Oberflachenspannung von Seifenlosungengefunden. Fur Hinweise bin ich dankbar.

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sind als a, Effekte der Oberflachenspannung dominieren, auf Skalen groberals a ist die Schwerkraft wichtiger. Die Laplace-Formel ist hiermit schließlich

1

R1

+1

R2

− 2z

a2= p1 = const an der Oberflache. (2.120)

Hiermit konnen wir folgenden Typ von Aufgaben losen (Aufg. 2 in §60 von[18] oder Aufg. 15.4 in [14]). Die Oberflache z = 0 eines Fluids im Schwerefeld((x, y)-Ebene) grenze bei x = 0 an eine Wand ((y, z)-Ebene). Dort schließt siemit der Wand einen Winkel θ ein, der fur die Materialkombination von Fluidund Wand eine charakteristische Konstante ist (Wasser steigt an Glaswandenetwas hoch, 0 < θ < π/2, Quecksilber sinkt etwas nach unten, π/2 < θ < π).Man bestimme aus dieser Randbedingung und der Laplace-Formel den Ver-lauf z = ζ(x) der Oberflache.

Die Anordnung ist von y unabhangig, darum ist einer der KrummungsradienNull, 1/Ry = 0, der andere ist6 Rx = (1 + ζ ′2)3/2/ζ ′′, so dass die Laplace-Formel jetzt

ζ ′′

(1 + ζ ′2)3/2− 2ζ

a2= const (2.121)

lautet. Bei x → ∞ muss ζ und auch die Krummung gegen Null gehen, alsoist die Konstante Null. Multipliziert man die Gleichung mit ζ ′, dann lasst siesich als vollstandige Ableitung schreiben und sofort integrieren zu

1√1 + ζ ′2

= C − ζ2

a2. (2.122)

Wegen des Verhaltens bei x → ∞ muss C = 1 sein. Die weitere Integrationist komplizierter und lasst sich besser in der Form x = x(ζ) durchfuhren.Wenn man mit x = x/a und z = ζ/a dimensionslose Variablen einfuhrt, gibteine Separation der Variablen x und z die Gleichung

dx = − 1− z2

z√

2− z2dz. (2.123)

Dies lasst sich elementar integrieren. Wenn bei z = h = h/a gelten soll x = 0,dann ist das Ergebnis7

x = F (z)− F (h) (2.124)

6Vgl. hierzu elementare Kurvendiskussionen; man macht sich die Formel auch selbstleicht klar. Die einfache Gl. Rx = ζ ′′ gilt nur, falls ζ ′2 1 ist. Genaueres in Abschnitt (2.9).

7Sowohl Landau-Lifshitz als auch Greiner-Stock sind in ihren Endergebnissen nichtkorrekt.

37

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mit

F (u) =1√2

Artanh√

1− u2/2−√

2− u2

=1

2√

2log

1 +√

1− u2/2

1−√

1− u2/2−√

2− u2.

(2.125)

Eine Taylor-Entwicklung um z = h oder x = 0 gibt in linearer Ordnung

z = h− h√

2− h2

1− h2x = h− x cot θ. (2.126)

Der zweite Teil dieser Gleichung gibt den Zusammenhang von h mit demBenetzungswinkel θ an. Man kann ihn einfacher ausdrucken durch

h =√

1− sin θ. (2.127)

Daran erkennt man, dass h nicht großer als 1 werden kann. Fur Winkelθ > π/2 ist h = −

√1− sin θ zu nehmen und entsprechend andere Vorzeichen

in (2.125). Fur große x bzw. kleine z findet man einen exponentiellen Abfallvon z mit wachsendem x. Abb. 5 zeigt den Verlauf von z(x) fur h = 0.2, 0.6und 1.

Aufgabe 8: Berechnen Sie die Steighohe und die Form des Meniskus in ei-nem Kapillarrohr von Radius a, das in Wasser getaucht ist. Der Randwinkelsei wieder θ, gemessen von der Vertikalen nach unten und der Tangente anden Meniskus in der Wand: θ < π/2 entspricht einer hydrophilen Wand,θ > π/2 einer hydrophoben.

38

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Abbildung 5: Verlauf der Oberflache fur drei verschiedene Werte von h, die manjeweils an der z-Achse ablesen kann. Beachte: Abszisse x und Ordinate z sind nichtgleich skaliert.

2.8 Schwerewellen

An freien Oberflachen von Fluiden im Schwerefeld ist Wellenbewegung moglich,bei idealen Fluiden sogar ohne Dampfung, da es ja keine Dissipation gibt.Solche Wellen nennt man Schwerewellen (gravity waves) im Unterschied zuGravitationswellen, wie sie die ART vorhersagt. Die Wellenbewegung betrifftnaturlich auch Teilchen unterhalb der Oberflache; wir werden sehen, dass dieAmplituden mit der Tiefe exponentiell abfallen. Man muss deshalb flache undtiefe Gewasser unterscheiden, je nachdem, ob die Wellen den Boden erreichenoder nicht. Die Geschwindigkeiten der Teilchen in diesen Wellen sind so klein,dass man den konvektiven Term (v · ∇)v in der Euler-Gleichung relativ zu∂v/∂t vernachlassigen kann. Das sieht man so ein: Wenn τ die typische Zeiteiner Periode der Oszillation in der Welle ist, bewegen sich die Teilchen umeine Distanz von der Großenordnung der Amplitude a. Die Geschwindigkeitder Teilchen ist also etwa a/τ . Sie andert sich innerhalb der Welle auf typi-schen Zeiten τ und typischen Langen λ, der Wellenlange. Der Vergleich derGroßenordnungen der beiden Terme in der Euler-Gleichung gibt

(v · ∇)v ∼ 1

λ

(aτ

)2

,∂v

∂t∼ 1

τ

a

τ(2.128)

39

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Das Verhaltnis der beiden Terme ist a/λ, und wir nehmen an, dass die Ampli-tude der Teilchenbewegung klein ist im Vergleich zur Wellenlange. Wenn aberder konvektive Term in der Euler-Gleichung weggelassen werden kann, habenwir wieder Potentialstromung, mit v = ∇φ, so dass im Fluid die Gleichung∆φ = 0 ilt. Fur den Verlauf der Oberflache z = ζ(x, y) haben wir (2.70) inder Form

ρ∂φ

∂t+ p+ ρgz = 0, (2.129)

wobei der Term 12ρv2 mit einem analogen Argument wie (2.128) weggelassen

werden kann, aber gemaß (2.116) die Oberflachenspannung noch zu beruck-sichtigen ist:

p = −ρgζ − ρ∂φ∂t

= p0 − α(∂2ζ

∂x2+∂2ζ

∂y2

). (2.130)

Den konstanten Druck p0 der Atmosphare kann man mit φ→ φ′ = φ+(p0/ρ)tin das Potential φ aufnehmen, weil das fur v = ∇φ = ∇φ′ keinen Unterschiedmacht. Es gilt dann (wenn wir φ′ wieder als φ schreiben)

ρgζ + ρ∂φ

∂t

∣∣∣z=ζ− α

(∂2ζ

∂x2+∂2ζ

∂y2

)= 0. (2.131)

Wenn die Amplitude der Welle klein ist, konnen wir annehmen, dass vz =∂ζ/∂t ist, und weil vz = ∂φ/∂z, gilt

∂ζ

∂t=∂φ

∂z

∣∣∣z=ζ

(2.132)

Wir differenzieren deshalb (2.131) nach t und benutzen noch, dass wegen derkleinen Amplituden die Ableitungen bei z = ζ nicht sehr verschieden sindvon denen bei z = 0. So erhalten wir die Wellengleichung

ρg∂φ

∂z+ ρ

∂2φ

∂t2− α ∂

∂z

(∂2φ

∂x2+∂2φ

∂y2

)= 0 (2.133)

fur die Oberflache z = 0. Dies sehen wir als Randbedingung fur eine Wellen-bewegung etwa in x-Richtung an, fur die wir den Ansatz machen

φ = f(z) cos(kx− ωt). (2.134)

Das stecken wir zuerst in die Gleichung ∆φ = 0 und finden

d2f

dz2− k2f = 0. (2.135)

Die Losungen sind f = ekz und f = e−kz. Wenn die Welle den Boden nichterreicht, also fur die Tiefe d des Fluids gilt kd 1, dann kann nur die

40

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exponentiell abfallende Losung eine Rolle spielen (fur flache Gewasser sieheAufgabe 9), was wegen z < 0 unterhalb der Oberflache heißt

φ = Aekz cos(kx− ωt). (2.136)

Wenn wir damit in die Randbedingung (2.133) eingehen, finden wir

ω2 = gk + αk3/ρ. (2.137)

Diese Disperionsrelation hat zwei Regime. Im langwelligen Bereich k2 gρ/α oder ka 1 mit der Kapillaritatskonstante a von (2.119) ist

ω2 ≈ gk, (2.138)

die Frequenz wachst also mit der Wurzel aus der Wellenlange an. Fur dieGruppengeschwindigkeit U = ∂ω/∂k bedeutet das

U = 12

√g/k = 1

2

√gλ/2π, (2.139)

d. h. lange Wellen laufen schneller als kurze. Mit der bekannten Erdbeschleu-nigung finden wir, dass Wellen mit Wellenlangen von 1 km mit 20 m/s laufen,wahrend 1 m lange Wellen nur 0.6 m/s schaffen.

Im anderen Regime, ka 1, dominieren die Kapillarkrafte gegenuber derSchwerkraft. Dort ist

ω2 ≈ αk3/ρ, (2.140)

und die Gruppengeschwindigkeit ist

U = 32

√αk/ρ = 3

2

√2πα/ρλ. (2.141)

Sie steigt mit abnehmender Wellenlange an; bei λ = 1 mm ist sie fur Wasservon 20C 1.0 m/s. Es gibt also ein Minimum der Geschwindigkeit, das bei

kmin =0.556

a, λmin = 11.3a, ω2

min = 0.64

√g

a, Umin = 0.91

√ga (2.142)

liegt, wobei a die Kapillarlange aus (2.119) ist. Mit dem Wert a = 3.8 mmfur Wasser erhalten wir fur die minimale Geschwindigkeit Umin = 0.18 m/s;die Wellenlange ist dort λmin = 4.3 cm, die Schwingungsdauer 0.19 s.

Diese Ergebnisse erklaren Beobachtungen, die man an einer Wasseroberflachebei ruhigem Wind machen kann. Wenn kein Wind weht, sind nach einigerZeit alle Wellen ausgedampft, und die Oberflache ist spiegelglatt. Ein schwa-cher Wind mit Geschwindigkeit kleiner als Umin kann keine Wellen anregen.

41

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Erst eine etwas schnellere Windbo schafft das und regt zuerst die Wellen mitder minimalen Geschwindigkeit an, also Ripples von 4 bis 5 cm Wellenlange.Danach entwickeln sich auch die langeren und kurzeren Wellen, und mankann beobachten, wie diese um die Wette laufen (wobei die Dampfung zuerstdie kurzen Wellen aussterben lasst, aber das kann erst im Zusammenhangmit den Navier-Stokes-Gleichungen diskutiert werden, bei denen es Dissipa-tion gibt).

Eine sehr anregende Diskussion dieses Phanomens findet sich in dem le-senswerten Artikel [29] von Victor Weisskopf. Darin wird u. A. gezeigt, dassdie Kapillarlange das geometrische Mittel zwischen atomaren Langen (Bohr-Radius) und der maximalen Hohe von Bergen ist.

Die Geschwindigkeit der Welle ist nicht zu verwechseln mit der Geschwindig-keit der Teilchen des Fluids. Die erhalten wir mit v = ∇φ,

(vx, vz) = Akekz(− sin(kx− ωt), cos(kx− ωt)

), (2.143)

und nochmalige Integration gibt fur die Koordinaten (in der Nahe eines Punk-tes (x0, z0))

(x− x0, z − z0) = −Akω

ekz0(cos(kx0 − ωt), sin(kx0 − ωt)

). (2.144)

Die Teilchen vollfuhren also Kreisbewegungen, wobei die Radien der Krei-se mit der Tiefe exponentiell kleiner werden. Bei konstanter Amplitude Ader Wellen ist die Amplitude Ak/ω der Teilchenbewegung maximal fur k =√ρg/α =

√2/a bzw. λ = πa

√2.

Bei flachen Gewassern und auch bei Anwesenheit von Wanden (Tanks, Kanale)sind noch weitere Randbedingungen zu berucksichtigen. Dazu sei auf Landau-Lifschitz verwiesen. Außerdem sei erwahnt, dass im Innern von inkompressi-blen Fluiden transversale Schwerewellen propagieren konnen, bei denen Teil-chen um ihre Gleichgewichtshohe oszillieren. Diese Wellen breiten sich vorallem in horizontaler Richtung aus, s. §14 in [18].

Aufgabe 9: Bestimmen Sie Dispersionsrelation und Gruppengeschwindig-keit fur Schwerewellen in flachen Gewassern der Tiefe h; Effekte der Kapilla-ritat sollen ignoriert werden. Hinweis: die Normalkomponente der Geschwin-digkeit am Boden ist Null.

Als Letztes diskutieren wir noch die Schwingungen eines Tropfens inkompres-sibler Flussigkeit unter dem Einfluss der Kapillarkrafte. Dazu nehmen wir

42

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wieder an, dass im Inneren des Tropfens die Laplace-Gleichung ∆φ = 0 gilt,und wir suchen eine Randbedingung an der Oberflache in Analogie zu (2.131).Die Oberflache beschreiben wir mit Hilfe von Kugelkoordinaten in der Formr = r(ϕ, ϑ) = R+ρ(ϕ, ϑ), wobei wir annehmen wollen, dass ρ und seine erstenund zweiten Ableitungen klein sind im Vergleich zum Radius R des Tropfens.Dann konnen wir das Ergebnis (2.172) aus dem folgenden Abschnitt benut-zen, den ich als Anhang zur Vorlesung hier eingefugt, aber in der Vorlesungselbst nicht vorgetragen habe:

1

R1

+1

R2

=2

R− 2ρ

R2− 1

R2

[1

sinϑ

∂ϑ

(sinϑ

∂ρ

∂ϑ

)+

1

sin2 ϑ

∂2ρ

∂ϕ2

]. (2.145)

Die zu (2.131) analoge Randbedingung ist dann

ρ∂φ

∂t+ α

2

R− 2ρ

R2− 1

R2

[1

sinϑ

∂ϑ

(sinϑ

∂ρ

∂ϑ

)+

1

sin2 ϑ

∂2ρ

∂ϕ2

]+ p0 = 0,

(2.146)wobei die Konstanten p0 und 2α/R in φ absorbiert werden konnen. Wie beider Herleitung der Wellengleichung fur Schwerewellen leiten wir noch einmalnach t ab und setzen ∂ρ/∂t = vr = ∂φ/∂r. Damit lautet die Randbedingung

ρ∂2φ

∂t2− α

R2

2∂φ

∂r+∂

∂r

[1

sinϑ

∂ϑ

(sinϑ

∂φ

∂ϑ

)+

1

sin2 ϑ

∂2φ

∂ϕ2

]r=R

= 0.

(2.147)Wir suchen Losungen der Form φ = e−iωtf(r, ϑ, ϕ) und benutzen die Tatsa-che, dass man die Losungen der Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten nachKugelfunktionen entwickeln kann. Fur die einzelnen Komponenten machenwir den Ansatz

φ = Ce−iωtrlYlm(ϑ, ϕ) = Ce−iωtrlPml (cosϑ)eimϕ. (2.148)

Nach Einsetzen in (2.147) konnen wir benutzen, dass

1

sinϑ

∂ϑ

(sinϑ

∂Ylm∂ϑ

)+

1

sin2 ϑ

∂2Ylm∂ϕ2

= −l(l + 1)Ylm (2.149)

ist, und finden

ρω2 +α

R3l(2− l(l + 1)

)= 0 (2.150)

bzw.ω2 =

α

ρR3l(l − 1)(l + 2) (2.151)

fur den Zusammenhang von Schwingungsfrequenz und”Wellenzahl“ l. Wir

sehen, dass ω nur von l, nicht von m abhangt und erst ab l = 2 nicht

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verschwindet. Fur jedes l ≥ 2 gibt es 2l + 1 verschiedene, aber hinsichtlichder Frequenz entartete Schwingungsmoden. Die niedrigste hat die Frequenz

ωmin =

√8α

ρR3. (2.152)

Mit dem Wert α = 0.0725 J/m2 fur Wasser bedeutet das fur die Schwin-gungsdauer

T =2π

ωmin

= 0.26(R/cm)3/2 s. (2.153)

Eine Kugel von knapp 5 cm Durchmesser hat demnach eine Schwingungs-periode von 1 s. Es ist ubrigens witzig, dass hier formal das 3. KeplerscheGesetz gilt: T 2 ∝ R3.

Aufgabe 10: Bestimmen Sie die l = 2-Mode der Schwingung eines inkom-pressiblen ideal fluiden Himmelskorpers, der nur von seiner internen Gravi-tation zusammengehalten wird.

2.9 Krummung von Flachen

Es sollen hier die wichtigsten Formeln zusammengetragen werden, mit denenman die Krummung von Flachen berechnet [14]. Zunachst betrachten wir eineFlache, die uber einer kartesischen (x, y)-Ebene liegt. Sei also ein kartesischesKoordinatensystem mit Einheitsvektoren e1, e2, e3 gegeben und eine Flache

r(x, y) = xe1 + ye2 + z(x, y)e3. (2.154)

Dann findet man mit

rx =∂r

∂x= e1 +

z(x, y)

∂xe3 =: e1 + ae3

rx =∂r

∂y= e2 +

z(x, y)

∂ye3 =: e1 + be3

(2.155)

zunachst die sogenannte erste Fundamentalform

g11 = rx · rx = 1 + a2,

g12 = rx · ry = ab,

g22 = ry · ry = 1 + b2.

(2.156)

Mit Hilfe des Normalenvektors

n =rx × ry|rx × ry|

=e3 − ae1 − be2√

1 + a2 + b2(2.157)

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und der zweiten Ableitungen

rxx =∂2r

∂x2=∂2z(x, y)

∂x2e3 =: ce3,

rxy =∂2r

∂x∂y=∂2z(x, y)

∂x∂ye3 =: ee3,

ryy =∂2r

∂y2=∂2z(x, y)

∂y2e3 =: de3

(2.158)

finden wir auch die zweite Fundamentalform

b11 = rxx · n =c√

1 + a2 + b2,

b12 = rxy · n =e√

1 + a2 + b2,

b22 = ryy · n =d√

1 + a2 + b2.

(2.159)

Hiermit konnen wir dann in die beiden symmetrischen Kombinationen derHauptkrummungen ausrechnen8:

1

R1

+1

R2

=g11b22 + g22b11 − 2g12b12

g11g22 − g212

=(1 + a2)d+ (1 + b2)c− 2abe

(1 + a2 + b2)3/2

(2.160)

1

R1

1

R2

=b11b22 − b2

12

g11g22 − g212

=cd− e2

(1 + a2 + b2)2. (2.161)

Man nennt 12(1/R1+1/R2) auch die mittlere Krummung, 1/(R1R2) die Gauß-

Krummung. Letztere ist eine intrinsische Eigenschaft der Flache, die man al-lein aus den gij berechnen kann. Dafur fand Gauß die

”wunderbare Formel“

des Theorema egregium, in der nur die gij und ihre Ableitungen vorkommen.

Auf ahnliche Weise konnen wir Flachen analysieren, die uber der Kugel vonRadius R liegen. Wir gehen wieder von einem kartesischen Koordinatensys-tem mit Einheitsvektoren e1, e2, e3 aus, benutzen aber spharische Polarko-ordinaten, um eine Flache

r(ϕ, ϑ) =(R + ρ(ϕ, ϑ)

)(sinϑ cosϕe1 + sinϑ sinϕe2 + cosϑe3) (2.162)

8Der Normalenvektor n ist hier als nach oben gerichtet angenommen; Krummungensind hier deshalb positiv, wenn sie von der (x, y)-Ebene weg gerichtet sind.

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zu beschreiben. Wieder bestimmen wir zuerst die ersten Ableitungen nachden Flachenkoordinaten

rϕ =∂r

∂ϕ= (a sinϑ cosϕ− r sinϑ sinϕ)e1

+ (a sinϑ sinϕ+ r sinϑ cosϕ)e2 + a cosϑe3

rϑ =∂r

∂ϑ= (b sinϑ cosϕ+ r cosϑ cosϕ)e1

+ (b sinϑ sinϕ+ r cosϑ sinϕ)e2 + (b cosϑ− r sinϑ)e3

(2.163)

mit r = r(ϕ, ϑ) = R + ρ(ϕ, ϑ) und

a = a(ϕ, ϑ) =∂ρ(ϕ, ϑ)

∂ϕ, b = b(ϕ, ϑ) =

∂ρ(ϕ, ϑ)

∂ϑ. (2.164)

Damit wird die erste Fundamentalform (die Metrik)

g11 = rϕ · rϕ = r2 sin2 ϑ+ a2 = (R + ρ)2 sin2 ϑ+ a2,

g12 = rϕ · rϑ = ab,

g22 = rϑ · rϑ = r2 + b2 = (R + ρ)2 + b2,

(2.165)

und ihre Determinante

g11g22 − g212 = r2

((r2 + b2) sin2 ϑ+ a2

)(2.166)

Der von der Kugeloberflache nach innen gerichtete Normalenvektor ist

n =rϕ × rϑ|rϕ × rϑ|

=−1√

(r2 + b2) sin2 ϑ+ a2[(r sin2 ϑ cosϕ+ a sinϕ− b sinϑ cosϑ cosϕ)e1

+ (r sin2 ϑ sinϕ− a cosϕ− b sinϑ cosϑ sinϕ)e2

+ (r sinϑ cosϑ+ b sin2 ϑ)e3

](2.167)

und die zweiten Ableitungen des Vektors r sind

rϕϕ =(−r sinϑ cosϕ− 2a sinϑ sinϕ+ c sinϑ cosϕ

)e1

+(−r sinϑ sinϕ+ 2a sinϑ cosϕ+ c sinϑ sinϕ

)e2

+(c cosϕ

)e3

rϕϑ =(−r cosϑ sinϕ+ a cosϑ cosϕ− b sinϑ sinϕ+ e sinϑ cosϕ

)e1

+(r cosϑ cosϕ+ a cosϑ sinϕ+ b sinϑ cosϕ+ c sinϑ sinϕ

)e2

+(−a sinϑ+ e cosϑ

)e3

rϑϑ =(−r sinϑ cosϕ+ 2b cosϑ cosϕ+ d sinϑ cosϕ

)e1

+(−r sinϑ sinϕ+ 2b cosϑ sinϕ+ d sinϑ sinϕ

)e2

+(−r cosϑ− 2b sinϑ+ d cosϑ

)e3

(2.168)

46

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Dabei sind die Buchstaben c, d, e wieder Abkurzungen fur die zweiten Ablei-tungen von ρ(ϕ, ϑ),

c =∂2ρ(ϕ, ϑ)

∂ϕ2, d =

∂2ρ(ϕ, ϑ)

∂ϑ2, e =

∂2ρ(ϕ, ϑ)

∂ϕ∂ϑ. (2.169)

Damit konnen wir auch die zweite Fundamentalform berechnen,

b11 = rϕϕ · n =− sinϑ√

(r2 + b2) sin2 ϑ+ a2

(r2 sin2 ϑ− r(b sinϑ cosϑ+ c) + 2a2)

),

b12 = rϕϑ · n =−1√

(r2 + b2) sin2 ϑ+ a2

(r(a cosϑ− e sinϑ) + 2ab sinϑ)

),

b22 = rϑϑ · n =− sinϑ√

(r2 + b2) sin2 ϑ+ a2

(r2 − rd+ 2b2)

).

(2.170)

und mit (2.165) schließlich gemaß (2.160)

1

R1

+1

R2

=r2 sin3 ϑ(

(r2 + b2) sin2 ϑ+ a2)3/2[

2− 1

r

(b cotϑ+

c

sin2 ϑ+ d)

+3

r2

( a2

sin2 ϑ+ b2

)− 1

r3

(a2d+ b2c− 2abe

sin2 ϑ+ b cotϑ

( 2a2

sin2 ϑ+ b2

))].

(2.171)

Wenn wir dies bis zur Ordnung von 1/R2 entwickeln, dann fallen die bie letz-ten beiden Zeilen ganz weg, und von den ersten beiden bleibt nur Folgendes:

1

R1

+1

R2

=2

R− 2ρ

R2− 1

R2

[cosϑ

sinϑ

∂ρ

∂ϑ+∂2ρ

∂ϑ2+

1

sin2 ϑ

∂2ρ

∂ϕ2

]. (2.172)

In §61 von [18] wird diese Gleichung etwas zugiger abgeleitet, wobei abervon vornherein die Kleinheit der Abweichungen von der Kugelgestalt an-genommen wird. Die Gl. (2.171) ist dagegen auch bei starker Krummunganwendbar.

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3 Viskose Fluide

In realen Fluiden gibt es als dissipative Effekte immer auch Reibung, die vonder Viskositat verursacht wird, und Warmeleitung. Die Viskositat hat Ein-fluss auf die Impulsbilanz, die Warmeleitung auf die Energiebilanz. Wahrenddie Erhaltung der Massendichte hiervon unberuhrt bleibt, mussen wir dieEuler-Gleichung um Reibungsterme und die Energie-Gleichung um Warme-leitung erganzen. Erst danach haben wir die vollen Gleichungen der Hydro-dynamik einkomponentiger Newtonscher Fluide. In diesem Abschnitt soll esallein um die Impulsbilanz gehen.9 Dabei werden wir auf die sehr wichtigeNavier-Stokes-Gleichung stoßen.

3.1 Die Navier-Stokes-Gleichung

Ausgangspunkt sei die Impulsbilanz in der Form (2.111),

∂tρvi +

∂Πik

∂xk= 0, Πik = pδik + ρvivk. (3.1)

Dabei ist ρvi die i-te Komponente der Impulsdichte und Πik die k-te Kom-ponente von deren Stromdichte. Sowohl der Beitrag von der Druckkraft alsauch der konvektive Term sind reversible mechanische Effekte. Es gibt aberrealiter noch Krafte, die von innerer Reibung herruhren; sie versuchen, lo-kale Variationen im Geschwindigkeitsfeld auszugleichen, sind also mit einemirreversiblen Impulstransport von Bereichen großerer in Bereiche kleinererGeschwindigkeiten verknupft. Die entsprechende Impulsstromdichte nennenwir σ′ik, so dass

Πik = pδik + ρvivk − σ′ik =: −σik + ρvivk. (3.2)

Wir nennen σik = −pδik+σ′ik den Spannungstensor : er beschreibt die Impulss-tromdichte in i-Richtung aufgrund einer Kraftkomponente in k-Richtung.

Es muss nun σ′ik naher bestimmt werden. Es ist klar, dass es bei gleichformi-ger Geschwindigkeit v = const keine Reibung gibt, dass σ′ik also nur vonden raumlichen Ableitungen ∂vi/∂xk abhangen kann. Wir wollen annehmen,dass die Gradienten nicht zu groß sind, so dass nur die ersten Ableitungeneine Rolle spielen. Es gibt auch keine Reibung, wenn das ganze Fluid ei-ne gleichformige Rotation v = Ω × r vollfuhrt. Bei einer solchen Rotationverschwinden aber die Kombinationen

∂vi∂xk

+∂vk∂xi

. (3.3)

9Ohne Berucksichtigung der Schwerkraft.

48

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Wir konnen also annehmen, dass σ′ik einen Anteil hat, der zu dieser Kom-bination proportional ist; außerdem nehmen wir Isotropie des Fluids an, sodass alle derartigen Terme den gleichen Koeffizienten haben. Ein andererBeitrag zur Zahigkeit kann (bei kompressiblen Fluiden) der Divergenz ∇ · vproportional sein. Diese Uberlegung fuhrt zu dem Ansatz

σ′ik = a( ∂vi∂xk

+∂vk∂xi

)+ b

∂vj∂xj

δik (3.4)

mit Materialkonstanten a und b. Durch Umschaufeln der Terme mit a =: ηund b =: ζ − 2

3η kommt man auf die ubliche Form

σ′ik = η( ∂vi∂xk

+∂vk∂xi− 2

3

∂vj∂xj

δik

)+ ζ

∂vj∂xj

δik, (3.5)

bei der der erste Term keine Spur mehr hat (Zerlegung eines symmetrischenTensors in einen diagonalen und einen spurfreien Teil). Man kann mit Sta-bilitatsargumenten zeigen, dass die beiden Viskositaten η (Scher-Viskositat)und ζ (Volumen-Viskositat) positiv sein mussen (was fur b nicht gilt).

Einsetzen in die Impulsbilanz fuhrt dann auf die folgende modifizierte Euler-Gleichung:

ρ(∂vi∂t

+(v · ∇

)vi

)=

− ∂p

∂xi+

∂xk

(η( ∂vi∂xk

+∂vk∂xi− 2

3

∂vj∂xj

δik

))+

∂xiζ∇ · v. (3.6)

Wenn nun die Viskositaten η und ζ konstant sind, kann man sie vor dieDifferentialoperatoren ziehen, und es lassen sich die Terme zusammenfassen,die lediglich Ableitungen der Divergenz ∇ · v sind:

ρ(∂v∂t

+(v · ∇

)v)

= −∇p+ η∆v +(ζ + 1

3η)∇(∇ · v). (3.7)

Dies ist die allgemeine Impulsgleichung fur viskose Fluide. Sie gilt auch furkompressible Fluide. Nimmt man allerdings an, dass ∇ · v = 0 ist, dannverschwindet der letzte Term und man erhalt die Navier-Stokes-Gleichung

∂v

∂t+ (v · ∇)v = −1

ρ∇p+

η

ρ∆v. (3.8)

Der hierzu passende Spannungstensor ist dann nur noch

σik = −pδik + η( ∂vi∂xk

+∂vk∂xi

)= −pδik + σ′ik. (3.9)

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In der Navier-Stokes-Gleichung kommt es nur auf die Kombination ν = η/ρder Viskositat an, die von der Dimension einer Diffusionskonstante ist (m2/s)und tatsachlich einen diffusen Transport des Impulses beschreibt. (Das wirdspater noch klar, wenn wir z. B. die Anregungsmoden in einem realen Fluiddiskutieren.) Typische Werte von ν sind 10−5m2/s, wobei die Vorfaktorenvon 68 bei Glycerin uber 1.5 bei Luft, 0.1 bei Wasser bis zu 0.012 bei Queck-silber reichen. Man nennt ν die kinematische Viskositat, im Unterschied zurdynamischen Viskositat η.

Bei der Losung der Navier-Stokes-Gleichungen wird als Randbedingung

v = 0 (3.10)

verlangt: wegen der Reibung klebt das Fluid an den Randern fest, kann aller-dings innerhalb dunner Grenzschichten auf hohe Geschwindigkeiten anwach-sen. Das ist ganz anders als bei Eulerschen Fluiden; dort kann man dieses

”Festkleben“ am Rand nicht fordern, wenn uberhaupt Losungen existieren

sollen. Andererseits hatten wir bei der Diskussion des”Ablosens“ Eulerscher

Fluide von Randern gesehen, dass die Forderung tangentialer Stromungs-verlaufe zu schwach ist, um die Losung der Euler-Gleichungen eindeutigfestzulegen. Bei der Navier-Stokes-Gleichung dagegen erzwingt die Randbe-dingung (3.10) eindeutige Losungen, die dann allerdings sehr komplex seinkonnen. Das Problem mit den Gleichungen ist klarerweise die Nichtlinearitat(v · ∇)v.

Wenn wir die Rotation der Gl. (3.8) nehmen, erhalten wir analog zu (2.2d)eine Gleichung nur fur das Geschwindigkeitsfeld:

∂t∇× v = ∇× (v × (∇× v)) + ν∆(∇× v). (3.8a)

Aus dem Impulsstrom lasst sich leicht die Kraft F auf eine Flacheneinheitder Berandung angeben, denn sie ist ja gerade der Impulsstrom durch dieseFlache. Wenn d2r = ndf das Oberflachenelement ist (es soll vom Fluid indie Wand zeigen), dann stromt durch dieses Element der Impuls Πiknkdf =(ρvivk − σik)nkdf = −σiknkdf , weil auf dem Rand v = 0 ist. Die Kraft proFlacheneinheit auf die Wand ist also

Fi = −σiknk = pni − σ′iknk. (3.11)

Der erste Term ist die Druckkraft, der zweite die Reibung aufgrund vonViskositat. An freien Oberflachen gibt es keine Gegenkraft, deshalb mussgelten

Fi = 0 = pni − σ′iknk. (3.12)

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Die Energie-Dissipation erhalten wir, indem wir die zeitliche Anderung der ki-netischen Energie Ekin = 1

2ρ∫v2d3r ausrechnen. Das ist eine etwas langliche

Rechnung (s. § 16 in Landau-Lifshitz), aber der Gedankengang ist klar. Manfuhre die zeitliche Ableitung aus und setze die Navier-Stokes-Gleichungenein. Ein Teil des Integranden erweist sich als Divergenz

∇ ·(ρv(

12v2 + p/ρ

)− vtσ′

)(3.13)

(wobei eine hoffentlich einsichtige Notation benutzt wurde: σ′ ist als Matrixzu verstehen). Dieser Teil lasst sich nach Gauss in ein Oberflachenintegraluber eine weit draußen liegende Flache und/oder die Berandung umwandeln.Es ist Null entweder deswegen, weil auf dem Rand v = 0 gilt, oder weil weitdraußen das Fluid in Ruhe sein soll. Damit bleibt nur der Teil ubrig, dessenIntegrand man nicht als Divergenz schreiben kann:

dEkin

dt= −1

∫ ( ∂vi∂xk

+∂vk∂xi

)2

d3r. (3.14)

Dies zeigt, wie die Scherkrafte uber die Viskositat zur Verminderung der ki-netischen Energie beitragen. Wenn das Geschwindigkeitsfeld aufgrund auße-ren Antriebs konstant gehalten wird, dann wird diese Energieabnahme alsErwarmung und Entropie-Produktion in Erscheinung treten.

Bei dissipativen Prozessen kann kinetische Energie nur verloren gehen, d. h.es muss gelten dEkin/dt < 0. Da aber der Integrand in (3.14) positiv definitist, muss die Scherviskositat η > 0 sein.

Wenn wir es mit Potentialstromung ∇× v = 0 zu tun haben, ist ∂vi/∂xk =∂vk/∂xi und es lasst sich die Dissipation als Oberflachenintegral ausdrucken:

dEkin

dt= −2η

∫ ( ∂vi∂xk

)2

d3r = −2η

∮vi∂vi∂xk

nkdf = −η∮∇v2 ·d2r, (3.15)

wobei im zweiten Schritt partiell integriert wurde.

Bei Anwendungen der Navier-Stokes-Gleichung kommt es auf die relativeGroße des konvektiven (oder auch

”reaktiven“) Terms (v ·∇)v und des dissi-

pativen Terms ν∆v. Man schatzt die Großenordnungen der beiden dadurchab, dass man fur die Geschwindigkeit eine typische Große U annimmt undfur die raumlichen Variationen eine typische Systemlange L. Dann ist derkonvektive Term von der Ordnung U2/L, der dissipative von der OrdnungνU/L2. Deren Verhaltnis ist durch die Reynoldszahl Re gegeben,

Re =UL

ν. (3.16)

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Wenn Re 1, kann man den konvektiven Term vernachlassigen; dann istdie Stromung meist einfach zu berechnen. Ist dagegen Re 1, dann spieltdie Reibung keine Rolle und das System tendiert zu turbulentem Verhalten.Im Fall von Wasser ist Re = 1 fur UL = 0.01 cm2/s. Bei L = 1 mm ware diesfur U = 1 mm/s erfullt. Bei groseren Abmessungen L musste U entsprechendkleiner sein und umgekehrt.

3.2 Stationare Stromungen: Beispiele

Die einfachste Anwendung der Navier-Stokes-Gleichung ist die stationareStromung ∂v/∂t = 0 eines inkompressiblen Fluids zwischen zwei parallelenPlatten, die sich relativ zueinander bewegen. Eine sei die (x, y)-Ebene mitz = 0, die andere liege daruber bei z = h und bewege sich relativ zur unterenmit Geschwindigkeit u = (u, 0, 0). Offenbar kann alles nur von z abhangen,und die Geschwindigkeit ist uberall in x-Richtung, v = (vx(z), 0, 0). Damitist automatisch (v · ∇)v = 0, und die Navier-Stokes-Gleichung (3.8) lautetin x- bzw. z-Komponente

d2vx(z)

dz2= 0,

dp

dz= 0. (3.17)

Die Losungen sind p = const und vx(z) = az+ b. Aus den Randbedingungenvx(0) = 0 und vx(h) = u folgt der lineare Verlauf vx(z) = uz/h. Die Kon-tiunitatsgleichung ist identisch erfullt. Die Kraft auf die Platten hat x- undz-Komponenten, die wir mit (3.11) erhalten, wenn wir uns klarmachen, dassim viskosen Spannungstensor gemaß (3.9) nur die Komponenten

σ′xz = σ′zx = ηdvx(z)

dz= ηu/h (3.18)

nicht verschwinden. Wir sehen dann, dass die Normalkomponente der Kraftpro Flache an beiden Platten der Druck p ist, die tangentiale Komponente hatan der unteren Platte wegen n = (0, 0,−1) den Wert Fx = −σxznz = ηu/h,an der oberen wegen n = (0, 0, 1) den entgegengesetzten Fx = −ηu/h. DieReibung versucht also, die Relativgeschwindigkeit zu verringern.

Im zweiten Beispiel nehmen wir an, dass die beiden Platten wie oben liegen,aber beide fest stehen; dafur werde ein Druckgradient in x-Richtung vonaußen vorgegeben. Wieder wird die Geschwindigkeit nur in x-Richtung liegenund von z abhangen. Die Komponenten der Navier-Stokes-Gleichung sindjetzt

∂p

∂z= 0,

∂2vx∂z2

=1

η

∂p

∂x. (3.19)

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Die erste Gleichung zeigt, dass der Druck quer zu den Platten nicht variiert;er hangt uber die von außen vorgegebene Kraft nur von x ab, und zwar muss∂p/∂x = const sein, weil in der zweiten Gleichung die linke Seite nicht von xabhangt. Es folgt daher

vx(z) =1

dp

dxz2 + az + b (3.20)

mit Konstanten a, b, die sich aus den Randbedingungen bei z = 0 und z = hergeben:

vx(z) = − 1

dp

dxz(h− z). (3.21)

Dies ist ein parabolisches Geschwindigkeitsprofil. Die mittlere Geschwindig-keit vx =

∫ h0vx(z)dz/h ist

vx = − h2

12η

dp

dx. (3.22)

Der viskose Spannungstensor hat nur die Komponente σ′xz = σ′zx und ist

σ′xz = ∓12h

dp

dxbei z = 0 bzw. z = h. (3.23)

Da die Normalen unten und oben entgegengesetzte Richtung haben, sind dieReibungskrafte an beiden Platten gleich, Fx = 1

2hdp/dx.

Als drittes Beispiel betrachten wir die Poiseuille-Stromung durch ein Rohrvon Radius R, eine stationare Stromung, die von einem Druckgradienten auf-recht erhalten wird. Hier bieten sich Zylinderkoordinaten an, mit der z-Achseals Achse des Rohrs. Die Geschwindigkeit hat dann nur eine z-Komponente,die x- und y-Komponente der Navier-Stokes-Gleichung sind ∂p/∂x = 0 und∂p/∂y = 0, so dass der Druck in einem Querschnitt konstant ist. Die z-Komponente der Navier-Stokes-Gleichung ist

∂2vz∂x2

+∂2vz∂y2

=1

η

dp

dz, (3.24)

und wieder mussen beide Seiten Konstanten sein, weil die linke Seite nichtvon z, die rechte nicht von x, y abhangt. Zur Bestimmung des Geschwin-digkeitsprofils vz = vz(x, y) benutzen wir den zweidimensionalen Laplace-Operator in Zylinderkoordinaten und die Symmetrie des Problems bzgl. desWinkels ϕ. Gesucht ist also die Losung der Gleichung

1

r

d

drr

dvz(r)

dr=

1

η

dp

dz. (3.25)

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Da die rechte Seite konstant ist, last sich das leicht zwei Mal integrieren,

vz(r) =1

4ηr2 dp

dz+ a log r + b. (3.26)

Die Konstante a muss Null sein, weil es bei r = 0 keine Singularitat gibt. Dieandere Konstante b ergibt sich aus der Randbedingung vz(R) = 0:

vz(r) = − 1

4η(R2 − r2)

dp

dz. (3.27)

Auch hier finden wir ein parabolisches Profil. Hier interessiert man sich dafur,wie die Masse, die pro Zeiteinheit durch das Rohr fließt, von den Parameternabhangt. Nennen wir dies Q, dann gilt

Q = 2πρ

∫ R

0

rvz(r)dr = − π

8νR4 dp

dz. (3.28)

Dies ist die Poiseuille-Formel, wonach ein doppelt so dickes Rohr bei gleicherDruckdifferenz 16 Mal so viel Masse transportieren kann wie das gegebene.

Aufgabe 11: Ein vertikal stehendes Rohr von 2 mm Durchmesser ist nachoben hin zur Atmosphare offen und taucht mit dem unteren Ende in Wasser,das dort auf einem Druck von 104 N m−2 gehalten wird. Von Oberflachen-spannung werde abgesehen. Wie lang darf das Rohr hochstens sein, wennoben noch Wasser herausfließen soll? Wenn das Rohr halb so lang ist: wie-viel Wasser fließt dann pro Sekunde durch das Rohr? – Betrachten Sie Luftals ideales Gas mit Dichte ρ = 1.2 kg m−3 und kinematischer Viskositatν = µ/ρ = 1.5 · 10−5 m2s−1 und Wasser als inkompressibel mit einer Dichteρ = 1.0 · 103 kg m−3 und ν = 1.0 · 10−6 m2s−1 (bei T = 20C).

Ein besonders schones und klassisches Beispiel ist das von Stokes geloste Pro-blem der stationaren Stromung eines inkompressiblen Fluids um eine Kugelherum. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, dass der Konvektionsterm inder Navier-Stokes-Gleichung vernachlassigbar, die Reynoldszahl also kleinist, UL ν. Wir diskutieren das Problem anders als auf S. 27 ff. den Falleines idealen Fluids: wir nehmen hier an, dass die Kugel von Radius a ruhtund das Fluid (von kinematischer Viskositat ν) an ihr vorbei stromt, wobeiim Unendlichen v gegen eine konstante Geschwindigkeit u geht und ua νgelten soll. Statt der Gleichungen ∇ · v = 0 und ∇× v = 0 mit v ·n = u ·nan der Kugeloberflache sind jetzt die Gleichungen

∇ · v = 0, ∆(∇× v) = 0 (3.29)

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zu losen mit v = 0 auf der Kugel und v → u im Unendlichen. Die zweiteGleichung folgt aus der stationaren Navier-Stokes-Gl. −∇p+η∆v = 0 durchRotationsbildung.

Wir folgen der Argumentation von § 20 in [18], legen den Ursprung in dieMitte der Kugel und setzen v′ = v − u, so dass v′ → 0 im Unendlichen undv′ = −u auf der Kugel ist. Wegen ∇ · v = ∇ · v′ = 0 ist

v′ = ∇×A, (3.30)

wobei A ein axialer Vektor sein muss, da v′ ein polarer Vektor ist und dasKreuzprodukt deren Rollen tauscht. Wegen der Linearitat der Gleichungmuss A proportional zu u sein, woraus man mit r × u einen axialen Vektorerhalt. Dies suggeriert den Ansatz

A = f ′(r)r × u = ∇f(r)× u = ∇× f(r)u, (3.31)

letzteres, weil u = const. Es wird also versucht, die zweite der Gln. (3.29)und die Randbedingungen mit

v = u+∇× (∇× fu) (3.32)

zu losen. Die Rotation dieser Gleichung ist

∇× v = ∇× (∇× (∇× fu))

= ∇(∇ · (∇× fu))− (∇ · ∇)(∇× fu) = −∆(∇× fu).(3.33)

Zusammen mit (3.29) folgt ∆2(∇ × fu) = 0 , und weil u ein konstanterVektor ist, muss gelten

∆2(∇× fu) = ∆2(∇f × u) = (∆2∇f)× u = 0. (3.34)

Da ∇f = f ′r, folgt

∆2∇f = ∇∆2f = 0 ⇒ ∆2f = const. (3.35)

Da aber v und seine Ableitungen im Unendlichen verschwinden, muss dieKonstante Null sein. Denn v ist durch zweite Ableitungen von f gegeben,aber ∆2f besteht aus vierten Ableitungen von f , also zweiten von v. Da fnur von r abhangen soll, ist

∆2f =1

r2

d

dr

(r2 d

dr

)∆f = 0 ⇒ ∆f =

2b

r+ d =

2b

r, (3.36)

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denn d = 0 wegen der Bedingung im Unendlichen. Die Integration der letztenGleichung gibt dann (eine Konstante wird weggelassen, weil sie beim Ableitenkeine Rolle spielt)

f = br +c

r. (3.37)

Einsetzen in Gl. (3.32) gibt

v = u− bu+ r(u · r)

r+ c

3r(u · r)− ur3

(3.38)

mit Konstanten b und c, die aus den Randbedingungen bestimmbar sind. Aufder Kugel r = a soll die Geschwindigkeit Null sein, also

u− bu+ r(u · r)

a+ c

3r(u · r)− ua3

= 0 (3.39)

fur alle r. Das geht nur, wenn die Koeffizienten von u und r(u · r) einzelnverschwinden:

b

a+

c

a3− 1 = 0, − b

a+

3c

a3= 0 ⇒ b = 3

4a, c = 1

4a3. (3.40)

Damit ist schließlich f = 34ar + 1

4a3/r und daher

v = u− 3a

4r(u+ r(u · r))− a3

4r3(u− 3r(u · r)). (3.41)

Wenn u = (0, 0, u) und r = (sinϑ, 0, cosϑ), dann sind die Komponenten desGeschwindigkeitsfeldes

vx = −3a

4ru(

1− a2

r2

)sinϑ cosϑ,

vy = 0,

vz = u− 3a

4ru(

1 +a2

3r2

)− 3a

4ru(

1− a2

r2

)cos2 ϑ.

(3.42)

Den Druck erhalt man mit ∇p = η∆v, also

∇p = η∆∇× (∇× fu) = η∆(∇(∇ · fu)− u∆f

). (3.43)

Da aber ∆2f = 0, bleibt

∇p = ∇(η∆(∇ · fu)

)= ∇

(ηu · ∇∆f

). (3.44)

Integration ergibt

p = p0 + ηu · ∇∆f = p0 −3a

2r2ηu · r. (3.45)

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Es ist interessant, die Stromlinien hier mit denen der idealen Stromung zuvergleichen. Abb. 6 zeigt links die Stokes-Stromung und rechts den Vergleichmit der idealen Stromung aus Abb. 6. Die Randbedingung v = 0 auf derKugel erzwingt, dass die Stromlinien sie weitraumiger umfahren mussen. Beider Stokes-Stromung gilt nicht ∇× v = 0, deshalb kann man kein Potentialangeben, auf dem die Stromlinien senkrecht stehen wurden.

Abbildung 6: Links: Stromlinienverlauf bei der Stokes-Stromung eines viskosenFluids. Rechts ist zum Vergleich in roter Farbe noch einmal die ideale Stromunggezeigt.

Auf den ersten Blick uberraschend ist der Vergleich der Druckverlaufe inAbb. 7: links die Stokes-Stromung, rechts die ideale Stromung. Die beidenBilder haben sogar unterschiedliche Symmetrie. Bei der idealen Stromung istdie Aquatorebene z = 0 eine Symmetrieebene, bei der viskosen Stromung istder Druck stromaufwarts gegenuber dem weit draußen erhoht, stromabwartserniedrigt.

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Abbildung 7: Links: Isobaren in der Stokes-Stromung. Rot: p > p0, blau: p < p0.Rechts zum Vergleich noch einmal die idelae Stromung.

Bei genauerer Uberlegung ist das nicht unplausibel: da das Fluid an derKugeloberflache festhangt, druckt es auf sie von links und zieht sie nachrechts. Mit anderen Worten: aufgrund der Viskositat ubt die Stromung eineKraft auf die Kugel aus, die wir mit Hilfe von (3.11) berechnen konnen. Dazudrucken wir (3.41) in Kugelkoordinaten aus,

vr = u cosϑ(

1− 3a

2r+

a3

2r3

),

vϑ = −u sinϑ(

1− 3a

4r− a3

4r3

),

vϕ = 0,

(3.46)

und die Kraft ebenso. Auf ein Flachenelement der Kugel wirkt in Normalen-richtung10 die Kraft F r = (−p + σ′rr)n, in tangentialer Richtung die KraftF θ = σ′rϑeϑ. Deren Projektion auf die Richtung von u gibt in der Sum-me (−p + σ′rr) cosϑ − σ′rϑ sinϑ, so dass die Gesamtkraft auf die Kugel inu-Richtung

F =

∮ ((−p+ σ′rr) cosϑ− σ′rϑ sinϑ

)df (3.47)

10vom Zentrum der Kugel aus gesehen wirkt diese Kraft nach innen

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ist. Die Formeln fur den Spannungstensor sind11

σ′rr = 2η∂vr∂r

∣∣∣r=a

= 0,

σ′rϑ = η(1

r

∂vr∂ϑ

+∂vϑ∂r− vϑ

r

)∣∣∣r=a

= −3η

2au sinϑ.

(3.48)

Benutzen wir nun noch p = p0− (3η/2a)u cosϑ an der Oberflache, und df =2πa2d cosϑ, so folgt

F = 6πηau, (3.49)

die beruhmte Stokes-Formel fur die Reibungskraft auf Kugeln in viskosenFluiden. Sie wird z. B. benutzt, um die Geschwindigkeit von fallenden Re-gentropfen anzugeben.

Die Herleitung soll einen Eindruck davon vermitteln, wie einerseits bewun-dernswert die Leistung von George Gabriel Stokes (1819-1903) war, der die-se Formel fand, wie andererseits beschrankt die Gultigkeit sein muss, wennRe 1 vorausgesetzt wird. Schon im Bereich weiter außerhalb der Kugelist die Vernachlassiung des Konvektionsterms nicht mehr erlaubt, und Oseenhat 1910 einen Korrekturfaktor (1 + 3ua/8ν) bestimmt, der aber auch nichtviel weiter tragt.

Es ist allgemein akzeptiert, dass die Navier-Stokes-Gleichungen die Phano-menologie inkompressibler Stromungen bei konstanter Temperatur exzellentbeschreiben. Computer-Simulationen bestatigen das eindrucksvoll (nachzu-schauen auf der Homepage von P. Cvitanovic), von laminarer bis hin zu vollturbulenter Stromung. Aber es bleibt trotz großer Leistungen von Stokes uberPrandtl, Kolmogorov, Großmann und vieler Anderer die deprimierende Ein-sicht, dass unser Geist dieser Komplexitat nicht gewachsen ist: wir konnensie mit starken Computern simulieren, wir verstehen sie auf der Ebene derGrundgleichungen (Navier-Stokes), dennoch entzieht sich das Geschehen un-serer mathematischen Sprache.

In diesem Zusammenhang soll an einen Satz erinnert werden, den einer derPioniere der Hydrodynamik, Sir Horace Lamb (1849-1934)12 1932 in einerRede vor der British Association for the Advancement of Science aussprach:

11Die Navier-Stokes-Gleichungen in Zylinder- und Kugelkoordinaten finden sich in § 15von [18].

12Er publizierte 1895 das Buch Hydrodynamics, das 1932 in 6. Auflage erschien undimmer noch als Lehrbuch benutzt wird.

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I am an old man now, and when I die and go to heaven there aretwo matters on which I hope for enlightenment. One is quantumelectrodynamics, and the other is the turbulent motion of fluids.And about the former I am rather optimistic.

Aufgabe 12: In der Vorlesung wurde das v-Feld der Stokes-Stromung umeine Kugel angegeben. Berechnen Sie dessen Wirbel ∇ × v und diskutierenSie das Ergebnis. Prufen Sie, dass ∆(∇×v) = 0 ist. Berechnen Sie die Ener-giedissipation dEkin/dt.

Aufgabe 13: Angenommen, die Stokes-Formel F = 6πηau gelte fur fallendeRegentropfen. Wie groß ist dann die Fallgeschwindigkeit nach Abklingen derAnfangsbedingungen? Benutzen Sie die Materialparameter von Aufgabe 11.Wie groß ist u bei Re = 1?

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4 Warmeleitung, Diffusion

In realen Fluiden ist Viskositat nicht der einzige dissipative Prozess, sondernes gibt außerdem noch die Warmeleitung: einen Prozess, der den Ausgleichvon Inhomogenitaten der Temperatur anstrebt. Davon bleibt die Impuls-gleichung (Navier-Stokes) unberuhrt, aber in der Energiebilanz muss manberucksichtigen, dass es einen Warmestrom gibt, der von Bereichen hohererzu solchen niedrigerer Temperatur fuhrt. Der einfachste und ubliche Ansatzdafur ist

q = −κ∇T. (4.1)

κ heißt Warmeleitfahigkeit. Wir mussen uberlegen, was das fur die Energie-bilanz bedeutet. In (2.109) waren keinerlei dissipative Prozesse berucksich-tigt, in (3.13) hatten wir den Energiestrom erwahnt, der aufgrund der Scher-krafte hinzukommt. Die Energiedissipation (3.14) mussen wir nicht explizitin die Energiebilanz aufnehmen, denn die steckt als Identitat mit ∂(1

2ρv2)/∂t

schon darin, wenn die Navier-Stokes-Gleichung fur den Impuls genommenwird. (Vgl. auch (4.2b), wo die Energiedissipation als Warme- bzw. Entropie-Produktion in Erscheinung tritt.) Nehmen wir zum konservativen Energie-strom also noch (3.13) und (4.1) hinzu, dann ist die Bilanz13

∂t

(12ρv2 + ρε

)+

∂xk

(ρvk(

12v2 + η

)− viσ′ik − κ

∂T

∂xk

)= 0. (4.2)

Unter Ausnutzung der thermodynamischen Identitat dε = Tds + (p/ρ2)dρund der Bilanzgleichungen fur ρ und v lasst sich dies umformen in eine Glei-chung fur die Entropiedichte:

ρT(∂s∂t

+ (v · ∇)s)

= σ′ik∂vi∂xk

+∇ · (κ∇T ). (4.2a)

Dies wird als allgemeine Warmetransportgleichung bezeichnet. Bei idealenFluiden verschwindet die rechte Seite und es gilt die Erhaltung der Entro-piedichte. Der Weg von (4.2) nach (4.2a) findet sich z. B. in Landau/Lifshitz.Er wird in der Vorlesung gezeigt, muss hier aber nicht aufgeschrieben werden.

Zur Interpretation: ρTds ist die Warmezufuhr pro Volumen; auf der rechtenSeite steht also, wie die Warme pro Zeiteinheit durch viskose Reibung undWarmeleitung erhoht wird.

13In dieser Gleichung ist η = ε+p/ρ die Enthalphiedichte; sie sollte nicht mit der Visko-sitat η verwechselt werden. Die Notation ist in diesem Punkt unglucklich, aber sicherlichnicht gefahrlich.

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Setzt man den expliziten Ausdruck (3.5) fur σ′ik ein und formt noch etwasum, so findet man eine dritte Version der Energie/Entropie-Bilanz,

ρT(∂s∂t

+(v·∇)s)

= 12η( ∂vi∂xk

+∂vk∂xi−2

3

∂vj∂xj

δik

)2

+ζ(∇·v)2+∇·(κ∇T ). (4.2b)

Aus dieser Gleichung erhalt man durch Integration unter Ausnutzung derGleichung fur die Massenerhaltung und Weglassen einiger Oberflacheninte-grale, die sich durch partielle Integration ergeben, den folgenden Ausdruckfur die Entropieproduktion in einem Volumen V :

d

dt

∫V

ρs d3r =

∫κ

T 2(∇T )2d3r +

∫η

2T

( ∂vi∂xk

+∂vk∂xi− 2

3

∂vj∂xj

δik

)2

d3r

+

∫ζ

T(∇ · v)2d3r

(4.3)

Die drei Terme auf der rechten Seite stellen die Entropiezunahme aufgrundunabhangiger dissipativer Prozesse dar. Bei jedem einzelnen kann nach dem2. Hauptsatz die Entropie nur zunehmen, und da die Integranden ansonstenpositiv sind, mussen alle dre Transportkoeffizienten κ, η, ζ ebenfalls positivsein.

Bei inkompressiblen Fluiden ∇ · v = 0 spielen nur κ und η eine Rolle.Wenn die Geschwindigkeiten |v| im Vergleich mit der Schallgeschwindigkeitklein sind, gibt es keine merklichen Druckschwankungen und daher keinevom Druck verursachten Dichteschwankungen. Wohl aber konnen Inhomoge-nitaten der Temperatur aufgrund der T -Abhangigkeit in ρ(T ) Dichteschwan-kungen verursachen. Wenn wir nun die Entropie als Funktion von T und pauffassen, dann kommt es bei solchen langsamen Prozessen nur auf T an,ds = ∂s/∂T |pdT , und wegen cp = T∂s/∂T |p erhalten wir aus (4.2a) eineGleichung fur die Temperatur, die ebenfalls als Warmetransportgleichungbezeichnet wird,

ρcp

(∂T∂t

+ (v · ∇)T)

= σ′ik∂vi∂xk

+∇ · (κ∇T ). (4.2c)

Wenn schließlich noch die T -Variationen klein sind, kann man die Materi-aleigenschaften cp, κ, η als konstant ansehen und diese Gleichung wie folgtschreiben:

∂T

∂t+ (v · ∇)T =

ν

2cp

( ∂vi∂xk

+∂vk∂xi

)2

+ χ∆T. (4.2d)

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Dabei tritt mit der thermischen Diffusivitat

χ =κ

ρcp(4.4)

neben der kinematischen Viskositat ν = η/ρ noch eine zweite Diffusionskon-stante in Erscheinung. Deren Bedeutund kann man in Reinform studieren,wenn das Fluid in Ruhe ist, v ≡ 0, so dass gilt

∂T

∂t= χ∆T. (4.5)

Diese Warmeleitungs- oder auch Fourier-Gleichung lasst sich auch ganz ele-mentar herleiten. Sie spielt allerdings in Fluiden eine geringere Rolle als inFestkorpern, wo sie genauso gilt. Der Grund ist, dass T -Unterschiede in Flui-den leicht zu Konvektion fuhren, wahrend das bei Festkorpern nicht der Fallist. Die Gleichung ist der Prototyp einer Diffusionsgleichung und soll des-halb mit einigen Anwendungen besprochen werden. Sie beschreibt z. B. dieRelaxation einer anfanglichen Temperatur-Verteilung ins Gleichgewicht oder(mit ∂/∂t = 0) die stationare Verteilung etwa bei inhomogenem Heizen anden Randern.

Sie ist meist mit der Randbedingung zu losen, dass auf dem Rand T vorge-geben ist und dass der Warmefluss durch den Rand stetig ist,

T1 = T2, κ1∂T1

∂n= κ2

∂T2

∂n, (4.6)

wobei ∂/∂n die Richtungsableitung senkrecht zum Rand bezeichnet.

4.1 Diffusion

In diesem Abschnitt soll etwas allgemeiner uber Diffusion diskutiert werdenals nur im Zusammenhang mit Warmeleitung in Fluiden. In Physik, Chemie,Biologie ist Diffusion ein haufig anzutreffender Prozess, insbesondere bei derBewegung suspendierter Teilchen in Losung (Brownsche Bewegung). Das sollin Abschnitt 4.1.5 kurz angedeutet werden. Vorerst aber bleiben wir bei derFourier-Gleichung (4.5) und diskutieren zunachst stationare Verteilungen.

4.1.1 Stationare Temperaturverteilungen

Als erstes Beispiel fur eine stationare Temperaturverteilung betrachten wirein Fluid mit Warmeleitfahigkeit κ zwischen zwei parallelen unendlich aus-gedehnten Platten im Abstand 2b, die jeweils auf konstanten Temperaturen

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T1 = T0 − δT bzw. T2 = T0 + δT gehalten werden. Die Platten 1 und 2 cha-rakterisieren wir durch n ·r = ∓b , wobei n die Einheitsnormale von Platte 1hin zur Platte 2 sei. Die Losung der Gleichung ∆T = 0 mit den gegebenenRandbedingungen ist offenbar

T = T0 +B · r mit B =T2 − T1

2bn. (4.7)

Der Warmefluss ist konstant, q = −κ∇T = −κB. Da die Temperaturdif-ferenzen zu den Randern hier linear anwachsen, kann man nicht eine derPlatten ins Unendliche verlegen, wenn T uberall endlich bleiben soll.

Im Hinblick auf das spater zu diskutierende Rayleigh-Benard-Problem seibetont, dass das Fluid hier noch als inkompressibel angesehen wird, d. h. vonkonstanter Dichte, und dass keine externen Krafte betrachtet werden. Den-ken wir aber z. B. an ein reales Fluid im Schwerefeld, dann wird zumindestdie Stabilitat der Losung (4.7) davon abhangen, ob die obere oder die unterePlatte die warmere ist.

Im zweiten Beispiel gehen wir von einem konstanten T -Gradienten wie in (4.7)aus und setzen an den Ort r = 0 eine Kugel mit Radius a und Warme-leitfahigkeit κ′. Weit außerhalb der Kugel soll also (4.7) das Temperatur-feld beschreiben, uberall soll gelten ∆T = 0, und auf der Kugeloberflache|r| = r = a die Randbedingungen T = T ′ sowie κ∂T/∂r = κ′∂T ′/∂r. Mankommt hier zum Ziel, wenn man sich daran erinnert, dassB ·r undB ·∇(1/r)Losungen der Laplace-Gleichung sind. Da aber letztere wegen der Singula-ritat bei r = 0 nur fur den Außenbereich der Kugel in Frage kommt, setztman an

T = T0 +B · r + c1B · rr3

, T ′ = T0 + c2B · r, (4.8)

und geht damit in die Randbedingungen. Das fuhrt schließlich auf die Losung

T = T0 +

[1 +

κ− κ′

2κ+ κ′

(ar

)3]B · r, T ′ = T0 +

2κ+ κ′B · r. (4.9)

Naturlich hat die Kugel keinen Einfluss auf den T -Verlauf, wenn κ = κ′ ist,aber wenn κ′ > κ, dann ist der Gradient im Innern der Kugel kleiner alsdraußen – die Warme wird rascher transportiert, d. h. Ebenen gleicher Tem-peraturdifferenzen liegen innerhalb der Kugel dichter beieinander als außer-halb. Umgekehrt bei κ′ < κ.

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Bei Zylinder- oder Kugelsymmetrie sollte der Laplace-Operator in den ent-sprechenden Koordinaten genommen werden. In Zylinder-Koordinaten ist

∆T =1

r

∂rr∂T

∂r+

1

r2

∂2T

∂ϑ2+∂2T

∂z2. (4.10)

Wir fragen nach der stationaren Losung zwischen zwei unendlich langen kon-zentrischen Zylindern der Radien a < b mit konstant gehaltenen Tempera-turen Ta bzw. Tb. Da T hier nur von r abhangt und ∆T = 0 sein soll, findetman sofort die allgemeine Losung T = c1 + c2 log r, und wenn man die Rand-bedingungen einsetzt, folgt

T (r) =Ta log(b/r) + Tb log(r/a)

log(b/a). (4.11)

Fur den gesamten Warmefluss pro Langeneinheit durch einen Ring von Ra-dius r gilt

−2πrκdT

dr=−2πκ(Tb − Ta)

log(b/a); (4.12)

er hangt nicht von r ab. Auch hier ist es so, dass man den außeren Randnicht nach Unendlich verlegen kann, weil der Logarithmus dort divergiert.Er divergiert aber auch bei a → 0. Deswegen ware das Temperaturfeld inder Nahe eines unendlich dunnen Drahtes, der auf einer Temperatur Ta 6= Tbgehalten wird, logarithmisch singular.

In Kugelkoordinaten ist

∆T =1

r2

∂rr2∂T

∂r+

1

r2 sinϑ

∂ϑsinϑ

∂T

∂ϑ+

1

r2 sin2 ϑ

∂2T

∂ϕ2. (4.13)

Zwischen zwei Kugeln von Radien a < b, die auf Temperaturen Ta bzw. Tbgehalten werden, ist das stationare Profil zunachst allgemein T (r) = c1−c2/r,und wenn man die Randbedingungen einsetzt, findet man

T (r) =Taa(b− r) + Tbb(r − a)

(b− a)r(4.14)

und den Fluss durch eine Kugelschale von Radius r

−4πr2κdT

dr=−4πκ(Tb − Ta)ab

b− a, (4.15)

wiederum unabhangig von r. Diesmal konnen wir die außere Kugel nachUnendlich verlegen, denn das Temperaturfeld klingt mit 1/r ab.

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4.1.2 Diffusion im unendlichen Raum

Wir wollen jetzt die zeitabhangige Diffusionsgleichung (4.5) in unendlich aus-gedehnten Bereichen betrachten, wobei eine Anfangsverteilung T = T0(r, 0)gegeben sei. Dabei konnen wir die Methode der Fourier-Transformation ver-wenden, die wir aus der Elektrodynamik oder von der Schrodinger-Gl. furfreie Teilchen her kennen. Schreiben wir die Diffusionsgleichung und dieSchrodinger-Gleichung nebeneinander,

∂T

∂t= χ∆T,

∂ψ

∂t=

i~2m

∆ψ, (4.16)

dann sehen wir, dass der Unterschied nur das i in der Schrodinger-Gleichungist. Aber gerade das macht sie zu einer Wellengleichung, wahrend die elemen-taren Anregungen bei Diffusion in der Zeit exponentiell abfallen. Zerlegen wirnach Fourier,

T (r, t) =

∫T (k, t)eik·r d3k

(2π)3, T (k, t) =

∫T (r, t)e−ik·rd3r,

ψ(r, t) =

∫ψ(k, t)eik·r d3k

(2π)3, ψ(k, t) =

∫ψ(r, t)e−ik·rd3r,

(4.17)

so erhalten wir die Gleichungen

∂T

∂t= −χk2T ,

∂ψ

∂t=−i~k2

2mψ. (4.18)

Ihre Losungen sind

T (k, t) = T (k, 0)e−λkt, ψ(k, t) = ψ(k, 0)e−iωkt (4.19)

mit λk = χk2 und ωk = ~k2/2m. Es ist physikalisch ein fundamentaler Un-terschied, ob eine Losung exponentiell abfallt oder oszilliert; mathematischaber kann man die beiden Falle weitgehend analog behandeln. Wie konzen-trieren uns im Folgenden wieder auf die Diffusion.

Nachdem man die Gleichung fur die einzelnen Fourier-Komponenten gelosthat, kann man nun durch Rucktransformation wieder das gesamte Zeitver-halten angeben:

T (r, t) =1

(2π)3

∫ ∫T (r′, 0)e−χk

2teik·(r−r′) d3r′d3k. (4.20)

Die Integration uber k lasst sich als Produkt dreier Gauß-Integrale ausfuhrenund gibt

T (r, t) =1

8(πχt)3/2

∫T (r′, 0) e−(r−r′)2/4χtd3r′. (4.21)

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Falls die Anfangsverteilung eine δ-Funktion ist, T (r, 0) = aδ(r − r0), dannist

T (r, t) =a

8(πχt)3/2e−(r−r0)2/4χt. (4.22)

Der anfangliche Peak zerfallt als Gauß-Verteilung, deren Breite proportionalzu√t wachst, |δr| ∼

√χt. Die Amplitude nimmt ∝ t−3/2 ab, so dass am En-

de T (r, t) → 0 geht. Falls allerdings weit draußen eine endliche TemperaturT∞ vorgegeben ist, dann sind (4.5) und (4.20) naturlich fur die AbweichungδT = T − T∞ zu verstehen. Deren Zerfall ist ein dissipativer Prozess. Aufeiner Skala der Lange l braucht er fur die Relaxation ins Gleichgewicht einetypische Zeit τ ∼ l2/χ.

Es sollen noch einige andere Falle und Methoden diskutiert werden. Als wich-tigste Referenz, in der man so ziemlich alles findet, was uberhaupt analytischgelost werden kann, verweise ich auf das Buch von Carlslaw und Jaeger [3].

Diffusion in einem Halbraum x > 0 kann mit Hilfe von (4.21) beschriebenwerden. Sei die anfangliche Verteilung T (r, 0) fur x > 0 gegeben, und auf demRand x = 0 soll zu allen Zeiten gelten T = 0 (es kommt nur darauf an, dassT (x = 0) = const ist; man kann naturlich immer eine globale Konstante ad-dieren oder weglassen). Man denke sich nun kunstlich ein auch zu negativen xunendlich ausgedehntes Fluid und setze dort fur dessen Anfangsverteilung

T (−x, y, z, 0) = −T (x, y, z, 0). (4.23)

Die Anfangsbedingung T (0, y, z, 0) = 0 ist dann automatisch erfullt, und daswird auch fur spatere Zeiten gelten. Deshalb konnen wir (4.21) als Formelfur die Losung verwenden. Das x-Integral von −∞ bis 0 verwandeln wir abermit Hilfe der letzten Gleichung in eines uber den rechten Halbraum, so dass

T (x, y, z, t) =1

8(πχt)3/2

∫ ∞−∞

dz′∫ ∞−∞

dy′∫ ∞

0

dx′ T (x′, y′, z′, 0)[e−(x−x′)2/4χt − e−(x+x′)2/4χt

]e−(y−y′)2/4χte−(z−z′)2/4χt.

(4.24)

Interessant ist der Fall, dass die Anfangsverteilung nur von x abhangt. Danngeben die y′- und z′-Integrale jeweils

√4πχt und es bleibt ein eindimensiona-

les x′-Integral. Wenn hierbei nun T (x′, 0) = const = T∞ ist, dann kann mandie Diffusion von der Wand in das Medium (wenn T∞ < 0) oder umgekehrt

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(wenn T∞ > 0) durch die Fehlerfunktion beschreiben;

T (x, t) =T∞

2√πχt

∫ ∞0

dx′[e−(x−x′)2/4χt − e−(x+x′)2/4χt

]=

T∞√4πχt

√4χt[∫ ∞−x/√

4χt

e−ξ2

dξ −∫ ∞x/√

4χt

e−ξ2

dξ]

= T∞2√π

∫ x/√

4χt

0

e−ξ2

= T∞ erf (x/√

4χt).

(4.25)

In der letzten Zeile wurde erf(u) = (2/√π)∫ u

0e−ξ

2dξ als Definition der Feh-

lerfunktion benutzt. Sie ist ungerade, hat bei u = 0 die Steigung 2/√π =

1.128 und geht bei u → ∞ gegen 1. Bei u = 0.477 ist erf(u) = 0.5. DieBedeutung des Resultats (4.25) ist, dass die Breite δx der Schicht, in derdie Temperatur zwischen der Wandtemperatur 0 und T∞ liegt, mit

√χt zu-

nimmt. Der Warmestrom in die Wand hinein ist

q = −κ∂T∂x

∣∣∣x=0

=−κ(T∞ − T0)√

πχt, (4.26)

wobei als Wandtemperatur jetzt T0 statt 0 genommen wurde.

Im Allgemeinen mochte man Probleme betrachten, bei denen das Fluid/derFestkorper von Randern umgeben ist, auf denen die Temperatur oder derWarmestrom kontrolliert werden; außerdem ist zu einem Zeitpunkt t = 0 dieVerteilung im Innern gegeben. Dann benotigt man systematische Methodenzur Losung. Eine davon ist die Methode der Laplace-Transformation, dieandere die Methode der Greenschen Funktionen.

4.1.3 Die Methode der Laplace-Transformation

Zur Losung von Anfangswertproblemen bietet sich haufig die Methode derLaplace-Transformation an, die man als eine Variante der Fourier-Transformationansehen kann, bei der die Anfangsbedingung eine explizite Rolle spielt. Seieine Funktion f(r, t) gegeben (t reell und f moglicherweise komplex), dannheißt

f(r, s) =

∫ ∞0

e−stf(r, t)dt (4.27)

ihre Laplace-Transformierte. Dazu wird vorausgesetzt, dass f(r, t) durch eineexponentielle Abschatzung beschrankt ist, |f(r, t)| ≤ Kect fur t→∞. Es hat

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dann f fur Re s ≥ c keine Singularitaten, und wenn noch lim|s|→∞ f(r, s) = 0,dann gilt die Umkehrformel

f(r, t) =1

2πi

∫ c+i∞

c−i∞estf(r, s)ds. (4.28)

Dabei verlauft der Integrationsweg parallel zur imaginaren s-Achse.

Zur Begrundung dieser Formel verweise ich auf Kapitel 3 in [15]. Man fas-se die Laplace-Transformation auf als Fourier-Transformation der Funktione−xtf(t), wobei x als reelle Zahl betrachtet und f(t) durch f(t) ≡ 0 fur t < 0auf die ganze reelle Achse erweitert wird:

f(y) =

∫ ∞−∞

e−iyte−xtf(t)dt =

∫ ∞−∞

e−(x+iy)tf(t)dt =

∫ ∞−∞

e−stf(t)dt

=: f(s) = f(x+ iy),

(4.29)

wobei y ebenfalls reell ist und s = x + iy nun als komplexe Zahl aufgefasstwird. Wenden wir die Fourier-Rucktransformation an, so erhalten wir

e−xtf(t) =1

∫ ∞−∞

eiytf(x+ iy)dy. (4.30)

Multiplikation mit ext gibt dann

f(t) =1

∫ ∞−∞

e(x+iy)tf(x+ iy)dy =1

2πi

∫ c+i∞

c−i∞estf(s)ds, (4.31)

wobei ds = idy gesetzt wurde, weil der Integrationsweg bei konstantem x zunehmen ist. Welches x = c bei dieser Integration zu nehmen ist, hangt vonf(t) ab. Es muss der Integrationsweg nur rechts von allen Singularitaten vonf(s) liegen, ansonsten ist der Wert beliebig.

Beispiel: f(t) = te−ωt fuhrt auf

f(s) =

∫ ∞0

te−(s+ω)tdt = − d

ds

∫ ∞0

e−(s+ω)tdt =1

(s+ ω)2. (4.32)

Fur die Rucktransformation konnen wir ein c > −ω wahlen. Das Integral∫ c+i∞

c−i∞

1

(s+ ω)2estds (4.33)

hat links vom Integrationsweg bei s = −ω einen Pol zweiter Ordnung mitResiduum te−ωt (man setze s = −ω + ε und entwickle den Integranden bis

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zur Ordnung 1/ε; dessen Vorfaktor ist das Residuum). Der Integrationsweglasst sich uber einen unendlich fernen Halbkreis links herum schließen, undda der erwahnte Pol die einzige Singularitat ist, gibt (4.28) tatsachlich dieursprungliche Funktion zuruck.

Die Laplace-Transformation hat wie die Fourier-Transformation die Eigen-schaft, dass sie Ableitungen in Multiplikationen umwandelt. Allerdings blei-ben die Anfangsbedingungen f(0) explizit im Spiel,∫ ∞

0

e−stf ′(t)dt = −f(0) + sf(s), (4.34)

wie man durch partielles Integrieren erkennt. Aus einer Differentialgleichungwird so eine algebraische Gleichung, die die Anfangsbedingung enthalt. Durchmehrmaliges partielles Integrieren sieht man, dass die Laplace-Transformierteder n-ten Ableitung nach t gegeben ist durch∫ ∞

0

e−stf (n)(t)dt = −f (n−1)(0)− sf (n−2)(0)− ...− sn−1f(0) + snf(s). (4.35)

Beispiel: Lose die Dgl. f ′′(t) = a2f(t) mit Anfangsbedingungen f(0) = f0

und f ′(0) = f ′0. Die Laplace-Transformation macht aus dieser Gleichung−f ′0 − sf0 + s2f(s) = a2f(s) oder

f(s) =sf0 + f ′0s2 − a2

=af0 + f ′02a(s− a)

+af0 − f ′02a(s+ a)

. (4.36)

Dies hat Pole erster Ordnung bei s = a und s = −a. Legen wir den Integra-tionsweg fur die Rucktransformation weit genug nach rechts und schließenihn wieder links herum, dann folgt sofort die Losung

f(t) =af0 + f ′0

2aeat +

af0 − f ′02a

e−at = f0 cosh at+1

af ′0 sinh at. (4.37)

Bei der Anwendung dieser Methode auf das Losen von Differentialgleichungenkann man einige Regeln verwenden, die sich leicht verifizieren lassen. Zuersteinmal ist die Trafo linear, d. h. aus af1(t)+bf2(t) wird af1(s)+bf2(s). Kom-plementar zu (4.34) ist die Umwandlung einer Integration in eine Division,∫ ∞

0

e−st[∫ t

0

f(τ)dτ]

dt =1

sf(s). (4.38)

Schließlich ist der Faltungssatz besonders wichtig, wonach dem Produkt zwei-er Laplace-Transformationen die Faltung der Funktionen entspricht,∫ ∞

0

e−st[∫ t

0

f1(t− τ)f2(τ)dτ]dt = f1(s)f2(s) (4.39)

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oder in der Ruckwartsrichtung

1

2πi

∫ c+i∞

c−i∞estf1(s)f2(s)ds =

∫ t

0

f1(t− τ)f2(τ)dτdt. (4.40)

Beispiel: Die Dgl. sei f ′(t) + 2f(t) = g(t) mit vorgegebenem g(t) und An-fangsbedingung f(0) = a. Die Laplace-Trafo gibt

−a+ sf(s) + 2f(s) = g(s) ⇒ f(s) =a

s+ 2+

g(s)

s+ 2. (4.41)

Bei der Rucktransformation nutzen wir aus, dass 1/(s + 2) die Laplace-Transformierte von e−2t ist. Damit wird dann

f(t) = ae−2t +

∫ t

0

e−2(t−τ)g(τ)dτ. (4.42)

Naturlich erhalt man dasselbe z. B. mit der Methode der Variation der Kon-stanten. Dies sollte nur eine Illustration der Methode sein, die wir jetztauf die Diffusionsgleichung anwenden. Die Starke der Methode liegt vor al-lem darin, dass es Tafeln von Laplace-Transformationen (wie von Fourier-Transformationen) gibt, in denen man sich fur die Rucktransformation be-dienen kann. Die komplexe Integration selbst auszufuhren, kann im Einzelfallziemlich muhselig sein.

Die Warmeleitungsgleichung und ihre Laplace-Transformierte sind

∆T (r, t)− 1

χ

∂T (r, t

∂t= 0, ∆T (r, s)− s

χT (r, s) = − 1

χT (r, 0). (4.43)

Hier ist die Ableitung nach der Zeit in eine Multiplikation mit s umgewan-delt, wobei auf der rechten Seite jetzt explizit die Anfangsbedingung steht.Noch immer ist aber eine partielle Dgl. in drei Variablen zu losen. Wir be-schranken uns auf Systeme, bei denen man aufgrund von Symmetrien zweiVariablen ignorieren kann.

Als Beispiel sei noch einmal der Halbraum x > 0 genommen, der anfangseine konstante Temperatur T∞ habe und von der Wand bei x = 0 geheiztoder gekuhlt werde. Dabei soll zugelassen werden, dass T (0, t) fur t > 0eine beliebige (aber Laplace-trasformierbare) Funktion sei. Wir setzen denTemperatur-Nullpunkt diesmal so, dass T∞ = 0 ist. Dann lautet die trans-formierte Gleichung

d2T (x)

dx2− s

χT (x) = 0, x > 0, (4.44)

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und die Randbedingung T (0, t) = φ(t) lautet nach Transformation T (0, s) =φ(s). Die Losung der Gl. (4.44), die fur x→∞ endlich bleibt und bei x = 0die Randbedingung erfullt, ist

T (x, s) = φ(s)e−x√s/χ. (4.45)

Wenn wir φ(t) = T0 konstant setzen, dann ist φ(s) = T0/s und deshalb

T (x, s) =T0

se−x√s/χ. (4.46)

In einer Tafel von Laplace-Transformierten (s. [3] oder [11]) findet man dann

T (x, t) = T0erfc (x/√

4χt) ≡ T0

(1− erf (x/

√4χt)

)(4.47)

in Ubereinstimmung mit (4.25). (Die direkte Berechnung des Integrals derRucktransformation ist nicht ganz einfach, zumal man wegen der

√s/χ

einen Verzweigungsschnitt entlang der negativen reellen s-Achse legen muss;vgl. die Diskussion des Integrals (4.51).)

Interessanter ist jetzt, dass wir die Losung auch fur allgemeine Zeitverlaufeφ(t) der Temperatur auf der Wand angeben konnen. Dazu benutzen wir,dass (4.45) ein Produkt zweier Funktionen ist, deren einzelne Urbilder unterder Laplace-Transformation wir kennen (bei φ(t)) oder in Tafeln nachschla-gen konnen: es gilt namlich

ex√s/χ =

∫ ∞0

e−stx√

4πχt3e−x

2/4χtdt, (4.48)

so dass wir mit dem Faltungssatz die Losung finden,14

T (x, t) =x√4πχ

∫ t

0

φ(τ)e−x

2/4χ(t−τ)

(t− τ)3/2dτ. (4.49)

Wenn nun allerdings φ(t) von einer Art ist, dass wir dieses Integral nichtin Tafeln finden, mussen wir die Inversion der Laplace-Transformation dochexplizit versuchen. Ein Beispiel ware

φ(t) = T0 sin(ωt+ α) ⇒ φ(s) = T0ω cosα + s sinα

s2 + ω2. (4.50)

14Landau-Lifschitz erhalten dieses Resultat auf eine Weise, die ich nicht nachvollziehenkann.

72

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Die Inversion des Integrals (4.45) ist dann

T (x, t) =T0

2πi

∫ c+i∞

c−i∞

ω cosα + s sinα

s2 + ω2est−x√s/χds. (4.51)

Der Integrand hat Pole bei s = ±iω und einen Verzweigungsschnitt entlangder negativen reellen s-Achse. Deshalb konnen wir den Integrationsweg nichtmit Hilfe eines unendlich fernen Halbkreises schließen, sondern mussen ihnum die negative reelle s-Achse herum fuhren. Dabei ist auf dem oberen Rand√s = i

√|s| zu nehmen und auf dem unteren Rand

√s = −i

√|s|. Das

gesamte Integral hat nun vier nicht verschwindende Teile. Zwei ruhren vonden Residuen der Pole her, die zusammen

e−x√ω/2χ sin

(ωt+ α− x

√ω/2χ

)(4.52)

ergeben. Die beiden anderen Teile sind die Integrale, die wir mit s = ρeiπ

(oben) und s = ρe−iπ (unten) entlang des Verzweigungsschnitts berechnenmussen. Zusammen ergeben sie∫ ∞

0

ω cosα− ρ sinα

ρ2 + ω2e−ρt

[e−ix√ρ/χ − eix

√ρ/χ]dρ

= −4iχ

∫ ∞0

ω cosα− χu2 sinα

χ2u4 + ω2e−χu

2t sinux udu, (4.53)

wobei zuletzt ρ = χu2 substituiert wurde. Das Gesamtresultat ist schließlich

T (x, t) = T0e−x√ω/2χ sin

(ωt+ α− x

√ω/2χ

)+

+2χT0

π

∫ ∞0

ω cosα− χu2 sinα

χ2u4 + ω2e−χu

2t sinux udu. (4.54)

Leider kann man das letzte Integral nicht explizit ausfuhren. Es ist aber einexponentiell in der Zeit abklingender Beitrag und beschreibt das Einschwing-verhalten. Nach seinem Abklingen ist nur noch der erste Teil wichtig, der vonden Polen herruhrt. Er beschreibt eine Schicht der Dicke δx ∼

√χ/ω, in der

die Temperatur exponentiell abklingt und mit der Frequenz ω oszilliert.

In ahnlicher Weise kann man diese Methode benutzen, um analoge Proble-me mit Zylinder- oder Kugelsymmetrie zu behandeln. Dazu sei aber aufCarlslaw-Jaeger verwiesen [3].

73

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4.1.4 Die Methode der Greenschen Funktionen

Die Methode der Greenschen Funktionen ist wahrscheinlich die starkste all-gemeine Methode zur Losung linearer partieller Differentialgleichungen ineinem raumlichen Gebiet V mit Rand ∂V , bei denen Anfangsbedingungenzur Zeit t = 0 im ganzen Raum und Randbedingungen auf ∂V zu allen Zeitenvorgegeben werden. Darstellungen der Methode finden sich viele, z. B. in demElektrodynamik-Buch von Jackson. Ich halte mich hier an die Darstellungin [3], die direkt auf die Diffusionsgleichung zugeschnitten ist.

Grundidee der Methode ist, die Linearitat der Warmeleitungsgleichung aus-zunutzen, um Quellen im Innern und auf dem Rand aus δ-Funktionen zu-sammenzusetzen und fur solche Quellen, die im Moment t = τ bei r = r′

wirksam sind, gemaß (4.22) die Losungen

1(4πχ(t− τ)

)3/2e−(r−r′)2/4χ(t−τ) (4.55)

zu benutzen. Als Greensche Funktion der Gleichung (4.5) bezeichnet man dieFunktion

G = G(r, r′, t− τ), t > τ, (4.56)

die fur t > τ die Gleichungen

∂G

∂t= χ∆G und

∂G

∂τ= −χ∆G (4.57)

lost und fur t → τ an allen inneren Punkten gegen Null geht außer bei r′,wo (4.55) das Verhalten beschreibt. Auf dem Rand ∂V soll G = 0 sein.

Mit Hilfe der so definierten Funktion soll nun das folgende allgemeine Pro-blem fur T (r, t) gelost werden (t > 0):

∂T

∂t= χ∆T, T (r, 0) = f(r), T (r, t) = φ(r, t) fur r ∈ ∂V . (4.58)

Die Funktionen f(r) als Anfangsbedingung im Innern und φ(r, t) als zeitabhangi-ge Randbedingung sind frei vorgebbar. Diese Gleichungen (außer der An-fangsbedingung) gelten auch zu einer beliebigen Zeit 0 < τ < t,

∂T

∂τ= χ∆T, T (r, τ) = φ(r, τ) fur r ∈ ∂V . (4.59)

Hiermit konnen wir nun (4.57) bis (4.59) kombinieren in der Form

∂τ(GT ) = G

∂T

∂τ+ T

∂G

∂τ= χ

(G∇2T − T∇2G

), (4.60)

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die wir nun uber V und die Zeit integrieren,∫ t−ε

0

∫V

d3r∂

∂τ(GT ) = χ

∫ t−ε

0

∫V

d3r(G∇2T − T∇2G

)(4.61)

mit ε > 0. Auf der linken Seite vertauschen wir die Integrationen und erhalten∫d3r((GT )τ=t−ε − (GT )τ=0

). Im Grenzfall ε→ 0 benutzen wir, dass Gτ=t−ε

nur auf einem kleinen Bereich um r′ herum von 0 verschieden ist, dort aberdas Integral 1 hat. Deshalb ist die linke Seite

T (r′, t)−∫

d3rGτ=0Tτ=0 = T (r′, t)−∫

d3rGτ=0f(r). (4.62)

Die rechte Seite lasst sich mit dem Greenschen Satz integrieren, weil derIntegrand als Divergenz geschrieben werden kann:

χ

∫ t−ε

0

∮∂V

d2r ·(G∇T − T∇G

)= χ

∫ t−ε

0

∮∂V

do T∂G

∂n(4.63)

wobei ausgenutzt wurde, daas G = 0 auf dem Rand sein soll; ∂/∂n ist alsRichtungsableitung entlang der nach innen gerichteten Normale gemeint. Aufdem Rand konnen wir aber nach (4.58) die vorgegebene Funktion φ einsetzen,und der Limes ε→ 0 ist hier unkritisch. Daher lautet das Resultat

T (r′, t) =

∫V

d3rGτ=0f(r) + χ

∫ t

0

∮∂V

do φ(r, τ)∂G

∂n. (4.64)

In dieser Weise ergibt sich das Temperatur-Profil aus den Anfangsbedingun-gen und dem Verhalten auf dem Rand. Wegen der Symmetrie der GreenschenFunktion in r und r′ konnen wir das umschreiben als

T (r, t) =

∫V

d3r′Gτ=0f(r′) + χ

∫ t

0

∮∂V

do φ(r′, τ)∂G

∂n′. (4.65)

Wenden wir dies auf den Fall des Halbraums an, in dem wir eine beliebigeAnfangsbedingung f(x) vorgeben und auf dem Rand x = 0 die Temperaturφ(t). Die Greensche Funktion fur den Halbraum entnehmen wir (4.24), wobeiwir die Koordinaten y, z ausintegrieren,

G(x, x′, t− τ) =1√

4πχ(t− τ)

[e−(x−x′)2/4χ(t−τ) − e−(x+x′)2/4χ(t−τ)

]. (4.66)

Damit ergibt sich das Temperaturfeld zu

T (x, t) =1√

4πχt

∫ ∞0

f(x′)[e−(x−x′)2/4χt − e−(x+x′)2/4χt

]dx′

+x√4πχ

∫ t

0

φ(τ)e−x

2/4χ(t−τ)

(t− τ)3/2dτ.

(4.67)

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Es sind also nur noch zwei Quadraturen auszufuhren.

Damit soll es sein Bewenden haben, was die Losung der Diffusionsgleichungangeht. Es sei noch auf Folgendes hingewiesen. Meist kann man die Green-sche Funktion nicht so einfach raten wie im Fall des Halbraums. Tatsachlichkann man sie uberhaupt nur dann angeben, wenn die Randbedingungen sosind, dass sich das Problem separieren lasst. Das geht, wenn die Randeraus Koordinatenflachen der kartesischen, Zylinder-, Kugel- oder Ellipsoid-Koordinaten (und einiger weiterer, s. [22]) bestehen und in wenigen anderenFallen. Man kann fur die Greenschen Funktionen dann Reihenentwicklungenangeben. Bei kartesischen Koordinaten sind das Fourier-Reihen, bei Kugel-koordinaten summiert man uber Kugelfunktionen und die Nullstellen vonBesselfunktionen. Das kann aber hier nicht weiter vertieft werden, wenn nichtdas Thema Hydrodynamik aus den Augen verloren werden soll.

4.1.5 Teilchen-Diffusion

Es sollen aber noch einige Anmerkungen zu der Diffusion von Teilchen inFluiden angefugt werden. Die Diffusionsgleichung gilt namlich auch fur dieerratische Bewegung von Teilchen, die in einem Fluid gelost oder suspendiertsind – man nennt das auch Brownsche Bewegung. Dies ist offenbar in der Che-mie ein wichtiges Motiv. Dort diffundieren Teilchen, und wenn sie sich treffen,reagieren sie. Man spricht deshalb von Reaktions-Diffusions-Gleichungen, indenen außer den Diffusionstermen noch Terme enthalten sind, die chemischenReaktionen beschreiben. Auch das kann hier nicht vertieft werden, aber zweiDinge scheinen mir wichtig: die Einstein-Beziehung zwischen Diffusionskon-stante und Beweglichkeit und die Smoluchowski-Beziehung zwischen Diffusi-onskonstante und Reaktionsrate.

Wenn eine Substanz mit geringer Konzentration c in einem Fluid gelost odersuspendiert ist, gehorcht das Feld c(r, t) der Diffusionsgleichung

∂c

∂t= D∆c. (4.68)

Die elementare Herleitung geschieht so, dass man ∂c/∂t+∇·j = 0 mit einemTeilchenstrom j als Erhaltungsgleichung benutzt und fur j den Ansatz j =−D∇c macht (das sind die beiden sog. Fickschen Gesetze. Es fragt sich nun,ob man D irgendwie berechnen kann. In einer seiner genialen Arbeiten von1905 hat Einstein dazu eine interessante Relation gefunden. Er fragte sich,wie ein derart suspendiertes Teilchen auf außere Krafte f reagiert, z. B. aufdie Gravitationskraft. Wegen der Dominanz von Reibung wird nach jeweils

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kurzer Zeit der reaktive Term mr keine Rolle spielen und

v = bf (4.69)

sein, wobei der Proportionalitatsfaktor b als Beweglichkeit bezeichnet wird.Aus der Diskussion der Stokesschen Kugel von Radius a kennen wir einesolche Beziehung, denn dort war die Reibungskraft 6πηav, also

b = 1/6πηa. (4.70)

Einstein uberlegte nun, dass im Gleichgewicht (etwa in der Atmosphare, wo esDichtegradienten und die Schwerkraft gibt) die Summe aus Diffusionsstromund reaktivem Strom verschwinden muss. Auf die Volumeneinheit bezogenist aber der Diffusionsstrom −D∇c, der reaktive Strom cv = cbf . Es mussalso gelten

D∇c = cbf = −cb∇U, (4.71)

wobei in der letzten Gleichung angenommen wurde, dass f ein Potential hat.Es ist aber nach Boltzmann die Konzentration der Teilchen proportional zue−U/kBT , woraus folgt

∇c = − c

kBT∇U =

c

kBTf =

cb

Df , (4.72)

so dass folgtD = kBTb, (4.73)

die Einstein-Relation [10]. Mit (4.70) folgt

D =kBT

6πηa. (4.74)

Dies gibt an, wie die Diffusionskonstante von der Große der Teilchen undder Viskositat abhangt. Mit η = 10−3 kg/(m s) fur Wasser, kBT = 4.1 ·10−21 m2kg/s2 bei T = 300 K und a in Einheiten von 10−10 m findet man

D =2.2 · 10−9

a

m2

s=

2.2 · 10−5

a

cm2

s. (4.75)

Auf dieser Skala kann man das Fluid vielleicht nicht mehr durch eine Visko-sitat charakterisieren, aber die Großenordnung der Diffusionskonstante ent-spricht dem, was man misst.

Zum Schluss dieses Kapitels soll noch der Zusammenhang von Diffusions-konstante und chemischen Reaktionsraten diskutiert werden, sofern diese

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diffusionskontrolliert sind. Damit ist gemeint, dass eine Reaktion stattfin-det, sobald die beiden Reaktionspartner sich auf ihren erratischen Wegender Brownschen Bewegung treffen. Normalerweise wird angenommen, dassReaktionen nicht schneller als diffusionskontrolliert stattfinden konnen. FurAusnahmen siehe [24].

In der Chemie beschreibt man Reaktionen, bei denen Teilchen der Sorte Amit solchen der Sorte B zu Verbindungen AB reagieren, symbolisch als

A+Bk→ AB (4.76)

und interpretiert das im Sinne des sog. Massenwirkungsgesetzes als die Aussa-ge, dass sich die Konzentration cAB ≡ [AB] des Komplexes AB proportionalzu den Konzentrationen cA ≡ [A] und cB ≡ [B] der Reaktionspartner erhoht:

dcABdt

= kcAcB oderd[AB]

dt= k[A][B]. (4.77)

Wenn die Begegnung der Molekule A und B durch Diffusion zustande kommt,kann man mit Smoluchowski wie folgt argumentieren.

Aus Sicht eines Teilchens der Sorte A diffundiert ein Teilchen B heran, undwenn der Abstand der beiden die Summe ihrer Radien ist, findet die Reakti-on statt – beschrieben dadurch, dass die Teilchen A und B verschwinden. AlsDiffusionsproblem kann man das so formulieren, dass um A herum eine Kugelvon Radius rA+rB gelegt wird mit Randbedingung cB = 0. Weit draußen hatman die mittlere Konzentration cB∞. Die stationare Losung dieses Problemshatten wir bereits in (4.14) und (4.15) diskutiert. Wir mussen nur die Erset-zungen Tb → cB∞, Ta → 0, b→∞ und a→ rA + rB vornehmen. κ ist durchdie Diffusionskonstante der Teilchen zu ersetzen; da aber in der Losung beideTeilchen diffundieren, ist effektiv die Summe DA +DB zu nehmen. Dann istder Zusammenfluss der Teilchen gegeben durch

I = 4π(DA +DB)(rA + rB)cB∞. (4.78)

Die Reaktionsrate k ist aber dieser Fluss pro Teilchen, d. h.

k = I/cB∞ = 4π(DA +DB)(rA + rB). (4.79)

Mit diesem Resultat von Smoluchowski [28] und der Einstein-Relation kannman Reaktionsraten auf molekulare Eigenschaften und die Viskositat desLosungsmittels zuruckfuhren. Mit (4.74) fur die Diffusionskonstante undDA ≈DB =: D, rA ≈ rB =: a finden wir das uberraschend einfache Ergebnis

k =8

3

kBT

η, (4.80)

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unabhangig von der Teilchengroße, weil die Diffusionskonstante zu ihr um-gekehrt proportional ist. Fur Wasser bei 330 K finden wir

k ≈ 1.1 · 10−17 m3/s = 6.6 · 109 l mol−1 s−1, (4.81)

wobei wir fur m3 die bei Chemikern beliebtere Einheit l/mol eingesetzt ha-ben, mit 1m3 = 103N l/mol und der Avogadro-Zahl N. Dieser Wert fur die As-soziationsrate wird bei diffusionskontrollierten Reaktionen tatsachlich auchgemessen. In der Praxis spielen aber auch elektrostatische Effekte eine wich-tige Rolle, und naturlich sind nicht alle Reaktionen von der Art, dass siebei jeder Begegnung der Reaktionspartner stattfinden. Wenn irgendwelchePotentialbarrieren uberwunden werden mussen, sind die Raten langsamer.Hierzu gibt es eine sehr weitlaufige Literatur. In den vergangenen Jahren hatdie sog. transition state theory der chemischen Reaktionen durch Einsichtender Chaostheorie neue Impulse erfahren.

79

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5 Schall. Moden im Gleichgewicht

Im Gegensatz zu diffusiven Moden wie der Warmeleitung gibt es schon in ein-fachen Fluiden auch eine propagierende Mode, den Schall. In seiner reinstenForm (d. h. ungedampft) tritt er bereits in kompressiblen idealen Fluiden auf.Da er eine Dichte- und Druckwelle ist, kann er in inkompressiblen Fluidennaturlich nicht auftreten. Wir diskutieren zuerst den Schall in idealen Flui-den und anschließend die elementaren Moden in realen Fluiden, also unterEinbeziehung von Viskositat und Warmeleitung.

5.1 Schall in idealen Fluiden

Die Grundgleichungen (2.1) bis (2.3) idealer Fluide sollen fur kleine Abwei-chungen vom Zustand homogener Dichte ρ0 und homogenen Drucks p0 inRuhe v0 = 0 und ohne außere Krafte ausgewertet werden. Mit anderen Wor-ten: wir linearisieren diese Gleichungen in den Großen δρ = ρ−ρ0, δp = p−p0

und v, von denen wir annehmen, dass sie in gleicher Ordnung klein sind. Da-mit sind die konvektiven Terme v · ∇... schon mal von zweiter Ordnung undkonnen weggelassen werden. Aus (2.1) und (2.2) folgt damit

∂δρ

∂t+ ρ0∇ · v = 0,

∂v

∂t+

1

ρ0

∇δp = 0. (5.1)

Das sind zwei Gleichungen fur die drei Unbekannten δρ, δp und v. Ein ge-schlossenes System erhalten wir mit der Eigenschaft idealer Fluide, dass derTransport in ihnen adiabatisch stattfindet, s = const. Es gilt also zwischenδp und δρ die Beziehung

δp =∂p

∂ρ

∣∣∣sδρ =

1

ρ0κsδρ, (5.2)

wobei κs die adiabatische Kompressibilitat ist. Hiermit lasst sich die ersteder Gln. (5.1) in eine fur die Druckvariationen umwandeln, und wir erhalten

∂δp

∂t+

1

κs∇ · v = 0,

∂v

∂t+

1

ρ0

∇δp = 0. (5.3)

Dieses Gleichungssystem ist leicht zu durchschauen, indem man eine der Glei-chungen noch einmal nach t ableitet und dann die andere einsetzt. Das Er-gebnis sind die Wellengleichungen(∂2

∂t2− 1

ρ0κs∆)δp = 0,

(∂2

∂t2− 1

ρ0κs∆)v = 0. (5.4)

80

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Die Geschwindigkeit c der Wellen ist gegeben durch

c2 =1

ρ0κs=cpcv

1

ρ0κT, (5.5)

Letzteres nach einer bekannten thermodynamischen Beziehung. Im Falle ei-nes idealen Gases hat man p = (kBT/m)ρ mit m als molekularer Masse.Dann ist ∂p/∂ρ|T = kBT/m und daher

c2 =kBT

m

cpcV. (5.6)

Die Losungen der Gln. (5.4) lassen sich aus ebenen Wellen mit Phasenfakto-ren

ei(k·r−ωt) mit ω = ±kc (5.7)

zusammensetzen. Die zweite der Gln. (5.4) zeigt, dass fur diese elementarenWellen v ∝ k ist, d. h. die Wellen sind longitudinal.

Die §§ 63-78 von [18] behandeln ausfuhrlich die Ausbreitung, Erzeugung, Re-flektion, Streuung, Absorption etc. von Schall. Darauf kann ich aus Zeit-grunden in der Vorlesung nicht eingehen, aber ich empfehle diese Abschnittezur Lekture. Im Folgenden soll nur noch die Dampfung des Schalls aufgrunddissipativer Prozesse hergeleitet werden.

5.2 Die hydrodynamischen Moden im Gleichgewicht

Es sollen jetzt die vollen hydrodynamischen Gleichungen um das Gleichge-wicht herum linearisiert werden. Dabei wird sich zeigen, dass es fur die funfKomponenten δρ, v, δs zwei diffusive transversale Moden (viskoser Trans-port) und drei longitudinale Moden gibt, von denen eine ebenfalls diffusivist (Warmeleitung), die anderen beiden propagierend (Schall). Als Quelleempfehle ich das Buch

”Hydrodynamic Fluctuations, Broken Symmetry, and

Correlation Functions“ von D. Forster [12].

Wir benutzen die Grundgleichungen (2.1), (3.7) und (4.2a) der Hydrodyna-mik einkomponentiger Fluide:

∂ρ

∂t+ v · ∇ρ = −ρ∇ · v

ρ(∂v∂t

+ (v · ∇)v)

= −∇p+ η∆v + (ζ + 13η)∇(∇ · v)

ρT(∂s∂t

+ (v · ∇)s)

= σ′ik∂vi∂xk

+ κ∆T,

(5.8)

81

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wobei wir Suszeptibilitaten und Transportkoeffizienten als konstante Mate-rialparameter annehmen. Wir gehen aus vom stationaren globalen thermo-dynamischen Gleichgewichtszustand v = 0, ρ = ρ0, p = p0, s = s0 (mitZustandsgleichungen p = p(ρ, s) und T = T (ρ, s), die Druck- und Tempera-turanderungen mit denen der hier als unabhangig angenommenen Variablenρ, s verknupfen). Wir betrachten dann kleine Fluktuationen um diesen Zu-stand, ρ = ρ0 + δρ, s = s0 + δs, und v = δv (so dass man bei v das δ auchweglassen kann). Da v in erster Ordnung klein ist, fallen die Terme ∝ v2

i weg,also die konvektiven Terme auf den linken Seiten und der erste Term rechtsin der Warmeleitungsgleichung. Es bleiben nur

∂δρ

∂t= −ρ0∇ · v

∂v

∂t= − 1

ρ0

∇δp+η

ρ0

∆v +( ζρ0

3ρ0

)∇(∇ · v)

∂δs

∂t=

κ

ρ0T0

∆δT.

(5.9)

Um dies zu einem geschlossenen Gleichungssystem fur δρ, v und δs zu ma-chen, muss man noch einsetzen

δp =∂p

∂ρ

∣∣∣sδρ+

∂p

∂s

∣∣∣ρδs, δT =

∂T

∂ρ

∣∣∣sδρ+

∂T

∂s

∣∣∣ρδs. (5.10)

Nun denke man sich den Ansatz ebener Wellen ei(k·r−ωt) gemacht, so dasszu ersetzen ist ∂/∂t → −iω und ∇ → ik. Dann erhalt man (als Argumenteder Flukuationen sind immer k, ω gemeint, und die Indizes 0 bei ρ0, T0 etc.werden jetzt weggelassen)

−iωδρ = −ρik · v

−iωv = −1

ρ

∂p

∂ρ

∣∣∣sikδρ− 1

ρ

∂p

∂s

∣∣∣ρikδs− η

ρk2v −

(ζρ

)k(k · v)

−iωδs = − κ

ρT

∂T

∂ρ

∣∣∣sk2δρ− κ

ρT

∂T

∂s

∣∣∣ρk2δs

(5.11)

Dieses System von 5 Gleichungen werde nun in drei longitudinale und zweitransversale Gleichungen (bzgl. der Richtung k) zerlegt, indem wir den An-satz v = vlk + vt mit k = k/k und k · vt = 0 machen. Die erste Gleichungin (5.11) reduziert sich wegen k ·v = kvl auf die rein longitudinale Gleichung

ωδρ = kρvl. (5.12)

Bei der zweiten Gleichung setzen wir ein v = vlk + vt und benutzen wiederk · v = kvl. Dann konnen wir ablesen, welche Terme parallel zu k sind und

82

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welche senkrecht darauf stehen. Die longitudinalen Terme geben

ωvl =k

ρ

∂p

∂ρ

∣∣∣sδρ+

k

ρ

∂p

∂s

∣∣∣ρδs− ik2 1

ρ

(4η

3+ ζ)vl, (5.13)

und die transversalenωvt = −ik2η

ρvt. (5.14)

Die Gleichung fur δs koppelt nur an δρ, gehort also zu den longitudinalenGleichungen:

ωδs = −ik2 κ

ρT

∂T

∂ρ

∣∣∣sδρ− ik2 κ

ρT

∂T

∂s

∣∣∣ρδs. (5.15)

Damit haben wir eine Gleichung (5.14) fur die beiden transversalen Kompo-nenten und drei fur die longitudinalen, namlich (5.12), (5.13), (5.15).

Die beiden transversalen Moden haben die Dispersionsrelation

ω = −iνk2 mit ν =η

ρ(5.16)

Das entspricht einem diffusiven Verhalten mit Diffusionskonstante ν. Es han-delt sich um den diffusiven Transport des Impulses quer zur Richtung derGeschwindigkeit.

Um die drei anderen Moden zu finden, schreiben wir (5.12), (5.13), (5.15) alsMatrixgleichung

M

δρvlδs

= 0 (5.17)

mit

M :=

ω −kρ 0

−kρc2 ω + ik2DL −k

ρ∂p∂s

∣∣ρ

ik2 κρT

∂T∂ρ

∣∣s

0 ω + ik2Dv

(5.18)

wobei c2 := ∂p/∂ρ∣∣s, DL :=

(43η + ζ

)/ρ, Dv := κ

ρcvund cv = T∂s/∂T

∣∣ρ. Die

Frequenzen ω sind die Eigenwerte dieser Matrix. Man sieht zuerst, dass ω(k)mindestens linear in k sein muss, und etwas langeres Hinschauen zeigt, dasses eine diffuse Mode und zwei gedampfte Schallwellen gibt. Wir versuchendeshalb den Ansatz

detM = (ω + ik2DT )(ω − ck + 12ik2Γ)(ω + ck + 1

2ik2Γ) (5.19)

83

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wobei die Dampfungskonstanten DT und Γ in jeweils niedrigster Ordnungvon k durch Vergleich mit dem charakteristischen Polynom von M bestimmtwerden konnen. Das DT ergibt sich, wenn wir ω → 0 gehen lassen, in O(k4):

c2DT = c2Dv −DvcvT

∂T

∂ρ

∣∣∣s

∂p

∂s

∣∣∣ρ

(5.20)

Nun ist aber

1

c2

1

T

∂T

∂ρ

∣∣∣s

∂p

∂s

∣∣∣ρ

=1

T

∂ρ

∂p

∣∣∣s

∂T

∂ρ

∣∣∣s

∂p

∂s

∣∣∣ρ

=1

T

∂T

∂p

∣∣∣s

∂p

∂s

∣∣∣ρ

=1

cv− 1

cp, (5.21)

denn wenn man T als Funktion von s und p auffasst, dT = (∂T/∂s)|pds +(∂T/∂p)|sdp, dann findet man

T

cv− T

cp=∂T

∂s

∣∣∣ρ− ∂T

∂s

∣∣∣p

=∂T

∂p

∣∣∣s

∂p

∂s

∣∣∣ρ. (5.22)

Es folgt, dass sich (5.20) schreiben lasst

DT =κ

ρcp= χ, (5.23)

wie wir es bereits aus der Diskussion der Warmeleitung kennen. Die Warme-leitung ist also eine der longitudinalen Moden.

Nachdem wir DT haben, ist Γ leicht bestimmt, indem wir den Koeffizientenvon iω2k2 im charakteristischen Polynom mit dem entsprechenden Term imAnsatz vergleichen. Das Ergebnis ist

Γ = DL +Dv −DT = DL +DT

(cpcv− 1)

=1

ρ(4

3η+ ζ) +

κ

ρ

( 1

cv− 1

cp

). (5.24)

Damit haben wir als zwei longitudinale Moden die Schallwellen mit den Ge-schwindigkeiten ±c gefunden und der durch Γ gegebenen Dampfung. Es tra-gen sowohl die Warmeleitung als auch Diffusion zur Dampfung des Schallsbei.

Die Dampfungskonstante Γ hangt eng zusammen mit dem Absorptionskoeffi-zienten des Schalls. Dieser ist dadurch definiert, dass man den Schall wahrendseiner Ausbreitung (z. B. in x-Richtung) verfolgt und fur die Amplitude das

Gesetz e−γx ansetzt. Nun ist aber |v| ∝ e−12k2Γt, so dass mit k = ω/c und

t = x/c

γ =ω2

2c3Γ (5.25)

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wird. Dieses Gesetz ist eine Verbesserung des Stokes-Gesetzes der Schalldamp-fung, nach dem γ = (2/3)(η/ρ)ω2/c3 sein sollte. Es gilt jedenfalls, dass dieDampfung mit dem Quadrat der Frequenz anwachst, aber es werden vieleEffekte vernachlassigt, die in der Realitat die Dampfung verstarken: Rander,Verunreinigungen, molekulare Absorption etc. Ich gebe im Folgenden eineTabelle an, die ich nach langerer Recherche zusammengetragen habe. EinigeAngaben mussen durchaus als unsicher gelten, weil verschiedene Quellen inden Werten differierten. Die Großenordnungen sollten aber stimmen. Es wer-den vier Fluide mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften aufgefuhrt, jeweilsbei T = 20C und Normaldruck von 1.013 · 105 Pa, wobei ein Pascal gleichN/m2 ist. Alle Großen sind in Einheiten des SI-Systems angegeben.

Luft Wasser Glycerin Quecksilber

ρ in kg/m3 1.20 997.8 1261 13 580η in 10−3 kg/m·s 0.0181 1.00 1490 1.53ν in 10−6 m2/s 15.1 1.00 1180 0.11ζ in 10−3 kg/m·s 0 3.09 ? ?κ in W/m·K 0.025 0.60 0.294 8.69cp in 103 J/kg·K 1.0 4.187 2.43 0.139cv in 103 J/kg·K 0.71 4.160 2.20 0.121χ in 10−6 m2/s 20.8 0.14 0.096 4.60

P = ν/χ 0.72 7.0 12 310 0.024κT in 10−9/Pa 9 900 0.460 0.243 0.040κS in 10−9/Pa 7 040 0.457 0.220 0.035α in 10−3/K 3.41 0.21 0.49 0.18c in 103 m/s 0.343 1.48 1.90 1.45DL in 10−6 m2/s 20.1 4.4 1580 0.15

DT (cp − cv)/cv in 10−6 m2/s 8.5 0.001 0.01 0.68Γ in 10−6 m2/s 28.6 4.4 1580 0.83

1/γ|10 kHz in 103 m 0.72 370 2.2 1875

Zu dieser Tabelle sind einige Anmerkungen zu machen. Die fett gedruck-ten Großen sind außer der Dichte ρ die drei Transportkoeffizienten η (dy-namische Viskositat), ζ (Volumenviskositat), κ (Warmeleitfahigkeit) und diedrei Suszeptibilitaten cp = T∂s/∂T |p (spezifische Warme bei festem Druck),κT = −(1/V )∂V/∂p|T (isotherme Kompressibilitat) und α = (1/V )∂V/∂T |p(thermischer Ausdehnungskoeffizient). Fur diese lassen sich Messwerte finden– mit Ausnahme von ζ, das ich nur fur Wasser gefunden habe; fur Gase soll

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ζ gemaß der kinetischen Gastheorie Null sein.15

Die anderen Großen sind aus fett gedruckten abgeleitet und mit Hilfe vonFormeln berechnet, die großtenteils bereits angegeben wurden. Sie seien hiernoch einmal zusammengetragen:

ν = η/ρ

χ = κ/ρcp

κS = κT − α2T/ρcp

cv = cp · κS/κTc2 = 1/ρκS

DL = 43ν + ζ/ρ

DT = χ

Γ = DL +DT (cp − cv)/cvγ|10 kHz = ω2Γ/2c3 mit ω = 20 000π/s

(5.26)

Die Gleichungen in der dritten und vierten Zeile werden normalerweise alsUbungsaufgaben in der Vorlesung zur Thermodynamik bzw. StatistischenPhysik behandelt. Alles Andere wurde in dieser Vorlesung definiert oder ab-geleitet. Ich bin erstaunt uber die geringe Dampfung, die mit Viskositat undWarmeleitung verbunden ist (sofern ich richtig gerechnet habe). Wenn bei10 kHz die Reichweite in Luft 720 m und in Wasser 370 km sein soll, dann istsie bei 1 kHz hundert Mal so groß, was ich kaum glauben kann.

Die Prandtl-Zahl P = ν/χ ist eine der wichtigen dimensionslosen Material-konstanten, die man durch irgendwelche Skalentransformationen nicht los-werden kann. Das wird im Folgenden eine wichtige Rolle spielen. Die Tabellezeigt, dass P zwischen Glycerin und Quecksilber einen Bereich von 6 Großen-ordnungen uberstreicht. P bestimmt, ob die Dissipation eher durch Viskositat(P > 1) oder durch Warmeleitung (P < 1) bestimmt wird. Je nachdem hatauch die Konvektion unterschiedlichen Charakter, der wir uns nun zuwendenwollen.

15Ich bin dankbar fur Hinweise auf Messwerte fur Glycerin und Quecksilber.

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6 Konvektion

Wahrend das vorangehende Kapitel sich mit der unmittelbaren Nahe deshomogenen mechanischen Gleichgewichts in einem unendlich ausgedehntenFluid beschaftigte, soll es jetzt darum gehen, reale Stromungen zu diskutie-ren, die aufgrund von Temperaturgradienten unvermeidlich einsetzen, wennzur Herstellung des thermischen Gleichgewichts konvektiver Transport effek-tiver ist als die diffusive Warmeleitung. Am Beispiel des Rayleigh-Benard-Experiments soll das ausfuhrlich dargestellt werden, vorher aber sollen allge-meine Uberlegungen zur mechanischen Stabilitat und zu relevanten dimensi-onslosen Parametern angestellt werden.

6.1 Mechanische Stabilitat

Wir gehen zuruck zum Abschnitt 2.2 uber die Hydrostatik, wo das mecha-nische Gleichgewicht eines Fluids im Gravitationsfeld durch ∇p = ρg =ρ(0, 0,−g) beschrieben wurde. Diese Gleichung besagt, dass der Druck unddamit die Dichte und somit auch die Temperatur nur von der Hohe z abhangenkonnen, T = T (z). Falls es horizontale Temperaturgradienten gibt, resultie-ren Druckunterschiede, die zu horizontaler Bewegung fuhren.

Wenn wie in der Atmosphare T = T (z) 6= const ist, dann liegt kein ther-misches Gleichgewicht vor, auch wenn mechanisches Gleichgewicht ∇p = ρggegeben ist. Dieses kann aber instabil sein, so dass kleine Fluktuationen An-lass zu Stromungen geben mit der Tendenz, ein thermisches Gleichgewichtherzustellen. Wir sprechen dann von Konvektion. Es soll hier ein Kriteriumfur Stabilitat hergeleitet werden.

Es sei ein vertikales Druckprofil p = p(z) gegeben und außerdem ein Tem-peraturprofil T = T (z) sowie die damit zusammenhangenden Profile vonspezifischem Volumen, v = v(z), und Entropie, s = s(z). Als unabhangigethermodynamische Großen wahlen wir zunachst p und s. Wir denken uns einkleines Volumenelement, das um eine kleine vertikale Strecke δz adiabatischverschoben wird,

v(p(z), s(z)

)→ v

(p(z + δz), s(z)

), (6.1)

wobei der Druck p(z+δz) ein etwas anderer ist als p(z). Wenn die ursprungli-che Situation stabil sein soll, muss jetzt auf das betrachtete Volumenelementeine ruckstellende Kraft wirken. Das heißt, es muss, wenn δz > 0, schwerersein als das Volumenelement v

(p(z + δz), s(z + δz)

), das es verdrangt hat:

v(p(z + δz), s(z)

)< v(p(z + δz), s(z + δz)

). (6.2)

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Entwicklung bis zur ersten Ordnung gibt die Bedingung

∂v

∂s

∣∣∣∣p

ds

dz> 0. (6.3)

Dies lasst sich mit Hilfe der Thermodynamik vereinfachen. Denn es gilt∂v/∂s|p = (T/cp)∂v/∂T |p, und T , cp sowie bei den meisten Substanzen auchder thermische Ausdehnungskoeffizient sind positiv. Deshalb lautet die Sta-bilitats-Bedingung einfach einfach

ds

dz> 0. (6.4)

Dies kann man umformen in eine Bedingung fur den TemperaturgradientendT/dz:

ds

dz=

∂s

∂T

∣∣∣∣p

dT

dz+∂s

∂p

∣∣∣∣T

dp

dz=cpT

dT

dz− ∂v

∂T

∣∣∣∣p

dp

dz> 0. (6.5)

Nun ist aber dp/dz = −g/v, und mit dem thermischen Ausdehnungskoeffi-zienten α = (1/v)∂v/∂T |p erhalten wir die Bedingung

dT

dz> −gαT

cp(6.6)

fur mechanische Stabilitat. Umgekehrt: wenn diese Bedingung verletzt wird,die Temperatur mit der Hohe also schnell genug abnimmt, setzt Konvek-tion ein. Bei idealen Gasen ist αT = 1, so dass die Stabilitatsbedingungeinfach dT/dz > −g/cp lautet. Fur Luft unter Standardbedingungen heißtdas dT/dz > −0.0098 K/m. Wenn also die Temperatur auf 100 m Hohen-unterschied um ein Grad abnimmt, ist die Atmosphare instabil. Wir sahenin Abschnitt 2.2, dass die Temperaturabnahme in der Standard-Troposphare6.5 K/m betragt. Dies liegt also noch im stabilen Bereich.

6.2 Dimensionslose Gleichungen

Es ist immer vorteilhaft, die Gleichungen eines dynamischen Systems dimen-sionslos zu machen und die Zahl der Parameter so auf einige wesentliche zureduzieren. Dabei erweisen sich dann Systeme als ahnlich oder gleich, beidenen diese Parameter dieselben sind. Das bringt Erkenntnisgewinn, machtdas numerische Rechnen ubersichtlicher und ist fur Experimente interessant,die manchmal durch geeignetes Skalieren uberhaupt erst moglich werden.

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Wir beginnen diese Diskussion mit stationaren Losungen der Navier-Stokes-Gleichungen fur inkompressible Fluide in Gegenwart von festen Hindernis-sen. In der Gl. (3.8) selbst kommt nur der eine Parameter ν = η/ρ vor, deraber noch nicht dimensionslos ist; er hat die Dimension einer Diffusionskon-stanten. Gesucht sind das Geschwindigkeitsfeld v(r) und die Druckverteilungp(r). Durch die Vorgabe der linearen Dimensionen des Hindernisses (z. B. desRadius der Stokes-Kugel) und der von außen aufgepragten Stromung sind ei-ne charakteristische Lange L und eine charakteristische Geschwindigkeit umehr oder weniger prazise definiert. Wenn man nun Langen in Einheitenvon L misst, Geschwindigkeiten in Einheiten von u, also r/L = r, L∇ = ∇,L2∆ = ∆ und v/u = v, dann lautet die Gleichung (nach Division durchu2/L)

L

u

∂v

∂t+ (v · ∇)v = − 1

ρu2∇p+

ν

Lu∆v +

L

u2g. (6.7)

Es bietet sich an, auch die Zeit und den Druck zu skalieren. Dafur gibt esmehrere Moglichkeiten, und es hangt vom gegebenen Kontext ab, welche manwahlen mochte. Gl. (6.7) legt nahe, tu/L = t und p/ρu2 = p zu setzen. Damitreduziert sich die Navier-Stokes-Gl. auf

∂v

∂t+ (v · ∇)v = −∇p+

1

Re∆v +

1

Fg, (6.7a)

wobei die Reynoldszahl Re,

Re =uL

ν=ρuL

η, (6.8)

als dimensionsloser Parameter die relative Bedeutung von Tragheit und Zahig-keit eines Fluids widerspiegelt, man kann auch sagen von konvektivem unddiffusivem Impulstransport. Wenn aber, wie im Fall der Benard-Instabilitat,s. Abschnitt 6.4, die relevanten Zeiten durch diffusiven Impulstransport ge-geben sind, wird man die Zeit lieber mit tν/L2 = t skalieren und erhaltstatt (6.7a) die Gl.

1

Re

∂v

∂t+ (v · ∇)v = −∇p+

1

Re∆v +

1

Fg. (6.7b)

Die relative Starke der Schwerkraft wird durch den weiteren dimensionslosenParameter

F =u2

Lg, (6.9)

gemessen, die Froudezahl (es wird manchmal auch die Wurzel aus dieser Zahlals Froudezahl bezeichnet). Sie druckt die relative Bedeutung von Tragheits-kraften und Schwerkraft aus. Ansonsten enthalt Gl. (6.7a) keine weiteren

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Parameter. Man nennt sie ein Ahnlichkeitsgesetz, denn fur gleiche Werte vonRe (und F) ergeben sich fur die skalierten Gleichungen (ohne außere Kraft)dieselben Losungen, etwa fur die stationaren Stromungsprofile

v = f(r,Re) ⇒ v = uf(r/L,Re), (6.10)

oder fur ein stationares Druckprofil

p = f(r,Re) ⇒ p = ρu2f(r/L,Re). (6.11)

Die Kraft der Stromung auf ein Hindernis ist eine integrale Große, die nichtvom Ort abhangt. Sie muss deshalb bis auf eine geeignete Skala – etwa mitρu2L2 als Einheit, typischer Druck mal typische Flache – allein eine Funktionder Reynoldszahl sein,

F = ρu2L2f(Re). (6.12)

Im Beispiel der Stokes-Kraft auf eine Kugel, F = 6πηau, ist mit L = a undRe = ν/au diese Funktion f(Re) = 6π/Re. Wenn außere Krafte hinzukom-men, spielt auch die Froudezahl eine Rolle.

Analoge Betrachtungen konnen mit der Warmeleitungs-Gleichung angestelltwerden. Dabei wollen wir in (4.2d) zunachst die Viskositaten vernachlassi-gen, indem wir annehmen, dass die Temperaturdifferenzen nicht in ersterLinie von der inneren Reibung herruhren, sondern von außeren Vorgabenwie Heizen oder Kuhlen, s. dazu (6.23) unten. Dabei sollen sie aber so kleinbleiben, dass die Annahme konstanter Materialeigenschaften weiterhin gilt.Die Warmeleitungs-Gleichung sei also

∂T

∂t+ (v · ∇)T = χ∆T. (6.13)

Wenn wir wieder charakteristische Langen L, Geschwindigkeiten u und Zei-ten L/u einfuhren, wird aus dieser Gleichung

∂T

∂t+ (v · ∇)T =

χ

Lu∆T =

1

Re · Pr∆T. (6.14)

Dabei haben wir in der letzten Gleichung als Parameter fur die Geschwin-digkeit wieder die Reynoldszahl benutzt und die Prandtlzahl Pr = ν/χ alsMaterialkonstante hinzugenommen. Da dieser Gleichung in der Temperaturlinear ist, gibt es von daher keine charakteristische T -Skala. In der Praxiswird es aber eine Referenz-Temperatur T0 geben und eine typische Umge-bungstemperatur T1, so dass fur die Losung das Aehnlichkeitsgesetz in derForm

v = uf(r/L,Re) und T − T0 = (T1 − T0)f(r/L,Re,Pr) (6.15)

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angegeben werden kann. Systeme mit gleichen Werten von Re und Pr ver-halten sich gleichartig.16

Auch fur den Warmestrom kann man eine dimensionslose charakteristischeGroße angeben, die Nusseltzahl. Man erhalt sie, indem man zunachst einenWarmetransport-Koeffizienten α := q/(T1−T0) definiert, also das Verhaltnisvon Warmestrom durch die Oberflache und typischer T -Differenz zwischenFluid und Außenraum. Nun ist aber q = −κ∂T/∂n an der Oberflache, undmit n = Ln sehen wir, dass

Nu :=αL

κ(6.16)

eine dimensionslose Zahl ist. Da andererseits die Gleichung (6.14) nur dieZahlen Re und Pr enthalt, muss Nu eine Funktion von Reynolds- und Prandtl-zahl sein,

Nu = f(Re,Pr). (6.17)

6.3 Freie Konvektion in Boussinesq-Naherung

Kommen wir nun endlich zur Beschreibung der Konvention, d. h. zu demgekoppelten Gleichungssystem fur v und T , das sie beschreibt. Wir denkenan ein Fluid, dem von außen Temperaturgradienten aufgepragt werden, sodass die Dichte auf Grund ihrer T -Abhangigkeit variiert und damit auchDruckvariationen nach sich zieht. Das Fluid soll aber inkompressibel sein,

∇ · v = 0, (6.18)

so dass es keine Dichtevariationen auf Grund von Druckvariationen gibt. Dadie thermischen Expansionskoeffizienten bei typischen Fluiden in der Großen-ordnung 10−4/K liegen, kann man fur die Dichtevariationen aufgrund vonTemperaturunterschieden einen linearen Zusammenhang annehmen,

δρ = −αρδT mit α =1

v

∂v

∂T

∣∣∣∣p

= −1

ρ

∂ρ

∂T

∣∣∣∣p

, (6.19)

auch wenn die Temperaturunterschiede selbst in dem Fluid groß sein mogen.Die sog. Boussinesq-Approximation besteht darin, nur diese Art von Dich-tevariationen in der Navier-Stokes-Gl. zu berucksichtigen. Dort beeinflussensie die Auftriebskrafte und damit den Druck.

16Insofern v durch die Navier-Stokes-Gleichung bestimmt wird und selbst von Reabhangt, ist die Losung von (6.14) nicht nur vom Produkt Re · Pr abhangig, sondernvon beiden Zahlen einzeln.

91

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Der Druck ist, wie wir im Abschnitt 2.2 uber die Hydrostatik gesehen haben,schon bei konstanter Dichte nicht konstant, wenn außere Krafte wirken. Ineinem Schwerefeld g gilt die Navier-Stokes-Gl. in der Form

∂v

∂t+ (v · ∇)v = −1

ρ∇p+ ν∆v + g, (6.20)

und im mechanischen Gleichgewicht v = 0 ist ∇p0 = ρ0g und daher p0 =ρ0g · r+ const. Wenn nun aber Dichteanderungen gemaß (6.19) auftreten, sozieht das Druckanderungen δp nach sich, und wir mussen in (6.20) ersetzen

1

ρ∇p =

1

ρ0

∇p0 +1

ρ0

∇δp− δρ

ρ20

∇p0 = g +1

ρ0

∇δp+ αgδT, (6.21)

so dass aus (6.20) die Boussinesq-Naherung der Navier-Stokes-Gleichungwird:

∂v

∂t+ (v · ∇)v = − 1

ρ0

∇δp+ ν∆v − αgδT. (6.22)

Was die Gleichung (4.2d) fur den Warmetransport anbetrifft, so konnen wirden Term ignorieren, der von der Viskositat herruhrt. Denn nach (6.22) aufS. 62 ist die Großenordnung der von den Temperaturdifferenzen erzeugtenGeschwindigkeiten durch u2/L ∼ αgδT gegeben; damit wird das Verhaltnisvon viskoser und thermischer Dissipation

ν

cp

αgLδT

L2

ρcp

δT

L2=ηαgL

κ, (6.23)

aber dies ist fur Fluide wie Wasser oder Quecksilber 10−5 oder kleiner, wennL ∼ 1 m ist. Damit gilt fur die Temperatur die Gleichung

∂δT

∂t+ (v · ∇)δT = χ∆δT. (6.24)

Es sind also neben ∇ · v = 0 die Gleichungen (6.22) und (6.24), die inBoussinesq-Approximation die freie Konvektion beschreiben. Das sind funfGleichungen fur die funf zu berechnenden Felder v, δT und δp/ρ0. Sie ent-halten drei Parameter ν, χ und αg, und von außen vorgegeben werden einecharakteristische Lange L sowie eine Temperaturdifferenz T1 − T0, die dieKonvektion antreibt. Eine charakteristische Geschwindigkeit wird in diesemFall nicht vorgegeben.

Es fragt sich, welche dimensionslosen Großen man einfuhren sollte. Eine vonaußen vorgegebene typische Geschwindigkeit u gibt es hier nicht, aber die

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Gleichung (6.22) legt nahe, als typische Geschwindigkeit ν/L zu nehmen.Setzen wir also

r =r

L, v =

v

ν/L, t =

t

L2/ν, δp =

δp

ρ0ν2/L2, δT =

δT

T1 − T0

, (6.25)

dann lauten die Boussinesq-Gleichungen

∇ · v = 0,

∂v

∂t+ (v · ∇)v = −∇δp+ ∆v − Ra

PrgδT ,

∂δT

∂t+ (v · ∇)δT =

1

Pr∆δT .

(6.26)

In diesen Gleichungen kommen nur zwei dimensionslose Paramter vor, diePrandtlzahl Pr = ν/χ, die wir als Materialkonstante schon kennen, und dieRayleighzahl17

Ra =αg(T1 − T0)L3

νχ(6.27)

als Maß fur den antreibenden Temperatur-Unterschied.

Der Warmetransport ist wieder durch die Nusseltzahl gegeben, die eine Funk-tion nur von Pr und Ra sein kann,

Nu = f(Pr,Ra). (6.28)

6.4 Die Rayleigh-Benard-Instabilitat

Diese Boussinesq-Gleichungen haben viele Anwendungen. Als Beispiel sollhier ein Fluid zwischen zwei horizontalen Platten betrachtet werden, derenAbstand L betragt. Die untere Platte werde auf einer Temperatur Tu gehal-ten, die obere auf To, wobei Tu > To gelte und β := (Tu − To)/L der Betragdes mittleren T -Gradienten ist. Als Rayleigh-Zahl definieren wir

Ra =αβgL4

νχ. (6.29)

Das Ziel dieses Abschnitts ist es, den kritischen Wert Rac zu bestimmen,oberhalb dessen die

”triviale“ stationare Losung der Boussinesq-Gleichungen

instabil wird und Konvektion einsetzt. Wir werden die Natur dieser Konvekti-on im Rahmen einer storungstheoretischen Modenanalyse diskutieren. Dabei

17Landau/Lifshitz ziehen es vor, an dieser Stelle die Grashof-Zahl G = Ra/Pr zu neh-men, doch das ist heute nicht die ubliche Wahl.

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halte ich mich hier an die ausfuhrliche Darstellung in dem Hydrodynamik-Buch von Chandrasekhar [4] und folge ihm darin, zunachst die nicht skalier-ten Boussinesq-Gleichungen zu benutzen.

Zwei Teile der trivialen Losung sind leicht angegeben:

v = 0, T (z) = Tu −Tu − ToL

z, (6.30)

d. h. wir nehmen das lineare T -Profil, das sich bei der reinen Warmelei-tung einstellt. Der Warmestrom nach oben ist dann q = κ(Tu − To)/L, derWarmetransport-Koeffizient q/(Tu − To) = κ/L und deswegen die Nusselt-Zahl (6.16)

Nu = 1. (6.31)

Der Dichteverlauf ρ(z) wird im Rahmen der Boussinesq-Naherung als direktan den T -Verlauf gekoppelt angenommen,

ρ = ρu(1 + αβz), (6.32)

d. h. die Dichte nimmt nach oben hin linear zu. Nicht ganz so einfach ist es,den Druckverlauf p(z) anzugeben. Die Gl. (6.21) ist so zu verstehen, dass gund das in (6.30) gegebene Temperatur-Profil noch zum Referenz-Druck p0

beitragen, also

dp0

dz= −gρ0(1 + αβz) ⇒ p0(z) = pu − gρuz(1 + 1

2αβz). (6.33)

Der Druck nimmt nach oben hin nicht nur linear ab, sondern wegen der wach-senden Dichte auch noch quadratisch.

Auf diesen Zustand setzen wir jetzt kleine Storungen und leiten Gleichun-gen fur sie ab. Zu den Storungen gehort ein Geschwindigkeitsfeld v, eineT -Fluktuation δT und eine Druck-Fluktuation δp. In diesen kleinen Großensollen die Gleichungen linearisiert werden. Die Navier-Stokes-Gl. (6.22) wird

∂v

∂t= − 1

ρu∇δp+ ν∆v − αgδT, (6.34)

und die Warmeleitungs-Gl. (6.24)

∂δT

∂t− βvz = χ∆δT. (6.35)

Der Term −βvz wird als von erster Ordnung angesehen, weil der Tempe-raturgradient nicht klein sein muss. Fur die Geschwindigkeit gilt naturlich

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wieder ∇ · v = 0.

Aus Gl. (6.34) eliminieren wir δp durch Anwenden der Rotation und Einfuhrungder Wirbelstarke ω = ∇× v,

∂ω

∂t= ν∆ω − αg ×∇δT. (6.36)

Nochmaliges Anwenden der Rotation gibt

∂t∇× ω = ν∆(∇× ω)− α∇× (g ×∇δT ). (6.37)

Hier benutzen wir

∇× ω = ∇× (∇× v) = ∇(∇ · v)−∇2v = −∆v, (6.38)

so dass∂

∂t∆v = ν∆2v + αg

(g∆δT − ∂

∂z∇δT

). (6.39)

Nehmen wir nun von (6.36) und (6.39) die z-Komponenten, so erhalten wir

∂ωz∂t

= ν∆ωz,

∂t∆vz = ν∆2vz + αg

( ∂2

∂x2+

∂2

∂y2

)δT,

∂tδT = βvz + χ∆δT,

(6.40)

wobei wir (6.35) als dritte Gleichung noch einmal aufgefuhrt haben. Diesedrei Gleichungen beschreiben die Storungen in linearer Naherung, und wirmussen nun ihre Losungen suchen. Dazu sind Randbedingungen zu erfullen,

δT = 0 und vz = 0 bei z = 0 und z = L, (6.41)

und eine weitere fur die dritte Variable. Diese dritte Randbedingung hangtim Prinzip davon ab, ob die Oberflache fest oder frei ist; wir wollen hier festeOberflachen betrachten, so dass dort v = 0 gilt. Da dies fur alle (x, y) aufdem Rand gilt und daher dort ∂vx/∂x = ∂vy/∂y = 0 gilt, bedeutet ∇·v = 0,dass auf den Randern

∂vz∂z

= 0 (6.42)

gelten muss. Da auf dem Rand auch ∂vx/∂y = ∂vy/∂x = 0 ist, gilt fur dieWirbelstarke ωz = ∂vy/∂x− ∂vx/∂y dort ebenfalls

ωz = 0. (6.43)

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Damit konnen wir nun versuchen, das Problem in die Eigenlosungen des li-nearen Gleichungssystems zu zerlegen und fur jede dieser Losungen einzelnzu prufen, ob sie stabil ist oder nicht.

An dieser Stelle bietet es sich wieder an, die dimensionslosen Variablengemaß (6.25) zu benutzen, wozu aus Konsistenzgrunden noch ω = (ν/L2)ωkommt. Die Gln. (6.40) werden dann

∂ωz

∂t= ∆ωz,

∂t∆vz = ∆2vz +

Ra

Pr

( ∂2

∂x2+

∂2

∂y2

)δT ,

∂tδT = vz +

1

Pr∆δT .

(6.44)

Die Rayleigh-Zahl Ra und die Prandtl-Zahl Pr sind also die beiden einzigenParameter. Da wir im Folgenden nur noch diese skalierte Version benutzenwerden, lassen wir die ˜ ab jetzt weg.

Zur Losung des linearen Gleichungssystems (6.44) machen wir in (x, y)-Richtung eine Fourierzerlegung, hinsichtlich der Zeit einen Exponentialansatzund bzgl. der z-Koordinate zunachst noch keine Annahme:

ωz = Ω(z)ei(kxx+kyy)+λt,

vz = V (z)ei(kxx+kyy)+λt,

δT = Θ(z)ei(kxx+kyy)+λt.

(6.45)

Damit wird

∂t= λ,

∂2

∂x2+∂2

∂x2= −(k2

x + k2y) =: −k2, ∆ = −k2 +

d2

dz2, (6.46)

so dass aus den Differential-Gleichungen bis auf die z-Abhangigkeit algebrai-sche Gleichungen werden18,

λΩ =(−k2 +

d2

dz2

)Ω,

λ(−k2 +

d2

dz2

)V =

(−k2 +

d2

dz2

)2

V −Gk2Θ,

λΘ =1

Pr

(−k2 +

d2

dz2

)Θ + V.

(6.47)

18Zur Abkurzung benutzen wir die Grashof-Zahl G = Ra/Pr.

96

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Die zugehorigen Randbedingungen sind

Ω = 0, V = 0, V ′ = 0, Θ = 0 auf den Randern z = ±12; (6.48)

aus Grunden der Symmetrie haben wir hier die beiden Platten von z = 0und z = 1 auf z = −1

2und z = 1

2verlegt.

In leichter Umformung schreiben wir die Gleichungen neu:( d2

dz2− k2 − λ

)Ω = 0,( d2

dz2− k2

)( d2

dz2− k2 − λ

)V = Gk2Θ,( d2

dz2− k2 − Prλ

)Θ = −PrV.

(6.49)

Einsetzen der zweiten in die dritte Gleichung gibt( d2

dz2− k2

)( d2

dz2− k2 − λ

)( d2

dz2− k2 − Prλ

)V = −Ra k2V, (6.50)

wobei wir Ra = G Pr ausgenutzt haben. Dieselbe Gleichung erhalten wir furΘ, wenn wir V eliminieren. Das Verhalten in z wird also durch eine Dgl.sechster Ordnung beschrieben.

In dieser Gleichung ist λ ein Parameter, von dem man zeigen kann, dass erreell ist ([4] § 11). Damit kann man folgendermaßen argumentieren. Wennλ < 0, dann fallen die Losungen (6.45) exponentiell in der Zeit ab, d. h.der triviale Zustand ohne Konvektion ist stabil. Wenn dagegen λ > 0, dannwachsen die Storungen an; der triviale Zustand ist instabil. Der Zustandmarginaler Stabilitat ist also durch λ = 0 gegeben. Nun ist k2 ein weitererParameter in der Gleichung; er charakterisiert die raumliche Periodizitat in(x, y)-Richtung. Fur jeden Wert von k2 wird sich (bei fester Prandtl-Zahl)ein kritischer Wert Rac = Rac(k) der Rayleigh-Zahl ergeben, bei dem λ = 0ist. Gesucht ist das minimale Rac(k) und der zugehorige Wert von k. DieseWerte charakterisieren den Einsatz der Konvektion bei wachsendem aufge-pragten T -Gradienten.

Wir schauen uns die Gl. (6.50) also fur λ = 0 an,( d2

dz2− k2

)3

V = −Ra k2V, (6.51)

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mit Randbedingungen

V = 0, V ′ = 0,( d2

dz2− k2

)2

V = 0 auf den Randern z = ±12; (6.52)

die dritte dieser Bedingungen folgt aus der mittleren Gleichung (6.49) mitλ = 0. Es handelt sich bei diesem Problem um ein Eigenwertproblem furRa, denn nur fur bestimmte Werte der Rayleigh-Zahl lasst es sich losen. Wirsuchen zu gegebenem k2 den kleinsten Eigenwert Ra0(k), und dann werdenwir k2 variieren, um die kritischen Werte kc und Rac = Ra0(kc) zu finden.

Aufgrund der Symmetrie der Anordnung gibt es gerade und ungerade Ei-genlosungen geben. Wir erwarten, dass der

”Grundzustand“ gerade sein wird

und beschranken die Diskussion darauf.19 Da es sich um ein lineare Dgl. han-delt, kann man den Ansatz

V ∝ eqx (6.53)

machen und findet fur q als 6 mogliche Werte die Losungen von

(q2 − k2)3 = −Ra k2 =: −τ 3k6 ⇒ q2 = k2 − τk211/3 (6.54)

wobei wir τ durch die letzte Gleichung definiert haben. Mit Hilfe der expli-ziten Ausdrucke fur die dritten Einheitswurzeln finden wir die Werte

±q0 = ±ik√τ − 1,

±q = ±(q1 + iq2),

±q = ±(q1 − iq2),

(6.55)

mit

q1 =k√2

√√1 + τ + τ 2 + (1 + 1

2τ),

q2 =k√2

√√1 + τ + τ 2 − (1 + 1

2τ).

(6.56)

Hiermit konnen wir nun die geraden Losungen als Linearkombinationen schrei-ben:

V = A0 cos q0z + A cosh qz + A cosh qz, (6.57)

mit reellem A0 und komplexem A. Im Hinblick auf die Randbedingungenbenotigen wir

V ′ = −q0A0 sin q0z + qA sinh qz + c.c., (6.58)

19In [4] werden auch die ungeraden Losungen untersucht.

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und( d2

dz2− k2

)2

V = A0(q20 + k2)2 cos q0z + A(q2 − k2)2 cosh qz + c.c., (6.59)

wobei c.c. das konjugiert Komplexe des vorhergehenden Terms meint. Dieletzte Gl. kann man mit Hilfe von

(q20 + k2)2 = k4τ 2, (q2

0 − k2)2 = 12k4τ 2(−1± i

√3) (6.60)

vereinfachen:( d2

dz2− k2

)2

V = 12k4τ 2

[2A0 cos q0z − (1− i

√3)A cosh qz + c.c.z

]. (6.61)

Wir haben also drei lineare Gleichungen fur A0, A und A, deren Losbarkeits-bedingung auf folgende transzendentale Gleichung fuhrt (Genaueres siehe beiChandrasekhar):

−q0 tan 12q0 =

(q1 + q2

√3) sinh q1 + (q1

√3− q2) sin q2

cosh q1 + cos q2

. (6.62)

Dies ist als implizite Gleichung zwischen Ra = τ 3k4 und k zu lesen. Man kannsie nicht analytisch losen. In der Praxis gibt man k vor, bestimmt aus (6.62)erst τ und benutzt beides dann, um Ra anzugeben. Die Ergebnisse sindin [4] § 11 als Tabelle und Graph angegeben, s. Abb. 8 links. Man findet dasgesuchte Minimum bei

kc = 3.117, Rac = 1707.8. (6.63)

Die zugehorigen Werte von q0, q1, q2 sind

q0 = 3.9736, q1 = 5.1952, q2 = 2.1261. (6.64)

Fur V (z), die vertikale Komponente des Geschwindigkeitsprofils der kriti-schen Mode, gibt das den Kurvenverlauf (mit A0 = 1)

V (z) = cos q0z − 0.0615 cosh q1z cos q2z + 0.1039 sinh q1z sin q2z. (6.65)

Der Temperaturverlauf entsprechend der mittleren Gl. (6.49) ist (wieder bisauf einen konstanten Faktor)

Θ(z) = cos q0z + 0.1207 cosh q1z cos q2z + 0.0013 sinh q1z sin q2z. (6.66)

Abb. 8 zeigt im rechten Teil diese Verlaufe von V (z) (untere Kurve) und Θ(z).

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Abbildung 8: Links: Rayleigh-Zahlen Ra als Funktion von k fur die Mode ohneKnoten (”Grundzustand“, Kurve 1) und die mit einem Knoten (Kurve 2). DieMinima definieren jeweils k = kc. Rechts: Eigenlosung V (z) (untere Kurve) undΘ(z) (obere Kurve) fur k = kc im Grundzustand. Nur die Halfte 0 ≤ z ≤ 0.5 wirdgezeigt.

Fur ein vollstandiges Bild der instabilen Mode interessieren naturlich auchdie Komponenten vx und vy des Geschwindigkeitsfeldes. Hier kann man einenallgemeinen Zusammenhang zwischen ihnen und den vertikalen Komponen-ten von v und ω benutzen. Schreibe namlich

vx =∂φ

∂x− ∂ψ

∂y, vy =

∂φ

∂y+∂ψ

∂x. (6.67)

Dann ist wegen ∇ · v = 0

−∂vz∂z

=∂vx∂x

+∂vy∂y

=∂2φ

∂x2+∂2φ

∂y2= −k2φ (6.68)

und

ωz =∂vy∂x− ∂vx

∂y=∂2ψ

∂x2+∂2ψ

∂y2= −k2ψ. (6.69)

Es gilt also k2φ = dvz/dz und k2ψ = −ωz, so dass nach (6.67)

vx =1

k2

( ∂2vz∂x∂z

+∂ωz∂y

)=

i

k2

(kxV

′ + kyΩ)ei(kxx+kyy)+λt

vy =1

k2

( ∂2vz∂y∂z

− ∂ωz∂x

)=

i

k2

(kyV

′ − kxΩ)ei(kxx+kyy)+λt

(6.70)

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Die erste der Gleichungen (6.47) oder (6.49) ist fur λ = 0 aber Ω′′ = k2Ω,was fur die Randbedingung Ω = 0 nur die triviale Losung Ω ≡ 0 hat. Damitreduzieren sich die beiden letzten Gleichungen auf

vx =1

k2

∂2vz∂x∂z

=ikxk2V ′ei(kxx+kyy)+λt

vy =1

k2

∂2vz∂y∂z

=ikyk2V ′ei(kxx+kyy)+λt

(6.71)

Es fragt sich nun, wie das Geschwindigkeitsfeld der Losung marginaler Sta-bilitat aussieht. Wir haben zwar k2 = k2

c , aber das Verhaltnis kx/ky ist damitnoch nicht festgelegt. Entsprechend gibt es unterschiedliche Typen von Ge-schwindigkeitsfeldern, die im Rahmen dieser linearen Analyse alle zugleichmarginal stabil werden. Durch Uberlagerung solcher Losungen kann man ver-schiedene Zellenmuster erzeugen. Der einfachste Fall ist der von Rollen, beidenen etwa kx = k und ky = 0 ist. Dann ist mit k = kx = kc

vz = V (z) cos kx, vx = −1

kV ′(z) sin kx, vy = 0. (6.72)

Zusammen mit (6.65) macht man sich klar, dass das Stromungsprofil bei kx =0 mod 2π senkrecht nach oben gerichtet ist, bei kx = π mod 2π senkrechtnach unten. Dazwischen hat es den Charakter geschlossener Stromlinien. DieWellenlange in x-Richtung ist 2π/kc. Die Wirbelstarken ωx und ωz sind null,aber in Richtung der Rollenachsen finden wir

ωy =∂vx∂z− ∂vz∂x

= −1

k(k2V + V ′′) sin kx. (6.73)

Mitvz = V (z) cos kxx cos kyy, k2

x + k2y = k2

c (6.74)

erhalt man rechteckige Zellen, deren Stromlinienmuster man mit (6.71) dis-kutieren kann. Besonders interessant sind hexagonale Muster, die man z. B.mit folgendem vz(z) erhalt:

vz =1

3V (z)

(cos ky + 2 cos 1

2

√3kx cos 1

2ky). (6.75)

Beide Teile haben die Gesamt-Wellenzahl k2 = k2x + k2

y. In [4] werden dieseLosungen ausfuhrlich diskutiert.

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Aufgabe: Bestimmen Sie die zu (6.74) und (6.75) das vollstandige Geschwin-digkeitsfeld und daraus die Wirbelstarke ω(r) sowie das Druckfeld δp(r).

In Experimenten findet man sie, wenn man durch Strukturierung der Ober-flachen ein bisschen

”nachhilft“ und die Entartung der vielen Moglichkeiten

aufhebt. Wenn dann eine der Moden instabil geworden ist, dominiert sie fureine Weile das Geschehen. Die hier vorgestellte lineare Theorie sagt vorher,dass ihre Amplitude bei Ra > Rac exponentiell anwachst, aber das ist inWirklichkeit nicht der Fall: Nichtlinearitaten beschranken dieses Wachstum.Wie das im konkreten Fall geschieht, ist ein schwieriges (aber durchaus losba-res) Problem. Wir begnugen uns mit dem qualitativen Bild, das Landau ausseiner Theorie der Phasenubergange hierhin ubertragen hat.

Ausgehend von dem kritisch werdenden Geschwindigkeitsfeld

v(r, t) = A(t)f(r), (6.76)

wobei f(r) die Form der Mode und

A(t) = const · eλt, (6.77)

diskutiert Landau das Verhalten von A(t), nachdem λ > 0 geworden ist unddie Instabilitat eingesetzt hat. Wir hatten fur das Rayleigh-Benard-Problemgefunden (mit Bezug auf [4]), dass λ reell ist. In anderen Fallen kann esaber auch oszillierende Anteile geben (man spricht dann von einer Hopf-Bifurkation). Man wird dann im Folgenden |A|2 anstelle von A betrachten,weil dann die schnell veranderlichen Anteile herausfallen. Aber auch hierinteressieren wir uns mehr fur A2 als fur A, denn der konvektive Energie-Ubertrag von der warmen auf die kalte Platte ist proportional zu v2 undsomit zu A2.

Fur A2 gilt nach (6.77) die Dgl. dA2/dt = 2λA2 gilt, mit λ = 0 bei Ra = Rac.Setzt man an λ = c(Ra − Rac) mit einer Konstanten c, dann hat man furRa < Rac das richtige Verhalten, bei Ra > Rac muss man aber noch eineBegrenzung der Amplitude modellieren. Das geschieht mit dem Ansatz20

dA2

dt= 2λA2 − αA4 = 2c(Ra− Rac)A

2 − αA4, (6.78)

wobei α > 0 eine Konstante ist. Die Zeitentwicklung dieser Gleichung fuhrtauf A = 0, wenn Ra < Rac, und auf A2 = (2c/α)(Ra−Rac) fur Ra > Rac. Da

20Dass nur gerade Potenzen vonA auftreten, begrundet Landau mit einer Mittelung uberschnelle Oszillationen, die in unserer Behandlung des Problems aber nicht vorkamen, dennλ ist reell. Man kann vielleicht auch mit dem Verhalten unter Zeitspiegelung argumentieren.

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Abbildung 9: Nusselt-Zahl als Funktion der Rayleigh-Zahl in der Umgebungder Rayleigh-Benard-Instabilitat fur funf Substanzen mit verschiedenen Prandtl-Zahlen. Aus [4]

Abbildung 10: Wie Abb. 9, aber fur einen sehr viel großeren Bereich von Rayleigh-Zahlen, in logarithmischer Auftragung.

der Energietransport, der mit der Konvektionsmode einhergeht, proportionalzu v2 ∝ A2 ist, bedeutet das fur die Nusselt-Zahl einen linearen Anstieg

Nu = 1 + cN(Ra− Rac)θ(Ra− Rac), (6.79)

mit einer Konstanten cN und der Heaviside-Funktion θ. Das wird in der Naheder Instabilitat auch so beobachtet, s. Abb.9. Im Einklang mit den hiervorgetragenen Ergebnissen hangt die erste Instabilitat nur von der Rayleigh-Zahl Ra, nicht von der Prandtl-Zahl Pr. Fur die weiteren Bifurkationen giltdas nicht mehr. Bei hoheren Ra andert sich das Bild und der Verlauf derNusselt-Zahl als Funktion von Ra nimmt einen anderen Verlauf, s. Abb. 10.(Diese Bilder sind dem Buch von Chandrasekhar entnommen und schon rechtalt. Inzwischen existieren sehr viel genauere Messungen, insbesondere vonG. Ahlers, aber darauf kann ich nicht mehr eingehen.

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7 Turbulenz und Grenzschichten

Big whorls have little whorlsThat feed on their velocity,And little whorls have lesser whorlsAnd so on to viscosity.

– Lewis F. Richardson 1920

Turbulenz setzt ein, wenn etwa im Rayleigh-Benard-Experiment die Ray-leighzahl weit hoher als 1700 ist oder wenn bei Stromungen um ein Hin-dernis die Reynoldszahl große Werte annimmt. Das Phanomen ist uns allengelaufig, seine prazise Beschreibung aber ungemein schwer. Prandtl und vonKarman beschrieben und untersuchten es als Ingenieure und Experimentato-ren. Heisenberg und Landau beschaftigten sich damit als Theoretiker, ohneein grundlegendes Verstandnis zu erzielen. Kolmogorov und Obukhov fan-den Skalengesetze fur den Energietransport von groberen zu feineren Skalen.Lorenz naherte sich dem Problem von der Seite kleiner Zahlen von Frei-heitsgraden und brachte damit ganz neue Ideen ins Spiel. Ruelle und Ta-kens zeigten, dass der Einsatz chaotischen Verhaltens typisch ist, wenn mannur wenige instabile Moden hat. Aber dann wurde allmahlich deutlich, dassTurbulenz irgendwo zwischen

”chaotischem“ Verhalten von Systemen mit

wenigen Freiheitsgraden und dem statistisch-thermodynamischen Verhaltentypischer Vielteilchensysteme einzuordnen ist – mit vielleicht 1010 Freiheits-graden statt 3 oder 1023. Um 1970 kam die Idee von der Skaleninvarianz auf,die in der Theorie der Phasenubergange zweiter Ordnung einen Durchbruchbrachte (Renormierungstheorie) und bald auch auf die Turbulenz angewandtwurde: große Wirbel zerfallen in kleine und immer kleinere. Das war zuerstnur eine phanomenologische Beschreibung. Meinem Lehrer Großmann ge-lang aber auch eine Herleitung aus den Navier-Stokes-Gleichungen, er erhieltdafur 1995 die Max-Planck-Medaille der DPG. Ich habe diese Entwicklungenaus einiger Distanz verfolgt und kann daruber nicht so viel erzahlen wie z. B.Bruno Eckhardt, mein erster Doktorand in Bremen und jetzt Nachfolger vonGroßmann in Marburg, oder Detlef Lohse, Großmanns Doktorand, der jetztin Twente ein großes Forschungszentrum der experimentellen und theoreti-schen Stromungsmechanik leitet.

Leider gibt es noch kein Lehrbuch, in dem die neueren Entwicklungen derHydrodynamik prasentiert werden. Deshalb ist es schwer, uber den state ofthe art eine Vorlesung zu halten. Landau-Lifschitz sind in puncto Turbulenzsicher nicht mehr up to date, dennoch kann man viel Grundlegendes von

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ihnen lernen. Einiges davon mochte ich hier zusammentragen.

7.1 Wege zur Turbulenz

Zuerst eine kurze Diskussion uber den Vergleich der Szenarien von Landau-Lifschitz einerseits und Ruelle-Takens andererseits. Landau stellte sich denUbergang zur Turbulenz so vor, dass nach der ersten Instabilitat weitereModen instabil werden, jede mit eigenem Muster und eigenen Frequenzen,so dass das Geschwindigkeitsfeld als (abzahlbare) Fourierreihe dargestelltwerden kann,

v(r, t) =∑

p1,p2,...,pn

Ap1,p2,...,pn(r) exp−i

n∑j=1

pjφj

, (7.1)

wobei die pj ganze Zahlen sind und φj = ωjt + αj mit Frequenzen ωj, dieuntereinander i. A. inkommensurabel sind. Solche Reihen beschreiben quasi-periodische Funktionen, die zwar ein sehr komplexes Zeitverhalten beschrei-ben mogen, aber dennoch viel Regelmaßigkeit enthalten – z. B. das diskreteFrequenzspektrum. Als Landau und Lifschitz ihr Lehrbuch schrieben, wardas noch nicht bekannt, was man jetzt chaotisches Verhalten nennt. Heuteversteht man unter Turbulenz ein chaotisches Verhalten von Losungen derNavier-Stokes-Gleichung.

Eine wichtige Rolle bei diesem Wechsel des grundlegenden Bildes spielte ei-ne Arbeit von Ruelle und Takens [25], in der sie zeigten, dass

”generisches“

Verhalten von Differentialgleichungen in hoherdimensionalen Raumen nichtdem Landau-Szenario folgt, da Quasiperiodizitat instabil ist gegenuber demEinsatz von Chaos. Bis zu zwei Moden der Art, wie Landau es sich vorstellt,konnen stabil nebeneinander koexistieren. Ab drei aber wird das Bild falsch.Wie es dann konkret aussieht, sagen Ruelle und Takens nicht. Aber ihre Ar-beit hat weitreichende Konsequenzen gehabt.

Sie war vermutlich schon beeinflusst von den Erkenntnissen, die einige Jahrezuvor der Meteorologe Edward Lorenz gewonnen hatte. Diese sollen deshalbjetzt kurz vorgestellt werden. Zur Vertiefung empfehle ich die Bucher vonSparrow [27] und Argyris et al. [1].

7.2 Das Lorenz-Modell

Edward Lorenz war einer der”Entdecker des Chaos“ [19, 20]. Er ging aus

von einer Analyse der Konvektionsrollen beim Rayleigh-Benard-Problem und

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versuchte den Einfluss der nichtlinearen Terme der Navier-Stokes-Gleichungdadurch zu berucksichtigen, dass er die raumliche Struktur der Eigenmodenaus (6.45) ubernahm, aber fur das zeitliche Verhalten langsam veranderli-che Amplituden x(t), y(t) und z(t) annahm, wobei x(t) zur Geschwindig-keit V (z) gehort, y(t) zur Temperatur Θ(z) und z(t) zur Nusselt-Zahl Nu(statt der Wirbelstarke). Fur diese drei Funktionen der Zeit leitete aus derNavier-Stokes-Gleichung (mit drastischen Naherungen) ein System von dreigewohnlichen Dgln her. Dazu definierte er drei dimensionslose Parameter:

• r = Ra/Rac, die auf die kritische Rayleighzahl bezogene Temperatur-differenz als Antrieb der Konvektion,

• σ = Pr, die Prandtl-Zahl, und

• b als”Kopplungsstarke“ zwischen Temperatur- und Geschwindigkeits-

feld in der Gleichung (6.26), wo b als Koeffizient von (v · ∇)δT vor-kommt, wenn man die Ausdehnung der Platten in der (x, y)-Ebeneendlich macht. Lorenz wahlte den Wert b = 8/3, der auch in fast allenspateren Arbeiten zu seinem Gleichungssystem beibehalten wurde.

Der Zusammenhang von Nusselt-Zahl und z(t) ist Nu = 1 + 2z(t)/r. Dementspricht, dass im Bereich r < 1, von dem wir aus (6.31) wissen, dass Nu = 1ist, z(t)→ 0 geht. Die Lorenz-Gleichungen sind nun die folgenden:

x = −σx+ σy,

y = rx− y − xz,z = −bz + xy.

(7.2)

Sie haben einen Fixpunkt C0 = (x0, y0, z0) = (0, 0, 0), der fur r < 1 sta-bil ist. Er entspricht der

”trivialen“ Warmeleitungs-Losung der Boussinesq-

Gleichungen. Bei r > 1 wird C0 instabil, statt dessen gibt es zwei neueFixpunkte

C1,2 = (±√b− 1,±

√b− 1, r − 1), (7.3)

denen eine Nusseltzahl Nu = 3−2/r entspricht. Linearisierung der Gln. (7.2)um diese Punkte zeigt, dass sie fur

r > rc = σσ + b+ 3

σ − b− 1(7.4)

ebenfalls instabil werden. Fur die von Lorenz gewahlten Standardwerte b =8/3 und σ = 10 liegt diese Instabilitat bei rc = 24.7..., was sicherlich weit jen-seits des Bereichs liegt, in dem die Lorenz-Gleichungen als adaquate Beschrei-bung des Rayleigh-Benard-Experiments angesehen werden konnen. Dennoch

106

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hat die Analyse dieses Gleichungssystems sehr viel zum Verstandnis des Ein-satzes und des Charakters von Turbulenz beigetragen. Ich verweise hier aufdie Bucher [27] und [1], in denen das Szenario des Ubergangs zum Chaosmit wachsendem r ausfuhrlich beschrieben wird. Einiges davon wird in derVorlesung vorgetragen. Anhand der Abbildungen 11 und 12 aus [1] mag manverfolgen, was bei wachsendem r im Einzelnen passiert, bis man den Wertr = 28 erreicht, zu dem der beruhmte Lorenz-Attraktor gehort, s. Abb. 14.

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Abbildung 11: Bifurkationen im Lorenz-System mit σ = 10, b = 8/3.

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Abbildung 12: Verhalten der Attraktoren im Lorenz-System mit σ = 10, b =8/3. Es fehlt zwischen der zweiten und dritten Zeile von unten das Stadium derhomoklinen Verbindungen des Punktes (0, 0, 0) mit sich selbst. Dies wird in Abb. 13nachgeholt.

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Abbildung 13: Homokline Orbits bei r = 13.9265 und σ = 10, b = 8/3.

Bevor namlich die beiden Fixpunkte C1,2 bei (7.4) instabil werden, entste-hen bei r = 13.926 zwei homokline Orbits, die von dem instabilen C0 wegund wieder zu ihm zuruck fuhren. Mit wachsendem r bilden sich daraus zweiinstabile Grenzzyklen, die sich auf die Punkte C1,2 zusammenziehen und beir = 24.74 mit ihnen verschmelzen, wobei jeweils aus einem stabilen Punktund einem instabilen Grenzzyklus ein instabiler Punkt wird. Danach gibt esweder einen attraktiven Fixpunkt noch einen attraktiven periodischen Orbit

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(Grenzzyklus): die Bewegung wird chaotisch in dem Sinne, dass sie – nacheiner Zeit des Einschwingens – auf eine fraktale Menge beschrankt bleibt, diedas Aussehen von zwei Schmetterlingsflugeln hat, aber nicht zweidimensionalist, sondern eine etwas großere fraktale Dimension besitzt (etwa 2.06). Mannennt dies einen

”seltsamen Attraktor“ (strange attractor), weil man so et-

was vorher nicht kannte. Die Orbits spiralen auf einem der beiden Blatter voninnen nach außen, wechseln dann irgendwann auf das andere Blatt hinuber,spiralen dort wieder von innen nach außen, ehe sie auf das erste Blatt zuruck-kehren. Das Bild dieses

”seltsamen Attraktors“ ist eine Ikone der Chaostheo-

rie. Es hat zur Akzeptanz und Verbreitung des Begriffs Schmetterlingseffektbeigetragen, den Lorenz aber in anderem Zusammenhang pragte, um die sen-sitive Abhangigkeit chaotischer Bewegungen von den Anfangsbedingungen zucharakterisieren.

Abbildung 14: Der Lorenz-Attraktor bei r = 28, σ = 10, b = 8/3.

Die physikalische Interpretation dieser chaotischen Dynamik ist die, dass dieEigenmode des Geschwindigkeits-, Temperatur- und Nusseltzahl-Feldes einelangfristig unvorhersagbare Dynamik entwickelt. Dass so etwas uberhauptmoglich ist, gehorte vor Lorenz nicht zu den Denkmustern derer, die sichGedanken uber die Turbulenz machten.

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Man kann sich fragen, welches Verhalten die Gleichungen zeigen, wenn mandie Parameter r, σ, b noch weitlaufiger variiert, als Lorenz das getan hat. DasBuch von Sparrow enthalt dazu viele Informationen, aber die ausfuhrlichsteParameterstudie findet sich in dem Artikel [8], den ich auf die Lernplatt-form stelle. Dort wird (endlich) das asymptotische Verhalten des Systemsbei großen Werten der Parameter σ und r geklart.

Es soll nicht gesagt werden, dass der reale Ubergang zur Turbulenz etwa ineinem Rayleigh-Benard-Experiment oder anderen, in denen die Konvektionstarkt angeregt wird, dem Lorenz-Szenario gehorcht. Dieses entspricht auchnur sehr vage dem Ruelle-Takens-Szenario. Wichtig ist vor allem die Erkennt-nis, dass es Attraktoren mit sehr komplizierter, z. B. fraktaler Struktur gibtund dass turbulente Stromung vermutlich einen solchen Charakter hat. InAbb. 15 werden drei Fourier-Spektren eines Experiments von Swinney undGollub gezeigt (aus [1]). Das obere Bild, bei einer Rayleigh-Zahl knapp ober-halb Rac enthalt lediglich eine Frequenz (mit Obertonen). Im mittleren Bild,bei etwas hoheren Ra, lassen sich zwei Frequenzen (mit ihren Kombinati-onstonen) identifizieren. Danach aber folgt ein Stadium (unten), in dem dasSpektrum einen kontinuierlichen Teil bekommt und die scharfen Frequenz-peaks immer unwichtiger werden. Das ist ein anderes Verhalten als das vonLandau postulierte.

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Abbildung 15: Experiment von Swinney und Gollub.

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7.3 Voll ausgebildete Turbulenz

Bei sehr hohen Rayleigh- oder Reynoldszahlen beobachtet man starke Wir-belbildung, die man naturlich im Detail nicht verfolgen oder beschreibenkann. Deswegen werden hier vor allem Skalenargumente vorgebracht undqualitative Bilder entwickelt. Die Beschreibung ist qualitativ und statistisch,wobei schon die Frage nach der Zahl der relevanten Freiheitsgrade interessantist.

Das grundlegende Bild ist das einer mittleren Stromung, auf der irregulareWirbel unterschiedlicher Große mitgefuhrt werden. Auf Englisch nennt mandiese Wirbeil turbulent eddies. Die großten Wirbel haben die Ausdehnung desganzen Fluids; sie zerfallen in kleinere und immer kleinere, bis schließlich aufder kleinsten Skala der diffusive Transport effektiver als der konvektive wird.Die Energie, die von außen in das System eingebracht wird, durchlauft dieseSkalen im Wesentlichen ohne Verluste; erst auf der untersten Skala wird siedissipiert. Dieses Bild einer Kaskade von Wirbeln geht auf L. F. Richardson(1920) zuruck und dominiert seither das Verstandnis der Turbulenz. Um esetwas praziser auszudrucken, folgen wir Landau-Lifschitz, § 31 ff., die sichihrerseits auf Kolmogorov und Obukhov berufen. Eine wichtige Rolle spielendabei Skalenargumente.

Wir denken konkret an eine Situation wie eine von außen konstant, aber hef-tig angetriebene Stromung zwischen Platten oder an Hindernissen vorbei. Eswerde zunachst ein mittleres Geschwindigkeitsfeld definiert, das man durchLangzeit-Mittelung an jedem Punkt erhalt. Dieses Feld werde u(r) genannt;der Rest v′(r) = v − u heiße der fluktuierende Teil. Er besteht aus Wirbelnder verschiedenen Großen. Die großten Wirbel mogen eine Ausdehnung Lund eine Geschwindigkeit der Großenordnung ∆u haben. Wir stellen unsvor, dass sie mit der mittleren Geschwindigkeit wandern und durch den An-trieb der Turbulenz immer wieder erneuert werden. Die Periode T , mit derein Wirbelmuster sich wiederholt (aus einem raumfesten Bezugssystem be-trachtet), ist deshalb L/u (nicht L/∆u). Dem entsprechen Frequenzen u/L.Kleine Wirbel haben hohere Frequenzen und kleinere Amplituden; sie stellendie Feinstruktur des fluktuierenden Feldes dar.

Die Reynolds-Zahl der Stromung als Ganzes ist Re = uL/ν. Fur Wirbelder Große λ und typischer Geschwindigkeit vλ konnen wir die λ-abhangigeReynolds-Zahl

Reλ =vλλ

ν(7.5)

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definieren. Es wird sich zeigen, dass dies mit kleiner werdendem λ kleiner wirdund irgendwo den kritischen Wert erreicht, unterhalb dessen die Konvektionvon der viskosen Diffusion abgelost wird. Das entsprechende λ nennen wir λ0.

Auf der anderen Seite, bei großen Reλ, hat man ein Verhalten wie bei gerin-ger Viskositat, das heißt wie bei idealen Fluiden. Die grosten Wirbel konnendeswegen durch die Euler-Gleichung beschrieben werden. Sie enthalten vielEnergie, verursachen aber keine oder wenig Dissipation.

Schaut man sich nun die Kaskade der Wirbel von der Skala L bis hinunternach λ0 an, so wird die Energie im Wesentlichen verlustfrei durch sie hindurchgeleitet, bis sie unterhalb von λ0 in Warme verwandelt wird. Solange λ λ0,spielt die Viskositat ν keine Rolle, deswegen konnen die charakteristischenEigenschaften der turbulenten Stromung nicht von ν abhangen; sie sind kon-servativer oder Hamiltonscher Natur. Mit dieser Vorstellung konnen wir furdie Dissipation einen von ν unabhangigen Ausdruck angeben: zwar ist amEnde die Viskositat fur die Dissipation zustandig, aber wie viel sie zu verar-beiten hat, hangt nur von dem Energieeintrag und dem Transport durch dieKaskade ab. Die Dissipation ε ist die Energie, die pro Gramm und Sekundedurch die Wirbel transportiert und am Ende in Warme umgewandelt wird.Die Dimension von ε ist m2/s3. So etwas muss aus den Eigenschaften desgroßten Wirbels gebastelt werden, denn dort wird die Energie eingebracht.Dessen Eigenschaften sind ∆u und L, also muss

ε ∼ (∆u)3

L(7.6)

sein. Man kann dies umschreiben in (L∆u)(∆u/L)2 und uber

νturb := L∆u (7.7)

eine”turbulente Viskositat“ definieren. Damit hat die Dissipation dieselbe

Form wie bei der normalen Viskositat,

ε ∼ νturb

(∆u

L

)2

. (7.8)

Wir wollen die Eigenschaften der Wirbelkaskade jetzt genauer bestimmen,wobei wir die Annahmen machen, dass ε durch die großten Wirbel vorgegebenist und dass die lokale Turbulenz isotrop ist, d. h. nicht von der Richtung dermittleren Geschwindigkeit abhangt. Wenn wir uns dann in

”das Innere“ der

Kaskade begeben, also weg von den großten und auch von den kleinstenWirbeln, dann konnen weder L noch ∆ noch ν als solche eine Rolle fur die

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Eigenschaft der Wirbel spielen. Wir haben, um die typische Geschwindigkeitvλ des Wirbels der Große λ zu bestimmen, nur ε und λ. Daraus kann mannur auf eine Weise eine Geschwindigkeit konstruieren:

vλ ∼ (ελ)1/3. (7.9)

Man kann dies auch als Variation der Geschwindigkeit auf Skalen λ interpre-tieren. Dass dies proportional zur dritten Wurzel aus der Distanz ist, wirdGesetz von Kolmogorov und Obukhov genannt. Eine andere Herleitung erhaltman, indem man die Definition (7.7) der turbulenten Viskositat λ-abhangigmacht:

νturb,λ := λvλ (7.10)

und die Dissipation entsprechend schreibt,

ε ∼ νturb,λ

(vλλ)2

∼ v3λ

λ. (7.11)

Damit folgt dann (7.9). Die effektive Viskositat von Wirbeln der Große λskaliert mit λ4/3.

Wie groß ist λ0, der kleinste Wirbel, bei dem die Konvektion in Diffusionubergeht? Schauen wir uns dazu an, welche effektive Reynoldszahl durch dieEigenschaften auf der Skala λ gegeben sind:

Reλ ∼λvλν∼ λ(ελ)1/3

ν∼ ∆u · λ4/3

νL1/3∼ Re

(λL

)4/3

, (7.12)

wobei wir Re = L∆u/ν fur die pauschale Reynoldszahl benutzt haben. Dieeffektive Reynoldszahl nimmt also mit der Wirbelgroße ab. Die kleinstenWirbel sind nun dadurch gekennzeichnet, dass Re gleich Rec wird, also

λ0 ∼L

(Re/Rec)3/4. (7.13)

Dasselbe erhielte man, indem man sich fragt, welche Lange man aus ε und νbasteln kann, denn bei Wirbeln dieser Große muss die Viskositat die Dissi-pation ubernehmen. Antwort: λ0 ∼ (ν3/ε)1/4 und dann weiter mit (7.7).

Die Skala der Wirbel reicht also uber einen Bereich der Tiefe (Re/Rec)3/4.

Wenn man bei einer großten Skala von 1 m bis hinunter zu atomaren Abmes-sungen kommen will, muss (Re/Rec)

3/4 ∼ 1010 sein oder Re/Rec ∼ 1013. An-dersherum: Geht man bei einer Situation mit L ∼ 1 m mit Reynoldszahl biszu 104Rec, dann haben die kleinsten Wirbel eine Große von ungefahr 1 mm.

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Man kann nun noch nach der Zahl der Freiheitsgrade fragen. Sei n derenZahl pro cm3 des Fluids. Da ν die kleinste Wirbelgroße bestimmt, haben wirε und ν, um eine Große der Dimension 1/cm3 zu basteln: (ε/ν3)3/4 ∼ 1/λ3

0:

n ∼ 1

λ30

∼ (Re/Rec)9/4

L3. (7.14)

Multiplikation mit dem Gesamtvolumen der Großenordnung L3 gibt fur dieGesamtzahl der Freiheitsgrade

N ∼ (Re/Rec)9/4. (7.15)

Fur turbulente Stromung mit außerer Skala 1 m und Re ∼ 104Rec findenwir 109 Freiheitsgrade, eben die Zahl von kleinsten Wirbeln mit Abmes-sung 1 mm. Das ist ziemlich in der Mitte zwischen makroskopischer Physikmit einigen wenigen Freiheitsgraden und statistischer Physik mit 1023 Frei-heitsgraden pro Mol.

Haufig werden die Wirbel statt durch ihre Große λ durch die Wellenzahl k =2π/λ charakterisiert. Man kann die obige Diskussion leicht entsprechend um-schreiben. Zum Beispiel ist die Wellenzahl der kleinsten Wirbel gemaß (7.12)und (7.13)

k0 ∼( ε

(νRec)3

)1/4

∼ 1

L(Re/Rec)

3/4. (7.16)

Eine viel diskutierte Große ist noch die Energiedichte pro Wellenzahl, E(k),also die Verteilung der Gesamtenergie, die in dem Wirbelfeld steckt, aufdie einzelnen k. Dabei ist

∫E(k)dk die gesamte Energiedichte. Da deren

physikalische Dimension m2/s2 ist, hat E(k) die Dimension m3/s2, und wennman dies aus ε und k konstruiert, erhalt man das Skalengesetz

E(k) ∼ ε2/3k−5/3 (2π/L < k < k0). (7.17)

Dies wird nach Kolmogorov benannt. Die analoge Verteilung der Energieauf Wirbelgroßen λ erhalt man mit

∫E(k)dk =

∫E(λ)dλ, woraus E(λ) =

E(k)dk/dλ folgt und damit

E(λ) ∼ ε2/3λ−1/3 (λ0 < λ < L). (7.18)

Aus beiden Verteilungen erhalt man durch Integration, dass die gesamteEnergiedichte in dem Feld der turbulenten Wirbel∫

E(k)dk =

∫E(λ)dλ ∼ (Lε)2/3 ∼ (∆u)2 (7.19)

ist. Sie steckt also schon in dem großten Wirbel, wird dort in das Systemeingefuttert und auf die kleineren Skalen verteilt, aber erst auf der letztenuber viskosen Transport in Warme umgewandelt.

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7.4 Prandtls Grenzschicht

Es wurde mehrfach schon erwahnt, dass Stromung mit hohen Reynolds-zahlen sich so verhalte wie Stromung mit niedriger Viskositat, also effektivwie ein ideales Eulersches Fluid. Andererseits hatten wir bei der Diskussi-on der Stromung an einer Kugel vorbei gesehen, dass es schon bei niedrigenReynoldszahlen (Stokes-Problem) deutliche Unterschiede gab: nicht nur imDruck- und Stromlinien-Verlauf, sondern vor allem darin, dass bei idealerStromung keine Kraft auf die Kugel ausgeubt wird, bei viskoser Stromungaber doch, namlich die Stokes-Kraft (3.49). Die Beobachtung zeigt, dass die-se Kraft mit wachsender Reynoldszahl nicht kleiner, sondern großer wird. Esmuss die Energie fur die Wirbelbildung aufgebracht werden, und das ver-ursacht eine Widerstandskraft und ggfs. Auftrieb. Bevor wir uns turbulenteStromungen genauer anschauen, mussen wir klaren, wo genau sie sich vonidealen Stomungen unterscheiden. Den Schlussel dazu liefert die von Prandtl1904 ins Spiel gebrachte Idee der Grenzschicht [23], zu deren 100-jahrigemJubilaum Grossmann et al. in [16] einen wunderschonen Aufsatz geschriebenhaben. Ich werde mich bei der folgenden Darstellung daran halten. Ahnlichaber ist die Darstellung in Kapitel IV von [18].

Die Uberlegung ist: wenn auf dem Rand die Geschwindigkeit Null ist, dannmuss in seiner Nahe die Reynoldszahl klein sein, dann kann dort die Stromungnicht ideal sein. Prandtl fand fur diesen Bereich eine Approximation an dieNavier-Stokes-Gleichungen, aus der abgeleitet werden kann (s. u.), dass dieGrenzschicht eine Dicke δ ∼ L/

√Re hat, mit wachsendem Re also dunner

wird, aber niemals verschwindet. In diesem Sinne ist der Grenzfall ν →0 nicht dasselbe wie der Euler-Fall ν = 0. Eine zweite wichtige EinsichtPrandtls betrifft die Ablosung der Grenzschicht vom Rand. Wir hatten beider Diskussion idealer Stromungen gesehen, dass die Euler-Gl. viele Losun-gen erlaubt, bei denen die am Rand tangentiale Stromung den Rand verlasst,so dass hinter dem Hindernis ein von Stromung freier Bereich entsteht. Aufder Grenze zwischen dem freien Bereich und der idealen Stromung gibt esdann eine Unstetigkeit, die in der Realitat so nicht existiert. Deswegen werdendiese Losungen i. A. verworfen, zumal man im Rahmen der Euler-Theorie kei-nen Anhaltspunkt dafur hat, wo dieses Ablosen vom Rand geschehen sollte.Prandtl findet jedoch hierfur ein prazises Rezept, das nur von der Geometriedes Randes, nicht von der Reynolds-Zahl abhangt. Auf diese Weise bildetsich ein gut definiertes Nachlaufgebiet aus, in dem die Stromung von Wir-beln dominiert ist, wahrend sie außerhalb wirbelfrei ist. Dabei gibt es nochdie Unterscheidungen von laminarem und turbulentem Nachlauf sowie vonlaminarer und turbulenter Grenzschicht, abhangig von der Reynolds-Zahl der

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Stromung, s. Abb. 16.

Abbildung 16: Stromung um einen Zylinder bei verschiedenen Reynolds-Zahlen;Ablosung der Grenzschicht und laminarer bzw. turbulenter Nachlauf.

Betrachten wir zuerst die Stromung entlang einer Platte in der (x, z)-Ebene,die in x-Richtung die Ausdehnung L (von 0 bis L ) und in z-Richtung dieAusdehnung B habe, beides groß gegenuber der Dicke der Grenzschicht, diewir identifizieren wollen. Von negativen x her komme eine Stromung mit Ge-schwindigkeit u = (u, 0, 0) mit konstantem u. Dann ist plausibel, dass sichuber der Platte ein stationares Geschwindigkeitsprofil v = (vx(x, y), vy(x, y), 0)ausbildet, fur das die Navier-Stokes-Gln.

vx∂vx∂x

+ vy∂vx∂y

= −1

ρ

∂p

∂x+ ν(∂2vx∂x2

+∂2vx∂y2

),

vx∂vy∂x

+ vy∂vy∂y

= −1

ρ

∂p

∂y+ ν(∂2vy∂x2

+∂2vy∂y2

),

(7.20)

gelten und außerdem die Annahme der Inkompressibilitat ∂vx/∂x+∂vy/∂y =0 und die Randbedingung vx = vy = 0 fur y = 0.

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Abbildung 17: Stromung entlang einer Platte. Geometrie fur die Berechnung derGrenzschicht. (Mit ux(y) ist hier das vx(y) aus dem Text bezeichnet.)

Die Geschwindigkeit geht offenbar vorwiegend in x-Richtung, vy wird alsoklein sein gegenuber vx. Deshalb betrachten wir von (7.20) nur die Gleichungfur vx. Die Anderungen geschehen dagegen vorwiegend in y-Richtung außeran dem Ende der Platte, auf das die Stromung zuerst trifft. Deshalb ver-nachlassigen wir den Term ∂2vx/∂x

2. Den Druckterm ignorieren wir zunachst.Die Skalierung wollen wir jetzt so vornehmen, dass die Gleichung uberhauptkeinen Parameter mehr enthalt. Das gelingt, wenn wir in x- und y-Richtungunterschiedlich skalieren und die Reynolds-Zahl in diesen Unterschied ste-cken:

x = Lx, vx = uvx, y = (L/√

Re)y, vy = (u/√

Re)vy, (7.21)

wobei Re = Lu/ν ist. Damit lauten die dimensionslosen Grenzschicht-Gleichungen

vx∂vx∂x

+ vy∂vx∂y

=∂2vx∂y2

,

∂vx∂x

+∂vy∂y

= 0.

(7.22)

Gesucht sind Losungen, bei denen vx mit y anwachst von 0 bei y = 0 auf 1bei y → ∞. Wenn beide skalierten Geschwindigkeiten vx und vy von derOrdnung 1 sind, dann folgt aus (7.21), dass

vyvx∼ 1√

Re. (7.23)

Was die Abhangigkeit von x und y anbetrifft, so wird argumentiert, dassjedenfalls bei großem L die Geschwindigkeit vx keine L-Abhangigkeit ha-ben sollte. Sie kann deswegen nur von der Kombination y/

√x = y

√u/νx

abhangen, die kein L enthalt,

vx = f(y/√x), (7.24)

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mit einer zu bestimmenden Funktion f(ξ). Das vy hat aber in seiner Skalie-rung eine L-Abhangigkeit. Um die loszuwerden, multiplizieren wir mit

√x

und argumentieren dann genauso, dass

vy =1√xg(y/√x), (7.25)

mit einer zu bestimmenden Funktion g(ξ). Aus der Kontinuitatsgl. entneh-men wir den Zuammenhang

g′ =y

2√xf ′, (7.26)

den wir ausnutzen konnen, um aus der ersten der Gln. (7.22),

f ′′ =(g − y

2√xf)f ′, (7.27)

eine Gleichung allein fur f zu machen. Eine analytische Losung ist nicht be-kannt, die numerische Losung gibt eine Funktion, die mit einer Steigung vonungefahr 1/3 bei ξ = 0 beginnt und bei etwa 2.5 flacher wird, um bei ξ = 5schon fast den Wert 1 zu erreichen.

Was entnehmen wir dieser Funktion? Wenn wir den Bereich f < 0.8 oderξ < 3 als Grenzschicht interpretieren, dann sehen wir, dass deren skalierteDicke durch y = 3

√x =: δ gegeben ist, was fur die unskalierte Dicke auf

δ = 3√xL/Re = 3

√xν/u (7.28)

fuhrt. Das bedeutet, dass sie entlang der Platte ∝√x anwachst, aber mit

wachsender Reynolds-Zahl ∝ 1/√

Re dunner wird. Mit Re→∞ geht die Di-cke der Grenzschicht gegen Null, aber sie verschwindet nicht. Oberhalb derGrenzschicht verhalt sich das Fluid wie ein ideales.

Man kann fur die Grenzschicht eine eigene Reynolds-Zahl definieren, umabzuschatzen, wann sie selbst turbulent wird:

Reδ =uδ

ν= 3

√x

L

√Re Re, (7.29)

wobei Letzteres fur große Re gilt. Re muss sehr groß sein, wenn Reδ > Recwerden soll, vgl. Abb. 16.

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Abbildung 18: Struktur der Randschicht entlang einer gekrummten Oberflache.

Als Nachstes mochte man das Phanomen des Ablosens diskutieren. Auf einerebenen Platte findet das nicht statt, sondern dort wird nur die Grenzschicht∝√x dicker und bei sehr großen Re auch turbulent. Das Ablosen erfor-

dert gekrummte Grenzflachen, etwa Kugeln oder Zylinder oder Tragflachen,s. Abb. 18. Hier ist es erforderlich, den Druckverlauf zu berucksichtigen, deraußerhalb der Grenzschicht durch die Bernoulli-Gleichung p+ 1

2ρv2 = const

gegeben ist, weil das Fluid dort ideal ist. Die Anderung des Druckgradienteninnerhalb der Grenzschicht ist nicht nennenswert,

∂p/∂y

∂p/∂x∼ vyvx, (7.30)

was nach (7.23) ∼ 1/√

Re ist. Man muss also in (7.20) und entsprechendin (7.22) nur noch den Druckterm

−1

ρ

∂p

∂x= u(x)

du

dx(7.31)

hinzufugen, wobei mit x jetzt eine Koordinate gemeint ist, die parallel zumRand lauft, und mit u(x) die Geschwindigkeit außerhalb der Grenzschicht.Die Losung der Gln. (7.22) wird jetzt naturlich schwerer und kann eigentlichnur fur konkret gegebene Geometrien versucht werden. In [18] findet sich dazueine ausfuhrliche Diskussion. Hier soll es reichen, angesichts der Skizzen inAbb. 18 die Ablosebedingung

∂vx∂y

∣∣∣∣y=0

= 0 (7.32)

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anzugeben. An der Stelle x0, an der das gilt, fuhrt das Geschwindigkeits-feld in der Randschicht vom Rand weg: links hat es noch die Richtung deraufgepragten Stromung, vx > 0, rechts ist es rucklaufig, wofur der gemaßder Bernoulli-Gleichung erhohte Druck auf der Schattenseite des Hindernis-ses verantwortlich ist: er kann die Stromung in die Gegenrichtung leiten, wiez. B. bei den Karman-Wirbeln in Abb. 16 zu sehen. An der Stelle x = x0 giltnaturlich nicht mehr die Bedingung (7.23), man hat es mit einer Singularitatder Grenzschichtgleichungen zu tun. Aber sei das dahingestellt; die Bedin-gung ist klar und sagt eindeutig vorher, wo das Ablosen stattfindet.

Abbildung 19: Unterschied von laminarer (oben) und turbulenter Grenzschicht(unten) bei der Umstroemung einer Kugel.

Prandtls erster Doktorand Blasius hat das in seiner Dissertation 1907 ge-klart. Er fand, dass die Stelle der Ablosung nicht von u und damit derReynolds-Zahl abhangt, sondern nur von der Geometrie – vorausgesetzt, dieStromung in der Grenzflache ist laminar. Wenn sie turbulent wird, ist die Si-tuation naturgemaß komplizierter. Der experimentell beobachtete Effekt istder, dass die Ablosung bei turbulenter Grenzschicht spater stattfindet.21 ImFall der Kugel wird der Ablosewinkel (gemessen von der Ruckwartsrichtungder Stromung) von 70-80 auf 110-120 erhoht; bei einem Zylinder von etwa85 auf 120.

7.5 Nachlauf und Krafte

Nachdem das Phanomen der Grenzschichtbildung und ihrer Ablosung ver-standen ist, konnen wir stationare Stromungen mit hoher Reynoldszahl ver-

21Im ersten Teil der Umstromung ist auch hier die Grenzschicht laminar, sie wird erstturbulent, wenn Reδ > Rec.

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stehen22 und die dabei auftretenden Krafte berechnen. Zuerst schauen wirnoch einmal an, wie sich die Stromung um einen Zylinder bei wachsen-der Reynoldszahl entwickelt, s. Abb. 16. Bei sehr kleinen Re (

”schleichende

Stromung“) kann man noch nicht von Grenzschicht sprechen, weil die Vis-kositat (in der Stokes-Naherung) einen weit reichenden Effekt hat und dieStromung eben nicht ideal ist. Bei Re ≈ 20 sehen wir Ablosung und einenbegrenzten Schatten-Bereich, in dem die Stromung Wirbel hat, wahrend sieaußerhalb dieses Bereichs ideal und damit wirbelfrei ist. Bei Re ≈ 102 hatsich ein laminarer Nachlauf-Bereich (engl. laminar wake) ausgebildet, auchvon Karmansche Wirbelstraße genannt, der sich bis ins Unendliche erstreckt.Bei Re ≈ 104 ist die Grenzschicht immer noch laminar, aber im Nachlauf istdie kritische Reynoldszahl fur Wirbelbildung uberschritten und der Nachlaufist turbulent (engl. turbulent wake). Bei Re ≈ 106 wird auch die Grenzschichtturbulent und das Ablosen findet spater statt. Der Nachlaufbereich wird da-durch schmaler, und wir werden sehen, dass damit der Stromungswiderstandabnimmt.

Wir diskutieren zuerst den laminiaren Nachlauf ([18] § 21). Das Ziel ist,fur beliebig geformte Korper einen Zusammenhang zwischen Kraften undStromungsfeld zu finden. Es wird sich namlich zeigen, dass vor allem derNachlauf die Krafte bestimmt. Es sei die Geschwindigkeit der von außeneinlaufenden Stromung u = (u, 0, 0) und das gesamte Geschwindigkeitsfeldu+v(r), wobei im Unendlichen v → 0. Weit hinter dem Korper ist v nur imNachlaufbereich merklich von Null verschieden. Außerhalb ist die Stromungideal und geht nach Umstromen des Korpers wieder in den Anfangszustandzuruck. Sie ist wirbelfrei, wahrend innerhalb des Nachlaufs die Wirbel do-minieren. Denn der Bereich entsteht durch die Instabilitat der abgelostenGrenzschicht, die die Wirbel mitbringt.

Um die Kraft auf den Korper zu diskutieren, berechnen wir die Differenzder Impulsstrome zwischen einer Ebene, die weit vor dem Korper senkrechtauf u steht, und einer anderen, die weit hinter ihm steht. Diese Differenzist der Impuls, der pro Zeiteinheit an den Korper abgegeben wird, also dieKraft F . Wir erinnern uns, dass die i-te Komponente des Impulsstroms durchein Flachenelement d2f = ndf gegeben ist durch Πiknkdf , wobei der Span-nungstensor gegeben ist durch

Πik = pδik + ρ(u+ vi)(u+ vk). (7.33)

22Die Stromung im Nachlauf ist nicht wirklich stationar, sondern die Wirbel darinkonnen ein komplexes Zeitverhalten zeigen. Stationar soll die ideale Stromung außerhalbdes Nachlaufs sein.

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Den Druck zerlegen wir in p = p0+p′, wobei p0 der Druck im Unendlichen ist.Den konstanten Teil p0δik+ρuiuk konnen wir ignorieren, weil er vor und hinterdem Korper dasselbe ergibt. Da wir an den Integralen

∫Πiknkdf uber die

beiden erwahnten Flachen interessiert sind, brauchen wir auch ui∫ρvknkdf

nicht zu betrachten, denn∫ρv · d2f ist der gesamte Massenstrom durch die

Flache, und der ist wegen der Massenerhaltung ebenfalls vorne und hintenderselbe. Schließlich vernachlassigen wir die Terme zweiter Ordnung ρvivkund erhalten so fur die Differenz der Impulsstrome durch die beiden Flachen

Fi =(∫

x=x1

−∫x=x2

)(p′δik + ρukvi)nkdf, (7.34)

wobei x = x1 weit vor dem Korper liegt und x = x2 weit dahinter. Da nunn = (1, 0, 0) ist, haben wir fur die drei Komponenten der Kraft23

Fx =(∫

x=x1

−∫x=x2

)(p′ + ρuvx)dydz,

Fy =(∫

x=x1

−∫x=x2

)ρuvydydz,

Fz =(∫

x=x1

−∫x=x2

)ρuvzdydz.

(7.35)

Die Kraft Fx wirkt in Richtung der Stromung und wird als Widerstandskraftbezeichnet (im Englischen drag). Die zur Stromung transversalen Krafte wer-den als Auftrieb (lift) bezeichnet. Berechnen wir also jetzt diese Integrale.

Außerhalb des Nachlaufbereichs gilt die Bernoulli-Gleichung

p+ 12ρ(u+ v)2 = const = p0 + 1

2ρu2, (7.36)

so dass bis zur linearen Naherung in v gilt

p′ + ρuvx = 0. (7.37)

Dies bedeutet, dass der Integrand in Fx uberall außerhalb des Nachlauf-bereichs verschwindet. Ein Stromungswiderstand ergibt sich allein aus demIntegral uber den Nachlaufbereich bei x = x2. Es ist aber der Druck p′ dort24

23Mir ist nicht klar, warum die Massenerhaltung nicht auch den zweiten Term in Fxverschwinden lasst. Wahrscheinlich tut er das. Aber wenn man ihn hier wegließe, konnteman nicht (7.37) verwenden, sondern musste zeigen, dass das Integral uber p′ verschwindet.

24Im Nachlaufbereich gabe es ohne das Fluid darin uberhaupt keinen Druck. Diesermuss daher von der Großenordnung der Dichte der kinetischen Energie sein.

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von der Großenordnung ρv2 und daher klein gegenuber ρuvx. Deshalb ist dieWiderstandskraft

Fx = −ρu∫

Nachlauf

vxdydz. (7.38)

Man bedenke, dass vx negativ ist, denn hinter dem Korper ist die Stromunggegenuber u verlangsamt.

Fur die Auftriebskrafte ist die Sache etwas komplizierter. Im Bereich außer-halb des Nachlaufs hat die Stromung ein Potential φ, das im Unendlichengegen Null geht, mit vy = ∂φ/∂y und vz = ∂φ/∂z. Dies hat zur Folge, dassdas Integral vor dem Korper nichts gibt und das bei x = x2 mit∫

vy dydz =

∫∂φ

∂ydydz =

∫dφdz = −

∫ ((φ+(z)− φ−(z)

)dz (7.39)

ausgewertet werden kann, wobei φ±(z) die Werte des Potentials an der Ober-bzw. Unterseite der Nachlaufregion in der Flache x = x2 sind und φ = 0 beiy → ±∞ benutzt wurde. Die z-Integration erstreckt sich uber die lateraleAusdehnung des Nachlaufs. Es ist zu bedenken, dass das Potentialproblemim Außenraum von Hindernis und Nachlaufbereich zu losen ist und dass dieSchnittlinie des Nachlaufs mit einer Ebene x = const nicht unbedingt eineAquipotentialflache sein muss. Im Ubrigen ist naturlich wieder das Integraluber den Nachlaufbereich zu nehmen, so dass die Auftriebskrafte aus zweiTeilen bestehen:

Fy = ρu

∫ ((φ+(z)− φ−(z)

)dz − ρu

∫Nachlauf

vydydz

Fz = ρu

∫ ((φ+(y)− φ−(y)

)dy − ρu

∫Nachlauf

vzdydz.

(7.40)

Welcher der beiden Teile dominiert, hangt von der Geometrie des Systemsund von der Reynoldszahl ab.

Die Ausdehnung des laminaren Nachlaufbereichs in Abhangigkeit von x kannman wieder mit Skalenargumenten erhalten, wenn man davon ausgeht, dassdort die Terme (v · ∇)v und ν∆v von gleicher Großenordnung sind (Zusam-menspiel von Konvektion und Dissipation). Der Term (v · ∇)v ist von derOrdnung uv/x, wobei wir annehmen, dass v ∝ 1/x, s. (7.42), und in ν∆vsind die transversalen Komponenten großer als die longitudinale; sie sindvon der Ordnung νv/R2, wenn R die radiale Ausdehnung des Nachlaufs ist.Gleichsetzen gibt

R ∼√xν/u =

√xL/Re ⇒ R

L∼√x

L

1√Re. (7.41)

126

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Das ist ahnlich dem Verhalten (7.28) der Grenzschicht am Hindernis: dieDicke des Nachlaufbereichs wachst weiter ∝

√x und wird kleiner ∝ 1/

√Re

mit wachsender Geschwindigkeit. Da wir annehmen ux/ν = Re(x/L) 1ist R x.

Dass die Geschwindigkeit v ∝ 1/x kleiner wird, sehen wir so: das Integral furFx erstreckt sich uber eine Flache ∼ R2. Darum ist Fx ∼ ρuvR2 ∼ νρvx, sodass

v ∼ Fxνρx

. (7.42)

Kommen wir jetzt zum turbulenten Nachlauf. Hier geben die Skalenargumen-te ein etwas anderes Verhalten. Die Geschwindigkeit in x-Richtung ist auchim Nachlauf von der Großenordnung u, wahrend in transversaler Richtungzur Stromung die turbulenten Wirbel eine mittlere Geschwindigkeit v habenmogen. Der Winkel zwischen den Stromlinien und der x-Achse ist deshalbvon der Ordnung v/u. Das muss dann auch der Winkel zwischen der Grenzedes Nachlauf-Bereichs und der x-Achse sein,

R

x∼ dR

dx∼ v

u. (7.43)

Nun ist nach (7.38) die Widerstandskraft ein Integral uber den Nachlauf,also Fx ∼ ρuvR2, also

v ∼ FxρuR2

. (7.44)

Setzt man dies in (7.43) ein, so folgt

R = R(x) ∼(xFxρu2

)1/3

. (7.45)

Wahrend die Breite des laminaren Nachlaufs mit der Quadratwurzel von xanwachst, ist es beim turbulenten Nachlauf die dritte Wurzel. Fur die Ge-schwindigkeit im Wirbelbereich ergibt sich daraus

v ∼(Fxuρx2

)1/3

, (7.46)

sie nimmt also proportional zu x−2/3 ab. Fur die Reynoldszahl Rex ∼ vR(x)/νim Nachlauf bedeutet das

Rex ∼Fx

νρuR∼ 1

ν

( F 2x

ρ2ux

)1/3

. (7.47)

127

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Dies fallt proportional zu x−1/3 ab und der turbulente Nachlauf wird laminar,wenn Rex < Rex.

In den Aufgaben zu § 21 von [18] wird der qualitative Verlauf der Geschwin-digkeitsfelder innerhalb und außerhalb eines laminaren Nachlauf-Bereichs be-rechnet, wenn die Widerstands- und Auftriebskrafte Fx bzw. Fy gegebensind (die Koordinaten in der (y, z)-Ebene werden so gewahlt, dass der Auf-trieb in y-Richtung wirkt und Fz = 0 ist). Das Resultat im Außenbereichgilt auch fur turbulenten Nachlauf, denn in beiden Fallen handelt es sichum Potentialstromung. Die Herleitung mag man bei Landau-Lifschitz nach-schauen, hier ist das Ergebnis fur das Potential φ als Funktion der Polar-koordinaten (r, ϑ, ϕ), wobei die x-Achse die Polarachse ist, also x = r cosϑ,y = r sinϑ cosϕ und z = r sinϑ sinϕ:

φ =1

4πρur(−Fx + Fy cosϕ cot 1

2ϑ). (7.48)

Die Singularitat des cot bei ϑ = 0 spielt keine Rolle, weil diese im Zentrumdes Nachlauf-Bereichs lage, hier aber nur der Außenbereich beschrieben wird.Interessant ist, wie das Potential sich bei einem Umlauf vom oberen Rand desNachlaufs um das Hindernis herum zum unteren Rand andert. In der (x, y)-Ebene, die durch ϕ = 0 (oberer Teil) und ϕ = π (unterer Teil beschriebenwird, ist die Differenz

φ+ − φ− =Fy

2πρurcot 1

2ϑN , (7.49)

wobei ϑN der (von r abhangige Polarwinkel am Rand des Nachlaufs ist. Jeschmaler der Nachlaufbereich, desto groser dieser Potentialunterschied. Beilaminarem Nachlauf ist nach (7.41) bei großen r der Winkel ϑN ≈ R/r ≈ R/xund daher

φ+ − φ− ≈Fy

πρ√νur

. (7.50)

In der (y, z)-Ebene, die durch ϑ = π/2 und cot 12ϑ = 1 charakterisiert ist,

andert sich das Potential bei einem Umlauf nicht. In der (x, z)-Ebene, ϕ =π/2, ist es bei festem r konstant. Die Komponenten der Geschwindigkeit inPolarkoordinaten sind

vr =∂φ

∂r=

1

4πρur2(Fx − Fy cosϕ cot 1

2ϑ),

vϑ =1

r

∂φ

∂ϑ=

−1

4πρur2

Fy cosϕ

2 sin2 12ϑ,

vϕ =1

r sinϑ

∂φ

∂ϕ=

−1

4πρur2

Fy sinϕ

2 sin2 12ϑ.

(7.51)

128

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Hiermit lasst sich das Stromungsfeld skizzieren. Die kartesischen Komponen-ten der Geschwindigkeit erhalt man mitvxvy

vz

=

cosϑ − sinϑ 0sinϑ cosϕ cosϑ cosϕ − sinϕsinϑ sinϕ cosϑ sinϕ cosϕ

vrvϑvϕ

. (7.52)

7.6 Krafte an Tragflugeln

Nachdem die Verhaltnisse bei Stromungen hoher Reynoldszahl um Korperherum jetzt einigermaßen verstanden sind, konnen wir speziell nach den Vor-aussetzungen des Fliegens fragen. Dazu betrachten wir Korper von der Arteines Tragflugels, die in x-Richtung angestromt werden, in der (x, y)-Ebeneeinen stromlinienformigen Querschnitt besitzen und in z-Richtung weit aus-gedehnt sind.

Wir beginnen die Diskussion mit dem Zhukovsky-Theorem fur die Auftriebs-kraft, die nach (7.35) Fy = ρu

∫x=x2

vy dydz ist, wobei das Integral ubereine transversale Ebene weit hinter dem Korper zu nehmen ist. Wegen derStromlinienform des Korpers geschieht das Ablosen erst sehr weit hinten amKorper, so dass der Nachlaufbereich schmal ist und in der Aufteilung (7.40)das Integral uber den Nachlauf vernachlassigt werden kann. Es gilt also∫vy dy ≈ φ+ − φ−. Wir idealisieren den Nachlauf als eine Ebene, an der

das Potential einen Sprung macht. Die Ableitung ∂φ/∂y = vy muss aber ste-tig sein, denn sonst wurde (∇ · v = 0) Fluid in den Nachlauf hineinfließen,was jedenfalls im Limes eines unendlich dunnen Nachlaufs nicht sein kann.

Aus ahnlichem Grund ist auch der Druck uber die Nachlaufebene hinwegstetig. Nun ist aber nach Bernoulli p+ 1

2ρ(u+v)2 ≈ p+ 1

2ρu2 +ρuvx = const,

so dass vx = ∂φ/∂x ebenfalls stetig ist. Damit ist ∂(φ+ − φ−)/∂x = 0 unddeshalb der Potentialsprung entlang der Nachlaufebene konstant. Damit ist

Fy = ρu

∫(φ+ − φ−)dz. (7.53)

Die z-Integration erstreckt sich uber die Breite des Flugels. Die Potentialdif-ferenz φ+ − φ− lasst sich als Wegintegral uber den Gradienten von φ, alsodie Geschwindigkeit, schreiben,

φ+ − φ− = −∫γ

∇φ · dr = −∫γ

(vxdx+ vydy), (7.54)

wobei der Weg γ vom oberen Rand des Nachlaufs um den Korper herumzum unteren Rand des Nachlaufs fuhrt. Da aber vx und vy stetig sind und

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der Nachlauf dunn, kann man den Weg zu einem geschlossenen erganzen unddie Zirkulation Γ um den Korper herum definieren,

Γ :=

∮v · dr = −(φ+ − φ−). (7.55)

Fur den Auftrieb erhalt man damit die Zhukovsky-Formel

Fy = −ρu∫

Γdz. (7.56)

Betrachten wir nun die Krafte bei großen Reynoldszahlen etwas genauer, zu-erst den Widerstand. Die Stromung ist außerhalb der Grenzschicht und desNachlaufs ideal. Die Breite des Nachlaufs hangt davon ab, wo die Ablosungstattfindet, aber wir sahen, dass dies sich mit Re nicht andert, solange dieGrenzschicht laminar bleibt. Das bedeutet, dass das Muster der Stromung imWesentlichen unabhangig von Re ist. Deshalb mussen auch die Krafte (Wi-derstand und Auftrieb) von der Viskositat unabhangig sein; sie konnen nurvon der Geschwindigkeit u des Hauptstroms, der Dichte des Fluids und derAusdehnung L des Korpers abhangen. Die ublichen Dimensionsargumentezeigen, dass ρu2L2 die einzige Kombination mit der Dimension einer Kraftist. Statt L2 nimmt man gewohnlich den Querschnitt S des Korpers trans-versal zur Stromung und definiert mit

Fx = cw12ρu2S (7.57)

die Konstante cw, die man Widerstands-Beiwert (auch Stromungswiderstands-koeffizient, einfach cw-Wert oder engl. drag coefficient) nennt und die nur vonder Form des Korpers abhangt. Dieses Verhalten ist sehr verschieden von dembei kleinen Reynoldszahlen Re 1, wo das Stokes-Gesetz Fx ∼ νρuL gilt.Es gilt aber auch bei sehr großen Re nicht mehr, weil dann die Grenzschichtturbulent wird und der Ablosepunkt sich nach hinten verschiebt, der Nach-lauf schmaler und die Widerstandskraft kleiner wird (drag crisis25). Abb. 20zeigt in doppelt logarithmischer Auftragung, wie der cw-Wert sich bei Kugeln

25Ich habe im Internet versucht, die deutsche Ubersetzung hierfur zu finden und bin indem Lexikon www.worldlingo.com auf folgenden lustigen Text gestoßen: Gegenkraftkrise:In flussige Dynamik, Gegenkraftkrise ist ein Phanomen, in dem LuftwiderstandsbeiwertTropfen weg plotzlich wie Reynolds Zahl Zunahmen. Dieses ist gut fur runde Korperwie studiert worden Bereiche und Zylinder. Der Luftwiderstandsbeiwert eines Bereichsandert schnell von ungefahr .5 bis .2 an einer Reynolds Zahl in der Strecke 300000. Diesesentspricht dem Punkt, in dem das Flußmuster andert und verlaßt ein schmaleres turbulentSpur. Das Verhalten ist von den kleinen Unterschieden in Zustand der Oberflache desBereichs in hohem Grade abhangig.

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und Zylindern verhalt. Bei kleinen Re reflektiert sein Abfallen das Stokes-Gesetz. Der Abfall verlangsamt sich bis ungefahr Re ∼ 103. Dann ist cw biszu einigen 105 konstant, ehe der Ubergang zu turbulenter Grenzschicht einerecht plotzliche Reduktion um einen Faktor ≈ 5 bewirkt. Danach nimmt cw

wieder zu.

Abbildung 20: Widerstandsbeiwert von Kugel und Zylinder in Abhangigkeit vonder Reynoldszahl.

Fragt man nach Korpern, die moglichst wenig Stromungswiderstand haben,so kommt man rasch zu den sog. Stromlinienformen. Bei der Diskussion derAblosung war klar geworden, dass diese begunstigt wird, wenn der Drucknach hinten hin rasch zunimmt. Deswegen sind hier Formen gefragt, bei denendas nicht der Fall ist: Korper mit einem langgestreckten, dunnen Querschnitt,der nach hinten hin so auslauft, dass die Stromungen, die von oben und un-ten her zusammenlaufen, sanft zusammentreffen und weiterlaufen konnen,s. Abb. 21. Dann findet das Ablosen im Idealfall ganz am Ende statt und derNachlauf ist eine fast zweidimensionale Trennschicht zwischen den Potenti-alstromungen oben und unten.

Es gibt eine Stellung so eines Korpers zur Stromung, in der der AuftriebNull ist. Relativ zu dieser Lage definiert man den Anstellwinkel (angle ofattack) α. Wenn α > 0, entwickelt sich eine betrachtliche Auftriebskraft Fy,wahrend der Widerstand Fx sich wenig andert. Es konnen dabei VerhaltnisseFy/Fx ∼ 10− 100 auftreten. Wird α allerdings zu groß (großer als etwa 10),dann wandert der Ablosepunkt nach vorne und der Nachlauf wird breiter.Bei ganz dunnen Flugeln passiert das schon bei sehr kleinen α: bei ebenen

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Abbildung 21: Stromlinienform eines Tragfluegels

Platten, die nicht exakt parallel zur Stromung stehen, findet schon ganz vorndie Ablosung statt. Mit Dimensionsargumenten wie bei der Widerstandskraftund der Proportionalitat zu α erhalt man fur die Auftriebskraft

Fy = ca12ρu2LxLz (7.58)

mit einer von der Form des Korpers abhangigen Konstanten ca, dem Auf-triebsbeiwert (lift coefficient); bei langen Flugeln und kleinen α ist ca ∝ α.Lx und Lz sind die Abmessungen des Flugels in x- bzw. z-Richtung.

Um ca mit Hilfe des Zhukovsky-Theorems zu berechnen, kann man wie folgtvorgehen. Man nimmt an, erstens, dass der Flugel in z-Richtung so langist, dass man es mit einer zweidimensionalen Potentialstromung zu tun hat,und zweitens, dass der schmale Nachlauf durch eine Ebene reprasentiert wer-den kann, die die (x, y)-Ebene in einer Linie schneidet. Man lose nun dasPotentialproblem im Außenbereich von Korper und Nachlauflinie, wobei andieser Linie eine konstante Potentialdifferenz vorgegeben sei. Die Ableitungen∂φ/∂x = vx und ∂φ/∂y = vy sind, wie schon erwahnt, entlang dem Nach-lauf stetig. Ein Potential mit diesen Eigenschaften kann durch eine Funktionφ(x, y) = φ(x + iy) = φ(z) dargestellt werden, die entlang der Nachlauflinieeinen Verzweigungsschnitt hat26. Die Bestimmung des Potentials und damitder Zirkulation Γ wird dann eindeutig, wenn man noch fordert, dass es ander hinteren Flugelspitze nicht divergiere (Bedingung von Zhukovsky undChaplygin27).

26Ahnlich dem Logarithmus log z = log reiϕ = log r+ iϕ, der mehrdeutig ist, wenn mannicht z. B. langs der negativen reellen Achse einen Verzweigungsschnitt anbringt und denWinkel ϕ so auf den Bereich (−π, π) beschrankt.

27Diese beiden russischen Mathematiker sind ubrigens vor allem fur ihre Beitrage zurDynamik von Kreiseln bekannt.

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Als einfaches Beispiel fur eine solche Berechnung findet sich in § 48 von [18]eine Situation, die von Keldysh und Sedov durchgerechnet wurde. Das Profileines dunnen Flugels werde durch die Funktionen y = ζ+(x) (oben) undy = ζ−(x) (unten) beschrieben. Beide Kurven seien nur wenig gekrummtund nur wenig gegen die x-Achse geneigt (kleiner Winkel α). Es seien alsoζ+, ζ−, ζ ′+ und ζ ′− klein, und die Normale auf dem Profil habe fast uberalldie y-Richtung (außer ganz vorne am Flugel). Dann ist die Storung v derStromung durch den Flugel klein im Vergleich zur mittleren Stromung u, unddie Randbedingungen fur die Potentialstromung sind vy/u = ζ ′+ am oberenund vy/u = ζ ′− am unteren Rand. Da beide Rander nahe der Abszisse y = 0liegen, kann man den Flugel durch ein Stuck Linie y = 0, 0 ≤ x ≤ Lx = aidealisieren, auf dem gilt

vy = uζ ′+(x) fur y → 0+, vy = uζ ′−(x) fur y → 0−. (7.59)

Jetzt werden ein komplexes Potential w und eine komplexe Geschwindigkeitvx− ivy = dw/dz eingefuhrt, die analytische Funktionen von z = x+iy seien.Fur das Segment (0, a) der Abszisse bedeutet das die Randbedingungen

Imdw

dz= −uζ ′±(x) fur y → 0±. (7.60)

Mit Hilfe der Funktionentheorie lasst sich die Funktion w′(z) bestimmen. IhrResiduum bei z = 0 gibt die Zirkulation Γ. Das Resultat ist

Γ = u

∫ a

0

(ζ ′+ + ζ ′−)

√ξ

a− ξdξ. (7.61)

Es kommt dabei nur auf die Summe ζ ′+ + ζ ′− an. Ein einfaches Beispiel isteine dunne Platte mit kleinem Anstellwinkel α, beschrieben durch ζ1 = ζ2 =α(a− x). Es gilt hier

Γ = −2αu

∫ a

0

√ξ

a− ξdξ = −παau, (7.62)

so dass der Auftrieb durch den Beiwert

ca =−ρuΓ12ρu2a

= 2πα (7.63)

gegeben ist.

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8 Magnetohydrodynamik

Magnetohydrodynamik (MHD) und Plasmaphysik handeln von der Physikleitender Fluide in Gegenwart elektromagnetischer Felder. Die Unterschiedezwischen beiden sind fließend. Man kann sie vielleicht dahingehend charak-terisieren, dass

• in der MHD die Ladungen nicht getrennt sind (hohe Dichten, niedrigeFrequenzen), wahrend in der Plasmaphysik Elektronen und Ionen alsunterschiedliche Komponenten zu behandeln sind (niedrige Dichten,hohe Frequenzen),

• in der MHD eher kollektive Phanomene nach Art der Hydrodynamikstudiert werden, wahrend in der Plasmaphysik das Verhalten einzelnerTeilchen und dessen Statistik im Vordergrund stehen (Transportglei-chungen nach Art der Boltzmann-Gleichung).

Aber wie der Hydrodynamik einerseits die Newtonsche Teilchenmechanikzugrunde liegt und andererseits eine prinzipiell mikroskopische, aber statisti-sche Transporttheorie (Boltzmann, Kubo) hinzugefugt werden kann, so hatauch die MHD eine Grundlage im Verhalten einzelner Teilchen (geladen oderungeladen) in elektromagnetischen und anderen Feldern, und sie kann durchdetailliertere statistische Beschreibungen erganzt werden.

Im Rahmen dieser Vorlesung kann in der verbleibenden Zeit wenig mehr ge-macht werden als eine kurze Erweiterung der hydrodynamischen Gleichun-gen durch Ankopplung an die Maxwell-Gleichungen. Die Dynamik einzelnergeladener Teilchen in E- und B-Feldern – elementarer Bestandteil der Plas-maphysik – muss als bekannt vorausgesetzt werden. Hier sollen die Grund-gleichungen der MHD zusammengetragen und diskutiert werden, bei denenStrome von Teilchen und elektromagnetische Felder sich wechselseitig be-einflussen. Die Komplexitat der Hydrodynamik wird dabei noch einmal po-tenziert. Man sollte aber bedenken, dass 99% der Materie des Universums(oder eher noch mehr) als Plasma vorliegt: bei hohen Dichten und Tempe-raturen in Sternen, bei niedrigen Dichten und Temperaturen in kosmischemStaub. Unser eigener Erfahrungshorizont mit seinen mittleren Dichten undTemperaturen ist ziemlich untypisch. Nur deswegen erleben wir Plasmen alsAusnahme: bei Blitzen oder in Leuchtstoffrohren, im Sonnenwind und inNordlichtern, in Fusionsreaktoren.

In der MHD werden anders als in der Plasmaphysik getrennte Ladungen nichtthematisiert, man betrachtet leitfahige Fluide zusammen mit Magnetfeldern.

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Ein typisches Problem ist die immer noch nicht befriedigend beantworte-te Frage, wie es zur Ausbildung des Magnetfelds der Erde oder der Sonnekommt. Darauf werde ich hier nicht eingehen konnen. Ich beginne mit derDiskussion eines Gleichungssystems, das als Gerust der MHD weitgehendakzeptiert ist, und werde damit nur noch wenige Phanomene diskutierenkonnen.

Als Literatur, die am besten zu dem bislang benutzten 6. Band von Landau-Lifschitz passt, werde ich vor allem deren 8. Band [17] verwenden, außer-dem das bereits erwahnte Buch von Chandrasekhar [4]. Ich empfehle da-neben die Plasmaphysik-Bucher von Chen [6] und Schmidt [26] sowie dasBuch uber Magnetic Reconnection von Priest und Forbes [9]. Das Phanomender Reconnetion selbst werde ich in diesem Semester nicht mehr beschrei-ben konnen. Dazu hatten wir in der normalen Hydrodynamik zuerst nochSchockwellen diskutieren mussen, doch war dafur keine Zeit mehr.

8.1 Die Grundgleichungen der MHD

Es ist etwas irritierend, dass man in den einschlagigen Buchern unterschied-liche Satze von

”Grundgleichungen“ findet. Man braucht einige Zeit, ehe

man sich von deren Aquivalenz uberzeugt. Ich folge im Großen und GanzenLandau-Lifschitz [17], vergleiche aber vor allem mit [9]. Es wird angenommen,dass es keine freien Ladungen gibt (was die MHD von der Plasmaphysik un-terscheidet; wir benotigen deswegen kein D-Feld), dass µ = 1 und deswegenB = H ist und dass der Verschiebungsstrom ε∂E/∂t vernachlassigt werdenkann. Letzteres bedeutet, dass wir uns nur fur Geschwindigkeiten v c in-teressieren. Die ersten Gleichungen der folgenden Aufzahlung sind denen derHydrodynamik nachempfunden, die weiteren entstammen der Elektrodyna-mik. Das volle System beschreibt, wie elektromagnetische Felder und Stromein einem leitfahigen Fluid sich wechselseitig beeinflussen.

Massenerhaltung:

∂ρ

∂t+∇ · (ρv) = 0 oder

dt=∂ρ

∂t+ v · ∇ρ = −ρ∇ · v. (8.1)

Impulserhaltung:

ρdv

dt= −∇p+

1

cj ×H + η∆v + (ζ + 1

3)∇∇ · v + F g, (8.2)

wobei zur Navier-Stokes-Gleichung noch die Lorentzkraft j×B hinzukommt.Mit F g sind außere Krafte wie z. B. die Gavitationskraft gemeint.

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Zustandsgleichung:p = p(ρ, T ) (8.3)

oder Ahnliches fur den thermodynamischen Zustand des Fluids.

Energieerhaltung bzw. Warmetransport:

ρTds

dt= σ′ik

∂vi∂xk

+∇ · (κ∇T ) +1

σj2, (8.4)

wobei außer den dissipativen Termen der Warmetransport-Gleichung (4.2a)noch die Joulesche Warme hinzugenommen wurde.

Faradays Induktionsgesetz:

∇×E = −1

c

∂H

∂t(8.5)

Amperes Gesetz:

∇×H =4π

cj; (8.6)

der Verschiebungsstrom ist dabei vernachlassigt. Es folgt ∇ · j = 0 im Ein-klang damit, dass es keine freien Ladungen gibt.

Gauß’ Gesetz:∇ ·H = 0. (8.7)

Ohms Gesetz:j = σ

(E +

v

c×H

). (8.8)

Das sind insgesamt 16 Gleichungen fur die 15 Unbekannten v, j, H , E, ρ, p,T . Eine Gleichung ist uberflussig: das Gauß-Gesetz benotigt man nur fur ei-ne konsistente Anfangsbedingung; aus dem Faraday-Gesetz folgt dann, dass∇ ·H auch fur spatere Zeiten gilt.

Man kann diese Gleichungen anders schreiben. Das Ampere-Gesetz kann manausnutzen, um in (8.2) und (8.4) mit (c/4π)∇×H die Stromdichte zugunstendes Magnetfeldes zu eliminieren. Außerdem kann man das elektrische Feldeliminieren, indem man zuerst in (8.6) das Ohmsche Gesetz (8.8) einsetzt,nach E auflost und dies dann in (8.5) einsetzt. Die Gleichung

∂H

∂t= ∇× (v ×H) +

c2

4πσ∆H , (8.9)

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reprasentiert zugleich die Gesetze von Faraday, Ampere und Ohm. j und Ekann man berechnen, wenn man H und v kennt. Mit Hilfe der bac-cab-Regelsowie ∇ ·H = 0 macht man sich noch klar

∇× (v ×H) = (H · ∇)v − (v · ∇)H −H∇ · v, (8.10)

so dass (8.9) auch geschrieben werden kann als

dH

dt=∂H

∂t+ (v · ∇)H = (H · ∇)v −H∇ · v +

c2

4πσ∆H . (8.9a)

Die Impulserhaltung (8.2) kann man analog zur Navier-Stokes-Gleichungdurch einen Impulsstromdichte-Tensor ausdrucken,

∂(ρvi)

∂t= −∂Πik

∂xk, (8.2a)

mit

Πik = pδik + ρvivk − σ′ik −1

4π(HiHk − 1

2H2δik). (8.11)

Der neue Term ist der Maxwellsche Spannungstensor des Magnetfelds.

Auch die Warmetransport-Gleichung (8.4) kann ahnlich wie in der einfachenHydrodynamik in eine Gleichung fur die Energie-Erhaltung umgeformt wer-den, vgl. (4.2),

∂t

(ρ1

2ρv2 + ρε+

1

8πH2)

= −∇ · q (8.4a)

mit28

q = ρv(12v2+η)+

1

4πH×(v×H)− c2

16π2σH×(∇×H)−v·σ′−κ∇T. (8.12)

Bei inkompressiblen Fluiden ist die Dichte ρ konstant und das Gleichungs-system vereinfacht sich zu

∇ · v = 0,

dv

dt= −1

ρ∇(p+

H2

)+

1

4πρ(H · ∇)H + ν∆v +

1

ρF g,

∇ ·H = 0,

dH

dt= (H · ∇)v +

c2

4πσ∆H ,

ρTds

dt= σ′ik

∂vi∂xk

+∇ · (κ∇T ) +c2

16π2σ(∇×H)2.

(8.13)

28Hier ist η naturlich wieder die Enthalpiedichte, nicht die Viskositat.

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Wenn die T -Abhangigkeit von ρ und p keine Rolle spielt, bilden die erstenvier Gleichungen schon ein geschlossenes System fur v und H , aus dessenLosungen dann j und E bestimmt werden konnen (mit den Gesetzen vonOhm und Faraday).

Die Phanomene, die hiermit beschrieben werden konnen, sind offenbar nochweit komplexer als die der

”einfachen“ Hydrodynamik. Ein erster Schritt,

sich eine Ubersicht zu verschaffen, ist immer die Reduktion auf dimensi-onslose Gleichungen, wobei dann charakteristische dimensionslose Parameterauftreten. Wir erinnern uns, dass die relative Starke des Diffusionsterms ν∆vund des Konvektionsterms (v ·∇)v in der Navier-Stokes-Gleichung durch dieReynoldszahl Re = Lu/ν gegeben ist, wobei L eine typische Lange und ueine typische Geschwindigkeit des Systems ist. Beim Vergleich der zweitenund vierten Gleichung von (8.13) fallt auf, dass

ηm :=c2

4πσ(8.14)

eine weitere Diffusionskonstante ist, die man magnetische Diffusivitat nennt.Entsprechend wird hier die magnetische Reynoldszahl

Rem :=Lu

ηm=

4πσLu

c2(8.15)

eine wichtige Rolle spielen: sie bestimmt die relative Bedeutung der beidenTerme auf der rechten Seite der Gleichung fur das Magnetfeld.

Macht man die Navier-Stokes-Gl. in (8.13) dimensionslos, indem man mitL/u2 multipliziert, und nimmt man B als typische Starke des Magnetfelds,H = BH , dann wird der Koeffizient von (H · ∆)H

B2

4πρu2=:

v2A

u2mit vA =

B√4πρ

. (8.16)

vA heißt Alfven-Geschwindigkeit und charakterisiert Wellen, die wir in Ab-schnitt 8.4 diskutieren werden.

Mit der Prandtl-Zahl Pr = ν/χ wurde die relative Bedeutung von viskosemTransport und Warmeleitung in der Dissipation gemessen. Als magnetischePrandtl-Zahl bezeichnet man das Verhaltnis

Prm :=ν

ηm(8.17)

138

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von viskoser und magnetischer Diffusivitat. Damit wird die relative Bedeu-tung des ersten und dritten Terms in der Warmetransport-Gleichung von (8.13)gemessen.

Die Zahl, die die relative Bedeutung der mechanischen und der magnetischenEnergiedichte misst, ist das β der Plasma-Physik, das fur den Wirkungsgradeines Fusionsreaktors wichtig ist,

β =p

H2/8π. (8.18)

8.2 Die Gleichung fur das Magnetfeld

Ehe wir das volle Gleichungssystem diskutieren, schauen wir Gl. (8.9) bzw.(8.9a) an,

∂Hi

∂t+

∂xj(vjHi − viHj) = ηm∆Hi. (8.19)

Zuerst betrachten wir den Fall, dass es keine Stromung gibt, v = 0. Danngehorcht das Magnetfeld einer Diffusionsgleichung,

∂H

∂t= ηm∆H . (8.20)

Wegen des Ampere-Gesetzes zeigt auch die Stromdichte j dieses diffusiveVerhalten: in einem unendlich ausgedehnten ruhenden Fluid zerfallt eineMagnetfeld- und Stromdichte-Verteilung der Ausdehnung L in einer Zeit

τ ∼ L2

ηm=

4πσL2

c2. (8.21)

Da dies mit L2 skaliert, konnen Magnetfelder großer lineare Ausdehnung sehrlanglebig sein, besonders wenn auch die Leitfahigkeit groß ist.

Bei endlich ausgedehnten Systemen hangt das Verhalten sehr davon ab, wiedie Randbedingungen sind. Wir diskutieren dazu die magnetische Energie ineinem beschrankten Volumen V mit Oberflache ∂V und schreiben Gl (8.20)als

∂H

∂t= −ηm∇× (∇×H). (8.20a)

Indem wir dies skalar mit H multiplizieren, finden wir zunachst

1

2

∂t

∫V

H2d3r = −ηm∫V

H ·(∇× (∇×H)

)d3r (8.22)

139

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und benutzen dann

H ·(∇× (∇×H)

)= (∇×H)2 −∇ ·

(H × (∇×H)

)(8.23)

und den Gaußschen Satz. Es folgt

1

2

∂t

∫V

H2d3r = −ηm∫V

(∇×H)2d3r+ηm

∮∂V

(H×(∇×H)

)·d2r. (8.24)

Fur die magnetische Energie Em = (1/8π)∫VH2d3r bedeutet das

∂Em∂t

= −∫V

j2

σd3r +

1

4πσ

∮∂V

(H × j

)· d2r. (8.25)

Da wir annehmen v = 0, ist aber j = σE, und wir konnen schreiben

∂Em∂t

= −∫V

j2

σd3r +

1

∮∂V

(H ×E

)· d2r. (8.26)

Dies hat eine klare Interpretation: der erste Term auf der rechten Seite ist derVerlust an magnetischer Energie in Form von Joulescher Warme, der zweiteist der Poynting-Energiestrom durch die Oberflache. Sofern der nicht nachinnen gerichtet ist und elektromagnetische Energie in das Fluid einspeist,mussen Stromdichte und Magnetfeld zerfallen.

Der andere Grenzfall ist der des unendlich leitfahigen Fluids, ηm = 0. Danngehorcht das Magnetfeld gemaß (8.9) der Gleichung29

∂H

∂t= ∇× (v ×H) = (H · ∇)v − (v · ∇)H −H∇ · v. (8.27)

Setzen wir jetzt aus der Kontinuitatsgleichung

∇ · v = −1

ρ

(∂ρ∂t

+ v · ∇ρ)

(8.28)

ein, dann finden wir(∂∂t

+ v · ∇)Hρ≡ d

dt

H

ρ=(Hρ· ∇)v. (8.29)

Hieraus konnen wir schließen, dass die Magnetfeldlinien im Stromungsfelddes Fluids

”eingefroren“ sind. Dazu betrachten wir ein Linienelement δr,

das dem Fluss des Fluids folgt. Ist v die Geschwindigkeit an einem Ende des

29Es wird nicht angenommen, dass das Fluid inkompressibel sei.

140

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Linienelements, dann ist v+(δr ·∇)v die Geschwindigkeit am anderen Ende.Das Linienelement andert sich wahrend einer Zeit dt daher um (δr · ∇)vdt,es gilt also

dδr

dt= (δr · ∇)v. (8.30)

δr gehorcht also derselben Gleichung wie H/ρ, siehe (8.29). Wenn also diebeiden Vektoren anfangs parallel sind, dann bleiben sie es, und ihre Langenbehalten anfangliche Verhaltnis. Zwei Teilchen, die irgendwann nahe beiein-ander auf einer Magnetfeldlinie liegen, liegen immer auf dieser Feldlinie, undihr Abstand verandert sich in gleichem Maße wie H/ρ.

In Fluiden mit unendlich großer Leitfahigkeit bewegen sich also die Magnet-feldlinien zusammen mit der Stromung. Bei inkompressiblen Fluiden gilt dasGesagte fur H selbst: das Feld H ist in der Stromung eingefroren. Einegeschlossene Linie bewegt sich mit der Stromung so, dass sie keine magne-tischen Feldlinien schneidet; der magnetische Fluss durch ein Flachenstuckandert sich nicht, wenn man das Flachenstuck in seiner Bewegung verfolgt.

Bei großen, aber endlichen Leitfahigkeiten gilt dies nur naherungsweise undfur Zeiten der Großenordnung τ gemaß (8.21).

8.3 Stationare Zustande

Um einige Intuition fur das Wechselspiel von Stromung und Magnetfeld zuentwickeln, betrachten wir die Gln. (8.13) fur inkompressible Fluide, undwir suchen zuerst stationare Losungen. Im unendlich ausgedehnten Raumist v = const, H = const, p = const eine triviale Losung. Interessant istdas Problem der stationaren Stromung eines Fluids mit Leitfahigkeit σ zwi-schen parallelen Platten, den (x, y)-Ebenen bei z = ±a, wenn in z-Richtungein konstantes außeres Feld H0 = (0, 0, H0) angelegt ist. Als Richtung derStromung nehmen wir die x-Richtung; in y-Richtung ist dann alles konstant:v = (v(z), 0, 0). Die Gleichungen legen nahe, dass mit der Stromung in x-Richtung auch ein zusatzliches Magnetfeld Hx(z) verbunden ist, so dass wiransetzen konnen H = (Hx(z), 0, H0). Mit diesen Ansatzen sind die Gleichun-gen ∇ · v = 0 und ∇ ·H = 0 auftomatisch erfullt. Die Randbedingungen beiz = ±a sind vx = 0 wie immer bei viskoser Stromung und Hx = 0, weil dietangentiale Komponente des Magnetfelds stetig sein muss und außen Null ist.Der Druck muss eine Funktion auch von x sein, weil ein konstanter Druck-gradient die Stromung aufrecht erhalten soll.

141

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Die z-Komponente der Navier-Stokes-Gleichung in (8.13) ist

∂z

(p+

H2x

)= 0 ⇒ p+

H2x

8π= P (x), (8.31)

wobei P (x) eine Funktion nur von x ist. Da Hx nur von z abhangt, ist

∂p

∂x=

dP

dx= const (8.32)

der konstante Druckgradient.

Die x-Komponenten der Gleichungen fur v und H in (8.13) sind

df

dx= const =

H0

dHx

dz+ η

d2v

dz2(8.33)

und

H0dv

dz+ ηm

d2Hx

dz2= 0. (8.34)

Ableiten der ersten Gleichung nach z und Einsetzen in die zweite gibt einelineare Dgl. 2. Ordnung fur v′(z), die man leicht losen und integrieren kann.Sie lautet

d2v′

dz2=

1

ξ2v′ mit ξ =

c

H0

√η

σ=

1

H0

√4πηmη. (8.35)

Die Losung, die die Randbedingungen erfullt, ist

v = v0cosh(a/ξ)− cosh(z/ξ)

cosh(a/ξ)− 1,

Hx = −4π√ση

cv0

(z/a) sinh(a/ξ)− sinh(z/ξ)

cosh(a/ξ)− 1.

(8.36)

Dabei ist v0 die Geschwindigkeit der Stromung bei z = 0. Man kann sieuber (8.33) mit dem Druckgradienten in Zusammenhang bringen:

v0 = −dP

dx

η

cosh(a/ξ)− 1

sinh(a/ξ). (8.37)

Die mittlere Geschwindigkeit erhalt man durch Integration,

v =cosh(a/ξ)− (ξ/a) sinh(a/ξ)

cosh(a/ξ)− 1v0. (8.38)

ξ kann man als Breite einer Randschicht ansehen. Wenn a ξ, das heißt

H0 c

a

√η

σ=

1

a

√4πηmη, (8.39)

142

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dann erhalten wir das parabolische Profil, das wir ohne Magnetfeld schonbestimmt haben,

v = v0

(1− z2

a2

), v = −dP

dx

a2

3η. (8.40)

Ist dagegen ξ a, so gibt (8.36)

v = v0

(1− e(a−|z|)/ξ), v = −dP

dx

ac

H0√ση, (8.41)

das ist ein abgeflachtes Profil, das nur in der Nahe der Platten von der Ge-schwindigkeit v0 abweicht.

Die Stromdichte finden wir mit (8.6), j = (0, jy, 0) und

jy =v0

ξ

√ση

cosh(z/ξ)− (ξ/a) sinh(a/ξ)

cosh(a/ξ)− 1. (8.42)

Das Integral∫ a−a jy(z) dz = 0, es gibt also keinen Nettostrom. Das Ohmsche

Gesetz liefert schließlich das elektrische Feld E = (0, Ey, 0), das sich alskonstant herausstellt,

Ey =v

cH0. (8.43)

Wir diskutieren die Ergebnisse anhand der folgenden Abbildungen.

Abbildung 22: Links: Verlauf von v/v0 als Funktion von z/a; rechts: Verlauf vonHxc/(4πv0

√ση), jeweils fur ξ/a = 3 (blau), ξ/a = 0.3 (schwarz), ξ/a = 0.1 (rot).

143

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Abb. 22 zeigt die Profile der Geschwindigkeit vx(z) (links) undHx(z) (rechts).Bei den blauen Kurven (a ξ) ist der Effekt des Magnetfelds schwach, beiden roten (a ξ) ist er deutlich: das Geschwindigkeitsprofil wird flach außeram Rand, das Magnetfeld Hx bildet eine charakteristische Struktur aus.

Abbildung 23: Links: Verlauf von jy/(v0√ση) als Funktion von z/a, fur ξ/a = 3

(blau), ξ/a = 0.3 (schwarz), ξ/a = 0.1 (rot). Rechts: obere Kurve zeigt v/v0 alsFunktion von ξ/a, die untere Kurve zeigt v0η/(−a2dP/dx) als Funktion von ξ/a.

Abb. 23 zeigt links den Verlauf der Stromdichte jy als Funktion von z/ξ.Der elektrische Strom hat in der Nahe der Rander eine andere Richtung alsim Innern. Mit wachsendem a/ξ wird der Verlauf im Innern immer flacher,am Rand steiler. Im rechten Teil der Abbildung wird oben das Verhaltnisv/v0 als Funktion von ξ/a gezeigt; fur ξ a geht es gegen den Wert 2/3,den es im Fall ohne Magnetfeld hat. Die untere Kurve zeigt das Verhaltnisvon v0 und Druckgradient als Funktion von ξ/a. Im Limes ohne Magnetfeldgeht es gegen 1/2, aber zunehmendes Magnetfeld behindert die Stromung:bei ξ → 0 schafft es ein endlicher Druckgradient nicht mehr, ein endliches v0

zu erzeugen!

8.4 Hydromagnetische Wellen

Es soll jetzt untersucht werden, welche Wellen in einem Fluid angeregt wer-den konnen, das sich in Ruhe befindet und einem homogenen Magnetfeld H0

ausgesetzt ist. Dissipative Effekte sollen zunachst ignoriert werden, d. h. Vis-kositat η, Warmeleitfahigkeit κ und elektrischer Widerstand 1/σ sollen in ei-ner ersten Naherung Null gesetzt werden. Es gibt dann ungedampfte Wellen,

144

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die man als Verallgemeinerung bzw. Erweiterung des Systems der Schallwel-len in Gegenwart eines Magnetfelds ansehen kann. Wir werden sehen, dass esstatt der einen Schallmode (mit zwei Vorzeichen der Geschwindigkeit) hierdrei Moden (mit je zwei Vorzeichen) gibt, von denen eine mit H0 → 0 indie gewohnliche Schallmode ubergeht, wahrend die beiden anderen eher alselastische Wellen entlang der Feldlinien aufgefasst werden konnen.

Die Grundgleichungen lauten in dieser”idealen Naherung“

dt=∂ρ

∂t+ (v · ∇)ρ = −ρ∇ · v,

dv

dt=∂v

∂t+ (v · ∇)v = −1

ρ∇p+

1

4πρ(∇×H)×H ,

∇ ·H = 0,

∂H

∂t= ∇× (v ×H),

ds

dt= 0.

(8.44)

Die letzte Gleichung bedeutet, dass die Entropiedichte sich nicht andert;wenn das System anfangs homogen ist, also s = const, dann bleibt das so furalle Zeit: die Bewegung ist isentropisch.

Es werden nun kleine Storungen betrachtet, alle von gleicher kleiner Ordnung:

H = H0 + h, ρ = ρ0 + ρ′, p = p0 + p′. (8.45)

Da die Geschwindigkeit im Referenzzustand Null ist, wird v selbst als kleineGroße angesehen. Da die Bewegung isentropisch ist, gilt die entsprechendeZustandsgleichung,

p′ =∂p

∂ρ

∣∣∣∣s

ρ′ = u20ρ′, (8.46)

wobei u0 die Schallgeschwindigkeit ist. Die linearisierten Gleichungen sind

∂ρ′

∂t= −ρ0∇ · v,

∂v

∂t= −u

20

ρ0

∇ρ′ − 1

4πρ0

(H0 × (∇× h)),

∇ · h = 0,

∂h

∂t= ∇× (v ×H0).

(8.47)

145

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Wenn wir jetzt zeitperiodische Losungen suchen, folgt die dritte Gleichungaus der vierten und wir konnen sie ignorieren. Es werde also angesetzt, dassalle kleinen Großen das Verhalten ei(k·r−ωt) haben. Dann wird aus den Dglnein Satz algebraischer Gleichungen fur die Fourier-Amplituden,

ωρ′ = ρ0k · v,

ωv =u2

0

ρ0

ρ′k +1

4πρ0

(H0 × (k × h)),

ωh = −k × (v ×H0).

(8.48)

Die letzte Gl. zeigt, dass h senkrecht auf der Ausbreitungsrichtung k steht.Wir wahlen das Koordinatensystem so, dass k = (k, 0, 0) undH0 = (Hx, Hy, 0)ist. Das Verhaltnis ω/k =: u ist die Phasengeschwindigkeit der Wellen, diewir hier analysieren. Wenn wir nun die erste Gleichung benutzen, um in derzweiten das ρ′ zu eliminieren, erhalten wir die folgenden funf Gleichungen,die wir in zwei Gruppen schreiben:

uvx

(1− u2

0

u2

)=

Hyhy4πρ0

,

uvy = −Hxhy4πρ0

,

uhy = vxHy − vyHx,

(8.49)

und

uvz = −Hxhz4πρ0

,

uhz = −vzHx.

(8.50)

Die erste Gruppe ist ein geschlossenes System fur vx, vy, hy, die zweite Grup-pe fur vz und hz. Wir konnen die beiden deshalb als unabhangig betrachten.

Einsetzen der zweiten in die erste Gleichung (8.50) gibt

u = u1 =Hx√4πρ0

. (8.51)

Das charakterisiert eine Welle, in der die zu k und H0 transversalen Kom-ponenten vz und hz oszillieren, wobei diese beiden uber

vz = − hz√4πρ0

(8.52)

146

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verknupft sind. Die Dispersionsrelation dieser Welle ist

ω = uk =H0 · k√

4πρ0

(8.53)

und fuhrt auf die Gruppengeschwindigkeit

∂ω

∂k=

H0√4πρ0

. (8.54)

Diese Welle propagiert also in Richtung von H0.

Die Gleichungen (8.49) sind ein lineares System fur vx, vy, hy. Schreibt mansie als Matrixgleichung, so findet man die moglichen u2 als Eigenwerte ausder Determinanten-Bedingung

(u2 − u20)(u2 − H2

x

4πρ0

)−u2H2

y

4πρ0

= 0. (8.55)

Damit ergibt sich u2 als Losung einer quadratischen Gleichung. Es ist hiergeschickt, fur die Losungen einer Gleichung x4 + px2 + q = 0 die Formelx = ±1

2

[√−p+ 2

√q±√−p− 2

√q]

zu benutzen. Daraus folgt fur die beidenanderen Typen von Wellen

u2,3 =1

2

√(u2

0 +u0Hx√πρ0

+H2

0

4πρ0

√(u2

0 −u0Hx√πρ0

+H2

0

4πρ0

). (8.56)

Die zugehorigen Eigenvektoren h = (0, hy, 0) und v = (vx, vy, 0) liegen in derEbene von H0 und k. Sie involvieren wegen

ρ′ =ρ0kvxω

=ρ0vxu

(8.57)

auch Oszillationen der Dichte.

Wir betrachten jetzt die Grenzfalle kleiner und großer Magnetfelder.

Wenn H20 4πρ0u

20, dann ist u2 ≈ ±u0, und fur die Losungsvektoren

von (8.49) erhalt man

hy ≈Hy

u0

vx, vy ≈ −HxHy

4πρ0u20

vx, (8.58)

147

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d. h. die Welle ist im Wesentlichen longitudinal (in k-Richtung) mit kleinentransversalen Komponenten. Dies sind im Limes H0/u0

√4πρ0 → 0 gewohn-

liche Schallwellen. Im selben Limes gilt fur die andere Welle u3 ≈ ±u1, undfur die Losungsvektoren von (8.49) findet man

vy = − hy√4πρ0

, vx = 0. (8.59)

Das ist also eine relativ zu k transversale Welle wie die zu u1, allerdingsoszilliert sie in der Ebene von H0 und k.

Inkompressible Fluide werden formal durch u0 → ∞ beschrieben, deswegenbleiben nur die Wellen zu u1 und u3 = u1, die man als einen einzigen Typmit zwei transversalen Polarisationsrichtungen ansehen kann. Ihre Dispersi-onsrelation ist (8.53), und zwischen den beiden zu k senkrechten Vektoren vund h gilt die Relation

v = − h√4πρ0

. (8.60)

Diese Wellen nennt man Alfven-Wellen. Dass sie entlang der Magnetfeldlini-en propagieren, kann man so interpretieren, als ob letztere elastische Saitensind. Deren Spannung wird durch den Maxwell-Spannungstensor gegeben.Fur inkompressible Fluide ist ubrigens (8.51) mit (8.60) eine exakte Losungder Gleichungen (8.44).

Im entgegengesetzten Grenzfall großer Felder H20 4πρ0u

20 gilt in erster

Naherung u2 = ±H0/√

4πρ0. Das ist unabhangig von der Richtung von k,also ω = H0k/

√4πρ0, so dass dies auch die Gruppengeschwindigkeit ist und

die Welle in Richtung k propagiert. Fur die Komponenten von v und hy gibtder Losungsvektor von (8.49)vxvy

hy

∝ Hy

−Hx√4πρ0H0

, (8.61)

d. h. der Vektor v steht senkrecht auf H0, sein Betrag ist hy/√

4πρ0.

Die andere Welle in diesem Limes hat die Geschwindigkeit u3 = ±u0Hx/H0,also ist ω = u3k = u0H0·k/H0, so dass die Gruppengeschwindigkeit ∂ω/∂k =u0H0/H0 ist: die Welle propagiert mit der normalen Schallgeschwindigkeitin Richtung von H0. Der Losungsvektor von (8.49) istvxvy

hy

∝ Hx

Hy√4πρ0Hyu0/H0

, (8.62)

148

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Abbildung 24: Geschwindigkeiten u1/u0 (links) und u2,3/u0 (rechts) als Funktiondes Magnetfelds H; schwarz u2/u0, rot u3/u0, mit α = 0, π/8, π/4, π/2 (links vonoben nach unten, rechts von innen nach außen). Die Wellen 1 und 3 propagierenim Wesentlichen entlang H0, Typ 2 entlang k.

d. h. der Vektor v hat die Richtung vonH0, und sein Betrag ist hyH20/√

4πρ0u0Hy.

Abb. 24 zeigt, wie die Geschwindigkeiten u2,3 als Funktion des Magnetfeldsaussehen, wenn man (8.56) fur beliebige Magnetfelder auswertet. Mit H =H0/

√4πρ0u2

0 und Hx = H0 · k/k = H0 cosα schreiben wir die Gleichungdimensionslos

u2,3 :=u2,3

u0

= 12

(√1 + 2H cosα + H2 ±

√1− 2H cosα + H2

). (8.63)

Die Abbildung zeigt die Verlaufe fur vier verschiedene Winkel α zwischenH0

und k. Wenn beide parallel sind, α = 0, tauschen die Linien fur u2 und u3 imPunkt (H, u) = (1, 1) ihren Verlauf. Bei kleinen Magnetfeldern ist u2 = u0

und u3 = u1, bei großen ist es umgekehrt. Mit wachsendem Winkel α entfer-

nen sich die beiden Zweige voneinander. Wenn α = π/2, ist u2 =√

1 + H2

und u3 = u1 = 0; es existiert dann nur der Wellentyp 2, mit Geschwindig-keit u0 bei kleinen und u1 bei großen Magnetfeldern, Ausbreitungsrichtung kund longitudinalen Oszillationen.

Die Richtung der Wellenausbreitung im allgemeinen Fall ist nicht ganz leichtanzugeben. Die Gruppengeschwindigkeit ergibt sich als Ableitung

∂ω2,3

∂k=∂u2,3k

∂k=

∂k

k

2

(√1 + 2H · k + H2 ±

√1− 2H · k + H2

). (8.64)

149

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Abbildung 25: Winkelverhaltnis β/α als Funktion von H fur Wellen vom Typ 2(links) und Typ 3 (rechts). Die Werte von α sind 0.1π (schwarz), 0.2π (blau), 0.3π(grun) und 0.4π (rot).

Hier benutze man ∂k/∂k = k = k/k und

∂kH · k =

1

k

(H − (H · k)k

). (8.65)

Das Ergebnis ist dann

∂ω2,3

∂k=k

2

[1 + H cosα + H2√1 + 2H cosα + H2

± 1− H cosα + H2√1− 2H cosα + H2

]

+H

2

[1√

1 + 2H cosα + H2∓ 1√

1− 2H cosα + H2

].

(8.66)

Berucksichtigt man nun, dass k = (1, 0, 0) und H = (cosα, sinα, 0)H ist,und schreiben wir ∂ω/∂k = (Ux, Uy, 0), so definiert tan β = Uy/Ux den Win-kel β, den die Gruppengeschwindigkeit mit der Richtung von k bildet. InAbb. 25 ist β/α gegen H aufgetragen, links fur Wellen vom Typ 2, rechts furTyp 3. Wir sehen, dass Wellen vom Typ 2 bei kleinen und großen Wertenvon H in Richtung von k laufen (β → 0), dass aber im Bereich H ≈ 1 derWinkel β negative Werte annimmt, und zwar (relativ, aber auch absolut) umso starker, je kleiner α wird. Die Wellen vom Typ 3 laufen bei kleinen undgroßen Werten von H in Richtung von H0 (β → α), im Bereich H ≈ 1 istder Winkel β aber großer als α, und zwar um so mehr, je kleiner α wird. Mankann das so interpretieren, dass die beiden Wellen, deren Geschwindigkeitenbei H = 1 und α→ 0 einander nahe kommen, sich effektiv abstoßen.

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Die Losungsvektoren von (8.49) konnen leicht allgemein angegeben werden,wenn wir alle Geschwindigkeiten mit u0 und alle Magnetfelder mit

√4πρ0u2

0

skalieren. Es giltvxvyhy

∝ u2 − H2 cos2 α

−H2 sinα cosα

uH sinα

=

u2 − H2x

−HxHy

uHy

, (8.67)

wobei fur u die Geschwindigkeiten aus (8.63) einzusetzen sind. Darin sindalle oben angegebenen Grenzfalle enthalten. Als Ubungsaufgabe mache mansich klar, in welche Richtung die Gruppengeschwindigkeit bei gegenen Wer-ten von H und α zeigt.

Im Falle gewohnlicher Fluide hatten wir in Kapitel 5 außer Schallwellen nochdrei diffusive Moden betrachtet (zwei transversale viskose und eine longitu-dinale Warmetransport-Mode). Fur die Schallwellen hatten wir außerdemdie Dampfung aufgrund der dissipativen Prozesse berechnet. Im vorliegen-den Abschnitt haben wir die dissipativen Prozesse aufgrund von Viskositat,Warmetransport und elektrischem Widerstand ignoriert und deshalb nur un-gedampfte Wellen erhalten. Es ist sehr muhselig, das volle Spektrum aller An-regungen mit Magnetfeld zu bestimmen (ich habe es in keinem der Buchergesehen). Sei deshalb hier nur die Dampfung der Alfven-Wellen angegeben,im Limes inkompressibler Fluide, in dem die gewohnlichen Schallwellen garnicht existieren und u1 = u3 ist, mit transversalen Wellen entlang den Ma-gnetfeldlinien. In der Aufgabe zu § 52 in [17] wird fur den Absorptionskoef-fizienten in Analogie zu (5.25) berechnet

γ =ω2

2u31

(ν + ηm) =ω2

2u31

(ηρ

+c2

4πσ

). (8.68)

Viskositat und elektrischer Widerstand tragen also hier zur Dampfung bei.

8.5 Das Rayleigh-Benard-Experiment im Magnetfeld

Als letztes Kapitel behandeln wir das Rayleigh-Benard-Experiment in Ge-genwart eines Magnetfelds, das in dieselbe Richtung zeigt wie der treibendeTemperaturgradient. Als Quelle benutze ich das Buch von Chandrasekhar [4],Kapitel IV. Man vergleiche diesen Abschnitt mit Abschnitt 6.4, da hier dasgleiche Experiment diskutiert werden soll, außer dass das Fluid leitfahig undeben ein Magnetfeld hinzugenommen ist. Dass hier mit anderem Verhalten alsohne Magnetfeld zu rechnen ist, vor allem wenn die Leitfahigkeit σ →∞ geht,haben wir schon bei der Stromung zwischen zwei Platten gesehen. Es zeigt

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sich auch in einem Satz, der bei rotierenden Fluiden als Taylor-Proudman-Theorem bekannt ist und hier folgendes besagt:

Ein inkompressibles Fluid ohne spezifischen Widerstand und ohne Viskositatbefinde sich in Ruhe, und es sei ein Magnetfeld H angelegt. Die Lange ξgemaß (8.35) sei also Null. Betrachte nun einen stationaren Zustand, der ge-genuber diesem Referenzzustand in linearer Ordnung von v und h als Storungangesehen werden kann. Die dritte der Gln. (8.13) lautet nach Linearisierung

(H · ∇)v = 0. (8.69)

Dies besagt, dass v sich in Richtung von H nicht andern kann. Stromungs-felder, wie wir sie im Rayleigh-Benard-Experiment als Konvektionsmusterkennengelernt haben, konnen also in linearer Naherung nur zweidimensionalsein, einzelne Stromlinien verlaufen in Ebenen senkrecht zu H .

Konvektionsmuster in einem Rayleigh-Benard-Experiment mit starkem Ma-gnetfeld parallel zum T -Gradienten konnen also nur dann nach der in Ab-schnitt 6.4 beschriebenen Art entstehen, wenn ξ 6= 0 ist. Dazu mussen Visko-sitat und Leitfahigkeit endlich sein, und wir erwarten, dass das Magnetfelddas Einsetzen der Instabilitat behindert. Physikalisch kann man argumen-tieren, dass die Energie, die bei der Konvektion frei wird, jetzt nicht nurdie Dissipation durch Warmeleitung kompensieren, sondern auch die Joule-sche Warme liefern muss. Das erschwert den Einsatz der Konvektion. ImPrinzip muss man auch prufen, ob nicht wegen der Moglichkeit von Alfven-Wellen ein ganz anderer Typ von Instabilitat zuerst einsetzt, namlich eineHopf-Bifurkation (bei Chandrasekhar overstability genannt). Das scheint un-ter irdischen Bedingungen nicht der Fall zu sein, s. § 46 in [4].

Ausgehend von den Gln. (8.13) wird nun genauso vorgegangen wie in Ab-schnitt 6.4, d. h. wir gehen von einem stationaren Zustand aus, bei dem eszwischen unterer und oberer Platte ein lineares Temperaturgefalle gibt, des-sen Gradient β = (Tu−To)/L die Instabilitat verursacht, wenn er einen kriti-schen Wert erreicht. Wir benutzen wieder die Boussinesq-Naherung, wonachdie Dichte ρ(z) = ρu(1 + αβz) linear mit der Hohe z zunimmt, nicht abervom Druck und vom Magnetfeld abhangt. Das Magnetfeld H = (0, 0, H)werde parallel zu g = (0, 0, g) angenommen. Die Uberlegungen, die zu den

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Gln. (6.40) gefuhrt haben, geben jetzt die folgenden Gleichungen:

∂∆vz∂t

= ν∆2vz + αg( ∂2

∂x2+

∂2

∂y2

)δT +

H

4πρ

∂z∆hz,

∂δT

∂t= βvz + χ∆δT,

∂hz∂t

= H∂vz∂z

+ ηm∆hz,

∂jz∂t

= ηm∆jz +Hc

∂ωz∂z

,

∂ωz∂t

= ν∆ωz +H

ρc

∂jz∂z

.

(8.70)

Dabei ist ω = ∇ × v, und es werden wieder nur die z-Komponenten dervorkommenden Vektoren betrachtet. Die (x, y)-Komponenten lassen sich an-schließend daraus berechnen, Die letzten beiden Gleichungen sind formal vonden ersten drei entkoppelt. Wir mussen aber noch die Randbedingungen de-finieren, unter denen die Gleichungen gelost werden sollen. Fur δT , vz undωz fordern wir wie in Abschnitt 6.4, dass sie auf den Randflachen verschwin-den. Bei hz und jz kommt es darauf an, welche elektrischen Eigenschaftendie Umgebung des Fluids hat. Wenn sie nicht leitend ist, kann kein Stromhinaus fließen und das Magnetfeld muss stetig sein, also jz = 0 und hz stetigauf dem Rand. Wenn die Umgebung ein perfekter Leiter ist, dann kann keinMagnetfeld eindringen, hz = 0, wohl aber Strom; wegen Ex = Ey = 0 folgtjx = jy = 0 und deshalb ∂jz/∂z = 0 auf den Randflachen.

Der nachste Schritt ist der Ubergang zu dimensionslosen Variablen. Dazuwahlen wir Einheiten wie folgt (L ist der Abstand der Platten):

r = Lr, t =L

ν2t, v =

ν

Lv, ω =

ν

L2ω, δT = (Tu − To)δT ,

h =

√4πρ ν

Lh, H =

√4πρ ν

LH , j =

√4πρ ν

L2

c

4πj

(8.71)

und benutzen die dimensionslosen Parameter

Pr =ν

χ, Prm =

ν

ηm, Ra =

αβgL4

νχ. (8.72)

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Dann lauten die Gleichungen

∂∆vz

∂t= ∆2vz +

Ra

Pr

( ∂2

∂x2+

∂2

∂y2

)δT + H

∂z∆hz,

∂δT

∂t=

1

Pr∆δT + vz,

∂hz

∂t=

1

Prm∆hz + H

∂vz∂z

,

∂jz

∂t=

1

Prm∆jz + H

∂ωz∂z

,

∂ωz

∂t= ∆ωz + H

∂jz∂z

.

(8.73)

Im Folgenden werden nur die skalierten Variablen benutzt, deshalb lassenwir die ˜ weg. Wie schon in (6.45) machen wir eine Fourier-Zerlegung in(x, y)-Richtung und einen Exponentialansatz in der Zeit:

ωz = Ω(z)ei(kxx+kyy)+λt,

vz = V (z)ei(kxx+kyy)+λt,

δT = Θ(z)ei(kxx+kyy)+λt,

hz = K(z)ei(kxx+kyy)+λt,

jz = J(z)ei(kxx+kyy)+λt.

(8.74)

Damit wird

∂t= λ,

∂2

∂x2+∂2

∂x2= −(k2

x + k2y) =: −k2, ∆ = −k2 +

d2

dz2, (8.75)

so dass wir fur Storungen mit Wellenzahl k den folgenden Satz von gewohn-lichen Dgln erhalten:

λ( d2

dz2− k2

)V =

( d2

dz2− k2

)2

V −Gk2Θ +Hd

dz

( d2

dz2− k2

)K,

λΘ =1

Pr

( d2

dz2− k2

)Θ + V,

λK =1

Prm

( d2

dz2− k2

)K +H

dV

dz,

λJ =1

Prm

( d2

dz2− k2

)J +H

dz,

λΩ =( d2

dz2− k2

)Ω +H

dJ

dz.

(8.76)

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Außer den Randbedingungen (6.48) haben wir noch J = 0 bei nichtleitendenPlatten oder J ′ = 0 und K = 0 bei perfekt leitenden Platten.

Die gesuchte Instabilitat findet statt, wenn zum ersten Mal eine Eigenlosungmit λ = 0 existiert. Wir setzen also λ = 0 in die obigen Gleichungen undeliminieren zuerst K aus der ersten Gleichung, indem wir die dritte einsetzen:( d2

dz2− k2

)2

V − PrmH2 d2V

dz2= Gk2Θ. (8.77)

Aus dieser Gleichung eliminieren wir Θ, indem wir die zweite der Gln. (8.76)einsetzen: ( d2

dz2− k2

)[( d2

dz2− k2

)2

−Q d2

dz2

]V = −Rak2V. (8.78)

Die Zahl Q = PrmH2 erweist sich als wichtiger Parameter, der die Starke des

Magnetfelds in Relation zu den Materialparametern charakterisiert. Mit derin (8.35) definierten Lange ξ gilt

Q = PrmH2 =

σH2L2

ηc=L2

ξ2. (8.79)

Die beiden letzten Gleichungen in (8.76) entkoppeln von den anderen undkonnen durch Differenzieren in die Form[( d2

dz2− k2

)2

−Q d2

dz2

]J = 0,[( d2

dz2− k2

)2

−Q d2

dz2

]Ω = 0.

(8.80)

gebracht werden. Es liegt nahe, die Losungen J(z) ≡ 0 und Ω(z) ≡ 0 zunehmen, also in z-Richtung keinen Strom und keine Wirbelstarke.30

Es bleibt also vor allem die Gl. (8.78) zu betrachten mit RandbedingungV ′ = 0 auf den Randern. Die Randbedingung fur das Magnetfeld spieltzunachst keine Rolle, sondern erst, wenn man mit Hilfe der Losung fur V (z)das K(z) berechnen will.

Wir haben es also mit einem Eigenwertproblem zu tun ahnlich wie in (6.51).In [4] wird der

”Grundzustand“ mit einem Variationsprinzip und Fourier-

zerlegung gefunden. Die numerische Rechnung zeigt, dass sowohl die Wel-lenzahl kc, bei der die Instabilitat zuerst einsetzt, als auch die zugehorige

30Ist das auch notwendig? Es wurde sicherlich eine Asymmetrie ins Spiel bringen, aberwarum nicht?

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kritische Rayleigh-Zahl mit Q anwachsen. Bei großen Q gilt naherungsweise

Rac ≈ π2Q, kc ≈ (12π4Q)1/6. (8.81)

Q kc Rac

0 3.13 170810 3.25 1946

100 4.00 37571000 5.80 17103

10000 8.66 124509

Tabelle 1: Abhangigkeit der kritischen Para-meter kc und Rac fur die Benard-Instabilitatin Gegenwart eines Magnetfelds, dessenStarke durch Q ∝ H2 gemessen wird.

Man kann aus Eigenfunktionen zu verschiedenen Losungen mit gleichem k2c

ahnlich wie bei dem Benard-Experiment ohne Magnetfeld Konvektionszellenkonstruieren, z. B. hexagonale Muster. Der Hauptunterschied besteht dar-in, dass wegen des großeren kc die Zellen jetzt in (x, y)-Richtung geringereAusdehnung haben und entlang dem Magnetfeld gestreckt sind.

8.6 Dynamo-Theorie

In Zusammenhang mit der Frage nach der Entstehung von Magnetfeldern inrotierenden Planeten ware zu klaren, unter welchen Bedingungen Stromun-gen in leitenden Fluiden gegenuber der Ausbildung von Magnetfeldern in-stabil sind. Das ist Thema der Theorie von Dynamos. Ich verweise dazu aufArbeiten von F. H. Busse und A. Tilgner (siehe deren Homepages) und aufdie Arbeit Dynamo Theory von C. A. Jones, die man als pdf-File herunterla-den kann. Ich kann auf dieses Thema nicht mehr eingehen, mochte nur nochzeigen, dass Magnetfelder spontan entstehen konnen (auch wenn dies nichtsmit Hydrodynamik zu tun hat).

In dem Artikel [21] findet sich die Abb. 26. Die leitende Scheibe sitzt aufeiner rotierenden ebenfalls leitenden Achse, und ein ruhender leitender Drahtverbindet den außeren Rand der Scheibe wie gezeigt mit mit der Achse. Wenndurch den Draht und uber die Achse und schließlich von innen nach außendurch die Scheibe ein Strom I fließt, dann erzeugt der ein Magnetfeld Bund einen magnetischen Fluss Φ = MI durch die Scheibe, wobei M die

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Gegeninduktivitat zwischen Drahtschleife und außerem Rand der Scheibeist. Dieser Fluss seinerseits erzeugt in der rotierenden Scheibe ein nach außengerichtetes Feld E = ΦΩ/2π. Dieses Feld treibt wiederum den Strom an underfullt die Gleichung

LdI

dt+RI = E =

MΩI

2π⇒ dI

dt=MΩ− 2πR

2πLI. (8.82)

Dabei ist R der Widerstand des gesamten Stromkreises und L seine Selbst-induktivitat. Der Zustand I = 0 und daher B = 0 ist instabil, wenn

Ω >2πR

M. (8.83)

Abbildung 26: Selbsterregender Scheiben-Dynamo.

In diesem Beispiel haben wir ein rotierendes Medium (die Scheibe) und einenLeiter, der den Strom auf bestimmte Weise von außen nach innen zuruckfuhrt(es ist wichtig, dass der Draht die richtige Helizitat hat). Solch einen Drahtgibt es naturlich nicht, wenn wir an den Geodynamo denken, dennoch gibtes mehr oder weniger plausible Modelle der Bewegung im Erdinnern (oderauch der Sonne), die das planetare Magnetfeld erklaren konnen. VollstandigeEinigkeit ist daruber aber bislang nicht erzielt.

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