ingomaerker dissertation baldessari
TRANSCRIPT
John Baldessaris Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren als
Modell einer kritischen Selbstbefragung der Kunst.
Eine Untersuchung der Rolle der Conceptual Art für den Paradigmen-
wechsel zur Postmoderne.
Inaugural-Dissertation
zur
Erlangung der Doktorwürde
der Philosophischen Fakultät
der Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg i. Br.
vorgelegt von
Ingo Maerker
aus Ulm
WS 2005/2006
Erstgutachterin: Frau Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet
Zweitgutachterin: Frau Prof. Dr. Angeli Janhsen
Drittgutachter: Prof. Dr. Dieter Martin
Vorsitzender des Promotionsausschusses der Gemeinsamen Kommission der Philologischen, Philosophischen und Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlich Fakultät: Prof. Dr. Heinrich Anz
Datum der Fachprüfung im Promotionsfach:
04. Juli 2006
Danksagung:
Die Entstehung dieser Arbeit wäre ohne die geduldige Unterstützung durch mei-
ne Doktormutter Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet nicht möglich gewesen, die mir stets
mit Rat und Tat zur Seite stand und den ganzen Entstehungsprozess kritisch begleitet
hat. Mein Dank gilt ebenfalls Frau Prof. Dr. Angeli Janhsen.
Auch die konstruktive und kritische Diskussion mit meinen FreundInnen Marti-
na Groß, Antonia Ingelfinger und Oliver Dürr, der leider viel zu früh verstorben ist,
haben ihren Beitrag zum Gelingen der Arbeit geleistet.
Mein Dank gebührt aber auch meinem Bruder Ralf Maerker und seiner Frau Ur-
sula Maerker, die das Projekt interessiert verfolgt und unterstützt haben, sowie meinen
Eltern Edith und Reinhardt Maerker, die mir über das ganze Studium hinweg eine
Stütze waren und nicht zuletzt auch meinen Schwiegereltern Anne und Paul Miles,
deren Hilfe ebenfalls dazu beigetragen hat, dass ich diese Doktorarbeit vollenden
konnte.
Einen besonderen Dank möchte ich zudem John Baldessari selbst aussprechen,
der meinem Projekt äußerst aufgeschlossen und hilfsbereit gegenüber gestanden ist,
nicht zuletzt indem er mir freundlicherweise die Erlaubnis erteilt hat, seine Kunstwer-
ke hier abzubilden. Ein besonderer Dank gebührt in diesem Zusammenhang auch sei-
ner Mitarbeiterin Rashell George, die mir bei der Bereitstellung und Übersendung der
Abbildungen sehr geholfen hat.
Zuletzt möchte ich noch meine tiefste Dankbarkeit der Person aussprechen, ohne
die diese Dissertation hier nicht vorliegen würde: meiner Frau Michelle Miles. Ihr kri-
tischer Blick und die stets fruchtbaren Diskussionen haben diese Arbeit entscheidend
geprägt.
Ich möchte diese Arbeit meinem Vater widmen, der die Vollendung dieser Dis-
sertation leider nicht mehr selbst erleben durfte.
1
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung.................................................................................................................... 3
2. Exkurs zum Begriff der ‘Postmoderne’.................................................................... 15
2.1. Die verschiedenen ‘Postmodernen’: ein Begriff, verschiedene Diskurse 16
2.2. Die Postmoderne als kulturelle Logik der gesellschaftlichen Entwicklung 20
3. Historische und theoretische Annäherung an die Conceptual Art als künstlerisches
Phänomen ..................................................................................................................... 30
3.1. Die historischen Bedingungen: Der modernistische Diskurs als kontextueller
Rahmen 31
3.1.1. Die Durchsetzung des Modernismus in den fünfziger Jahren 32
3.1.2. Greenberg und die Selbstkritik des Modernismus 37
3.1.3. Michael Fried und die Entwicklung des modernistischen Diskurses in
den sechziger Jahren 43
3.1.4. Minimal Art und Modernismus: Ein spannungsgeladenes Verhältnis 46
3.2. Versuch der Historisierung der Conceptual Art 51
3.2.1. Fragen der Grenzziehung: Conceptual Art oder Conceptualism? 53
3.2.2. Die Conceptual Art als übergreifendes Phänomen 61
3.3. Möglichkeiten der Herangehensweise jenseits einer Definition 69
3.3.1. Dematerialisierung 69
3.3.2. Amateurisierung 73
3.3.3. Prozessualität und Serialität 76
3.3.4. Kritik der Rolle des Künstlers 82
3.3.5. Dekontextualisierung 83
3.3.6. ‘Cross-over’-Strategien und Appropriation 85
3.3.7. Selbstreflexion 88
3.3.8. Zusammenfassung 89
2
4. Analyse repräsentativer Arbeiten John Baldessaris ..................................................92
4.1. Die Arbeiten der späten sechziger Jahre: Kritik der modernistischen
Ästhetik 93
4.1.1. Die Text-on-Canvas-Serie bzw. Phototext-Serie (1966-68) 93
4.1.2. Die Commissioned Paintings (1969) 119
4.2. Die Arbeiten der siebziger Jahre: Kunst nach der Conceptual Art 144
4.2.1. Das California Map Project (1969) 145
4.2.2. Ingres and Other Parables (1971) 158
4.2.3. A Different Kind of Order (The Thelonious Monk Story) (1972-73) 181
4.2.4. Throwing Balls in the Air (Best of 36 Tries) (1972-73) 196
4.2.5. Violent Space Series (1976) 213
5. Zusammenfassung: John Baldessaris künstlerische Strategien als Modell einer
selbstreflexiven Postmoderne......................................................................................238
5.1. John Baldessaris Verhältnis zur Conceptual Art 240
5.2. Baldessaris künstlerische Strategien als Orientierungspunkte einer
postmodernen Kunst 245
6. Literaturverzeichnis.................................................................................................248
6.1. Bücher und Essays 248
6.2. Kataloge 257
6.3. Zeitschriftenartikel und Reviews 260
6. 4. Künstlerprojekte und Künstlertexte 265
6.5. Künstlerbücher 267
6.6. Interviews 267
6.7. Fernsehsendungen 268
Anhang 269
3
1. Einleitung
Wenn in den letzten Jahren der Begriff der Conceptual Art oder der postmodernen
Kunst diskutiert wurde, fiel immer häufiger auch der Name John Baldessari. Trotzdem
fällt eine eindeutige Einordnung seiner Kunst unter diese Begriffe schwer, während
zugleich sein immenser Einfluss auf die nachfolgenden KünstlerInnen unbestritten ist.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, dieser Frage nachzugehen, und aufzuzeigen, dass die be-
sondere Qualität seiner Kunst, und auch deren postmoderner Charakter, gerade in ihrer
Offenheit begründet ist, die ihn zu einem Vertreter der Conceptual Art macht, während
er gleichzeitig deren Grenzen immer wieder überschreitet.
Für die gestiegene Anerkennung John Baldessaris in der Kunstwelt in den letzten
Jahren finden sich viele Belege – unter anderem wurden ihm einige größere Einzelaus-
stellungen gewidmet. In diesem Zusammenhang ist in erster Linie die große zweiteili-
ge Retrospektive in Wien und Graz 2005 zu nennen.1 Daneben wurden 2005 auch zwei
Fernsehproduktionen, die ausschließlich Baldessari gewidmet waren, ausgestrahlt.2
Seitdem haben weitere Einzelausstellungen stattgefunden, wie etwa die im Kunstmu-
seum Bonn und im Kunstverein Bonn im Jahr 2007.3 Trotzdem ist sein Werk in der
kunstgeschichtlichen Forschung bisher noch nicht umfassend bearbeitet worden. Die
vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, diese Lücke zu füllen und sich seinem Werk
aus einer kunstgeschichtlichen Perspektive zu nähern.4
Im Zentrum dieser Arbeit stehen die für seine Karriere maßgeblichen Jahre von
1966 bis 1976, die nicht nur den Grundstein für sein späteres Werk gelegt haben, son-
dern auch für die Entwicklung der Kunst der Postmoderne eine zentrale Rolle spielten.
1 John Baldessari. A Different Kind of Order (Arbeiten 1962 - 1984), (Kat.) Rainer Fuchs (Hg.), Muse-um Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 4.3.-3.7.2005, Köln 2005, sowie: John Baldessari. Life’s Balance. Werke 84 - 04, (Kat.) Peter Pakesch (Hg.), Kunsthaus Graz am Landesmuseum Johanneum, 5.3. - 16.5.2005, Köln 2005. 2 John Baldessari, aus der Reihe Contacts auf ARTE 2005 und John Baldessari. This not That, Ausstrah-lung am 12.3.2005 auf SF1. 3 John Baldessari – Music, Kunstmuseum Bonn und Bonner Kunstverein, 12. Mai – 29. Juli 2007, dazu ist auch ein hervorragender Katalog erschienen. 4 Anlässlich der Ausstellung in Bonn fand am 6. und 7. Juli 2007 in Zusammenarbeit mit dem kunsthis-torischen Institut der Universität Bonn ein Symposium zur Aktualität der Conceptual Art statt, das er-folgreich versucht hat diese Lücke zu schließen. Der Schwerpunkt lag zwar auf der Conceptual Art all-gemein, aber die Tatsache, dass dieses im Rahmen der Ausstellung zu Baldessari verortet wurde, spricht bereits für eine gestiegene Wertschätzung. Ausdrücklich auf Baldessari bezog sich nur der Beitrag des Autors selbst: Ingo Maerker: „Autor - Konzept - Kunst. Zum Verhältnis von Sprache und Bild bei John Baldessari“.
4
Baldessaris Arbeiten5 haben nicht nur nachfolgende Künstler wie Cindy Sherman be-
einflusst, sondern mehr noch die gesamte Herangehensweise an Kunst überhaupt, so-
fern diese sich einer kritischen Selbstreflexion ihrer Grundlagen verschrieben hat. Bal-
dessari bewegte sich in dieser Zeit im Kontext der Conceptual Art,6 die insgesamt für
den Paradigmenwechsel von der Moderne zur Postmoderne eine herausragende Rolle
spielte, weil sie Elemente beider Epochen enthält. Baldessaris Position innerhalb der
Conceptual Art zeichnet sich dadurch aus, dass er in seinen Arbeiten schon Ende der
sechziger Jahre die Strategien zu entwickeln begann, die die selbstreflexive postmo-
derne Kunst auszeichnen, wie sie etwa auch von Künstlern wie Bruce Nauman, Dan
Graham oder dem früh verstorbenen Robert Smithson vertreten werden.7 Baldessaris
Arbeiten, die am Ende der sechziger Jahre noch einer eher linguistisch geprägten kon-
zeptuellen Kunst nahestehen, auch wenn bei ihnen letztlich immer das Bild im Vor-
dergrund steht, vollziehen im Laufe der frühen siebziger Jahre einen Wandel hin zu
einer Neuentdeckung des Visuellen bzw. des Ästhetischen, das einer Selbstbefragung
unterzogen wird, auf diese Weise werden diese Arbeiten zu Musterbeispielen einer
postmodernen Kunst.
Ausgewählte Arbeiten aus der Periode von 1966 bis 1976, die einen Überblick
über Baldessaris Werk in dieser Zeit vermitteln können und die repräsentativ für seine
zentrale Rolle innerhalb der Conceptual Art und im Hinblick auf den Paradigmen-
wechsel zur Postmoderne sind, bilden die Grundlage dieser Untersuchung. Obwohl
diese Beispiele in chronologischer Reihenfolge analysiert werden, besteht hier kein
Anspruch darauf, diese Zeitspanne monographisch abzudecken. Die ausgewählten Bei-
spiele sollen vornehmlich dazu dienen, die zentralen Qualitäten von Baldessaris Kunst
5 Im Verlauf dieser Untersuchung wird für ‘Kunstwerke’, die aus der Conceptual Art stammen, also auch die Baldessaris, der Begriff ‘Arbeiten’ zur Anwendung kommen, weil die Kritik am Begriff ‘Werk’, wie sich im Verlauf der Auseinandersetzung mit der Conceptual Art in Kapitel 3.2. und 3.3. sowie der Ar-beiten Baldessaris in Kapitel 4. erweisen wird, zu den zentralen Punkten der postmodernen Kunst ge-hört. Zudem erfüllen diese künstlerischen Arbeiten auch zumeist nicht die Anforderungen, die in der Moderne an ein Werk gestellt wurden. Der Begriff selbst ist im Übrigen eine Übersetzung des engli-schen Begriffes ‘work’, der sich wiederum von ‘artwork’ (Kunstwerk) herleitet. 6 In der vorliegenden Untersuchung kommt der Begriff ‘Conceptual Art’ im Gegensatz zu ‘Concept Art’ oder ‘Konzeptkunst’ zur Verwendung, weil es der im englischsprachigen Raum gebräuchliche Begriff ist, der sich inzwischen auch im deutschsprachigen Raum durchgesetzt hat (vgl. z.B.: Elke Bippus, Se-rielle Verfahren: Pop Art, Minimal Art, Conceptual Art und Postminimalism (Diss.), Berlin 2003). Au-ßerdem unterscheiden sich die Konnotationen des deutschen Begriffes von denen des englischen, so dass sie vom Fokus auf den englischsprachigen Raum ablenken würden. Im Übrigen werden andere Richtun-gen wie die Pop-Art auch nicht als Populär-Kunst oder die Minimal Art als Minimal-Kunst bezeichnet. 7 Zu Dan Graham existiert eine sehr lesenswerte Dissertation von Rainer Metzger, die sich der Frage nach dem Verhältnis von Conceptual Art und Postmoderne widmet und die zentrale Rolle von Graham hervorhebt. Vgl. Rainer Metzger, Kunst in der Postmoderne. Dan Graham, Köln 1996.
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zu verdeutlichen und im Kontext der Fragestellung der vorliegenden Arbeit zu unter-
suchen.
Im Zentrum des Interesses stehen dabei Baldessaris Arbeiten, also die Kunstwer-
ke selbst, die kritisch auf ihren Gehalt hin analysiert werden sollen. Das Ziel ist also,
aus den Ergebnissen dieser Untersuchung die maßgeblichen Strategien herauszuarbei-
ten, die Baldessari in der postmodernen Kunst verorten, und nicht umgekehrt Beispiele
für bestimmte postmoderne Theorien zu finden. Aus diesem Grund wird auch keine
umfassende Definition der Postmoderne oder der Conceptual Art angestrebt, sondern
der Versuch unternommen, anhand eines exemplarischen Beispiels die Möglichkeiten
einer selbstreflexiven postmodernen Kunst deutlich zu machen.
Diese Selbstbeschränkung liegt nicht nur darin begründet, dass die Suche nach
einer Definition den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, sondern auch darin, dass
sich auch die Kunstwissenschaft mit einer neuen Situation konfrontiert sieht, wenn sie
sich mit Arbeiten der zeitgenössischen Kunst auseinandersetzt. Eine traditionelle ‘Stil-
geschichte’ anhand bestimmter formaler Eigenschaften ist seit dem Ende der sechziger
Jahre kaum mehr möglich, weil die Kunstwelt sich seitdem durch eine Vielzahl von
parallelen Erscheinungen auszeichnet. Erfolgversprechender erscheinen deshalb ‘Fall-
studien’, die sich einzelner Probleme annehmen.8 In diesem Sinn handelt es sich bei
dieser Arbeit ebenfalls um eine ‘Fallstudie’, die aber zugleich auch versucht, einige
Möglichkeiten der Vernetzung anzudeuten.
Bei der Analyse der Arbeiten kommen verschiedene theoretische Ansätze zur
Anwendung, die allerdings nicht alle der Postmoderne entstammen, sondern sich nach
den Arbeiten und den in ihnen verhandelten Themen richten. Die Arbeiten selbst wer-
den dabei als von der Intention des Künstlers unabhängige ‘Objekte’ aufgefasst, die
einer formalen und inhaltlichen Untersuchung unterzogen werden. Äußerungen Bal-
dessaris oder anderer KünstlerInnen werden zwar zur Analyse herangezogen, dienen
aber vornehmlich dazu, den Kontext und die Umstände der Entstehung von Arbeiten
zu klären oder die theoretischen Positionen der KünstlerInnen zu verdeutlichen.9 Ins-
besondere die Aussagen Baldessaris in Interviews bedürfen einer kritischen Überprü-
8 Vgl. Anne-Marie Bonnet, Kunst der Moderne. Kunst der Gegenwart. Herausforderung und Chance, Köln 2004, S. 42. 9 Bonnet stellt bezüglich der Aussagen lebender Künstler fest: „Das Gros der Literatur zu moderner und zeitgenössischer Kunst ist als Paraphrase der Eigenaussagen der KünstlerInnen und als Illustration bzw. Realisierung ihrer Intention verfasst. Eigenaussagen sind weder Theorien noch Erklärungen und müssen kritisch überprüft werden“ (Bonnet, Kunst der Moderne, S. 136, Fußnote 134).
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fung, weil er oft mit den Erwartungen der Interviewer spielt und es zudem auch nicht
als seine Aufgabe betrachtet, seine eigene Kunst zu interpretieren, im Gegensatz zu
anderen Künstlern der Conceptual Art (etwa Sol LeWitt oder Joseph Kosuth).
Baldessari und die Conceptual Art im Spiegel der vorhandenen Literatur
Zu Beginn wurde bereits darauf hingewiesen, dass noch keine ausführliche kunstge-
schichtliche Arbeit existiert, die sich allein John Baldessaris Werk widmet. Neben
zahlreichen Katalogartikeln, die verschiedene Aspekte seines Werkes abdecken und
von denen viele im Laufe der Untersuchung herangezogen werden,10 findet sich ein
monographisch angelegter Katalog aus dem Jahr 1990 von Coosje van Bruggen.11 Die-
se Arbeit stellt für die Auseinandersetzung mit Baldessari eine sehr ergiebige Quelle
dar, weil sie sich detailliert mit der Entstehungsgeschichte von Baldessaris Arbeiten
und auch der Biographie Baldessaris beschäftigt. Fast alle später erschienenen Texte
beziehen sich auf diese Untersuchung. Trotzdem gilt es auf einige Schwächen in van
Bruggens Darstellung hinzuweisen, die im Einzelnen in der Analyse der Arbeiten Bal-
dessaris zur Sprache kommen werden.
Van Bruggen bemüht sich zwar um eine theoretische Einordnung, bezieht sich
dabei aber zu stark auf Baldessaris eigene Aussagen, das Gleiche gilt für die Diskussi-
on seiner Arbeiten. Van Bruggen nimmt Baldessaris Aussagen zu wörtlich, wodurch
ihr viele der ironischen Spitzen und auch der Doppelbödigkeiten seiner Aussagen ent-
gehen. Außerdem wirkt es, als seien die Bezugspunkte für die Erörterung der Arbeiten
oftmals relativ wahllos aus verschiedenen theoretischen Ansätzen, jedoch mit einem
Schwerpunkt auf der Freudschen Psychoanalyse, zusammengestellt, während andere
mögliche Quellen, wie der Strukturalismus, nur am Rande erwähnt werden. Demge-
genüber gibt es andere AutorInnen, die die zentrale Bedeutung, die Roland Barthes für
Baldessari hat, betonen.12
In den neueren Katalogen wird dagegen meist Baldessaris entscheidende Rolle
für die Entwicklung einer postmodernen Kunst betont, wie z.B. von Jan Avgikos im
10 Vgl. z.B. Marcia Tucker, John Baldessari: Pursuing the Unpredictable, in: John Baldessari. Work 1966 - 1980, (Kat.) Marcia Tucker und Robert Pincus-Witten (Hg.), The New Museum New York, Teil 1: 14.3.-4.4.1981; Teil 2: 8.4.-28.4.1981, S. 7-50. 11 Coosje van Bruggen, John Baldessari, New York 1990. Veröffentlicht anlässlich der Ausstellung des Museum of Contemporary Art, Los Angeles (25.3-17.6.1990) u.a. 12 Vgl. Tucker, in: John Baldessari (Kat.), New York 1981, S. 12f.
7
Katalog zur Ausstellung National City 1996 in San Diego.13 Ein anderes Beispiel ist
Thomas McEvilley,14 der in Baldessari sogar den „Schutzheiligen“15 der postmodernen
Kunst sieht, eine Annahme, der wiederum Rainer Fuchs im Katalog zur Retrospektive
2005 widerspricht:
„McEvilleys zentrale Argumentation – nämlich Baldessari zu einem Säulenheili-gen der Postmoderne auszurufen und dafür Fredric Jamesons Begriff des Pasti-ches auf die Collage- und Montagetechniken des Künstlers anzuwenden – ver-kennt allerdings die analytische Stoßrichtung und das reflexive Potenzial von Baldessaris Arbeit.“16
Fuchs erkennt hier einen Gegensatz zwischen Postmoderne und dem reflexiven Poten-
zial Baldessaris, das er für zentral erachtet. In eine ähnliche Richtung, wenn auch ohne
den Bezug zur Postmoderne explizit zu machen, geht der Text von Diedrich Diede-
richsen im Katalog zur Ausstellung in Hannover 1999.17 Er betont Baldessaris beson-
dere Position zwischen Hochkultur und populärer Kultur und seine ‘Grundlagenfor-
schung’ im Bereich des Visuellen.
Die vorliegenden theoretischen Auseinandersetzungen, die sich nicht ausschließ-
lich auf Baldessari konzentrieren, sondern sich mit der Conceptual Art insgesamt be-
fassen, lassen sich grob in zwei Phasen einteilen: erstens die Ansätze aus der Zeit ihres
Aufkommens, also den späten sechziger und frühen siebziger Jahren selbst, und zwei-
tens die Texte, die aus einer historischen Distanz heraus ab den späten achtziger Jahren
erschienen sind. In beiden Phasen gab es jeweils zwei verschiedene Herangehenswei-
sen, die sich durch die jeweilige Perspektive unterscheiden: zum einen die Texte der
KünstlerInnen selbst und zum anderen die Texte von KritikerInnen oder Kunsthistori-
kerInnen.18
13 Vgl. Jan Avgikos, Stating the Obvious, in: John Baldessari: National City, (Kat.) Hugh M. Davies and Andrea Hales (Hg.), Museum of Contemporary Art San Diego, 3.10.-30.6.1996, S. 21. 14 Vgl. Thomas McEvilley, John Baldessari – Patron Saint, in: John Baldessari. Tetrad Series, Marion Goodman Gallery, New York 1999, S. 3-24. 15 Dieser Begriff ist die Übersetzung der Bezeichnung „patron saint“ aus McEvilleys Titel, übersetzt von Ingo Maerker. 16 Rainer Fuchs, Geschriebene Malereien und fotografierte Farben. Anmerkungen zu John Baldessari, in: A Different Kind of Order (Kat.), S. 27. Fuchs übersetzt „patron saint“ allerdings mit „Säulenheiliger“. 17 Vgl. Diedrich Diederichsen, Die Kritik der Kunst, das Machen von Bildern und ihr Doppelgänger: John Baldessari, in: Baldessari: While something is happening here, something else is happening there. Works 1988 - 1999, (Kat.) Sprengel Museum Hannover, 26.9.1999-2.1.2000, mit Texten von Meg Cranston, Diedrich Diederichsen und Thomas Weski, Köln 1999, S. 35-60. 18 Die Tatsache, dass sich viele KünstlerInnen selbst zur Conceptual Art äußerten bzw. sogar selbst Kunsthistoriker oder Kritiker sind, stellt eine der Besonderheiten dieser Kunstrichtung dar, die im Laufe der Arbeit noch eingehender diskutiert werden wird (vgl. Kapitel 3.1.4., 3.2. und 3.3.).
8
Die Texte der ersten Phase zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie versu-
chen, die neuesten Entwicklungen in der Kunst ihrer Zeit einzuordnen, wobei sie dar-
unter leiden, dass ihnen die nötige Distanz fehlt, um die relevanten Äußerungen von
den nebensächlichen zu trennen. Die Relevanz der Texte der ersten Phase besteht in
erster Linie darin, als Zeitdokumente die Stimmung und die Diskurse der Zeit wieder-
zugeben. Unter diese Rubrik fallen so unterschiedliche Arbeiten wie die Bücher von
Klaus Honnef19 und Ursula Meyer20 oder die Arbeit von Lucy Lippard, die mehr eine
Anthologie als eine theoretische Auseinandersetzung darstellt.21 Ein Beispiel für die
Unsicherheit und Konfusion, die die Ansätze dieser Zeit auszeichnen, ist ein anderer
Text, nämlich das Buch Kunst-im-Kopf. Aspekte der Realkunst von Klaus Hoffman,
dessen Definition der ‘Concept Art’, wie er sie nennt, folgendermaßen lautet:
„Concept Art, ich versuche zu definieren, lenkt besonderes Interesse auf Entwür-fe, Prozesse, Abläufe, Situationen, Experimente, Zusammenhänge, Denkspiele, Vorschläge, Entdeckungen, Vergessenes, Verhaltensweisen, Veränderungen, Er-findungen, Spielregeln, Bewußtwerdung, Vergleiche, Verbesserungen, Informa-tionen, Modelle, Zukunftsplanung, auf Ich und Umwelt, auf Selbstfindung.“22
Sein Versuch der ‘Definition’ ist symptomatisch für die Schwäche der Texte aus dieser
Zeit, die diese als Basis eines ernsthaften Definitionsversuchs unbrauchbar machen.23
Diese Problematik teilen auch die Ausstellungskataloge aus dieser Zeit, deren Be-
schreibungen und Einteilungen oft wenig überzeugend sind und oberflächlich wir-
ken.24 So wird Baldessari etwa von Klaus Honnef und Gisela Kaminski in der Einlei-
19 Klaus Honnef, Concept Art, Köln 1971. 20 Ursula Meyer, Conceptual Art, New York 1972. 21 Lucy R. Lippard, Six Years. The Dematerialisation of the Art, New York 1973. Erwähnenswert ist außerdem eine italienische Arbeit: Ermanno Migliorini, Conceptual Art, Firenze 1972. 22 Klaus Hoffman, Kunst-im-Kopf. Aspekte der Realkunst. Expansion. Reduktion. Natur-Kunst. De-struktion. Ich-Kunst. Kunst-im-Kopf, Köln 1972, S. 187f. 23 Deshalb werden diese Darstellungen im Kapitel 3.2., das sich der Conceptual Art widmet, auch keinen Raum einnehmen. Das gilt z.T. auch für die Zeitschriftenartikel aus dieser Zeit, obwohl es ein paar Aus-nahmen gibt, die bezogen auf die einzelnen Arbeiten der KünstlerInnen durchaus sehr aufschlussreich sein können, wie der Artikel von Jack Burnham (Alice’s Head. Reflections on Conceptual Art, in: Artfo-
rum, Vol. 8, Februar 1970, S. 37-43). Andere Beispiele sind: Donald Brook, Toward a Definiton of Conceptual Art, in: Leonardo, Vol. 5, 1972, S. 49f.; Jürgen Harten, Maxi-Konzeption, mini-concept, in: Kunstjahrbuch Nr. 1, 1970, S. 136-146; Dietrich Helms, Die Welt als Material - Land Art, Conceptual Art, Process Art, Arte Povera, in: Kunst und Unterricht, Heft 6, Dez. 1969, S. 48f. 24 So haben einige der wichtigsten Ausstellungen zur Conceptual Art dieser Zeit, nämlich Information (Kynaston McShine (Hg.), Museum of Modern Art, New York, 2.7.-20.9.1970), Live in Your Head:
When Attitudes Become Form. Works - Concepts - Processes - Situations - Information (Harald Szee-man (Hg.), Kunsthalle Bern, 22.3.-27.4.1969 u.a. und Opp losse Schroeven: Situaties en Cryptostructu-
ren (Wim Beeren u. Ank Marcar (Hg.), Stedelijk Museum Amsterdam, 15.3.-27.4.1969) nur sehr allge-meine, oft politische Texte, die meist eine Form des Bruches feststellen, aber wie die Titel schon andeu-ten, nicht in der Lage sind, die vielfältigen Erscheinungen auseinanderzuhalten. Zwei Beispiele aus dem deutschen Raum sind: Albert Schug, Kunst - Sprache - Denken - Wirklichkeit. Über einen Aspekt kon-zeptueller Kunst, in: Kunst bleibt Kunst, Aspekte internationaler Kunst am Anfang der 70er Jahre (Kat.),
9
tung des Katalogs zur Documenta V unter der Rubrik ‘literarische Sprache’ geführt,
weil die Arbeit, die er dort ausstellte, die Ingres-Serie, aus Texten und Fotos besteht.25
Die Analyse dieser Serie in Kapitel 4.2.2. wird erweisen, dass es sich hier um ein
Missverständnis handelt, das allerdings für Baldessari typisch ist und das aus seiner
ambivalenten Position gegenüber den künstlerischen Richtungen dieser Zeit herrührt.
Trotz aller Kritik sind die Ausstellungskataloge aber unentbehrlich, um sich ein Bild
der Kunst der späten sechziger und frühen siebziger Jahre zu machen.
Eine weitere Gruppe von Texten aus dieser Zeit sind die der KünstlerInnen
selbst,26 etwa von Joseph Kosuth27, Sol LeWitt28 oder Robert Morris.29 Diese sind als
historische Quellen unerlässlich und geben einen Einblick in die Situation am Ende der
sechziger Jahre. Damit tragen sie auch dazu bei, die Plausibilität der Behauptungen
neuerer Arbeiten zur Conceptual Art zu überprüfen, die versuchen, neue Erkenntnisse
zurückzuprojizieren und so dem historischen Moment nicht gerecht werden. Ein Bei-
spiel für diese Tendenz zeigt sich darin, dass heute die Rolle der Situationisten als Be-
zugspunkt der Conceptual Art sehr betont wird, obwohl die Situationisten in den Tex-
ten aus den sechziger und siebziger Jahren, gerade auch in denen der genannten Künst-
lerInnen, nicht auftauchen.30 Ähnliches könnte man auch über die Rolle des Poststruk-
turalismus sagen, dessen Bedeutung oft ebenso übertrieben wird, allerdings mit der
Einschränkung, dass es einige Künstler gab, die sich offensichtlich damit auseinander-
gesetzt haben, wie z.B. John Baldessari oder Dan Graham.
Die neueren Arbeiten zur Conceptual Art seien hier nur kurz erwähnt, weil sie in
der Analyse der historischen Situation bzw. im theoretischen Kapitel (3.2. u. 3.3.) aus-
führlich diskutiert werden, wie etwa die neueren Überblicksarbeiten31 der letzten Jahre
Köln 1974, S. 38-51; u. Jürgen Harten, Concept - Konzept, in: „Was die Schönheit sei, das weiß ich nicht“: Künstler, Theorie, Werk: Biennale Nürnberg, (Kat.), Köln 1971, S. 319-322. 25 Vgl. Klaus Honnef und Gisela Kaminski, Einführung, in: Documenta 5: Befragung der Realität: Bild-welten heute, (Kat.) Kassel, 30.6.-8.10.1972, S. 17.1-17.9. 26 Erste Textsammlungen erschienen in Deutschland bereits 1972: Paul Maenz und Gerd de Vries (Hg.), Art & Language. Texte zum Phänomen Kunst und Sprache, Köln, 1972, sowie 1974: Gerd de Vries (Hg.), On Art - Über Kunst. Künstlertexte zum veränderten Kunstverständnis nach 1965, Köln 1974. 27 Vgl. Joseph Kosuth, Art After Philosophy, Erstausgabe, in: Studio International (London) 178, Nr. 915, Oktober 1969, S. 134-137; Nr. 916, November 1969, S. 160f.; Nr. 917, Dezember 1969, S. 212f. 28 Vgl. Sol LeWitt, Paragraphs on Conceptual Art, in: Artforum (New York), Vol. 5, Nr. 10, Sommer 1967, S. 79-83. 29 Vgl. Robert Morris, Notes on Sculpture, Parts 1 and 2, in: Artforum (New York), Vol. 4, Nr. 6, Feb-ruar 1966, S.42-44 u. Vol. 5, Nr. 2, Oktober 1966, S. 20-23. 30 Ein repräsentatives Beispiel ist Peter Wollen, Mappings: Situationists and/or Conceptualists, in: Jon Bird u. Michael Newman (Hg), Rewriting Conceptual Art, S. 27-46. 31 Tony Godfrey, Conceptual Art, London 1998; Peter Osborne, Conceptual Art, London 2002; Michael Newman und Jon Bird (Hg.), Rewriting Conceptual Art, London 1999; Anne Rorimer, New Art in the 60s and 70s: Redefining Reality, London 2001; John Roberts (Hg.), The Impossible Document. Photog-
10
oder der zentrale Text von Benjamin Buchloh32 sowie neuere kritische Auseinander-
setzungen wie die von Alexander Alberro33 oder Michael Newman.34 Daneben existie-
ren einige Dissertationen, die sich mit der Conceptual Art insgesamt auseinanderset-
zen, die aber nur auf einen bestimmten theoretischen Ansatz fokussiert sind und des-
halb in dieser Untersuchung keine zentrale Rolle spielen.35
Die älteste dieser Arbeiten ist die von Thomas Dreher,36 die sich sehr ausführlich
und kenntnisreich der New Yorker Gruppe der Conceptual Art bzw. der Künstlergrup-
pe Art & Language widmet, während Baldessari in ihr kaum eine Rolle spielt. Dreher
konzentriert sich auf die Kunst und Kunsttheorie von Art & Language und Joseph Ko-
suth, die er als die avanciertesten Vertreter der Conceptual Art ansieht, die sich als
Einzige einer wirklich konzeptuellen Kunst widmen, nämlich einer, die ihre eigenen
Bedingungen reflektiert. Drehers Thesen, so wichtig sie auch sein mögen, um die ge-
nannten Künstler zu verstehen, erweisen sich für den Kontext der vorliegenden Arbeit
als zu eingeschränkt, weil sie sich zu eng an die Kunsttheorie von Art & Language
anlehnen.
Daneben finden sich zwei weitere Arbeiten aus den neunziger Jahren, zum einen
von Robert C. Morgan37 und zum anderen von Ulrich Tragatschnig,38 die versuchen,
das Phänomen der Conceptual Art zu definieren. In beiden Arbeiten spielt Baldessari
nur eine Nebenrolle, wird aber zumindest erwähnt bzw. einige seiner Arbeiten werden
angesprochen. Bei Morgan und Tragatschnig ist allerdings die Auswahl der Theorien
nicht nachvollziehbar und es bleibt offen, wieso Morgan ausgerechnet die Phänomeno-
logie zur Anwendung bringt und wieso Tragatschnig gleich mit drei verschiedenen
Theorien, nämlich der Semiotik, der Sprechakttheorie und der Systemtheorie, arbeitet.
raphy and Conceptual Art in Britain, 1966 - 1976, London 1997; Paul Wood, Conceptual Art, aus der Reihe ‘Movements in Modern Art’, London 2002. 32 Benjamin Buchloh, Conceptual Art 1962 - 69: From the Aesthetics of Administration to the Critique of Institutions, in: October 55, Winter 1990, S. 105-143. 33 Alexander Alberro, Conceptual Art and the Politics of Publicity, Cambridge, MA, 2003. 34 Michael Newman, Conceptual Art from the 1960s to the 1990s. An Unfinished Project?, in: Kunst &
Museumsjournaal, Vol. 7, Nr. 1/2/3, 1996, S. 95-104. 35 Es gibt außerdem eine Arbeit von 1985 von Michael Langer, der allerdings in der Conceptual Art nur einen Angriff auf die Autonomie der Kunst durch die technisierte Welt erkennt und der sich nicht von den ästhetischen Kategorien der Moderne lösen kann, um für die neuen Kunstrichtungen angemessene Maßstäbe zu entwickeln. Vgl. Michael Langer, Kunst am Nullpunkt. Eine Analyse der Avantgarde im 20. Jhdt., Worms 1984. 36 Thomas Dreher, Konzeptuelle Kunst in Amerika und England zwischen 1963 und 1976 (Diss.), Frankfurt 1991. 37 Robert C. Morgan, Conceptual Art. An American Perspective, Jefferson, NC/London 1994; u. ders.: Art into Ideas. Essays on Conceptual Art, Cambridge, MA, 1996. 38 Ulrich Tragatschnig, Konzeptuelle Kunst: Interpretationsparadigmen. Ein Propädeutikum, Berlin 1998.
11
Tragatschnig verlegt in seiner positivistisch geprägten Arbeit das Kunstwerk letztend-
lich ganz in den Betrachter:
„[bei Arbeiten der Conceptual Art, I.M.] bilden ihre Manifestati-ons/Präsentationsformen die Grundlage für eine Rezeption, die nicht mehr als Reproduktion charakterisiert werden kann, sondern zur eigentlichen Produktion des Werkes im Sinne seiner semantisch-pragmatischen Objekthaftigkeit wird.“39
Sowohl Tragatschnigs als auch Morgans Arbeit leiden darunter, dass sie sich zu sehr
auf einen bestimmten philosophischen Ansatz konzentrieren, der weder die außer-
künstlerischen Aspekte der Conceptual Art noch die Bandbreite der künstlerischen
Äußerungen abzudecken vermag.
Schließlich gibt es noch einige relevante Texte von KünstlerInnen aus der Con-
ceptual Art selbst, wie die von Victor Burgin40 oder Charles Harrison,41 die sich dem
Phänomen aus einer gewissen zeitlichen Distanz nähern und versuchen, es theoretisch
einzuordnen. Harrison, der der Gruppe Art & Language angehörte, verbleibt dabei im
theoretischen Rahmen, den diese vorgab, während Burgin auch neuere postmoderne
Ansätze einarbeitet. Zur Frage der Postmoderne und der Conceptual Art ist auch die
Dissertation von Elke Bippus zu nennen,42 die sich dem Phänomen der Serialität auch
unter dem Gesichtspunkt postmoderner Theorien widmet und die im Verlauf dieser
Untersuchung herangezogen wird.
Im Folgenden werden kurz die einzelnen Kapitel dieser Arbeit vorgestellt: In
Kapitel 2. steht ein kurzer Exkurs zur Verwendung des Begriffes ‘Postmoderne’ in
dieser Arbeit im Mittelpunkt. ‘Postmoderne’ wird hier als ein grundlegender Wandel
des kulturellen Bereichs, als ein Paradigmenwechsel, verstanden, der einem Wandel in
der Gesellschaft selbst entspricht, nämlich vom industriellen Hochkapitalismus hin zur
‘postindustriellen Gesellschaft’43 oder zum Spätkapitalismus, wie es Fredric Jameson
nennt.44 Der Begriff ‘Paradigmenwechsel’ bedeutet in diesem Zusammenhang aller-
dings nicht einen völligen Neuanfang, sondern steht für eine Verschiebung der
Schwerpunkte, so dass Elemente, die in der Moderne bereits vorhanden waren, nun ins
Zentrum rücken. Ziel dieses Kapitels ist es nicht, eine Definition der ‘Postmoderne’ zu
39 Ebd., S. 76. 40 Victor Burgin, The End of Art Theory: Criticism and Postmodernity, London 1986. 41 Charles Harrison, Essays on Art & Language, Cambridge, MA, 1991. 42 Elke Bippus, Serielle Verfahren: Pop Art, Minimal Art, Conceptual Art und Postminimalism (Diss.), Berlin 2003. 43 Der Begriff stammt von dem amerikanischen Soziologen Daniel Bell. Vgl. ders., The Coming of the Post-Industrial Society, New York 1973. 44 Fredric Jameson, Postmodernism, or The Cultural Logic of Late Capitalism, Durham, NC, 1991.
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liefern, sondern diesen Begriff in einen gesellschaftlichen Kontext einzubetten, um zu
verdeutlichen, dass es sich um ein Phänomen handelt, das sich nicht einfach wegdisku-
tieren lässt.
Das dritte Kapitel widmet sich dem historisch-theoretischen Hintergrund der
Conceptual Art insgesamt und der Kunst Baldessaris im Besonderen. Kapitel 3.1. zeigt
auf, um was für ein Phänomen es sich beim Modernismus handelte, wie er seine Vor-
machtstellung erringen konnte und auf welche theoretischen Fundamente seine Haupt-
vertreter Clement Greenberg und Michael Fried ihre Kunstkritik gründeten. Ein weite-
res Thema ist der Einfluss der modernistischen Prämissen auf die nachfolgenden
Kunstrichtungen, wie etwa auf die als Reaktion gegen den Modernismus entstandene
Minimal Art. In Kapitel 3.2. wird ein Versuch der Historisierung der Conceptual Art
unternommen, indem zunächst deren räumliche und zeitliche Grenzen nachgezeichnet
werden, um in der Folge deren Verhältnis zur Avantgarde zu untersuchen. Schließlich
wird die Conceptual Art in einem Spannungsfeld zwischen einer künstlerischen Bewe-
gung und einer bestimmten methodischen Herangehensweise verortet. Anstelle einer
feststehenden Definition werden in Kapitel 3.3., um das vielschichtige Phänomen
Conceptual Art theoretisch zu umreißen, die verschiedenen Vorgehensweisen und
Strategien dieser Kunstrichtung aufgezeigt. Das Ziel ist es, den Bruch zu verdeutli-
chen, den die Conceptual Art mit den Grundlagen der modernistischen Kunst auf allen
Ebenen vollzogen hat. Das wichtigste Element dieses Bruches besteht in einer perma-
nenten Infragestellung dessen, was Kunst ist bzw. sein kann, indem ihre Codes in einer
selbstreflexiven Untersuchung offengelegt werden.
Kapitel 4. widmet sich der Analyse repräsentativer Arbeiten Baldessaris, die
immer auf den in den vorhergehenden Kapiteln dargelegten Kontext bezogen bleibt.
Dieses Kapitel ist in zwei größere Blöcke unterteilt, die einem Bruch innerhalb des
Werkes von Baldessari entsprechen. Der erste Teil (4.1.) beschäftigt sich mit den Ar-
beiten der späten sechziger Jahre, die sich thematisch noch unmittelbar an den Moder-
nismus anlehnen und die durch die Verwendung der Leinwand als Bildträger formal
noch dem traditionellen Bild von Kunst folgen. In Kapitel 4.1.1. wird je ein Beispiel
analysiert aus den Serien der Text-on-Canvas-Bilder (1966-68) (Abb. 1), die aus je
einem Text auf einer Leinwand bestehen, der Phototext-Bilder (1966-68) (Abb. 2) und
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der National City-Schnappschüsse (1966-68) (Abb. 3),45 die jeweils Texte und Fotos
kombinieren, wobei die Fotos direkt auf der Leinwand entwickelt werden. Texte und
Fotos werden in diesen Serien so eingesetzt, dass sie die immanenten Codes der Kunst
in Frage stellen, indem sie sich selbstreflexiv auf sich selbst als ‘Kunstwerke’ zurück-
beziehen. Kapitel 4.1.2. dreht sich um die Commissioned Paintings (1969) (Abb. 4),
eine Serie von 14 Gemälden, die Baldessari bei HobbymalerInnen in Auftrag gegeben
hat. Die MalerInnen erhielten jeweils eine Auswahl an Dias, von denen sie eines ab-
malen sollten. Die Dias selbst wiederum basierten auf der Wahl einer dritten Person.
Das zentrale Thema dieser Arbeit ist die Frage der Autorschaft des Künstlers, die Bal-
dessari hier in ein ganz neues Licht rückt, indem er das modernistische Modell des
Künstlers dekonstruiert und mit einem neuen konfrontiert, das an bestimmte postmo-
derne Vorstellungen anknüpft, wie sie z.B. von Roland Barthes46 oder Michel Fou-
cault47 geprägt wurden. In beiden Kapiteln werden auch einige Vergleichsbeispiele
anderer KünstlerInnen aus der Conceptual Art, wie etwa Joseph Kosuth oder Sol Le-
Witt, herangezogen, um die besonderen Strategien Baldessaris deutlich zu machen.
Der zweite größere Block innerhalb des vierten Kapitels beschäftigt sich mit den
Arbeiten, die aus Fotografien und Texten bzw. aus Collagen ‘gefundener’ Fotografien
bestehen. Den Auftakt macht das Calif. Map Project Part I: California (1969) (Abb.
5), eine Parodie auf die Land Art und zugleich eine Untersuchung über das Verhältnis
von Zeichen und Referenz bzw. über den Abbildcharakter dokumentarischer Fotogra-
fie. In Kapitel 4.2.2. steht die Serie Ingres and Other Parabels (1971) (Abb. 49) im
Mittelpunkt, bei der es sich um kurze Geschichten aus der Kunstwelt handelt, die je-
weils mit einem Foto kombiniert werden. Baldessari konfrontiert in diesen Geschich-
ten die Kunstszene mit ihren eigenen Regeln, während er gleichzeitig das Verhältnis
von Texten und Bildern allgemein problematisiert, indem er diese in ein Spiel des ge-
genseitigen Verweisens einbaut. In eine ähnliche Richtung geht die A Different Kind of
Order (The Thelonious Monk Story) (1972-73) (Abb. 7), die im Zentrum von Kapitel
4.2.3. steht. Hier kommt die Frage der ästhetischen Bildordnung hinzu, die Baldessari
45 Alle drei Serien haben keine festen, vom Künstler vorgegebenen Titel. Die Bezeichnung Text-on-
Canvas-Bilder stammt von van Bruggen und die Bezeichnung National City-Schnappschüsse von Ingo Maerker. 46 Vgl. Roland Barthes, The Death of the Author, in: Image - Music - Text, New York 1977, S. 142-148 (Erstausgabe in: Aspen 5+6, Spring/Winter 1967) u. ders.: From Work to Text, in: Image - Music - Text, New York 1977, S. 155-164 (Erstausgabe in: Revue d’esthétique 3, 1971). 47 Vgl. Michel Foucault, Was ist ein Autor?, in: Schriften zur Literatur, Frankfurt 1988, S. 7-31 (Erst-ausgabe in: Bulletin de la Société française de Philosophie, Juli - September 1969).
14
anhand von appropriierten Zeitungsfotos, die mit einer Geschichte über Ordnung ver-
bunden werden, stellt. Der Titel A Different Kind of Order weist schon auf die pro-
grammatische Bedeutung dieser Arbeit hin, deren Grundfrage auch die späteren Serien
prägt.
Die letzten beiden Unterkapitel dokumentieren Baldessaris langsame Ablösung
von der ‘reinen’ Conceptual Art. Kapitel 4.2.4. thematisiert die Throwing Balls-Serie
(1972-73) (Abb. 8), in der es in erster Linie um visuelle Lösungen ästhetischer Prob-
leme, wie etwa der Komposition, geht, deren textlich-konzeptueller Anteil im Verhält-
nis zu den früheren Arbeiten an Gewicht verloren hat. Baldessari bedient sich dabei
eines spielerisch-experimentellen Verfahrens der Bildfindung, das sich gegen die Vor-
stellungen des Werks in den traditionellen bzw. modernistischen Codes wendet und
das die Grundlagen fotografischer Abbildung reflektiert. Das letzte Unterkapitel
(4.2.5.) stellt die Violent Space Series (1976) (Abb. 9) in den Mittelpunkt, in der viele
der Strategien und Elemente der vorhergehenden Arbeiten kombiniert werden, wie
z.B. auf bestimmten Zufallsverfahren basierende Ordnungssysteme oder narrative An-
sätze, die hier aber in erster Linie visuell arbeiten. Durch die Verwendung von
Filmstills als Ausgangsbasis der Collagen eröffnet sich Baldessari zudem eine ganz
neue visuelle Quelle, die sein späteres Werk bestimmen wird. Filmstills als ‘gefunde-
ne’ Bilder, die einem anderen Code entstammen, den wir alle kennen, eröffnen ganz
neue Möglichkeiten, bildliche Bedeutung zu generieren, gewissermaßen eine bildliche
‘Intertextualität’. Diese Serie stellt somit einen entscheidenden Schritt für eine post-
moderne Kunst dar, die ihre eigenen Grundlagen einer permanenten Reflexion unter-
zieht.
Abschließend werden die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen in Kapitel 5. zu-
sammengefasst und im Hinblick auf Baldessaris postmoderne Strategien gedeutet. Da-
bei wird sein Verhältnis zur Conceptual Art insgesamt sowie zu der Frage des Para-
digmenwechsels in der Kunst ausführlich diskutiert, um Baldessaris zentrale Bedeu-
tung in diesem Kontext als Vertreter einer selbstreflexiven und ideologiekritischen
Form postmoderner Kunst herauszuarbeiten.
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2. Exkurs zum Begriff der ‘Postmoderne’
Bevor sich das nächste Kapitel den historischen Bedingungen und einer theoretischen
Einordnung der Conceptual Art widmen kann, ist es notwendig, einen kleinen Exkurs
in die allgemeine Gesellschaftstheorie einzuflechten. Die Grundthese dieser Arbeit
besagt, dass John Baldessari exemplarisch für den Bruch steht, der sich zu Beginn der
siebziger Jahre in der Kunst vollzieht, nämlich die Ablösung des Modernismus durch
die Postmoderne. Leider zeichnet sich der Begriff der ‘Postmoderne’ durch eine ge-
wisse definitorische Unschärfe aus, weshalb es erforderlich ist, einige der Bedeutungs-
elemente kurz zu erläutern, um verständlich zu machen, was gemeint ist, wenn dieser
Begriff hier verwendet wird. In dieser Arbeit wird die Postmoderne nicht nur als eine
Modeerscheinung verstanden, die man begrüßt oder ablehnt, sondern als eine tiefgrei-
fende Neuorientierung im Bereich der Kultur, die die Folge eines allgemeinen gesell-
schaftlichen Wandels darstellt.48
Inzwischen haben sich postmoderne Theorie, Architektur und Kunst längst etab-
liert, und die Gesellschaft hat den Wandel von der industriellen zur ‘postindustriellen
Gesellschaft’49 vollzogen – um nur eines der vorliegenden soziologischen Modelle für
diesen Umbruch zu nennen. Dieses Kapitel soll einige der Interpretationen dieses
Wandels anreißen, die versuchen, den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem
und kulturellem Raum zu erklären.
Bezugspunkte sind dabei Fredric Jameson, Zygmund Baumann und andere Theo-
retiker, die diesen Wandel als einen grundlegenden begreifen. Um Missverständnissen
vorzubeugen, gilt es, darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Bruch von der Moderne
zur Postmoderne keineswegs um einen klaren Schnitt handelt, sondern um eine Ak-
zentverschiebung, die bereits existierende Elemente neu kombiniert und organisiert.
48 Die Ende der achtziger Jahre in Deutschland entbrannte Debatte um die Postmoderne wird deshalb hier keine Rolle spielen. Handelte es sich dabei doch in erster Linie um eine Auseinandersetzung über die Bewertung der postmodernen Theorien, die vornehmlich aus Frankreich und dem angelsächsischen Raum stammten und dort längst etabliert waren, während sie hier als Übersetzungen mit ungefähr 20-jähriger Verspätung zum ersten Mal erschienen. Die Problematik dieser Debatte rührt in erster Linie daher, dass sich in ihr bestimmte kulturelle Vorbehalte gegenüber ‘der französischen Denkkultur’, die sich (scheinbar) in dem neuen und skandalösen Phänomen der Postmoderne zeigte, offenbarten, die einer sachlichen Auseinandersetzung mit den sich faktisch vollziehenden gesellschaftlichen Verände-rungen im Weg standen. 49 Vgl. Daniel Bell, Post-Industrial Society, New York 1973.
16
Heute scheint das Thema ‘Postmoderne’ seine Aktualität verloren zu haben,
während sich die Diskurse verschoben haben und (vermeintlich) neue Zuschreibungen
für den aktuellen Zustand der Kunst gefunden werden. Dem gilt es entgegenzuhalten,
dass ein Teil der künstlerischen Produktion der Postmoderne inzwischen zwar überholt
erscheinen mag, dass aber darüber hinaus ein bestimmter selbstreflexiver und kriti-
scher Zugang zum künstlerischen Arbeiten existiert, der noch immer aktuell und rele-
vant ist und der der postmodernen Kunst einen zentralen Platz in der Geschichte der
Kunst einräumt. Diesem selbstreflexiven Element der Postmoderne, das sich einer Kri-
tik der vermeintlich unverrückbaren Fundamente der Kunst, also einer Ideologiekritik
im eigentlichen Sinne, verschrieben hat, soll in dieser Arbeit die Aufmerksamkeit gel-
ten.
Eine theoretische Bestimmung dessen, was postmoderne Kunst in diesem Rah-
men sein kann, soll allerdings in diesem Kapitel nicht erfolgen, statt dessen soll in der
Analyse der Arbeiten John Baldessaris herausgearbeitet werden, welche Elemente sich
dort finden lassen und inwiefern diese sich als postmodern beschreiben lassen, um
daraus eine mögliche Herangehensweise abzuleiten, die nicht den Anspruch erheben
kann und will, das gesamte Phänomen der Kunst in der Postmoderne zu erfassen. Im
nächsten Abschnitt soll zunächst kurz die historische Entwicklung des Begriffes
‘Postmoderne’ nachgezeichnet werden.
2.1. Die verschiedenen ‘Postmodernen’: ein Begriff,
verschiedene Diskurse
Im Rahmen dieser Arbeit lässt sich zwar eine Genealogie, die allen Entwicklungs-
strängen und Varianten des Terminus ‘Postmoderne’ gerecht werden könnte, kaum
vollständig nachzeichnen, doch erweist sich zumindest ein kurzer Blick auf die Ge-
schichte dieses Begriffes anhand eines grundlegenden Textes des Literaturwissen-
schaftlers Michael Köhler als äußerst hilfreich.50 In der Literaturkritik wurde der Beg-
50 Michael Köhler, ‘Postmodernismus’: Ein begriffsgeschichtlicher Überblick, in: Amerikastudien
(Stuttgart), Jg. 22, Heft 1, 1977, S. 8-18. Der Autor weist zunächst nach, dass der Begriff ‘Postmoder-nismus’ zuerst im hispano-amerikanischen Sprachbereich verwendet wird, dort allerdings als Beschrei-bung einer Zeitspanne zu Beginn des letzten Jahrhunderts, bevor der Begriff durch den Historiker Ar-nold Toynbee in seinem Buch A Study of History 1947 (Arnold Toynbee, A Study of History, abridged by D.C. Somervall, Oxford 1947) als die letzte, gegenwärtige Phase der abendländischen Kultur be-schrieben wird (vgl. Köhler, S. 10f.).
17
riff ‘Postmoderne’ zu Beginn der sechziger Jahre vermehrt verwendet, zunächst ab-
wertend,51 später in den Texten von Leslie Fiedler und Susan Sontag positiv konno-
tiert, nämlich als Synonym für einen Neubeginn.52 In der Soziologie prägte Amitai
Etzioni 1968 in seinem Buch The Active Society53 den Terminus ‘postmoderne Gesell-
schaft’, der sich aber gegen Daniel Bells ‘postindustrielle Gesellschaft’ nicht durchset-
zen konnte. Anhand dieser Beispiele, Köhler führt noch weitere an, wird deutlich, dass
sich der Terminus ‘postmodern’ in den siebziger Jahren in den USA im gesamten kul-
turellen und akademischen Bereich weitestgehend durchgesetzt hat bzw. die Debatte
um diesen Begriff schon in dieser Zeit lebhaft geführt wurde. Dabei wurde der Begriff
‘Postmoderne’ immer als ein Synonym für einen Epochenwandel benutzt, bei dem
gesellschaftliche Entwicklungen mit einer veränderten kulturellen Praxis verbunden
sind.
Die große Verbreitung des Diskurses über die Postmoderne ist insofern bemer-
kenswert, als die USA (bzw. der englischsprachige Raum) in dieser Hinsicht eine
Ausnahme bilden und sich von anderen Teilen der westlichen Welt abheben. Gleich-
zeitig bezieht sich ein großer Teil der postmodernen Theorieproduktion in den USA
auf die poststrukturalistischen französischen Theoretiker, die einem anderen kulturel-
len Raum entstammen. Tatsächlich lagen die Werke, die heute gewissermaßen als der
‘Kanon’ der Postmoderne gelten, also die Arbeiten von Michel Foucault, Jacques Der-
rida, Gilles Deleuze und Félix Guattari oder Jean-François Lyotard, teilweise bereits
lange vor ihrer Übersetzung ins Deutsche in Englisch vor oder wurden sogar zuerst auf
Englisch veröffentlicht, wie etwa der Text The Death of the Author von Roland Bar-
thes.54
In Frankreich selbst stellt sich die Genealogie des Begriffs völlig anders dar. Die
Wurzeln dessen, was allgemein Postmoderne genannt wird, liegen hier eher in einem
theoretisch-philosophischen Denken, das versucht, die Erbschaft des Strukturalismus
zu überwinden. Eine der wichtigsten Denkrichtungen ist der Poststrukturalismus, der
oft als Synonym zur Postmoderne verwendet wird, dessen Hauptvertreter sich aber
51 Beispielhaft dafür sind: Irving Howe, Mass Society and Postmodern Fiction, in: Partisan Review, 1959; u. Harry Levin, What is Modernism?, in: Massachusetts Review, 1960. 52 Bei Fiedlers Text handelt es sich um: The New Mutants (Partisan Review, 1965). Von Sontag stam-men u.a. die wichtigen Texte Notes on ‘Camp’ und One Culture and the New Sensibility, die in ihrem Sammelband Against Interpretation (New York 1966) zu finden sind. 53 Amitai Etzioni, The Active Society, New York 1968. 54 Dieser Text erschien erstmals 1967 in der US-amerikanischen Kunstzeitschrift Aspen. Vgl. Kapitel 4.1.2.
18
zum Teil dezidiert dagegen verwahrten55 oder wie Foucault ihr Projekt als Fortführung
oder Neubewertung der Moderne betrachteten und nicht als Grundlegung einer neuen
Epoche. In der Gesamtansicht der französischen ‘Postmoderne’ bietet sich ein sehr
divergentes Bild, das sich kaum auf einen Nenner bringen lässt. Das zentrale Element,
das diese Denker verbindet, ist, dass sie auf unterschiedliche Weise mit der philoso-
phischen Tradition des Abendlandes brechen wollten und an einer Neufundierung des
theoretischen und philosophischen Denkens interessiert waren.56
Bemerkenswerterweise kam der Begriff ‘Postmoderne’ in Frankreich aber erst
sehr spät auf, nämlich 1979, und wurde nur von wenigen Intellektuellen direkt aufge-
nommen, wie von Lyotard.57 Zudem blieb der Begriff völlig anders bestimmt als in der
angelsächsischen Debatte. Die Postmoderne wurde weniger als Epochenwende ver-
standen, sondern als eine bestimmte Denkrichtung bzw. als die Vielzahl neuer Mög-
lichkeiten, theoretisch zu denken. Durch die Früchte dieses neuen Denkens erhielt
auch die Diskussion in den USA immer wieder neue Impulse, die dort schneller in eine
universitäre Praxis umgesetzt58 und gleichzeitig als Zeichen für den schon diagnosti-
zierten Paradigmenwechsel interpretiert wurden.
Die Situation in Deutschland stellt sich wiederum anders dar. Hier kamen die
Texte der französischen Theoretiker nämlich zum Teil mit einer beachtlichen Verspä-
tung als Übersetzungen auf den Markt, während die Entwicklungen in den USA, außer
in den Fachwissenschaften wie etwa bei Köhler, bis in die späten neunziger Jahre gar
nicht wahrgenommen wurden.59 Die Debatte um die Postmoderne in den neunziger
Jahren drehte sich folglich auch mehr darum, wie die neue französische Philosophie zu
bewerten sei, als darum, wie man sich einer neuen gesellschaftlich kulturellen Ent-
wicklung gegenüber verhalten solle. Erschwerend kommt dazu, dass sich das Feuille-
55 Z.B. Derrida, aber auch andere, die sich nicht als Postmoderne verstehen. 56 Neben dem bereits erwähnten Strukturalismus, zu dem es auch personelle Überschneidungen gibt, z.B. Roland Barthes, dessen Werk zu Beginn klassisch strukturalistisch geprägt war, während er sich später dem Poststrukturalismus annäherte, gehören u.a. Georges Bataille, Henri Lefebvre und die Situa-tionisten zu den Quellen der Theoretiker. Daneben sind es v.a. die in Frankreich wieder- bzw. neuent-deckten Martin Heidegger und Friedrich Nietzsche, die in einer neuen Weise gelesen und fruchtbar gemacht werden. 57 Vgl. Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Wien/Köln/Graz 1986 (Erstaus-gabe: la condition postmoderne, Paris 1979). Lyotard spielte in der Folge, insbesondere in der Diskussi-on mit den deutschen Kritikern der Postmoderne, wie etwa Habermas, eine zentrale Rolle. 58 Ein Beispiel ist die Entstehung neuer akademischer Fächer, wie z.B. Genderstudies, die maßgeblich auf Theorien der Postmoderne, wie dem Poststrukturalismus, aufbauen. 59 Ein interessanter Text über das schwierige Verhältnis zwischen den Vertretern der Kritischen Theorie, v.a. Habermas, und den französischen Postmodernen ist: Ulrich Raulff, Im Teich der Zeichen. Die Frankfurter Schule und ihre Gegenspieler in Paris: Eine Verkennungsgeschichte aus gegebenem Anlass, in: Süddeutsche Zeitung (München), 21.9.2001.
19
ton dieser Debatte annahm, das eine Vorliebe für verkürzte Schlagwörter, wie Ende
der Geschichte, Tod des Subjekts usw. auszeichnet, die dem tatsächlichen Gehalt der
postmodernen Theorien nicht gerecht wurde, weil:
„[...] [viele der] Gesellschaftstheoretiker [wie etwa Deleuze/Guattari oder Derri-da] [...] nicht dem feuilletonistischen Idealtypus des postmodernen Poststruktura-listen [entsprechen], der sich von der Vernunft und damit einer vernünftigen Ge-sellschaftskritik verabschiedet hat.“60
Die schwierige Rezeptionsgeschichte sorgte in Deutschland dafür, dass der Diskurs der
Postmoderne sehr spät und teilweise auch sehr verzerrt wahrgenommen wurde. Kon-
sequenterweise wurde so auch die Vorstellung eines Paradigmenwechsels nur sehr
wenig reflektiert und vor allem nicht auf die kulturelle Praxis übertragen.
Dieser Überblick soll verdeutlichen, warum es in dieser Arbeit nicht um ver-
schiedene postmoderne Theorien gehen kann, sondern um eine bestimmte Interpretati-
on des Begriffs ‘Postmoderne’ als eine Epochenschwelle, die an die oben geschilderte
angelsächsische Version anknüpft. Deshalb ist es wichtig, um Missverständnisse zu
vermeiden, die verschiedenen Diskursformen zu trennen. Wenn also in dieser Arbeit
von der ‘Postmoderne’ die Rede ist, dann ist damit – sofern nicht anders vermerkt –
die angelsächsische Variante, also die Postmoderne als Epochenwechsel, gemeint.
Abschließend sei noch einmal auf Köhler verwiesen, der eine konzise und, ver-
glichen mit anderen Historikern der Postmoderne, äußerst überzeugende Epochenein-
teilung anbietet:
„Historisch angemessener wäre demnach ein Modell, das für die beiden letzten Jahrzehnte mit zwei sich jeweils überschneidenden Entwicklungen rechnet. Wäh-rend der fünfziger Jahre [...] etabliert sich schrittweise ein Neo-Avantgardismus, der auf den Prämissen des Dadaismus und Surrealismus fußt. Er entfaltet und er-schöpft sich erst in den sechziger Jahren. In deren zweiter Hälfte lassen sich An-sätze einer neuen Sensibilität erkennen, die mit den ästhetischen Prinzipien bei-der Modernismen nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Dieser zunächst ‘tasten-de‘ Postmodernismus beginnt erst mit den siebziger Jahren Gestalt anzunehmen. [...] Von Postmoderne schließlich könnte erst nach 1970 die Rede sein, die Zeit von 1945 bis zu diesem Datum müßte Spätmoderne heißen.“61
Diese Einteilung, die sich hier auf die Literatur bezieht, lässt sich in groben Zügen
auch auf die Kunst anwenden, wobei sich die Arbeiten Baldessaris genau in diesem
Zwischenbereich um 1970 einordnen lassen, der durch den Umbruch geprägt und des-
halb von besonderer Bedeutung ist. Im Folgenden soll versucht werden, kurz die Eck-
60 jour fixe initiative berlin (Hg.), Kritische Theorie und Poststrukturalismus. Einleitung, Berlin 1997. http://www.jourfixe.net/Posteinleitung.html 61 Köhler, ‘Postmodernismus’, S. 18.
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punkte der Idee einer Postmoderne, die mit gesellschaftlichen Entwicklungen ver-
knüpft ist, zu umreißen.
2.2. Die Postmoderne als kulturelle Logik der gesell-
schaftlichen Entwicklung
In dieser Arbeit soll der Begriff ‘Postmoderne’ als kulturelle Logik der gesellschaftli-
chen Entwicklung und nicht als ein bloßes Modephänomen oder ein neuer künstleri-
scher Stil verstanden werden. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass es sich hier-
bei um eine umfassende Re-Formierung des kulturellen Raumes innerhalb der existie-
renden kapitalistischen Gesellschaft handelt. Diese Arbeit kann allerdings, wenn sie
nicht den Rahmen einer kunsthistorischen Untersuchung sprengen will, keine Gesell-
schaftstheorie im eigentlichen Sinne leisten, wie das die Aufgabe der Soziologie ist.
Andererseits kann man nicht ganz darauf verzichten, zumindest eine grobe Annähe-
rung an diese vorzunehmen, wenn man verstehen will, warum sich bestimmte Ent-
wicklungen innerhalb des kulturellen Bereichs vollzogen haben und wie diese mit der
Gesamtgesellschaft zusammenhängen.
Die Auseinandersetzung mit dem fundamentalen Wandel in der Gesellschaft ist
notwendig, weil es im Bereich der Geisteswissenschaften noch nicht zu den allgemein
akzeptierten Annahmen gehört, dass sich ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel
vollzogen hat; infolgedessen wird hier sogar oft die Existenz des Phänomens ‘Postmo-
derne’ insgesamt in Frage gestellt und damit auch die eines epochalen Wandels. Eine
solche Sichtweise konzentriert sich dabei immer auf den Bereich der Kunst oder Kul-
tur im Besonderen und argumentiert immanent, dass es sich bei der Kunst um einen
vom Rest der Gesellschaft abgetrennten Bereich handele, dessen Entwicklung einzig
durch den Bezug auf interne Faktoren in einer Kette der aufeinanderfolgenden Stile
und Künstler verstanden werden könne.
Wie bereits erwähnt wird der gesellschaftliche Bruch in der Soziologie auf ver-
schiedene Weise beschrieben und auch unterschiedlich bewertet, während die Tatsa-
che, dass es eine tiefgreifende Veränderung in der Gesellschaft gegeben hat, inzwi-
schen allgemein anerkannt ist. Das Modell, dem dieses Kapitel in erster Linie folgt, ist
21
das von Fredric Jameson, der die neue gesellschaftliche Formation ‘Spätkapitalismus’
nennt.62 Seine Grundannahme ist:
„[...] it [postmodernism] is not just another word for the description of a particu-lar style. It is also, at least in my use, a periodizing concept whose function is to correlate the emergence of new formal features in culture with the emergence of a new type of social life and a new economic order – what is often euphemisti-cally called modernization, postindustrial or consumer society, the society of the media or the spectacle, or multinational capitalism.“63
Die zentrale Bedeutung von Jamesons Text liegt nicht allein darin, dass er von einem
gesellschaftlichen Bruch ausgeht, sondern vielmehr darin, dass er diesen mit dem Phä-
nomen der Postmoderne, das sich gleichzeitig im Bereich der Kultur abzeichnet, ver-
knüpft, ein Ansatz, der teilweise auch von Zygmunt Bauman vertreten wird.64 Das
Problem dabei ist, dass Kultur nicht einfach nur nach einem simplen Basis-Überbau-
Schema funktioniert, wie es sich die Vertreter des orthodoxen Marxismus vorstellen,
diese andererseits aber auch nicht im luftleeren Raum schwebt. Wenn auch kunstsozio-
logische Erwägungen hier nur am Rande einfließen können, spielen sie doch eine Rol-
le, will man die Zusammenhänge zwischen dem tiefgreifenden gesellschaftlichen
Wandel und der Conceptual Art, die selbst Teil dieses Umbruchs ist, verstehen. Die-
sem Thema wird sich das nächste Kapitel ausführlich widmen.
Obwohl verschiedene Interpretationen der gesellschaftlichen Veränderungen, die
sich seit den siebziger Jahren vollziehen,65 vertreten werden, ist es in den Gesell-
schaftswissenschaften nicht strittig, dass es eine grundlegende Verschiebung gegeben
hat. Bei der Beschreibung dieses Wandels kommen eine ganze Reihe von analogen
Begriffen zur Anwendung, wie z.B. Postfordismus, das postindustrielle Zeitalter, Risi-
kogesellschaft oder Posthistoire.66 Gerade der Begriff der ‘Postmoderne’ und dessen
62 Der Terminus ‘Spätkapitalismus’ bezieht sich auf Ernest Mandels Modell der Entwicklungsstufen des Kapitalismus. ‘Spät’ bezeichnet in diesem Modell allerdings nicht unbedingt ein Verfallsstadium, son-dern lediglich die Situation der völligen Durchsetzung des Kapitalismus. Diese Definition ist also nicht mit der Verwendung in der Frankfurter Schule identisch (vgl. Theodor W. Adorno u. Max Horkheimer, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt 1969 (Erstausgabe: 1944)). 63 Fredric Jameson, Postmodernism and Consumer Society, in: Hal Foster (Hg.), The Anti-Aesthetic: Essays on Postmodern Culture, Port Townsend 1983, S. 112-113. 64 Vgl. z.B.: Zygmunt Bauman, Intimations of Postmodernity, London/New York 1992; und ders., Post-modernity and its Discontents, Cambridge/Oxford 1997. 65 Eine der strittigen Fragen der verschiedenen Ansätze von Bell bis Bauman ist, wann diese Verände-rung einsetzt, je nachdem, welcher Schwerpunkt gesetzt wird, wird der Bruch zwischen dem Anfang der sechziger Jahre und dem Anfang der achtziger Jahre verortet. 66 Der Begriff ‘Risikogesellschaft’ stammt von dem Soziologen Ulrich Beck, dessen gleichnamiges Buch (Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt 1986) in der Soziologie Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre stark rezipiert wurde. Sein Buch be-schreibt die Auflösung der traditionellen Klassen und Schichten in der Gesellschaft und die starken
22
Bewertung bzw. die Frage seiner Abhängigkeit von bestimmten gesellschaftlichen
Entwicklungen sind in diesem Zusammenhang die umstrittenen Punkte.67
Ein Teil der Irritationen, die in der Ablehnung des Begriffs oder des Konzeptes
der ‘Postmoderne’ zum Ausdruck kommen, rührt daher, dass unter dem Begriff ‘Para-
digmenwechsel’ oft ein Bruch verstanden wird, bei dem es zu einer vollständigen Ab-
lösung der alten durch eine neue Ordnung kommt. Tatsächlich vollzieht sich aber we-
der in gesellschaftlicher noch in kultureller Hinsicht ein solcher Wechsel in dieser
Form. Zunächst handelt es sich schließlich, wie Jameson sagt, um zwei Entwicklungs-
stufen innerhalb der bestimmenden Form, in der unsere Gesellschaft organisiert ist,
nämlich des Kapitalismus; wobei die neuere Entwicklungsstufe, also der Spätkapita-
lismus, sich gerade dadurch auszeichnet, dass auch die Bereiche, die früher von der
marktförmigen Warenlogik ausgespart waren, dieser immer mehr unterworfen werden:
„Ours is a more homogeneously modernized condition; we no longer are encum-bered with the embarrassment of non-simultaneities and non-synchronicities. Everything has reached the same hour on the great clock of development or ra-tionalization (at least from the perspective of the ‘West’). This is the sense in which we can affirm, either that modernism is characterized by a situation of in-complete modernization, or that postmodernism is more modern than modernism itself.“68
In dieser Hinsicht ist es also nicht das Aufkommen völlig neuer Phänomene, das den
Bruch bestimmt, sondern die Ausbreitung bzw. der Rückgang bereits existierender
Formen gesellschaftlich-ökonomischer Organisation.
Die postmoderne Gesellschaft ist also dadurch geprägt, dass sich bestimmte E-
lemente der Modernisierung auf bisher ausgenommene Bereiche, wie Familie, Sexuali-
tät und Freizeit, ausdehnen, während gleichzeitig das Element der industriellen Arbeit
an Bedeutung abnimmt. Dieses wird durch den Bereich des Konsums ersetzt, wie es
beispielsweise Bauman darlegt:
„[...] in present-day society, consumer conduct (consumer freedom geared to the consumer market) moves steadily into the position of, simultaneously, the cogni-tive and moral focus of life, the integrative bond of the society, and the focus of systemic management. In other words, it moves into the selfsame position which in the past – during the ‚modern’ phase of capitalist society – was occupied by
Tendenzen der Individualisierung. Dieses Buch soll hier nur als Beispiel dienen, es ließen sich auch noch viele andere ähnliche Texte anführen. 67So könnten die Begründungen und Herleitungen dieses Bruchs kaum unterschiedlicher sein als zwi-schen einem eher konservativen Autor, wie Bell, der eine begrüßenswerte systemimmanente Dynamik annimmt, und etwa Jameson, der hierin die totalitären Tendenzen eines Spätkapitalismus sieht. Die Ge-meinsamkeit besteht darin, dass beide einen einschneidenden Bruch mit den Paradigmen der industriel-len Zeit diagnostizieren. 68 Jameson, Postmodernism, or The Cultural Logic of Late Capitalism, Durham 1991, S. 310.
23
work in the form of wage labour.“69
Diese Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse wird von vielen anderen Theo-
retikern geteilt und wurde bereits Ende der sechziger Jahre von Guy Debord formu-
liert.70 Die Tatsache, dass sich die Mitglieder dieser Gesellschaft nicht mehr über ihre
Tätigkeit, sondern über ihren Konsum definieren, bewirkt eine grundlegende Ver-
schiebung im Wertesystem der Gesellschaft. Bei Jean Baudrillard findet sich eine ähn-
liche Sichtweise der Veränderung des Stellenwerts der Arbeit:
„Die Arbeitskraft verkauft sich nicht, noch wird sie schlicht und einfach gekauft: sie wird zum Design, wird vermarktet und gehandelt – die Produktion trifft sich mit dem Zeichensystem der Konsumwelt.“71
Baudrillard betont allerdings gleichzeitig, dass sich das Prinzip der Arbeit auf das ge-
samte Leben ausdehnt, aber in einer sinnentleerten Form, die sich grundlegend von der
Bestimmung der Arbeit im industriellen Zeitalter unterscheidet.
Daneben wird in der Diskussion über die Postmoderne immer wieder auf die
Veränderung der alltäglichen Wahrnehmung hingewiesen. Jameson hält in Bezug auf
Bilder und auf das Empfinden der Zeit zwei zentrale Punkte fest: „[...] the transforma-
tion of reality into images, the fragmentation of time into a series of perceptual pre-
sents [...]“72 Beide Phänomene spielen im Bereich der Kultur eine zentrale Rolle und
werden auch im Verlauf der Diskussion der Arbeiten Baldessaris zur Sprache kom-
men.
In der Sphäre der Kultur verhält es sich ähnlich wie im gesellschaftlichen Raum,
auch hier erscheint nicht auf einmal eine neue Herangehensweise aus dem Nichts, son-
dern es werden die bereits existierenden neu reflektiert oder aus dem Kanon der Mo-
derne verdrängte Ausdrucksweisen neu entdeckt. Viele der Praktiken postmoderner
69 Bauman, Intimations of Postmodernity, S. 49. 70 „Das Spektakel ist der Moment, worin die Ware zur völligen Besetzung des gesellschaftlichen Lebens gelangt ist. [...] An diesem Punkt der ‘zweiten industriellen Revolution’ wird neben der entfremdeten Produktion der entfremdete Konsum zu einer zusätzlichen Pflicht für die Massen.“ (Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin 1996 (Erstausgabe: Paris 1967), S. 35 (Hervorhebung im Original)) Debords Buch, ursprünglich der Versuch einer aktualisierten marxistischen Analyse der kapitalistischen Gegenwart, ist heute in erster Linie für seine Medienkritik bekannt, wobei ‘Spektakel’ vereinfachend als moderne Medien übersetzt wird. Dieses Missverständnis ist z.T. Debords unscharfem Gebrauch dieses Begriffes geschuldet, z.T. einer Ausblendung des explizit radikalen Sinns seiner Thesen. Unabhängig davon zeichnet sich sein Buch durch eine beachtliche Weitsicht in der Beschreibung der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse aus, die es als Quelle für viele der späteren postmodernen Theoretiker, wie etwa Baudrillard, so interessant macht. 71 Jean Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod, München 1982 (Erstausgabe: Paris 1976), S. 28. 72 Jameson, Postmodernism and Consumer Society, S. 125.
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Kunst gehen auf Elemente der Moderne zurück, wobei es sich aber nie um einfache
Wiederholungen handelt. Jede Geste oder jede Ausdrucksform erhält allein durch die
Verschiebung des Kontextes eine neue Bedeutung. Jameson beschreibt dies so:
„[...] radical breaks between periods do not generally involve complete changes of content but rather the restructuration of a certain number of elements already given: features that in an earlier period or system were subordinate now become dominant, and features that had been dominant again become secondary.“73
Die Postmoderne basiert also auf einer Neureflexion der Fragen und Probleme der
Moderne. Aus diesem Grund ist die Annahme eines klaren Schnitts zwischen den E-
pochen nicht haltbar, statt dessen haben wir es immer mit einer Grauzone zu tun, mit
den Effekten einer Ungleichzeitigkeit, mit einem gewissen Déja-vu-Empfinden, aus
welchem sich bei Arbeiten, die sich kritisch auf ihr Erbe beziehen, eine fruchtbare Re-
flexion der Moderne ergeben kann.
Die Moderne selbst war im Übrigen ebenfalls kein uniformer Block, bestehend
aus Elementen, die alle einer Logik unterworfen waren. Gerade der künstlerische Be-
reich war durch das Aufnehmen früherer Formen der Kunst geprägt. Wie Jameson
darlegt, zeichnet sich die Moderne gerade durch dieses Nebeneinander der verschiede-
nen kulturellen und gesellschaftlichen Formen aus:
„Those formerly subversive and embattled styles [of modernism, I.M.] [...], for the generation which arrives at the gate in the 1960s, felt to be the establishment and the enemy [...]. This means that there will be as many different forms of postmodernism as there were high modernisms in place, since the former are at least initially specific and local reactions against those models.“74
Dieses Konfliktfeld wird im nächsten Kapitel im Zusammenhang mit der Durchset-
zung des Modernismus in der Kunstwelt in den fünfziger Jahren ausführlicher zur
Sprache kommen. Steht doch gerade der modernistische Diskurs beispielhaft für den
Versuch, eine bestimmte Interpretation der Geschichte und Entwicklung der Moderne
durchzusetzen, die die Kunstwelt zwanzig Jahre lang dominieren konnte und die diese
Vielschichtigkeit lange Zeit zu unterdrücken vermochte.
Jameson ist allerdings in der Frage der zeitlichen Abfolge zu widersprechen. Er
setzt den Bruch bereits zu Beginn der sechziger Jahre an:
„[...] in the moment (the early 1960s, one would think) in which the position of high modernism and its dominant aesthetics become established in the academy and are henceforth felt to be academic by a whole new generation of poets, paint-
73 Ebd., S. 123. 74 Ebd., S. 113 (Hervorhebung im Original).
25
ers and musicians.“75
Demgegenüber gilt es zu bedenken, dass dieser Moment zwar einen Wendepunkt dar-
stellt, aber zugleich auch den Höhepunkt der Wirkungsmächtigkeit des modernisti-
schen Diskurses, und dass eine gewisse Zeit notwendig ist, bis sich aus einer generel-
len Opposition gegen diese ‘Akademie’ auch neue Ausdrucksformen entwickeln. Die-
ses Abhängigkeitsverhältnis zeigt sich noch bis in die späten sechziger Jahre76 und
wird erst in den frühen siebziger Jahren überwunden, wie anhand der Arbeiten Baldes-
saris noch gezeigt werden wird.
Jameson geht allerdings noch weiter in seiner Argumentation:
„[...] during its own life span, modernism was not hegemonic and far from being a cultural dominant; [...] when modernism [...] finally came to power, it had al-ready outlived itself, and what resulted from this posthumous victory was called postmodernism instead.“77
Auf den kulturellen Rahmen bezogen steht für Jameson die Postmoderne gewisserma-
ßen für die Ausdehnung der ‘Logik der Moderne’ von einem kleinen avantgardisti-
schen Kreis auf die gesamte Kultur. Dabei handelt es sich aber nur noch um eine Ver-
fallsform, und die sich daraus speisende Variante der Postmoderne zeichnet sich nicht
durch die von Jameson eingeforderte Reflexion ihrer Geschichte und Bedingungen
aus. Er sieht in der Postmoderne kein Phänomen, das vorbehaltlos zu begrüßen wäre,
sondern eine Form der kulturellen Hegemonie, die kritisiert werden muss, die aber
auch neue Chancen bieten kann; indem etwa neue Operationen im Umgang mit den
Codes zur Anwendung kommen, wie etwa die Produktion neuer Codes oder das
‘transcoding’: „I can set about measuring what is sayable and ‘thinkable’ in each of
these codes or idiolects and compare that to the conceptual possibilities of its competi-
tors.“78 Der Hintergrund für diese Verfahrensweisen ist immer die bewusste Einbezie-
hung der Verfasstheit der postmodernen Gesellschaft, daraus folgen auch in der politi-
schen Kultur zwei Möglichkeiten der Herangehensweise, einmal: „[to] confront the
structure of image society as such head-on and undermine it from within [...].“79 Zum
anderen handelt es sich um die von ihm ‘cognitive mapping’ genannte Vorgehenswei-
se:
75 Ebd., S. 124. 76 Vgl. Kapitel 3.1.4. zum Verhältnis der Minimal Art zum Modernismus. 77 Jameson, Postmodernism, or The Cultural Logic of Late Capitalism, S. 318. 78 Ebd., S. 394. 79 Ebd., S. 409.
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„[which] may be identified as a more modernist strategy, which retains an impos-sible concept of totality whose representational failure seems for the moment as useful and productive as its (inconceivable) success.“80
Was Jameson hier vorschlägt, ist eine subversive und dissidente Haltung gegenüber
der Postmoderne als neuer dominanter Logik der kapitalistischen Gesellschaft. Er geht
davon aus, dass es zentral sei, die Postmoderne als Totalität zu verstehen und zu kriti-
sieren, obwohl sie nicht als solche wahrgenommen werde bzw. wahrgenommen wer-
den könne.
Thorsten Scheers alternativer Ansatz versucht dagegen, den Paradigmenwechsel
aus der geschichtlichen Entwicklung der Kunst selbst abzuleiten.81 Deshalb spielen die
im Verlauf dieses Kapitels diskutierten gesellschaftlichen Bedingungen in seinem
Buch keine Rolle. Scheer teilt mit Adorno die Annahme, dass Kunst einer fortschrittli-
chen Dynamik unterliegt, die sich nicht umkehren lässt. Allerdings sieht Scheer diese
Entwicklung in den sechziger Jahren an das Ende ihrer Möglichkeiten kommen, weil
die Kunst die Grenzen ihrer Selbstkritik, im Sinne der Kritik der Repräsentation, er-
reicht habe:
„Der virtuelle Endpunkt der Moderne [...] ist da erreicht, wo die Innovationspo-tientiale der Kunst, von denen sich die vorgestellte Konstruktion der Moderne [...] abhängig gemacht hat, an kommunikationstheoretische Grenzen stoßen.“82
Die Annahme kommunikationstheoretischer Grenzen verbindet Scheer mit Umberto
Ecos semiotischer Analyse der Kunst als Träger von Information, die dieser in seinem
Buch Das offene Kunstwerk dargelegt hat.83 Eco beschreibt in einem späteren Text
diese Grenze und die daraus folgenden Konsequenzen für die Entwicklung der Kunst
folgendermaßen:
„Es kommt jedoch der Moment, da die Avantgarde (also die Moderne) nicht mehr weitergehen kann, weil sie inzwischen eine Metasprache hervorgebracht hat, die von ihren unmöglichen Texten spricht (die Concept Art). Die postmoder-ne Antwort auf die Moderne besteht in der Einsicht und Anerkennung, dass die Vergangenheit, nachdem sie nun einmal nicht zerstört werden kann, da ihre Zer-störung zum Schweigen führt, auf neue Weise ins Auge gefaßt werden muß: mit Ironie, ohne Unschuld.“84
80 Ebd., S. 409. 81 Thorsten Scheer, Postmoderne als kritisches Konzept. Die Konkurrenz der Paradigmen in der Kunst seit 1960, München 1992. 82 Scheer, Postmoderne als kritisches Konzept, S. 168. 83 Umberto Eco, Das offene Kunstwerk, Frankfurt 1973 (Erstausgabe: Mailand 1962). Auch Eco geht von einer inhärenten Schwelle der Möglichkeiten der Reduktion der künstlerischen Gattungen aus, die erreicht war und die eine Neuorientierung verlangte. 84 Eco, Nachschrift zum ‘Namen der Rose’, München 1984, S. 78.
27
Interessanterweise schlägt Eco also die Conceptual Art der Moderne zu, wenn auch
genau an dem Übergang, der auch für diese Arbeit entscheidend ist. Eco sieht in der
Postmoderne insgesamt eher so etwas wie die manieristische Phase der Epoche der
Moderne. Diese Beschreibung trifft zweifellos auf einige der künstlerischen Produkte
zu, vermag aber nicht die volle, auch gesellschaftliche Bedeutung der Postmoderne zu
erfassen.85
Bei Scheer entwickelt sich in einer ganz ähnlichen Weise aus dieser Aporie zu-
erst die Protopostmoderne (z.B. die Conceptual Art), die vorerst die Probleme neu
reflektiert und gleichzeitig der Postmoderne, die sich in den frühen siebziger Jahren
schließlich durchsetzt, den Weg bereitet:
„[...] mit der produktiven Aufarbeitung der der Moderne zugrundeliegenden Di-chotomien in den Kunstrichtungen Pop Art, Minimal Art, Land Art und Concept Art [wird] erst die Situation geschaffen, die eine ‘freie Verfügbarkeit über die Mittel’ ermöglicht. Jene Befreiung der Mittel, d.h. der medialen Bindung der Werke, ist aber die Voraussetzung für die postmodernen Strategien der Neurefle-xion der modernen Paradigmen.“86
Insbesondere die Conceptual Art nimmt für Scheer dabei eine Schlüsselrolle ein.87
Die Postmoderne zeichnet sich für ihn dadurch aus, dass sie die Moderne „als
historisch gewordenen Bezugspunkt aktuellen Kunstschaffens und als Problemstel-
lung“ begreift.88 In diesem Modell hat die Postmoderne die Aufgabe, das gesell-
schaftskritische, widerständige Potential der Moderne in einer neuen Form zu bewah-
ren, wobei eben die Paradigmen der Moderne die maßgeblichen Parameter bleiben.
Dem könnte man entgegenhalten, dass diese Parameter nicht unbedingt als der für im-
mer unumstößliche Maßstab kritischer Kunst gelten müssen, sondern dass sich dieser
Maßstab mit der jeweiligen historischen Situation verändern kann. Außerdem besteht
die Gefahr, die ästhetischen Probleme der Moderne als einzige Basis für ein universa-
les Interpretationsmuster zu verallgemeinern. Adorno hat nicht umsonst für die ästheti-
sche Beurteilung eingefordert „[...] dessen gewahr zu werden, was die ästhetischen
Objekte von sich aus sagen und verschweigen“,89 also ein unvoreingenommenes Ein-
85 Zumal man über Ecos Gleichsetzung der Avantgarde mit der Moderne insgesamt geteilter Meinung sein kann. Die Avantgarde gehört zweifellos zur Logik der Moderne, ist aber nicht mit ihr identisch. Zur Frage der Avantgarde im Verhältnis zur Conceptual Art, siehe: Kapitel 3.2.2. 86 Scheer, Postmoderne als kritisches Konzept, S. 98. 87 Die Frage der ‘freien Verfügbarkeit der Mittel’ wird in Kapitel 3.2.2. ausführlicher diskutiert. 88 Scheer, Postmoderne als kritisches Konzept, S. 139. 89 Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt 1972, S. 514.
28
gehen auf die ästhetischen Objekte, „[...] dass man durch die volle Erfahrung des
Kunstwerks hindurch seines Gehalts als eines Geistigen innewerde“.90
Das andere Problem bei Scheers Ansatz ist die Frage, ob es diese objektive Ent-
wicklung in der Kunst überhaupt gibt oder ob diese nicht Teil der modernen Paradig-
men selbst sind. Der entscheidende Unterschied ist möglicherweise gerade, dass der
Glaube an eine bestimmte zielgerichtete Entwicklungslogik innerhalb der Kunst in der
Postmoderne abhanden gekommen ist. Bauman ist gar der Meinung, dass es eine sol-
che nicht mehr geben kann:
„For the art called postmodern, the central question is how to locate, identify, set apart a particular world, knowing well that this world is merely one of many pos-sible and coexisting, and that the exploration of this world, however profound, is unlikely to bring us any closer to universally binding truth, or findings able to rightfully claim either general, or exclusive validity.“91
Wenn sich die postmoderne Kunst also durch eine Pluralität und das Fehlen einer ab-
soluten Wahrheit auszeichnet, dann machen auch die Annahme einer Teleologie der
Kunst und die Vorstellung einer avancierten Kunst keinen Sinn mehr. Die Annahme,
dass Kunst damit völlig beliebig wird und sich jeder Bewertung entzieht, ignoriert je-
doch, dass es selbst in dieser Situation immer noch die Möglichkeit gibt, sich kritisch
zu verhalten.
In den letzten Jahren schließlich ist die Debatte um die Postmoderne in den Hin-
tergrund getreten. Im Gegenteil wird inzwischen schon deren Ende bzw. ihr Übergang
in die ‘Zweite Moderne’ vorgeschlagen.92 Demgegenüber gilt es zu betonen, dass,
selbst wenn die Postmoderne nicht mehr das alles beherrschende Modethema ist, sie
als der zentrale Bruch im kulturellen Bereich, der sich im letzten Jahrhundert vollzo-
gen hat, für die Geschichtsschreibung dieser Epoche eine zentrale Rolle einnehmen
muss. Zum anderen ist sie in den Momenten, in denen sie die in der Moderne begon-
nene Reflexion dessen, was Kunst überhaupt sein kann, unter den neuen gesellschaftli-
chen Bedingungen fortführt und sich damit der selbstreflexiven Kritik der Kunst an-
nimmt, noch immer aktuell.
90 Ebd., S. 515. 91 Bauman, Intimations of Postmodernity, S. 30. 92 Vgl. Heinrich Klotz (Hg.), Die zweite Moderne. Eine Diagnose der Gegenwart, München 1996. Selbst wenn es tatsächlich neue Entwicklungen geben sollte, die es verdienen, als Beginn einer neuen Epoche angesehen zu werden, so erscheint es doch schwierig, dies aus der historischen Situation heraus zu beur-teilen, weshalb eine gewisse Vorsicht geboten ist.
29
In dieser Arbeit stehen die künstlerischen Arbeiten John Baldessaris exempla-
risch für eine solche selbstreflexive Kunst, die es vermag, anknüpfend an Teile der
Tradition der Moderne, den Gehalt und Geltungsbereich dessen, was Kunst ist, offen-
zuhalten und den kritischen Geist der Kunst gegen die reine Affirmation zu verteidi-
gen. Hal Foster umschreibt die Bedingungen einer solchen Kunst folgendermaßen:
„A postmodernism of resistance, then, arises as a counter-practice not only to the official culture of modernism but also to the ‘false normativity’ of a reactionary postmodernism. In opposition (but not only in opposition), a resistant postmod-ernism is concerned with a critical deconstruction of tradition, not an instrumen-tal pastiche of pop- or pseudo-historical forms, with a critique of origins, not a return to them. In short, it seeks to question rather than exploit cultural codes, to explore rather than conceal social and political affiliations.“93
Der etwas pathetische Begriff ‘Postmoderne des Widerstands’ steht hier dafür, dass die
Grundlagen der Moderne selbst neu hinterfragt werden, ohne allerdings hinter diese
zurückzufallen. In welcher Weise sich dies an den Arbeiten John Baldessaris selbst
nachweisen lässt, wird in der Einzelanalyse gezeigt, der sich das übernächste Kapitel
widmet. Im Folgenden Kapitel geht es zunächst um eine historische und theoretische
Kontextualisierung der Conceptual Art.
93 Hal Foster, Postmodernism: A Preface, in: Ders. (Hg.), The Anti-Aesthetic, S. xii.
30
3. Historische und theoretische Annäherung
an die Conceptual Art als künstlerisches
Phänomen
Dieses Kapitel widmet sich den historischen und theoretischen Grundlagen der Con-
ceptual Art insgesamt, um die Rahmenbedingungen der künstlerischen Entwicklung
John Baldessaris zu skizzieren. Diese historische Diskursanalyse soll deutlich machen,
dass die Entstehungsbedingungen von Baldessaris Werk durch den Diskurs des Mo-
dernismus entscheidend geprägt wurden. Um die später folgenden Analysen seiner
Arbeiten und seine Position innerhalb der Conceptual Art nachvollziehen zu können,
ist es erforderlich, sich dieser Bedingungen bewusst zu werden. Zunächst wird es dar-
um gehen, in einem historischen Abriss zu klären, wie sich die Situation in der US-
amerikanischen Kunst am Ende der sechziger Jahre darstellte. Die tragende Rolle in
diesem kulturellen Kontext kam dem modernistischen Diskurs zu, der sich in den
fünfziger Jahren durchsetzen konnte und diese paradigmatische Position noch innehat-
te, als sich die Brüche und Verschiebungen, die hier unter dem Begriff ‘Postmoderne’
verhandelt werden, in den Arbeiten John Baldessaris und anderer Künstler zu zeigen
begannen. Das Thema in Kapitel 3.1. ist infolgedessen der modernistische Diskurs und
dessen Entwicklung und theoretische Grundzüge.
In Kapitel 3.2. wird versucht, einen Überblick über das künstlerische Phänomen
der Conceptual Art zu geben, indem deren historische Entwicklung im Licht der exis-
tierenden Literatur kritisch nachvollzogen wird – ohne allerdings eine ausführliche
Geschichte der Conceptual Art anzustreben. Schließlich werden die wichtigsten theo-
retischen Elemente der Conceptual Art untersucht, um im weiteren Verlauf der Arbeit
die Bedeutung der Strategien John Baldessaris in Bezug auf diese Kunstrichtung her-
ausarbeiten zu können.
31
3.1. Die historischen Bedingungen: Der modernisti-
sche Diskurs als kontextueller Rahmen
Dieses Kapitel wird zunächst versuchen, mit Hilfe eines historischen Exkurses die
Genese und Wurzeln des modernistischen Diskurses zu rekonstruieren. Um die Wand-
lung dieses Diskurses von einer Möglichkeit, sich Bildern zu nähern, zu der dominie-
renden künstlerischen Ideologie der Nachkriegszeit (nicht nur in den USA) verständ-
lich zu machen, muss man sich dessen historisch-politischen Kontext vergegenwärti-
gen und die Einbettung der Kunst in diesen berücksichtigen. Diesen Fragen widmet
sich Kapitel 3.1.1.
Die beiden folgenden Kapitel (3.1.2. und 3.1.3.) thematisieren den theoretischen
Hintergrund des Modernismus, dessen Durchsetzung in den USA in erster Linie mit
dem Namen Clement Greenberg – und später dann Michael Fried – sowie dem durch
ihn ‘vertretenen’ Abstrakten Expressionismus verbunden ist. Greenbergs Theorie der
Betrachtung, Herstellung und Bewertung von Kunst stellte für alle KünstlerInnen seit
den späten fünfziger Jahren den bestimmenden Bezugspunkt dar, obwohl es immer
wieder auch Versuche gab, sich von dieser Dominanz zu lösen.94 Diese theoretischen
Positionen werden, weil sie die Folie für die Kunst der Conceptual Art darstellen, auch
im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder zur Sprache kommen. Das Augenmerk
liegt deshalb in diesem Kapitel auf den diskursiven Konstruktionen des Modernismus.
Kapitel 3.1.4. beschäftigt sich schließlich mit der Auseinandersetzung zwischen
den Künstlern der Minimal Art und den Vertretern des Modernismus am Ende der
sechziger Jahre. Dabei soll die Vermittlerrolle der Minimal Art herausgestellt werden,
die einerseits mit dem Modernismus brach und andererseits noch durch dessen Para-
digmen geprägt war.
Abschließend gilt es, um möglichen Einwänden zu begegnen, auf zwei zentrale
Probleme hinzuweisen. Erstens stellt der Modernismus nicht die einzige und allge-
meingültige Interpretation der Geschichte der modernen Kunst dar. Bereits eines seiner
Hauptfundamente, nämlich die Interpretation der Geschichte der modernen Kunst als
94 Ausgehend von Künstlern wie Jasper Johns, Robert Rauschenberg oder den Pop-Künstlern, fanden sich immer wieder Richtungen, die die Prämissen des Modernismus in Frage stellten und im Modernis-mus verdrängte Kunstrichtungen, wie etwa den Dadaismus, neu entdeckten. Auf der diskursiven Ebene blieb die Dominanz des Modernismus allerdings noch bis in die späten sechziger Jahre ungebrochen.
32
Geschichte der fortschreitenden Abstraktion, die zwangsläufig im Abstrakten Expres-
sionismus kulminieren muss, basiert auf einer reduktionistischen Sichtweise, die der
Geschichte der modernen Kunst nicht gerecht werden kann.95 Aber um zu verstehen,
auf welcher Basis sich die KünstlerInnen der Conceptual Art in den späten sechziger
Jahren innerhalb der Kunstgeschichte positionierten und mit welchem diskursiven
Hintergrund sie konfrontiert waren, interessiert in erster Linie die Entwicklungslogik
des modernistischen Diskurses, auch wenn bei unserem heutigen Kenntnisstand dessen
Genealogie zweifelhaft erscheint.96
Zweitens werden in dieser Arbeit die eigentlichen Kunstwerke, auf die sich der
modernistische Diskurs bezieht, keine Aufmerksamkeit erfahren können. Zum einem
gibt es nicht den Raum, sich der Analyse einzelner Arbeiten zu widmen, ohne dass das
eigentliche Thema zu kurz käme, zum anderen stellt dieses Kapitel die historische Re-
konstruktion des modernistischen Diskurses in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Ob-
wohl ein solcher Diskurs mit den Entwicklungen innerhalb der Kunst verbunden ist,
gehen die einzelnen Kunstwerke nie vollständig in diesem auf, deshalb wäre es auch
nicht möglich, den Kunstwerken in diesem Kontext gerecht zu werden.97
3.1.1. Die Durchsetzung des Modernismus in den fünfziger Jahren
Die Situation nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs stellte den Ausgangspunkt
für die Entwicklungen dar, die zur Durchsetzung des modernistischen Diskurses führ-
95 Aus diesem Grund spielt die generalisierende Frage nach dem Höhepunkt ‘der’ Moderne oder nach der Bedeutung aller möglicher Facetten ‘der’ Moderne im Rahmen dieser Arbeit keine Rolle. Zumal sich die Frage stellt, ob es so etwas wie eine ‘objektive’ Geschichte der modernen Kunst überhaupt geben kann oder ob diese nicht Objekt einer permanenten Verschiebung, Umwertung und Neudefinition ist, abhängig von den jeweiligen Kontexten bzw. Sichtweisen. Anne-Marie Bonnet stellt hinsichtlich dieser Frage fest: „Die Moderne kann also nicht als Summe ihrer Teile, sondern muss als Prozess verstanden werden. Die bisherigen Darstellungen lösen die Komplexität der ästhetischen Moderne in eine Abfolge von Entwicklungen, von Reaktionen und Gegenreaktionen auf, die das multifaktorielle Geschehen nicht in seinen wechselseitigen Bedingtheiten darzulegen vermag“ (Anne-Marie Bonnet, Kunst der Moderne. Kunst der Gegenwart. Herausforderung und Chance, Köln 2004, S. 34). 96 Die Geschichte der Conceptual Art stellt nicht zuletzt auch eine Geschichte der Kritik dieses redukti-onistischen Bildes der Kunstgeschichte dar. Beispielhaft dafür sind John Baldessari oder auch Robert Morris mit ihrem Interesse für Marcel Duchamp. Die Rolle dieser Einflüsse wird im nächsten Kapitel zur Sprache kommen, wenn es um die Geschichte der Conceptual Art gehen wird. 97 Für eine genaue Untersuchung darüber, ob die ästhetische Theorie des modernistischen Diskurses den eigentlichen Bildern gerecht werden kann und wie sich diese auf eine andere Art und Weise analysieren lassen, vgl. Serge Guilbaut (Hg.), Reconstructing Modernism, Cambrigde, MA/London 1990. Ein Bei-spiel ist der Text Jackson Pollock’s Abstraction von T.J. Clark, der die Bilder Pollocks als Ausdruck eines inneren Widerspruchs der Moderne zwischen Anpassung und Subversion versteht (Clark, Jackson Pollock’s Abstraction, in: Serge Guilbaut (Hg.), Reconstructing Modernism, S. 172-238).
33
ten: Die moderne Kunst lag in Trümmern, ihr altes Zentrum Paris hatte gerade mehrere
Jahre der Barbarei hinter sich und viele der europäischen Künstler befanden sich im
Exil.
Der Modernismus stand für den Versuch, diese Situation zu verarbeiten und da-
bei die Geschichte der modernen Kunst unter anderen Vorzeichen neu zu bestimmen.
Der Kritiker Benjamin Buchloh beschreibt diese Rekonstruktion folgendermaßen:
„Western European and American audiences were as eager to reconstruct the in-stitution of modernist high culture as they were anxious to depoliticize the heroic tradition of its opponents – the historical avant-garde of the 1915–25 period. However, the avant-garde tradition had to be reinstituted in such a way that it would supply the radical aesthetic goods without the political strings originally attached to the Dadaists’ and the Constructivists’ work [...].“98
Buchloh nennt hier einige der grundlegenden Elemente, die den Diskurs des Moder-
nismus prägen, nämlich die Integration der Avantgarde in die ‘Hochkultur’ und damit
verbunden deren Entpolitisierung sowie das ‘Auslöschen’ der künstlerischen Traditio-
nen, die nicht in das rekonstruierte Bild der Moderne passten.99 Wie es zu dieser Ent-
wicklung kam und wie die amerikanische Kunst, insbesondere aus New York, die Füh-
rungsrolle übernahm, untersucht Serge Guilbaut in seinem Buch How New York Stole
the Idea of Modern Art100. Der folgende kurze historische Abriss basiert in erster Linie
auf dieser Untersuchung.
Der bekannteste und zweifellos einflussreichste Vertreter des Modernismus war
der New Yorker Kunstkritiker Clement Greenberg. Seine Rekonstruktion der Ge-
schichte der Moderne wies New York und der amerikanischen Kunst insgesamt eine
ganz besondere Rolle zu, weil in seinen Augen hier die moderne Kunst in der Gestalt
des Abstrakten Expressionismus gewissermaßen kulminierte. Guilbaut fasst diese Po-
sition folgendermaßen zusammen:
„The accent is placed on the idea that New York art was crucial to the further de-velopment of all art the world over and, further, that it somehow emerged from the final phase of the long march toward a purified modern art.“101
Dieser ‘lange Marsch’ hin zu einer ‘reinen’ Moderne bezieht sich auf einen Aspekt der
Avantgarde in der Malerei, der nach Greenberg alle anderen verdrängt, nämlich die
98 Benjamin H.D. Buchloh, Cold War Constructivism, in: Serge Guilbaut (Hg.), Reconstructing Modern-ism, S. 91. 99 Die Frage der Avantgarde wird im nächsten Kapitel noch einmal ausführlich thematisiert, da die Con-ceptual Art unter anderem auch auf die Wiederentdeckung dieser Traditionen Bezug nahm. 100 Serge Guilbaut, How New York Stole the Idea of Modern Art, Chicago 1983, sowie: ders.: Postwar Painting Games: The Rough and the Slick, in: Ders. (Hg.), Reconstructing Modernism, S. 30-79. 101 Guilbaut, How New York Stole, S. 6.
34
zunehmende Betonung des Gemäldes als einer Fläche. Dieser ‘lange Marsch’ gipfelt in
der „abstrakten, autothematischen und selbstreflexiven Malerei“102 des Abstrakten
Expressionismus der New York School. Die komplexe und vielschichtige Geschichte
der Avantgarde wird damit auf eine rein ästhetische Auseinandersetzung reduziert,
während der dominante politische Impetus, der die historische Avantgarde von Beginn
an ausgezeichnet hat, von der Tradition abgetrennt wird.
Die politischen und gesellschaftlichen Umstände spielten bei der Durchsetzung
des Modernismus in der Kunst eine entscheidende Rolle. Der Siegeszug dieses Diskur-
ses war eng mit den Interessen von konservativen gesellschaftlichen und politischen
Kräften verknüpft, die im Abstrakten Expressionismus den Ausdruck der westlichen
kapitalistischen Freiheit manifestiert sahen und diesen als ideologisches Kampfmittel
in einem ‘kulturellen Kalten Krieg’ gegen den sozialistischen Realismus und die
‘kommunistische Gefahr’ verstanden.103 Zweifelsohne wäre der Modernismus aber nur
einer unter vielen theoretischen Ansätzen in der Moderne geblieben, wenn nicht be-
sondere historische Umstände dazu geführt hätten, dass sich eine Kunst entwickelte,
die genau diesen Vorstellungen entsprach, und wenn nicht die gesellschaftlichen Um-
stände in den frühen fünfziger Jahren, z.B. der Aufstieg einer neuen Mittelklasse, sehr
rezeptiv für diese Art der Kunstbetrachtung gewesen wären.
Guilbaut weist nicht nur auf die Verbindungen zwischen Politik und modernistischem
Diskurs hin, sondern verdeutlicht ebenfalls, wie sich die veränderte Situation für
Künstler in den USA seit dem Ende der dreißiger Jahre auf die Entwicklung des Abs-
trakten Expressionismus auswirkte:
„Prominent among the factors that helped to shape abstract expressionism and ensure its success was the slow process of de-Marxization and later depoliticiza-tion of certain groups of left-wing anti-Stalinist intellectuals in New York from 1939 on, coupled with the rapid rise of nationalist sentiment during the war. Later, as the Cold War intensified and the Marshall Plan finally won congres-sional approval, a wealthy and powerful middle class consolidated its position [...].“104
102 Bonnet, Kunst der Moderne, S. 29. 103 Die dafür nötigen Umschreibungen der Geschichte, Distanzierungen zur Vergangenheit und zum politischen Programm der Avantgarde werden beispielhaft in dem Artikel The Politics of Consumption:
The Screen Actor’s Guild, Ronald Reagan, and the Hollywood Red Scare von Lary May beschrieben. Der Autor zeichnet diese Verschiebungen innerhalb der politischen Landschaft der USA anhand der Entwicklung der Schauspielergewerkschaft nach (siehe: Lary May, The Politics of Consumption, in: Serge Guilbaut (Hg.), Reconstructing Modernism, S. 332-368). 104 Guilbaut, How New York Stole, S. 2.
35
Die Entpolitisierung begann sich zu vollziehen, als die starke Verankerung linker Ten-
denzen in der Folge des New Deals gegen Ende der dreißiger Jahre in eine Krise ge-
riet, die letztendlich zu der ‘de-Marxization’ führte, die den Weg für eine unpolitische,
eskapistische Kunst freimachte.105 Auch unter den KünstlerInnen gab es eine weit ver-
breitete Enttäuschung durch die Politik, die dem Rückzug auf (vermeintlich) archai-
sche Urbilder, wie etwa beim frühen Jackson Pollock, den Weg bereitete und die den
Individualismus und die ‘freie’ Kreativität ins Zentrum rückte. Die Abwendung der
KünstlerInnen von der Politik erfolgte also bereits, bevor der modernistische Diskurs
in den frühen fünfziger Jahren seine Vorherrschaft antrat, und war nicht zuletzt den
Widersprüchen innerhalb der Linken geschuldet.
Die Kunstwerke des Abstrakten Expressionismus waren also keine ‘Auftragsar-
beiten’, die nur hergestellt wurden, um die Ideologie einer freien westlichen Kunst
abzubilden. Das Gegenteil war der Fall, gerade die Individualität war es, die die
Kunstwerke des Abstrakten Expressionismus von den Produkten des sozialistischen
Realismus unterschied und sie zu Werkzeugen in dieser Auseinandersetzung hat wer-
den lassen. Dieses Dilemma erstreckte sich auch auf die KünstlerInnen selbst, die sich
gerade wegen ihrer gesellschaftlichen Unangepasstheit für diese politische Verein-
nahmung anboten:
„The avant-garde artist who categorically refused to participate in political dis-course and tried to isolate himself by accentuating his individuality was coopted by liberalism, which viewed the artist’s individualism as an excellent weapon with which to combat Soviet authoritarianism.“106
Dieser ‘künstlerische Antitotalitarismus’ mit seinem Anspruch, unpolitisch zu sein,
wurde auf diese Weise Teil einer politischen Ideologie.
Das politische Projekt bestand allerdings nicht nur darin, eine Front gegen den
Kommunismus aufzubauen; damit einher ging der Versuch, sich aus der künstlerischen
Abhängigkeit von Paris zu lösen und dieses als Zentrum der Kunst zu ersetzen.107
105Viele der KünstlerInnen engagierten sich in den dreißiger Jahren in der ‘Popular Front’ gegen den Faschismus und waren auch zum Teil Mitglieder in verschiedenen linken Parteien. Außerdem stieß der New Deal eine Art gesellschaftlichen Aufbruch an. Ein weiterer Grund für die Abwendung der Intellek-tuellen und Künstler von der Linken waren die stalinistischen Schauprozesse, die bei vielen, die die Sowjetunion vorher noch als ein Vorbild betrachtet hatten, zu einer Desillusionierung führte, die in einer generellen Entpolitisierung ihren Schlusspunkt fand. 106 Guilbaut, How New York Stole, S. 143. 107 Zumal in Frankreich nach dem Krieg der Einfluss der Kommunistischen Partei sehr groß war: „The French Communist Party was in fact extremely popular thanks to the prestige it had acquired from the important role – real and symbolic – it played during the resistance“ (Guilbaut, The Rough and the Slick, S. 34). Deshalb galt Frankreich in der neuen antikommunistischen Doktrin des beginnenden Kal-ten Kriegs als unsicheres Terrain (vgl. auch: Guilbaut, The Rough and the Slick, S. 39-40).
36
Greenberg und die modernistischen Kritiker hatten dabei vor allem die Überwindung
der provinziellen Situation der modernen Kunst in den USA im Sinn, die auf nur we-
nige unterstützende Strukturen, wie z.B. das MOMA, aufbauen konnte. Die offiziellen
politischen Stellen betrachteten die Konkurrenz zwischen New York und Paris hinge-
gen als einen Machtkampf auf kultureller Ebene, der zum Teil nahezu den Stellenwert
einer offiziellen staatlichen Herausforderung annahm.108 Dieses Engagement war auf
der amerikanischen Seite durch den Willen begründet, die politische und militärische
Hegemonie kulturell zu unterstützen und zu legitimieren:
„[...] postwar American culture was placed on the same footing as American economic and military strength: in other words, it was made responsible for the survival of democratic liberties in the ‘free’ world.“109
Schließlich ging es nicht nur um die Vorherrschaft eines Kunstzentrums, sondern um
die Fortsetzung und Bewahrung der westlichen Zivilisation und Freiheit, wie sie sich
die US-amerikanischen Eliten vorstellten.
Der Modernismus wurde mit den Werten des sogenannten Establishments, also
des politisch desinteressierten Bürgertums und der Institutionen, die dieses vertreten,
und damit auch der offiziellen Politik der USA, verbunden:
„In the Western culture of the Cold War, modernism in art was firmly associated with the affirmation of liberal humanism and with the willful and triumphant self-expression of individual free spirits.“110
Allerdings stellte sich diese Verbindung in den sechziger Jahren als problematisch für
den Modernismus und damit verbunden für den Abstrakten Expressionismus heraus,
als sich unter vielen Künstlern und Intellektuellen, ausgehend von den Protesten gegen
den Vietnamkrieg, eine erneute Politisierung vollzog, die sich in der Ablehnung der
alten Werte des Kalten Krieges äußerte. Resümierend erweist sich also gerade der Fak-
tor, der dem Modernismus zum Durchbruch verhalf, nämlich seine Verankerung in
diesem politischen Kontext, als ein Grund für seine Ablehnung in den sechziger Jah-
ren.
108 Laurie J. Monahan belegt in ihrem Beitrag zum Sammelband Reconstructing Modernism eindrück-lich, wie die Durchsetzung der amerikanischen Kunst, in diesem Fall an einem Beispiel aus der nächsten Generation, nämlich Robert Rauschenberg, zu einer Staatsangelegenheit werden konnte (Laurie J. Mo-nahan, Cultural Cartography: American Designs at the 1964 Venice Biennale, in: Serge Guilbaut (Hg.), Reconstructing Modernism, S.369-416). 109 Guilbaut, How New York Stole, S. 177. 110 Charles Harrison, Essays on Art & Language, Cambridge, MA, 1991, S. 9.
37
Dank dieser besonderen historischen Situation entwickelte sich der Abstrakte
Expressionismus zu der Kunst des ‘freien’ Westens schlechthin und der Modernismus
zum paradigmatischen Diskurs. Die Folgen dieser Institutionalisierung für den Kunst-
bereich fasst Buchloh folgendermaßen zusammen:
„Greenberg’s reconstruction of the history of modernism (from which some of its most important contributions were deleted) had been thoroughly and successfully institutionalized. In fact, Greenberg’s reconstruction had become the doxa which, well into the 1960s, was hardly questioned by American and European critics, curators, and audiences.“111
Wenn man sich diese Tatsache vor Augen führt, ist es verständlich, dass der modernis-
tische Diskurs den primären Hintergrund für die Ansätze der Künstler der Conceptual
Art darstellte, vor dem sich der Bruch zur Postmoderne abspielte.
Auf der Seite der Kunst selbst errangen der mit dem Modernismus verbundene
Abstrakte Expressionismus und die auf diesem basierenden Malstile die uneinge-
schränkte Vorherrschaft. Robert C. Morgan beschreibt die damalige Situation wie
folgt:
„Color Field Painting, Formalist painting, and Post-Painterly abstraction (a term employed by the critic Clement Greenberg in 1963) all emanated from the same origin: the Abstract Expressionism of the fifties. By the late sixties these various styles of painting - whether by Helen Frankenthaler, Kenneth Noland, Jules Olit-ski, Larry Poons, among others - were really no longer considered avant-garde. They had become the new academy of abstract painting in the United States and Great Britain.“112
Für die jungen KünstlerInnen in den sechziger Jahren war eine Auseinandersetzung
mit dieser neuen ‘Akademie’ unumgänglich. Der Modernismus war für sie der be-
stimmende Bezugspunkt und Hintergrund ihrer Kunst, ob nun als Vorbild oder als
Feindbild. Welche inhaltlichen Implikationen der modernistische Diskurs auf der Ebe-
ne der Kunsttheorie mit sich führte, soll im folgenden Kapitel untersucht werden.
3.1.2. Greenberg und die Selbstkritik des Modernismus
In diesem Kapitel soll es zunächst darum gehen, den theoretischen Kern des modernis-
tischen Diskurses, wie er durch Clement Greenberg geprägt wurde, zu umreißen. Wie
im vorigen Abschnitt gezeigt, gelang es dem modernistischen Diskurs, seine Definiti-
111 Buchloh, Cold War Constructivism, S. 105. 112 Robert C. Morgan, Art into Ideas. Essays on Conceptual Art, Cambridge 1996, S. 3.
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on der ‘Moderne’ durchzusetzen. Diese basiert auf zwei Grundannahmen: erstens, die
Feststellung einer Tendenz in der Geschichte der modernen Kunst, dass ihre Produkte
zunehmend autothematisch werden und sich die einzelnen Gattungen auf ihre inhären-
ten Eigenschaften spezialisieren; zweitens, die absolute Gültigkeit eines ästhetischen
Formalismus bei der Bewertung der Kunstwerke. Greenbergs – auf Kants Ästhetik
basierende – Kunsttheorie,113 die die Kunst einerseits aus der Welt des Alltags heraus-
lösen will, indem sie diese in eine reine ästhetische Sphäre versetzt, während sie ande-
rerseits positivistisch einen Fortschritt der Formensprache analog zur Wissenschaft
postuliert, ist die tragende Säule dieses Diskurses. Auf welchen theoretischen Grund-
lagen Greenbergs Modell basiert, soll im Folgenden untersucht werden.
Die Fundamente von Greenbergs Kunstanschauung liegen in seiner Interpretati-
on der Geschichte der modernen Kunst als einer zielgerichteten Entwicklung begrün-
det; diese Vorstellung basiert zum Teil auf der Vorarbeit von Alfred Barr.114 Green-
berg sieht in der Moderne eine bestimmte zielgerichtete Tendenz am Werk, deren
Grundlagen das folgende Zitat prägnant zusammenfasst:
„I identify Modernism with the intensification, almost exacerbation, of this self-critical tendency that began with the philosopher Kant. [...] The essence of Mod-ernism lies, as I see it, in the use of the characteristic methods of a discipline to criticize the discipline itself – not in order to subvert it, but to entrench it more firmly in its area of competence.“115
Damit ist der erste Eckpfeiler der Kunsttheorie Greenbergs gesetzt: die Selbstkritik der
Gattungen mit ihren eigenen Mitteln, die letztlich eine immer klarere Spezialisierung
hervorbringt: „Each art had to determine, through the operations peculiar to itself, the
113 Hintergrund dieser Kunsttheorie ist Kants Kritik der Urteilskraft, bei der es sich nicht um Ästhetik im Sinne einer Analyse des Schönen in der Kunst handelt, sondern um den dritten Teil in Kants universa-lem philosophischem System. Die Basis dieses Systems bildet die Untersuchung der Grundlagen des menschlichen Erkenntnisvermögens in der Kritik der reinen Vernunft, während sich die Kritik der prak-
tischen Vernunft mit der Metaphysik der Sitten beschäftigt. Die Kritik der Urteilskraft widmet sich dem Urteilsvermögen, unter das auch das Geschmacksurteil fällt, welches die Erkenntnis des Schönen (in der Kunst und der Natur) ermöglicht. Greenberg interessiert sich in erster Linie für die Aspekte, die mit dem Geschmacksurteil verknüpft sind, dazu weiter unten mehr. Ansonsten muss es in diesem Rahmen bei diesen kurzen Anmerkungen bleiben. 114 Alfred H. Barr Jr. hat bereits 1936 in dem Ausstellungskatalog Cubism and Abstract Art diese Inter-pretation der Geschichte der Moderne entwickelt. Dort findet sich unter anderem sein berühmtes Dia-gramm der Entwicklung der modernen Kunst. In diesem werden die Elemente, die sich nicht in seine auf die Abstraktion als höchste Form der Kunst abzielende Entwicklungslogik einreihen lassen, wie z.B. Dada oder Surrealismus, an den Rand gedrängt oder mit dem Wort ‘abstrakt’ versehen (vgl.: Cubism and Abstract Art (Kat.), Alfred H. Jr. Barr (Hg.), The Museum of Modern Art, New York, 2.3.-19.4.1936). 115 Clement Greenberg, Modernist Painting, in: Gregory Battcock (Hg.), The New Art, New York 1973, S. 67.
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effects peculiar and exclusive to itself.“116 Dabei fällt der Malerei die Aufgabe zu, die
Eigenschaft (aus Greenbergs Sicht bleibt nur eine übrig) selbstkritisch zu thematisie-
ren, die gerade sie im Besonderen auszeichnet: „Flatness, two-dimensionality, was the
only condition painting shared with no other art [...].“117 Die Grundlage für die kriti-
sche Bewertung des kunsthistorischen Stellenwerts eines Werks ergibt sich aus seiner
Position in dieser historischen Entwicklung, also aus seiner Stellung zur Geschichte
der Malerei und ihrer Konventionen. Der Stellenwert orientiert sich an der Avanciert-
heit des Werks, die sich an seiner Relation zur Avantgarde ablesen lässt. Greenberg
vermag so, einen historischen Bewertungsmaßstab einzuführen, der es ermöglicht, die
Werke in die historische Kontinuität des Modernismus einzuordnen.
Greenberg arbeitet hier allerdings mit einem besonderen Avantgarde-Begriff,
den Hal Foster pointiert zusammenfasst:
„[...] for Greenberg [...] the aim of the avant-garde is not at all to sublate art into life but rather to purify art of life [...] this formalist avant-garde sought to pre-
serve what the transgressive avant-garde sought to transform: the institutional autonomy of art.“118
Diese Vorstellung einer ‘formalistischen’ Avantgarde ist eine Folge der historischen
Bedingungen, die, wie im letzten Abschnitt bereits kurz angesprochen, dazu geführt
haben, dass die Künstler zu Beginn der fünfziger Jahre versuchten, die Kunst aus der
realen, politischen Welt fernzuhalten bzw. sich in die künstlerische Autonomie zu-
rückzuziehen. Auch Greenberg, der selbst ursprünglich Trotzkist war, zieht aus dem
Scheitern der Volksfrontpolitik und der Vereinnahmung der Kunst durch den sozialis-
tischen Realismus seine Schlüsse und versucht die Moderne durch einen Rückzug in
die Sphäre der Autonomie zu retten. Dies ist in seinen Augen nur möglich, indem er
die politisch fragwürdige Erbschaft der Avantgarde entschärft. Die Implikationen, die
diese Definition für die Malerei, insbesondere für die Nachfolger des Abstrakten Ex-
pressionismus enthält, werden im Kapitel 3.1.4. erörtert.
Das Konzept der künstlerischen Autonomie basiert allerdings noch auf einer an-
deren Prämisse, nämlich der Verbindung der Tendenz zur Selbstkritik der künstleri-
schen Gattungen mit den Grundsätzen einer formalistischen Tradition der Kunstkritik.
Der Kritiker Thierry de Duve sieht diese beiden Elemente als eng verbunden an:
116 Ebd., S.68. 117 Ebd., S.69. 118 Hal Foster, The Return of the Real. The Avant-Garde at the End of the Century, Cambridge, MA/London 1996, S. 56.
40
„Thus, the tendency toward flatness, of which Greenberg takes stock as an historian,
shows itself to be inseparable from a tropism toward aesthetic value, which Greenberg
judges as a critic.“119 Der Hintergrund für den Formalismus, der als einzig relevanten
Maßstab bei der Kritik von Kunst den ästhetischen Wert der Werke anerkennt, liegt in
Greenbergs Bezugnahme auf das Geschmacksurteil im Sinne Kants. Aus seiner Sicht
sind für das Geschmacksurteil nur die rein formalen, visuellen Eigenschaften in ihrem
Zusammenspiel von Bedeutung: „Aesthetic judgments are given and contained in the
immediate experience of art.“120
Greenberg sieht dabei auf der Seite der BetrachterInnen eine notwendige Vor-
aussetzung – analog zur Autonomie des Kunstwerks – für die ‘richtige’ ästhetische
Erfahrung eines Werks: ein nicht interessegeleitetes Verhältnis zum Werk. Dieser Beg-
riff stammt aus Kants Kritik der Urteilskraft und beschreibt die Basis eines Ge-
schmacksurteils im Unterschied zu einem moralischen oder logischen Urteil.121 Damit
ist gemeint, dass die BetrachterIn ‘desinteressiert’ an ein Kunstwerk herantreten sollte,
um zu einem wirklich ‘objektiven’, rein aus der Anwendung der Urteilskraft stam-
menden Urteil über die Schönheit zu gelangen. Charles Harrison beschreibt die gravie-
renden Folgen dieser Theorie, nicht nur für die Rolle, die den BetrachterInnen zuge-
dacht ist, sondern auch für die Frage nach der Funktion und Vorgehensweise der
Kunstkritik insgesamt, folgendermaßen:
„The value of art is seen to lie in its disinterestedness, its spirituality and its unlikeness to language. From this perspective, theoretical prescription is repre-sented as ‘non-artistic’ and counter-intuitive. Critical practice devoted to any other ends than those of formal analysis and description is not disinterested or not relevant or neither disinterested nor relevant.“122
Die diskursiven Bedingungen und der Kontext der „nicht-interessegeleiteten“ Urteile
werden aus der formalen Analyse ausgeschlossen, weil sie in diesem Modell nicht Teil
der ästhetischen Empfindungen sind und somit auch nicht Teil der kritischen Beurtei-
lung eines Kunstwerkes sein können.
119 Thierry de Duve, The Monochrome and the Blank Canvas, in: Serge Guilbaut (Hg.), Reconstructing Modernism, S. 251. 120 Greenberg, Complaints of an Art Critic, in: John O’Brian (Hg.), The Collected Essays and Criticisms, Band 4, Chicago 1993, S. 265 (Erstausgabe: Artforum (New York), Vol. 6, Nr. 1, Oktober 1967, S.38ff. Dieses Zitat wird in der Diskussion der Textbilder Baldessaris in Kapitel 4.1.1. noch eine Rolle spielen. 121 „Ein jeder muss eingestehen, dass dasjenige Urteil über Schönheit, worin sich das mindeste Interesse mengt, sehr parteilich und kein reines Geschmacksurteil sei“ (Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, § 2, S. 117). 122 Harrison, Essays on Art & Language, S. 6.
41
Die problematischen Implikationen dieses auf Kant basierenden Formalismus
treten in der Frage des Kontextes deutlich zutage. Der Kritiker Charles Harrison be-
schreibt die Folgen am Beispiel der ‘neuen Malerei’ eines Frank Stella in den fünfziger
Jahren, dessen Bilder die Beschränkungen der rechteckigen Leinwand hinter sich las-
sen:
„[...] one important assumption made in this world was that works of art are self-contained things and properly regarded as such; that the ‘wall-sized painting’, for instance, is still to be criticized in terms of its ‘internal’ relations and properties and of the effects of these upon the spectator, and not in terms of its place within a certain environmental or social system.“123
Harrison weist hier auf zwei verschiedene Konsequenzen dieser Vorstellung einer kla-
ren Trennung zwischen Kunstwerk und Kontext hin. Erstens basiert die Idee des ästhe-
tischen Geschmacksurteils, welches die Basis des Formalismus darstellt, darauf, dass
sich das ästhetische Objekt klar von der umgebenden Wand abhebt und dass in seinem
Rahmen eine klare Grenze zur Umgebung vorliegt. Nur so ist es möglich, sich ganz
auf die inneren Qualitäten zu konzentrieren, die seinen ästhetischen Wert bestimmen
sollen. Die Grundlage dieser Trennung ist die Annahme einer Autonomie des Kunst-
werks von allem, was außerhalb des ästhetischen Rahmens situiert ist. Das hat zwei-
tens zur Folge, dass ein solches Urteil keinesfalls von ‘außen’ beeinflusst werden darf.
Die Konsequenz dieser Sichtweise ist, dass Kunstwerke frei von allen außerästheti-
schen, diskursiven Elementen sein müssen, seien sie sprachlich, sozial oder politisch,
um sie einer ästhetischen Beurteilung unterziehen zu können. W. J. T. Mitchell geht
noch einen Schritt weiter und sieht in der abstrakten Kunst an sich, zumindest so wie
sie Greenberg verstand, ein Projekt, dessen „[...] primary aim is the erection of a wall
between the arts of vision and those of language“.124 Mitchells zugespitzte Formulie-
rung deutet auf einen richtigen Kern hin, dass nämlich im Modernismus versucht wird,
die bildenden Künste auf ihre reine Visualität zu reduzieren und die Verbindungen zur
Sprache zu leugnen.125
Ein weiteres Problem des Geschmacksurteils als Basis einer formalistischen
Kunstkritik besteht für Greenberg in der Frage der ‘Objektivität’ eines solchen Ge-
123 Ebd., S.32. 124 W.J.T. Mitchell, Picture Theory: Essays on Verbal and Visual Representation, Chicago/London 1994, S. 213. 125 Mitchell versucht im Verlauf seiner Argumentation allerdings auch darzulegen, dass diese Trennung überhaupt nicht möglich ist, weil Sprachliches und Visuelles immer untrennbar miteinander verknüpft seien (S. 213f.).
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schmacksurteils. Schließlich zeichnet sich dieses gerade durch seine Unwillkürlichkeit
und Unmittelbarkeit aus, trotzdem nimmt er an:
„That qualitative principles or norms are there somewhere, in subliminal opera-tion, is certain; otherwise aesthetic judgments would be purely subjective, and that they are not is shown by the fact that the verdicts of those who care most about art and pay it the most attention converge over the course of time to form a consensus.“126
In diesem Zitat dreht sich die Argumentation offenkundig im Kreis: Das Geschmacks-
urteil sei nicht bloß subjektiv, weil es nicht so sein dürfe, deshalb der Verweis auf eine
transzendentale Vernunft. Die Garantie dafür stelle die Tatsache dar, dass alle Exper-
ten, wie er selbst, der gleichen Meinung seien. Damit wird impliziert, dass das Ge-
schmacksurteil eines solchen Experten (Kunstkritikers) mehr Gewicht habe als das
aller anderen zufälligen BetrachterInnen, weil den ExpertInnen mehr an der Kunst lie-
ge und sie untereinander einig seien. Eine solche Argumentation fördert allerdings die
Abschottung des Expertendiskurses:
„Aus dem Expertenstatus und der Nicht-Vermittelbarkeit des kritischen Urteils ergibt sich für modernistische Kritik das Recht, ästhetische Postulate zu verkün-den und zu erwarten, dass diesen Postulaten außerhalb des Expertendiskurses normative Gültigkeit zukommt.“127
Die Vorstellung der Kennerschaft verschafft den modernistischen Kritikern nicht nur
eine dominante Position im kunsttheoretischen Diskurs, sondern beinhaltet auch eine
bestimmte Rollenverteilung zwischen Künstler und Kritiker. Der Künstler produziert
aufgrund seines Genies Kunstwerke, die der Kritiker dann beurteilt. Der Künstler ist
weder aufgerufen noch qualifiziert, sich zu seinen eigenen oder anderen Kunstwerken
zu äußern. In diesem Kontext wird die Tragweite der Tatsache deutlich, dass es in den
sechziger Jahren die Künstler der Minimal Art selbst waren, die sich auf dem Feld der
Ästhetik mit den Kritikern des Modernismus stritten.
126 Greenberg, Complaints of an Art Critic, S. 265. 127 Thomas Dreher, Konzeptuelle Kunst in Amerika und England zwischen 1963 und 1976 (Diss.), Frankfurt 1991, S. 157.
43
3.1.3. Michael Fried und die Entwicklung des modernistischen Dis-
kurses in den sechziger Jahren
Michael Fried war die zweite bestimmende Gestalt des modernistischen Diskurses und
in den sechziger Jahren dessen prominentester Vertreter. Ein näherer Blick auf seine
Texte verdeutlicht, dass die Positionen der beiden zentralen modernistischen Kritiker
an einigen Punkten durchaus nicht deckungsgleich sind. Zwar stützt sich Frieds
Kunstkritik auf die Theorien Greenbergs, allerdings erfahren diese in seinem Denken
eine Zuspitzung, wie sich im Verlauf der Diskussion seiner Thesen erweisen wird.
Die Grundlage für Frieds kunsttheoretisches Denken zeigt sich in folgendem Zi-
tat:
„Roughly speaking, the history of painting from Manet through Synthetic Cub-ism and Matisse may be characterized in terms of the gradual withdrawal of painting from the task of representing reality – or of reality from the power of painting to represent it – in favor of an increasing preoccupation with problems intrinsic to painting.“128
Hier ist die Verbindung zum ästhetischen Modernismus, wie ihn Greenberg versteht,
mehr als deutlich: Die Geschichte der Malerei der Moderne sei geprägt durch ihre Ab-
kehr von der Wiedergabe der Wirklichkeit und ihre Beschäftigung mit intrinsischen
Problemen. Auch die Genealogie der Entwicklung, die Fried hier anreißt, deckt sich
weitestgehend mit derjenigen von Greenberg.
Michael Fried sieht in dem Projekt des Modernismus allerdings auch den Ver-
such, die große Kunst der Vergangenheit unter den neuen Bedingungen der Moderne
wieder aufleben zu lassen.129 Die Kunst befindet sich für ihn in einem Entwicklungs-
prozess, dessen einzige Bezugspunkte ihre eigenen inhärenten Qualitäten der Bildhaf-
tigkeit und deren geschichtliche Entwicklung darstellen. Kunst und Gesellschaft sind
für Fried in diesem geschichtlichen Prozess streng getrennt, es findet keine Kommuni-
kation zwischen beiden statt. Frieds Position unterscheidet sich von der Greenbergs
128 Michael Fried, Three American Painters, in: Frascina/Harrison (Hg.), Modern Art and Modernism, London 1982, S. 115. Zitiert nach: Dreher, Konzeptuelle Kunst in Amerika und England, S. 130. 129 Vgl. Fried, How Modernism Works: A Response to T.J. Clark, in: Critical Inquiry (University of Chicago Press), Vol. 9, September 1982, S. 217-234. Bei diesem Text handelt es sich um eine Antwort auf T.J. Clark, der zuvor, in seinem Aufsatz über den Modernismus (Clark, Clement Greenberg‘s Theo-ry of Art, in: Critical Inquiry, Vol. 9, September 1982, S. 139-156), die Rolle der Negation in der Ge-schichte der Avantgarde hervorgehoben hatte. Fried behauptet demgegenüber, dass die negationistische Avantgarde nur ein Nebenschauplatz war, während der Mainstream des Modernismus stets nur die Kunst weiterbringen wollte. Fried bleibt also seinem Modell der Kunst als politisch neutral, gesellschaft-lich autonom und einzig ihrem künstlerischen Fortschreiten verpflichtet treu.
44
darin, dass er der Meinung ist, dass sich die konkreten (ästhetischen) Qualitäten fort-
während ändern müssen.
Fried beschreibt den Kern dieses Modells, das auf der Vorstellung eines ästheti-
schen Fortschritts basiert, folgendermaßen:
„The most that follows from my account, and I agree that it is by no means negli-gible, is that those conventions will bear a perspicuous relation to conventions operative in the most significant work of the recent past, though it is necessary to add [...] that significant new work will inevitably transform our understanding of those prior conventions and moreover will invest the prior works themselves with a generative importance [...].“130
Jedes neue Kunstwerk finde sich also in einer Kette von Werken wieder, zu deren
Konventionen es sich in ein Verhältnis setzen müsse.131 Es muss diese überschreiten,
denn sonst gebe es keinen Fortschritt, aber gleichzeitig deren Grundlagen übernehmen,
um die von Fried angenommene Entwicklungslinie nicht zu verwischen. Damit kann
aber nur die Form von Werken ‘signifikant’ werden, die sich in dieser Entwicklungsli-
nie befindet, während Werke, die von der angenommenen Linie abweichen, a priori
nicht ‘signifikant’ sein können. Die Entscheidung darüber trifft der Kritiker, der alle
Werke, die mit den Konventionen wirklich brechen, aus diesem Wertesystem aus-
schließt, das einzig auf einer bestimmten Tradition und einer bestimmten Entwick-
lungsrichtung aufbaut.132
Die Probleme dieses Ansatzes lassen sich an der Auseinandersetzung zwischen
Michael Fried und einigen Vertretern der Minimal Art zeigen, die für die Kunstszene
Ende der sechziger Jahre einen wegweisenden Charakter hatte. Diese Debatte wurde in
den Jahren 1966 und 1967 unter anderem auf den Seiten des Artforum ausgetragen und
stellte gewissermaßen das Rückzugsgefecht der modernistischen Kunstkritik dar. Es
war kein Novum, dass sich Kritiker wie Greenberg und Fried zu den neuesten Ent-
wicklungen in der Kunstszene äußerten und neue Tendenzen, wie zuvor die Pop-Art,
kritisierten, weil diese nicht an ihre Version des Modernismus anknüpften. Neu war
aber, dass sie sich nun in einer direkten Auseinandersetzung mit den KünstlerInnen
selbst befanden, womit diese in den Augen der modernistischen Kritiker eindeutig
130 Fried, How Modernism Works, S. 227. 131 Dieses Konzept erinnert an Kublers The Shape of Time, der in diesem Buch ein ganz ähnliches Mo-dell für die Entwicklung von Kunst im Allgemeinen entwirft (vgl. George Kubler, The Shape of Time, New Haven, CN/London 1962). 132 Bei diesem positivistischen Ansatz wird die Bedeutung des gesellschaftlichen Kontexts ausgeblendet genauso wie eine Debatte über die Beurteilungskritierien, die statt dessen als überhistorisch gesetzt werden.
45
ihren Kompetenzbereich verlassen hatten. Die Tatsache, dass Fried trotzdem mit den
Künstlern Donald Judd und Robert Morris über Grundfragen der Kunst diskutierte,
stellte – aus seiner eigenen Sicht – eigentlich schon das Eingeständnis einer Niederlage
dar.133
Frieds Beitrag, der Artikel Art and Objecthood, stellt den Versuch dar, die neue-
ren Entwicklungen in der Kunst, insbesondere die Minimal Art, aus der Kunst insge-
samt auszuschließen. Er führt in diesem Text einen zentralen Aspekt seiner Theorie
ein, den Begriff des Theaters:
„The concepts of quality and value – and to the extent that these are central to art, the concept of art itself – are meaningful or wholly meaningful, only within the individual arts. What lies between the arts is theater.“134
Der Hintergrund für Frieds strikte Ablehnung des ‘Theaters’ besteht zum einen in der
bereits erörterten Doktrin, dass sich alle Gattungen innerhalb ihrer eigenen Grenzen
bewegen müssten, zum anderen darin, dass er befürchtete, dass die Minimal Art die
vom Modernismus als zentral angesehene Autonomie der Kunst aufweichen könnte,
und schließlich in der Feststellung, dass die Einbeziehung der BetrachterInnen in die
Arbeiten das in seinen Augen nötige desinteressierte Verhältnis gefährde. In Frieds
Text drückt sich aber auch die Furcht aus, auf Grund des hybriden Charakters der neu-
en Kunst könnten das durch die Kennerschaft geschulte Geschmacksurteil und damit
die ganze formalistische Kunstkritik obsolet werden.
Fried erweiterte und verschärfte mit dem Begriff des Theaters die Begrifflichkeit
des Modernismus und versuchte auf diese Weise, die in seinen Augen verkehrte Ent-
wicklung in der Kunst aufzuhalten. Im Folgenden soll sich der Blick dieser Debatte um
die Minimal Art zuwenden. Von besonderem Interesse ist dabei das Verhältnis der
Minimal Art zum Modernismus.
133 Frieds Beitrag, der auch sein vielleicht bekanntester und einflussreichster Artikel war, trug den Na-men Art and Objecthood (in: Artforum, Vol. 5, Nr. 10, Juni 1967, S. 12-23). Die anderen Beiträge waren: Donald Judd, Specific Objects, in: Contemporary Sculpture, Arts Yearbook VIII, 1965, S. 74-82; u. Robert Morris, Notes on Sculpture, Parts 1 and 2, in: Artforum (New York), Vol. 4, Nr. 6, Feb-ruar 1966, S. 42-44 u. Vol. 5, Nr. 2, Oktober 1966, S. 20-23. 134 Fried, Art and Objecthood, zit. nach: Aesthetics: A Critical Anthology, George Dickie und Richard Sclafani (Hg.), New York 1977, S. 457.
46
3.1.4. Minimal Art und Modernismus: Ein spannungsgeladenes Ver-
hältnis
Dieses Kapitel widmet sich der Frage nach der Verbindung von Modernismus und
Minimal Art, die wiederum einer der Vorläufer der Conceptual Art war. Der Kritiker
Thierry de Duve zeichnet in seinem oben zitierten Text The Monochrome and the
Blank Canvas ebenfalls den Verlauf der Debatte zwischen Fried und den Künstlern aus
der Minimal Art nach.135 Für de Duve stellt sich die ganze Diskussion als eine Ausei-
nandersetzung über die Frage dar, wie der Modernismus weitergeführt werden könnte.
De Duve stellt in seinem Text fest, dass in dieser Diskussion beide Seiten inner-
halb der Logik des Modernismus insgesamt verblieben. Donald Judds berühmter Text
Specific Objects136 stellt für ihn ein Beispiel für diese These dar:
„[...] the influence of Greenberg’s doctrine on Judd’s generation of artists was so strong that the double bind they must have felt when confronted with Stella’s black and aluminum canvases left them with no alternative other than to pursue the Modernist tradition even beyond the literal monochrome where it actually meets its end.“137
Die Minimal Art vollzog also keinen vollständigen Bruch mit der Logik des Moder-
nismus, sondern trieb die Entwicklungslogik des Modernismus auf die Spitze und da-
mit über deren Grenze hinaus. Diese Dynamik äußerte sich nach de Duve darin, dass
aufgrund der Reduktion der Malerei auf ihre immanenten Eigenschaften die Grenze
des Bildes selbst immer weiter in Richtung arbiträres Objekt verschoben wurde. Er
macht das daran fest, dass es eine Tendenz in Richtung der monochromatischen Bilder
gab, welche in gewisser Weise den Endpunkt der Entwicklung in Richtung Flächigkeit
und Kritik der Repräsentation darstellte. Diese Entwicklung hatte allerdings eine ‘na-
türliche’ Grenze, nämlich die ‘leere Leinwand’. Ein solches Kunstwerk markiert die
Grenze zwischen Bild und Objekt, steht es doch einerseits in der Entwicklungslogik
135 Gerade die Tatsache, dass de Duve selbst aus einer Position heraus schreibt, die dem Modernismus (bzw. Formalismus) nahesteht, macht diesen Text in diesem Kontext so fruchtbar, weil de Duve sich nicht auf die Seite der Minimal Art-Künstler stellt, sondern ihre Position kritisch hinterfragt. Er stellt sich zwar nicht ausdrücklich in die Tradition des Modernismus, aber er beharrt doch auf der Zentralität des ästhetischen Urteils und damit auf einer der Hauptkategorien modernistischer Kunstkritik. 136 Judd selbst verstand diesen Text als eine Art Manifest für die eigene Kunst, das gleichzeitig auch die neueren Entwicklungen in der Kunst dieser Zeit insgesamt einbezieht. 137 De Duve, The Monochrome and the Blank Canvas, S. 268.
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der Reduktion des Bildes auf seine Flächigkeit, während es andererseits aber auch ein
Nicht-Bild darstellt – ein unbearbeitetes Objekt.138
Für de Duve handelt es sich bereits bei Stellas Stripe Paintings von 1959 um den
entscheidenden Schritt in Richtung der Grenze der Entwicklungslogik, das die nach-
folgenden Generationen, in erster Linie die KünstlerInnen der Minimal Art, genau wie
die modernistischen Kritiker vor ein schwerwiegendes Problem stellte:
„They [die späteren Minimal Künstler, I.M.] must have felt that it was impossible to be significant artist without being a painter and at the same time it was impos-sible to pursue Modernist painting without going beyond the monochromatic lit-eral flatness of Stella’s black and aluminum paintings.“139
Aus dieser Aporie erklärt sich de Duve den Versuch der Minimal Art, Objekte zu
schaffen, die Bilder sein sollten, obwohl es sich ‘offensichtlich’ um keine handelte.
Diese Aporie fand ihren Niederschlag nicht nur in den eigentlichen Arbeiten, sondern
prägte darüber hinaus auch die theoretische Diskussion zwischen den Künstlern der
Minimal Art und den modernistischen Kritikern, insbesondere Fried, die auf diese
Weise an der Geschichte der Minimal Art mitschrieben.
De Duve sieht in den beiden zentralen Begriffen ‘Modernismus’ und ‘Formalis-
mus’, die gemeinsam die Pfeiler des modernistischen Diskurses bildeten, den Grund
für die Ablehnung der modernistischen Kritiker gegenüber der Lösung der Aporie, die
die Minimal Art vorschlug. Er definiert die beiden Begriffe, auf Greenbergs Theorie
aufbauend, folgendermaßen:
„[...] I shall reserve the name ‘Modernism’ to designate Modernism as specific self-criticism and I shall use the name ‘Formalism’ to designate Modernism as generic quality (art as art). As far as painting is concerned, ‘Modernism’ thus re-fers to its specific tendency to assert the flatness of its medium, and ‘Formalism’ refers to its tropism toward aesthetic value as such.“140
De Duve versucht hier also zwischen dem ‘Modernismus’ als Selbstkritik, also der
Tendenz der Malerei, sich auf ihre spezifischen Eigenschaften, in erster Linie die Flä-
138 Diese Wahrnehmung einer Grenze der Logik des Modernismus, die nicht überschritten werden kann, zeigte sich bereits in den sechziger Jahren als Ausdruck einer bestimmten krisenhaften Stimmung in der Kunstszene, wie sie z.B. in Umberto Ecos Das offene Kunstwerk zum Ausdruck kommt (vgl. Kap.2.). Es handelt sich dabei um eine alternative Sichtweise zu der de Duves, denn Eco geht von bestimmten bild-immanenten Entwicklungen aus, die mehr oder weniger unabhängig von der Intention der einzelnen Künstler wirksam werden, weil sie für ihn mit dem Bild als Informationsträger verbunden sind. Außer-dem weicht Eco in der Frage der Bewertung deutlich von de Duve ab, denn er sieht in dieser Grenze der Entwicklung in erster Linie die Chance für eine Neuorientierung der Kunst, eben das ‘Offene Kunst-werk’, ohne dass er dieses eindeutig definieren kann. 139 De Duve, The Monochrome and the Blank Canvas, S. 247. 140 Ebd., S. 256.
48
chigkeit, zu beziehen, und dem ‘Formalismus’ als der Vorstellung einer L’art pour l’art
bzw. einer rein ästhetischen Beurteilung von Kunst, zu unterscheiden. Beide Tenden-
zen bildeten zusammengenommen den Diskurs des Modernismus insgesamt. Die
Selbstkritik, d.h. der Bezug auf die bildeigenen Eigenschaften wie Flächigkeit, unter-
liegt dabei einer bestimmten historischen Entwicklung, in die sich jedes neue Bild
immer wieder einfügen lassen muss, damit eine ästhetische Beurteilung überhaupt
möglich wird.
Angesichts des bereits angedeuteten Problems der ‘leeren Leinwand’, das sich in
den Bildern eines Stella und noch deutlicher in den Arbeiten der Minimal Art abzeich-
net, wurden beide Begriffe aus der Sicht der modernistischen Kritiker unvereinbar.
Schließlich bestanden Greenberg und Fried – genauso wie de Duve selbst – auf der
Rettung des ästhetischen Geschmacksurteils: „[...] aesthetic judgment is still necessary.
[...] and one is forced to allow for an art that is no longer outcome of its specific his-
tory, a generic art. Modernism [...] would have to be abandoned.“141 Der ‘Modernis-
mus’ als übergreifender Begriff für den modernistischen Diskurs kann – nach de Duve
– nur durch die Aufgabe des ‘Modernismus’ im Sinne der geschichtlichen Tendenz der
Selbstkritik der jeweiligen Gattungen gerettet werden, weil diese aus seiner Sicht die
Grenze ihrer Entwicklung erreicht hatte.
Der Hintergrund für die hart umkämpfte Diskussion über den nominellen Status
der Objekte der Minimal Art besteht nach de Duve also darin, dass beide Lager auf
ihre Weise versuchten die modernistische Logik zu retten. Dabei standen sich letztend-
lich die Vertreter der Minimal Art, die diese Objekte in einer anders akzentuierten Ge-
schichte der Moderne verankern wollten, und die modernistischen Kritiker gegenüber,
die diese Objekte nicht als Kunst akzeptieren wollten, um ihre Version des Modernis-
mus, die auch dessen Bezug auf das ästhetische Urteil einschloss, zu verteidigen.
De Duve hat zweifellos Recht, wenn er einen dominanten Einfluss des modernisti-
schen Diskurses gerade auf der grundlegenden Ebene der künstlerischen Prämissen auf
die Minimal Art diagnostiziert. Die bahnbrechende Errungenschaft dieser Kunstrich-
tung besteht aber gerade darin, dass sie trotzdem die modernistische Tradition, in der
sie verortet war, überwunden hat. De Duve sieht allerdings genau darin das Problem,
denn die von ihm konstatierte Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass: „Art fades
into ‘art theory’“.142 Mit diesem Begriff verweist de Duve auf die Conceptual Art, die
141 Ebd., S. 261. 142 Ebd., S. 272.
49
für ihn die reduktionistische Logik der Minimal Art in aller Konsequenz auf die Spitze
trieb. Joseph Kosuth, dessen Bezugnahme auf Donald Judds Arbeiten und Texte von
ihm selbst betont wird und dessen Verhältnis zum Modernismus für diese Arbeit von
zentralem Interesse ist, steht für ihn stellvertretend für die Tendenz der zunehmenden
Theoretisierung der Kunst, die in seinen Augen den Bereich der Kunst verlässt.143
Die Rolle der Minimal Art kann man aber unter den gleichen Vorzeichen auch in
einer anderen Weise interpretieren, wie es der Kunstkritiker Hal Foster unternimmt.
Auch er sieht eine eindeutige Verbindung zwischen Minimal Art und Modernismus:
„[...] Judd reads the putatively Greenbergian call for an objective painting so literally
as to exceed painting altogether in the creation of objects.“144 Der Modernismus eines
Greenberg übernimmt dabei die Funktion der Ausgangsbasis der ästhetischen Theorie
von Judd bzw. der Folie, vor deren Hintergrund sich die Minimal Art positionieren
musste. Allerdings vollzogen Judd bzw. die Minimal Art einen entscheidenden Schritt,
indem die Thesen Greenbergs aus dem Bereich der Malerei auf die Herstellung von
Objekten insgesamt übertragen wurden. Das Interesse dieser Kunstrichtung lag darin,
den erkenntnistheoretischen Bedingungen von Kunst überhaupt nachzuspüren und auf
diese Weise eine Selbstkritik der modernen Kunst zu betreiben. Minimal Art wurzelt
also in der modernistischen Vorstellung einer künstlerischen Selbstkritik, die aber den
Rahmen der jeweiligen Gattung hinter sich ließ, weshalb sie in Frieds Augen zum
Theater wurde. Damit kommt der Minimal Art für Foster eine sehr bedeutende Funkti-
on in der Entwicklung der Kunst zur Postmoderne zu: „In this genealogy minimalism
will figure not as a distant dead end but as a contemporary crux, a paradigm shift to-
ward postmodernist practices that continue to be elaborated today.“145 Für Foster steht
die Minimal Art also für den Beginn eines Paradigmenwechsels, der sich bis heute
vollzieht.
Die Minimal Art wurde einerseits, trotz der späteren Aussagen und Ansprüche
ihrer Vertreter,146 nicht als bewusstes Gegenprojekt zum Modernismus ins Leben geru-
fen, auch wenn sie in verschiedener Hinsicht dessen Grundlagen in Frage stellte, z.B.
durch ihr Interesse für den russischen Konstruktivismus als eine der Kunstrichtungen,
143 Das Verhältnis von Kosuth zum Modernismus wird in Kapitel 4.1.1. wieder aufgegriffen. 144 Foster, The Return of the Real, S. 44. 145 Ebd., S. 36. 146 Charles Harrison übernimmt z. B. die Sicht der Künstlergruppe Art & Language, die in der Entwick-lung der Minimal Art und der Conceptual Art von Beginn an diese Frontstellung gegen den Modernis-mus am Werk sieht (vgl. Harrison, Essays on Art & Language).
50
die aus dem Kanon des Modernismus verdrängt wurden. Andererseits handelte es sich
auch nicht um die ‘letzte’ gescheiterte Avantgarde, die im Versuch, die Logik des Mo-
dernismus zu retten, diese statt dessen überdehnte, wie es de Duve hier vertritt. Die
Minimal Art – man kann hier Hal Foster nur zustimmen – zeichnete sich gerade da-
durch aus, dass sie sich an dieser historischen Position eines Vermittlers befand, einer-
seits noch in der modernistischen Logik verankert, andererseits als der erste Schritt hin
zu einer ‘post-modernistischen’ Kunst, die im Vollzug der modernistischen Logik, im
Verfolgen der Tradition über deren ‘Ende’ hinaus, den Bruch erreichte. Das folgende
Kapitel 3.2. wird sich der Conceptual Art widmen und verdeutlichen, in welcher Wei-
se diese das Erbe des Modernismus aufnahm und die u.a. von der Minimal Art begon-
nene Selbstkritik der Kunst weiterführte.
51
3.2. Versuch der Historisierung der Conceptual Art
In den letzten Jahren entwickelte sich eine neue Tendenz der Historisierung der Con-
ceptual Art, die sich nicht zuletzt in den beiden 2002 erschienenen Überblicksbänden
zu dieser Kunstrichtung äußert. Beide tragen den Titel Conceptual Art und sind Teil
einer Reihe von Texten zu den künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts;147
daneben steht ein weiteres Buch mit demselben Titel, das bereits 1998 erschien.148
Eingeleitet wurde diese Historisierung in erster Linie von zwei Ausstellungen: 1965-
1975: Reconsidering the Object of Art in Los Angeles 1995-96149 und Global Concep-
tualism. Points of Origin 1950s-1980s in New York 1999.150 Beide Ausstellungen wa-
ren vom Versuch geprägt, das herkömmliche Bild der Conceptual Art als einer Kunst-
richtung der US-Ostküste mit einigen britischen Akteuren zu revidieren und die Gren-
zen der Conceptual Art neu zu bestimmen. In diesem Zusammenhang sollte auch die
documenta X erwähnt werden, denn auch dort wurde versucht, die historische Leistung
der Conceptual Art für die Kunst der Gegenwart fruchtbar zu machen.
Wie sich bereits im Titel zeigt, wurde in der Ausstellung Reconsidering the Ob-
ject of Art versucht, das Problem einer Definition dadurch zu umgehen, dass der Beg-
riff Conceptual Art vermieden wurde – eine Taktik, die die Mitorganisatorin Anne
Rorimer auch in ihrem Überblicksbuch zur Conceptual Art anwendet, das sich einfach
New Art in the 60s and 70s nennt.151 Für die Ausstellung Global Conceptualism in
Queens war der Titel auch gleichzeitig Programm: Aus der Conceptual Art wurde der
Global Conceptualism, der weltweit alle Kunstrichtungen, die sich nicht an den tradi-
tionellen künstlerischen Formen Malerei oder Skulptur orientierten oder diese zumin-
dest in einer untraditionellen Weise einsetzten, umfasst. Die Trennschärfe einer derar-
tig offenen Definition ist selbstredend äußerst begrenzt, und die durchaus wahrnehm-
baren Unterschiede zwischen den verschiedenen Vertretern eines solchen ‘Conceptua-
lism’ dürften insgesamt größer als ihre Gemeinsamkeiten sein.
147 Es handelt sich um: Peter Osborne, Conceptual Art, London 2002; und um: Paul Wood, Conceptual Art, aus der Reihe Movements in Modern Art, London 2002. 148 Tony Godfrey, Conceptual Art, London 1998. 149 Die Ausstellung wurde von Ann Goldstein und Anne Rorimer kuratiert und fand vom 15. Oktober 1995 bis zum 4. Februar 1996 im Museum of Contemporary Art in Los Angeles statt. 150 Für diese zeichnete Luis Camnitzer verantwortlich, und sie fand im Queens Museum of Art statt. 151 Anne Rorimer, New Art in the 60s and 70s: Redefining Reality, London 2001.
52
Das Gegenmodell zu dieser Ausweitung der Conceptual Art kann aber nicht in
einer übermäßigen Einschränkung bestehen, wie der Kritiker Benjamin H.D. Buchloh
zu Recht kritisiert:
„To historicize Concept[ual] Art [...] at this moment [...] requires more than a mere reconstruction of the movement’s self-declared primary actors or a schol-arly obedience to their proclaimed purity of intentions and operations.“152
Die Position, die sich einzig auf die Gruppe der selbst ernannten Hauptvertreter kon-
zentriert, hat, unter anderem auch durch die erwähnten Ausstellungen, viel von ihrem
Einfluss verloren und wird in erster Linie von einigen Kritikern bzw. Künstlern vertre-
ten, die selbst zu dieser Gruppe gehörten. Neben Joseph Kosuth, der einen klaren
Trennstrich zwischen der ‘wirklichen’ Conceptual Art und der bloß ‘morphologi-
schen’153 zieht, ist es in erster Linie der Kritiker Charles Harrison, der anhand der Kri-
terien der Künstlergruppe Art & Language bestimmt, ob ein Künstler oder eine Künst-
lerin in die Reihen der Conceptual Art aufgenommen werden kann oder nicht.154 Die-
ser Ansatz findet teilweise auch in der Kunstwissenschaft Anklang, wo entweder, wie
bei Dreher, das theoretische Gerüst einer Künstlergruppe übernommen wird,155 oder,
wie bei Tragatschnig oder Morgan, andere Theorien oder Philosophien zur Anwen-
dung kommen, deren Verbindung zu den Arbeiten aber nicht überzeugend hergeleitet
werden kann.156
Ziel dieses Kapitels ist es, die Conceptual Art zwischen den beiden Polen der
übermäßigen Ausdehnung und Eingrenzung zu verorten, allerdings ohne den An-
spruch, eine endgültige Definition zu liefern, die in der Lage wäre, dem vielschichti-
gem Phänomen Conceptual Art gerecht zu werden; zumal sich diese Arbeit auch nicht
als eine historische Aufarbeitung der gesamten Conceptual Art versteht.157 Aus diesem
152 Buchloh, Conceptual Art 1962-1969: From the Aesthetic of Administration to the Critique of Institu-tions, in: October 55, Winter 1990, S. 107-108. 153 Kosuth versucht mit diesem Begriff, die in seinen Augen einzig wirklich konsequente Form der Con-ceptual Art, die sich in seiner Kunst manifestieren soll, von den konzeptuellen Tendenzen im Allgemei-nen zu trennen: „[...] the reasoning behind the notion of such a tendency, I am afraid, is still connected to the fallacy of morphological characteristics as a connective between what are really disparate activities.“ (Joseph Kosuth, Art After Philosophy, in: Art After Philosophie and After: Collected Writings 1966-1990, Cambridge, MA u. London, 1991, S. 26. (Erstausgabe in: Studio International (London) 178, Nr. 915, Oktober 1969, S. 134-137; Nr. 916, November 1969, S. 160-161; Nr. 917, Dezember 1969, S. 212-213). 154 Vgl. Harrison, Essays on Art & Language. 155 Vgl. Dreher, Konzeptuelle Kunst in Amerika und England. 156 Für eine kurze Diskussion der Arbeiten von Tragatschnig (Konzeptuelle Kunst: Interpretationspara-
digmen) und Morgan (Conceptual Art. An American Perspective u. Art into Ideas) siehe Kapitel 1. 157 Für einen Überblick sei noch einmal auf die oben erwähnten Bücher von Osborne, Godfrey und Ro-rimer hingewiesen, sowie auf: Reconsidering the Object of Art: 1965 - 1975, (Kat.) Ann Goldstein und
53
Grund kann die historische Betrachtung nur kursorischer Art sein, wobei einige der
prominentesten Eigenschaften aufgezeigt werden, um den Kontext, in dem sich Bal-
dessaris Arbeiten bewegen, zu verdeutlichen und damit den Rahmen für die Einzelana-
lysen im nächsten Kapitel abzustecken.
3.2.1. Fragen der Grenzziehung: Conceptual Art oder Conceptua-
lism?
Wie lässt sich nun das Phänomen der Conceptual Art bestimmen? Welchen Zeitrah-
men kann man ansetzen? Wie bereits dargelegt, bewegen sich die Antworten auf diese
Fragen zwischen zwei Polen: auf der einen Seite eine an der analytischen Philosophie
orientierte Künstlergruppe, die räumlich (auf New York bzw. London), zeitlich (1966-
1972) und personell (wenige ‘wahre’ Vertreter: Art & Language, Joseph Kosuth, Law-
rence Weiner, Douglas Huebler, Robert Barry u.a.) genau eingegrenzt war, und auf der
anderen Seite eine globale und bis heute wirksame Bewegung, die mit den Grundlagen
der traditionellen (modernistischen) Kunst gebrochen hat und deren Wurzeln sich bis
zum Anfang des Jahrhunderts erstrecken. Bei der zweiten Variante wird die eigentliche
Conceptual Art auf einen kleinen, auf den Westen und die Zeit von ca. 1965-1975 be-
schränkten Teil eines ‘Global Conceptualism’ reduziert.
Im Fokus dieser Arbeit steht die westliche Kunst, besonders die der USA. Das
liegt zum einen darin begründet, dass Baldessari ein amerikanischer Künstler ist und
für ein Verständnis seiner Arbeiten in erster Linie das Umfeld, in dem er sich damals
bewegte, relevant ist.158 Zum anderen gilt es, darauf hinzuweisen, dass viele der in den
späteren Ausstellungen oder Überblicksbänden, die sich auf einen Conceptualism be-
ziehen, erwähnten Künstler zu dieser Zeit nicht Teil des Diskurses der westlichen
Kunst waren und deshalb nur retrospektiv auf die hier diskutierten Arbeiten bezogen
werden können.159 Schließlich fanden sich, vergleicht man etwa die Conceptual Art in
Anne Rorimer (Hg.), The Museum of Contemporary Art, Los Angeles 15.10.1995-4.2.1996, Cambridge, MA/London 1995. 158 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang das ‘kulturelle Ambiente’, in dem sich die Künstler be-wegten. Aus diesem Grund sind für diese Arbeit auch einige nicht US-amerikanische Künstler relevant, etwa On Kawara, Jan Dibbets und eine ganze Reihe britischer Künstler, z.B. Victor Burgin. 159 In einigen osteuropäischen Staaten arbeiteten tatsächlich eine Reihe von Künstlern, wie etwa der Tscheche Milan Knizak oder der Pole Jaroslaw Kozlowski, dessen Arbeit Metaphysics (1972) einen Text und eine Fotografie in einer Weise verbindet, die zeitgenössischen konzeptuellen Arbeiten aus dem Westen sehr ähneln. Godfrey weist auch darauf hin, dass diese Künstler keineswegs ahnungslos oder
54
Lateinamerika und in den USA, neben den zweifellos vorhandenen Gemeinsamkeiten
in den diskursiven Formen und der Gestalt der Arbeiten schon in den Grundansätzen
entscheidende Unterschiede. Ausschlaggebend waren dabei die unterschiedlichen ge-
sellschaftlichen Bedingungen.160 Peter Osborne fasst dies folgendermaßen zusammen:
„In Brazil and Argentina, where military coups had toppled constitutional re-gimes in 1964 and 1966 respectively, it is impossible to distinguish an art of cul-tural appropriation and intervention from an explicitly political art [...]. Avant-garde activity centred on artistic and political interventions into systems of mass communication, of a far more direct and public kind than the discreet modifica-tions of magazine formats within the art world by Graham and Smithson.“161
Die lateinamerikanische Conceptual Art war also durch eine wesentlich direktere poli-
tische Ausrichtung bei einem gleichzeitig wesentlich repressiveren gesellschaftlichen
Klima geprägt. Viele Arbeiten waren folglich direkt auf politische Kämpfe bezogen162
oder setzten sich mit Fragen der Zensur und der subversiven Kommunikation ausein-
ander.163
Gegen eine übermäßige Ausweitung der Conceptual Art in zeitlicher Hinsicht
spricht, dass sich bei der Betrachtung der Entwicklungen in der westlichen Kunstwelt
in den sechziger Jahren ein markanter Bruch zeigt. Wie im letzten Kapitel dargelegt,
gab es in den USA mit der Minimal Art bereits eine grundlegende Neudefinition des-
sen, was ein Kunstwerk ist bzw. sein kann, auch wenn diese weder, wie es etwa Ko-
suth oder Harrison behaupten, einen völligen Bruch mit den Prämissen des Modernis-
mus vollzog, noch den einzigen Bezugspunkt für die Conceptual Art darstellte.164 Ale-
naiv waren, sondern meist über die künstlerische und intellektuelle Entwicklung im Westen informiert waren. So wurde Roland Barthes’ Mythologies vor dem Englischen bereits ins Polnische übersetzt (vgl. Godfrey, Conceptual Art, S. 273). 160 Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen wirkten sich auch auf die sowjetische konzep-tuelle Kunst aus, die sich nicht mit einem dominanten Modernismus, sondern mit dem sozialistischen Realismus auseinandersetzen musste. Aus dieser gänzlich anders gelagerten Frontstellung ergaben sich notwendigerweise andere konzeptuelle Formen, z.B. eine ironisierte Übertreibung des sozialistischen Realismus, wie bei den Künstlern Vitaly Komar und Aleksander Melamid (vgl. Godfrey, Conceptual Art, S. 269). 161 Osborne, Conceptual Art, S. 37. 162 Beispiele dafür bilden das Manifest A Media Art, das 1966 in Argentinien erschien und das einen direkten Eingriff in die Realität der Medien propagierte (vgl. Osborne, Conceptual Art, S. 37), und die Grupo de Aritistas de Vanguardia, die sich 1968 in Argentinien bildete und sich direkt auf gewerkschaft-liche Kämpfe bezog, z.B. in der Arbeit Tucumán Arde (Tucamán brennt, 1968). 163 Ein Beispiel dafür ist Insertions into Ideological Circuits: Coca-Cola Project des Brasilianers Ceirlo Meirles von 1970, bei diesem Projekt brachte er Kommentare zur brasilianischen Politik in weißer Farbe auf leere Coca-Cola Pfandflaschen an, die fast unsichtbar blieben, bis sie wieder, vor dem Hintergrund der brauen Flüssigkeit, lesbar wurden. Diese Arbeit erinnert nicht zufällig an Formen der subversiven Kommunikation zwischen Häftlingen o.ä., denn der Rahmen ist eine Militärdiktatur, mit einer Zensur und einem Unterdrückungsapparat, die einer konzeptuellen Kunst abverlangen, eine ‘praktische’ Seite zu entwickeln, die sie in den USA oder Europa nicht nötig hat. 164 Vgl. Kap. 3.1.4.
55
xander Alberro etwa legt dar, dass sich selbst bei Kosuth Bezüge zur Pop-Art und be-
sonders zu Warhol finden lassen:
„In the late 1960s, the young artist [Kosuth] took up many of the characteristics of Warhol’s practice that had been found shocking and scandalous earlier in the decade – e.g., the employment of mechanical production and seriality, the appli-cation of the concept of anonymity in aesthetic execution, the fusion of mass and high cultural realms.“165
Trotz dieser offensichtlichen Parallelen gibt es selbstredend einige entscheidende Un-
terschiede zwischen Pop-Art und Conceptual Art, die im Verlauf der theoretischen
Auseinandersetzung und der Analyse der Arbeiten Baldessaris noch näher betrachtet
werden.
Die Verbindungen zu Fluxus sind ebenfalls vielfältig. Schließlich erschien der
Begriff ‘Concept Art’ zum ersten Mal bereits 1961 als Titel eines Artikels des Fluxus-
Künstlers Henry Flynt. Er definiert ‘Concept Art’ folgendermaßen:
„Concept art is first of all an art of which the material is concepts, as the material of e.g. music is sound. Since concepts are closely bound up with language, con-cept art is a kind of art of which the material is language.“166
Flynts Definition bezieht sich in erster Linie auf die Vorstellung von grundlegenden
(mathematisch-philosophischen) Strukturen, die etwa die Musik prägen und die er e-
benfalls in der Mathematik am Werk sieht. Letztendlich geht es ihm um eine Verbin-
dung zwischen Mathematik und Schönheit: „[...] on a deeper level, interesting con-
cepts, concepts enjoyable in themselves, especially as they occur in mathematics, are
commonly said to have beauty.“167 In diesem Ansatz liegt auch der größte Unterschied
zur Conceptual Art: Obwohl Flynt diesen Begriff verwendet und auch die Vorstellung
einer Kunst, deren Material die Sprache ist, manchen Künstlern der Conceptual Art
recht nahekommt, trennen ihn doch sein Interesse an der Schönheit der Konzepte e-
benso wie sein stark mathematisch geprägter Ansatz grundlegend von jenen. Lucy
Lippard weist auf diese Tatsache hin: „[...] few of the artists with whom I was in-
volved with knew about it [Flynts Concept Art], and in any case it was a different kind
of ‘concept’“.168 Dass mit solchen historischen Vorläufern vorsichtig verfahren werden
sollte, liegt auf der Hand, darauf weist zu Recht auch Paul Wood hin:
165 Alexander Alberro, Conceptual Art and the Politics of Publicity, Cambridge, MA, 2003, S. 30. 166 Henry Flynt, Concept Art, 1961, zit. in: Art conceptuel, formes conceptuelles (Kat.), 1990, S. 8 (Hervorhebungen im Original). 167 Ebd. (Hervorhebungen im Original). Flynts Text, der die Form eines Gedankenexperiments und nicht eines umzusetzenden Modells hat, ist stark von der analytischen Philosophie beeinflusst. 168 Lucy Lippard, zit. in: Wood, Conceptual Art, S. 8.
56
„[...] we have to be wary of making plausible-sounding art historical connections that may have had less impact on the actual making of art at the time than retro-spective genealogists would like.“169
Andererseits war Fluxus, wenn man Peter Osborne Glauben schenken will, insgesamt
wesentlich wichtiger für die Conceptual Art, als in den meisten historischen Analysen
angenommen wird. Osborne geht sogar so weit, neben Robert Morris’ Card File
(1963) eine Arbeit von Yoko Ono (Instructions for Paintings, 1962) (Abb. 10) als die
erste Arbeit der Conceptual Art zu bezeichnen.170 Onos Arbeit besteht aus einer auf
Papier geschriebenen Anweisung für das Anfertigen eines Bildes, wie sie bei den Flu-
xus-Künstlern in Verbindung mit Performances oft vorkommt, mit dem Unterschied,
dass Ono nur die Anweisung ausstellte. Die Arbeit bekommt dadurch zweifellos eine
Form, die Arbeiten von Lawrence Weiner ähnelt, einmal, indem eine sprachliche Aus-
sage die materielle Arbeit ersetzt, und zweitens, indem die Künstlerin die Ausführung
einer anderen Person überließ, um sich der klassischen Rolle der Künstlerin bzw. des
Künstlers zu entziehen. Andererseits ist es nicht unerheblich, dass sie die Anweisung
auf Japanisch von ihrem damaligen Mann kalligraphieren ließ.
Osborne räumt ein, dass dieses Faktum eine wichtige Rolle gespielt hat: „[It
was] the decorative tradition of calligraphic display, which [...] was probably nonethe-
less the historical condition of possibility of their exhibition.“171 Durch die Verwen-
dung der Kalligraphie wird diese Arbeit in einen ganz anderen (ästhetischen) Kontext
versetzt, nämlich die Tradition der Kalligraphie, in der die Präsentation von Sprache
keinen Bruch mit dem ästhetischen Code darstellt. Auch wenn Ono später diese An-
weisungen auch auf Englisch in Buchform veröffentlichte, stellt sich die Frage, ob
nicht ein entscheidender Unterschied zwischen einem Text in einem Buch und einem
Textbild von Baldessari oder Kosuth besteht. Trotz der offensichtlichen Nähe und der
nicht zu leugnenden Bedeutung von Fluxus als Vorläufer bleiben die Differenzen be-
stehen, die sich im Verlauf der theoretischen Auseinandersetzung mit der Conceptual
Art deutlicher abzeichnen werden.172
169 Ebd. 170 Osborne, Conceptual Art, S. 21. 171 Ebd., S. 22. Für die entscheidende Rolle der kalligraphischen Tradition spricht auch, dass diese Aus-stellung im Mai 1962 im Sogetsu Art Center in Tokyo stattfand. 172 Ziel dieser Arbeit ist es nicht, einen detaillierten historischen Vergleich mit Fluxus anzustellen. Das Personal der beiden Richtungen und auch die meisten Ausstellungen blieben jedenfalls im Großen und Ganzen separat. Fluxus arbeitete zudem mehr mit musikalischen Konzepten wie Notationen, die mit Performances verbunden wurden, woraus sich die meist unsinnigen Handlungsanweisungen entwickel-
57
In der Literatur wird Working Drawings and Other Visible Things on Paper Not
Necessarily Meant To Be Viewed as Art aus dem Jahr 1966 von Mel Bochner meist als
die erste Ausstellung der Conceptual Art angeführt: „This exhibition [...] has often,
with good reason, been cited as the first exhibition specifically of Conceptual art.“173
Bochners Ausstellung bestand aus Ordnern mit kopierten Papieren (Zeichnungen, Dia-
grammen oder Notizen), die auf Sockeln mitten im Raum angebracht waren. Die ent-
scheidende Frage ist in diesem Zusammenhang nicht, ob wir es hier mit der ersten oder
einer der ersten Ausstellungen der Conceptual Art zu tun haben, ob Kosuth bereits
1965 seine erste konzeptuelle Arbeit herstellte, auch wenn er diese nicht ausgestellt
hat, oder ob Robert Morris’ Card File von 1963 die erste konzeptuelle Arbeit war,174
sondern welche Konsequenzen diese Art der Präsentation für die Kunstwelt hatte.
Godfrey hält einige der wichtigsten Punkte folgendermaßen fest:
„The viewer became a reader, an active participant: as there was no immediately obvious art on show, the readers had to make or deduce the art experience for themselves. There was also some doubt about the authorship: was this all Bochner’s work?“175
Dieses kurze Zitat verweist bereits auf einige der zentralen Fragestellungen der Con-
ceptual Art, die im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen müssen:
Erstens findet eine entscheidende Veränderung in der Rolle der BetrachterInnen
statt; der einfühlende Blick des Kenners, der sich, geleitet durch das ästhetische Ge-
schmacksurteil, in das Bild versenkt, wird abgelöst durch die Anforderung einer Lek-
türe, die den aktiven Einsatz, also die Mitarbeit der BetrachterInnen, erfordert. Denn
diese finden sich nicht mehr einem fertigen Kunstwerk gegenüber, sondern Dokumen-
ten oder Fragmenten, die auf ein ideelles, erst in ihren oder seinen Gedanken zu voll-
endendes ‘Werk’ verweisen. Insofern ist Godfreys Rede von der ‘Kunsterfahrung’,
zumindest im klassischen Sinn, irreführend.
ten. Insofern bildeten die Anweisungen von Ono für das Anfertigen eines Bildes tatsächlich eine Aus-nahme. 173 Godfrey, Conceptual Art, S. 116. Vgl. Buchloh, Administration, S. 109; oder Osborne, der sie als: „[...] inauguration of process-based conceptual art in the New York art world“ (Osborne, Conceptual Art, S. 25) bezeichnet. 174 Diese Frage ist in der Literatur und besonders bei den Protagonisten selbst sehr umstritten, spielt allerdings meines Erachtens bei der Bewertung der Conceptual Art als künstlerisches Phänomen keine entscheidende Rolle, zumal es an dieser Stelle auch nicht um eine detaillierte historische Aufarbeitung gehen soll. Dafür sei auf die einschlägigen Überblicksarbeiten z.B. von Godfrey oder Osborne verwie-sen. Für einen genaueren Blick auf Kosuth und die New Yorker Gruppe sei auf die bereits erwähnte Arbeit von Alexander Alberro (Conceptual Art and the Politics of Publicity) zu Seth Siegelaub und seinen Einfluss auf die Entstehung der Conceptual Art verwiesen. 175Godfrey, Conceptual Art, S. 116.
58
Zweitens verschwinden die Kunstwerke in der traditionellen Form als ‘Werk’,
d.h. als geschlossene Sinneinheit, und werden durch Arbeiten, also prozessuale, offene
‘Objekte’ bzw. Dokumentationen, ersetzt. Dieser Aspekt findet sich meist unter dem
Begriff der ‘Dematerialisierung’ in der Literatur als das zentrale Element der Concep-
tual Art.
Drittens nennt Godfrey in seinem Zitat die Frage der Autorschaft. Er verweist
damit auf die Neudefinition der Rolle der KünstlerInnen in der Conceptual Art, die
sich vom traditionellen Künstlerbild dadurch abhebt, dass sie oder er die Arbeit nicht
mehr selbst ausführen muss. Auf diese Weise wird der schöpferische, geniale Künstler,
dessen aus seinem Innersten drängende kreative Kraft sich unmittelbar in den Kunst-
werken entlädt, durch eine intellektuelle, planende Instanz ersetzt. Diese Kernideen der
Conceptual Art werden im Verlauf der Arbeit immer wieder zur Sprache kommen. Im
Folgenden sollen zunächst aber noch einige Beispiele für diese ‘Bewegung’ vorgestellt
werden.
Die Zeit nach 1966 zeichnete sich durch einen unaufhaltsamen Aufstieg dieser
neuen Richtung aus, die sich ausgehend von New York und der Gruppe um Siegelaub
zur führenden ‘Bewegung’ in der westlichen Kunst dieser Zeit aufschwang. Dieser
Erfolg gründete zweifellos auch auf dem parallelen Anwachsen der neuen sozialen
Bewegungen, beispielsweise gegen den Vietnamkrieg, mit denen sich zumindest Teile
der Conceptual Art verbunden fühlten.176 Aber auch wenn diese Verbundenheit nicht
immer zu direkter Beteiligung an politischen Aktionen führte, sahen viele Künstler in
ihrer Kunst einen politischen Kern:
„[Lawrence] Weiner was not alone in believing that leveling cultural and social barriers, addressing different publics than those traditionally empowered through privilege (privilege in the sense of having not only the wherewithal but also the adequate knowledge to reflect on aesthetic experience), carried an edge of social and political criticism.“177
Auch die Künstler, die sich nicht ausdrücklich auf Politik bezogen, sahen in ihrer
Kunst doch eine Alternative zum Kunstestablishment und seinen starren, am Moder-
nismus orientierten Regeln – und genau das implizierten auch ihre Arbeiten, deren
radikale Form die Codes der etablierten Kunst (und damit der Gesellschaft) in Frage
stellte:
176 So waren z.B. einige Vertreter des engeren New Yorker Kreises um Siegelaub Mitglieder der AWC (Art Workers Coalition), die sich aktiv an Aktionen gegen den Vietnamkrieg beteiligte. 177 Alberro, Politics of Publicity, S. 97.
59
„Whether or not works of art from the late 1960s and 1970s make overt political statements or directly comment on the current social situation, all of them, in one form or another, present themselves as models of resistance to a status quo.“178
In diesem Licht betrachtet überrascht es kaum, dass der Versuch vieler KünstlerInnen,
die Kunstwerke zu ‘dematerialisieren’, zumindest zum Teil einem politischen An-
spruch geschuldet war.179 Viele dieser KünstlerInnen versuchten sich auf diese Weise
den Mechanismen des etablierten Kunstmarkts zu entziehen: Eine Idee kann nicht auf
dem Kunstmarkt gehandelt werden. Ein Beispiel dafür ist Lawrence Weiners Bemer-
kung zu der Ausstellung Xerox Book (1968), die von Seth Siegelaub organisiert wurde
und die Form eines Buches aus Kopien hatte. Er sah in dieser Form ausdrücklich ein
demokratisches und egalitäres Potenzial: „[...] that to me is a public freehold piece.
Anybody who purchased the ‘Xerox Book’ owned the piece.“180 Andererseits weist
Alberro zu Recht auch darauf hin, dass die Kritik des Kunstobjekts die meisten Künst-
ler nicht davon abhielt, sich auf dem Markt zu bewegen.181 Weiner verkaufte seine
‘Arbeiten’ auch an private Sammler; sie wurden dann, mit einem Zertifikat ausgestat-
tet, zu „private freehold“.182
Diese Widersprüchlichkeit bemerkte auch Lucy Lippard, eine der wichtigsten
ProtagonistInnen und Organisatorin vieler wichtiger Ausstellungen, bereits 1973 im
Nachwort zu ihrem Buch Six Years: The Dematerialization of the Art Object:
„It seemed in 1969 that no one, not even a public greedy for novelty, would actu-ally pay money, or much of it, for a xerox sheet referring to an event passed or never directly perceived. Three years later, the major conceptualists are selling work for substantial sums here and in Europe; they are represented (and still more unexpected – showing in) the world’s most prestigious galleries.“183
Das von ihr beschriebene Aufgehen im Mainstream lässt sich auch daran verdeutli-
chen, dass die documenta V von 1972 der Conceptual Art sehr viel Raum gab. Godfrey
sieht hier einen Wendepunkt: „[...] documenta V in Kassel [...] may be seen as both the
178 Rorimer, New Art, S. 275. 179 Die Tendenz der ‘Dematerialisierung’ hatte auch ästhetisch-künstlerische Gründe, aber diese gingen meist mit politischen oder sozialen Vorstellungen einer demokratischeren Kunstwelt einher. 180 Lawrence Weiner, Interview mit Patricia Norvell, in: Alberro u. Norvell (Hg.), Recording Conceptual Art. Early Interviews with Barry, Huebler,...by Particia Norvell, Berkeley, CA/London 2001, S. 104f. 181 Alberro belegt das eindrücklich an der Rolle Seth Siegelaubs, der sich neuester Strategien aus der Werbung und dem Marketing bediente, um seine Künstlergruppe bekannt zu machen. Ein Beispiel ist das erwähnte Xerox Book (Alberro, Politics of Publicity, S. 140ff). 182 Vgl. Alberro, Politics of Publicity, S. 147. Dabei bleibt trotzdem ein gewisses subversives Element in dieser Eigentümerschaft erhalten, denn obwohl die Arbeit jemandem gehört, lässt sie sich, da es sich nur um Sätze handelt, jederzeit an jedem Ort wiederholen. 183 Lippard, Six Years, S. 263, abgedruckt in: Alexander Alberro u. Blake Stimson (Hg.), Conceptual Art: A Critical Anthology, Cambridge, MA u. London 1999, S. 294.
60
high-water mark and the end of Conceptualism as an apparently distinct move-
ment“.184 Der Grund für diese ambivalente Situation lag darin, dass: „Conceptual Art
had become a sort of new establishment, a new formalism.“185 Damit war die Concep-
tual Art zu dem geworden, was sie immer abgelehnt hatte, nämlich ein neues festes
Gefüge ästhetischer und formaler Codes.
Die Conceptual Art war Mitte der siebziger Jahre an einem toten Punkt ange-
langt, ungeachtet der Frage, ob sie tatsächlich eine grundlegende Infragestellung der
Werte der Kunstwelt erreichen konnte oder wollte. Viele der ursprünglichen Protago-
nisten zogen sich entweder ganz aus der Kunst zurück, wie etwa Siegelaub,186 oder
begannen sich zu politisieren und anderen Feldern zuzuwenden, wie Art & Language
oder Victor Burgin, die von einer Analyse und Kritik der institutionellen Mechanismen
des ‘Betriebssystems Kunst’ zu einer Kritik allgemeiner gesellschaftlicher Ideologien
übergingen. Andere, wie Dan Graham oder Mary Kelly, wandten sich dem französi-
schen Poststrukturalismus, in erster Linie Foucault und Lacan, zu und begannen in der
Folge, die Ergebnisse ihrer Lektüre in ihre Arbeiten einfließen zu lassen. Daneben er-
lebte das Bild, meist in seiner fotografischen Form, eine Renaissance; aber auch auf
traditionelle Medien wie Malerei (Art & Language) wurde in einer selbstkritischen
Weise zurückgegriffen. Diese Rückkehr des ‘Bildlichen’, nachdem in der Anfangspha-
se der Conceptual Art die Sprache im Zentrum gestanden hatte, verband sich oft mit
einem Interesse an psychologisch aufgeladenen Bildern aus den Medien, wie bei Bur-
gin oder Baldessari.
Diese Verlagerung des Schwerpunkts zurück zum ‘Bildlichen’ findet sich auch
bei Baldessari, wie die Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten aus den siebziger Jah-
ren zeigen wird. Die Erfahrungen und Ergebnisse der Conceptual Art waren allerdings
die Voraussetzung für diese Neuorientierung, die sich auf die analytischen Mittel und
die Befreiung der Kunst von den Gattungen stützen konnte. Rorimer formuliert dies
wie folgt:
„The assault on deception mounted by artists from within the Conceptual arena has transformed the playing field of art. The gains from the revolution in aes-thetic thinking initiated after 1965 by those who questioned, revised, or aban-doned the traditional categories of painting and sculpture are now taken for granted.“187
184 Godfrey, Conceptual Art, S. 251. 185 Ebd., S. 253. 186 Siegelaub stieg bereits 1971 aus der Kunstszene aus und ging nach Paris, wo er als Herausgeber arbeitete (vgl.: Alberro, Politics of Publicity, S. 3, Fußnote 7). 187 Rorimer, New Art, S. 275.
61
Die Conceptual Art reduzierte die Kunst gewissermaßen auf ihre absolute Basis, in-
dem sie deren Grenzen auslotete; gleichzeitig erweiterte sie aber auch die Möglichkei-
ten der Kunst z.B. durch den Einsatz von Sprache und Fotografie und schuf damit die
Grundlage, sich den Problemen der Ästhetik und der Bildlichkeit neu zu stellen und
neue Möglichkeiten der visuellen Gestaltung insgesamt zu erproben.
3.2.2. Die Conceptual Art als übergreifendes Phänomen
Der kurze historische Abriss im letzten Abschnitt lässt eine entscheidende Frage, die
sich in diesem Zusammenhang stellt, unbeantwortet, nämlich wodurch sich das Phä-
nomen Conceptual Art eigentlich auszeichnet. Ist die Conceptual Art eine Bewegung,
eine neue Avantgarde oder eine methodische Herangehensweise? Basiert sie auf einer
formalen Ähnlichkeit der Arbeiten, der Verwendung bestimmter Materialien oder ei-
nem gemeinsamen theoretischen Konzept? Handelt es sich um eine Bestimmung post
facto, mit der eine Reihe eigentlich unzusammenhängender künstlerischer Phänomene
verbunden wird?
In der Literatur existiert keine Übereinstimmung in dieser Frage, die allerdings
oft auch nicht ausdrücklich gestellt wird. Die Mehrheit der AutorInnen sieht in der
Conceptual Art ein übergreifendes Phänomen, das bestimmte Tendenzen vieler Künst-
lerInnen, die gleichzeitig an ähnlichen künstlerischen Fragen interessiert waren, zu-
sammenfasst. Rorimer etwa bezieht sich nur auf eine Jahreszahl: „In this book, it
[Conceptual Art] is used in association with a range of works created after 1965. This
date serves as a historical marker for the beginnings of Conceptual Art [...]“188 Osbor-
ne bezeichnet Conceptual Art zunächst als: „[...] a form of practical artistic self-
understanding [...] the product of a ‘chaotic network of ideas’“ und als: „a distinctive
and internally complex field of art practice“,189 um schließlich doch bei dem Begriff
‘Bewegung’ zu enden. Dahinter dürfte sich allerdings weniger ein klares Konzept als
einfach ein Rückgriff auf die gebräuchliche Begrifflichkeit verbergen.190 Wood dage-
gen definiert Conceptual Art ausdrücklich folgendermaßen: „I have already used the
188 Rorimer, New Art, S. 7. 189 Osborne, Conceptual Art, S. 18. 190 Ebd.
62
phrase ‘Conceptual art’ to refer to a historical form of avant-garde practice that flour-
ished in the late 1960s and 1970s.“191 Jon Bird und Michael Newman, um ein anderes
Beispiel herauszugreifen, verwenden zwar den Begriff ‘Avantgarde’, allerdings stellen
sie die Verbindung zur historischen Avantgarde nur in Anführungszeichen her: „[...]
the relevance of artists from the Russian avant-garde, particularly Tatlin and
Rotchenko, provided the theoretical and historical ground for claims for Conceptual art
as the ‘last avant-garde’.“192 Andererseits sehen sie in der Conceptual Art durchaus
eine künstlerische Bewegung, die ihr vorausgehenden Strömungen ähnelt: „Two
movements precede Conceptual art and are closely associated with its development –
Fluxus and Minimalism.“193 Die Begriffe ‘Avantgarde’ und ‘Bewegung’ erweisen sich
bei einer näheren Betrachtung der historischen Vorläufer allerdings als problematisch.
Mit dem Begriff der ‘Bewegung’ wird im Kunstkontext meist eine größere
Gruppe von KünstlerInnen beschrieben, die ein gemeinsames (künstlerisches) Ziel und
auch ein Programm haben, mit dem sie dieses zu erreichen suchen. Eine solche Bewe-
gung konnte weltabgewandt, rein auf die Kunst bezogen sein, wie der Symbolismus,
oder mit dem Anspruch auf eine Veränderung der Welt durch die Kunst, wie der Da-
daismus oder der Surrealismus, antreten. Das künstlerische Programm, das die Bewe-
gung zusammenhielt, wurde meist manifestartig für alle verbindlich festgehalten –
ohne dass sich jemals alle daran gehalten hätten oder sich darüber einig gewesen wä-
ren. Außerdem fühlten sich die künstlerischen Bewegungen in der Regel anderen ge-
sellschaftlichen oder politischen Bewegungen verbunden. Die künstlerischen Bewe-
gungen des 20. Jahrhunderts verstanden sich in der Regel als emanzipative, linke
Strömungen.194
Eine der einflussreichsten Untersuchungen zu diesem Thema stammt von Peter
Bürger, der sich insbesondere mit den Avantgardebewegungen des frühen 20. Jahr-
hunderts auseinandersetzt, in denen er die Verbindung zwischen avancierter künstleri-
scher und politischer Praxis am konsequentesten verwirklicht sieht. Den Ursprung der
Avantgardebewegung sieht Bürger in der Reaktion auf den Ästhetizismus des späten
19. Jahrhunderts:
191 Wood, Conceptual Art, S. 7 (Hervorhebungen im Original). 192 Michael Newman und Jon Bird, Introduction, in: dies. (Hg.), Rewriting Conceptual Art, London 1999, S. 6. Sie verwenden den Begriff ‘Avantgarde’ ohne Anführungszeichen, wenn sie eine besonders ‘fortschrittliche’ Art von Kunst bezeichnen wollen (vgl. ebd., S. 5). 193 Ebd., S. 6. 194 Eine Ausnahme bilden die italienischen Futuristen und einzelne Vertreter des deutschen Expressio-nismus, wie z.B. Emil Nolde, der bereits Ende der zwanziger Jahre in die NSDAP eintrat.
63
„Die Intention der Avantgardisten läßt sich bestimmen als Versuch, die ästheti-sche (der Lebenspraxis opponierende) Erfahrung, die der Ästhetizismus heraus-gebildet hat, ins Praktische zu wenden. Das, was der zweckrationalen Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft am meisten widerstreitet, soll zum Ordnungsprin-zip des Daseins gemacht werden.“195
Für Bürger steht die Avantgarde also für den Versuch, die Trennung von Kunst und
Leben, die in der bürgerlichen Gesellschaft die Form der Autonomie der Kunst ange-
nommen hat, in einer emanzipativen, letztendlich revolutionären Weise aufzuheben.
Die Kunst soll aus ihrer (scheinbaren) Autonomie befreit werden, die sie dazu verur-
teilt, gesellschaftlich wirkungslos zu bleiben, und „in Lebenspraxis überführt wer-
den“.196 Obwohl dieser Versuch gescheitert ist,197 nimmt die Avantgarde für Bürger in
der Entwicklung der Kunst in dreifacher Hinsicht eine besondere Rolle ein: Erstens
steht sie für die Selbstkritik der Kunst, weil sie „[...] das Gewicht der Institution Kunst
für die reale gesellschaftliche Wirkung der Einzelwerke erkennbar [gemacht hat]“.198
Zweitens ermöglicht sie eine Befreiung der künstlerischen Mittel: „[...] erst in den his-
torischen Avantgardebewegungen wird die Gesamtheit künstlerischer Mittel als Mittel
verfügbar“.199 Drittens negiert die Avantgarde das „organische Kunstwerk“ und setzt
diesem das „nicht-organische“ entgegen, in dem „[...] die Teile [...] als Konstituenten
einer Bedeutungstotalität abgewertet und zugleich als relativ selbständige Zeichen auf-
gewertet [werden]“.200
Bürger stellt der historischen Avantgarde die Neoavantgarde der fünfziger und
sechziger Jahre gegenüber, darunter versteht er die Pop-Art, die Nouveau Réalistes
sowie Rauschenberg und den Neo-Dada, die sich für ihn nur noch in einer formelhaf-
ten Wiederholung ergehen: „Da inzwischen der Protest der historischen Avantgarde
gegen die Institution Kunst als Kunst rezipierbar geworden ist, verfällt die Protestgeste
der Neoavantgarde der Inauthentizität.“201 Bürger übersieht hier die Tatsache, dass sich
195 Peter Bürger, Theorie der Avantgarde, Frankfurt 1974, S. 44. 196 Ebd., S. 67. Bürger sieht die Autonomie der Kunst als eine zwiespältige Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, weil sie einerseits die „[...] Herauslösung der Kunst aus lebenspraktischen Bezügen [...]“ (ebd., S. 63) treffend zu fassen im stande ist, während sie andererseits den historischen Prozess dahinter verschleiert; sie steht deshalb auch für „[...] die (falsche) Vorstellung von der totalen Unabhängigkeit des Kunstwerks von der Gesellschaft“ (ebd., S. 63). 197 Bürger sieht allerdings innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft eine Notwendigkeit für dieses Schei-tern. Die einzigen Formen der Verbindung zwischen Kunst und Lebenspraxis stellen für ihn die falsche Aufhebung durch die Unterhaltungsliteratur (er ist eigentlich Germanist) oder die Warenästhetik dar. Deshalb hält er am Prinzip der Autonomie als Basis für freie Entfaltung fest (vgl. ebd., S. 72f.). 198 Ebd., S. 117. 199 Ebd., S. 23. 200 Ebd., S. 117. 201 Ebd., S. 71 (Hervorhebung im Original).
64
nicht alle Arbeiten der historischen Avantgarde auf diesen einen Aspekt der Provoka-
tion, den sie zweifellos auch besaßen, reduzieren lassen.202
Gegen Bürgers Argumentation lassen sich zwei Haupteinwände anführen: Ers-
tens reduziert er die Avantgarde auf einen Kampf gegen die Autonomie der Kunst und
deren Institutionalisierung in der bürgerlichen Gesellschaft. Er kann sich deren Kunst-
werke konsequenterweise nur als Provokationen vorstellen. Die ‘Befreiung’ der Mittel
erscheint ihm deshalb in erster Linie als ein Ende der ästhetischen Beurteilung und
nicht als eine Erweiterung der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten. Dieser Logik
Folge leistend, werden die Kunstwerke in seinem Text auch nicht formal oder inhalt-
lich analysiert, sondern bezüglich ihres Zwecks, ihrer Produktionsweise und ihrer Re-
zeption.203 Zweitens arbeitet Bürger dafür, dass er versucht, die Kunst in eine histori-
sche Entwicklung einzuordnen, sehr unhistorisch, wenn er behauptet: „[...] dass heute
keine künstlerische Bewegung mehr legitimerweise den Anspruch erheben kann, als
Kunst historisch fortgeschrittener zu sein als andere Bewegungen“.204 Er betrachtet die
Avantgarde im Grunde als die Zäsur in der Geschichte der Kunst überhaupt, als die
„[...] Zerstörung der Möglichkeit, ästhetische Normen als gültige zu setzen“.205 Damit
fällt aus seiner Geschichte der Kunst der Modernismus völlig heraus, denn dieser ba-
sierte gerade auf der Dominanz einer ästhetischen Norm, des Formalismus nämlich,
die sich im Diskurs durchgesetzt hatte.
Ungeachtet der Tatsache, dass Bürger, was die Bestimmung der Neoavantgarde
als einer leeren, rein formelhaften Wiederholung der Geste der Avantgarde angeht,
zum Teil Recht haben mag, übersieht er doch die historische Besonderheit der Situati-
on: Denn die Neoavantgarde bezog sich auf den Modernismus der fünfziger Jahre und
nicht auf den Ästhetizismus des vorletzten Jahrhunderts. Schließlich stellt sich die
Frage, ob die von ihm überhaupt nicht beachtete Conceptual Art nicht vielleicht einige
der Charakteristika des Bruches, wie die freie Verfügung über alle Mittel oder die Ne-
gation der Ästhetik, den er der historischen Avantgarde zuschreibt, überhaupt erst
verwirklicht hat.
Die These wäre folglich, dass die Conceptual Art einige der formalen und künst-
202 Die Auswahl seiner Beispiele aus der historischen Avantgarde (aus der bildenden Kunst) sind folg-lich nicht besonders vielfältig; abgesehen von Duchamp (vgl. S. 70f.) und den Kubisten, bezieht er sich noch auf Heartfields Agitpropposter, die zweifellos am ehesten in den Bereich der Provokation passen. 203 Ebd., siehe S. 63ff. 204 Ebd., S. 86 (Hervorhebung im Original). 205 Ebd., S. 122.
65
lerischen Bedingungen der Avantgarde erfüllt, ohne aber deren revolutionären An-
spruch zu erheben. Die Conceptual Art ist allerdings nicht die ‘wahre’ Avantgarde im
Sinne Bürgers, zumal sein Begriff der ‘Avantgarde’ möglicherweise zu eingeschränkt
ist. Aber auch in einem anderen Sinn trifft der Begriff ‘Avantgarde’ nicht ohne weite-
res auf die Conceptual Art zu, weil die mit der Idee der ‘Avantgarde’ verbundene Lo-
gik an bestimmte Entwicklungen der Moderne gebunden ist, die sich nicht fortgesetzt
haben.
Bürger hat mit der Feststellung eines grundlegenden Unterschieds zwischen der
Kunst vor und nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Zweifel Recht. Auch ohne den Zivi-
lisationsbruch von Auschwitz zu bemühen,206 ist es offensichtlich, dass die traditionel-
le Verbindung von künstlerischen und politisch-sozialen Anliegen der Bewegungen,
die noch in der Zwischenkriegszeit vorhanden war, gekappt wurde.207 Auf der anderen
Seite wäre es falsch, die trotzdem vorhandenen politisch-sozialen Elemente der Con-
ceptual Art, wie ihre Affinität zur Studentenbewegung der sechziger Jahre, gänzlich zu
leugnen. Schließlich führte diese bei einigen Künstlern zum Engagement in direkten
politischen Aktionen, z.B. gegen den Vietnamkrieg.208 Viele der Tendenzen in den
späten sechziger Jahren, die die Objekthaftigkeit des Kunstwerks und auch seinen
Werkcharakter überhaupt in Frage stellten, rührten auch aus dem Versuch, sich der
Warenlogik zu entziehen, was, wie bereits dargelegt, ambivalente Wirkungen zeitigte.
Der Versuch der Demokratisierung der Kunstwelt,209 fand seinen Ausdruck auch
in dem Aufkommen von erschwinglichen Künstlerbüchern, in Ausstellungen in Kata-
206 In diesem Zusammenhang geht es nicht um das berühmte Diktum Adornos, dass nach Auschwitz Gedichte zu schreiben barbarisch sei, sondern darum, dass die Shoa insgesamt einen Bruch in der Ge-schichte darstellt, der bewusst oder unbewusst, für alle Künstler nach 1945 eine Rolle gespielt hat. 207 Vgl. Kap. 3.1.1., insbesondere die Ausführungen Guilbauts zur US-amerikanischen Kunst der dreißi-ger und vierziger Jahre, an deren Beispiel sich diese Ablösung von der Politik sehr deutlich nachvollzie-hen lässt. 208 Ein Beispiel ist die bereits erwähnte Art Workers Coalition, die politische Aktionen durchführte. Mitglieder waren unter anderem Carl Andre und Lawrence Weiner. 209 Ein Beispiel von Lawrence Weiner wurde bereits im vorigen Abschnitt zitiert. Alberro bemerkt zu Douglas Hueblers Arbeiten: „One of the foundational motivations for this artistic effort [...] was politi-cal. It was an operation that aimed to eliminate the need for privilege knowledge in the perception of art, advocating instead a doctrine of equal access and interaction“ (Alberro, Politics of Publicity, S. 72). Alberro weist darauf hin, dass das Künstlerbild von Huebler und Weiner andererseits: „[...] replicated not only capitalism’s division of mental and physical labor, but also its privileging of the planning and design stage of production over the procedure of construction. The estrangement that these works inevi-tably generated on their initial reception only further emphasized the unspoken sacrosanct and mythical roles art continued to play [...]“ (Alberro, Politics of Publicity, S. 100). Es bleibt dann allerdings die Frage, was man sich von einer Demokratisierung erwartet (eine neue ‘Volkskunst’?) und ob die ‘Ent-fremdung’ den Arbeiten gegenüber nicht gerade den ‘falschen’ Erwartungen entspringt, die die Ideolo-gie der Kunst als abgetrennter Bereich hervorbringt.
66
logform oder den Versuchen, Kunst in Magazine210 einzubauen, um die Arbeiten auch
denjenigen Menschen zugänglich zu machen, die keine Kunstgalerien besuchen. In
diesen Beispielen drückte sich allerdings eher eine Verbindung zu einem bestimmten
Lebensgefühl des Aufbruchs und der Neuerung aus, das auch der Kunstwelt Leben
einhauchte, als eine enge programmatische oder politische Verknüpfung mit den neuen
sozialen Bewegungen.211
Manche Kritiker, wie etwa Alberro, sehen in der Conceptual Art keine Avant-
garde, die der Gesellschaft antagonistisch gegenüberstand, sondern den Ausdruck des
gesellschaftlichen Wandels zu einer postfordistischen Informationsgesellschaft. Dieser
Wandel äußere sich gerade in den neuen formalen Eigenschaften der Arbeiten: „In-
deed, conceptualism’s unusual features and mode of circulation in many ways utilize
and enact the deeper logic of informatization.“212 Außer auf die oben erwähnten An-
leihen bei den Strategien der Werbung verweist er auch darauf, dass viele der Ausstel-
lungen, die sich der neuen Kunst Ende der sechziger Jahre widmeten, von großen Un-
ternehmen aus der Wirtschaft gefördert wurden. Ein Beispiel ist die von Philip Morris
Europe geförderte Ausstellung When Attitudes Become Form, die 1969 in Bern und
London stattfand: „Many in the multinational corporate world of the 1960s likewise
imagined ambitious art not as an enemy to be undermined or a threat to consumer cul-
ture, but as a symbolic ally.“213 Alberros Diagnose ist zutreffend; die Kunst der späten
sechziger Jahre war keine Avantgarde im Sinne Bürgers – und das lag nicht (nur) dar-
an, dass sie weniger radikal war als die der zwanziger Jahre, sondern auch daran, dass
sich der Kapitalismus als flexibel genug erwiesen hatte, um die eigentlich antagonisti-
schen Kräfte zu integrieren. Andererseits stellt sich die Frage, ob die Conceptual Art
überhaupt noch den gleichen Anspruch der Provokation wie die historische Avantgar-
210 An dieser Stelle sei auf Robert Smithson und Dan Graham hingewiesen, die beide gleich mehrere Projekte in verschiedenen Kunstmagazinen platzierten, die alle einen hybriden Status zwischen Artikel und Kunstwerk einnahmen: z.B. Domain of the Great Bear (Herbst 1966 in Art Voices, in Zusammenar-beit mit Mel Bochner) und Monuments of Passaic (Dezember 1967 in Artforum) von Smithson sowie Homes for America (1966) von Graham, eine der bahnbrechenden Arbeiten der Conceptual Art. 211 Dabei spielt allerdings auch die Tatsache eine Rolle, dass die Studentenbewegung selbst, als Kern der neuen Linken, ungeheuer heterogen war und die verschiedensten politischen Gruppierungen amalga-miert hatte, weshalb es auch nicht den einen Bezugspunkt hätte geben können. 212 Alberro, Politics of Publicity, S. 3. Der Begriff informatization stammt aus dem Buch Empire von Tonio Negri und Michael Hardt (Negri/Hardt, Empire, Cambridge, MA, 2000). 213Alberro, Politics of Publicity, S. 2. Das traf allerdings nicht auf alle Künstler zu, denn es gab durchaus Ausstellungen und Arbeiten, etwa die von Hans Haacke 1971 für das Guggenheim vorgeschlagene, die auf der Seite der Sponsoren oder Trustees nicht besonders populär waren. Haacke plante, die Verwick-lungen der Trustees des Museums in Grundstücksspekulationen zu zeigen. Die Ausstellung wurde dar-aufhin abgesagt (vgl. Godfrey, Conceptual Art, S. 243ff).
67
de vertrat und ob nicht die Selbstkritik der künstlerischen Form eine den historischen
Umständen angepasste Weise der Fortführung aufklärerischer Gesellschaftskritik war.
Auf diese Frage wird am Ende dieser Arbeit noch einmal eingegangen werden.
Die Conceptual Art ist, wie die bisherigen Erläuterungen verdeutlicht haben,
keine Neuauflage der klassischen Avantgarde; aber auch viele der Faktoren, die eine
Bewegung konstituieren, fehlen: Weder gab es einen engen Kontakt der Vertreter die-
ser Richtung untereinander, abgesehen von der kleinen Gruppe um Siegelaub, die al-
lein aber noch keine Bewegung bildete, noch fand sich ein gemeinsames Manifest oder
Programm.214 Zwar gibt es die berühmten Artikel Sentences about Conceptual Art
(1967) und Paragraphs about Conceptual Art (1969) von Sol LeWitt, sie hatten aber
weder den Anspruch noch die Form eines Manifestes der Conceptual Art. Für LeWitt
hatten sie die Funktion, seine eigene Position darzulegen und die Grundlage für Dis-
kussionen zu schaffen, und nicht die, als Maßstab für die anderen Künstler zu dienen.
Das Gleiche gilt für einen Text wie Art after Philosophy von Kosuth, der zwar als eine
Art Manifest intendiert war, allerdings ohne dass sich die erwünschte Gefolgschaft
einstellte.215 Kosuths Versuch, sich mit diesem Text in klassischer Avantgarde-Manier
als geistiger ‘Führer’ der Conceptual Art zu gerieren, scheiterte daran, dass die Mehr-
heit der anderen Künstler sich einfach nicht darauf bezog und weiterhin ihre eigenen
Ansätze verfolgte. Viele Künstler aus der Conceptual Art verfassten eigene Texte, die
primär als Beiträge zu einer Diskussion und nicht als klassische Pamphlete im Stil der
Avantgarde intendiert waren.216 Dieser Diskurs zeichnete sich durch die gleiche Viel-
falt an Positionen aus wie die Conceptual Art insgesamt, die auch nicht durch einen
gemeinsamen Stil oder eine übergreifende Herangehensweise geprägt war.217
In seiner Heterogenität lag das eigentlich Neue dieses künstlerischen Phäno-
mens. Die Conceptual Art zeichnete sich außerdem dadurch aus, dass es sich um ein
globales Phänomen handelte, dass sich praktisch zeitgleich an vielen Orten der Welt
bemerkbar machte, ohne dass die beteiligten Künstler sich darüber bewusst waren:
214 Bezeichnenderweise finden sich bei Fluxus noch Manifeste (Maciunas) ebenso wie bei einigen euro-päischen Künstlern, die auch oft der Conceptual Art zugerechnet werden, wie Buren, Toroni usw., die ihre Position in einem im Stil der Avantgarde verfassten Text erläuterten. 215 Kosuth definiert in diesem Text die Tautologie als das Grundprinzip seiner eigenen und der Kunst schlechthin, ohne aber dem Anspruch einer Definition gerecht werden zu können. 216 Einen Überblick über die Masse von Texten von KünstlerInnen, neben den bereits erwähnten finden sich u.a. Christine Kozlov, Mel Bochner, Arian Piper, Terry Atkinson oder Victor Burgin, bietet: Alber-ro u. Stimson (Hg.), Conceptual Art: A Critical Anthology. 217 Selbst die Gruppe um Siegelaub und Kosuth zeichnet sich durch eine beträchtliche Spannweite aus: Die Unterschiede zwischen Hueblers Foto-Dokumentationen alltäglicher Vorgänge, Weiners Anweisun-gen für Handlungen und Kosuths analytisch-philosophischen Textbildern sind beträchtlich.
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„[...] individuals were not necessarily informed of one another’s aesthetic strategies
initially, although later on they would interact with one another extensively.“218 Auf
der anderen Seite handelte es sich bei der Conceptual Art aber doch um mehr als bloß
einen Teil einer Kunst, die es, wie Godfrey meint, im ganzen 20. Jahrhundert gab:
„Conceptual art can be said to have reached both its apogee and its crisis in the years 1966-72. The term first came into general use around 1967, but it can be argued that some form of Conceptual art has existed throughout the twentieth century.“219
Abgesehen davon, dass sich die spezifische Form, in der sich die Conceptual Art im
Laufe des Jahrhunderts manifestiert hat, nur sehr begrenzt beschreiben lässt, gilt es
auch, auf die spezifische Situation, die bereits beschrieben wurde, und die Arbeiten
selbst hinzuweisen, die sich eindeutig von früheren Formen einer konzeptuellen Kunst
unterscheiden.220
Entgegen dieser Vorstellung gilt es festzuhalten, dass die Conceptual Art, wie er-
läutert, zwar keine Bewegung war, sie andererseits aber auch nicht nur eine methodi-
sche Vorgehensweise darstellt, die ihres historischen Platzes enthoben ist. Es handelt
sich vielmehr um ein bestimmtes künstlerisches Phänomen, das einem bestimmten
historischen Moment entsprungen ist, der die Künstler in einer besonderen Weise ge-
prägt hat und der einen Teil von ihnen dazu geführt hat, Arbeiten herzustellen, die sich
unter dem Begriff der Conceptual Art zusammenfassen lassen. Im Folgenden soll ver-
sucht werden, diesen Begriff, unter Einbeziehung der existierenden Ansätze, theore-
tisch einzugrenzen.
218 Rorimer, New Art, S. 7. 219 Godfrey, Conceptual Art, S. 6. 220 Die besondere Rolle Duchamps und seiner Rezeption wird ausführlich in Kapitel 4.1.2. diskutiert werden.
69
3.3. Möglichkeiten der Herangehensweise jenseits ei-
ner Definition
Ziel dieses Kapitels ist es, einen Definitionsansatz herauszuarbeiten, der sich zwischen
den einschränkenden Definitionen, die sich an der analytischen Conceptual Art eines
Kosuth oder der Art & Language-Gruppe orientieren, und den überdehnten Ansätzen,
die jede Form von Konzeptualität einbeziehen, bewegt und der die überzeugenden
Aspekte beider Varianten einbezieht. Der Anspruch, den dieser Definitionsansatz er-
hebt, besteht gerade nicht darin, eine allgemeingültige Definition zu formulieren, was
angesichts der Vielschichtigkeit des Phänomens Conceptual Art eine unlösbare Aufga-
be wäre, sondern die verbindenden Elemente herauszuarbeiten und diese dann später
in die Analyse der Arbeiten Baldessaris einfließen zu lassen.
Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung sollen einige der theoretischen
Schlüsselbegriffe der Conceptual Art sein, die kritisch auf ihren Kern hinterfragt wer-
den und dabei als Basis für eine Neubewertung dienen sollen. Die gewählten Begriffe
beziehen sich sowohl auf die formalen Qualitäten konzeptueller Arbeiten bzw. auf
deren Konzeptionen, als auch auf die Rolle der KünstlerInnen sowie auf den Einsatz
bestimmter Verfahren. Die einzelnen Punkte werden teilweise mit Beispielen illust-
riert, die in diesem Rahmen nicht detailliert analysiert werden können. In Kapitel 4.
werden dann Baldessaris Arbeiten und einige Vergleichsbeispiele eingehend behan-
delt.
3.3.1. Dematerialisierung
Der zentrale Begriff der ‘Dematerialisierung’ war einer der meistgebrauchten Schlag-
wörter zur Zeit des Aufkommens der Conceptual Art. Geprägt wurde er in dem Auf-
satz The Dematerialisation of Art von Lucy Lippard und John Chandler, der Ende
1967 geschrieben und 1968 veröffentlicht wurde.221 Die AutorInnen versuchen mit
diesem Schlagwort eine Art von Kunst zu beschreiben, die ohne materielle Kunstwer-
ke auszukommen scheint. Der Text selbst und die Einführung des Begriffes sind eher
221 Lucy Lippard und John Chandler, The Dematerialisation of Art, in: Art International, Vol. 2:2, Feb-ruar 1968, S. 31-36.
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vage, einerseits halten die AutorInnen es für möglich, dass die Tendenz der Demateria-
lisierung: „[...] may result in the [art] object’s becoming wholly obsolete“.222 Anderer-
seits ist das Referenzsystem immer noch die visuelle Kunst:
„As visual art, a highly conceptual work still stands or falls by what it looks like. [...] Intellectual and aesthetic pleasure can merge in this experience when the work is both visually strong and theoretically complex.“223
Diese Betonung des Ästhetischen überrascht nicht, wenn man sich den weiteren Ver-
lauf des Artikels vor Augen führt.224 Die AutorInnen versuchen darzulegen, dass die
Dematerialisierung eigentlich einer Tendenz der Moderne folgt, nämlich der fort-
schreitenden Reduktion des Kunstwerkes auf seinen ‘innersten Gehalt’. Dieser Logik
folgend stellen sie eine Genealogie auf, die von Malewitsch über Reinhardt zu Kosuth
führt. Diese Reihenfolge entspricht übrigens auch Kosuths eigener Vorstellung, wie er
sie in Art After Philosophy darlegt.225
Der Begriff der ‘Dematerialisierung’ machte in der Folge eine rasante Karriere
und entwickelte sich zu einem der umstrittensten Begriffe des Diskurses über die Con-
ceptual Art, während der Text von Lippard und Chandler selbst eine geringere spiel-
te.226 Dabei enthält der Text bereits einige der zentralen Fragen, die diesen Begriff
umkreisen: Bedeutet Dematerialisierung das völlige Verschwinden des Kunstwerkes?
Wie verhält es sich mit der Ästhetik? Handelt es sich dann eigentlich noch um visuelle
Kunst?
In der Rezeption dieses Begriffes findet sich oft, gerade auch bei Künstlern, die
Tendenz, diesen tatsächlich im Sinne einer Auflösung des materiellen Kunstwerkes zu
verstehen, obwohl der Text eine solche Möglichkeit nur als Grenzfall vorsieht. In die-
sem strikten Sinn führt der Begriff zweifellos in die Irre, denn irgendeinen materiellen
222 Lippard/Chandler, abgedruckt in: Alberro u. Stimson (Hg.), Conceptual Art: A Critical Anthology, S. 46. 223 Ebd., S. 49. 224 Neben dem Verweis auf die Ästhetik finden sich einige für diese Zeit typische Verweise auf die Ent-ropie und die Mathematik als Quellen für die Dematerialisierung. Insbesondere Robert Smithson be-schäftigte sich auch mit dem Thema ‘Entropie’. Dass das Thema an sich einen Nerv der Zeit traf, zeigt sich auch an dem etwas später erschienenen Buch: Rudolf Arnheim, Entropie und Kunst: Ein Versuch über Unordnung und Ordnung, Köln 1979 (Erstausgabe: Berkley, CA, 1971). 225 Zwar bezieht sich Kosuth in erster Linie auf Duchamp, aber er erwähnt ausdrücklich Malewitsch, Mondrian, Pollock und Reinhardt als Beispiele für eine Kunst, die: „[...] a dialogue with the larger fra-mework of questions about the nature of art“ ermögliche (Kosuth, Art After Philosophy, in: Ders. Art After Philosophie and After, S. 21, Hervorhebung im Original). 226 Bereits einen Monat nach Erscheinen des Artikels verfasste der Künstler Terry Atkinson eine Ant-wort darauf, die den Text und den Begriff aus einer philosophisch-ästhetischen Position heraus kritisier-te (Terry Atkinson, Concerning the Article „The Dematerialization of Art“, in: Lippard, Six Years, nachgedruckt in: Alberro u. Stimson (Hg.), Conceptual Art: A Critical Anthology, S. 52-58).
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Träger benötigt jedes Kunstwerk, auch wenn dieser noch so unkonventionell ist; es sei
denn, dieses hört auf kommunizierbar zu sein und verwandelt sich in ein rein ideelles
Ding, das durch Gedankenübertragung vermittelt werden müsste.227
Andererseits verweist der Begriff der ‘Dematerialisierung’ auf eine wahrnehm-
bare Tendenz, nämlich eine Verschiebung vom ästhetischen Objekt zum bloßen Bezug
auf etwas Künstlerisches. Im modernistischen Kunstwerk fallen der Träger oder das
Medium der Kunst und das eigentliche Werk in eins: Der ästhetische Gehalt des mo-
dernistischen Kunstwerkes besteht im Fall eines Gemäldes in der Anordnung der Far-
ben und Formen auf der Leinwand, wie sie sich unseren Augen darbietet oder, im Fall
einer Skulptur, auch unserem Tastsinn. Aber selbst wenn es einen ‘Überschuss’ an
Gehalt in einem solchen Bild gibt, der über das visuell Gegebene hinausweist, so bleibt
die Grundvoraussetzung für dessen Verständnis doch die Betrachtung des Bildes oder
der Skulptur aus erster Hand oder zur Not vermittels einer Abbildung, die durch keine
Beschreibung ersetzt werden kann – im Gegensatz zur Conceptual Art, deren Arbeiten
ihre Wirkung auch dann nicht verlieren.
In der Conceptual Art schiebt sich zwischen die BetrachterInnen und das ‘eigent-
liche Kunstwerk’ eine neue Instanz, die als Mittler fungiert und die verschiedene For-
men annehmen kann. Der künstlerische Kern einer Arbeit liegt nicht mehr (notwendi-
gerweise) in ihrem materiellen Träger. Der Galerist Seth Siegelaub, einer der wichtigs-
ten Protagonisten der Conceptual Art, unterscheidet hier zwischen:
„[...] ‘primary information’ (‘the essence of the piece,’ its ideational part) and ‘secondary information’ (the material information by which one becomes aware of the piece, the raw matter, the fabricated part, the form of presentation).“228
227 Der Künstler Ian Wilson z.B. versteht verbale Kommunikation als Kunst. Ein Beispiel dafür ist seine Arbeit Oral Communication (1969-72), die darin bestand, über Jahre hinweg auf Ausstellungen Diskus-sionen zu veranstalten, die allerdings nie aufgezeichnet werden durften. Auf diese Weise blieb einzig die Sprache der ‘materielle’ Träger der Arbeiten, wobei allerdings vom Künstler unterschriebene (sic!) Zertifikate gekauft werden konnten (vgl. Rorimer, New Art, S. 93). „Wilson has set his sights on achiev-ing a non-visual form of abstraction, having proposed that ‘the development of art is the development of abstraction’[...]“ (Ebd., S. 111, Wilson zitiert nach: Ders., Conceptual Art, in: Artforum, Vol. 22, Nr. 6, Feb. 1984, S. 60). Diese Vorstellungen von Entwicklungslogik und Abstraktion ähneln denen der tradi-tionellen Avantgarde oder der Neoavantgarde, wie sie sich etwa in Yves Kleins Ausstellung Le Vide von 1958 zeigen. Denn diese Entwicklungslogik beruht auf einer fortschreitenden Abstraktion vom Bild, die in seiner Auflösung endet, allerdings noch der Galerie als Rahmen bedarf, damit diese als solche über-haupt erfahrbar wird. Auch Wilsons Diskussionen fanden auf Ausstellungen statt, und sein Name er-schien auf den Listen der Teilnehmer. Aber selbst eine Arbeit, die aus dem Versuch der Gedankenüber-tragung bestünde, könnte nie wirklich vollständig dematerialisiert sein. Erstens existiert diese Arbeit für uns nur insofern, als wir über eine Ankündigung vermittels Sprache informiert wurden, und zweitens setzt eine funktionierende Gedankenübertragung voraus, dass es ein anderes Medium und damit eine andere materielle Grundlage gibt, z.B. ‘Gehirnwellen’. Ohne diese bliebe die Arbeit rein theoretisch – als ein Gedanke im Kopf des Künstlers – von der wir nie etwas erfahren würden. 228 Alberro, Politics of Publicity, S. 56.
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Dahinter steht offensichtlich eine äußerst idealistische Vorstellung eines a priori gege-
benen ‘Gehalts’, die keineswegs von allen Künstlern geteilt wurde und die kunstphilo-
sophisch zweifelhaft ist, die aber gleichwohl auf ein entscheidendes Element hinweist,
nämlich die Spaltung innerhalb einer Arbeit der Conceptual Art.229
Kosuths (Abb. 11) und Baldessaris (Abb. 1) Textbilder unterscheiden sich also
grundlegend vom Modell eines Kunstwerks, wie es der Modernismus vorsieht. Sie
sind keine Objekte, deren ästhetischer ‘Gehalt’ sich mittels einer Versenkung in das
Bild erschließen ließe. Auch die Datumsbilder eines On Kawara sind nur ein Verweis
auf etwas anderes, in seinem Fall eine Konkretion des abstrakten Prinzips der Zeit.
Hueblers oder Baldessaris Fotografien sind ebenso keine Kunstfotografien, die versu-
chen, Objekte für eine ästhetische Kontemplation zu schaffen, sondern sie sind Doku-
mentationen von Vorgängen oder (selbstbezügliche) Verweise auf Situationen; der
eigentliche Gehalt der Arbeiten erschließt sich gerade nicht vermittels ästhetischer
Kontemplation, sondern im Nachvollziehen des Verweisungsverhältnisses zum
zugrundeliegenden Konzept. Schließlich ist bei Weiners Statements die Sprache nur
der Träger der Kunst; sie sind keine Gedichte.230
Allen diesen Beispielen gemeinsam ist die Tatsache, dass das Objekt an sich
zwar nicht immer völlig verschwindet, wohl aber das ästhetisch goutierbare. Das be-
deutet jedoch nicht, dass die Arbeiten der Conceptual Art nicht auch einen ästhetischen
Anteil haben, der sich z.B. in ihrem Design äußert, aber in Relation zu den Kunstwer-
ken des Abstrakten Expressionismus ist dieser doch auf ein Minimum reduziert. Inso-
fern wäre statt ‘Dematerialisierung’ eher der Begriff der ‘Deästhetisierung’ passend, in
dem Sinn, dass die Ästhetik sich von einer der unmittelbaren Anschauung zugängli-
chen zu einer auf das intellektuelle Nachvollziehen bezogenen wandelt. LeWitt sagt
dazu in seinen Paragraphs on Conceptual Art:
„Conceptual Art is made to engage the mind of the viewer rather than his eye or emotions. [...] The conceptual artist would want to ameliorate this emphasis on materiality as much as possible or use it in a paradoxical way. (To convert it into an idea.)“231
229 Außerdem ließe sich diese Trennung für alle abbildenden Kunstwerke in der gleichen Weise be-schreiben, denn außer bei einem Bild der Konkreten Kunst oder des Abstrakten Expressionismus gibt es immer eine Essenz, einen ideellen Teil, der über die Form der Präsentation hinausgeht und der z.B. vermittels einer ikonologischen Untersuchung zutage gefördert werden muss. Dass es trotzdem auch einige Unterschiede gibt, wird im Folgenden näher erläutert werden. 230 Sol LeWitt hat diese Tatsache bereits 1969 in seinen Sentences on Conceptual Art (Nr. 16) festgehal-ten: „If words are used, and they proceed from ideas about art, then they are art and not literature [...]“ (LeWitt, Sentences, in: Gerd de Vries (Hg.), On Art - Über Kunst, S. 188). 231 LeWitt, Paragraphs, in: Gerd de Vries (Hg.), On Art, S. 182.
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Der Bezug auf das Primat des kantischen Geschmacksurteils in der modernistischen
Ästhetik, das sich gerade auf das Gegenteil beruft, bildet zweifellos den Hintergrund
dieser Aussage. Die zweite Hälfte des Zitats verweist gleichzeitig noch auf ein wichti-
ges Element, nämlich die Möglichkeit des paradoxen Gebrauchs von Materialität; die-
se Idee wird gerade bei Baldessari in seinen Text-on-Canvas-Bildern virulent, wie sich
im nächsten Kapitel zeigen wird.
Die Conceptual Art ersetzt also die modernistische Ästhetik des materiellen Ob-
jekts durch Arbeiten, die zwar auch eine materielle Gestalt haben, aber deren Gehalt
nicht mit dieser in eins fällt. Es findet eine Betonung des Zeichencharakters eines
Kunstwerkes statt, indem z.B. mit Texten gearbeitet wird.232 In der Sprache, wie in
allen Zeichensystemen, findet immer die von Siegelaub beschriebene Trennung zwi-
schen ‘primary’ und ‘secondary’ Information statt, neu ist aber die Übertragung auf die
bildende Kunst, wobei die Sprache nicht mehr nur beschreibend, sondern auch als ‘äs-
thetisches’ Objekt fungiert, z.B. als Text. Dieser beschreibt nicht ein Kunstwerk, son-
dern er ist eines, aber nicht in erster Linie auf Grund seines Lay-outs, seiner Form,
sondern als Ausgangspunkt für ein Konzept, das sich nur im Prozess eines intellektuel-
len Nachvollziehens erschließen lässt. Das Gleiche gilt für Landkarten oder Fotogra-
fien, die oft als Dokumente ihrer eigenen Entstehung über sich selbst hinausweisen.
3.3.2. Amateurisierung
Ein Instrument der Strategie der ‘Deästhetisierung’ ist die ‘Amateurisierung’, d.h. der
Versuch, die Mittel in einer einfachen und alltäglichen Weise einzusetzen, die mög-
lichst geringe ‘künstlerische’ Fähigkeiten im traditionellen Sinn verlangt. Für Jeff Wall
ist der Einsatz von Fotografie in Edward Ruschas Buch Some Los Angeles Apartments
(1965) (Abb. 12) ein typisches Beispiel für diese Tendenz. Jeff Wall stellt fest, dass
232 Damit knüpft die Conceptual Art an eine lange, traditionsreiche Debatte der Kunstphilosophie an. W.J.T. Mitchell etwa merkt dazu an: „Das Bild ist das Zeichen, das den Anspruch erhebt, kein Zeichen zu sein, und sich als natürliche Unmittelbarkeit und Gegebenheit maskiert (bzw. diese Kriterien für den, der ihm glaubt, auch wirklich erfüllt).“ (Mitchell, Was ist ein Bild, in: Volker Bohn (Hg.), Bildlichkeit. Internationale Beiträge zur Poetik, Frankfurt 1990, S. 55f.). In diesem Licht betrachtet geht die Kritik der Conceptual Art also zu weit bzw. die Selbstbeschreibung des Modernismus trifft nicht zu, denn auch die Bilder des Abstrakten Expressionismus sind Zeichen. Hinter der Rückkehr des Bildlichen in den siebziger Jahren steckt zweifellos die Erkenntnis, dass auch Bilder (und Fotografien) konventionelle Zeichen sind.
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die Bilder fast alle grobe fotografische Fehler aufweisen und vermutet dahinter eine
bestimmte Absicht, nämlich: „[...] a hilarious performance, an almost sinister mimicry
of the way ‘people’ make images of the dwellings with which they are involved“.233
Der Begriff der ‘Performance’ deutet an, dass Wall der Meinung ist, dass Ruscha ei-
gentlich in der Lage wäre, ‘bessere’ Fotos zu machen, er dies aber absichtlich unterlas-
sen hat, dass sein Verhalten also eine Strategie ist. Auch wenn Ruscha nicht im stren-
gen Sinn der Conceptual Art zugerechnet werden kann, waren seine Fotobücher äu-
ßerst einflussreich und haben eindeutig ihre Spuren in der Fotografie von Douglas
Huebler oder Baldessari hinterlassen.
Der Einsatz von Fotografie folgt in der gesamten Conceptual Art nicht der Tradi-
tion der Kunstfotografie und deren Vorstellung eines ästhetischen Bildes. Die Kunstfo-
tografie hatte sich noch nicht so lange als eine eigenständige Gattung etabliert, mit
ihren eigenen Institutionen und Codes.234 Der Bezugspunkt für die Verwendung der
Fotografie in der Conceptual Art ist ihr dokumentarischer Charakter, dessen Verbin-
dung zur Wirklichkeit, einfache Handhabung und geringe Kosten es für diese Rolle
prädestinierten. Aber auch der dokumentarische Einsatz der Fotografie erfolgt meist
auf eine Weise, die sich offensichtlich nur wenig, wenn überhaupt, um die technischen
oder kompositorischen Feinheiten oder die handwerklichen Regeln der Fotografie
kümmert.
Wall sieht in dieser Negation der fotografischen Traditionen die besagte Imitati-
on der Amateurfotografie, und diese stehe für den Versuch der jüngeren Künstler: „[...]
to uproot and radicalize the medium“ mithilfe der „ [...] auto-critique of art identified
with the tradition of the avant-garde“.235 Das Problem der Verwendung von Fotografie
sei dabei gewesen, dass sie als inhärent abbildendes Medium236 keinen Prozess der
Abstraktion analog zur Malerei durchmachen konnte: „The dilemma, then, in the proc-
ess of legitimating photography as a modernist art is that the medium has virtually no
233 Jeff Wall, „Marks of Indifference“: Aspects of Photography in, or as, Conceptual Art, in: Reconsider-ing the Object of Art (Kat.), S. 265. 234 Dieser Aspekt lässt sich z.B. auch am Katalog Proof: Los Angeles Art and the Photograph 1960-
1980 (Text v. Charles Desmarais, Laguna Art Museum, Laguna Beach, CA, 31.10.1992-17.1.1993) ablesen, der sich der Fotografie in Los Angeles in den sechziger und siebziger Jahren widmet – u.a. auch Baldessari und Ruscha – und der deutlich macht, dass es zwei parallele Welten gegeben hat, einmal die Künstler, die fotografieren, und zum anderen die Fotografen, die bei einem ausgezeichneten Professor an der UCLA gelernt hatten. Beide haben so gut wie keine Überschneidungen in der Form gemeinsamer Ausstellungen o.Ä., obwohl die Arbeiten teilweise verblüffend ähnliche Ansätze zeigen. 235 Wall, Marks of Indifference, in: Reconsidering the Object of Art (Kat.), S. 247. 236 Die Kamera zeichnet das auf, was sich vor ihrer Linse befindet, unabhängig vom Willen des Fotogra-fen: „Depiction is the only possible result of the camera system“ (ebd., S. 260).
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dispensable characteristics.“237 Deshalb bestand nur eine Möglichkeit, wie die Selbst-
kritik der Fotografie in die radikale Logik der Avantgarde eingereiht werden konnte:
„[...] eliminating all the pictorial suavity and technical sophistication [...] It was possible, therefore, to test the medium for its indispensable elements [...] by find-ing ways to legitimize pictures that demonstrated the absence of the conventional marks of pictorial distinction [...].“238
Für Wall folgt dieser Prozess insgesamt der Logik der Avantgarde, die darin bestehe,
die Grenzen der Ästhetik immer mehr auszuweiten.239 Allerdings stellt sich die Frage,
ob die Künstler der Conceptual Art tatsächlich die nachholende Avantgarde der Foto-
grafie darstellen.
Walls Beschreibung der Amateurisierung ist zweifellos zuzustimmen, aber es
handelt es sich nicht einfach um eine Verlängerung der Avantgarde im Rahmen der
Fotografie, sondern um eine Infragestellung der ästhetischen Codes durch die Verwen-
dung von als unkünstlerisch konnotierten Medien, wie der Hobbyfotografie. Entgegen
der Feststellung Walls, dass hier eine „impersonation“240 stattfinde, gilt für die meisten
der Künstler wie Baldessari eher, dass es sich tatsächlich um ‘Hobbyfotografen’ han-
delt, die sich, wie viele andere ihrer Art, die technischen, praktischen und finanziellen
Vorteile dieses Mediums zunutze machen.241 John Roberts fasst dies prägnant zusam-
men:
„Indeed the majority of the artists (in the USA and Britain) had no knowledge of the history of photography. What they were interested in was the fact that pho-tography was commonplace, [...] and therefore something that fitted quite readily into conceptual art’s anti-aesthetic and disaffirmative ethos.“242
Der Unterschied zu einem Hobbykünstler liegt darin, dass die Künstler der Conceptual
Art diese Eigenschaften für ihren anti-ästhetischen Zweck, wie Roberts es ausdrückt,
oder anders gesagt, für ihre Untersuchung der Fragen der Kunst nutzen und dabei auch
237 Ebd., S. 261. 238 Ebd. 239 Wall definiert Avantgarde im Übrigen ausdrücklich gegen das Modell von Bürger: „Thus, to a certain extent, one can invert Bürger’s thesis and say that avant-garde art not only constituted a critique of Aes-theticism, but also re-established Aestheticism as a permanent issue through its intense problematization of it“ (ebd., S. 250f.). 240 Ebd., S. 266. 241 Das Gleiche gilt auch für das Medium Video, das Ende der sechziger Jahre mit dem Aufkommen der ersten tragbaren Kameras für Künstler zugänglich wurde und das gerade in der Anfangszeit auch in einer dokumentarischen und deästhetisierten, amateurhaften Weise eingesetzt wurde, die sich von der Ästhetik des Films grundlegend unterscheidet und sich rein auf das Geschehen vor der Kamera konzentriert. Siehe etwa I Am Making Art (1970) von Baldessari, in dem eine Kamera auf einem Stativ unbewegt frontal den Künstler filmt, der sich z.T. aus dem Bild bewegt. 242 John Roberts, Photography, Iconophobia and the Ruins of Conceptual Art, in: Ders. (Hg.), The Im-possible Document, London 1997, S. 24.
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das Medium selbst einer Befragung unterziehen. Diese selbstreflexive Befragung be-
zieht sich auch auf den dokumentarischen Gehalt der Fotografie, ihren Bezug zur
Wirklichkeit, und stellt somit eine noch grundlegendere Infragestellung der Fotografie
als Medium dar – über deren Funktion als autonome Kunstgattung hinaus.243
3.3.3. Prozessualität und Serialität
Viele der Arbeiten der Conceptual Art zeichnen sich dadurch aus, dass sie prozessual,
und damit tendenziell unabgeschlossen, oder seriell sind. Diese Eigenschaften hängen
oft sehr eng miteinander zusammen, denn eine Serie impliziert einen Prozess, z.B. die
Abfolge von Permutationen, und ein Prozess impliziert eine serielle Abfolge.244 Au-
ßerdem richten sich beide, auf ihre unterschiedliche Weise, gegen das traditionelle
Kunstwerk und dessen Idee von Ganzheit, wie es vor allem von der modernistischen
Kunsttheorie vertreten wurde. Michael Fried spricht in seinem Aufsatz Art and Ob-
jecthood (1967), wie Elke Bippus es ausdrückt, von „Erfahrung der Augenblicklichkeit
und [...] als Gegenwärtigkeit bezeichnete ‘zeitlose Gegenwart’ (presentness)“.245 Da-
hinter verbirgt sich die Vorstellung, dass ein Kunstwerk in einem Augenblick zu erfas-
sen sei. Demgegenüber verlangen die seriellen Arbeiten der Conceptual Art ein Nach-
vollziehen einer Abfolge in der Zeit, das keine unmittelbare, instantuelle ästhetische
Erfahrung ermöglicht. Die prozessualen Arbeiten sind oft unabgeschlossen und erfor-
dern eine bewusste Vollendung durch die BetrachterInnen.
Ein eindrückliches Beispiel für eine prozessuale Arbeit ist Douglas Hueblers Va-
riable Piece No. 70 (in process) – Global (November 1971). Der Künstler beschreibt
sein Projekt folgendermaßen: „Throughout the remainder of the artist’s lifetime he will
photographically document, to the extent of his capacity, the existence of everyone
alive [...].“246 Eine solche Arbeit kann notwendigerweise nie vollendet werden – wes-
243 Wall würde hier allerdings auch nicht mehr von ‘Photoconceptualism’ sprechen, sondern von dessen Erben, die auf der Basis von dessen Ergebnissen eine Neubewertung der Fotografie vornehmen können. Beispiele dafür sind Baldessari oder Victor Burgin, die sich Anfang der siebziger Jahre mit dem Medi-um Fotografie und seinen gesellschaftlichen Funktionsweisen beschäftigten (vgl. Wall, Marks of Indiffe-rence, in: Reconsidering the Object of Art (Kat.), S. 266). 244 An dieser Stelle gilt es darauf hinzuweisen, dass der Aspekt der Serialität bereits in der Minimal Art eine zentrale Rolle spielte, siehe etwa Judds serielle Wiederholungen der identischen Formen. Aller-dings blieb der Bezug auf ein materielles Objekt bestehen; in der Conceptual Art ändert sich dies grund-legend. 245 Elke Bippus, Serielle Verfahren: Pop Art, Minimal Art, Conceptual Art und Postminimalism, Berlin 2003, S. 167. 246 Huebler, zit. nach Rorimer, New Art, S. 140.
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halb Huebler angab, dass er in periodischen Abständen bestimmte Sammlungen he-
rausgeben wolle: „‘100,000 people,’ ‘10,000,000 people,’ ‘people personally known
by the artist,’ ‘look alikes,’ ‘overlaps,’ etc.“247 Diese prinzipielle Offenheit ist gerade
die Basis dieser Arbeit, deren Bedeutung von der tatsächlichen Umsetzung unabhängig
ist, weil das zugrundeliegende Konzept auch ohne seine vollständige Ausführung
nachvollziehbar ist, auch wenn Huebler nicht darauf verzichtet hat, das Projekt zumin-
dest zu beginnen.
Der zweite Aspekt, der auch mit dem der Prozesshaftigkeit verbunden ist, ist die
Serialität als künstlerische Methode. Die zentrale Rolle, die dieses Thema in der Con-
ceptual Art spielte, zeigt sich auch daran, dass es eine Reihe von Aufsätzen zu diesem
Thema gibt. Einer von ihnen stammt von Mel Bochner (The Serial Attitude)248, der
drei Punkte hervorhebt:
„1. The derivation of the terms or interior divisions of the work is by means of a numerical or otherwise systematically predetermined process (permutation, pro-gression, rotation, reversal). 2. The order takes precedence over the execution. 3. The completed work is fundamentally parsimonious and systematically self-exhausting.“249
Bochner nennt hier drei zentrale Aspekte, die auf alle Arbeiten der Conceptual Art
zutreffen, die sich einer seriellen Methode bedienen. Gemeinsam ist diesen, dass sie
kein ‘Werk’ im traditionellen Sinn darstellen. Eine der Möglichkeiten, dies umzuset-
zen, besteht darin, eine Arbeit beliebig oft zu wiederholen, ohne dass eine der Ausfüh-
rungen den Charakter eines Originals erhält, wie etwa bei LeWitts Wall-Drawings (ab
1970). Diese basieren auf jeweils verschiedenen Zeichnungen, die dann auf Wände
übertragen werden, wobei sich das Ergebnis aufgrund der jeweiligen Gegebenheiten
unterscheidet, so dass nicht nur einfach Wiederholungen eines Originals, sondern Va-
riationen entstehen, die außerdem nicht einmal vom Künstler selbst hergestellt wer-
den.250 LeWitt verwendet dabei oft mathematische Permutationen als Grundlage: Es
handelt sich um einer bestimmten Logik folgende Varianten eines Grundprinzips, z.B.
247 Ebd. 248 Erstausgabe: Artforum international, Vol. 6, Nr. 4, Dezember 1967, S. 28-33. 249 Mel Bochner, The Serial Attitude, in: Alberro/Stimpson (Hg.), Conceptual Art: A Critical Anthology, S.23. 250 Zwar handelt es sich dabei durchaus um Arbeiten Sol LeWitts, die also in gewissem Sinn jeweils ‘originale’ LeWitts darstellen, aber es sind eben keine Originale im traditionellen Sinn als vom Künstler selbst geschaffene und durch seine Signatur privilegierte Objekte, es sind aber auch keine Reproduktio-nen eines Originals, wie etwa Abzüge einer Fotografie, sondern jeweils unabhängige Ausführungen eines Konzepts, am ehesten vergleichbar mit einer musikalischen Notation, deren Ausführung immer gleich, aber doch verschieden ist.
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die möglichen Überschneidungen von vertikalen, diagonalen und horizontalen Linien
(ein Beispiel dafür ist Wall Markings von 1968). Eine zweite Möglichkeit besteht dar-
in, die Prozessualität selbst zum Thema der Arbeit zu machen, indem ein Prozess in
einer seriellen Form präsentiert wird, wie bei den fotografischen Serien Throwing
Four Balls in the Air to Get a Square251 (Abb. 8) von John Baldessari oder Shadows
on the Floor of the Sperone Gallery (1971) von Jan Dibbets, wobei Letztere den sich
verändernden Lichteinfall während eines Zeitablaufs wiedergibt. Schließlich können
auch natürliche Prozesse zum Thema werden, etwa bei Hans Haackes Condensation
Cube (1963-65), einem Plexiglaswürfel, in dem sich Feuchtigkeit befindet, die sich in
der Form von Kondensation auf der Innenseite niederschlägt. Dadurch verändert dieser
sein Aussehen permanent und thematisiert somit in einer besonderen Weise das Ele-
ment der Unabgeschlossenheit.
Entscheidend ist bei allen Varianten, dass es kein Original mehr gibt, kein ferti-
ges Kunstwerk, welches sich eindeutig von Studien oder Entwürfen unterscheiden lie-
ße. Sowohl die Prozesshaftigkeit als auch die Serialität basieren auf einer gemeinsa-
men Vorstellung von Kunst, die Elke Bippus in ihrer Arbeit zu diesem Thema folgen-
dermaßen zusammenfasst:
„[...] serielle Verfahren [...] artikulieren Kunst in einer spezifischen Weise: als ein herstellendes wiederholbares Verfahren. Ein solches Konzept von Kunst un-terscheidet sich wesentlich von essenziellen Kunstkonzepten, an deren Ursprung etwa die Intuition und individuelle Schöpfung des Künstlers aufgerufen ist.“252
Der Begriff ‘essenzielle Kunstkonzepte’ bezieht sich zwar nicht nur auf den Moder-
nismus, aber in dieser historischen Konstellation ist der Verweis eindeutig; zumal ge-
rade die Aspekte der Prozesshaftigkeit und der Serialität zwei der zentralen Kompo-
nenten der Kritik an der modernistischen Kunst sind.
Die prozessuale und serielle Vorgehensweise versetzt einige Arbeiten der Con-
ceptual Art in die Nähe von Experimenten, allerdings ohne eine wissenschaftliche
Zielsetzung. Bei den meisten Arbeiten der Conceptual Art ist die Verbindung zur Form
des Experiments nur sehr oberflächlich, allerdings gibt es Ausnahmen, die in ihrer
Methodik einem streng wissenschaftlichen Ansatz recht nahekommen. Ein Beispiel
wäre Gallery-Goers’ Birthplace and Residence Profile, Part I and II (1969 bzw. 1970)
von Hans Haacke. In diesen Arbeiten werden die Besucher der Galerie jeweils nach
251 Bei Baldessaris Arbeit handelt es sich allerdings auch um eine Parodie der positivistisch geprägten Vorstellungen, die viele der seriellen Arbeiten prägen (siehe Kapitel 4.2.4.). 252 Bippus, Serielle Verfahren, S. 23-24.
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ihrer Herkunft bzw. ihrem Wohnort gefragt. „The two works [...] succeeded in em-
bodying sociological information about their own viewers, who provided the statistical
‘material’ on which each is based.“253 Im Prinzip unternimmt Haacke also nichts ande-
res als eine soziologische Untersuchung zur Frage des sozialen Hintergrunds der Besu-
cher. Trotzdem ist auch hier der eigentliche Zweck nicht, soziologische Erkenntnisse
zu gewinnen, sondern die Kunst gesellschaftlich zu verorten, ihre Existenzbedingun-
gen deutlich zu machen.
In dem für die Diskussion der Conceptual Art zentralen Aufsatz Conceptual Art
1962-69: From the Aesthetics of Administration to the Critique of Institutions des Kri-
tikers Benjamin Buchloh wird das Verhältnis der Conceptual Art zu diesen experimen-
tellen und seriellen Verfahrensweisen grundlegend kritisiert. Buchloh erkennt bei Haa-
cke beispielsweise: „the legacy of modernism’s empirical positivism“.254 So sieht er in
der Conceptual Art mit ihrer Reduktion des Kunstwerkes auf eine linguistische Defini-
tion und ihrer Vorliebe für Archive, Karteikarten oder Ähnliches eine ‘Ästhetik der
Verwaltung’:
„[...] it [Conceptual Art] mimed the operating logic of late capitalism and its positivist instrumentality in an effort to place its auto-critical investigations at the service of liquidating even the last remnants of traditional aesthetic experi-ence.“255
Die Nachahmung der „operating logic“ ist für Buchloh ein ambivalenter Prozess, der
im Fall von Kosuth lediglich in einer Affirmation derselben endet. Die zweite Mög-
lichkeit, sich auf die Ästhetik der Administration zu beziehen, besteht in einer Kritik
der Institutionen, die er in Burens und Haackes Arbeiten ab den späten sechziger Jah-
ren verkörpert sieht:
„[Buren und Haacke] turned the violence of that mimetic relationship back onto the ideological apparatus itself, using it to analyze and expose the social institu-tions from which the laws of positivist instrumentality and the logic of admini-stration emanate in the first place.“256
Buchloh sieht schließlich in den Arbeiten von Marcel Broodthaers die Kritik der Insti-
tutionen am konsequentesten vollzogen: „[...] the mimetic subjection of aesthetic ex-
perience to the principles of what Adorno has called the ‘totally administered world’
253 Rorimer, New Art, S. 271. 254 Buchloh, The Aesthetics of Administration, S. 134. 255 Ebd. 256 Ebd.
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were transformed into absolute farce“.257 Allerdings steht Buchloh auch dieser Positi-
on gespalten gegenüber, weil die Auflösung der traditionellen ästhetischen Erfahrung
für ihn äußerst ambivalente Wirkungen zeitigt. Einerseits legt die Mimesis an die ver-
waltete Welt die ideologischen Bedingungen künstlerischer Produktion offen und stellt
so einen „Enlightenment-triumph“ dar, andererseits sorgt sie für „perhaps the last of
the erosions [...] to which the traditionally separate sphere of artistic production had
been subjected [...]“.258 Buchloh konstatiert am Ende seines Artikel in erster Linie die
Auflösung der Autonomie und stellt fest, dass die „paradigms of the past“259, also die
bestimmenden Faktoren der traditionellen ästhetischen Erfahrung im Modernismus,
wie die Rolle des Künstlers, die Autonomie des Kunstwerks oder die rein ästhetische
Erfahrung des Kunstwerkes, durch die Conceptual Art nur verdrängt und nicht besiegt
wurden.
Buchloh konstatiert einerseits zweifellos einige richtige Punkte, wie etwa die
Verwendung von Elementen aus der Werbung bei Kosuth, auf die auch Alberro hin-
weist, andererseits bleibt sein Beharren auf der Autonomie der Kunst zu starr an Ador-
nos Modell orientiert. Außerdem entsprechen diese „paradigms of the past“ einer be-
stimmten historischen Entwicklungsstufe der Kunst, die sich nicht ohne weiteres wie-
der erneuern lässt. Bemerkenswert ist doch gerade, in welcher Weise das Visuelle auf
der Basis der Kritik der Conceptual Art ab dem Ende der sechziger Jahre thematisiert
wurde. An dieser Stelle gilt es, auf Baldessari hinzuweisen, dessen Arbeiten sich gera-
de dadurch auszeichnen, dass sie den positivistischen Tendenzen auf eine selbstiro-
nisch-kritische Weise begegnen, die sich zwar von Broodthaers unterscheidet, seine
ideologiekritischen Konsequenzen aber durchaus teilt. Baldessaris Arbeiten stellen
einen neuen Bezug zum Visuellen, zum Ästhetischen her, der nicht einfach nur die
Vorgaben der „paradigms of the past“ wiederholt.
Buchloh ist insofern allerdings Recht zu geben, als sich die Arbeiten der Con-
ceptual Art tatsächlich durch einen sachlichen, rationalen Grundton auszeichnen, der
sie grundlegend von anderen Kunstrichtungen, etwa der Arte Povera, unterscheidet.
Diese nimmt mit ihrer Verwendung ursprünglicher Materialien und symbolisch aufge-
ladener Formen (z.B. das Iglu bei Mario Merz) immer wieder Bezug auf vermeintlich
Ursprüngliches, Irrationales. Bei Joseph Beuys handelt es sich um ein ähnliches Phä-
257 Ebd. 258 Ebd. 259 Ebd.
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nomen, denn auch seine private Mythologie zeichnet sich durch eine dezidierte Anti-
Rationalität aus. In der Conceptual Art finden sich keine derartigen esoterischen Bezü-
ge auf ‘mystische’ Kräfte. Zwar lautet der erste Satz aus Sol LeWitts Sentences on
Conceptual Art: „Conceptual Artists are mystics rather than rationalists. They leap to
conclusions that logic cannot reach.“260 Eine andere Aussage von ihm legt aber nahe,
dass er damit etwas gänzlich anderes meint: „[...] the idea in the first place is generally
a pretty simple idea with no importance. [...] And then it’s followed absolutely to its
conclusion, which is mechanistic.“261 Diese ‘einfache Idee’ besteht bei LeWitt aus
einer bestimmten ‘mathematischen’ Grundüberlegung, z.B. der Kombination von Li-
nien; sie basiert also auf einer rationalen Grundlage und wird konsequent in einer rati-
onalen Weise zu Ende geführt. Worauf er sich mit dem Begriff ‘Rationalist’ bezieht,
wird in folgender Aussage deutlich: „The kind of formalist art where the artist decides
and makes decisions all the way down the line, that’s a very rational way of thinking
about art.“262 Es ist die Rationalität der ästhetischen Entscheidungen, die LeWitt um-
gehen will, indem er sich einem System unterwirft, das jene Entscheidungen für ihn
trifft. Der Begriff der Irrationalität ist hier offensichtlich anders kodiert, denn er steht
nicht für die Ablehnung von Rationalität an sich, sondern einer bestimmten Form der-
selben.
Diese Haltung ist insofern kennzeichnend für die Conceptual Art als Ganzes,
weil sich in ihr die Ablehnung einer Transzendentalität bzw. einer von der Alltagswelt
abgehobenen Ästhetik äußert. Die kritische Rationalität im oben dargelegten Sinn fun-
giert als ein Mittel gegen die ästhetische Ideologie des Modernismus, die sich als die
einzig ‘natürliche’ präsentiert und die Teil einer Ideologie der bürgerlichen Gesell-
schaft insgesamt darstellt. Insofern ist Buchloh entgegenzuhalten, dass eine Kritik des
Modernismus auch eine Kritik gesellschaftlicher Ideologie insgesamt ist. Deshalb
bleibt es rätselhaft, warum er den „Enlightenment-triumph of Conceptual Art“ – den er
ebenfalls konstatiert – verantwortlich für die Rückkehr der „paradigms of the past“
macht.263 Buchloh versäumt es, seinen Blick auf Künstler wie Baldessari oder Graham
zu richten, die in ihren Arbeiten eine Kritik an den künstlerisch-visuellen Formen for-
260 LeWitt, Sentences, zitiert nach: Gerd de Vries (Hg.), On Art - Über Kunst, S. 186. 261 LeWitt, Interview mit Patricia Norvell, in: Alberro u. Norvell (Hg.), Recording Conceptual Art, S. 121. 262 Ebd. 263 Buchloh bleibt einerseits in vielen Aspekten stark einer adornitischen Kulturkritik verhaftet, während er andererseits durchaus bestimmte Qualitäten der postmodernen Kunst anerkennt. Entscheidend bleibt für ihn aber die Kategorie der Autonomie der Kunst, die er hier in Gefahr sieht.
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mulieren, die auf die Widersprüche und ideologischen Überformungen der Kunst in
der kapitalistischen Gesellschaft hinweist, ohne hinter den historischen Erkenntnis-
stand zurückzufallen und das Heil in den „paradigms of the past“ zu suchen.264
3.3.4. Kritik der Rolle des Künstlers
Alle drei oben aufgelisteten Merkmale der Conceptual Art, die Dematerialisierung, die
Amateurisierung sowie die Serialität und Prozesshaftigkeit, verbindet ein entscheiden-
der Punkt, nämlich der Versuch, die Rolle des Künstlers neu zu definieren. Ausgangs-
punkt für die Kritik der Rolle des Künstlers ist die traditionelle, auch im Modernismus
vorherrschende Vorstellung des Künstlers als eines schöpferisch aus sich selbst heraus
tätigen Menschen (Mannes), der vermittels seiner Kreativität und seiner Genialität die
rohen Materialien bearbeitet und formt und auf diese Weise Kunstwerke erschafft.
Die Kritik der Conceptual Art setzt hier auf drei verschiedenen Ebenen an. Ers-
tens entzieht die Dematerialisierung bzw. Deästhetisierung dem kreativen Künstler
sein Werk, also den durch seine Hände geschaffenen Gegenstand der ästhetischen
Kontemplation, und verweist statt dessen auf die geistigen Prozesse, die in der Kunst
auftreten. Zweitens demonstriert die Amateurisierung, dass diese Arbeiten eigentlich
jeder machen könnte; zumindest macht sie deutlich, dass kein besonderes ästhetisches
Vermögen nötig ist und damit auch kein Künstlergenie mit seiner kreativen Schaffens-
kraft, die es ihm ermöglicht, aus sich heraus Kunstwerke zu schaffen. Schließlich ent-
hebt drittens die Prozesshaftigkeit den Künstler zumindest teilweise seiner Verantwor-
tung für das Produkt. Bippus sagt beispielsweise über die Arbeiten von LeWitt: „Der
Künstler ordnet sich dem System unter und kehrt das Verhältnis von Subjekt und Ob-
jekt um.“265 Der Künstler nimmt somit eine neue Rolle ein, nämlich die des Planers,
der ein (geistiges) Konzept bzw. Modell entwickelt, welches er möglichst einfach und
nachvollziehbar gestaltet und sich nach einer vorherbestimmten Logik selbst entfalten
lässt.
Diese drei Strategien der Conceptual Art finden ihre Entsprechung in einem der
prominentesten Diskurse innerhalb der Postmoderne, der sich um die These vom Tod
264 Bei Baldessari und Graham spielen zweifellos auch der Einfluss der Poststrukturalisten und deren Version einer Ideologiekritik eine Rolle. 265 Bippus, Serielle Verfahren, S. 77.
83
des Autors dreht.266 Die Strategien der Kunst zu dieser Frage beziehen sich zum Teil
direkt auf diesen Diskurs oder laufen zumindest parallel zu ihm.267
3.3.5. Dekontextualisierung
Die Conceptual Art steht auch für eine Hinterfragung des Kontexts der Kunst, ihrer
Institutionen, ihrer Mechanismen und ihrer Ideologie. Statt den institutionellen Rah-
men eines Museums oder einer Galerie einfach als gegeben hinzunehmen, werden des-
sen Wirkungsweisen offengelegt. Die Kritik der Institutionen wurde bereits im Zu-
sammenhang mit Buchloh als möglicher Ansatz innerhalb der Conceptual Art erörtert;
die in diesem Abschnitt diskutierten Formen der Auseinandersetzung mit dem Kontext
gehen allerdings über Buchlohs Vorstellungen hinaus und ziehen, sowohl personell als
auch thematisch, einen weiteren Kreis.
Unter dem Terminus ‘Kontext’ werden dabei ganz verschiedene Elemente, je
nach Ansatzpunkt der KünstlerInnen, verstanden. Kosuth und Art & Language verste-
hen laut Dreher unter ‘Kontext’ die allgemeinen Bedingungen von Kunst überhaupt,
die sie durch eine Kritik der Institution Kunst aufdecken wollen:
„Für Kosuth und Art & Language – den konzeptuellen Künstlern, die mit der komplexesten Reflexion und Selbstreferenz arbeiten – sind die institutionellen Rahmenbedingungen der Präsentation von Kunst der Bezugspunkt ihrer künstle-rischen Tätigkeit [...].“268
Die Selbstreflexion erfolgt in den Textarbeiten von Art & Language in der äußerst
komplexen Form einer philosophischen Untersuchung über die Bedingungen von
Kunst überhaupt, teilweise als allgemeine epistemologische Kritik von Wissen, die
einem philosophischen Journal zur Ehre gereichen würde. Ausschlaggebend für die
Beurteilung einer künstlerischen Arbeit kann aber nicht der philosophische Abstrakti-
onsgrad der verwendeten Texte sein, sondern wie die Arbeiten als künstlerische Arbei-
266 Barthes’ Text Death of the Author, der zum ersten Mal bereits 1967 in einer dem Umfeld der Con-ceptual Art entstammenden Zeitschrift (Aspen 5+6, Spring/Winter 1967) erschien, also ein Jahr bevor er auf Französisch in der Zeitschrift Mantéia veröffentlicht wurde. Der zweite maßgebliche Text zu diesem Thema ist: Michel Foucault, Was ist ein Autor? (franz. Erstausgabe 1969). 267 Da es sich bei der Infragestellung der Autorschaft im klassischen Sinn um eine der zentralen Strate-gien Baldessaris handelt, sei an dieser Stelle nur darauf verwiesen, dass diese Frage am Ende dieses Kapitels, aber vor allem in den Kapiteln 4.1.1. und 4.1.2., thematisiert werden wird. 268 Dreher, Konzeptuelle Kunst, S. 113f.
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ten wirken.269
Die Auseinandersetzung mit dem institutionellen Kontext, dem ‘Betriebssys-
tem Kunst’ (BSK)270 und seinen Funktionsweisen, beschäftigte eine Reihe von Künst-
lerInnen. Dabei ging es um die Frage, wie das ‘BSK’ mit Kunst umgeht, wie die Rolle
des Künstlers durch dieses determiniert wird und wie dieses durch den Markt den Stel-
lenwert eines Künstlers bestimmt. Ein Beispiel für diesen Ansatz sind Baldessaris
Commissioned Paintings (1970) (Abb. 4), die sich auf das Verhältnis zwischen Hob-
bykunst und ‘richtiger’ Kunst beziehen, oder seine Serie Ingres and Other Parabels
(1971) (Abb. 6), die sich in der Form von Geschichten mit den Funktionsweisen des
‘BSK’ auseinandersetzen.271
Schließlich gibt es noch die Idee des Kontextes als des realen Raums, in dem
Kunst gezeigt wird, und seines Einflusses auf die Arbeiten. Dieser Bereich wurde in
vielfältiger Weise thematisiert, etwa durch Smithsons Nonsite-Arbeiten (1968) (Abb.
13), die einen Austausch zwischen einem Ort und einem ‘Nicht-Ort’, eben der Galerie,
inszenieren:
„By means of linguistic and cartographic representation, he allied institutional exhibition contexts with non-art environments [...]. By uniting the object on view with information on the source of its material components, the nonsites question art’s autonomous standing within the museum or gallery.“272
Die Einordnung dieser Arbeiten unter die Conceptual Art, obwohl ein materielles Ob-
jekt vorliegt, ergibt sich dadurch, dass dieses in einen konzeptuellen Rahmen eingebet-
tet ist, ohne den die Arbeit keinen Sinn ergäbe und der einen über den rein ästhetischen
Genuss hinausreichenden Erkenntnisgewinn ermöglicht. Ein Beispiel für eine unmit-
telbare materielle Auseinandersetzung mit den Bedingungen der Kunst ist Michael
Ashers Ausstellung in der Claire Copley Gallery in Los Angeles 1974, bei der er die
Rückwand, die den Ausstellungsraum vom Büro der Galerie trennt, entfernen ließ,
wodurch das normalerweise verborgene Büro zum Vorschein kam und damit die kon-
kreten Bedingungen des Betriebs der Galerie selbst.
269 Damit sollen nicht die Arbeiten von Kosuth oder Art & Language abgewertet werden, sondern es soll darauf hingewiesen werden, dass komplexe Texte allein, vor denen die meisten BetrachterInnen ratlos stehen, nicht unbedingt das Kriterium für gelungene Selbstreferenz sein müssen. Bei Baldessari findet diese nämlich vermittels der Konfrontation der Texte mit ihrer eigenen bildlichen Form statt. Siehe Kap. 4.1.1., in dem auch einige Beispiele von Kosuth diskutiert werden. 270 Vgl. Bonnet, Kunst der Moderne, S. 90. Dort findet sich eine Grafik, die die verschiedenen Protago-nisten auflistet und deren Verknüpfungen andeutet. Dem Begriff ‘Betriebssystem Kunst’ wurde bereits ein Band des Kunstforum international gewidmet: Bd. 125, Januar/ Februar 1994. 271 Vgl. Kap. 4.1.2. bzw. 4.2.2. 272 Rorimer, New Art, S. 237.
85
Eine andere Variante der Thematisierung des Kontexts liegt in den Arbeiten vor,
die sich mit dem medialen Rahmen von Kunst auseinandersetzen oder die auf eine
Grenzüberschreitung der Arbeiten in eigentlich nicht künstlerisch konnotierte Kontex-
te basieren. Das prominenteste Beispiel ist die Arbeit Homes for America (1966-67)
(Abb. 14) von Dan Graham.273 Der Status dieser Arbeit war von Anfang an unklar,
denn sie wurde nicht als Kunst präsentiert, sondern als ein Artikel über suburbane Ar-
chitektur. Ähnlich arbeiten auch Smithsons Artikel Monuments of Passaic274 (Abb. 15)
oder Domain of the Great Bear,275 die jeweils mit der Kontextverschiebung in der
Kunstzeitschrift und mit ihrer Form als Artikel spielen. Entscheidend ist daneben auch,
dass sie gleichzeitig einen hybriden Status einnehmen, indem sie Artikel und Kunst
sind, Architekturbericht und Auseinandersetzung mit der Minimal Art, Reisebericht
und Parodie desselben. Das unterscheidet diese Artikel grundlegend von den bereits
erwähnten kunsttheoretischen Beiträgen, etwa von LeWitt, der seine Artikel ausdrück-
lich nicht als Kunst verstanden haben wollte.276 Aber auch von den Arbeiten von Art
& Language oder Kosuth, die Kunsttheorie als Kunst betreiben, trennt sie, dass
Smithson und Graham in den Arbeiten selbst eine immanente Kritik betreiben, indem
sie mit ihrem Kunstbezug und den dialektischen Verschiebungen von Form und Inhalt
bzw. Kunst und Nichtkunst spielen.
3.3.6. ‘Cross-over’-Strategien und Appropriation
Ein weiteres Kennzeichen der Conceptual Art ist der Einsatz von ‘Cross-over’-
Strategien, die sich dadurch auszeichnen, dass sich eine Arbeit nicht mehr eindeutig
einer Gattung, ja nicht einmal dem Feld der bildenden Kunst überhaupt zuordnen lässt.
Diese Arbeiten vermischen Elemente aus unterschiedlichen Bereichen, wie Sprache,
Fotografie oder Malerei, ohne diese wieder in ein traditionelles Tafelbild zu integrie-
ren, wie es z.B. die Pop-Art noch getan hat. Selbst wenn wie bei Baldessaris Text-on-
Canvas Serie (1966-67)277 (Abb. 1-3) auf das Tafelbild durch die Verwendung von
273 Dan Graham, Homes for America, in: Arts Magazine, Nr. 41, Dezember 1966 - Januar 1967. 274 Robert Smithson, The Monuments of Passaic, in: Artforum (New York), Vol. 6, Nr. 4, Dezember 1967. 275 Mel Bochner u. Robert Smithson, Domain of the Great Bear, in: Art Voice, Herbst 1966. 276 LeWitt schreibt in den Sentences als letzten Satz: „These sentences comment on art, but are not art“ (Sentences, in: Gerd de Vries (Hg.), On Art, S. 190). 277 Vgl. Kap. 4.1.1.
86
Leinwänden verwiesen wird, dann ist dies immer gebrochen. Der Bezug zur Gattung
der Malerei wird gleichzeitig durch die Texte wieder in Frage gestellt, weil diese sich
in einer Weise auf die Bilder beziehen, die in der Malerei nicht vorgesehen ist. Die
Produkte dieses Prozesses, die man auch als ‘Hybride’ bezeichnen könnte, sind gleich-
zeitig Bilder und Texte über Bilder.
In einer ähnlicher Weise wirkt die Appropriation, ein Begriff, der eigentlich aus
den achtziger Jahren stammt und die Aneignung von ‘fremden’ Bildern oder Gegens-
tänden durch einen Künstler bezeichnet.278 Osborne definiert den Begriff folgender-
maßen:
„[...] it [der Begriff der Appropriation] denotes the transposition of an object from an extra-artistic context into an artistic one, and its consequent re-functioning, in such a way as both to mark and to challenge the idea of art as a set of special kinds of object.“279
Mit Objekt kann hier auch ein Bild gemeint sein. Ein Beispiel für eine solche Aneig-
nung und Übertragung fremder Bilder ist Baldessaris A Different Kind of Order (The
Thelonious Monk Story) (1972-73) (Abb. 7),280 deren Fotografien aus alten Zeitungsfo-
tos bestehen. Denkbar ist aber auch eine Appropriation formaler Eigenschaften, wie
etwa bei den bereits erwähnten Artikeln von Graham und Smithson, die eine bestimm-
te mediale Form übernehmen – und nicht einen bestimmten Artikel.
Das entscheidende Merkmal ist, dass die Fotos nicht einfach zu Collagen trans-
formiert und somit wiederum Teil eines Bildganzen werden, sondern dass sie als se-
mantische Einheiten aus einem anderen Code verwendet werden und auf diese Weise
die Vorstellung des Bildes als eines geschlossenen Ganzen in Frage stellen. Damit
verbunden ist eine weitere Fassette der Kritik des Künstlers in seinem traditionellen
Sinn, denn diese Bilder werden als einer anderen Quelle entnommen präsentiert, als
nicht aus der Hand des Künstlers stammend, ohne dies durch einen kreativen Eingriff
zu verbergen.
Die beiden behandelten Strategien der Hybridisierung und der Appropriation
spielten in der Conceptual Art bereits eine Rolle, so lassen sich z.B. auch die Wörter-
buchdefinitionen von Kosuth in diese Reihe stellen. Allerdings stützten sich einige der
Hauptvertreter der Conceptual Art wie Weiner weniger auf diese Strategien, während
278 Beispiele dafür sind Richard Prince, der Bilder aus der Werbung o.Ä. reproduziert, oder Sherry Le-vine, die z.B. bei der Arbeit Fountain (1991) ein Kunstwerk, in diesem Fall Duchamps Pissoir, in ver-änderter Form wiederherstellt. 279 Osborne, Conceptual Art, S. 35. 280 Vgl. Kap. 4.2.3.
87
die eher ‘postmodernen’ VertreterInnen der Conceptual Art, wie Baldessari oder Gra-
ham, bereits Ende der sechziger bzw. Anfang der siebziger Jahre schwerpunktmäßig
mit diesen arbeiteten. Gerade die Appropriation steht auch für eine Abkehr von der
rein ‘linguistischen’ Conceptual Art und eine Rückkehr der Bilder, sie begann sich
also mit der Neuorientierung ab Anfang der siebziger Jahre, die auf den Ergebnissen
der Conceptual Art aufbaut, durchzusetzen.
Die Frage nach dem Verhältnis zum Bild ist ein zentrales Problem bei der Be-
wertung der Künstler der Conceptual Art. Roberts sieht bei der „analytischen Concep-
tual Art“,281 also Kosuth oder Art & Language, eine Ikonophobie am Werk:
„Translated into the politics of the spectacle of the late sixties the distrust of the visual in analytic conceptualism introduces a [...] radical or even revolutionary iconoclasm. [...] The spectator is seduced by forms that are not in the interests of his or her autonomy as a thinking and acting subject.“282
Dieser Furcht vor dem Visuellen stellt Roberts den Zweig der Conceptual Art entge-
gen, der mit Fotografie arbeitete und der Anfang der siebziger Jahre zu einer Öffnung
zum Visuellen, vor allem in der Form des appropriierten, medialen Bildes, zurückkehr-
te, in der sich eine Orientierung zurück zu einer ‘Lust’ am Bild ausdrückt. Roberts
bezieht sich dabei auf John Stezaker, aber auch Baldessari passt in dieses Schema, wie
sich in seinen Arbeiten ab Mitte der siebziger Jahre zeigt, wie z.B. der Violent Space
Series (1976) (Abb. 9).283 Roberts weist außerdem mit dieser Trennung innerhalb der
Conceptual Art darauf hin, dass die von Kosuth aufgestellten rein antivisuellen Kate-
gorien oft auf die gesamte Conceptual Art übertragen werden: „[...] Kosuth’s fantasy
of exclusion is made to stand for a position that few other conceptual artists actually
held“.284 Tatsächlich kann man durchaus feststellen, dass es in der gesamten Concep-
tual Art bis zum Anfang der siebziger Jahre Vorbehalte gegen das Visuelle gab, unab-
hängig davon, ob diese vom Versuch, jeden Anschein einer ästhetischen Absicht zu
vermeiden, herrührten oder von der Absicht, sich der Bilderflut des Spektakels zu wi-
dersetzen. Erst die frühen siebziger Jahre brachten eine Wende und in diesem Zusam-
menhang war es insbesondere Baldessari, der das Visuelle vermittels der Appropriati-
on medialer Bilder in seiner ganzen Bandbreite neu entdeckte.
281 Dieser Begriff entspricht auch dem Selbstbild dieser Künstler, die ihre eigene Art der Conceptual Art als diejenige verstanden, die alleine die Kunst wirklich analytisch auf ihre Grundlagen hin untersucht und nicht bloß ‘morphologisch’ konzeptuell ist, ohne ihre Bedingungen zu reflektieren. 282 Roberts, The Impossible Document, S. 22. 283 Vgl. Kap. 4.2.5. 284 Roberts, The Impossible Document, S. 45.
88
3.3.7. Selbstreflexion
Die oben genannten Elemente stellen jedoch, wie oben angedeutet, keine umfassende
Definition der Conceptual Art dar; zumal auch nicht alle der genannten Faktoren bei
allen VertreterInnen der Conceptual Art gleichermaßen zum Tragen kommen. Je nach
Ansatz der jeweiligen Künstlerin oder des jeweiligen Künstlers findet sich meist eine
Kombination aus verschiedenen Elementen mit unterschiedlicher Schwerpunktset-
zung. Allerdings zeichnen sich alle Arbeiten von KünstlerInnen, die zur Conceptual
Art gerechnet werden können, neben einer grundlegenden Sachlichkeit durch Deästhe-
tisierung, Amateurisierung, die Verwendung von Serien und Prozessen, die Kritik der
Rolle des Künstlers, die Thematisierung des Kontexts und schließlich durch eine
Hybridisierung aus. Bei manchen KünstlerInnen treten einige dieser Elemente jedoch
nicht deutlich zutage, weshalb sie leicht übersehen werden können. Insgesamt verbin-
det alle das Interesse an einer analytischen Selbstreflexion der Kunst, also an einer
‘Untersuchung’ der Grundlagen von Kunst überhaupt, die darauf beruht, das, was
Kunst traditionell ausmacht – das Werk, der Künstler, die Ästhetik – in Frage zu stel-
len.
Die Ergebnisse dieser ‘Untersuchung’ fielen allerdings sehr unterschiedlich aus,
Kosuth z.B. präsentiert in seinem Text Art After Philosophy (1967) gleich eine Defini-
tion von Kunst insgesamt:
„Works of art are analytic propositions. That is, if viewed within their context – as art – they provide no information what-so-ever about any matter of fact. A work of art is a tautology in that it is a presentation of the artist’s intention, that is, he is saying that that particular work of art is art, which means, is a definition of art.“285
Auffällig ist zunächst das Bedürfnis des Autors, eine universelle Definition von Kunst
vorzulegen, die letztendlich nur einen Aspekt herausgreift und verallgemeinert. Hier
zeigt sich auch, dass Kosuths theoretische Position,286 stärker als etwa Baldessaris oder
Grahams, durch das modernistische Vorbild geprägt ist; deutlich wird dies am starken
Bezug auf den Begriff der Tautologie. Kosuth selbst wird sich später dieser Verbin-
dung durchaus bewusst:
285 Kosuth, Art After Philosophy, in: Ders., Art After Philosophie and After, S. 20. 286 Zur Kritik von Kosuths philosophischem Ansatz sei an dieser Stelle auf einen Aufsatz von Osborne verwiesen, der die problematischen Schlussfolgerungen und die philosophisch fragwürdige Argumenta-tion Kosuths analysiert (Osborne, Conceptual Art and/as Philosophy, in: Newman/Bird (Hg.), Rewriting Conceptual Art, S. 47-65.).
89
„What modernist circularity points to, in art or science, is that, be it within their theoretical interstices or in social fact, it represents a closed system. In this sense, my example of the tautology was quintessentially modern.“287
Der Begriff der Tautologie suggeriert ebendieses geschlossene System eines hermeti-
schen Kunstwerks, das dem modernistischen Modell äußerst ähnlich ist. Ende der
sechziger Jahre hatte Kosuth diese kritische Wendung allerdings noch nicht vollzo-
gen,288 obwohl darauf hinzuweisen ist, dass seine eigenen Arbeiten nicht einfach nur
dieser Definition folgen, sondern sich als wesentlich vielschichtiger erweisen.
Die andere Variante der Untersuchung über die Möglichkeiten von Kunst besteht
darin, die eigentliche Antwort im Stellen der Frage zu sehen, wie es bei Baldessari
oder Graham der Fall ist, deren Position zudem weniger durch das modernistische
Modell geprägt ist. Auch die jeweilige Herangehensweise an diese Untersuchung un-
terscheidet sich beträchtlich: Von manchen (Art & Language oder Kosuth) wird sie als
ein kunsttheoretisches bzw. philosophisches Problem begriffen und in einer entspre-
chenden Weise, nämlich durch das Verfassen von Texten wie dem oben zitierten, um-
gesetzt, während andere (Baldessari oder Graham) diese Untersuchung als eine Her-
ausforderung an die Praxis verstehen. Die Selbstreflexion wird von diesen Künstlern in
die Kunstwerke selbst versetzt und bewegt sich in einer subversiven Weise innerhalb
des Codes: Die Arbeiten reflektieren sich selbst als Kunstobjekte und damit als Teil
des Bedeutungssystems ‘Kunst’.289
3.3.8. Zusammenfassung
Die Conceptual Art, auch die von Kosuth, bricht also auf allen das Kunstwerk betref-
fenden Ebenen mit der traditionellen Kunst. Statt eines fertigen, vollständigen und
287 Kosuth, Within the Context: Modernism and Critical Practice, in: Ders., Art After Philosophy and After, S. 155. Interessanterweise ist hier aus der Tautologie als einer Definition für jede relevante Kunst ein einfaches Beispiel geworden. In dem gleichen Text heißt es auch: „The attempt was to describe the modernist model of art as being tautological“ (Ebd., S. 153). 288 Retrospektiv versucht Kosuth, seine Fixierung auf das modernistische Modell zu rechtfertigen: „One initiates change by first clarifying and articulating, that is, raising one’s consciousness of the present [...] to this extent a complete break from the modernist bourgeois tradition is impossible“ (Kosuth, Ebd., S. 156). Angesichts der Vehemenz seiner frühen Texte erscheint es fragwürdig, ob Kosuth diese Position innerhalb des modernistischen Denkens bewusst eingenommen hat, um sie von innen zu kritisieren, oder ob er damals diese Verbindung nicht wahrnahm. 289 In der ästhetischen Theorie von Adorno findet sich dazu eine passende Stelle: „Sind die Kunstwerke Antworten auf ihre eigene Frage, so werden sie dadurch selber erst recht zu Fragen“ (Theodor W. Ador-no, Ästhetische Theorie, Frankfurt 1972, S. 17).
90
abgeschlossenen Kunstwerkes haben wir es mit seriellen, prozessualen und offenen
Arbeiten zu tun. Statt der ästhetischen Kontemplation werden wir mit dem Anspruch
des intellektuellen Nachvollziehens konfrontiert, womit sich die ‘Vollendung’ der Ar-
beit in die BetrachterInnen selbst verlagert, was von diesen eine wesentlich aktivere
Anteilnahme erfordert. Die Betrachterin wird zur Leserin, deren Mitarbeit für die Ar-
beiten unerlässlich ist; zeitliche Abfolge ersetzt den im Modernismus vorausgesetzten
unmittelbaren Zugang, der auf einer passiven Betrachtung beruht.
Statt des Künstlergenies, das mit seinen eigenen Händen Kunstwerke (er)schafft,
die sein Innerstes ausdrücken sollen, gibt der Künstler der Conceptual Art die Ausfüh-
rung, wenn sie denn überhaupt stattfindet, an Dritte weiter und verzichtet auf eine per-
sönliche Handschrift oder einen anderen Ausdruck seiner Individualität. Er wird so
zum Planer, zum Spielleiter, zum Experimentator, der gegenüber seinen Produkten in
den Hintergrund tritt, der ein dialektisches Verhältnis zur Kontrolle einnimmt und des-
sen Gefühlsleben für die Arbeiten keine Rolle mehr spielt. Das bedeutet nicht, dass die
KünstlerInnen als AutorInnen völlig verschwinden, sondern dass die KünstlerInnen
einen Wandel durchmachen, der sie vom traditionellen Bild der AutorInnen abhebt.
Ähnlich verhält es sich mit dem Schlagwort von ‘Tod des Autors’: Barthes meint da-
mit nicht, dass es gar keinen Autor mehr gäbe. Reiner Metzger offenbart, dass er die-
sem Missverständnis aufgesessen ist:
„Als diese Künstler [Acconci, Nauman, Oppenheim und Graham] anfingen, kur-sierte die Rede vom ‘Tod des Autors‘. Seither haben sie ein genuines Œuvre ge-schaffen und sich reichlich als Autoren rehabilitiert, als exemplarische, als vor-bildhafte Autoren, die für die Nachfolger Kriterien setzten.“290
Dabei hat Metzger selbst in seiner ansonsten überzeugenden Arbeit zu Dan Graham
den Begriff des Autors neu definiert. Tatsächlich findet sich hier auch kein Wider-
spruch zur Kritik des Autors durch die Conceptual Art, denn was die genannten Künst-
ler unter anderem exemplarisch macht, ist doch gerade ihre nicht-traditionelle, post-
moderne Autorschaft, die nicht im Widerspruch zur Idee eines Œuvre stehen muss.
Die Conceptual Art legte durch ihre kritische Infragestellung der Bedingungen
von Kunst den Grundstein für die gesamte darauffolgende Kunst. Dabei spielt es keine
Rolle, ob sie den eigenen Ansprüchen, nämlich die Kunst völlig zu dematerialisieren
oder sie dem Kunstmarkt zu entreißen, gerecht geworden ist oder nicht. Sie hat durch
den Prozess der Kritik der traditionellen Kunst die freie Verfügbarkeit über alle Me-
290 Rainer Metzger, Kunst in der Postmoderne, S. 212.
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dien und Materialien ermöglicht und so die Werkzeuge, wie Fotografie, Video und
Installationen, zur Verfügung gestellt, die heute die Kunstwelt prägen. Michael New-
man sieht darin eine ambivalente Konsequenz für die Kunst:
„Conceptual Art functioned at once as closure – art ‘finally’ reflecting on its ‘ul-timate’ conditions – and dissolution, since henceforth there would be no limits, other than contingent institutional and economic ones, on what can be taken as art.“291
Der von Newman als Auflösung bezeichnete Prozess der Entgrenzung der Kunst be-
ruht zweifellos auf den Neuerungen der Conceptual Art; unabhängig, ob man dies be-
grüßt oder bedauert, hat die Conceptual Art die traditionellen Grenzziehungen aufge-
hoben. Die Tatsache, dass die Kunst jetzt von kontingenten institutionellen und öko-
nomischen Faktoren abhängt, stellt allerdings keine Neuerung dar, galt dies doch auch
für die modernistische Kunst. Am interessantesten ist die Conceptual Art dort, wo sie
die Bedingungen ihrer eigenen Institutionalisierung reflektiert. Newman fasst das Erbe
der Conceptual Art folgendermaßen zusammen:
„The legacy of Conceptual Art is not a solution, nor is it a ‘style’ to be imitated, but rather a problematic: the laying bare on the one hand of the conditions which all art has to face [...] and on the other hand, the specific conditions of its histori-cal moment and socio-political milieu [...].“292
Newman verdeutlicht damit, dass sich diese Kunstrichtung nicht in eine Richtung auf-
lösen lässt. Denn die Selbstreflexion der Kunst ist selbstredend auch in einem be-
stimmten historischen Kontext verortet und lässt sich ohne diesen nicht verstehen.
Im nächsten Kapitel sollen die Arbeiten Baldessaris einer genaueren Analyse un-
terzogen werden und dabei mit einigen anderen Arbeiten aus der Conceptual Art ver-
glichen werden. Einige der in diesem Kapitel dargelegten Elemente tauchen auch in
den Analysen wieder auf, die sich zuerst allerdings darauf konzentrieren, die Arbeiten
Baldessaris für sich selbst sprechen zu lassen.
291 Michael Newman, Conceptual Art from the 1960s to the 1990s. An Unfinished Project?, in: Kunst &
Museumsjournaal, Vol. 7, Nr. 1/2/3, 1996, S. 99. 292 Ebd., S. 103.
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4. Analyse repräsentativer Arbeiten John
Baldessaris
Die Arbeiten Baldessaris werden in diesem Kapitel einer eingehenden Analyse unter-
zogen und im Hinblick auf ihre Bedeutung im Kontext der Conceptual Art und der
Postmoderne untersucht. Ausgangspunkt sind die Arbeiten selbst, deren ästhetischer
Gehalt Schritt für Schritt nachvollzogen und einer kritischen Prüfung unterzogen wer-
den soll. Die Auswahl und Zusammenstellung erfolgt nach dem Kriterium der von
Baldessari zum Einsatz gebrachten Strategien und Vorgehensweisen, folgt aber auch
einer grob chronologischen Ordnung, um den sich innerhalb des Werkes vollziehenden
Entwicklungsprozess nachvollziehbar zu machen.
Dieses Kapitel besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil (4.1.) widmet sich den Ar-
beiten aus den Jahren 1966-69, die im Thema und in der Wahl der Medien noch den
Vorgaben des modernistischen Diskurses verpflichtet sind, auch wenn sie diesen
selbstreflexiv kritisieren. Die Werkgruppen, um die es hier geht, sind die Text-on-
Canvas-, bzw. Phototext-Arbeiten (beide 1966-68) (4.1.1.) und die Commissioned
Paintings (1969) (4.1.2.). Beide Serien beziehen sich formal und inhaltlich unmittelbar
auf den Modernismus; in welcher Weise dieser Bezug hergestellt wird und wie sich
diese Vorgehensweise auch von einigen anderen im letzten Kapitel erwähnten Vertre-
tern der Conceptual Art unterscheidet, wird ebenfalls Thema dieser Kapitel sein.
Der zweite Teil (4.2.) setzt sich mit den Arbeiten auseinander, die in den frühen
siebziger Jahren entstanden sind, als Baldessari endgültig mit dem ‘modernistischen’
Medium der Kunst schlechthin, der Leinwand, gebrochen hat. Diesen Entschluss
machte er durch eine symbolisch überhöhte Aktion, das Cremation Project (1970)
(Abb. 16), öffentlich.293 In dieser ‘Kremation’ verbrannte er alle Bilder, die vor 1966,
also dem Beginn der Textbilder, entstanden waren und die sich noch in seinem Besitz
befanden. Im Anschluss an diese Aktion begann er mit verschiedenen Medien zu ar-
beiten, wie Fotografie oder Video, und sich auch inhaltlich vom Bezug zum Moder-
293 Baldessari dokumentierte diese Aktion durch Fotos und eine notarielle Bestätigung sowie eine An-zeige in der Zeitung. Die variable Arbeit selbst besteht aus 6 Farbfotos, einer Bronzeplakette, einer buchförmigen Urne aus Bronze, der notariellen Bestätigung, sowie einer extra Schachtel mit Asche.
93
nismus zu lösen. Die neuen Arbeiten stellen vielmehr Versuche dar, die Möglichkeiten
und Grenzen der Kunst unter den neuen Bedingungen einer postmodernen Kultur aus-
zuloten. Die Werkgruppen und Serien, die in diesem Kapitel untersucht werden,
stammen aus den Jahren 1970 bis 1976 und werden an späterer Stelle genauer vorge-
stellt.
4.1. Die Arbeiten der späten sechziger Jahre: Kritik
der modernistischen Ästhetik
Das verbindende Element der beiden Werkgruppen bzw. Serien der Text-on-Canvas-
bzw. Phototext-Bilder und der Commissioned Paintings ist die Verwendung von
Leinwand und Farbe als Medium von Baldessaris Bildern. Es scheint sich also um
Malereien im klassischen Sinn zu handeln. Allerdings wird bei den Text-on-Canvas-
Bildern schon beim ersten Augenschein deutlich, dass wir es hier keineswegs mit ge-
wöhnlichen Bildern zu tun haben. Denn es handelt sich um Texte oder Fotografien
kombiniert mit Texten. Die Fotografien erfüllen außerdem kaum einen gehobenen
künstlerischen Anspruch. Baldessari führt hier die Konfrontation verschiedener Codes
vor, um die Gültigkeit des einen Codes des Modernismus zu untergraben und insge-
samt die Möglichkeiten der ästhetischen Überschreitung stark zu machen.
Die Commissioned Paintings stellen einen ähnlichen Fall dar, doch bei ihnen
handelt es sich tatsächlich um Malereien auf Leinwand. Diese Gemälde stammen aber
nicht aus der Hand des Künstlers, sondern aus der von ihm beauftragter Hobbymaler.
Kapitel 4.1.2. wird sich in erster Linie den daraus folgenden Implikationen für die Rol-
le des Künstlers als Autors widmen, die eine grundlegende Umwertung erfährt. Im
Folgenden werden zuerst die Text-on-Canvas- bzw. Phototext-Serie thematisiert, aus
der drei repräsentative Arbeiten herausgegriffen und analysiert werden.
4.1.1. Die Text-on-Canvas-Serie bzw. Phototext-Serie (1966-68)
Allen Arbeiten dieser Serien sind einige grundlegende Eigenschaften gemeinsam, etwa
die Leinwand als Bildträger oder die mehr oder weniger neutrale Grundierung in ver-
schiedenen gedeckten Farbtönen von Grau bis Hellgrün. Außerdem gibt es einige
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Standardgrößen, von denen es nur wenige Ausnahmen gibt. Von diesen Gemeinsam-
keiten ausgehend, lassen sich die Bilder dieser Serien grob in drei verschiedene Grup-
pen einteilen, aus denen jeweils eine Arbeit exemplarisch herausgehoben und einge-
hender analysiert werden soll. Die erste Gruppe, die einer genaueren Untersuchung
unterzogen wird, sind die Text-on-Canvas-Bilder294; darauf folgen die Phototext-
Bilder, die jeweils Texte und Fotos kombinieren. Aus dieser Gruppe werden schließ-
lich die National City-Schnappschüsse295
herausgegriffen, bei denen der Schwerpunkt
auf dem Foto liegt und der Text nur eine Ortsangabe darstellt. Schließlich sollen die
drei Gruppen wieder zusammengeführt und die verbindenden Elemente herausgearbei-
tet werden.
Die Textbilder
Wie bereits erwähnt weisen die meisten der Bilder, die in den Jahren 1966-68 entstan-
den sind, ein einheitliches Format (172,7 x 143,5 cm) auf,296 das einem Standardfor-
mat für Leinwände entspricht; allerdings finden sich einige Ausnahmen.297 Die Lein-
wände sind alle in verschiedenen neutralen, meist gräulichen, bräunlichen oder auch
grünlichen Tönen grundiert. Baldessaris Motivation für die Verwendung dieser Farben
liegt gerade in deren unkünstlerischer, neutraler Ausstrahlung, die nicht zufällig an
Wandfarben erinnert:
„[...] my father, who was in real estate business, had these cheap apartments in National City and I always would have to paint them. And so there are colors I would refer to as landlord colors: peach, light green, ivory. [...] Anyway, I wanted to use these colors because I just thought I hated them.“298
Wenn man einmal von der ironischen Note dieses Zitats absieht, muss man festhalten,
dass zumindest Indifferenz, wenn nicht sogar Abneigung tatsächlich eine Rolle bei der
294 Die Bezeichnung stammt von Coosje van Bruggen. 295 Die Bezeichnung stammt von Ingo Maerker. 296 Baldessari erklärt die Verwendung dieses Formats damit, dass die Leinwände genau in sein Auto passten. „Their length was the same dimension of the diagonal of the back doors of my Ford Econoline van” (John Baldessari, Interview mit Hugh M. Davies und Andrea Hales, in: John Baldessari: National City, (Kat.) Hugh M. Davies u. Andrea Hales (Hg.), Museum of Contemporary Art San Diego, 3.10.-30.6.1996, S.89). 297 Ausnahmen sind z.B. A Work with Only One Property (Abb. 20) und Pure Beauty (Abb.21), die 149,9 x 114,3 cm bzw. 115,2 x 110,2 cm groß sind. 298 John Baldessari, Interview mit Hugh M. Davies u. Andrea Hales, in: John Baldessari: National City, (Kat.), S.98.
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Wahl dieser Grundierungen spielte. Auf diese Weise wird der gewöhnliche ästhetische
Prozess geradezu auf den Kopf gestellt.
Die Texte nehmen, je nach Länge, unterschiedlich viel Raum ein, sind aber
meistens in der Mitte des Bildes angebracht. Die längeren Texte haben immer eine
Überschrift, im Gegensatz zu den kürzeren, die nur eine oder zwei Zeilen lang sind.
Die Texte zeichnen sich durch zwei grundlegende Eigenschaften aus, erstens sind sie
auf die Leinwand gemalt und nicht gedruckt oder aufgeklebt, und zweitens wurden sie
nicht von Baldessari selbst, sondern von einem professionellen Schildermaler angefer-
tigt. Der Grund für diese Entscheidung lag, wenn man Baldessari glauben darf, in einer
Mischung aus praktischen und theoretischen Erwägungen:
„I actually did teach myself to do brush lettering [...] So I could have done it, but one of the other things I wanted to do was not to physically do these works by myself. A lot of it was practical [...] there was a lack of time.“299
Mit dieser nonchalanten Aussage begründet Baldessari, warum er auf eines der funda-
mentalen Prinzipien der westlichen Kunst seit der Renaissance verzichtete. Baldessari
war sich der Tragweite dieser Entscheidung durchaus bewusst:
„This came out of reexamining what art was supposed to be. And one of the fun-damental assumptions, I suppose – and it still lingers – is that there should be the artist’s touch there in some way, otherwise it’s not art.“300
Wie sich dieses ‘reexamining’ in den Arbeiten äußert und welche Konsequenzen sich
daraus ergeben, wird anhand der Beispiele näher erläutert werden.301
Baldessari hat die Text-on-Canvas-Bilder jeweils in Auftrag gegeben, indem er
mit der Leinwand zu dem Maler ging und ihm den Text mit der Vorgabe vorlegte, die-
sen in einem möglichst neutralen Schrifttyp aufzumalen.302 Dieser Vorgabe folgend,
bestehen alle Texte aus großen Druckbuchstaben. Zwischen den einzelnen Bildern
lassen sich zwar zum Teil kleinere Unterschiede ausmachen, die aber in Relation zu
den Gemeinsamkeiten kaum ins Gewicht fallen. Deutlich sichtbar ist allerdings, dass
es sich um handgeschriebene Texte handelt; auch wenn diese professionell gestaltet
sind, zeigen sie doch immer wieder kleinere Unregelmäßigkeiten.
299 Ebd., S. 88. 300 Ebd. 301 Die Frage der Autorschaft in ihrer vollen Breite wird allerdings erst im Kapitel 4.1.2. über die Com-
missioned Paintings erörtert, weil diese in einer noch grundlegenderen Form das traditionelle Bild des Autors ins Wanken bringen. 302 „Baldessari hired a commercial sign painter who was instructed to use as straightforward a lettering as possible.” (Jan Avgikos, Stating the Obvious, in: John Baldessari: National City, (Kat.), S. 19).
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In thematischer Hinsicht lassen sich die reinen Textbilder ebenfalls in drei ver-
schiedene Varianten unterteilen, wobei es allerdings auch einige Bilder gibt, die sich in
dieses Schema nicht einfügen lassen.303 Bei der ersten Gruppe handelt es sich um rela-
tiv lange Texte, die sich auf die Kunstwelt oder Regeln der Kunst beziehen, wie z.B.
Space, Exhibiting Paintings (Abb. 17) oder Tips for Artists Who Want to Sell (Abb.
18). Diese Texte sind zum Teil Kunstlehrbüchern entnommen. Die zweite Gruppe be-
steht aus ‘Hommagen’ an bestimmte Kritiker, wie z.B. Clement Greenberg (Abb. 19),
For Barbara Rose oder A Painting for Kubler. Die dritte Gruppe schließlich präsen-
tiert ‘aphoristische’ selbstreflexive Aussagen über Ästhetik und Kunst an sich, die sich
auf bestimmte Grundsätze des Modernismus beziehen; dabei handelt es sich um A
Work with Only One Property (Abb. 20), Pure Beauty (Abb. 21) und Everything Is
Purged…(Abb. 1). Im Folgenden soll ein Beispiel dieser Aussagen über Ästhetik näher
betrachtet werden. Diese Gruppe wurde ausgewählt, weil sich hier die Grundlagen der
gesamten Serie und ihr Verhältnis zur Kunst der späten sechziger Jahre und zum Mo-
dernismus am prägnantesten abzeichnen.
Everything Is Purged…
Das Bild Everything Is Purged…(Abb. 1) besteht aus einer grauen Leinwand, auf der
sich etwas oberhalb der Mitte ein zweizeiliger Text befindet. Die beiden Textzeilen
des in schwarzer Schrift offensichtlich von Hand aufgemalten Textes liegen relativ eng
übereinander in der Mitte des äußerst nüchtern wirkenden Bildes. Der Text auf der
Leinwand erinnert mit seiner minimalen ästhetischen Wirkung an Informationstafeln
oder Schilder, wobei dieser Konnotation das Format (172,7 x 143,5 cm) und die Tech-
nik (Acryl auf Leinwand) entgegenstehen. Die Verwendung einer Leinwand steht für
Baldessari in diesem Zusammenhang in erster Linie für eine grundsätzliche Verortung
im Kunstkontext, die allerdings gebrochen ist: „I was attempting to make something
that didn’t emanate art signals. The only art signal I wanted was the canvas.“304
Der in einer schnörkellosen sachlichen Schrift gehaltene Text lautet: Everything
is Purged From This Painting/ but Art, no Ideas Have Entered This Work. Der Text ist
dem Format der Leinwand nicht besonders gut angepasst, die beiden Zeilen wirken
303 Wie z.B. Quality Material oder Semi-Close-Up of Girl by Geranium. 304 John Baldessari, in: John Baldessari, (Kat.) Rudi Fuchs (Hg.), Van Abbemuseum Eindhoven 22.5.-21.6.1981 u.a., S. 6.
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klein und verloren in Relation zu der leeren Fläche, die sie umgibt. Vergleicht man
dieses Bild mit anderen Beispielen, wie Pure Beauty, zeigt sich, dass auch eine andere
Lösung denkbar gewesen wäre, z.B. die Buchstaben zu vergrößern und auf mehrere
Zeilen zu verteilen.305 Auffällig ist, dass die Trennung zwischen den Zeilen ausgerech-
net nach dem Wort ‘Painting’ erfolgt, denn dadurch entsteht eine bestimmte poetische
Figur, das Enjambement, bei dem ein Satz nicht mit dem Ende einer Zeile überein-
stimmt. Durch die Trennung wird ein vollständiger Satz in der ersten Zeile gebildet,
während in der zweiten Zeile so ein Überraschungseffekt erzeugt wird, weil sich der
Sinn durch die Fortsetzung des Satzes ändert und (fast) ins Gegenteil verkehrt wird.306
Ähnlich wie die formale Gestaltung ist der Ton des Textes durch eine nüchterne
Sachlichkeit geprägt, der sich auch an der Verwendung der Satzzeichen ablesen lässt.
Formuliert wird eine Aussage, die sich auf das Bild selbst bezieht, ohne dass dabei ein
bestimmter Sprecher sichtbar würde. In dieser Hinsicht erscheint der Text tatsächlich
wie eine Informationstafel und entspricht den aus der formalen Gestaltung abgeleiteten
Konnotationen.
Der nüchternen Grundstimmung steht allerdings die semantische Ebene entge-
gen. Insbesondere die Verwendung des Wortes ‘Purged’ erscheint zunächst befremd-
lich. ‘Purge’ bedeutet: ‘etwas entfernen’, die Konnotationen dieses Begriffes verwei-
sen allerdings auf einen religiösen oder moralischen Kontext, etwa im Sinne einer ritu-
ellen Reinigung, bei der etwas Unwertes oder Unreines entfernt wird. Auch das engli-
sche Wort für ‘Fegefeuer’ (Purgatory) geht auf diesen Wortstamm zurück. Bezieht
man dieses Bedeutungsfeld mit ein, so wird das Bild zu einem sakralen Bereich, der
von allen Verunreinigungen von außen, also durch alles, was nicht Kunst ist, gereinigt
werden muss. Diese Konnotation wird durch die Verwendung des Wortes ‘Enter’ (ein-
dringen, hineingehen) noch untermauert, weil die Idee des Eindringens voraussetzt,
dass es sich bei der Arbeit um einen abgetrennten Bereich handelt.
Die Teilung des Textes in zwei unabhängige Sätze unterstreicht diesen Aspekt
der Trennung zweier Bereiche. Der erste Teil stellt die Situation einer Tabula rasa her:
Alles ist aus dieser Malerei entfernt bzw. sie ist von allem gereinigt; diese Tabula rasa
305 Auch auf den Bildern mit den längeren Texten, z.B. Exhibiting Paintings (Abb. 17), wird der Raum wesentlich gleichmäßiger durch die Schrift ausgefüllt. 306 Dieser Effekt ist keineswegs zufällig entstanden, etwa dadurch, dass es sich um die Mitte des Textes handelt. Baldessari hätte auch eine andere Formulierung wählen können, etwa Everything But Art Is
Purged..., die flüssiger gewesen wäre. Daraus lässt sich folgern, dass es sich um ein bewusstes Spiel mit dieser poetischen Form handeln muss.
98
wird dann durch den zweiten Teil konkretisiert: ‘außer Kunst, keine Ideen sind in diese
Arbeit eingedrungen’. Durch diese nachträgliche Einschränkung bzw. nähere Bestim-
mung erhält die Aussage aber auch eine ironische Wendung, hatte dieser doch ver-
sprochen, dass alles aus diesem Bild entfernt worden sei.
Baldessari scheint hier also ein vehementes Statement für die Reinheit der Kunst
abzugeben, das stark an die Vorstellungen eines Clement Greenberg von einer idealen
modernistischen Kunst erinnert. Dieser Bezug wird bei einem anderen Bild dieser Se-
rie schon im Titel greifbar: Clement Greenberg (Abb. 19).307 Das Zitat stammt aus
dem Text Complaints of an Art Critic.308 Es handelt sich um eine Auseinandersetzung
Greenbergs mit den Diskussionen um den Formalismus und eine Darlegung seiner
Vorstellungen von Kunstkritik. Der Text beginnt sogar mit diesem Satz, der eine
Kernaussage seiner Ästhetik darstellt, nämlich dem Verweis auf die Natur der ästheti-
schen Urteile in der Tradition von Kant. Auch Joseph Kosuth verwendet dieses Zitat
zu Beginn seines Textes Introductory Note by the American Editor.309 Baldessaris
Verweis auf die Ästhetik des Modernismus bei Everything is Purged steht also im
Kontext einer ausdrücklichen Auseinandersetzung mit der Ästhetik Greenbergs.
Die bisherige Textanalyse hat allerdings einen entscheidenden Aspekt außer
Acht gelassen: Der Text bezieht sich auf dieses spezielle Bild selbst (‘This Painting’).
So plausibel dieser Satz als eine Aussage sein mag, die über ein bestimmtes Bild ge-
macht wird, etwa in der Form einer Unterschrift zu einer Abbildung in einem Buch
o.Ä., so widersprüchlich wird er, wenn er sich auf dieses Bild selbst bezieht. Logisch
gesehen ergibt sich an dieser Stelle ein Widerspruch: Denn wenn dieses Bild von allem
gereinigt ist, wie kann dann ein Satz darauf stehen? Dem ließe sich zwar mit dem
zweiten Teil entgegenhalten, dass dieser Satz Kunst sei, die von der Reinigung ausge-
nommen sein soll. Andererseits seien aber keine Ideen in dieses Werk eingedrungen,
und der Satz stellt zweifellos eine Art Idee dar, und auch die gesamte ‘Komposition’
des Bildes basiert doch auf einer Idee. Die Verweisungsverhältnisse zwischen dem
Text und dem Text-als-Bild geraten ins Schwimmen und werden ineinander gespie-
307 Der vollständige Text lautet: „Clement Greenberg / Esthetic Judgments are given and contained in the immediate experience of art. They coincide with it: they are not arrived at afterwards through reflec-tion or thought. Esthetic judgments are also involuntary: you can no more choose whether or not to like a work of art than you can choose to have sugar taste sweet or lemons sour. (Whether or not esthetic judgments are honestly reported is another matter.)” Ironischerweise ist die Hintergrundfarbe dieser Leinwand grün. 308 Greenberg, Complaints of an Art Critic, in: The Collected Essays and Criticisms, S. 265. 309Vgl. Kosuth, Introductory Note to Art-Language, in: Ders., Art After Philosophy and After, S. 37 (Erstausgabe: Art-Language (Coventry) 1, Nr. 2, Februar 1970, S. 1-4).
99
gelt: Der Text bezieht sich auf das Bild, das wiederum aus dem Text auf der Leinwand
besteht.
Die besondere Funktionsweise von Baldessaris Textbildern lässt sich gut im
Vergleich zu anderen selbstreferentiellen Arbeiten mit Texten herausarbeiten. Ein Bei-
spiel sind einige der frühen Installationen von Joseph Kosuth, wie Clear Square Glass
Leaning von 1965 (Abb. 22).310 Diese Installation besteht aus vier quadratischen Glas-
scheiben, die an einer Wand lehnen, mit jeweils einem der Wörter auf jeder Scheibe;
auf diese Weise beschreibt sich die Arbeit selbst. Nach dem gleichen Grundprinzip
funktioniert One and Eight – A Description (1965) (Abb. 23),311 eine Neonarbeit, die
aus acht Wörtern besteht, die sich selbst beschreiben: Neon Electrical Light English
Glass Letters Red Eight. In beiden Arbeiten beschreibt der Text nur die grundlegends-
ten Eigenschaften der Arbeit. Kosuth geht es um eine möglichst umfassende Redukti-
on der Komplexität, um sich ganz auf die denotative Seite der Sprache konzentrieren
zu können. Die Arbeiten sollen sich gegen jegliche ästhetische Konnotation sperren,
was nicht funktionieren kann, denn sie sind immer auch visuelle Zeichen und damit
ästhetisch aufgeladen, zumal gerade im Kontext der Kunst Verweise, etwa auf die Mi-
nimal Art oder Ad Reinhart, deutlich zu erkennen sind.
Ein anderes Beispiel für ein tautologisches Textbild ist Note: Make a Painting of
a Note as a Painting (Abb. 24) von Gene Beery (1969). Das Bild besteht aus dem im
Titel genannten Text, geschrieben wie eine handschriftliche Notiz auf einem Notizzet-
tel. Auf diesem Bild ist der semantische Zirkel nicht nur vollständig in sich geschlos-
sen, sondern er überschlägt sich gewissermaßen, weil der Text nicht nur das Bild (oder
die Objekte) beschreibt, sondern mit diesem identisch ist.
Alle drei genannten Arbeiten zeichnen sich dadurch aus, dass sie in sich ge-
schlossen sind und wie eine Tautologie wirken.312 Die Zeichen beziehen sich dabei
jeweils auf sich selbst als ihren eigenen Referenten, anders gesagt: Was wir lesen und
310 „The first use of Ein anderes Beispiel ist Any Five Foot Sheet of Glass to Lean Against Any Wall (1965). Diese Arbeit besteht aus der im Titel genannten Glasscheibe, die an einer Wand lehnt. Nach eigener Aussage war dies Kosuths erste konzeptuelle Arbeit: language began with this work. With the first glass piece it was the label which took on a great importance” (Kosuth, Art as Idea as Idea: An Interview with Jeanne Siegel, in: Ders., Art After Philosophy and After, S. 49). Wie Kosuth hier richtig bemerkt, ist in dieser Arbeit der Text noch nicht Teil des Bildes, sondern als Titel von diesem getrennt. Vgl. auch: Jack Burnham, Alice’s Head. Reflections on Conceptual Art, in: Artforum (New York) Vol. 8, Februar 1970, S. 39. 311 Vgl. Jeff Perrone, ‘Words’: When Art Takes a Rest, in: Artforum (New York), Vol. 15, Mai 1977, S. 36f. 312 Wie bereits in Kapitel 3.3.7. dargelegt, spielt das Konzept der Tautologie in Kosuths Kunsttheorie eine zentrale Rolle.
100
was wir sehen, fällt in eins, anstelle des üblichen Verweisungsverhältnisses entsteht
eine Identität.313 Gleichwohl macht diese semantische Volte etwas deutlich: Dieser
Sonderfall der Signifikation hinterfragt durch seine Struktur unsere Wahrnehmung und
unsere Erwartungen an das Verhältnis von sprachlichen (schriftlichen) Zeichen und
deren Referenz. Damit lenken diese Arbeiten die Aufmerksamkeit auf die Tatsache,
dass auch sprachliche (schriftliche) Zeichen eine Materialität haben, die sich in ver-
schiedenen Medien ausdrücken muss. Die Arbeiten basieren also auf ihrer tautologi-
schen Form, deren semantischer Selbstbezug allerdings auf der Ebene einer Demonst-
ration der Regeln strukturalistischer Wortspiele verbleibt.
Baldessaris Bild geht aber über diesen semantischen Zirkel hinaus, indem er ers-
tens das Bild nicht nur sich selbst bezeichnen, sondern dieses sogar eine Aussage über
seinen Gehalt machen lässt, die aber wiederum im Widerspruch zu seiner Form steht.
Bei Everything Is Purged… handelt es sich nicht um einen Zirkel der Signifikation,
weil dieser auf der semantischen Ebene gebrochen wird: Signifikant und Signifikat
fallen auseinander und das Bild stellt sich selbst in Frage. Die Struktur erinnert mehr
an die einer Spirale, deren Enden sich zwar aufeinander zu bewegen, sich aber nicht
treffen, weil sie sich auf verschiedenen Ebenen befinden. Baldessaris Interesse geht
über das Spiel mit der Tautologie hinaus. Das Bild thematisiert durch seinen Text
komplexe semantische Fragen, die nicht nur die ästhetischen Normen des Modernis-
mus, sondern auch den Status des Bildes als Kunstwerk und dessen Abhängigkeit vom
Kontext der Präsentation einbeziehen.
Baldessari verdeutlicht in Everything is Purged…, dass sich hinter den oft apo-
diktischen Aussagen der formalistischen und modernistischen Ästhetik eine Vielzahl
von Widersprüchen verbirgt.314 Der Widerspruch in diesem Fall gründet nicht darin,
dass Kunst und Idee als Gegensätze dargestellt werden. Denn auch einem Bild, das
genau dieser Beschreibung – im Sinne des Formalismus – entsprechen würde, läge
schließlich eine Idee zugrunde, auch wenn es diese nicht formulieren könnte. Schließ-
313 Kosuth hat dieses Problem der Referenz von Zeichen bzw. des Verhältnisses von Abbildung, Objekt und Text in der Arbeit One and Three Chairs (1965) erneut aufgegriffen. Allerdings handelt es sich hier nur scheinbar um ein geschlossenes Verweisungsverhältnis. Der Frage des Verweisungsverhältnisses von Bild und Text hatte sich René Magritte bereits 1929 in seiner Arbeit mots et images (La Révolution
Surréaliste, Vol. 5, Nr. 12, Dezember 1929) angenommen und dabei festgestellt, dass ein Objekt nie die gleiche Funktion wie sein Name oder sein Bild erfüllen kann. 314 Zur eingehenden Auseinandersetzung mit dem Modernismus und seinen ästhetischen Grundlagen siehe Kap. 3.1.2 und 3.1.3.
101
lich liegt jedem Bild irgendeine Idee oder Vorstellung zugrunde, die auch in dieses
eindringt, das heißt allerdings nicht, dass es sich auf diese reduzieren ließe.
Baldessari bezieht durch die Verwendung der Leinwand noch eine mediale Ebe-
ne mit ein, die das Bild ebenfalls im Kontext des Modernismus verortet. Die Leinwand
ist die Voraussetzung dafür, die Bilder als ‘Malereien’, im Gegensatz etwa zu Objek-
ten, wahrzunehmen. Im Kontext des Modernismus steht die Malerei für die höchste
Form künstlerischen Ausdrucks, deren grundlegendes Merkmal es ist, ihre Flächigkeit
zum eigentlichen Thema zu machen. Ein solches Textbild steht deshalb gar nicht per
se außerhalb der reduktionistischen und autothematischen Logik des Modernismus,
sondern folgt dieser konsequent, weil es die Grundbedingungen des Modernismus zu-
mindest pro forma erfüllt: einmal die Reduktion des Bildes auf seine Flächigkeit und
zum anderen die Selbstbezüglichkeit. Die ironische Wendung besteht darin, dass Bal-
dessari eines der Hauptkriterien des Modernismus, nämlich die Selbstreflexion des
Mediums in der Form des Textes, wörtlich genommen hat. Schließlich hat er dieses
Bild von allem gereinigt, das von der grundlegenden Aussage des Textes ablenken
könnte, inklusive aller ‘überflüssigen’ ästhetischen Momente. Deshalb würde Green-
berg diese Arbeit selbstredend nicht als Malerei bzw. als Kunstwerk anerkennen. Bei
Greenberg soll die Selbstreflexion des Mediums schließlich in seinem eigenen Code,
der Malerei, erfolgen. Baldessari ‘übersetzt’ die gegenstandslose modernistische Male-
rei jedoch in einen allgemeinverständlichen sprachlichen Code, indem er den Textbil-
dern die Vorstellungen von Reinheit und Abgeschlossenheit zugrundelegt, die den
modernistischen Diskurs prägen. Auf diese Weise macht er deutlich, dass auch dem
Abstrakten Expressionismus ein Code zugrunde liegt, dieser in einen kunsttheoreti-
schen Diskurs eingebettet ist und die Vorstellung von Kunst als eine Art zweiter Natur,
die unmittelbar zugänglich ist, ideologisch ist.
Baldessari geht es bei dieser Serie aber um mehr als die Kritik des Modernismus,
er möchte bis an die Grenzen dessen, was noch als Kunst vorstellbar ist, vordringen.
Seiner eigenen Aussage nach stellt die Leinwand das letzte fundamentale Zeichen für
Kunst überhaupt dar. Wie oben dargelegt ist die Leinwand auch nötig, um die Bilder
im Kontext des modernistischen Diskurses zu verorten, in den Kontext ‘Kunst’ hinge-
gen werden sie durch andere Mechanismen versetzt. Den Status als Kunstwerk erhal-
ten Bilder nämlich nicht nur durch die Leinwand, schließlich gibt es auch andere Bild-
102
träger, sondern auch durch die außersemiotischen „Kommunikationsumstände“.315 Zu
diesen zählen etwa die Ausstellung in einer Galerie oder einem Museum, der Künstler
als ‘Autor’ der Bilder oder die Anerkennung durch die Kunstkritik. Die Leinwand al-
lein konnotiert Kunst nur im weitesten Sinn, der auch auf jeden Hobbymaler zutrifft,
dessen Bilder aber nicht in der gleichen Weise als Kunst gewertet werden.316 Die Art
und Weise, wie Baldessari die Leinwand einsetzt, nämlich mit einem Text versehen,
unterläuft deren Funktion als ‘Kunstzeichen’ ohnehin, weil das Zeichen ‘Text auf
grauem Hintergrund’ der Konnotation ‘Kunst’ entgegensteht, zumindest stellte dies
Mitte der sechziger Jahre noch einen radikalen Bruch mit allen Gesetzen der Ästhetik
dar.317 Dieser Bruch wird dadurch unterstützt, dass alle Elemente so ‘unkünstlerisch’
wie möglich gestaltet werden. Das betrifft die Gestaltung des Textes in einem mög-
lichst unauffälligen Layout oder die Grundierung der Leinwand in möglichst neutralen
Wandfarben. Letztendlich ‘postuliert’ Baldessari einfach, dass es sich um ‘ernsthafte’
Kunst handelt, indem er die Bilder in den richtigen Kontext, nämlich die zeitgenössi-
sche Kunst, versetzt, während er gleichzeitig durch die Verwendung der Schrift und
den Einsatz des Schildermalers deren Regeln unterläuft.
Baldessari unterstreicht dieses Spannungsverhältnis noch, indem er die Arbeit
durch eine andere Person ausführen lässt und so die direkte Verbindung zwischen
Künstler und Werk kappt. Dabei besteht das Bild des kreativ arbeitenden Künstlers,
dessen Subjektivität sich direkt in das Kunstwerk hinein entlädt, gerade für die Künst-
ler des Modernismus, wie Jackson Pollock, darin, in einer engen Auseinandersetzung
mit dem Material ihr Innerstes nach außen zu kehren.318 Baldessari hingegen tritt als
Ausführender nicht mehr aktiv in Erscheinung. Er druckt die Texte nicht einmal selbst,
sondern lässt sie malen, als wolle er augenzwinkernd darauf hinweisen, dass er den
Aspekt der Handarbeit als Basis eines Bildes nicht ganz aufzugeben gedenke. Die
Textbilder sind folgerichtig auch nicht signiert, womit er auf das zentrale Zeichen der
künstlerischen Autorschaft in der Malerei verzichtet.319
315 Vgl. Eco, Einführung, S. 136-38. 316 Vgl. Kapitel 4.1.2. 317 Tatsächlich sind die ersten Textbilder von Kosuth etwas früher entstanden, allerdings in New York, während in Los Angeles zu dieser Zeit kein Künstler in dieser Richtung arbeitete. Es existieren zwar Bilder mit Wörtern von Ed Ruscha, die aber einen ganz anderen Charakter haben. 318 Zur Rolle des Künstlers im Modernismus und seiner Position innerhalb dieses Diskurses vgl. Kap. 3.1.1. 319 Die einzige Ausnahme stellt das erste dieser Textbilder dar, A Two Dimensional Surface (1966), welches Baldessari noch unterhalb des Textes mit seinem Namen versehen hat. Daraus lassen sich zwei wichtige Erkenntnisse ableiten, erstens hatte er offensichtlich nicht von Beginn an eine völlig feste Auf-fassung von der generellen Vorgehensweise, vielmehr drückt sich in den Arbeiten ein sich entwickelnder
103
Die Besonderheit der Arbeiten Baldessaris wird im Vergleich mit einer ähnli-
chen Arbeit von Kosuth, wie Universal aus der Serie Titled (Art as Idea as Idea)
(1967) (Abb. 11), deutlich.320 Dieses Bild besteht aus einer fotografischen Vergröße-
rung einer Wörterbuchdefinition des Begriffes ‘universal’, die in einer weißen Schrift
auf schwarzem Grund angebracht ist und relativ viel Raum in der Mitte des Bildes
einnimmt. Allerdings handelt es sich um einen fotografischen Abzug und keine Male-
rei. Es fehlt also jeder Bezug zur Handarbeit, wodurch das Bild professioneller wirkt,
es ähnelt viel mehr einer Informationstafel als das von Baldessari. Außerdem wirkt die
Ästhetik zwar reduziert, zugleich aber auch wesentlich klarer auf eine bestimmte Wir-
kung hin gestaltet als bei Everything is Purged…. Der entscheidende Unterschied be-
steht darin, dass sich bei Universal der Text nicht selbstreflexiv mit sich selbst als Bild
auseinandersetzt, sondern einen abstrakten Begriff, wie Universalität, beschreibt. Ko-
suths Konfrontation des Kunstcodes mit dem Außerkünstlerischen bleibt gewisserma-
ßen formal an die äußerliche Form des Objektes gebunden, während sie bei Baldessari
in das Bild selbst hinein verlagert wird.
Kosuth verkannte den analytischen Charakter der Textbilder Baldessaris. In sei-
nem berühmten Traktat Art After Philosophy von 1969 verdeutlicht er mit folgender
Aussage, die beiläufig in einer Klammer steht, dass er sich mit Baldessaris Arbeiten
nur sehr oberflächlich auseinandergesetzt hat und deshalb auf der Ebene des Humors
stehengeblieben ist: „(Although the amusing pop paintings of John Baldessari allude to
this sort of work by being ’conceptual’ cartoons of actual conceptual art, they are not
really relevant to this discussion.)“321
In Kosuths Augen brechen z.B. die Vertreter der Land Art nicht konsequent ge-
nug mit den Vorgaben der Kunstwelt:
„One support is securely placed in the material (sculpture) and/or visual (paint-ing) arena, enough to maintain the historical continuum while the other is left to roam about for new ‘moves’ to make and further ‘breakthroughs’ to accom-
Denkprozess aus. Zweitens zeigt sich aber auch, dass bei den anderen Bildern dieser Serie ganz bewusst auf eine Signatur verzichtet wurde. 320 Baldessari erfuhr von der Conceptual Art der Ostküste erst nach der ersten Ausstellung seiner Text-bilder, die zeitgleich mit der ersten Ausstellung von Kosuth in Los Angeles stattfand. Im Artforum vom Dezember 1968 findet sich eine interessante Besprechung, die beide Ausstellungen miteinander verbin-det: „JOSEPH KOSUTH […] in his quest to strip away from his art everything but the idea, has arrived at a series of dictionary definitions of the word NOTHING, executed (not by the artist) photographically […] A few doors away […] JOHN BALDESSARI, who, in his way, is also interested in a strict elimina-tion of ‘formal’ aesthetic encumbrances – as well as (in answer to Kosuth?) the idea [dies bezieht sich auf Everything…]” (Jane Livingston, exhibition review, in: Artforum (New York), Vol. 7, Nr. 4, Dezember 1968, S. 66, zit. nach: Van Bruggen, S 40.) 321 Kosuth, Art After Philosophy. Part II: ‘Conceptual Art’ and Recent Art, in: Ders., Art After Philoso-phy and After, S. 29.
104
plish.“322 Kosuths eigene Konzeption besteht in einer Kunst jenseits der Künste, die nicht mehr
an die einzelnen Gattungen gebunden ist; deshalb sieht er den Versuch, sich einer Gat-
tung zuzuwenden, um sich in deren historischem Kontinuum zu verorten, als reaktio-
när an. Er vermag dabei aber offenkundig nicht den selbstkritischen Gehalt der Text-
bilder Baldessaris zu erkennen, die sich an eine Gattung anlehnen, um diese selbstbe-
züglich zu kritisieren.323 Die Leinwände sind in Baldessaris Arbeiten zwar auch Zei-
chen für ‘Malerei’ im engeren Sinn, aber als solche wenden sie sich zurück auf die
Gattung Malerei, um deren Regeln selbstreflexiv zu hinterfragen, und nicht, um diese
bruchlos fortzuschreiben.
Interessanterweise trifft zugleich die Beschreibung dessen, was für Kosuth seine
eigene Kunst (und die einiger weniger Auserwählter)324 ausmacht, in der Sache genau
auf die Text-on-Canvas-Bilder zu:
„At its most strict and radical extreme the art I call conceptual art is such because it is based on an inquiry into the nature of art. Thus, it is not just the activity of constructing art propositions, but a working out, a thinking out, of all the impli-cations of all aspects of the concept ‘art’.“325
Baldessari untersucht gerade in seinen Text-on-Canvas-Bildern die ‘nature of art’ unter
allen möglichen Gesichtspunkten; aber er tut es nicht auf der von Kosuth vorgesehe-
nen Weise und nicht mit der gleichen Theorie im Hintergrund. Außerdem vertritt er
nicht den Anspruch, alle Implikationen des Konzeptes ‘Kunst’ erfassen zu können.
Baldessari lotet mit den Text-on-Canvas-Bildern aus, wo sich die ‘Grenzen der
Kunst’ in formaler und ideologischer Hinsicht verorten lassen. Er wendet sich gegen
die normativen Regeln – nicht nur – der modernistischen Kunst, stellt aber keine neuen
eigenen Regeln auf. Sein Verfahren besteht nicht darin, die Regeln und ungeschriebe-
nen Gesetze einfach zu negieren, sondern diese gegen sich selbst zu wenden und sie
322 Kosuth, Introductory Note, in: Ders., Art After Philosophy and After, S. 39. 323 Im gleichen Text wirft Kosuth Künstlern wie Baldessari außerdem wirtschaftliche Motive vor: „One of the main reasons that such art seeks connections on some level to the traditional morphology of art is the art market. Cash support demands ‘goods’“ (Ebd.). Im Fall Baldessaris erscheint diese Behauptung allerdings ziemlich gewagt, wenn man sich seine periphere Situation in National City vor Augen führt. Was seine kommerzielle Situation angeht, sagt er selbst: „It has only been recently, probably since 1984, that I really began to sell anything [...]“ (Interview mit Marion Fricke und Roswitha Fricke, in: Marion Fricke, Roswitha Fricke u. Seth Siegelaub (Hg.), The Context of Art / The Art of Context. Artists on Art, the Art World & Life Since 1969, in: Kunst & Museumsjournaal, Vol. 7, Nr. 1-3, 1996, S. 60). 324 Dieser Kreis ist ausgesprochen exklusiv, neben Art & Language und der Gruppe der New Yorker Künstler um Seth Siegelaub ist dies nur noch On Kawara, obwohl seine Datumsbilder selbst gemalt sind und sich nicht selbstreflexiv auf Kunst beziehen, sondern auf allgemein menschliche Themen, wie die Zeit usw. 325 Kosuth, Introductory Note, in: Ders., Art After Philosophy and After, S. 39.
105
somit einer absurden Selbstaufhebung zuzuführen. Zugleich hebt er deren Begrenzun-
gen ganz praktisch auf, indem er dabei Kunstwerke herstellt.
In einer ähnlichen Weise verknüpfen die anderen Untergruppen der Serie die Fo-
tografie und deren eigene Regeln mit einer Kritik der Kunst. Im Folgenden soll zu-
nächst die Serie insgesamt betrachtet werden, bevor dann zwei Beispiele näher analy-
siert werden.
Die Phototext-Bilder
Die Bilder der Phototext-Serie ähneln im Grundaufbau in vielerlei Hinsicht den Text-
bildern. Auch sie haben als Basis die in bestimmten Grundfarben gehaltenen Leinwän-
de, und die Texte wurden im gleichen Verfahren (durch einen professionellen Schil-
dermaler) hergestellt. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass hier zusätz-
lich zur Schrift Fotografie zum Einsatz gebracht wird.
Baldessari wählte für die Übertragung der Fotos auf die Leinwand ein völlig
neues, recht kompliziertes Verfahren: Die Bilder wurden auf der Leinwand selbst ent-
wickelt. Möglich wurde dies durch eine neue Art von Fotoemulsion, die gerade frisch
auf den Markt gekommen war und mit der die Leinwand bestrichen wurde. Anschlie-
ßend wurden die so präparierten Leinwände dann mittels eines Vergrößerungsgeräts
belichtet, was ca. 45 Minuten dauerte. Danach musste das Bild noch, wie ein Foto, in
mehreren Stufen zuerst mit einem Entwickler und dann mit einem Fixierer nachbehan-
delt werden, was aufgrund des Formats der Leinwände ziemlich aufwändig war.326
Vorher hatte Baldessari bereits mit einer Siebdrucktechnik experimentiert, von der er
abkam, weil diese das in der Pop-Art gängige Verfahren war und er die Identifikation
mit Warhol oder Rauschenberg vermeiden wollte.327
Aus dem gewählten Verfahren resultierte eine ganz besondere ästhetische Wir-
kung der Bilder, mit der er anscheinend nicht zufrieden war:
„When I put the emulsion down, [...], and tried to brush it on with a camel’s hair brush, it left marks which looked like brushstrokes, too messy and artful.“328
326 Für eine genaue Schilderung des Verfahrens vgl. John Baldessari, National City (Kat.), S. 98f. 327 Vgl. ebd., S. 98. Dass Baldessaris Sorge nicht unberechtigt war, zeigt sich an dem Kommentar Ko-suths, der in ihm nur einen Popkünstler sehen wollte. 328 Van Bruggen, John Baldessari, S. 38.
106
Diesen Effekt kann man vor allem bei den älteren Bildern dieser Serie erkennen.329
Später versuchte er dieses Problem durch die Verwendung eines Firnisses zu umgehen,
wodurch die Flächen der Fotos tatsächlich etwas glatter wurden, ohne allerdings die
Wirkung eines Papierabzugs zu erreichen.330 Letztlich stellt sich die Frage, ob dieser
Effekt Baldessari vielleicht gar nicht so unrecht war, denn dadurch werden die Fotos
nicht nur alle zu Originalen, weil sich unmöglich zweimal die gleiche Struktur errei-
chen lässt, sondern sie werden auch zu ‘gemalten’ Fotos, die sich so ihrem Medium
(der Leinwand) und dem Kontext (Kunst) anpassen. Auf diese Weise lässt sich Foto-
grafie in einer unmittelbaren Weise mit Malerei verknüpfen und die für die damalige
Zeit noch ‘revolutionäre’ Verwendung der Fotografie in den Kontext der Kunst ein-
bauen. Gleichzeitig werden aber die Widersprüche zwischen dem Kontext Kunst und
den ‘kunstfremden’ Elementen, in diesem Fall Fotografie, durch diese Kombination
erst verdeutlicht. Die Fotografie wird also in einer ähnlichen Weise wie die Texte oder
die Grundierungen in einem bewussten Bruch mit den ästhetischen Grundlagen der
Malerei als unkünstlerisches Zeichen eingesetzt.
Darin liegt auch der größte Unterschied zur Pop-Art, die zwar ebenfalls mit Fo-
tografie arbeitete, allerdings mit der Zielsetzung, diese als ästhetisches Zeichen in die
Kunst zu integrieren. Die Arbeit mit fotografischen Reproduktionen auf Bildern war
im Gegensatz zur Collage zu dieser Zeit noch relativ neu, wobei in der Pop-Art die
Fotos mit Hilfe drucktechnischer Verfahren, bei Warhol mit der Siebdrucktechnik, auf
die Leinwände übertragen wurden. Baldessari begründete die Verwendung von Fotos
damit, dass er zum einen schon länger als Hobbyfotograf experimentiert und Fotos als
Referenzmaterial für seine Bilder aufgenommen hatte, und zum anderen damit, dass er
seine alltägliche Umgebung ‘ungeschönt’ in den Bildern zeigen wollte.331 Allen Fotos
dieser Serie ist gemein, dass sie von Baldessari selbst, oder von Menschen aus seinem
Umfeld, aufgenommen wurden. Dabei handelt es sich um Bilder, wie sie gewöhnlich-
erweise von Amateuren bzw. Laien gemacht werden, also nicht um ‘Kunstfotografie’.
329 Die ersten Bilder dieser Art stammen aus den Jahren 1966-67. Sie zeichnen sich durch den beschrie-benen Grundaufbau aus, eines zeigt einen Sonnenuntergang (National City Sunset) und ist außerdem signiert, was die folgenden allesamt nicht mehr sind, und das andere ein Bild aus einem Malbuch, das teilweise überkritzelt wurde (A Picture to Treasure). Diese beiden Beispiele sowie zwei weitere Stra-ßenbilder (18
th and Highland, National City; 30
th and National, National City) unterscheiden sich aller-
dings in erster Linie dadurch von den nachfolgenden Bildern, dass Baldessari hier den Text noch aufge-druckt bzw. gestempelt hat. Offensichtlich war er mit dem eher unsauberen Resultat nicht zufrieden und änderte daraufhin sein Vorgehen. Diese ersten Versuche waren vom Format her wesentlich kleiner. 330 Dieser Firnis hatte den Nebeneffekt, dass er mit der Zeit vergilbte: „[…] unintentionally the varnish gave a sort of patina” (Baldessari, in: John Baldessari, National City (Kat.), S. 99). 331 Vgl. Baldessari, Interview, in: John Baldessari, National City (Kat.), S. 88.
107
Die Arbeiten dieser Serie lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Die erste besteht
aus einer Reihe von Fotos, auf denen Baldessari absichtlich gegen die Regeln der ‘gu-
ten Fotografie’ verstößt und den Status der Fotos als Fotografien auf einer Leinwand
selbstreflexiv thematisiert.332 Ein Beispiel aus dieser Gruppe, das Bild Wrong (Abb.
2), wird im nächsten Abschnitt genauer untersucht. Die andere Gruppe der Phototext-
Bilder sind die National City-Schnappschüsse, die alltägliche Straßenszenen aus Bal-
dessaris damaliger Heimatstadt National City zeigen. Bei diesen Bildern findet sich
unter dem Foto immer eine Ortsangabe, die entweder den Standpunkt und die Blick-
richtung (Looking East on 4th and C, Chula Vista, Calif. (Abb. 25)) oder den Namen
des Gebäudes bzw. Geschäfts (Econ-O-Wash (Abb. 3)) wiedergibt. Gegenüber den
anderen Bildern aus der Phototext-Serie erscheinen die Motive noch amateurhafter und
zufälliger. Aus dieser Reihe wird im übernächsten Abschnitt Econ-O-Wash einer Ana-
lyse unterzogen werden.
Die Kombination von Fotos und Texten, die beide Gruppen ausmacht, kennt
man aus vielen Kontexten, wie etwa Katalogen oder Bildbänden. Das Bemerkenswerte
an diesen Bildern ist zum einen, dass die gezeigten Motive den Erwartungen der Bet-
rachterInnen in keiner Weise entsprechen, und zum anderen, dass wir schließlich Bil-
der auf Leinwand vor uns haben, auf denen diese Art der Präsentation alles andere als
gewöhnlich ist. Sie brechen den Kunstcode also auf doppelte Weise, erstens, weil sie
überhaupt als Fotos im Bereich der ‘Hohen Kunst’ angesiedelt werden, und zweitens,
weil sie auch gegen die Regeln der fotografischen Ästhetik verstoßen.333
Wrong
Bei Wrong (1966-68)334 handelt es sich um das vielleicht prominenteste Beispiel der
Phototext-Serie. Auf dem hochformatigen Foto ist ein typisches Einfamilienhaus in
einer kalifornischen Vorstadtsiedlung abgebildet. Ungefähr in der Bildmitte steht der
Künstler selbst direkt vor einer Palme, die sich vor dem Haus befindet. Das Foto ist
332 Ein Beispiel dafür ist The Spectator is Compelled to Look Directly down the Road and into the
Middle of the Picture (Abb. 26), wo Baldessari sich tatsächlich selbst in die Mitte des Bildes stellte und eine Straße hinuntersieht. Dies wirft die Frage auf, wer hier überhaupt der ‘spectator’ ist (wir oder Bal-dessari) und warum bzw. wodurch dieser verleitet (‘compelled’) ist, in die Mitte des Bildes zu blicken (die Gesetze der Perspektive?). 333 Die Frage des Verhältnisses von Amateurkunst und akzeptierter ‘ernsthafter’ Kunst spielte für Bal-dessaris Überlegungen in dieser Zeit offenkundig eine zentrale Rolle, wie sich v.a. an den Commissio-
ned Paintings zeigen lässt, denen sich das nächste Kapitel widmet. 334 149,9 x 114,3 cm.
108
innerhalb der Leinwand etwas nach oben versetzt, mit einem relativ großen Rand an
beiden Seiten. Der Text ‘Wrong’ ist in der Mitte direkt unterhalb des Fotos angebracht.
Die Verwendung des Hochformats dürfte dem vertikalen Charakter des Motivs (‘ste-
hender Mensch vor Palme’) geschuldet sein.
Bei dem Motiv des Bildes handelt es sich um eine Persiflage, zu der Baldessari
nach eigener Aussage durch ein Buch über Fotografie und Komposition inspiriert wur-
de:335 „There would always be two views of something, the right view and the wrong
view, the right way to compose and the wrong way to compose.“336 Baldessari bedient
sich hier des Grundmusters aus diesem Kunstbuch und bildet eine solche ‘wrong view’
ab, nämlich den Verstoß gegen die Regel, eine Person (Baldessari selbst) so vor ein
Objekt (die Palme) zu platzieren, dass der Eindruck entsteht, dieses wüchse aus ihrem
Kopf. Er belässt es allerdings nicht bei diesem einen ‘Fehler’, sondern ‘imitiert’ den
Charakter amateurhafter Fotografie in der ganzen Weise, wie dieses Foto gestaltet ist.
Schon das Motiv erinnert an die Aufnahmen von stolzen Eigenheimbesitzern, die sich
vor ihrem Haus präsentieren. Auch die gesamte ‘Komposition’ ist geprägt durch ‘ama-
teurhafte’ Schwächen: Der Vordergrund des Bildes ist fast leer, die Person viel zu
klein, wodurch sie kaum zu erkennen ist, und das Haus ist völlig im Schatten. Baldes-
sari verstößt also absichtlich gegen alle Regeln der guten Fotografie und parodiert so
den pädagogischen Zeigefinger des Lehrbuchs. Dass es sich um eine intentionale Re-
gelübertretung handelt, verdeutlicht die Unterschrift ‘Wrong’, die die Betrachterin auf
diesen ‘Fehler’ hinweisen soll.
Dieser Zusammenhang erschließt sich allerdings nur denjenigen, die mit dem fo-
tografischen Code so weit vertraut sind, dass sie diesen ‘Fehler’ erkennen. Ironischer-
weise erschließt sich dann aber der ‘Fehler’ auch ohne den Text, der eigentlich über-
flüssig ist. Die Verwendung des Textes hat in diesem Bild also eine andere Funktion,
er macht die normative Qualität der Regeln deutlich und stellt die Frage, nach welchen
Kriterien das Bild überhaupt ‘falsch’ ist. Baldessari hat das Bild absichtlich so insze-
niert, dass es ‘falsch’ ist, um durch den Regelbruch die Regel zu illustrieren, insofern
ist das Bild aber doch eigentlich ‘richtig’. Gleichzeitig ist es fraglich, wieso nur die
Erfüllung der Regeln ein ‘richtiges’ Bild, im Sinne eines gelungenen Bildes, ergeben
335 Auch eine Reihe der reinen Textbilder basiert offensichtlich auf Lehrsätzen aus Büchern für ange-hende Künstler. Die Texte behandeln die Themen, was Bilder sind (What this Painting Aims to Do,
What is Painting) und wie Komposition funktioniert (Composing on Canvas, Examining Pictures), oder geben Tipps für Künstler. 336 Baldessari, in: John Baldessari, National City (Kat.), S.90.
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soll. Ein Bild kann gerade durch die Regelüberschreitung ästhetisch gelingen, während
die sture Befolgung der Regeln letztlich nur sterile und vorhersehbare Ergebnisse her-
vorbringt.
Baldessari zeigt wieder, wie schon bei Everything is Purged, die innere Wider-
sprüchlichkeit ästhetischer Normen auf. Er appropriiert dieses Beispiel und macht dar-
aus ein ‘richtiges’ Bild über die ‘falsche’ Weise, Bilder zu machen, indem er diese
‘falsche’ Weise ‘richtig’ imitiert und sogar ein Kunstwerk daraus macht. Dadurch
wendet er die Regel ins Absurde und verdeutlicht ihre Arbitrarität für den Bereich der
Kunst, denn für Gebrauchsfotografie mag durchaus ein Sinn darin liegen.
Die Unterschrift ‘Wrong’ steht aber noch für etwas anderes. Sie verbalisiert den
Eindruck, den jeder Betrachter des Bildes erhält, der die Regeln der Fotografie kennt.
Dieser Code musste schließlich mühsam erlernt werden und funktioniert wie eine
Sprache. Folglich erscheint das Bild unwillkürlich als ‘falsch’, es steht diesem erlern-
ten Code entgegen, der eine lange Geschichte der Durchsetzung hinter sich hat, bis er
schließlich in das alltägliche Wissen einging, wie es Abigail Solomon-Godeau aus-
führt:
„This in turn suggests that what were once academic precepts are now deeply lodged in what might be called the collective cultural preconscious: if most peo-ples’ snapshots do not in fact feature trees sprouting from their subjects’ heads, it is because they obey, unthinkingly, the laws of ‘right’, rather than ‘wrong’ com-position.“337
Baldessari versucht die unterschwelligen Regeln auf diese Weise sichtbar zu machen
und sie damit auch zur Disposition zu stellen, weil sie für ihn in erster Linie eine Be-
schränkung der Möglichkeiten künstlerischer Entfaltung darstellen. Dabei schwingt
der Aspekt der Freude am Zerstören dieser Art von Gewissheiten mit, den Solomon-
Godeau folgendermaßen beschreibt: „[...] the jouissance of anarchic subversion, the
libertarian joy of upsetting rules, hierarchies, conventions“.338 Baldessari bleibt aber
bei dieser für Fluxus typischen Attitüde nicht stehen, es geht ihm um mehr als das
Brechen dieser Regeln, nämlich darum, deren Wirkung offenzulegen.
337 Abigail Solomon-Godeau, The Rightness of Wrong, in: John Baldessari, National City (Kat.), S.34. 338 Ebd., S.35 (Hervorhebung im Original). Solomon-Godeau geht sogar noch weiter, indem sie in die-sem Bild das Potenzial des Widerstandes gegen die ‘total verwaltete Welt’ erkennt: „For it is not the ideology of aestheticism that has the capacity to resist either the threat of the ‘totally administered soci-ety’, or the commodification of all aspects of human life that distinguishes our bleak fin-de-siècle, but rather, the anti-authoritarian, democratic, and ludic impulses exemplified in Baldessari’s Wrong” (Solo-mon-Godeau, in: John Baldessari, National City (Kat.), S. 35). Die Frage, ob Solomon-Godeaus Opti-mismus hinsichtlich der Möglichkeiten, diesen Tendenzen zu widerstehen, berechtigt ist oder nicht, eröffnet eine wichtige Diskussion, die aber den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde.
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Betrachtet man Wrong in Bezug auf den Kunstkontext, wird zum einen deutlich,
dass Baldessari die Abhängigkeit der Fotos von ihrem Code und dessen Kontext de-
monstriert, indem er diesen durch die Unterschrift verdeutlicht. Bilder funktionieren
also als Zeichen, deren Verständnis nicht allein durch die reine Anschauung gewähr-
leistet ist, mehr noch, die reine Anschauung selbst folgt eigenen arbiträren Regeln,
einem eigenen Code, denen der Betrachter unwillkürlich folgt, ohne sich dessen be-
wusst zu werden. Zum anderen geht diese Kritik über den Bereich der Fotografie hin-
aus und bezieht die Kunst allgemein mit ein, deren Code ebenfalls, durch die Verwen-
dung von Fotos und Texten auf einer Leinwand, gebrochen wird. Bezogen auf den
Code der Kunstwelt gilt die Aufschrift ‘Wrong’ auf einer Metaebene für das ganze
Bild. So wie das Foto mit den Regeln der Fotografie bricht, so bricht das Bild insge-
samt mit den Regeln der (modernistischen) Kunst.
Econ-O-Wash, 14th and Highland, National City, Calif.
Das Bild Econ-O-Wash (149,9 x 114,3 cm, Abb. 3) besteht aus einem Foto, das unge-
fähr die Hälfte der Bildfläche ausmacht, und dem darunter angebrachten Text. Das
Foto befindet sich in der oberen Bildhälfte mit einem relativ großen Abstand zum obe-
ren Bildrand, während es an den Seiten nur einen verhältnismäßig schmalen Rand gibt.
Der Text nimmt insgesamt etwas weniger Raum ein als das Bild und befindet sich
zwischen Foto und dem unteren Bildrand, wobei er etwas nach oben versetzt ist. Die
Schrift ist relativ groß und wirkt dadurch ziemlich prominent.339 Insgesamt stehen Text
und Foto aber in einem ausgewogenen, klaren Verhältnis.
Die Leinwand ist in einem grauen Ton grundiert, während das Foto etwas gelb-
stichig wirkt, wodurch es den Eindruck einer historischen Aufnahme erweckt. Dieser
Gelbstich liegt allerdings, wie bereits erwähnt, an dem Firnis und verstärkte sich erst
im Laufe der Zeit. Außerdem wirkt das Foto sehr weich, fast seidig, was nicht nur an
der Unschärfe des Fotos liegt,340 sondern eine Folge davon sein dürfte, dass der Abzug
339 Die Größenverhältnisse von Text und Bild entsprechen nicht denen in einem Bildband oder Katalog, dort ist der Text gewöhnlicherweise in der Relation zum Bild kleiner. 340 Die Unschärfe der Abzüge ist allerdings von einer Reihe von Faktoren abhängig, die nicht mit der eigentlichen Fotoemulsionstechnik zu tun haben. Beginnend mit der Qualität der Kamera über die des Films bis hin zum verwendeten Vergrößerer gibt es viele Faktoren, die das Resultat beeinflussen. Auf-fällig ist, dass die neueren Versionen, die Baldessari 1996 mit der gleichen Technik für eine Ausstellung hergestellt hat, wesentlich schärfer und klarer sind, obwohl auch auf ihnen Spuren des Auftrags der Emulsion zu erkennen sind, auch wenn diese offensichtlich mechanisch aufgetragen wurde. Möglich
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direkt auf der Leinwand gemacht wurde. Baldessari sah darin „[...] the quality of
newspaper photo-reportage, which the photoemulsion images resembled because of
their grainy quality“.341 Tatsächlich verleiht die Fotoemulsionstechnik Econ-O-Wash
einen weichen, malerischen Charakter, der sich deutlich von der grobkörnigen Raster-
struktur von Zeitungsfotos abhebt.342 Dieser Unterschied wird deutlich, wenn man zum
Vergleich die mit einer Drucktechnik, wie etwa Siebdruck, hergestellten Bilder War-
hols heranzieht. Ein Beispiel sind die Most Wanted Man, eine Serie von 1963, die auf
Zeitungsfotos basiert und bei der durch die extreme Vergrößerung das zugrundelie-
gende Raster hervortritt. Ein anderes Beispiel ist Four Jackies (1964), dessen grobkör-
nige Struktur seine Herkunft als vergrößerter Ausschnitt eines Pressefotos verrät. Ob-
wohl auch Baldessaris Fotos gerastert sind, ergibt sich nicht das für Zeitungen charak-
teristische grobe Raster, weil die Auflösung der Bilder zu fein dafür ist.343
Geht man nach dem Titel der Arbeit, ist das Motiv ein Waschsalon: Econ-O-
Wash. Der unansehnliche einstöckige Zweckbau befindet sich in der oberen Bildhälfte.
Es handelt sich um ein für kalifornische Verhältnisse typisches Geschäftsgebäude, wie
es bis heute nahezu unverändert die Straßen säumt, mit einem kleinen Vordach, einem
Schaufenster zur Straße hin, einem relativ großen Ladenschild und einem großen
Parkplatz nebenan. Das abgebildete Gebäude ist weder architektonisch interessant
noch in einer anderen Weise herausragend, sondern ein beliebiges Gebäude an einer
beliebigen Straße in National City.344 Baldessari begründet die Auswahl der Motive
für die ganze Serie der National City-Schnappschüsse folgendermaßen:
„Probably I was never going to get out of National City, so I was going to show people what it’s like, to make art out of where I lived without glamorizing it, and with the idea that truth is beautiful, no matter how ugly it is. [...] I just wanted it the way it is – it isn’t really a rural sprawl.“345
wäre auch, dass die fotografische Technik der Abzüge in den Jahren dazwischen avancierter geworden ist. 341 John Baldessari, zitiert nach: Van Bruggen, John Baldessari, S. 30. 342 Interessanterweise wird die Aussage Baldessaris bezüglich der körnigen Struktur in einigen Texten zu den Phototext-Bildern wieder aufgenommen, ohne hinterfragt zu werden: „Experiments with photo-emulsion chemistry were conducted at a fairly primitive level, which resulted in the extreme graininess and degraded quality of the images when transferred to canvas, quite similar to the quality of photo-reproductions we encounter daily in newspapers” (Avgikos, in: John Baldessari, National City (Kat.), S. 19). 343 Man denke nur an Dias, die nur bei einer immensen Vergrößerung und aus nächster Nähe ein Raster erkennen lassen. 344 Bei der Betrachtung der National City-Schnappschüsse gilt es immer wieder, sich des Kontextes ihrer Entstehung zu erinnern und sich nicht durch Hollywood kreierte Filmkulissen vorzustellen, die an die ‘romantischen’ sechziger Jahre erinnern. Vor allem als Europäer besteht sonst die Gefahr, diese Bilder falsch zu lesen und sie mit einem Glamour aufzuladen, der nicht intendiert ist. 345 John Baldessari, zit. in: Van Bruggen, John Baldessari, S. 27.
112
Baldessari geht es in diesen Bildern also um eine bestimmte Art von Realismus, der
bewusst auch das abbildet, was hässlich und langweilig ist. Dabei will er die Wirklich-
keit nicht in einer ästhetischen Weise abbilden, sondern sie wie beiläufig im Vorbeige-
hen zeigen. Dem Foto fehlt, was ein Motiv normalerweise ausmacht, man könnte sogar
sagen, dass es sich eher um ein ‘Nichtmotiv’ handelt.
Der Bildaufbau unterstützt diesen Eindruck noch. Schon der Kamerastandort ist
auffällig, denn das Gebäude ist weit in den Hintergrund gerückt, während die untere
Hälfte des Bildes fast gänzlich aus einer leeren Straße besteht. Außerdem verbirgt ein
vorbeifahrendes Auto die untere Hälfte des Gebäudes. Am rechten Bildrand ragt zu-
dem noch eine Art Stange oder ein Griff in das Bild hinein. Weiterhin ist der Aufnah-
mewinkel ungünstig gewählt, weil das Gebäude schräg von der Seite zu sehen ist.
Schließlich ist das Gebäude auch schlecht ausgeleuchtet, so dass die Beschriftungen
nur schwer lesbar sind. Diese Liste der fotografischen Fehler ließe sich zweifellos ver-
längern, an dieser Stelle sei zu guter Letzt nur noch auf die etwas schräge Bildachse
hingewiesen.
Diese Auflistung wirft die Frage auf, wie die Fotos dieser Serie überhaupt zu-
stande gekommen sind. Baldessari hat seine Vorgehensweise in einem Interview fol-
gendermaßen beschrieben:
„I drove with one hand and pointed the camera out the window with the other, not looking where I was shooting pictures. Then I would stop the car and just write down the location, and that would be it – for instance Econ-O-Wash, 14th and Highland, National City, Cal. [...] I wanted things the way they were, with ugly wires and telephone poles, without beautification [...].“346
Eine andere Darstellung seiner Vorgehensweise besagt, dass er die Kamera außen am
Auto angebracht habe und während des Fahrens, ohne zu schauen, Fotos gemacht ha-
be.347 Tatsächlich spricht einiges dafür, dass dieses Bild aus dem Auto heraus aufge-
nommen wurde: Zum einen stimmt die Höhe der Kamera mit der eines Autos überein,
zum anderen erklärt sich so die Straße im Vordergrund, und schließlich könnte der
Metallgriff rechts im Bild ein Teil des Autos sein.
Bei den Unklarheiten im Bildaufbau handelt es sich also um Elemente des Zu-
falls, die Baldessaris Aufnahmeverfahren geschuldet sind. Wie er genau vorgegangen
ist, spielt dabei keine entscheidende Rolle, wichtig ist, dass er mit diesem Verfahren
bewusst versucht, sich nicht durch ästhetische Erwägungen steuern zu lassen, obwohl
346 Ebd., S. 30. 347 John Baldessari, Aussage in der TV-Sendung Contacts auf ARTE.
113
es evident ist, dass er dabei nicht völlig auf einen letzten Rest Planung verzichtet. Die-
se Planung dient aber nur dazu, ihm die Missachtung der Regeln für ‘gutes’ Fotogra-
fieren zu erleichtern, wie die Beschreibung der Fotografie bereits demonstriert hat. Das
Foto ist aber auch nicht derartig verwackelt, schief oder unscharf, dass sich das Motiv
gar nicht mehr erkennen ließe. Baldessari geht es hier offensichtlich darum, dezidiert
unprofessionell zu arbeiten, um ein Foto herzustellen, das wie schon bei Wrong die
Regeln für ein technisch und ästhetisch perfektes Bild bricht. Er versucht, ein ama-
teurhaftes Bild zu imitieren, indem er sich durch das Zufallsverfahren die Kontrolle
über den Aufnahmeprozess entzieht.
Die Kombination einer solchen belanglosen Straßenszene mit einem Text, der
auf den genauen Ort hinweist, verweist auf bekannte Muster aus der Reportagefotogra-
fie. Jan Avgikos versucht auf diese Weise, den Motiven trotz ihrer Alltäglichkeit einen
Sinn zu verleihen, etwa als Orte vergangener Verbrechen:
„[...] his bland documentary approach suggests that each reference point consti-tutes a shred of evidence relevant to a forensic investigation, as if the photo-graphs possessed some special but not necessarily visible significance that might explain why they had been elevated to the surface of painting and carefully la-beled with respect to location.“348
Dieser Erklärung stehen allerdings einige Punkte entgegen. Zunächst lässt sich den
Bildern selbst, wie Jan Avgikos richtig bemerkt, nicht entnehmen, worin ihre Bedeu-
tung liegt. Ein solches Bild hätte aber für eine forensische Untersuchung überhaupt
keinen Wert, zumal damit auch in keiner Weise erklärt würde, warum die Fotos „ele-
vated to the surface of painting“ werden, denn darin besteht im Hinblick auf den Be-
weischarakter keinerlei Sinn. Wenn man diesen Gedanken zu Ende spinnen wollte,
könnte man höchstens an einen Sammler denken, der an Orte vergangener Verbrechen
reist, um sie aus einer privaten Obsession heraus aufzunehmen.
Der größte Unterschied zur Reportagefotografie und auch zu kriminalistischer
Fotografie liegt aber darin, dass dort der Eindruck von Authentizität ohne Beschöni-
gung gerade durch den bewussten Einsatz der fotografischen Mittel und Möglichkeiten
erreicht wird. Baldessari hingegen versucht hier aber etwas völlig anderes, indem er
das Alltägliche auf eine völlig unkonventionelle Art unter Missachtung aller Regeln
für gute Fotografie aufnimmt. Baldessari bezieht sich in den Bildern dieser Serie auf
die Idee einer rein dokumentarischen Fotografie, wie sie in der Land Art und der Con-
348 Avgikos, in: John Baldessari, National City (Kat.), S. 19.
114
ceptual Art dieser Zeit häufig vorkommt. Allerdings thematisiert er, im Gegensatz zu
vielen Künstlern dieser Strömungen, diese Art der dokumentarischen Ästhetik in einer
selbstreflexiven Weise, indem er die Regeln der künstlerischen Fotografie durch die
Verwendung eines ‘amateurhaften’ Codes bewusst bricht und so verdeutlicht. Es han-
delt sich also um eine konzeptionelle Untersuchung darüber, wie eine derartige Foto-
grafie funktioniert.
Diese Art des Umgangs mit Fotografie ist zweifellos von Ed Ruschas Künstler-
büchern aus den sechziger Jahren, wie 26 Gasoline Stations (1963), Various Small
Fires and Milk (1964), Every Building on the Sunset Strip (1967) oder Royal Road
Test (1967), beeinflusst.349 Diese sind ebenfalls den geläufigen ästhetischen Regeln der
Fotografie entgegengesetzt, weil sie erstens ebenfalls entweder beliebige Motive, wie
etwa alle Tankstellen auf dem Weg von Los Angeles nach New Mexico, darstellen
oder absurde Ansammlungen eigentlich unzusammenhängender Bilder sind. Zum
zweiten brechen auch sie bewusst die ästhetischen Codes der Kunstfotografie und ori-
entieren sich statt dessen an der Amateurfotografie. Indem Ruscha diese Bilder in ei-
nem Künstlerbuch präsentiert, unterläuft er auch die Erwartungen an dieses Medium.
Ein Beispiel aus den 26 Gasoline Stations ist Union, Needles California (Abb.
27). Das Foto zeigt eine Tankstelle, die sich nicht von anderen Tankstellen unterschei-
det, sowohl was die Architektur – flaches kastenartiges Gebäude, ausladendes Dach
mit Zapfsäulen und Firmenschild – als auch die Szenerie als Ganzes – geparkte Autos,
Werbetafeln im Hintergrund usw. – betrifft. Der Bildaufbau ist allerdings völlig anders
als bei Econ-O-Wash (Abb. 3) oder Looking East on 4th and C (Abb. 25), die Auf-
nahme wurde offensichtlich geplant und ist mit Sicherheit nicht im Vorbeifahren ent-
standen. Die Tankstelle befindet sich ziemlich genau in der Mitte des Bildes und ist so
aufgenommen, dass von der Vorderseite des Gebäudes und der Unterseite des Vorda-
ches nur wenig zu sehen ist. Auf diese Weise entsteht ein ruhiger, fast geometrischer
Eindruck. Auch Details, wie etwa der Mast im vorderen rechten Bildteil, sind ganz im
Bild zu erkennen, was darauf hindeutet, dass Ruscha den Ausschnitt genau gewählt
hat. Schließlich spricht auch die ausgewogene Behandlung des Lichts für den Versuch,
gewisse fotografische Standards einzuhalten.
Gleichzeitig trennen dieses Foto Welten von der Kunstfotografie jener Zeit, denn
Ruscha versucht hier, einen banalen Moment der Realität so lakonisch wie möglich
349 Laut eigener Aussage waren Baldessari Ruschas Bücher bekannt hat (John Baldessari, unveröffent-lichtes Interview mit Ingo Maerker, Santa Monica, 16.8.2000).
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festzuhalten und sich ästhetischen Effekten, soweit es möglich ist, zu entziehen. Auf
eine ähnliche Weise arbeitet Every Building on the Sunset Strip (Abb. 28), auch in
diesem Buch wird die alltägliche Ansicht einer Straße, so wie sie eben ist, präsentiert.
Ruschas aufklappbares Buch zeigt eine Reihe von einzelnen Fotos, die zu einem kon-
tinuierlichen Foto zusammengestellt worden sind, das eben alle Gebäude des Sunset
Strips zeigt. Auf manchen Bildern versperrt ein Auto oder Motorrad den Blick, was
den alltäglichen Charakter der Fotos unterstreicht. Außerdem sind diese nicht professi-
onell ausgeleuchtet. Und doch zeigt sich hier der Unterschied zu Baldessaris Bildern
ganz deutlich. Erstens wirken sie im Vergleich zu Econ-O-Wash weniger durch Zu-
fallselemente geprägt und zweitens ist die Wahl der Motive geradezu diametral entge-
gengesetzt. Ruscha bildet eine der berühmtesten Straßen von Los Angeles ab, während
Baldessari sich einem öden Industriestädtchen in der Provinz widmet.
Baldessari verarbeitet Ruschas Vorbild in den Phototext-Bildern zu einem ganz
neuen Konzept, indem er die Idee der Darstellung des Alltäglichen aufnimmt und er-
weitert. Er treibt die Amateurisierung der fotografischen Technik weiter und unterzieht
diese so einer selbstreflexiven Untersuchung, indem er die immanenten Regeln offen-
legt und bricht.350 Außerdem scheint auch der lakonische Stil Ruschas, sowohl was die
Komposition als auch was die Titel der Bücher angeht, bei Baldessari wieder auf. Bei-
de haben einen feinen Sinn für Ironie und eine humorvolle Ader. Allerdings sind Ru-
schas Fotos bei aller Ähnlichkeit der Motive (banale, alltägliche Ansichten) im Hin-
blick auf die fotografische Qualität doch deutlich von Baldessaris Bildern zu unter-
scheiden. Das liegt zum einen daran, dass bei Baldessari die Technik der Fotoemulsion
die Bildqualität vermindert, und zum anderen daran, dass Ruscha trotz aller Ein-
schränkungen noch mehr versucht, auch ein gelungenes Foto zu machen.
Der größte Unterschied liegt allerdings in der Verwendung des Mediums der
Leinwand. Ruschas Fotos erscheinen in Künstlerbüchern,351 sie sind nicht als unab-
hängige Arbeiten gedacht, während Baldessari seine Fotos auf einer Leinwand als
Kunstwerke präsentiert.352 Dadurch werden sie in einem neuen Kontext verortet und
350 Vgl. Kapitel 3.3.2. 351 Das Medium Künstlerbuch selbst ist im Übrigen eine interessante Kategorie, weil damit versucht wird, sich aus den Zwängen des Kunstmarktes und seiner Galerien zu lösen und auch neue Schichten kunstinteressierter Menschen zu gewinnen. Auch Baldessari gab in den siebziger Jahren einige Bücher heraus (vgl. auch Kap 4.2.4.). 352 Eigentlich beschäftigte sich Ruscha zu jener Zeit v.a. mit von der Pop-Art inspirierten Textbildern, wie etwa Cut (1969), in denen er zwischen der Bedeutung des Wortes und seiner Darstellung ein Ver-weisungsverhältnis herstellt. Die Worte sind dabei oft, wie bei Cut, in einer Art Trompe-l’oeil-Manier gestaltet, die Flüssigkeiten imitiert, und immer vor sehr bunten Hintergründen platziert. Die Idee ähnelt
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fungieren jetzt als Medien der Selbstkritik der Kunst überhaupt, die sich auf den be-
reits erörterten Ebenen abspielt.
Die Text-on-Canvas- und die Phototext-Serie im Überblick
Die Text-on-Canvas- und die Phototext-Serie zeichnet sich insgesamt durch einen iro-
nischen Unterton aus, der sich an der Gegenüberstellung der verschiedenen sich wider-
sprechenden Elemente, wie etwa Text und Leinwand, ästhetische Grundaussage und
‘unästhetische’ Ausführung oder Künstler und Schildermaler, ablesen lässt. Dieses
ironische Spiel mit den Erwartungen der BetrachterInnen gibt den Arbeiten einen hu-
morvollen Einschlag und lenkt den Blick auf einige der ungelösten Fragen der moder-
nistischen Ästhetik. Gerade das Lachen weckt das Interesse an der Reflexion über
Kunst überhaupt, der sich diese Arbeiten verschrieben haben.
In formaler Hinsicht vereint die beiden Serien in erster Linie, neben den ähnli-
chen Maßen, die Verwendung von Leinwand als Basis für die jeweiligen Arbeiten,
seien es nun Texte und Fotos oder nur Texte. Die Leinwand als Zeichen für ‘Kunst’
soll hierbei, wie bereits erörtert, die Arbeiten im Kunstkontext verorten. Darin drückt
sich zweierlei aus. Zum ersten scheint es für Baldessari zu dieser Zeit nicht möglich zu
sein, sich ‘Kunst’ ohne Bild im klassischen Sinne als Farbe auf Leinwand vorzustellen.
In diesem Licht betrachtet wären die Arbeiten ein inkonsequenter und vorsichtiger
Versuch, in der Folge der Pop-Art eine neue Form der Malerei zu schaffen, die den
Kanon des Darstellbaren in der Kunst erweitert.353
Die Verortung von Baldessaris Arbeiten im Kunstkontext lässt sich aber auch
anders verstehen, nämlich als eine subversive Unterminierung der Codes dieses Kon-
textes in der Form einer ironischen, aber doch völlig ernstgemeinten Selbstbefragung
der Kunst. Dies ist eine Form der Selbstreflexion, die sich sowohl auf die immanenten
Basiscodes bezieht, auf denen die Betrachtung der Fotografie, aber auch der Malerei,
aufbaut, als auch auf die expliziten Kämpfe um die Deutungshoheit in diesem Feld, die
im kunstkritischen Diskurs, etwa zwischen Fried und Judd,354 ausgetragen wurden.
Damit leisten die Text-on-Canvas- bzw. Phototext-Bilder einen Beitrag zum Verständ-
nis der Funktionsweisen der Institution Kunst, stellen diese zugleich in Frage und er-
in vielerlei Hinsicht bestimmten Formen der Werbegrafik und beschäftigt sich mit den Möglichkeiten der Ästhetisierung von Schrift. 353 In diese Richtung geht Kosuths Einordnung von Baldessari in die Pop-Art. 354 Vgl. Kap. 3.1.5.
117
füllen so eine der Kriterien für die Conceptual Art der höchsten Stufe, wenn man dem
an Art & Language und Kosuth orientierten Modell von Thomas Dreher folgen will.355
Die Bilder weisen darauf hin, dass Kunst auch als etwas Zeichenhaftes in Anleh-
nung an den Strukturalismus zu begreifen sei. Sie beruht auf einem System von Zei-
chen, analog zu einer Sprache, wenn auch weniger eindeutig zu beschreiben.356 Die
Entschlüsselung der Bedeutung eines Zeichens in einem solchen System gründet im-
mer auf dem Kontext, in dem es sich bewegt: „Die Signifikanten bekommen nur aus
der kontextuellen Wechselwirkung passende Signifikate.“357 Baldessari macht diese
Kontextabhängigkeit deutlich, indem er Signifikanten (Farben auf Leinwand), die in
einem Kontext (modernistische Malerei) eine bestimmte Bedeutung haben, mit ande-
ren kombiniert, die in diesem gar nicht vorkommen (Reportagefotografie oder Hobby-
fotografie). Auf diese Weise überschreitet er allerdings nicht nur den Kontext, sondern
konfrontiert diesen mit seinen eigenen Regeln bzw. seinem Code. Baldessari gelingt
dies, indem er Zeichen aus einem anderen Kontext (Sprache) einführt, die sich aus-
drücklich auf den Kontext Malerei beziehen und so in ein gegenseitiges Verweisungs-
verhältnis geraten. Aus dieser Konfrontation entsteht der Effekt der Absurdität, der die
absolute Gültigkeit der Regeln bzw. des Codes in Frage stellt.
Für Eco gehört es zur Natur der ästhetischen Zeichen, dass sie den Code in Frage
stellen:
„Jedes Werk erschüttert den Code, aber gleichzeitig potenziert es ihn auch; es zeigt unvermutete Möglichkeiten, eine unbekannte Geschmeidigkeit in ihm; in-dem es ihn verletzt, vervollständigt es ihn und gestaltet ihn um [...] es verändert die Haltung der Sprecher dem neuen Code gegenüber.“358
355 Dreher entwirft ein Stufenmodell, das den steigenden Grad an Selbstreflexion und Konzeptualität beschreibt, der für ihn schließlich bei Art & Language kulminiert als der ‘radikalsten’ Form der Concep-tual Art. Er trennt allerdings auch zwischen Kosuth und Art & Language, weil jener bei der Frage “Was ist Kunst?” stehenbleibt, während diese weitergehen und eine sprachphilosophisch analytische Untersu-chung der Frage vornehmen, wie man über Kunst bzw. theoretische Konzepte überhaupt kommunizieren kann (Dreher, Konzeptuelle Kunst, S. 65-67). Die Frage, die sich aufdrängt, ist, ob eine solche Untersu-chung nicht besser in einer philosophischen Fachzeitschrift aufgehoben wäre. Was schließlich Baldessa-ris Arbeiten betrifft, könnte man auch diesen einen solchen Anspruch zuschreiben, denn auch ihr Thema ist die Kommunikation über Kunst und damit verbundene theoretische Konzepte, allerdings nicht in der Form eines philosophischen Traktates, sondern eines selbstreferentiellen Bildes (vgl. Kap. 3.3.7.). 356 Das Problem dieser ‘Sprache’ ist es, dass sie sich nicht ohne weiteres in diskrete Bedeutungseinhei-ten zerlegen lässt: „Sollte bei all diesen Erscheinungen nicht die Antwort derer als vernünftig erschei-nen, die diese [die nur vage beschreibbaren ästhetischen Zeichen] unter die expressiven, physiognomi-schen, analogischen Zeichen einordnen, die auf kein diskretes Maß zurückführbar und durch keinen Code geregelt sind […]?” (Eco, Einführung, S. 159). Eco versucht dies mit mäßigem Erfolg zu entkräf-ten, zumal auch seine Behauptung, Bense habe die syntaktischen Regeln der Ästhetik auf der Basis messbarer physikalischer Phänomene umfassend beschrieben, recht gewagt ist. Denn derartige Messun-gen funktionieren vielleicht bei ästhetischen Malereien im klassischen Sinn, aber wie sollten sie etwa auf die Conceptual Art angewendet werden (vgl. Eco, Einführung, S. 157f. und S. 197ff.)? 357 Eco, Einführung, S. 147. 358 Ebd., S. 163.
118
Die Frage ist aber, ob Baldessari hier nicht weitergeht und zumindest den Subcode
Modernismus und seine Wirkungsweisen insgesamt demontiert, statt ihn zu erweitern,
wie es etwa die Pop-Art getan hat. Eco beschreibt an anderer Stelle das Prinzip der
künstlerischen Avantgarde folgendermaßen:
„[...] auf diesem Prinzip [dem radikalen Umsturz der rhetorischen Erwartungen] basiert die avantgardistische Kunst, [...] wenn sie durch einen höchst informati-ven Gebrauch des Codes nicht nur diesen erschüttert, sondern auch dazu zwingt, in der Krise des Codes die Krise der Ideologien neu zu bedenken, mit denen sich der Code identifizierte.“359
Diese Möglichkeit der Erschütterung des Codes war allerdings an eine bestimmte Situ-
ation der historischen Avantgarde gebunden, die in den sechziger Jahren nicht mehr
gegeben war. Der Code hatte sich als flexibel genug erwiesen, die Avantgarde in sich
aufzunehmen.360 Baldessaris Lösung dieses Widerspruchs besteht in dieser Serie gera-
de darin, nicht nach einer feststehenden Antwort zu suchen, die die Grenzen des Codes
genau beschreiben kann, sondern die Frage nach den Grenzen, in der Form seiner
Textbilder, die die Regeln des Codes gegen sich selbst wenden, in einer neuen Weise
aufzuwerfen.
Baldessari löst sich hier schon wesentlich weitgehender von den Kategorien des
Formalismus als etwa Kosuth, dessen Theorie von den Prämissen des Modernismus
geprägt ist. Aber auch Baldessari kann sich offensichtlich nur schwer vom Erbe des
Modernismus befreien, wie sich in der Verwendung der Leinwand und dem direkten
Bezug auf die ästhetischen Kategorien des Modernismus zeigt. Der Unterschied ist,
dass dieser bei ihm nur in einer ironisch gebrochenen Form Verwendung findet, wie
etwa bei Everything is Purged…, das die Grundsätze des Modernismus ‘wörtlich’
nimmt und dessen Selbstkritik gegen sich selbst wendet. Baldessari gelingt es bereits
mit dieser Serie, nicht nur formal, sondern auch konzeptuell eine kritische Position
einzunehmen, ohne dabei das Herstellen von Bildern ganz aufgeben zu müssen. Be-
reits in dieser Arbeit entfernt er sich also von der entvisualisierten, linguistischen Con-
ceptual Art und bereitet einer künstlerisch-visuellen Selbstkritik der Kunst den Weg,
die sich durch die Bilder und mit ihnen selbst entfaltet. Zweifellos steht Baldessari
dadurch mit am Beginn einer postmodernen Kunst, die sich durch einen selbstreflexi-
ven, hybriden und ironischen Ansatz auszeichnet.
359 Ebd., S. 190. 360 Vgl. Kap. 3.2.2., das sich dieser Frage im Zusammenhang mit Peter Bürgers Theorie der Avantgarde ausführlich widmet.
119
4.1.2. Die Commissioned Paintings (1969)
Bei den Commissioned Paintings (Abb. 4 u. 29-41) handelt es sich um eine Serie von
14 Bildern bei denen Baldessari zum letzten Mal das Medium der Malerei einsetzte.
Wie schon bei der Text-on-Canvas-Serie beauftragte er auch hier jemand anderes mit
der Ausführung der Bilder. In diesem Fall wurde jedes Bild von jeweils einem bzw.
einer anderen HobbymalerIn gemalt. Die Serie war als Einheit gedacht und wurde ur-
sprünglich als Ganzes ausgestellt.361
Die Herstellung der 14 Bilder ging folgendermaßen vonstatten: Baldessari legte
den HobbymalerInnen, die er auf „county fairs“362 ausfindig gemacht hatte, jeweils
zwölf Dias vor, von denen sie eines auswählen konnten. Dann stellte er jeder Künstle-
rIn eine Leinwand mit der gleichen grauen Grundierung und dem gleichen Format
(150,5 x 115,6 cm) zur Verfügung, bei der eine Fläche proportional zu den Maßen der
Dias ausgespart war.363 Schließlich gab er als Richtlinie für die Art und Weise der
Umsetzung vor: „Don’t try to make art of it, just copy it as best as you can.”364 Ab-
schließend wurde der Name der jeweiligen MalerIn auf der Leinwand unterhalb des
Bildes von einem Schildermaler angebracht.365
Die Arbeit im Überblick
Betrachtet man die Bilder zunächst im Überblick, fallen die ungewöhnlichen Motive
auf. Auf allen Bildern sieht man eine linke Hand mit einem größeren oder kleineren
Stück des dazugehörigen Armes. Die Hand weist eine etwas eigentümliche Zeigegeste
auf: ein ausgestreckter Zeigefinger mit einem nach oben abgespreizten Daumen. Die
Fotos sind fast alle aus einer kurzen Entfernung aufgenommen und präsentieren des-
halb relativ enge Ausschnitte, die die räumliche Situation nur anzudeuten vermögen.
361 Die erste Präsentation dieser Serie in der Eugenia Butler Gallery in Los Angeles (17.2.-7.3.1970) fand allerdings nicht unter dem Titel Commissioned Paintings statt, sondern einfach als John Baldessa-
ri. Auch die zweite Ausstellung in der Richard Feigen Gallery in New York (1.3.-8.4.1970) trug nur den Titel: John Baldessari: Recent Paintings. 362 ‘County fairs’ sind eine Mischung aus Jahrmarkt und Landwirtschaftsmesse, die in erster Linie im ländlichen Bereich üblich sind und auf denen es immer eine Ausstellung mit AmateurkünstlerInnen gibt. 363 Das Format der Leinwände und die Position des eigentlichen Bildes im Gesamtbild entsprechen in dieser Serie denen der National City-Schnappschüsse. Die HobbymalerInnen benutzten im Übrigen teilweise Öl und teilweise Acryl. 364 John Baldessari, Interview mit Ingo Maerker. 365 Die Arbeit insgesamt wird 1969 datiert, allerdings wurde das letzte Bild erst am 14. Februar 1970 fertiggestellt, die Datierung bezieht sich also auf die Planung. Vgl. van Bruggen, John Baldessari, S. 47.
120
Die durch die Geste hervorgehobenen Dinge scheinen sich in keiner Weise von den
uns täglich umgebenden Gegenständen zu unterscheiden. Eine Erklärung für die Moti-
ve findet sich in einer Serie Fotografien mit dem Titel Pointing (Abb. 44a-d), die Bal-
dessari folgendermaßen beschreibt:
„I had these photographs I had taken of this friend of mine, another artist. He would just walk around and outside my studio, and I told him, ‘anytime some-thing attracts your attention, just point to it, and I’ll photograph it. This is about making a choice. It’s documenting your, not my, choice.’”366
Die Wahl, die Baldessaris Freund getroffen hat, folgt keiner erkennbaren Logik. Allen
Motiven gemeinsam ist allerdings, dass es sich um alltägliche Gegenstände handelt,
die sich in einem Haushalt bzw. Atelier gewöhnlicherweise finden lassen.367 Der Fin-
ger rückt den Objekten teilweise sehr nahe, wodurch sich ein Teil von ihnen relativ
eindeutig erkennen lässt: Commissioned Painting: A Painting by William Bowne (Abb.
29) etwa zeigt eine Banane in einer Schale, Commissioned Painting: A Painting by
Helene Morris (Abb. 30) eine Kabelrolle und Commissioned Painting: A Painting by
Edgar Transue (Abb. 31) ein paar Tabletten. Eine andere Gruppe besteht aus Teilen
eines oder mehrerer Gegenstände: Commissioned Painting: A Painting by Elmire
Bourke (Abb. 32) z.B. zeigt Farbflecken auf einem Brett und Commissioned Painting:
A Painting by Sam Jacoby (Abb. 33) ein Loch in einem Blatt. Bei einigen Bildern ist
die Referenz der Geste nicht klar zu bestimmen, obwohl auch bei diesen der Finger
sehr nahe bei den Objekten ist. So weist die Hand in Commissioned Painting: A Pain-
ting by Nancy Conger (Abb. 34) auf eine Art Brett, in Commissioned Painting: A
Painting by Dante Guido (Abb. 35) auf zwei Glühbirnen in einer Wandnische, von
denen eine nicht brennt, während Commissioned Painting: A Painting by Patrick X.
Nidorf O.S.A. (Abb. 36) die Hand zeigt, wie sie aus einem Fenster heraus in den leeren
Nachthimmel deutet – es handelt sich auch um das einzige Bild, bei dem die Kamera
ein größere Distanz einhält.
Betrachtet man die Serie als Ganzes, dann fällt auf, dass es sich bei sämtlichen
Motiven um gebrauchte, kaputte oder teilweise zerschlissene Dinge handelt oder um
Gegenstände, die sich nicht einmal eindeutig benennen lassen, z.B. der deckelartige
Gegenstand in Commissioned Painting: A Painting by Pat Perdue (Abb. 4). Die zei-
gende Hand stellt die einzige Verbindung zwischen den ansonsten disparaten Motiven
366 John Baldessari, Interview mit Ingo Maerker. 367 Wobei auf ein Atelier eigentlich nur das Bild mit den Farbflecken verweist – und auch dieses könnte aus einem Hobbykeller oder einer Malerwerkstatt stammen.
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dar. Vereinheitlichend wirken dabei zwei Faktoren: Erstens ist es offensichtlich immer
dieselbe Hand und zweitens reicht sie immer von rechts ins Bild herein.368
Die Motive erfüllen, gerade weil sie den Eindruck völliger Wahllosigkeit erwe-
cken, eine wichtige Funktion in Baldessaris Konzept: Sie sollen die Motivwahl der
HobbymalerInnen steuern, die Baldessari als zu konventionell empfand:
„I would look at them [die Bilder, I.M.] and try to find some value in them. [...] there were some artists, whose way of putting the paint down wasn’t so bad. Es-sentially, it was the content: It was usually some Mexican asleep under a cactus, or a pirate ship, or a moon overlooking a little lake, that kind of stuff. And so I had this idea: ‘What if I can get them to change their subject matter and have them shown in places other than these county fairs, what would happen?’”369
Baldessari nimmt den MalerInnen die Möglichkeit, ihre Motive frei zu wählen; es
bleibt ihnen nur noch die Wahl zwischen verschiedenen Motiven, die sich alle dadurch
auszeichnen, dass sie mit den üblichen pittoresken Landschaften und Genrebildern, die
sonst auf diesen „county fairs“ zu sehen sind, nichts zu tun haben. Die Aufgabe dieser
‘Nichtmotive’ ist es, die Aufmerksamkeit der HobbymalerInnen von den Konventio-
nen abzulenken und ihnen dadurch die Möglichkeit zu geben, sich auf die rein mal-
technischen Aspekte der Reproduktion von Fotografie zu konzentrieren. In einem In-
terview gibt Baldessari dies als das eigentliche Ziel dieser Serie an:
„It was important that the paintings were exhibited as a group so that the specta-tor could practice connoisseurship, for example comparing how the extended forefinger in each was painted.“370
Diese Aussage gilt es mit Vorsicht zu genießen, weil Baldessari hier offensichtlich mit
Ironie arbeitet. Die Bilder wirken aus der Distanz tatsächlich fotorealistisch, trotzdem
zeigen sich bei genauer Betrachtung beträchtliche Unterschiede im malerischen Kön-
nen, man könnte sie also durchaus auf diese Weise bewerten. So ist etwa Commissio-
ned Painting: A Painting by Pat Nelson (Abb. 38) sehr viel detaillierter und realisti-
scher gemalt als Commissioned Painting: A Painting by Sam Jacoby (Abb. 33), Sam
Jacoby offenbart außerdem einige Schwächen bei der Behandlung der Perspektive.
Commissioned Painting: A Painting by Hildegard Reiner (Abb. 39) zeichnet sich
durch eine klare Farblichkeit aus und die Künstlerin meistert auch die schwierig zu
368 Eine gewisse Ausnahme bildet Commissioned Painting: A Painting by Anita Storck (Abb. 37), weil es sich hier, und wohl auch bei Commissioned Painting: A Painting by Edgar Transue (Abb. 31), um eine hochformatige Aufnahme handelt, die gekippt werden musste, damit das Bild in die Lücke auf der Leinwand passt. Aber auch auf dem hochformatigen Bild reicht die Hand von rechts ins Bild. 369 John Baldessari, Interview mit Ingo Maerker. 370 John Baldessari, Aussage in: John Baldessari (Kat.), Eindhoven 1981, S. 11.
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malende Lichtreflexion in der Tonne, während Commissioned Painting: A Painting by
Jane Moore (Abb. 40) farblich blass wirkt und in diesem Bild die perspektivische
Verkürzung des Fingers nicht überzeugend dargestellt ist. Allerdings erscheint der
Begriff der „connoisseurship“ im Zusammenhang mit Bildern von Hobbymalern, die
zeigende Finger malen, äußerst unpassend. Baldessaris Verweis auf die „connoisseurs-
hip“ ist aber nicht nur eine ironische Anspielung auf Greenberg und seine Auffassung
von Kennerschaft als dem zentralen Moment der modernistischen Ästhetik, sondern
auch ein Hinweis auf die Kontextverschiebung, die die Commissioned Paintings eben-
falls auszeichnet. Darauf weist Baldessaris Zitat hin, das mit der Frage endet: „What if
I [...] have them show in places other than these county fairs, what would happen?“371
Es geht ihm also nicht nur um die Motive, sondern auch um den Ausstellungsort und
die damit verbundene Zielgruppe. Diese Frage wird zu einem späteren Zeitpunkt wie-
der aufgegriffen, zunächst soll es um die Zeigegeste selbst und ihre Bedeutung in die-
ser Serie gehen.
Die Bedeutung der Geste
Das Merkmal, das die eigentlichen Motive eindeutig überlagert und die Serie als Ein-
heit zusammenhält, ist die Zeigegeste der Hand. Wenn man van Bruggen folgt, war
Baldessaris Idee eine Reaktion auf eine Aussage des Malers Al Held, der gesagt hat:
„All conceptual art is just pointing at things.“372 Möglicherweise war Baldessaris Aus-
gangspunkt für die Verwendung der Zeigegeste tatsächlich eine Parodie der Aussage
von Al Held. Van Bruggens Erklärung übergeht aber sowohl den aufwändigen multi-
medialen Herstellungsprozess als auch den Konnotationsreichtum der Zeigegeste an
sich.
Eine wesentlich naheliegendere Erklärung liefert ein Blick auf einen bereits
mehrfach zitierten Text von Greenberg, Complaints of an Art Critic, den Baldessari für
sein Textbild Clement Greenberg verwendet hat und in dem sich folgende Stelle fin-
det:
„Reflection shows that anything in a work of art that can be talked about or pointed to automatically excludes itself from the ‘content’ of the work, from its import, tenor, gist, or ‘meaning’ (all of which terms are but so many stabs at a generic term for what works of art are ultimately ‘about’).“373
371 John Baldessari, Interview mit Ingo Maerker. 372 Vgl. Van Bruggen, John Baldessari, S. 47. 373 Greenberg, Complaints of an Art Critic, S. 269.
123
Greenberg spricht sich hier gegen die in seinen Augen unmögliche Trennung von
Form und Inhalt aus und beharrt darauf, dass der ‘eigentliche’ Inhalt eines Kunstwer-
kes gerade nicht in dessen sprachlichen bzw. zeichenhaften Aspekten besteht. Die Tat-
sache, dass Baldessari in dieser Arbeit ausgerechnet diese Geste verwendet, nachdem
er sich, wie im letzten Kapitel gezeigt, intensiv mit den Theorien Greenbergs ausei-
nandergesetzt hat, ist zweifellos kein Zufall. Baldessari scheint sich zu fragen, was
denn die ‘Bedeutung’ eines Bildes sein kann, welches genau das tut, was Greenberg
ausschließt, nämlich auf seinen ‘Inhalt’ zu zeigen.
Im Folgenden soll das Zeigen als Teil des Signifikationsprozesses näher unter-
sucht werden und dabei diese Verortung in der Kritik des Modernismus als Hinter-
grund im Auge behalten werden. Eine der wichtigen Konnotationen des Zeigens im
künstlerischen Kontext ist dessen Bedeutung als Zeichen für die künstlerische Wahl
(der Motive, der Materialien usw.), die ebenfalls näher analysiert werden soll.
In der Geschichte der Moderne findet sich ein bemerkenswertes Beispiel für die
Verwendung einer solchen Geste: Marcel Duchamp hat bereits 1918 in sein Bild Tu m’
(Abb. 42) eine zeigende Hand eingebaut.374 Diese weist allerdings eine andere Zeige-
geste auf als die Hand in den Commissioned Paintings, denn hier ist der Daumen nach
unten abgespreizt und wir sehen die linke Hand von innen. Obwohl Baldessari offen-
sichtlich nicht versucht hat, genau diese Geste zu kopieren,375 handelt es sich um mehr
als eine zufällige Analogie, denn auch Duchamp ließ diese Hand von einem Schilder-
maler malen – und signieren; es scheint also ein grundlegendes gemeinsames Interesse
der beiden Künstler zu bestehen. In welcher Form sich diese Gemeinsamkeiten äußern,
wird an späterer Stelle untersucht, zunächst soll die Geste an sich und ihre Konnotati-
onen für diese Serie schrittweise analysiert werden.
Die Haltung der Hand in Baldessaris Serie entspricht im Großen und Ganzen ei-
ner gewöhnlichen Zeigegeste, abgesehen davon, dass der nach oben ausgestreckte
374 Dieses Bild weist neben der zeigenden Hand eine weitere Parallele zu den Commissioned Paintings auf, es war das letzte, das Duchamp gemalt hat, so wie diese Serie auch für Baldessari die letzte Arbeit auf Leinwand war. Tu m’ vereint eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Elemente, die sich auf Du-champs Werk bis zu diesem Zeitpunkt oder auf Fragen der Malerei generell beziehen. Zentral sind in diesem Bild die Schattenrisse einiger Readymades (Rad, Korkenzieher und Hutständer) und der Verweis auf die Trois Stoppages. Daneben gibt es einen Trompe-l’oeil Riss in der Mitte der Leinwand, der durch eine echte Heftklammer geflickt wird und aus dem eine Klobürste herausragt, sowie eine sich ins Unend-liche erstreckende Reihe von Farbmusterkarten. Die zeigende Hand befindet sich in der unteren Hälfte der Bildmitte und weist auf die rechte Bildseite in die Richtung des Schattenrisses des Hutständers bzw. der Abbildungen der Stoppages. 375 Baldessari selbst war sich im Interview mit Ingo Maerker nicht sicher, ob er Tu m’ kannte.
124
Daumen etwas untypisch ist und eher an die Art und Weise erinnert, wie Kinder eine
Pistole imitieren.376 Eine solche Zeigegeste dient im Normalfall dazu, etwas aus den
umliegenden Gegenständen hervorzuheben; es handelt sich also um eine Form der
Bezeichnung, die sich direkt auf das Bezeichnete bezieht:
„When you point at something without speech you are, in philosophical terms, making an ostensive definition – a nonverbal way of picking out things in the world. Bypassing all the problems of correlation between language and objects, you point at whatever you want to draw attention to.“377
James Collins’ Feststellung lässt sich in Begriffen der Semiotik dahingehend reformu-
lieren, dass die Zeigegeste ein indexikalisches Zeichen378 bzw. einen Index darstellt:
„Jeder visuelle Index teilt mir [...] – durch einen mehr oder weniger blinden Im-puls – auf Grund eines Systems von Konventionen oder eines Systems von er-lernten Erfahrungen etwas mit.“379
In diesem Fall löst der zeigende Finger einen Impuls aus, der sich unmittelbar auf die
angezeigten Gegenstände richtet. Die Mitteilung der Zeigegeste besteht in ihrem Ver-
weis auf ein Objekt (oder mehrere Objekte), das sichtbar sein muss, entweder materiell
oder als Abbild. Ein indexikalisches Zeichen hat - anders als ein ikonisches oder sym-
bolisches – keine eigene Bedeutung; diese liegt allein im unmittelbaren Verweis auf
einen Referenten.
Die Zeigegeste ist in ihrem direkten Bezug zum Bezeichneten also Teil des
Signifikationsprozesses, aber sie unterliegt dabei einer doppelten Unbestimmtheit.
Erstens ist es ohne weitere Informationen unklar, ob sich das Zeigen auf einen be-
stimmten einzelnen Gegenstand bezieht, also genau diesen Teller, oder ob es um eine
376 Ob dies allerdings einer gewollten Verfremdung oder einfach der persönlichen Art und Weise des Zeigens von Baldessaris Freund geschuldet ist, muss offenbleiben. Festzuhalten ist allerdings, dass die Geste tatsächlich etwas autoritär wirkt. 377 James Collins, Pointing, Hybrids and Romanticism: John Baldessari, in: Artforum, Nr. 2, 1973, S.53. 378 Dieser Terminus bezieht sich auf die semiotische Theorie von Charles S. Peirce. Für ihn zeichnen sich die indexikalischen Zeichen durch ihre unmittelbare Referenz auf einen Gegenstand aus. Im sprach-lichen Bereich wären Eigennamen oder Demonstrativpronomen Beispiele für diese Art von Zeichen (in der (deutschen) Sprachwissenschaft wird auch der Begriff deiktisch verwendet), weil auch sie sich je-weils unmittelbar auf einen bestimmten Referenten, wenn auch an den jeweiligen Kontext gebunden, beziehen (vgl. Eco, Einführung, S. 73, Fußnote). Ein interessanter Querverweis findet sich im englischen Sprachraum, wo die Grafik einer zeigenden Hand als eine Form des Index in Büchern verwendet wird, um auf bestimmte Stellen hinzuweisen. Eine andere Verwendung der zeigenden Hand ist die als Stempel der US-amerikanischen Post auf Briefen, die nicht zugestellt werden können (mit dem Text versehen: „Returned to Sender“). 379 Eco, Einführung, S. 199. Eco liefert noch andere Beispiele für indexikalische Zeichen: Ein nasser Fleck ist ein Zeichen, dass Wasser verschüttet wurde; ein Pfeil auf einem Verkehrsschild veranlasst mich, in eine bestimmte Richtung zu gehen. Allerdings verweist Eco auch darauf, dass die indexikali-schen Zeichen konventionell sind: Spuren eines Tieres, die ich nicht als solche erkenne, sind für mich keine Indexe, sondern zufällige Muster auf dem Boden (vgl. Eco, Einführung, S. 199).
125
Klasse von Gegenständen geht, also um irgendeinen Teller. Zweitens muss es sich um
ein einzelnes erkennbares materielles Objekt handeln, denn auf einen abstrakten Beg-
riff lässt sich nicht zeigen. Diese Unbestimmtheit zeigt sich z.B. an den Problemen der
genauen Zuschreibung bei Commissioned Painting: A Painting by Dante Guido (Abb.
35), Commissioned Painting: A Painting by Helene Morris (Abb. 30) oder Commissi-
oned Painting: A Painting by Nancy Conger (Abb. 34), bei denen sich die genaue Re-
ferenz der Geste nicht ausmachen lässt. Mit dieser Problematik arbeitet Baldessari:
Der zeigende Finger vollzieht zwar den Prozess der Signifikation, aber das durch diese
Geste Bezeichnete bleibt teilweise im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Am
deutlichsten wird dies bei Commissioned Painting: A Painting by Patrick X. Nidorf
O.S.A. (Abb. 36), dessen Bild nur noch die Geste vor dem Nachthimmel zeigt, wäh-
rend deren Referenz entweder außerhalb des Bildes liegt oder kein eigentlich zeigbares
Objekt darstellt (z.B. die Nacht). Die Einschränkungen, denen die signifizierende
Macht der Geste unterliegt, werden thematisiert, indem die Probleme des Bezugs de-
monstriert werden.
Baldessari geht es bei dieser Arbeit allerdings um mehr als nur die Probleme der
Referenz eines indexikalischen Zeichens. Die Konnotation des Schießens rückt die
Geste in ein Bedeutungsfeld, das ihre Verbindung zur Fotografie und damit zum ur-
sprünglichen Medium der Bilder wieder herstellt. Damit wird auf verschiedene Rede-
wendungen angespielt, die die Fotografie und das Schießen verbinden, vom snapshot
(Schnappschuss) bis zum Ausdruck to shoot a picture (ein Bild schießen). Wichtiger
noch ist, dass die Zeigegeste selbst unmittelbar auf die Verwandtschaft zwischen Zei-
gen und Fotografie hinweist. Diese Verwandtschaft macht auch das folgende Zitat von
W.J. Mitchell deutlich: „The photographer is more of a pointer than a painter. Just as
the pointing finger indicates something real out there, so does the pointing camera.“380
Denn letztendlich vollzieht sich bei einer Fotografie wie beim Zeigen ein indexikali-
scher Prozess: Ein Foto bedingt ebenso wie die Zeigegeste das unmittelbare Vorhan-
densein eines Objektes, es verweist auf etwas außerhalb von sich selbst.381 Auch John
380 William J. Mitchell, The Reconfigured Eye. Visual Truth in the Post-Photographic Era, Cambridge, MA/London 1992, S.195. Obwohl sich das Buch insgesamt mit den Folgen der digitalen Bildbearbei-tung für die Fotografie beschäftigt, enthält es doch einige interessante Informationen über die Funkti-onsweise von Fotografie allgemein. 381 Ein Beispiel für eine Kombination von Zeigegeste und Fotografie sind Reisewörterbücher mit Foto-grafien. Man deutet auf die fotografierten Gegenstände, die aber selbst bereits wie ein Verweis funktio-nieren, wobei selbstredend nicht dieser ganz besondere Gegenstand auf dem Foto gemeint ist, sondern der Gegenstand als Zeichen. Der Unterschied besteht darin, dass dieser Prozess bei der Fotografie fest-gehalten wird, während die Zeigegeste rein ephemer ist.
126
Robert sieht in der Fotografie einen indexikalischen Prozess am Werk: „Its indexical
relationship to the world of objects and events is no more nor less a form of ‘pointing’;
and pointing necessarily contributes to our knowledge of the world.“382 Er betont
zugleich aber auch, dass das Zeigen immer ein Akt ist, der über das rein indexikalische
hinaus Bedeutung erhält: „[...] to point something out is to make a claim on its signifi-
cance or value“.383 Das bedeutet, dass die Intentionen des Zeigenden in das Zeigen
einfließen, auch wenn dies nur indirekt möglich ist:
„[...] even where the recognition of intentions are weak some recovery of mean-ing nevertheless does take place based on the ability of the subject to infer mean-ing from the available evidence.“384
Baldessari zeigt hier genau diesen Prozess auf, denn die Geste in den Bildern legt na-
he, dass wir es mit einer Wahl zu tun haben, die irgendeine Bedeutung hat, dass also
die Bilder auf der Ebene der Motive etwas verbinden muss. In Wahrheit verweist diese
Geste in erster Linie auf das Verhältnis zwischen den benutzten Mitteln und der Zei-
gegeste. Die Geste der Hand bezeichnet eben nicht (nur) die Gegenstände (oder eben
ihr Fehlen) in den Bildern, sondern sie verweist auch auf die Bilder insgesamt als Fo-
tografien, die selbst etwas zeigen, und sie lenkt unsere Aufmerksamkeit darauf, wie die
Fotografie selbst als indexikalisches Zeichen funktioniert. Die verschiedenen auftre-
tenden Prozesse der Signifikation, die eigentliche Geste selbst, das Fotografieren als
Zeigen, die Bedeutung des Zeigens und das Fotografieren der Geste, werden in ein
Spiel der Selbstbezeichnung verwickelt.
In einem künstlerischen Kontext erhält die Zeigegeste schließlich eine weitere
für die Analyse dieser Serie zentrale Konnotation: Auf etwas zu zeigen oder es zu fo-
tografieren ist immer auch Ausdruck einer intentionalen Entscheidung zwischen ver-
schiedenen Möglichkeiten, einer Wahl. Die Commissioned Paintings machen diesen
Vorgang deutlich, indem die Wahl eines Motivs, das der Fotograf gewöhnlicherweise
unter Mithilfe seines Suchers tätigt und die einem Foto notwendigerweise vorausgehen
muss, ohne auf diese Weise explizit zu werden, ihren symbolischen Ausdruck in der
Form des zeigenden Fingers erhält. Der zeigende Finger bezeichnet also nicht nur die
Motive innerhalb der Bilder, sondern bezieht sich auf einer zweiten Ebene auf die Bil-
der selbst, die Produkte eines Wahlprozesses sind. Die zeigende Hand erfüllt also ihre
382 John Roberts, Photography and the Ruins of Conceptual Art, S. 28. 383 Ebd. 384 Ebd.
127
indexikalische Funktion nicht nur unmittelbar im Hinblick auf die Motive, sondern
auch in einer metaphorischen Hinsicht, indem sie auf die Voraussetzungen der Foto-
grafien und ihrer gemalten Versionen verweist, diese so der Selbstreflexion aussetzt
und auf diese Weise ihre jeweiligen Funktionsweisen transparent macht. Entgegen
dem Diktum Greenbergs wird also gerade das, auf das man zeigen kann, in diesem Fall
das Zeigen selbst, zum ‘Inhalt’ und zum Thema dieser Bilder.
Zudem spielt Baldessari hier noch auf einen bereits angedeuteten Unterschied
zwischen Fotografie und Malerei an. Fotografien als indexikalische Zeichen zeigen
immer einen bestimmten existierenden Gegenstand, während gemalte Bilder nicht die-
se Einschränkung haben. Mitchell bringt dies folgendermaßen auf den Punkt:
„[...] the representational range of paintings is wider than that of photographs be-cause a painter does not have to accept a causal relation between a depiction and the object to which it refers.“385
In den Commissioned Paintings hebt Baldessari diesen Unterschied auf, indem er der
Malerei die repräsentativen Regeln der Fotografie aufzwingt, nämlich einen existie-
renden Gegenstand realistisch wiederzugeben. Statt ihrer Vorstellungskraft zu folgen,
sind die MalerInnen hier gezwungen, genau wie eine Fotokamera das, was vor ihren
Augen liegt, abzubilden. Die Konsequenzen dieser medialen Vertauschung werden an
späterer Stelle noch einmal thematisiert.
Baldessaris Interesse an der Frage der Wahl und deren Bedeutung für die Kunst
insgesamt ist eingebettet in ein generelles Projekt, das sich der Suche nach den
Grundsätzen der Kunst widmet, wie Baldessari in einem Interview deutlich macht:
„[...] I remember back at that time – this was the period of Minimalism and Con-ceptualism – I was trying to strip away all of my aesthetic beliefs and trying to get to some bedrock ideas I had about art. What did I really think art was essen-tially? And one of the things that in this reductionist attitude I arrived at, was ‘choice’ – that seems to be a fundamental issue of art.“386
Hinter der Beschäftigung mit der Frage der Wahl steht, ähnlich wie bei der Text-on-
Canvas-Serie, wieder der Versuch, durch eine weitgehende Reduktion der formalen
ästhetischen Qualitäten die ‘essentiellen’ Eigenschaften von Kunst zu bestimmen. Bal-
dessaris Interesse für den Aspekt der Wahl findet sich bei einer ganzen Reihe von
385 Mitchell, Reconfigured Eye, S. 29. 386 John Baldessari, Recalling Ideas, Interview mit Jeanne Siegel, in: Art in America (New York), Vol. 62, Nr. 8, 1988, S. 86.
128
Künstlern der Conceptual Art wieder, die sich gleichfalls zu dieser Zeit damit ausei-
nandersetzten.387
Das Thema der Wahl bleibt darüber hinaus auch in einigen späteren Arbeiten be-
stimmend, wie etwa in Choosing (A Game for Two Players): Rhubarb (1972) (Abb.
43), wo dieser Aspekt noch stärker betont und gleichzeitig mit einem spielerisch-
experimentellen Element verbunden wird.388 Die Untersuchung drehte sich bisher um
den Aspekt der Motivwahl, allerdings umfasst Wahl noch wesentlich mehr, sie kann
sich auch auf den Einsatz der Medien beziehen oder die Wahl der Präsentationsum-
stände. Im nächsten Abschnitt gilt es, sich die Konsequenzen der Umsetzung der Fotos
in Malereien zu vergegenwärtigen, die über den Rahmen beider Medien hinausweisen
und damit auch deren Kontext problematisieren und so die Frage der Wahl in einem
neuen Licht erscheinen lassen.
Das Vermischen der Kontexte
Analog zu den Text-on-Canvas-Bildern, die Elemente, die traditionell künstlerisch
konnotiert sind, etwa die Leinwand, mit solchen kombinieren, die in einer anderen
nicht künstlerischen Weise konnotiert sind, wie Schrift oder Amateurfotografie, findet
auch bei den Commissioned Paintings eine Vermischung der Medien statt. Zunächst
fällt auf, dass Baldessari die Fotografien hat abmalen lassen, anstatt sie als solche zu
präsentieren.
Die Motive der Commissioned Paintings sind aus einer früheren Arbeit hervor-
gegangen (Abb. 44a-d),389 die Baldessari in der Ausstellung Konzeption-Conception in
387 Den Beleg dafür liefert das Buch Recording Conceptual Art, in dem Interviews mit verschiedenen Künstlern dieser Richtung (Barry, Huebler, Smithson, LeWitt usw.) gesammelt sind. In den Interviews wird die Problematik der Wahl ausdrücklich thematisiert, wobei die Herangehensweise meist pragmati-scher ist (siehe auch Kap. 3.) Vgl. Alexander Alberro u. Patricia Norvell (Hg.), Recording Conceptual Art. 388 Bei dieser Gruppe serieller Fotoarbeiten geht es darum, aus drei verschiedenen Exponaten einer Gruppe gleicher Dinge, z.B. Rhabarber oder Schokolade, eines auszusuchen. Diese Wahl wurde durch ein Foto dokumentiert, das den Finger der auswählenden Person zeigt. Anschließend wurden zu dem ausgewählten Gegenstand zwei neue gelegt, und eine neue Wahl getroffen. Die Ergebnisse hielt Baldes-sari in einer fotografischen Reihe fest, die den Verlauf der Auswahl dokumentierte. Interessanterweise ließ er auch hier wieder andere Personen die Wahl treffen. 389 Ein Teil dieser Serie bei van Bruggen abgebildet, wo die Arbeit einfach mit Finger Pointing at Ob-
jects bezeichnet ist. Laut der Auskunft Baldessaris tragen die einzelnen Arbeiten eigene Titel z.B. Poin-
ting: Circle (1969) usw. (siehe das Abbildungsverzeichnis) (vgl. Van Bruggen, John Baldessari, S. 51).
129
Leverkusen 1969 präsentierte.390 Im Katalog, der gleichzeitig auch die Ausstellung
darstellt, befinden sich zwei Seiten mit Fotos, beide zeigen die gleiche Art von Famili-
enaufnahmen, die auf der rechten Seite unter dem Titel Some Banal Portraits That
Exist As Idea Rather Than Object präsentiert werden. Links steht ein Text,391 der ge-
nau auf die Motive der Commissioned Paintings zutrifft, ohne dass die entsprechenden
Motive zu sehen sind.392
Baldessari verwendete diese Fotografien als seinen Beitrag für den Katalog, also
als eine eigenständige künstlerische Arbeit, ohne dass sie abgemalt und auf eine Lein-
wand übertragen werden mussten. Die Übertragung der Fotos auf die Leinwand in den
Commissioned Paintings dient dazu, die Bilder eindeutig als ‘Kunst’ zu codieren und
sie in diesem Kontext zu verorten bzw. mit diesem Kontext zu konfrontieren. Für diese
Interpretation spricht auch, dass Baldessari bereits bei den National City-
Schnappschüssen mit Fotos arbeitet, wobei er dort noch die Fotoemulsionstechnik
verwendet, um die Fotos direkt auf die Leinwand zu übertragen. In den Commissioned
Paintings setzt er die Malerei und auch die Leinwand im doppelten Sinne strategisch
ein: zum einen als Medium, das die Bilder als ‘Kunst’ codiert, und zum anderen, um
verschiedene künstlerische Subcodes zu kontrastieren, z.B. den der HobbymalerInnen
mit dem der Galeriekunst. Auf diese Weise werden die Bilder mehrfach und damit
widersprüchlich codiert, weil die Elemente, die sie als einem bestimmten Kontext zu-
gehörig auszeichnen, der Einordnung in einen anderen Kontext entgegenstehen.
Zunächst entspricht die Leinwand dem gewöhnlichen Medium dieser MalerInnen
und stellt – anders als die Fotos und Texte auf den Leinwänden - an sich noch keinen
Bruch mit ihrem Code dar; auch das Abmalen von fotografischen Vorbildern an sich
ist in der Hobbykunst nichts Ungewöhnliches. Baldessari führt den Bruch mit dem
ästhetischen Code der Hobbymaler erst auf der Ebene der Motive herbei, während der
390 Konzeption - Conception: Dokumentation einer heutigen Kunstrichtung, (Kat.) Rolf Wedewer (Hg.), Städtisches Museum Leverkusen, Oktober-November 1969, Köln/Opladen 1969. Dies war gleichzeitig Baldessaris erste Ausstellung in Europa. 391 „Es wurde jemand gebeten, in einem beliebigen Gebiet, in dem er gerade umherging, auf irgend et-was zu deuten, das ihn interessierte. Jedesmal, wenn er auf etwas deutete, wurde der Gegenstand doku-mentarisch festgehalten. Die so gewählten Bereiche und Phänomene oblagen ganz der Wahl des Sub-jekts“ (Aussage in: Konzeption-Conception (Kat.), keine Seitenangaben). 392 Aus der Tatsache, dass diese Beschreibung nicht mit den gezeigten Fotos korrespondiert, dafür aber genau mit den Dias, die als Vorbild für die Commissioned Paintings dienten, lässt sich schließen, dass es sich vermutlich um ein Versehen beim Erstellen des Katalogs handelt und die Bilder vertauscht wur-den, zumal von dieser Aussage nur die deutsche Version existiert, obwohl es sonst immer ein englisches Original gibt.
130
Code in maltechnischer und formaler Hinsicht größtenteils erfüllt wird.393 Die ent-
scheidende Konfrontation der Kontexte findet erst dort statt, wo der ästhetische Code
der HobbymalerInnen mit dem Code der ‘ernsthaften’ Kunst zusammentrifft, indem er
– vermittelt durch Baldessaris Arbeit – in dem fremden Kontext einer Galerie präsen-
tiert wird. Zwar handelt es sich um zwei Subcodes, die sich beide auf Kunst – im wei-
testen Sinn – beziehen, deren Bewertungskriterien allerdings weit auseinandergehen.
Auf diesen Aspekt spielt Baldessari mit dem Begriff der „connoisseurship“ an,
denn dieser gehört traditionell in den Kontext der Galerie und der ‘Hohen Kunst’,
während für den Kontext der HobbymalerInnen eher das Vermögen, die Realität mi-
metisch abzubilden, entscheidend ist. Im Code der Hobbykunst ist es deshalb wesent-
lich einfacher, ein gutes Bild von einem schlechten zu unterscheiden. Der echte ‘Ken-
ner’ könnte diesen Bildern selbstredend nichts abgewinnen, aber hinter Baldessaris
ironischer Verwendung dieses Begriffs verbirgt sich auch eine gewisse Anerkennung
der malerischen Fähigkeiten der HobbykünstlerInnen.394 Außerdem waren die Krite-
rien, die entscheiden könnten, ob ein Bild in einer Galerie dem künstlerischen Code
entspricht, also als ‘Kunst’ akzeptiert wird, 1970 nicht mehr so eindeutig, war doch die
Aufweichung der traditionellen Kriterien des Geschmacks durch die Neo-Avantgarde
und die Pop-Art bereits weit fortgeschritten.
Das von Baldessari inszenierte Aufeinandertreffen macht die Grenzen und Ge-
meinsamkeiten der Codes offensichtlich und folgt, in gewisser Weise, den Ideen der
Vermischung zwischen ‘Hoher Kunst’ und populärer Kunst in der Pop-Art. Allerdings
mit dem entscheidenden Unterschied, dass es Baldessari nicht darum geht, den Code
der ‘Hohen Kunst’ durch die Einbeziehung der HobbymalerInnen und ihrer Kunst zu
erweitern, sondern die in beiden Kontexten wirksamen Codes offenzulegen und auf
diese Weise zu hinterfragen. Die Frage, die dahinter steht, lautet: Warum sind die Bil-
393 Die Vorgabe, die Motive möglichst genau zu kopieren, entspricht technisch gesehen dem gewöhnli-chen Vorgehen dieser MalerInnen, denn man kann davon ausgehen, dass sie wie die meisten Hobbyma-lerInnen in erster Linie realistisch malten. 394 Dass es Baldessari hier nicht darum geht, sich über die MalerInnen lustig zu machen, die er – als MalerInnen – durchaus ernst nimmt, ergibt sich aus zwei Umständen: Zum einen gibt er ihnen durch die Vorgabe der Motive die Möglichkeit, ihr Können zu zeigen, ohne sich durch kitschige Motive zu dis-qualifizieren. Zweitens hat er einen der Maler (Dante Guido) später sogar beauftragt, ihn zu porträtieren und dieses Porträt anschließend in einer Ausgabe von Studio International (Vol. 180, Juli/August 1970) präsentiert. Neben der Abbildung des Porträts findet sich hier ein Foto von Baldessari mit einer Jeansja-cke im Stil eines Rockers, die mit einem Aufnäher mit dem Spruch “Born to Paint” und einem Toten-kopf mit einer Palette und Pinsel darunter versehen ist. Zusätzlich finden sich zwei Adressen, über die man entweder einen der Aufnäher oder ein Porträt von sich bei dem besagten Hobbymaler bestellen kann.
131
der der Hobbykünstler nur Kunst, wenn sie auf diese Weise, also vermittels Baldessa-
ris Intervention, in diesen Kontext eingebracht werden?
Die Antwort auf diese Frage ist eng mit einem zentralen Paradigma der Kunst
verbunden: der Rolle des Künstlers als Autor. Baldessari greift dieses gerade zu jener
Zeit in der postmodernen Theorie diskutierte Thema auf. Foucault z.B. schrieb 1969
seinen Text Was ist ein Autor?, der sich mit dem Diskurs des Autors beschäftigt.395
Außerdem stammen zwei äußerst einflussreiche Texte von Roland Barthes aus dieser
Zeit, nämlich The Death of The Author (1967) und De l’œuvre au texte (1971).396 Bal-
dessari nimmt dieses Thema auf, indem er die Rolle des Autors im Rahmen der Kunst
in einer doppelten Weise problematisiert: zum einen in Bezug auf seine eigene Autor-
schaft, zum anderen in Bezug auf die HobbymalerInnen.
Ihre Malereien stellen den Ausgangspunkt für die Untersuchung der Frage dar,
was künstlerische Autorschaft eigentlich ausmacht. Die Vorgabe von Motiv, Technik,
Format und Kontext beschränkt die Ausdrucksmittel der HobbymalerInnen und redu-
ziert ihre Möglichkeit individueller Entfaltung auf einen Aspekt, den des (mal-) tech-
nischen Könnens. Baldessaris Absicht ist es, den vielschichtigen künstlerischen Her-
stellungsprozess eines Bildes, der sonst in den Händen einer Person (eines Autors)
liegt, zu verteilen und den MalerInnen einen Aspekt, eben das reine Abbilden, zuzu-
weisen:
„In this group of works, the (f)act and idea of depiction is its own subject matter. These paintings question the individual technical prowess insofar as the artist has chosen to delegate and examine it.“397
Wie Anne Rorimer hier feststellt, ist das Thema dieser Bilder das Abbilden selbst bzw.
die unterschiedliche Weise, wie die Medien Malerei und Fotografie etwas abbilden.
Die Malerei wird den Grundbedingungen der Fotografie unterworfen, denn auch die
gemalten Bilder basieren in dieser Serie auf der Abbildung der Realität. Dieses Ver-
weisungsverhältnis demonstriert Baldessari auf verschiedenen Ebenen, nicht nur sind
Fotografien der Ausgangspunkt für die Malereien, sie bilden vielmehr ausgerechnet
eine zeigende Hand ab und damit einen weiteren Verweis auf einen existierenden Ge-
genstand. Schließlich dienen die Regeln, die Baldessari für die Reproduktion aufstellt,
395 Michel Foucault, Was ist ein Autor? (Erstausgabe in: Bulletin de la Société française de Philosophie, Juli - September 1969). 396 Roland Barthes, The Death of the Author, in: Aspen, Nr. 5+6, Spring/Winter 1967; u. ders., De l’œuvre au texte, in: Revue d’esthétique, Nr. 3, 1971. 397 Rorimer, in: John Baldessari, National City (Kat.), S. 31.
132
also möglichst naturgetreu zu malen, dazu, den MalerInnen auch auf der Ebene der
Ausführung ihre Rolle vorzugeben. Die KünstlerInnen nehmen gewissermaßen die
Funktion von malerischen Fotoapparaten an, deren einzige Aufgabe in der möglichst
genauen Abbildung von Realität besteht. Bemerkenswert ist, dass Baldessari diese
Untersuchung gerade nicht an seinem eigenen ‘Werk’, im Sinn eines von ihm selbst
geschaffenen Produkts, sondern an den Produkten der Hobbymaler vornimmt.
Baldessari ermöglicht es so den KünstlerInnen zu demonstrieren, inwiefern sie in
der Lage sind, die Natur zu imitieren, also etwas mimetisch abzubilden. Auf diese
Weise können sie den Erwartungen entsprechen, die sich in der Alltagsdefinition von
Kunst finden, wie sie sich etwa in dem Sprichwort ‘Kunst kommt von Können’ aus-
drückt, und die zweifellos auch den Code der HobbymalerInnen prägen.398 Darin liegt
auch eine Erklärung für Baldessaris Verwendung der Malerei: Im Gegensatz zur Foto-
grafie ist diese traditionell mit der Idee der individuellen Autorschaft als einer auf mal-
technischer Virtuosität beruhenden Fähigkeit verbunden. Indem Baldessari sich als
Künstler die malerische Autorschaft der HobbymalerInnen gewissermaßen ‘ausleiht’,
konterkariert er diese Erwartungen an die Rolle des Künstlers.
Baldessaris Autorschaft im Hinblick auf die gesamte Arbeit bezieht sich in kei-
ner Weise auf technisches Können – er präsentiert die HobbymalerInnen nach Krite-
rien, denen er selbst überhaupt nicht folgt. Sein Modell von Autorschaft steht dem der
Hobbykunst völlig entgegen: Er beteiligt sich überhaupt nicht an der Ausführung, son-
dern beschränkt sich auf die Planung und Zusammenstellung.399 Im Kontext der ‘mo-
dernen’ Kunst ist es aber ausreichend, dass Baldessari als Künstler (Autor) für Präsen-
tation und Konzept garantiert, um die ganze Arbeit zu seiner zu machen, obwohl die
HobbymalerInnen sogar namentlich erwähnt werden. Daran ändert selbst die Tatsache
nichts, dass mindestens zwei der MalerInnen sein bzw. ihr Bild sogar signiert und da-
mit das wichtigste Kriterium der Zuschreibung von Autorschaft erfüllt haben.400
398 In der ‘richtigen’ Kunst spielt die mimetische Abbildung dagegen, abgesehen von den Strömungen der fotorealistischen Kunst in den sechziger und siebziger Jahren, keine Rolle. 399 Van Bruggen behauptet allerdings, dass Baldessari die Gemälde nach ihrer Fertigstellung noch bear-beitet habe: „He asked the amateurs to render the silde they had selected as faithfully as possible, but he also made small changes in the presentation of the pictures, hoping that through these slight shifts art would emerge“ (van Bruggen, John Baldessari, S. 47). Diese Behauptung erscheint rätselhaft, weil der Vergleich mit den als Vorbild fungierenden Dias keine Veränderungen erkennen lässt. Außerdem ist die Formulierung „changes in the presentation“ auch sehr vage. 400 Es handelt sich um die Bilder von Pat Perdue (Abb. 4) und Hildegard Reiner (Abb. 39). Foucault sagt über den Autornamen: „[...] ein Autorname ist nicht einfach nur ein Element in einem Diskurs [...] er hat bezogen auf den Diskurs eine bestimmte Rolle: er besitzt klassifikatorische Funktion“ (Foucault, Was ist ein Autor?, S. 16f.).
133
Auf diese Weise stellt Baldessari nicht nur die beiden unterschiedlichen Konzep-
te von Autorschaft im Code der Hobbykunst und in dem der ‘modernen’ Kunst gegen-
über und verdeutlicht die Schere, die sich zwischen den verschiedenen Definitionen
von Autorschaft auftut, sondern er wirft auch die Frage auf, was Autorschaft generell
bedeuten kann. Sein Verweis auf die Kennerschaft ist dabei ein ironischer Kontra-
punkt, der, weil er die wirklichen Verhältnisse nicht beschreibt – denn Baldessari prä-
sentiert schließlich keine Ausstellung, sondern seine ‘eigene’ Arbeit –, die Aufmerk-
samkeit auf diese Frage lenkt. Schließlich stellt er auch das Verhältnis zwischen den
Medien Malerei und Fotografie zur Disposition, indem er gemalte Bilder herstellen
lässt, die die Funktion von Fotos übernehmen. Die Malereien bezwecken allerdings
weder, wie beim Trompe l’oeil, die Täuschung der Sinne noch wie beim fotorealisti-
schen Bild die Imitation einer Fotografie, sondern sie demonstrieren ihren indexikali-
schen Bezug zur Wirklichkeit. In den Commissioned Paintings findet also kein Wett-
streit statt, ob die Malereien die besseren Fotos und die MalerInnen die besseren Foto-
apparate sind, weil die Malerei hier rein strategisch als Teil des Konzeptes der Serie
eingesetzt wird. Der nächste Abschnitt versucht dem in dieser Arbeit aufgeworfenen
Problem der künstlerischen Autorschaft und ihrer Bedeutung für die Kunst der Moder-
ne und Postmoderne anhand von Baldessaris Verhältnis zu Marcel Duchamp nachzu-
gehen.
Duchamps Readymades: der Künstler als Autor
Die Frage nach Baldessaris Verhältnis zu Duchamp stellt sich nicht nur bei dieser Se-
rie, aber sie drängt sich hier am deutlichsten auf, wie sich in der bisherigen Analyse
der Commissioned Paintings gezeigt hat.401 Um diesen Einfluss nachzuvollziehen, gilt
es zunächst, ein besonderes Augenmerk auf Duchamps Konzept des Readymades zu
werfen und die damit einhergehenden Begriffe des Autors, der künstlerischen Wahl
und des Kontextes zu klären. Auf diese Weise lässt sich verdeutlichen, in welcher
Form sich Baldessari hier auf die Konzepte und Ideen von Duchamp bezieht und diese
weiterentwickelt.
In Duchamps Readymades korrelieren verschiedene Elemente, die auch Baldes-
sari in seiner Serie wieder aufgenommen hat. Die Readymades sind zunächst einmal
401 Baldessari selbst betont: „I was very much influenced by Duchamp.“ (Interview mit Ingo Maerker).
134
kunstfremde Gegenstände, die in den Kontext der Kunst (des Museums) eingebracht
werden. Duchamp ging es zum Ersten um die Rolle des Kontextes und das normset-
zende Potenzial des Museums. Zum Zweiten interessierte ihn die Frage, welche Rolle
der Künstler in diesem Prozess spielt und wie es dazu kommt, dass dieser die Macht
hat, einen Gegenstand zu einem Kunstwerk zu erklären. Zum Dritten geht es um das
Moment der Wahl, also den Vorgang der Erhebung eines Gegenstandes zum Kunst-
werk.
Im Folgenden soll zunächst das Konzept des Künstlers als Autor – nicht im Sin-
ne einer bestimmten Person wohlgemerkt, sondern als Funktionsträger – genauer be-
trachtet werden. Diese Position des Künstlers basiert auf dem modernen Diskurs der
Kunstgeschichte, der geprägt ist von:
„[...] art history’s obsessive recourse to the artist, ‘that obscure object of desire’ who is heroized by the discipline as a unified source of a meaning that is trans-mitted directly, without interference, to the interpreter via the art object.“402
Dem Künstler kommt dabei eine direkt von einer höheren Macht abgeleitete Autorität
zu, ein besonderer Status, der sich gleichermaßen auf seine Werke wie auch seine Per-
son erstreckt.403
Diese Autorität erweist sich an ein bestimmtes Zeichen gebunden, nämlich die
Signatur, die als Ausdruck der symbolischen Verfügung über den Definitionsbereich
fungiert. Wie Amelia Jones feststellt:
„Without the Duchampian signature, of course, the ready-mades would be mate-rially indifferentiable from the machine-made, utilitarian tools of their initial manufacture. Duchamp’s gesture specifically indicates the power of the authorial imprint to erase an object’s use value and replace it with exchange value – a power that always implicates a metaphysic (the author as a transcendental anchor for this value).“404
Deshalb signierte Duchamp seine Arbeiten immer, wenn auch oft ironisch gebrochen
durch die Verwendung von Pseudonymen, die allerdings ihre Geltung stets dem hinter
allem stehenden Künstler verdanken. Duchamp legte dadurch die Mechanismen der
402 Amelia Jones, Postmodernism and the EnGendering of Marcel Duchamp, Cambridge 1994, S. 8. 403 Vgl. Ebd., S. 8ff. Jones bezieht sich an dieser Stelle in erster Linie auf Donald Preziosi und sein Buch: Rethinking Art History (New Haven 1989), das die Rolle des Künstlers im Diskurs der Kunstge-schichte untersucht: „The artist hero […] is […] revealed as a filter or aesthetic mediator, refracting the prose of the world into poetry. […] In this refractive regime, the artwork is framed as a record or trace of the artist’s originality and individuality. […] The art historian or critic is the implied practitioner or operator of a revelatory machinery, working at the recuperative task of reconstructing for a lay audience an originary fullness of meaning and reference […]” (Preziosi, Rethinking Art History, S. 22, zit. nach: Jones, Postmodernism and Duchamp, S. 223). 404 Ebd., S. 136.
135
Autorschaft offen, die sonst nur impliziert werden. Gleichzeitig wies er auf den institu-
tionellen Rahmen der Kunst hin, denn seine Intervention funktioniert nur in diesem
Kontext, weil nur dort die kunststiftende Macht der Signatur entsprechend verankert
ist. Durch die aktive Thematisierung der Wirkungsweisen der Autorfunktion in den
Readymades stellte er ihre Selbstverständlichkeit in Frage.
Der zweite Aspekt des Readymades bei Duchamp, den Baldessari wieder auf-
nimmt, ist die Frage der Wahl, d.h. das Problem der Umsetzung der durch die Rolle als
Künstler bedingten Definitionsmacht. Traditionell beinhaltet der kreative Akt des
Künstlers immer auch ein bestimmtes Moment der Wahl: des Motivs, der Kompositi-
on, der Technik, aber im Fall von Duchamp auch des Ortes der Präsentation und damit
des Kontexts. Diese Wahl ist eine bewusste Entscheidung, die immer durch bestimmte
ästhetische Überlegungen bedingt ist und in der das künstlerische Subjekt die Verfü-
gung über das Resultat sicherstellen will.405
Duchamp interessierte sich in erster Linie für den Aspekt der Wahl, der auf dem
ästhetischen Gefühl beruht. Um dieses auszuschalten, entwarf er sein Konzept der In-
differenz, welches darauf beruhte, dass die Wahl der Gegenstände für die Readymades
gerade nicht unter ästhetischen Erwägungen getroffen werden sollte:
„You have to approach something with an indifference, as if you had no aesthetic emotion. The choice of ready-mades is always based on indifference. [...] It was made, but I wasn’t the one who made it.“406
Die Auswahl der Readymades erfolgte also, wenn man Duchamps Aussage glauben
will, ohne Verbindung zum ästhetischen Empfinden. Es fällt allerdings die Verwen-
dung der Wörter „as if“ auf, die darauf hindeuten, dass sich Duchamp der Grenzen
seiner Indifferenz durchaus bewusst war.407 Bemerkenswert ist auch, dass Duchamp
behauptete, er habe diese Wahl nicht selbst getroffen, denn auch eine Wahl, die sich
nicht auf ästhetische Empfindungen stützt, wird immer noch von ihm selbst getroffen.
405 In der Conceptual Art spielte dieses Thema eine zentrale Rolle, vor allem LeWitt, aber auch Bochner setzten sich damit auseinander (vgl. Kap. 3.3.3.). Die Beschäftigung mit dem Thema Wahl bezog sich dabei immer auf mehr als bloß die Frage der Ästhetik. Das Moment der bewussten Wahl wurde aber bei den meisten Künstlern der Conceptual Art beibehalten, wenn auch ästhetische Kategorien meist vermie-den wurden. Eine frühere Beschäftigung mit der Frage der bewussten Wahl findet man bei den Surrealis-ten (écriture automatique) oder den Situationisten (Bilder auf einer Stoffrolle). 406 Marcel Duchamp, Dialogues with Marcel Duchamp, Interview mit Pierre Cabanne, New York 1987, S. 48, zit. nach: Jones, Postmodernism and Duchamp, S. 68 (Hervorhebungen im Original). 407 Jones sieht die Indifferenz vor allem als Folge von Duchamps künstlerischer Sozialisation im Frank-reich der Jahrhundertwende: „His strategy of indifference can be seen as a historically specific, ideo-logically determined strategy rooted at least in part in the bourgeois artist’s desire to reject the bourgeois world. At the same time […] Duchamp practiced this rebellious role with what appears to have been a remarkable sense of irony […]” (Jones, Postmodernism and Duchamp, S. 69).
136
Möglicherweise verbirgt sich hinter dieser Formulierung aber auch ein Verweis auf das
Unbewusste als Ursprung der Auswahl.
Insgesamt wird deutlich, dass Duchamps Begriff der ‘Indifferenz’ bedeutend
komplexer ist, als es zunächst den Anschein hat. Denn die Readymades stellen eine so
offensichtliche Verweigerung damaliger künstlerischer Konventionen dar, dass sie
nicht Produkt einer völlig indifferenten Wahl sein können. Jones weist zu Recht auf
diesen grundlegenden Widerspruch im Konzept der Indifferenz hin:
„[...] [there is a] contradiction embedded in the notion of ‘indifferent’ choice – for selection requires involvement and an attention, if inadvertent, to modernist or bourgeois concepts of beauty.“408
Insbesondere wenn man die Readymades mit ihren Titeln, die stets auf Sprachspiele
aufbauen und sorgsam auf die Kombination mit den Gegenständen ausgelegt sind, in
Verbindung bringt, wird deutlich, dass die Readymades mit sehr viel Bedacht ausge-
wählt wurden.409
Duchamp wollte jedoch auch nicht die Welt der Kunst mit einigen bisher über-
sehenen, aber ästhetisch wertvollen Objekten anreichern, sondern mit seinen Ready-
mades gezielt in die Codes der Kunstwelt eingreifen, sie sichtbar machen und damit
kritisieren. Letztendlich erfuhren allerdings auch die Readymades ihre Musealisierung
und Ästhetisierung, weil sich die kulturellen Codes als dehnbar erwiesen und auch die
ästhetische Indifferenz nicht vor einer Ästhetisierung gefeit war. Duchamp hat dies im
Übrigen in seinem späteren Werk selbst immer wieder reflektiert, etwa indem er die
Readymades nachbauen ließ oder sie als kleine Modelle in seine Boite usw. integrier-
te.410
Die Commissioned Paintings als Neubewertung der Rolle des Künstlers
Die Commissioned Paintings beziehen sich in mehrfacher Weise auf die Readymades.
Erstens durch die Geste des Zeigens, die nicht nur auf das Bild Tu m’ verweist, son-
dern auch auf den Akt des Heraushebens eines Gegenstandes als künstlerisches Objekt
408 Ebd., S. 98. 409 Z.B. Peigne von 1916, das nicht nur bereits im Namen eine doppeldeutige Referenz zur Kunst in sich trägt, sondern auch mit einem doppeldeutigen Text versehen wurde. Gleichzeitig sind diese Verweise aber immer gebrochen, Objekt, Text und Referent kommen nicht zusammen. Jones fasst dies so zusam-men: „Put into play with Peigne are the split meanings within a text and the division between text and object that unmask the impossibility of uniting the vehicle (text or object) to a fixed referent.” (Ebd., 140). 410 Vgl. Ebd., S. 98.
137
und damit auf den Aspekt der Wahl, der jedem Readymade – und jedem anderen
Kunstwerk vorausgehen muss. Zweitens thematisiert Baldessari hier den Aspekt der
Kontextverschiebung, der auch bei den Readymades zum Tragen kommt, indem er die
verschiedenen künstlerischen Codes, den der Hobbykunst und den der Galerie, gegen-
einander ausspielt. Drittens nimmt er die Frage der Autorschaft in einer neuen Weise
auf, die Duchamps selbstreferentielle Kritik des Künstlers weiterführt. Baldessari
greift diese Punkte auf und versucht neue Methoden zu entwickeln, um deren Abhän-
gigkeit von übernommenen ästhetischen Codes zu hinterfragen. Die Commissioned
Paintings knüpfen also an Duchamps Konzept des Readymades an, ohne dieses ein-
fach nur zu imitieren.
Die Kritik des modernen Künstlers als Agent im Betriebssystem Kunst, die Du-
champ durch den selbstironischen Vollzug seiner Rolle als Künstler in seinen festge-
legten Formen als Autor unternimmt, dessen Signatur die Gegenstände zu einem Teil
seines Werkes macht und dessen Kreativität sich bis auf die Ausscheidungen seines
Körpers erstreckt,411 spielt für Baldessari aus verschiedenen Gründen nicht mehr die
zentrale Rolle. Zum einen befindet er sich in einer anderen Situation als Duchamp: Er
ist kein bekannter und umstrittener Künstler, der durch eine derartige Intervention die
Kunstwelt erschüttern könnte, sondern bewegt sich lediglich an ihrer Peripherie.412
Zum zweiten hat sich, nicht zuletzt auf Grund der Intervention Duchamps, der
Kunstbegriff und der Geltungsbereich der Kunst so erweitert, dass eine einfache Wie-
derholung der Geste der Readymades sinnlos erscheinen muss.413 Die Verwendung
von alltäglichen Gegenständen an sich verursachte 1969 gewiss keinen Skandal mehr,
sondern gehörte wie selbstverständlich zum Repertoire der Künstler der Neo-
Avantgarde. Dies stellte deshalb nicht mehr eine Kritik der besonderen Funktion des
modernen Künstlers als eines aus seiner Genialität schöpferisch tätigen Menschen und
411 Ein Beispiel dafür ist das Paysage fautif (1946), das Duchamp einer Boîte beilegte: es handelt sich um ein Spermabild, bei dem Sperma auf ein Stück Stoff gespritzt und dann getrocknet wurde. Es gibt noch ein Beispiel, das in eine ähnliche Richtung geht, es besteht nämlich aus Proben verschiedener Kör-perhaare. Die Anspielung gerade auf die männlich konnotierte künstlerische Kreativität ist hier offen-sichtlich. Vgl. Jones, Postmodernism and Duchamp, S. 89f. 412 Baldessari spielt in einer selbstironischen Form auf diese Künstlermythen der Moderne an, wie in einer Arbeit für den Katalog zu der Ausstellung Konzeption-Conception, für die er zwei Bögen einreich-te, erstens eine Samenprobe, die ergibt, dass er unfruchtbar sei, und zweitens eine Analyse seines Stuhls, die ihm völlige Gesundheit zusichert. Die Anspielung auf Duchamp und seinen wiederholten Vergleich der künstlerischen Arbeit mit der Masturbation sowie auf den englischen umgangssprachlichen Aus-druck “to be full of shit”, was so viel wie „ein Scherzkeks sein“ bedeutet, sind offensichtlich. 413 Was selbstredend eine ganze Reihe von Künstlern nicht davon abhielt, diese Geste in mehr oder weniger origineller Form zu paraphrasieren, so wie z.B. Piero Manzoni oder Timm Ulrichs.
138
der Rolle des Kontextes der Präsentation dar, wie noch die Readymades zu Beginn des
letzten Jahrhunderts.
Baldessari will daher nicht mehr bloß die institutionalisierten Mechanismen auf-
zeigen, vermittels deren ein Künstler durch eine Kontextverschiebung einen
Gebrauchsgegenstand in ein Kunstwerk umzuwerten vermag, sondern er will darüber
hinaus die Rolle des Kontextes der Präsentation noch weitergehend problematisieren.
In den Commissioned Paintings thematisiert Baldessari diese Frage, indem er zwei
künstlerische Kontexte und die damit verbundenen Codes kollidieren lässt; damit re-
kontextualisiert er nicht einfach nur Gebrauchsgegenstände, sondern Malereien – also
auch ‘Kunst’. Auf diese Weise erreicht er eine gänzlich neue Infragestellung der Funk-
tionsweisen der künstlerischen Codes und deren Definition des Kunstwerks. Wie zu
Beginn des Kapitels erläutert, setzt sich Baldessari in dieser Serie bewusst mit Green-
bergs Kunsttheorie auseinander. Er bricht mit Greenbergs Verbot des Zeigens, indem
er es ganz bildlich zum eigentlichen Thema erhebt. Auf diese Weise thematisiert Bal-
dessari den im Modernismus betriebenen Ausschluss der sprachlichen und diskursiven
Elemente und lässt diese wieder in den künstlerischen Code einfließen. In dieser Hin-
sicht muss auch diese Serie, wie die Text-on-Canvas-Bilder, vor dem Hintergrund des
modernistischen Diskurses verstanden werden, obwohl sie zugleich über eine aus-
schließliche Auseinandersetzung hinaus weist.
Baldessari stellt nämlich auch die Frage nach der Rolle des Künstlers in einer
neuen Weise. Zunächst verweist die demonstrative Zeigegeste auf die Frage der Mo-
tivwahl; auf einer zweiten Ebene lässt sich diese Geste aber auch als eine Metapher
des Readymades an sich lesen, das auch auf dem Herausheben eines alltäglichen Ge-
genstandes aus der Welt basiert.414 Bei Baldessari ist es aber nicht der Künstler-Autor
selbst, der diese Wahl trifft. Statt dessen setzt er zwischen sich und das Objekt (Bild)
gleich mehrere Instanzen: Die Wahl der Motive für die Dias erfolgt durch einen
Freund, und letztendlich bleibt es die Entscheidung der Hobbymaler, welche der Dias
sie abmalen wollen. Auf diese Weise schieben sich zwischen die Person des Künstlers
und die endgültige Gestalt seiner Arbeit verschiedene Vermittlungsinstanzen, die den
Einfluss seines eigenen schöpferischen Impulses und ästhetischen Urteils ausschalten
sollen. Durch diese Externalisierung vermeidet Baldessari einen Teil der Probleme, die
sich bei Duchamps Konzept der indifferenten Wahl ergeben. Bei diesem ist es immer
414 Beim Readymade kommt es auch auf die Kontextverschiebung an, durch die der alltägliche Gegens-tand zum Kunstobjekt wird.
139
noch der Künstler selbst, der die Wahl trifft, wenn auch nicht nach den traditionellen
ästhetischen Kriterien, sondern, wie bereits gezeigt wurde, in dem Versuch, diese zu
unterlaufen. Baldessari greift hier das Konzept der Indifferenz auf und spitzt es noch
zu, indem er gar keine Motivwahl mehr treffen muss.
Die Verschiebung des Schwerpunkts weg von den traditionellen Funktionen des
Autors, die Baldessari von Duchamp unterscheidet, lässt sich auch an der Rolle der
Signatur verdeutlichen. Duchamps Konzept basiert auf der Macht seiner Signatur und
sei es in der Form eines Alter Egos, während Baldessari nicht nur die Wahl der Objek-
te – in diesem Fall die Gegenstände der Fotografien – einem anderen überlässt, son-
dern auch auf seine Signatur verzichtet.415
Dieser Unterschied lässt sich an Duchamps Verwendung der Hand des Schil-
dermalers in dem bereits erwähnten Bild Tu m’ (Abb. 42) deutlich machen. Die Hand
wird durch eine Signatur eindeutig dem Schildermaler zugeschrieben und bricht auf
diese Weise tatsächlich mit der Vorgabe der Autorschaft, dass es der Künstler selbst
sein soll, der seine Bilder malt. Duchamp demonstriert diesen Bruch durch die von
einem anderen ‘Autor’ signierte Hand. Gleichzeitig bleibt sie aber letztlich doch nur
Teil des Gesamtbildes, das als Ganzes vom Autor Duchamp hergestellt – und signiert
– wurde. Die Hand ist eine Art Auftrags-Readymade, dessen ‘Autor’ (der Schilderma-
ler A. Klang) in diesem Kontext im Grunde die gleiche Rolle spielt wie der Hersteller
des Hutständers, nämlich gar keine. Die Hand ist ein kommerzielles Produkt wie die
anderen Readymades auch, sie entstammt – obgleich gemalt – keinem anderen Kunst-
kontext.416 Vielmehr wird sie erst dadurch zur Kunst, dass sie von Duchamp signiert
und in den Kontext der Kunst versetzt wurde. Jones beschreibt den Aspekt der Signa-
tur folgendermaßen:
„Because we demand of art objects that they implicate (‘contain’ or ‘express’) the individual human agent, a relation secured by the signature as a mythical guarantee of ‘presence’, the object becomes aesthetic (and thus economically valued) through Duchamp’s signing.“417
415 Dass es sich um eine bewusste Entscheidung handelt, wurde bereits oben dargelegt (vgl. Fußnote 28). 416 Eine weiße Hauswand würde selbst dann nicht als Minimal Art gelten, wenn sie jemand bemalt hätte; es sei denn, sie wird als Kunst präsentiert. 417 Jones, Postmodernism and Duchamp, S. 136.
140
Tatsächlich spielt bei der Ästhetisierung der Objekte auch der entsprechende Kontext,
in dem diese gezeigt werden, also die Galerie oder das Museum, eine Rolle, ebenso
wie die Bewertungsinstanz der Kunstkritik.418
Das Interesse an der Frage der Autorschaft und den damit verknüpften Proble-
men, etwa die Frage der Wahl, teilt Baldessari nicht nur mit Duchamp, sondern auch
mit einem Teil seiner KünstlerkollegInnen aus der Conceptual Art. Sol LeWitt etwa
sagt: „[...] basically what my art is about is not making choices. It’s in making an ini-
tial choice of [...] a system, and letting the system do the work.“419 Grundsätzlich steht
hinter LeWitts Aussage ein ähnliches Prinzip, wie es bei den Commissioned Paintings
zur Anwendung kommt, der Unterschied besteht allerdings in der Entfaltung des Sys-
tems. Bei LeWitt sind es mathematische Permutationen, deren Gestalt genau vorherbe-
stimmt ist. Die Arbeiten folgen einer mathematischen Logik, auch wenn sie nach sei-
nen Worten mit Mathematik nichts zu tun haben.420 Die Form der Endprodukte ist
vorherbestimmt, ob sie LeWitt selbst, irgendjemand anders oder gar eine Maschine
ausführt, spielt keine Rolle.421 Bei ihm wird der Künstler-Autor der Moderne durch
einen empirisch vorgehenden ‘Wissenschaftler’ ersetzt – eine Entwicklung, die Buch-
loh mit gewissem Recht kritisiert, weil sie in seinen Augen nur noch die positivistische
Logik des Kapitalismus reproduziert.422
Baldessaris Vorgehen unterscheidet sich von LeWitts Ansatz durch eine größere
Komplexität, die sich in der Verwendung der verschiedenen Vermittlungsinstanzen
ausdrückt, die sich zwischen ihn und die endgültige Arbeit schieben und sich mit dem
Thema Autorschaft in verschiedener Weise beschäftigen. Dabei geht es nicht nur um
die Frage der Wahl der Motive oder der eigentlichen Ausführung, sondern darum, wie
sich die verschiedenen Elemente zueinander verhalten und wie sich die Konfrontation
der künstlerischen Codes auswirken kann.
Baldessari definiert seine Rolle als handelnder ‘Autor’ in einer ganz neuen Wei-
se: Er gibt den Rahmen und die Regeln vor, indem er die Formate und die Art der
418 Ein Beispiel für die Verwendung der Signatur in dem oben beschriebenen Sinn sind Piero Manzonis signierte Menschen von 1961, die das Grundprinzip hinter Duchamps Readymades erweitert zur An-wendung bringen. 419 LeWitt, Interview, in: Alberro, Alexander u. Norvell, Patricia (Hg.), Recording Conceptual Art, S. 114. 420 Vgl. Ebd., S. 121. 421 Trotzdem sind die einzelnen Ausführungen jeweils Unikate, weil die Wände, auf denen sie ange-bracht werden, jeweils unterschiedlich sind. 422 „[...] his [LeWitts] work revealed that the modernist compulsion for empiricist self-reflexiveness [...] originated in the scientific positivism which is the founding logic of capitalism [...]“ (Buchloh, Aesthetic of Administration, S. 115).
141
Technik bestimmt und indem er den MalerInnen nur eine beschränkte Auswahl an Mo-
tiven zur Verfügung stellt. Er konnte aber nicht wissen, welche Motive sein Freund für
die Fotografien auswählt oder welche davon die Hobbymaler auswählen, weil jedeR
der MalerInnen diese Wahl eigenständig trifft.423 Von dieser wenn auch eingeschränk-
ten Autonomie der HobbymalerInnen zeugt die Tatsache, dass diese einige der Diavor-
lagen offenkundig nicht ausgewählt haben, wie etwa ein Foto mit einem Fernseher.424
Die eigentliche Ausarbeitung der einzelnen Bilder hing außerdem vom individuellen
Können der einzelnen MalerInnen ab und entzog sich ebenso seiner Kontrolle.
Obwohl Baldessari zweifellos insgesamt die Fäden in der Hand hält, enthalten
die Commissioned Paintings doch einen Anteil von Unvorhersehbarkeit, den LeWitts
Wall-Drawings nicht in dieser Weise haben. Er wusste zwar vorher, dass es 14 Gemäl-
de von 14 HobbymalerInnen sein würden, die alle einen zeigenden Finger darstellen,
aber nicht, wie jedes einzelne Bild aussehen würde. Dieser Unterschied ist zentral; es
ist die Differenz zwischen einer Arbeit, die einem genau vorgegebenen Plan folgt –
wie bei LeWitt – und einer Arbeit, die mit dem Prinzip der Planbarkeit spielt und de-
ren Grenzen reflektiert. Auch wenn das Konzept im Mittelpunkt von Baldessaris Ar-
beit steht, so ist dieses untrennbar mit den eigentlichen Bildern verbunden und funkti-
oniert nur durch diese.
Außerdem ergibt sich bei den Commissioned Paintings eine grundlegend andere
Konstellation, weil Baldessari mit (Hobby-)KünstlerInnen zusammenarbeitete, die
Bilder also von anderen ‘AutorInnen’ stammen, auch wenn deren Autorschaft im Kon-
text, in dem die Arbeiten letztendlich gezeigt werden, also einer kommerziellen Gale-
rie, kein Wert beigemessen wird.425 Gerade deshalb betont Baldessari ihre Autorschaft
durch die Nennung der Namen,426 während er sie gleichzeitig durch seine Vorgaben
und Präsentationsform wieder entwertet. Inzwischen ist dieses Spiel dank Baldessaris
423 Zweifellos hat Baldessari nach wie vor die Kontrolle über das Konzept hinter der Arbeit als Ganzem, aber tatsächlich arbeitet er wie ein Auftraggeber – und den würde man schließlich auch nicht als Autor betrachten. Die Wahl des engen Rahmens dient dazu, sich selbst die Kontrolle über die Bilder und die Möglichkeit der Wahl zu entziehen und damit die Ausübung seiner Autorschaft zu verhindern. Das gilt auch für die HobbymalerInnen, wie bereits weiter oben erläutert wurde. 424 Vgl. Osborne, Conceptual Art, S. 88, und: A Different Kind of Order (Kat.), S. 150. In beiden Bü-chern sind Fotos aus dieser Serie zu sehen, die nicht als Malereien existieren. Es war also nicht so, dass Baldessari den HobbymalerInnen nur die Bilder vorgelegt hat, die er auch gemalt haben wollte. 425 Interessanterweise versteht sich zumindest einer von ihnen, nämlich Patrick X. Nidorf durchaus als professioneller Maler und verkauft auch Bilder. Er sieht sich auch ganz eindeutig als den Autor seines Bildes und Baldessari nur als den Auftraggeber (Aussage in der Fernsehsendung „This not That“, Aus-strahlung auf DRS 2005). 426 Die Bilder von Pat Perdue und Hildegard Reiner sind außerdem, wie bereits erwähnt, sogar signiert und erfüllen damit die Grundbedingung der Autorschaft.
142
Stellung in der Kunstwelt auf einer neuen Stufe angelangt, auf einmal werden diese
HobbymalerInnen in großen Museen, etwa dem MUMOK in Wien, ausgestellt, sie
erscheinen namentlich als AutorInnen dieser Bilder in einer Institution, in der sie sonst
niemals ausgestellt worden wären.427 Baldessari ist sich der institutionellen Privilegien
seiner Rolle, die aus den Bildern der HobbykünstlerInnen seine Kunst hat werden las-
sen, voll bewusst, um so deutlicher erscheint in dieser neuen Situation der subversive
Charakter dieser Arbeiten auf.428
Die Commissioned Paintings greifen eine für die Postmoderne zentrale Frage
auf, die etwa Roland Barthes in seinen Texten Der Tod des Autors und Vom Werk zum
Text beschäftigen; auch in diesen Texten geht es um eine Autorschaft, die zugunsten
der Idee des Kunstwerkes als Text in den Hintergrund tritt.429 Ein weiterer zentraler
Text zu diesem Thema von Foucault, stellt die entscheidende Frage: Wer spricht?430
Foucault legt dar, dass es traditionell der Autor ist, dem das Werk zugeschrieben wird,
und zwar nicht irgendein Autor, sondern der Autor als eine Funktion in einem Diskurs,
die verschiedene Elemente bündelt. Dazu gehört die Vorstellung des Autors als An-
eignungsobjekt, als Bedingung des literarischen Diskurses überhaupt, als kreatives
Individuum und als „ein bestimmter Brennpunkt des Ausdrucks“.431 Baldessari bricht
mit diesen Prinzipien auf verschiedene Weise: Durch die Fremdfertigung der Bilder
und auch durch ihre Kennzeichnung als von anderen ‘Autoren’ stammende ‘spricht’ er
eben nicht selbst, sondern er lässt ‘sprechen’, wobei der genaue ‘Text’ (das Motiv)
nicht vorgegeben ist, wohl aber die Art des ‘Textes’ (zeigender Finger). Außerdem
stammt der ‘Text’ nicht einmal von ihm selbst, sondern ist auch wieder Produkt eines
Prozesses, in dem ein anderer für ihn ‘spricht’. Foucault entwirft am Ende seines Tex-
tes den Ausblick auf einen Diskurs, der nicht mehr fragen muss:
„Wer hat eigentlich gesprochen? Ist das er und kein anderer? Mit welcher Au-thentizität oder welcher Originalität? Und was hat er vom Tiefsten seiner selbst in seiner Rede ausgedrückt?“432
427 Die Rede ist von der Retrospektive: John Baldessari. A Different Kind of Order (Arbeiten 1962 - 1984), (Kat.) Rainer Fuchs (Hg.), Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 4.3.-3.7.2005. 428 In diesem Zusammenhang ist dies ein ironischer Dreh der Geschichte, weil Baldessari, als er diese Arbeit konzipierte, vermutlich nicht davon ausging, dass er einmal so prominent in der Kunstwelt wer-den würde. 429 Barthes Vorstellung vom Kunstwerk als Text werden an späterer Stelle, nämlich im Kapitel zu der Violent Space Series (4.2.5.) noch einmal näher erläutert werden. 430 Vgl. Michel Foucault, Was ist ein Autor? Zwar bezieht sich Foucaults Text auf den Autor im engeren Sinn als dem, der einen Text schreibt, aber viele der Aspekte treffen genauso auf den Künstler als Autor zu. Die Begriffe ‘Text’ und ‘sprechen’ sind deshalb hier in einem übertragenen Sinn zu verstehen. 431 Foucault, Was ist ein Autor?, S. 21. 432 Ebd., S. 31.
143
Die Commissioned Paintings werfen auf ihre Art und in ihrem Kontext dieselben Fra-
gen auf. Allerdings geht es Baldessari genau wie Foucault nicht in erster Linie darum,
Antworten zu geben, sondern diese Fragen überhaupt ins Zentrum der Aufmerksam-
keit zu rücken und damit dieses ‘moderne’ Modell des Autors zur Disposition zu stel-
len. Baldessari versucht die Verbindung zwischen dem Künstler und dem Kunstwerk
durch eine Verteilung der künstlerischen Arbeit auf viele Handelnde aufzulösen. Seine
‘Autorschaft’ beschränkt sich darauf, die Regeln vorzugeben und in die Entfaltung der
Arbeit möglichst wenig einzugreifen. Baldessari lotet in dieser Arbeit die Grenzen und
Widersprüche der impliziten und expliziten Eigenschaften der künstlerischen Autor-
schaft in der Moderne aus, um sie in Frage zu stellen und zugleich die Möglichkeiten
einer anderen Autorschaft, die sich an einem neuen postmodernen Modell orientiert,
aufzuzeigen.
144
4.2. Die Arbeiten der siebziger Jahre: Kunst nach der
Conceptual Art
Die Commissioned Paintings knüpfen in vielerlei Hinsicht an die Text-on-Canvas-
Arbeiten an, sowohl in medialer Hinsicht durch die Verwendung der Leinwand, als
auch thematisch durch den Bezug auf die Codes der Malerei und der ‘Hohen Kunst’
und nicht zuletzt durch den Bezug auf den Modernismus. Dagegen zeichnen sich die
Arbeiten, die nach 1969 entstanden sind, durch eine grundlegende Neuorientierung
aus. Den symbolischen Wendepunkt markierte 1970 das Cremation Project (Abb. 16),
das in der Verbrennung der vor 1966 entstandenen Bilder bestand und das für Baldes-
sari metaphorisch den Weg frei machte, sich von der Fixierung auf die Malerei als
Medium zu lösen.
Baldessari begann in der Folgezeit nicht nur direkt mit Fotografie zu arbeiten,
sondern auch Videos zu drehen oder Informationsmaterialien, wie Karten oder Texte,
als materielle Träger seiner Kunst einzusetzen. Die verwendeten Fotos waren zu-
nächst, ähnlich wie die Phototext-Bilder, selbst hergestellte Amateuraufnahmen, an-
ders als bei den Text-on-Canvas-Arbeiten und den Commissioned Paintings ist jedoch
nicht die Übertragung auf die Leinwand der zentrale Faktor. Jetzt stehen die Fotos für
sich selbst; ohne den Anspruch zu erheben, selbst ‘Kunst’ zu sein, sind sie Dokumen-
tationen der Konzepte und somit die Träger der ‘Kunst’.
Daneben zeigt sich auch noch eine Verschiebung im Bezugsrahmen von Baldes-
saris Arbeiten, weg von einer selbstreflexiven Untersuchung der modernistischen Äs-
thetik und der Rolle des Künstler-Autors innerhalb derselben hin zu einem generellen
Interesse an Zeichensystemen, die nicht direkt mit Kunst im traditionellen Sinn zu tun
haben. In diese Kategorie fällt das Calif. Map Project Part I: California (1969) (Abb.
5), in dem Baldessari erstmals auf diese Elemente zurückgreift. Dieser Arbeit widmet
sich das nächste Kapitel. In eine ähnliche Richtung, was das Interesse an Zeichensys-
temen angeht, weist die Serie Throwing Balls into the Air (1972-74) (Abb. 8), die in
Kapitel 4.2.4. genauer untersucht wird. Hier geht es auch um die Frage der Rolle des
Zufalls in der Kunst. Zwei der Kapitel, nämlich 4.2.2. Ingres and Other Parables
(1971) (Abb. 6) und 4.2.3. A Different Kind of Order (The Thelonious Monk Story)
(1972-73) (Abb. 7), beschäftigen sich mit Arbeiten, die sowohl das Verhältnis von
Sprache und Bildern, als auch das Thema ‘Narration’ aufnehmen. Den Abschluss bil-
145
det schließlich 4.2.5. mit der Violent Space Series (Abb. 9). In dieser Serie verarbeitete
Baldessari neue Einflüsse und beschäftigte sich mit neuen Themenbereichen, wie dem
Einfluss der Medien. Seine Bildquellen sind hier nicht mehr eigene Fotos, sondern
Filmstills, die er als Ausgangsmaterial für Collagen verwendet.
In den Arbeiten der ersten Hälfte der siebziger Jahre vollzieht sich eine Neuori-
entierung bzw. ein Bruch. Der Untersuchung der Bedeutung dieses Bruchs im Kontext
der Conceptual Art, aber auch des Paradigmenwechsels in der Kunst generell widmet
sich dieses Kapitel, in dem, wieder anhand einer eingehenden Analyse die Spezifika
der ausgewählten Arbeiten herausgearbeitet werden. Ziel ist es dabei, die jeweils zur
Anwendung kommenden Strategien und Methoden im Kontext der Kunst der Postmo-
derne zu verorten, wobei die Analyse der Arbeiten der Bezugspunkt bleiben muss,
damit diese nicht zu bloßen Illustrationen einer Theorie verkommen.
4.2.1. Das California Map Project (1969)
Obwohl das California Map Project eigentlich vor dem Cremation Project entstanden
ist, finden sich hier doch bereits alle entscheidenden Faktoren, die die Neuorientierung
von Baldessaris Kunst in den siebziger Jahren ausmachen. Es handelt sich um eine
Serie von drei Arbeiten, von denen die erste, das Calif. Map Project, Part I: California
(Abb. 5), die aussagekräftigste ist, der sich diese Untersuchung im Folgenden auch
widmen wird.433
Die Arbeit besteht aus elf Farbfotografien (je 20,3 x 25,4 cm) und einem
Schreibmaschinentext (21,6 x 27,9 cm). Der Text beschreibt die Arbeit ziemlich de-
tailliert, deren Grundidee es ist, das Zeichensystem einer Landkarte unmittelbar auf
ihren Referenten, nämlich die entsprechende Landschaft, zu übertragen. Baldessari
beschreibt diese Idee folgendermaßen:
„[...] actually executing each letter and symbol of the map of California on the corresponding part of the earth. It was an attempt to make the real world match a map, to impose language on nature, and vice-versa.“434
433 Die beiden anderen Arbeiten (Part II: California - Mexico Boundary Project und Part III: Sacra-
mento, September 15, 1969, beide 1969) sind weniger ergiebig und greifen die Grundüberlegungen der ersten Arbeit wieder auf. Sie werden weiter unten im Text noch einmal kurz zur Sprache kommen. 434 John Baldessari, zit. nach: van Bruggen, John Baldessari, S. 44.
146
Der ursprüngliche Plan sah nach Baldessaris eigener Aussage vor, dass diese Buchsta-
ben tatsächlich ihrer Größe auf der Karte entsprechend ausgeführt werden sollten. Van
Bruggen schenkt dieser Version Glauben und stellt fest:
„The letters imposed on the landscape were intended to be in the same scale as those on an actual map, but reality did not allow for that; as it turned out, the let-ters were generally too small to be seen from an airplane.“435
Diese Erklärung ist mit Vorsicht zu genießen, weil die tatsächliche Umsetzung dieser
Idee ein Kunstwerk von nicht gekannter Größe ergeben hätte. Die maßstabsgetreue
Größe der Buchstaben dürfte im Bereich von 50 x 50 km liegen; es hätten also ganze
Städte damit abgedeckt werden müssen. Ein solches Projekt ist weder finanzierbar
noch technisch umsetzbar, zumal sich der Gesamteindruck einer Karte wegen der Grö-
ße Kaliforniens nicht einmal von einem Flugzeug aus zeigen würde, dafür wäre die
Perspektive eines Satelliten nötig. Baldessari war sich, als er diese Arbeit plante, dieser
Tatsachen zweifellos bewusst.436 Es ging ihm darum, einen konnotativen Rahmen her-
zustellen, in dem sich das Projekt bewegen konnte und der den konzeptuellen Verweis
auf die mögliche Verwirklichung dieser Idee beinhaltet, ohne dass diese nötig wäre.
Bei der Umsetzung ging Baldessari folglich in einer ziemlich pragmatischen
Weise vor. Nachdem er die Positionen der Buchstaben anhand einer Karte von Kali-
fornien, die der Arbeit beiliegt, ermittelt hatte, reiste er, von Süden nach Norden, zu
den entsprechenden Orten und brachte dort die Buchstaben an: „The letters are located
as nearly as possible within the area occupied by the letters on the map.“437 Auch an
dieser Aussage zeigt sich wieder Baldessaris pragmatischer Ansatz: Die Buchstaben
befinden sich in der Nähe der Orte, zumal sich die Frage stellt, wie er die Orte genau
bestimmen konnte, da die Buchstaben auf der Karte ein riesiges Gebiet abdecken.438
Deren genaue Positionen sowie die jeweils verwendeten Materialien werden im Be-
gleittext im Detail beschrieben.
435 Van Bruggen, John Baldessari, S. 44. 436 Im Interview mit Ingo Maerker antwortete Baldessari auf die Bemerkung, dass er angegeben habe, dass die Arbeit vom Flugzeug aus zu sehen sein sollte: „Oh yes, that was the idea. And then it just seemed to be impossible, at least with my budget“ (John Baldessari, Interview mit Ingo Maerker). Bal-dessari war sich mit Sicherheit von Anfang an darüber im Klaren, dass dieses Projekt auf die genannte Weise nicht umsetzbar war. Wie schon erwähnt, neigt er dazu, Aussagen über seine Arbeiten zu machen, die selbst einer Analyse bedürfen. 437 Begleittext zu den Fotos, zitiert aus: John Baldessari (Kat.), Eindhoven 1981, S.12. 438 Ob Baldessari von einer imaginären Mitte der Buchstaben ausging, ob er einfach den zugänglichsten Ort gewählt hat oder ob noch andere Kriterien zur Anwendung kamen, muss offenbleiben.
147
Die eigentliche Anbringung der Buchstaben erweist sich bei näherer Betrachtung
ebenfalls als unvereinbar mit der ursprünglichen Absicht. Die Buchstaben einer Land-
karte sind immer einheitlich gestaltet, auf der zugrundeliegenden Karte sind sie alle
schwarz und in einem einheitlichen Schrifttyp gehalten. Die Buchstaben Baldessaris
hingegen sind extrem disparat, sie sind weder in der gleichen Farbe noch dem gleichen
Material oder der gleichen Größe gehalten. Van Bruggen macht dafür eine Änderung
der Strategie verantwortlich:
„As the three moved north, [...] Baldessari changed his strategy of executing gi-ant letters. The artist decided that there was no need for consistency, and thought it would be less boring if they let the geographical situation suggest the materials and the size of the next letters.“439
Van Bruggen vernachlässigt dabei allerdings zum einen, dass der letzte Buchstabe ei-
ner der größten und der drittletzte relativ klein ist, und zum anderen, dass Baldessari
offensichtlich von Anfang an die Umgebung mit einbezogen hat, und nicht erst später.
Daraus lässt sich schließen, dass seine Strategie am Ausgangspunkt bereits feststand.
Dafür spricht auch die Liste der Dinge, die Baldessari zur Vorbereitung des Projektes
zusammengetragen hat, wie sie van Bruggen selbst aufzählt: „He brought some of the
materials – which included little pieces of red cloth, colored paper, yarn, and dry paint
powder – with him. Other materials were found on the sites.“440 Die Liste belegt, dass
von vornherein keine einheitliche Ausführung geplant war, warum hätte Baldessari
sonst all diese völlig verschiedenen Dinge mitnehmen sollen? Im Interesse einer mög-
lichst genauen und einheitlichen Umsetzung der Karte hätte er mit einigen Ballen
schwarzen Stoffs wesentlich mehr anfangen können.
Ein genauer Blick auf die einzelnen Fotos der Buchstaben zeigt ein recht buntes
Bild, eine Mischung aller möglichen Materialien, Formen und Größen. Auffällig ist,
dass nur einige der Buchstaben überhaupt richtig lesbar sind, während eine ganze Rei-
he kaum als Buchstaben zu erkennen ist und ohne die begleitende Erklärung fast nicht
zu finden wäre. Die Bandbreite reicht vom sehr gut lesbaren ‘R’, das aus den Steinen
eines Baches hergestellt wurde, bis zum ‘F’, das aus roten Stoffbändern in einem Wei-
zenfeld besteht und kaum zu sehen ist, da es sich auch um Blumen handeln könnte.
Tatsächlich sind die ersten drei verwirklichten Buchstaben, also die letzten drei des
Wortes ‘California’, relativ groß und wären von einem tief fliegenden Flugzeug aus
439 Van Bruggen, John Baldessari, S. 44. 440 Ebd.
148
vielleicht sogar zu erkennen. Die Buchstaben von ‘A’ bis ‘O’ sind dagegen alle kleiner
und weniger deutlich, dafür aber um so einfallsreicher gestaltet. Das erste ‘I’ etwa be-
steht aus roter Farbe in einem kleinen Bach. Das ’L’ setzt sich aus einem aus schwar-
zem Pigment auf den Boden gestreuten falschen Schatten und einem Telegrafenmast
zusammen; der richtige Schatten weist in die andere Richtung, während das Pigment
schon ein bisschen verweht ist. Das erste ‘A’ ist nur einige Zentimeter groß und auf
einen Stein aufgemalt. Das ‘C’ ist wiederum relativ groß geraten. Aus diesem Sam-
melsurium ergibt sich alles andere als der Eindruck, die Buchstaben einer Karte vor
sich zu haben.
Zu dieser Disparität trägt auch die Bandbreite der Fotografien bei: Von Panora-
maaufnahmen bis zu Nahaufnahmen ist alles vertreten. Außerdem sind nicht einmal
bei allen Bildern die Buchstaben in der Mitte, wie sich beim ersten ‘A’ zeigt. Schließ-
lich stellt sich die Frage, wie das ‘L’ in diese Arbeit eingefügt werden kann, denn es ist
offensichtlich nicht aus der Luft zu erkennen – wenn das je der Plan gewesen sein soll-
te – mehr noch, es ist sogar nur aus einem einzigen Blickwinkel heraus überhaupt zu
sehen, es wurde also von vornherein auf einen Kamerastandpunkt hin konzipiert.
Die ganze Arbeit steht also in einem auffälligen Kontrast zu den Aussagen, die
am Anfang des Kapitels zitiert wurden. Die Art und Weise der Präsentation der Buch-
staben zeigt, dass es Baldessari hier nicht darum geht, Christo mit einem gigantischen
Land Art-Projekt zu übertreffen, sondern darum, die Kollision zweier Zeichensysteme
und deren Verhältnis zur Wirklichkeit zu demonstrieren. Aus diesem Grund kann man
auch nicht davon sprechen, dass Baldessaris Projekt hier gescheitert wäre, wie es bei
van Bruggen anklingt, sondern dass er den ursprünglichen Plan nie in dieser Weise
verwirklichen wollte.
Land Art oder Conceptual Art?
Die Frage, ob es sich bei dieser Arbeit um Land Art handelt, drängt sich auf, weil wir
es hier mit einer Arbeit in der Natur zu tun haben. Baldessaris Aussagen zu diesem
Projekt legen tatsächlich zunächst nahe, dass es ihm darum ging, eine Arbeit, die in
den Bereich der Land Art gehört, herzustellen, noch dazu eine, die alle anderen deut-
lich in den Schatten gestellt hätte. Wenn man sich allerdings das endgültige Ergebnis
vor Augen führt, ist die Zuordnung zur Land Art äußerst zweifelhaft. Worin bestehen
also die Faktoren, die diese Arbeit von der Land Art abgrenzen?
149
Von Land Art spricht man im Allgemeinen, wenn Künstler Kunstwerke in bzw.
mit der Natur schaffen, indem sie mit der Landschaft als Medium und Material arbei-
ten. Das Kunstwerk ist Teil der Landschaft und Teile der Landschaft werden zum
Kunstwerk.441 Dabei finden sich zwei verschiedene Ansätze, wie der menschliche Ein-
griff in die Natur vollzogen wird: In den Arbeiten, die dem ersten Ansatz folgen, ver-
schwindet dieser wieder, während bei denen des zweiten Ansatzes bleibende Verände-
rungen entstehen. Die Eingriffe der ersten Variante bleiben dabei zeitlich eng begrenzt,
sie bestehen kaum über ihre Entstehung hinaus. Dabei werden oft grundlegende natür-
liche Vorgänge, wie die Erosion oder der Wechsel der Jahreszeiten, mit in die Werke
eingearbeitet oder in ihnen thematisiert. Ein Beispiel ist eine der frühen Arbeiten von
Richard Long, A Line Made by Walking, England 1968 (1968),442 die einfach nur darin
besteht, durch das Laufen auf einer Wiese eine Linie zu erzeugen, die nach einer Weile
von selbst wieder verschwindet. Ein anderer Künstler, der ähnlich arbeitet, ist Hamish
Fulton, dessen fotografisch dokumentierte Wanderungen keine Spuren in der Natur
hinterlassen. Das Hauptmerkmal dieser Arbeiten ist, dass sie rein ephemer angelegt
sind, d.h., es bleibt nichts von ihnen in der Landschaft zurück.
Die zweite Variante der Land Art, vor allem aus den USA, stellt im Gegensatz
dazu bleibende Veränderungen oft riesigen Ausmaßes in der Natur her. Eine der ersten
Arbeiten der Land Art überhaupt ist Walter de Marias Mile-Long Drawing von 1968,
bei der er über eine Meile lang zwei Kreidelinien in die Mojave Wüste zeichnete.443 In
den folgenden Jahren entstanden weitere zum Teil gigantische Arbeiten, wie z.B.
Double Negative (1969-70) von Michael Heizer, das aus zwei gegenüberliegenden
Einschnitten in einen Canyon in der Wüste in Nevada besteht, oder die berühmte Spi-
ral Jetty (1970) (Abb. 45) von Robert Smithson im Salt Lake in Utah, ein spiralförmi-
ger Damm, der sich in das seichte Wasser des Sees hineindreht.444 Patrick Werkner
beschreibt den Effekt dieser Arbeiten folgendermaßen:
„In der topographisch extremen Plazierung der Werke äußert sich das Pathos der
441 Patrick Werkner definiert in seiner Untersuchung zur US-amerikanischen Land Art den Begriff fol-gendermaßen: „[...] die meist großräumige Arbeit in der offenen Landschaft. Hierbei konstituiert die jeweilige Landschaft das Werk mit [...]“ (Werkner, Land Art USA, München 1992, S. 13). Er konzent-riert sich hier auf den Teil der Land Art, der dauerhafte Objekte schafft, während er den ephemeren Teil nur am Rande behandelt. Die vorliegende Arbeit bietet nicht den Rahmen, sich Werkners Thesen in extenso zu widmen, deshalb muss es hier bei einer recht kursorischen Betrachtung der Land Art bleiben. 442 Vgl. Reconsidering (Kat.), S. 251. 443 De Maria hatte vorher bereits einige Projekte dieser Art geplant, aber nie verwirklicht (vgl. Werkner, Land Art, S. 40). 444 Für Heizers Arbeit wurden 240.000 Tonnen Gestein bewegt (vgl. Werkner, Land Art, S. 64), wäh-rend für Smithsons Spiral Jetty, die immerhin ca. 500 m lang und ca. 5 m breit ist, 6650 Tonnen Materi-al verschoben wurden (vgl. ebd., S. 86).
150
großen Geste und der Einsamkeit. [...] Mit ihr ergibt sich die Verbindung zum Begriff des Sublimen und damit die Assoziation des Ergreifenden, des Ehr-furchtgebietenden und des Furchteinflößenden in der Natur.“445
Thema dieser Arbeiten ist also immer ein bestimmtes ästhetisches Erleben des Erha-
benen, das die Wirkung des Werkes in seiner Umgebung einbezieht.446
Bei den beiden Varianten stellt sich die Frage nach dem eigentlichen Träger des
Kunstwerkes in unterschiedlicher Weise. Von den rein ephemeren Arbeiten der ersten
Variante bleibt, nachdem sie verschwunden sind, nur noch die Dokumentation übrig.
„Für Richard Long und Hamish Fulton bildet die Fotografie hingegen das eigent-liche Medium ihrer Arbeit im Freiraum. Ihre Eingriffe in die Natur – bei Fulton sind sie lediglich dokumentierender Art – sind nicht für den Besuch ‘in situ’ ge-dacht. Man erfährt sie ausschließlich in vermittelter Form.“447
Allerdings stellt sich die Frage, ob man Werkners These nicht noch weiter zuspitzen
müsste, so wie es Jeff Wall getan hat, der bemerkt: „Long does not photograph events
in the process of their occurrence, but stages an event for the benefit of a preconceived
photographic rendering.“448 Damit verschiebt sich der Schwerpunkt der Arbeit: Für die
fotografische Dokumentation, also das vermeintlich neutrale Festhalten der Wirklich-
keit, muss diese paradoxerweise inszeniert werden. Auf diese Weise entsteht eine Am-
bivalenz bezüglich des Werks: Sind die Fotografien nur die medialen Träger desselben
oder sind sie die eigentlichen Kunstobjekte? Damit erhalten diese Arbeiten einen ge-
wissen konzeptuellen Charakter, auch wenn sie letztlich noch auf einem materiellen
Kunstwerk beruhen. Dieses Problem beschäftigt auch die Performance Art und andere
ephemere Kunstrichtungen.
Im Fall der zweiten Variante handelt es sich einfach um gewissermaßen überdi-
mensionale, nicht transportable Skulpturen, die materielle Trägerschaft steht also außer
Frage. Das Problem besteht bloß darin, dass diese Werke eigentlich in der Natur gese-
hen bzw. erlebt werden müssen, sie aber meist in unzugänglichen Gegenden zu finden
sind, deshalb „[...] stellt die authentische Erfahrung des Werks im Freiraum die Aus-
445 Werkner, Land Art, S. 108. 446 Dazu gehören auch natürliche Prozesse der Zersetzung und Erosion, die Teil des Kunstwerkes sind. Ein Beispiel dafür ist Smithsons Spiral Jetty, die erst kürzlich wieder aus dem Wasser des Salt Lake aufgetaucht ist, nachdem sie wegen einer Hebung des Wasserspiegels jahrelang unter Wasser gestanden hatte. Smithson wäre von der Veränderung der Arbeit durch die Salzkruste, die sich über die Felsbro-cken gelegt hat, sicher begeistert. Sein berühmter Film über die Spiral Jetty bezieht sich eben auf diese Fragen, nämlich die Rolle der permanenten Veränderung, der die Natur unterworfen ist. 447 Werkner, Land Art, S. 134. 448 Wall, Marks of Indifference, S. 254.
151
nahme dar“.449 Die eigentlich paradoxe Folgeerscheinung ist, dass gerade diese Art
von Kunst ein in erster Linie „[...] durch Abbildungen vielfach vermitteltes Phäno-
men“450 ist. Die fotografische oder filmische Dokumentation spielt also auch für diese
Künstler eine zentrale, wenn auch etwas anders gelagerte Rolle.451
Wenn man den Bogen zurück zu Baldessaris Arbeit spannt, muss man feststel-
len, dass das Verhältnis des eigentlichen Kunstwerks zu seiner Dokumentation dem
von Wall für Long beschriebenen ähnelt: Erstens ist auch Baldessaris Arbeit ephemer,
wenn auch in unterschiedlichen Graden, ein Teil der Buchstaben existierte nur bis zum
nächsten Regen (das ‘L’) und ein anderer Teil vielleicht wesentlich länger (das zweite
‘A’), und zweitens handelt es sich auch hier um eine inszenierte Fotodokumentation.
Damit unterscheidet sich das Calif. Map Project Part I: California grundlegend
vom zweiten Typ der Land Art, weil es nicht auf eine bestimmte Wirkung in der Reali-
tät hin konzipiert wurde. Seine Umsetzung ist wichtig im Hinblick auf das Konzept
der Arbeit, nicht als ästhetischer Selbstzweck. Im Gegenteil, die Arbeit bezieht sich
ausdrücklich auf die Fotos, denn sie wird als „11 Type R prints and text, 20 x 25.5 cm
each“452 angegeben. So lässt sich die Arbeit als Ganzes auch nur in der Form der Foto-
grafien nachvollziehen, und jeder einzelne Buchstabe für sich genommen bleibt bedeu-
tungslos. Außerdem sind die Buchstaben, zumindest teilweise, ausschließlich auf ihre
fotografische Reproduktion hin hergestellt worden, am deutlichsten gilt dies für das
‘L’.
Baldessari gibt hier also, anders als Long, nicht vor, unmittelbar in und mit der
Natur zu arbeiten. Longs Eingriffe in die Landschaft sind aber, wie Wall gezeigt hat,
letztendlich ebenso auf die fotografische Abbildung hin konzipiert wie die von Baldes-
sari; der Unterschied besteht darin, dass Baldessari den im Hinblick auf die Abbildung
inszenierten Charakter seiner ‘Land Art’ (z.B. bei dem ‘L’) offenlegt. Sein Thema ist
das Zusammentreffen eines Zeichensystems, der Landkarte, mit seinem Referenten,
der Landschaft. Deshalb bezieht sich die Arbeit auf die Zeichensysteme, die hierbei
eine Rolle spielen, eben die Sprache und die Karte, während die Natur unter dem Ge-
sichtspunkt ihrer Repräsentation thematisiert wird. Am ehesten wäre das Calif. Map
449 Werkner, Land Art, S. 133. 450 Ebd., S. 133. 451 Neben Smithsons bereits erwähntem berühmten Film über die Spiral Jetty, der allerdings keine reine Dokumentation darstellt, sondern als eigenständiges Werk zu verstehen ist, existieren z.B. auch Bilder von Michael Heizer auf einem Bulldozer, die die Entstehung seiner Arbeiten dokumentieren (vgl. Werkner, Land Art, S. 66). 452 Vgl. John Baldessari (Kat.), Eindhoven 1981, S. 12.
152
Project Part I: California noch mit der Time Line (1968) (Abb. 46) von Dennis Op-
penheim zu vergleichen, weil auch diese sich auf eine kulturelle Einheit bezieht, die in
der Natur nicht repräsentiert wird. Er hat in dieser Arbeit die Grenze der Zeitzone zwi-
schen den USA und Kanada im Schnee eines zugefrorenen Flusses eingetragen. Der
Unterschied liegt allerdings in der Umsetzung, die bei Oppenheim allein schon durch
ihre Größe eine andere Unmittelbarkeit erhält, die ihr auch unabhängig vom dahinter-
stehenden Konzept eine ästhetische und erhabene Wirkung verleiht.453
Baldessaris Arbeit passt also in keine der beiden Kategorien der Land Art. Einzig
seine Beschreibung des Projektes am Anfang konnte (und sollte?) eine Einordnung in
die Land Art nahelegen, während die tatsächliche Umsetzung, wie oben nachgewiesen,
von Anfang an eine andere Stoßrichtung hatte.454 Zwar befinden sich Baldessaris
Buchstaben alle in der Natur und stellen auf diese Weise eine Parallele zur Land Art
dar. Seine Arbeit lässt sich in ihrer Gesamtheit aber nur als Konzept verstehen. Selbst
die in dieser Hinsicht ähnliche Arbeit von Oppenheim bleibt immer noch anschaulich
erfahrbar, nämlich als eine Linie, auch wenn man deren Bedeutung vielleicht nicht
unmittelbar verstehen sollte, während sich Baldessaris Buchstaben nur je einzeln be-
trachten lassen. Ohne den Kontext bleiben sie völlig unverständlich, teilweise sogar
unsichtbar – wie etwa das ‘L’, das einem uneingeweihten Betrachter von einer anderen
als der Kameraposition mit Sicherheit verborgen bliebe. Im Folgenden soll es darum
gehen zu untersuchen, welche Funktionen die Vielfalt der Ausführungen und das Ver-
schmelzen der Buchstaben mit der Landschaft in Baldessaris Arbeit im Kontext seines
Konzeptes haben.
Zeichen und Referenz
Zunächst gilt es, sich zu vergegenwärtigen, was eine Landkarte als Zeichensystem ü-
berhaupt ausmacht. Eine Karte besteht aus zwei verschiedenen konventionellen Zei-
chensystemen, die sich in unterschiedlicher Weise auf die Wirklichkeit als ihren Refe-
renten beziehen. Auf der einen Seite finden sich die grafischen Zeichen, die einem
453 Oppenheims Arbeit wird konsequenterweise als Aktion in der Landschaft an einem bestimmten Tag und nicht als fotografische Reproduktion beschrieben: „Parallel lines 1 x 3 feet x 3 miles cut down the time zone between Fort Kent, Maine, and Clair, New Brunswick, on frozen St. John River. Speed: 35 Miles per hour. Execution time: 10 minutes. Time: USA 3:15; Canada 4:15“ (vgl. van Bruggen, John Baldessari, S. 46). 454 Es stellt sich die Frage, ob Baldessaris Aussagen nicht auch als ironische Kommentare zum teilweise vorhandenen Gigantismus der Land Art zu verstehen sind.
153
festen Code folgend unmittelbar bestimmte Tatsachen in der Natur denotieren. Auf der
anderen Seite gibt es die sprachlichen Zeichen, die wie die Sprache insgesamt, in ei-
nem arbiträren Verhältnis zu ihren Referenten stehen.
Die grafischen Zeichen folgen einem bekannten Code, der vorausgesetzt werden
muss, um eine Karte lesen zu können, der sich aber doch zum Teil in einer symboli-
schen Weise an die Wirklichkeit anlehnt, etwa in der Form kleiner Bäume für ein
Waldgebiet. Insgesamt ist aber auch dieser Code arbiträr, denn die auf der Karte als
blaue Linien eingezeichneten Flüsse sind in der Natur nicht blau usw. Die Relationen
der Symbole auf der Karte zueinander entsprechen allerdings denen ihrer Referenten in
der Natur, und vergleicht man ein Luftbild mit einer Karte, sind zumindest der Umriss
und die Verläufe der Flüsse und Seen, der Bergketten oder der Städte identisch. Der
symbolische Teil der Karte steht also zwischen einem abstrahierten Abbild der Wirk-
lichkeit und einem gänzlich konventionellen Code.
Der sprachliche Teil findet keine unmittelbare Entsprechung in der Natur, son-
dern bezieht sich auf die kulturellen Einheiten, die diese Wirklichkeit strukturieren,
z.B. die Namen der Flüsse und Berge oder der Länder, in denen sie sich befinden. Die
einzige Entsprechung findet sich in der Form von Schildern, wie Ortstafeln o.Ä., die
aber wiederum rein kulturelle Vereinbarungen sind. Im Gegensatz zum symbolischen
Teil ist die Positionierung dieser Worte auf der Karte nur bedingt mit den Orten der
bezeichneten Naturdinge oder der kulturellen Einheiten identisch. Der Name einer
Stadt etwa wird sich zweifellos in der Nähe ihrer grafischen Repräsentation befinden,
aber der genaue Ort ergibt sich aus der grafischen Ordnung der Karte, ebenso spielt es
keine Rolle, an welcher Stelle eines Flusslaufes sein Name steht. Das Gleiche gilt not-
wendigerweise auch für die Namen der politischen Einheiten, wie Länder, mit der ein-
zigen Bedingung, dass ihr Name innerhalb des durch ihre Grenzen grafisch dargestell-
ten Gebietes stehen sollte. Die Grenzen stellen im Übrigen eine Art Zwischenform dar,
weil sie einerseits als kulturelle Einheiten meistens nicht materiell in der Wirklichkeit
zu finden sind, außer es gibt Zäune oder Ähnliches, ihre Position sich aber andererseits
doch auf eine manifeste Realität bezieht. Der Unterschied zwischen diesen beiden Zei-
chensystemen lässt sich auch daran deutlich machen, dass zwei verschiedene Karten
derselben Gegend anhand ihrer grafischen Codes sofort als auf dieselbe Einheit bezo-
gen erkennbar sind. Gleichwohl zeigt sich die Konventionalität dieses Codes auch dar-
an, dass sich viele Unterschiede, etwa in der Verwendung anderer Symbole oder einer
anderen Farbe, finden lassen. Der sprachliche Anteil dürfte meistens auf die gleichen
154
Worte aufbauen, aber deren Positionen werden sich höchstwahrscheinlich, zumindest
in einer geringen Weise, unterscheiden, ohne dass eine der Karten dadurch falsch wer-
den würde, während eine Karte, die z.B. einen anderen Fluss- oder Straßenverlauf zei-
gen würde, unbrauchbar wäre.
Dieser kurze Exkurs zur Kartografie hilft, zu einem neuen Verständnis des Calif.
Map Project, Part I: California zu gelangen, und ermöglicht es, sich von der Assozia-
tion der Land Art zu lösen. Baldessari sagt, sein Plan sei gewesen: „actually executing
each letter and symbol of the map of California on the corresponding part of the
earth“.455 Diese Aussage ist insofern missverständlich, als es „the map of California“,
im Sinne der einen Karte, die absolut gültig wäre, hinsichtlich der Buchstaben über-
haupt nicht geben kann, weil, wie oben dargelegt, die Position der Buchstaben arbiträr
ist und sich von Karte zu Karte unterscheidet. Andererseits musste Baldessari auf eine
spezielle Karte als Bezugsrahmen zurückgreifen, die ja auch Teil der Arbeit ist und
mit ihr präsentiert wird.
Baldessari behandelt also den sprachlichen Teil des Zeichensystems ‘Landkarte’
wie den grafischen, der sich unmittelbar auf bestimmte in der Natur zu findende Dinge
bezieht. Diese Übertragung findet in drei Schritten statt: Zuerst vermischt er die beiden
diskreten Codes und nimmt die an sich bedeutungslosen Positionen der Buchstaben
innerhalb des grafischen Systems als Teil des grafischen Codes. Der zweite Schritt
besteht darin, diese gewissermaßen ‘neuen’ Informationen der Landkarte so zu inter-
pretieren wie die bereits vorhandenen, d.h. als sich unmittelbar auf einen materiellen
Referenten in der Natur beziehend. Der dritte Schritt besteht schließlich darin, diese
Referenten, die selbstredend in der Wirklichkeit (noch) nicht existieren, im Nachhinein
den ‘neuen’ Informationen der Karte entsprechend anzubringen.
In diesem Prozess wird die Karte als eine Mischung von mindestens zwei Zei-
chensystemen zum Referenten der Natur, wenn auch der durch Baldessari manipulier-
ten Natur, weil sich die Buchstaben in der Landschaft auf die der Karte beziehen und
nicht umgekehrt. Die Landschaft wird Teil des Spiels der Signifikation, indem sie vom
Referenten zum Signifikanten und damit zum Zeichen wird. Damit wird deutlich, dass
es nie um einen Eingriff in die konkrete materielle Landschaft im Sinne der Land Art
ging, sondern darum, welche Rolle die Natur innerhalb des Zeichensystems Landkarte
spielt.
455 John Baldessari, zit. nach van Bruggen, John Baldessari, S. 44 (siehe Fußnote 3).
155
Diese Umdrehung der Landschaft vom Referenten zum Zeichen ist die tiefere
Bedeutung der Aussage Baldessaris, er wolle: „impose language on nature, and vice-
versa“.456 In welcher Weise er die Sprache der Natur aufdrängt, ist offensichtlich; die
Umkehrung, die bereits theoretisch beschrieben wurde, findet allerdings in der Ausfüh-
rung der Buchstaben eine weitere Entsprechung. Dass die Natur zum Zeichen wird,
drückt sich auch darin aus, dass die Zeichen mit der Natur zu verschmelzen scheinen.
Die Buchstaben lösen sich in der Landschaft auf, werden eins mit ihr, der Buchstabe
wird zur Natur, die Natur zum Buchstaben.
Darin liegt auch ein entscheidender Unterschied zu anderen Buchstaben in der
Landschaft, etwa dem Hollywood-Schild in Los Angeles, dessen Aufgabe es gerade
ist, sich abzuheben, damit es seine signifizierende Aufgabe erfüllen und den Ort be-
zeichnen kann, auf den es sich bezieht.457 Baldessaris Buchstaben in der Landschaft
können und wollen den Ort nicht bezeichnen, an dem sie sich befinden, erst in ihrer
Form als Fotoserie – und im Kontext des Konzeptes – vermögen sie, die Verbindung
herzustellen. Sie beziehen sich schließlich auch nicht auf ihre Umgebung als konkrete
Landschaft bzw. als Teil von Kalifornien; zwar zeigen sie typisch kalifornische Land-
schaften, aber sie könnten auch woanders aufgenommen worden sein, ohne dass wir
die Möglichkeit hätten, dies zu überprüfen. Der einzige Bezug stellt sich durch die
verwendete Karte her, und dieser ist, wie bereits demonstriert, im Hinblick auf die
Bedeutung des Begriffes völlig arbiträr.
In der oben zitierten Aussage Baldessaris klingt allerdings noch mehr an. Er
spricht davon, jedes Symbol auf der Karte in die Natur zu übertragen. Das Resultat
dieses Eingriffes wäre eine Vermischung der Karte mit der Wirklichkeit bzw. die Be-
trachtung der Wirklichkeit als Karte.458 Diesen Plan hat er offensichtlich nicht zu Ende
456 Ebd., S. 44 (siehe Fußnote 3). 457 Andererseits ist dieses Schild inzwischen Teil der Landschaft geworden und dient nicht mehr in ers-ter Linie der Bezeichnung des Ortes oder der Werbung. Es ist als Bauwerk Teil der Landschaft, so wie irgendein anderes Gebäude, aber dessen ungeachtet bleibt es als Zeichen von dieser abgehoben. 458 Diese Vorstellung erinnert an eine Idee, der Umberto Eco 1982 ein Essay gewidmet hat (Die Karte des Reiches im Maßstab 1:1, in: Eco, Platon im Striptease-Lokal. Parodien und Travestien, Mün-chen/Wien 1990, S. 85-97). Die ursprüngliche Idee ist wiederum einem Buch von Jorge Luis Borges (Suárez Miranda, Viajes de Varones Prudentes, IV. Buch, Kapitel XIV, Lérida 1658) entnommen, die in Form eines kurzen Zitats dem Essay vorangestellt ist. Das Essay selbst widmet sich in erster Linie den logischen, semiotischen und praktischen Problemen einer solchen Karte, um letztendlich festzustellen, dass diese gewissen logischen Widersprüchen unterliegt, weil sie, um vollständig zu sein, auch sich selbst enthalten müsste, in der Form einer weiteren Karte, die aber wiederum nicht sich selbst enthalten könnte. Daraus folgt: „Eine Karte im Maßstab 1:1 gibt das Territorium immer nur ungenau wieder“ (Eco, Karte des Reiches, S. 96). Allerdings dreht es sich bei Baldessaris Projekt nicht darum, eine Karte über die Natur zu legen, sondern Natur und das Zeichensystem Karte ineinander übergehen zu lassen.
156
verfolgt, zumal auch die Frage bleibt, welche kartografischen Symbole hätten übertra-
gen werden sollen. Die beiden anderen Teile dieses Projektes geben zumindest an-
satzweise Aufschluss darüber, welche Symbole Baldessari gemeint hat, denn in Part II
hat er die auf einer Karte üblichen Grenzmarkierungen durch verschiedenfarbige Strei-
fen an der Grenze zu Mexiko angebracht und in Part III hat er den zur Markierung der
Hauptstadt eines Bundesstaates üblichen Stern auf eine Wiese in Sacramento vor das
Capitol Building gelegt. Beide Symbole beziehen sich auf bestimmte kulturelle Einhei-
ten, so wie der Name California auch, die keine materielle Entsprechung in der Natur
haben.
Das Spiel mit den Codes
Das Calif. Map Project Part I: California setzt sich also auf verschiedenen Ebenen mit
den Fragen der Referenz und der Codes auseinander und verdeutlicht so deren Funkti-
onsweisen. Eine Karte ist immer eine Repräsentation der Wirklichkeit, die auf die ma-
teriellen und kulturellen Realitäten in der Wirklichkeit verweist. Dieses Verweisungs-
verhältnis ist, wie hier deutlich wurde, weniger eindeutig als meistens angenommen.
Die Arbeit wirft auch die Frage auf, inwieweit diese Karte bzw. die Fotos den Begriff
California repräsentieren können.
Die Fotos zeigen zwar (höchstwahrscheinlich) Teile von Kalifornien, aber sie
vermögen nicht, die kulturelle Einheit dahinter zu repräsentieren, weil diese immer
eine Abstraktion der Wirklichkeit ist. Erst der ihnen aufgeladene sprachliche Code
vermag diese Verbindung herzustellen; darin liegt ein Verweis auf das generell arbiträ-
re Verhältnis zwischen sprachlichem Zeichen und seinem Referenten, in diesem Fall
zwischen der kulturellen Einheit ‘Kalifornien’ und seiner Entsprechung in der Wirk-
lichkeit.
Das Calif. Map Project Part I: California steht in einigen Aspekten anderen Ar-
beiten aus der Conceptual Art nahe und unterscheidet sich gleichzeitig in der Rolle der
Fotografien von ihnen. Die Rolle der Fotografie als Mittel der Dokumentation, ohne
eigenen künstlerischen Anspruch, findet sich etwa bei Arbeiten von Douglas Huebler,
wie z.B. dem Location Piece # 13 (1969) (Abb. 47).459 Diese Arbeit besteht ebenfalls
aus einer Karte und Fotos, die sich auf diese beziehen, sowie einem Text, der das Kon-
459 Vgl. Reconsidering (Kat.), S. 36.
157
zept festhält. Auch Hueblers Fotos zeigen ihn auf einigen der Fotos bei der Arbeit und
dokumentieren so nicht nur den Ort, sondern auch die Aktion selbst. Allerdings steht
hier nicht nur ein anderes an der Wirklichkeit orientiertes Konzept dahinter, nämlich
das Vergraben von Wasser in der Wüste als Eingriff in die Umgebung, sondern der
Schwerpunkt liegt insgesamt auf der Aktion selbst, was die deutlich prominentere Rol-
le der Akteure auf den Fotos zeigt. Huebler verwendet auch die Karte nicht als Anlass
für eine Reflexion über deren Zeichensysteme, sondern einfach in ihrer bezeichnenden
Funktion.
Robert Barrys Inert Gas Series ist ein anderes Beispiel für Aktionen in der Land-
schaft, die fotografisch festgehalten werden. Bei dieser Serie, z.B. bei der Arbeit Inert
Gas: Helium (1969) (Abb. 48),460 sind es immer unsichtbare Gase, die an einem be-
stimmten Ort, der unter dem Foto angegeben ist, in die Umwelt abgegeben werden.
Hier sind nur eine Gasflasche zu sehen und die umgebende Landschaft. Das Foto er-
hält hier den Charakter eines Beweises, der nichts beweist, weil wir es mit einem un-
sichtbaren Stoff zu tun haben. In beiden Beispielen handelt es sich um reine Dokumen-
tarfotografie, während bei Baldessari die Fotos zwar auch dokumentieren, aber gleich-
zeitig als Fotos Teil des Konzeptes sind, denn es ist nicht die Aktion, um die es hier
geht, sondern das Verhältnis der Zeichen zur (fotografierten) Wirklichkeit und umge-
kehrt. Durch das Verschmelzen der Buchstaben mit der Natur findet eine ästhetische
Aufladung statt, die sich auf die Möglichkeiten der künstlerischen Repräsentation der
Wirklichkeit durch die Fotografie bezieht. Außerdem gelingt es Baldessari, durch Of-
fenlegung des inszenierten Charakters seiner Fotografien am Beispiel des ‘L’ die Prob-
leme des Verhältnisses von Kunstwerk und Dokumentation aufzuzeigen, die in den
Arbeiten der Land Art meist nicht reflektiert werden.
Am nächsten stehen Baldessaris Interesse am Funktionieren von Zeichensyste-
men, wenn auch in einem anderen Medium, die bereits erwähnten Arbeiten Homes for
America (1966-67) (Abb. 14)461 von Dan Graham und The Monuments of Passaic
(1967) (Abb. 15) von Robert Smithson, die beide in Kunstmagazinen erschienen sind
und sich mit Wirkung und Funktion von Artikeln, aber auch mit dem Verhältnis der
Kunst zur Wirklichkeit auseinandersetzen. Bei beiden wird Fotografie, ebenso wie der
Text, in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit selbstreflexiv eingesetzt, auch wenn der
460 Vgl. Godfrey, Conceptual Art, S. 202, Abb. 117. 461 Vgl. Kapitel 3.2.2. Der Artikel erschien nicht in der von Graham gewünschten Form, und er hat die-sen später in einer neuen Version als eigenständige Arbeit behandelt.
158
Aspekt der Ästhetisierung weniger deutlich hervortritt (bei Graham jedoch mehr als
bei Smithson).
Aber auch gegenüber diesen beiden Künstlern behauptet Baldessari mit dieser
Arbeit seine besondere Stellung innerhalb der Conceptual Art, weil sich seine persön-
liche Form der Auseinandersetzung mit den Fragen dieser Kunstrichtung durch ein
hohes Maß an Reflexion auszeichnet, das immer mit einem originellen ironischen An-
satz verbunden ist. Der spielerische, aber doch ernstgemeinte Umgang mit den Zei-
chensystemen eröffnet unerwartete Einsichten in deren Funktionsweisen, in diesem
Fall in das Verhältnis von Karte, Wirklichkeit und deren fotografischer Repräsentati-
on, ohne zu einer trockenen Lektion zu werden. Gleichzeitig nimmt Baldessari die
Gigantonomie der Land Art auf den Arm und stellt dieser eine Conceptual Art entge-
gen, deren Konzept auf einer ‘gescheiterten’ Verwirklichung eines fruchtbaren Miss-
verständnisses, nämlich der Vermischung der verschiedenen Codes der Landkarte, und
dessen Umsetzung in der Realität basiert.
Dieses selbstreflexive Spiel mit den Codes der Landkarte führt die selbstreflexi-
ve Untersuchung der Kunstcodes aus den Text-on-Canvas-Arbeiten weiter. Auch hier
geht es um eine ideologiekritische Hinterfragung von Codes und ihrer Funktion, indem
jene mit ihren eigenen Regeln konfrontiert werden. Allerdings bezieht Baldessari die
Realität mit ein und erweitert die Reflexion der Codes über den rein künstlerischen
Bereich hinaus. Es gelingt ihm hier, die vermeintliche Natürlichkeit der Zeichensyste-
me als kulturelle Konventionen offenzulegen und die scheinbar selbstverständliche
Referenz der Zeichen in Frage zu stellen. Dies geschieht nicht vermittels einer rein
theoretischen, semiologischen Untersuchung, sondern durch das ironisch-humorvolle
Spiel der Infragestellung der Codes und der Vermischung von Realität und Abbildung.
Im California Map Project finden sich also die Elemente wieder, wie etwa die Dekon-
textualisierung, die ‘Cross-over’-Strategien und nicht zuletzt die Selbstreflexion, die
Baldessaris Arbeiten im Kontext der postmodernen Kunst verorten.
4.2.2. Ingres and Other Parables (1971)
Die Serie Ingres and Other Parables ist eine der am häufigsten in der Literatur er-
wähnten Arbeiten Baldessaris aus den frühen siebziger Jahren. Das liegt zum einen
daran, dass er sich mit dieser Serie die Narration als neuen Themenbereich erschließt,
der von zentraler Bedeutung für sein Werk ist, und zum anderen daran, dass diese Ar-
159
beit eine tragende Rolle in der sich neu entwickelnden Kunstrichtung der Story Art462
spielt. Die Serie greift viele der formalen Neuerungen des Calif. Map Project Part I:
California auf, wie die Verwendung der Fotografie. Sie ist von Baldessari als eine
Einheit gedacht und als solche auch ausgestellt worden (Abb. 49), in der Analyse wer-
den allerdings zunächst nur einzelne Beispiele herausgegriffen und erst am Ende die
Serie als Gesamtheit untersucht.463 Sie besteht aus zehn Foto-Text-Kombinationen,
mit je einer kurzen Geschichte und einem Foto, die sich durch eine Reihe von Ge-
meinsamkeiten auszeichnen, die zunächst herausgearbeitet werden, bevor ein Beispiel
einer eingehenden Analyse unterzogen wird.
Die Serie im Überblick
Die Titel der einzelnen Arbeiten der Serie sind recht kurz, die Spannbreite reicht von
nur einem Wort, wie Ingres (Abb. 6), dem Namensgeber dieser Serie, bis zu kurzen
Sätzen, wie z.B. The Best Way to Do Art (Abb. 50). Die Texte befinden sich unterhalb
der Fotos, der jeweilige Titel als Überschrift leicht vom Rest des Textes abgesetzt464
und ein durch eine Leerzeile abgetrennter kurzer Satz am Ende, der als ‘Moral’ ge-
kennzeichnet ist. Die Texte sind in einem neutralen, sachlichen Schrifttyp und Layout
gehalten. Die Fotos zeigen jeweils nur einen Gegenstand, der sich meist vor einem
neutralen Hintergrund befindet, so dass diesem die volle Konzentration entgegenge-
bracht werden kann.465 Die Fotos nehmen etwas weniger Raum als die Texte ein, wo-
bei die Relation je nach Text variiert.
462 Diese Bezeichnung stammt aus der Zeit Anfang der siebziger Jahre, als sich eine regelrechte Inflation an Termini ausbreitete, die sich auf verschiedene Aspekte der im weitesten Sinn konzeptuellen Kunst bezogen. Wie die meisten anderen Bezeichnungen ist auch diese inzwischen vollständig von der Bildflä-che verschwunden. Zumal sich, wie Jochimsen richtig anmerkt, der Terminus Text-Foto-Geschichten als ein präziserer und aussagekräftigerer Begriff anbietet, weil es, wie es die Analyse der Ingres-Serie er-weisen wird, nicht um eine Geschichte an sich geht, sondern um das Wechselspiel verschiedener Medien und Kontexte (vgl. Jochimsen, Text-Foto-Geschichten, in: Kunstforum international, Bd. 33, Nr. 3, 1979, S. 7). 463 Die Arbeit existiert in zwei Versionen, einmal in der Form von zehn Blättern (die Fotos und die Tex-te jeweils 20,3 x 25,4 cm) aus dem Jahr 1971, die zum ersten Mal in der Konrad Fischer Galerie Düs-seldorf gezeigt wurden, zum anderen in der Form eines Künstlerbuches von 1972. Dieses wurde im Kalenderformat herausgegeben und war zugleich das erste Künstlerbuch Baldessaris. Die Abbildungen und die Diskussion dieser Arbeit beziehen sich hier auf die erstgenannte Version. Vgl. auch Kap. 4.1.1., Fußnote zu Ruscha (vgl. van Bruggen, John Baldessari, S. 69). 464 Es gibt auch einen Katalog, in dem sich die Fotos neben dem Text befinden (John Baldessari. Work 1966 - 1980 (Kat.), New York, 1981). Ob das allerdings dem Layout des Kataloges geschuldet ist, lässt sich nicht ohne weiteres entscheiden. 465 Die Bandbreite der Gegenstände reicht von den Pyramiden von Gizeh (Art History) (Abb. 51) über eine Glühbirne (The Neon Story) (Abb. 52) bis zu einem Briefumschlag (The Best Way to Do Art) (Abb. 50), die als einziger Gegenstand nicht vollständig zu sehen ist.
160
Die Texte selbst drehen sich alle um Geschichten aus der Kunstwelt und haben
einen deutlichen Bezug zu den Fragen, die die Kunstszene in jener Zeit beschäftigten.
Versteckt hinter diesen scheinbar banalen Geschichten thematisieren die Parables die-
se Fragen meist aus der Sicht der KünstlerInnen und problematisieren deren Position
innerhalb des ‘Betriebssystems Kunst’. Die Fotos wiederum zeigen immer einen Ge-
genstand, der in irgendeiner Form auf die Geschichte bezogen ist. Auf diese Weise
wird der Eindruck vermittelt, dass Fotos und Texte zueinander gehören. Ob die Fotos
allerdings Illustrationen der Texte darstellen oder die Texte Erläuterungen der Fotos,
ist nicht unmittelbar zu erkennen; deutlich ist nur, dass hier ein Verweisungsverhältnis
vorliegt. Insbesondere die Konzentration der Fotos auf einen einzigen Gegenstand er-
zwingt diesen Eindruck, denn eine solche Zusammenstellung von Bild und Text
kommt sonst nur in Kontexten zur Anwendung, in denen ein solches Verhältnis inten-
diert ist, wie z.B. in Katalogen oder in naturwissenschaftlichen bzw. technischen Be-
schreibungen. Die Analyse einiger Beispiele dieser Serie wird demonstrieren, dass das
Verhältnis von Text und Bild keineswegs eindeutig ist und dass diese Serie einige sehr
grundlegende Fragen zum semantischen Verhältnis von Text und Bild aufwirft.
Der Begriff der ‘Parable’
Bevor man sich der Analyse der ersten Arbeit zuwenden kann, muss allerdings noch
die Frage geklärt werden, was es mit der Bezeichnung der Serie als ‘Parables’466 und
der ‘Moral’ am Schluss der Geschichten auf sich hat. Ein Blick in verschiedene Lexika
und Lehrbücher ergibt, dass das Wort ‘Parable’ in erster Linie eine christliche oder
moralische Konnotation besitzt. Eine ‘Parable’ versucht eine höhere Wahrheit zu
transportieren, die sich auf allgemein moralische oder religiöse Werte bezieht.467 Die
Definitionen beschreiben alle die ‘Parable’ als eine kurze Geschichte, die einen tiefe-
ren Inhalt vermitteln will, der z.B. vermittels einer Analogie ausgedrückt wird, zudem
wird die ‘Parable’ häufig als eine Untergattung der Allegorie betrachtet. Ein Hauptge-
466 ‘Parable’ lässt sich als Gleichnis oder Parabel ins Deutsche übersetzen. Für den Kontext dieser Arbeit sind allerdings nur die genauen Konnotationen dieses Begriffes im Englischen von Interesse, da der sprachliche Hintergrund dieser Arbeiten das Englische ist. Deshalb wird im Text auch der englische Begriff beibehalten. 467 Das Random House Dictionary definiert ‘Parable’ folgendermaßen: „1. a short allegorical story de-signed to convey a truth or moral lesson. 2. a statement or comment that conveys a meaning indirectly by the use of comparison, analogy or the like“ (Random House College Dictionary, New York 1973, S. 963).
161
wicht liegt dabei auf den biblischen Assoziationen, die in erster Linie mit Jesus ver-
bunden sind.468
Die klassischen Beispiele aus der Bibel, wie etwa der Barmherzige Samariter,
haben allerdings oft keine ausformulierte Moral am Schluss. Es handelt sich um Ge-
schichten, die Jesus erzählt, um den Menschen den Inhalt seiner Lehre nahezubringen,
indem er ihn in eine Form bringt, die alle verstehen können.469 Deshalb ist der Stil der
Gleichnisse immer, zumindest vordergründig, sehr einfach gehalten, sie sollen mög-
lichst so erscheinen, als seien sie mündliche Erzählungen. Die Gleichnisse stellen ei-
nen Bezug zum Alltag, zur Erfahrungswelt der Menschen, her. Marcia Tucker be-
schreibt, wie John Baldessari, nach eigener Aussage, auf diese Form der Narration
gekommen ist:
„He began to read the Bible to use as a teaching device, and became fascinated with the way Jesus always got points across indirectly. Thus, Baldessari says, the catchphrase ‘Tell stories like Jesus’, an entry in his notebooks, ultimately prompted a series of parables about artists and the contemporary art world [...]“470
Baldessari war allerdings nicht in erster Linie am religiösen Gehalt der biblischen
Gleichnisse interessiert, sondern an ihrer literarischen Form. Hier kommen die Erfah-
rungen, die Baldessari in seiner Praxis als Lehrer mit dem Erzählen von Geschichten
468 Aus den recht unterschiedlichen Definitionen, die sich in verschiedenen Lehrbüchern finden lassen, möchte ich zwei der interessanteren herausgreifen: In A Glossary of Literary Terms (M.H. Abrams, A Glossary of Literary Terms, New York 31971) findet sich ‘Parable’ unter dem Oberbegriff ‘Allegory’: „...a narrative in which the agents and action, and sometimes the setting as well, are contrived not only to make sense in themselves, but also to signify a second, correlated order of persons, things, concepts, or events“ (S. 4), dabei wird ‘Parable’ wie folgt definiert: „...a short narrative presented so as to stress the implicit but detailed analogy between its component parts and a thesis or lesson that the narrator is bringing home to us“ (S. 6). Außerdem findet sich hier auch der Verweis auf Jesus. In Sound and Sense von Thomas R. Arp und Laurence Perrine (Fort Worth u.a. 81992) findet sich der Begriff zwar gar nicht, dafür gibt es eine informative Definition von Allegory: „...a narrative or description that has a second meaning beneath the surface. [...] It is unlike extended metaphor in that it involves a system of related comparisons rather than one comparison drawn out. It differs from symbolism in that it puts less empha-sis on the image for their own sake and more on their ulterior meanings“ (S. 88, Hervorhebung im Original). Diese Definition hebt zum einen den Hinweis auf ein System von Vergleichen und betont zum anderen die äußere Bedeutung. 469 In der Bibel gibt es eine Stelle, in der Jesus seinen Jüngern erklärt, warum er Gleichnisse verwendet: „Euch lässt Gott erkennen, wie er seine Herrschaft auf der Erde durchsetzt, die anderen nicht. [...] Aus diesem Grund benutze ich Gleichnisse, wenn ich zu ihnen spreche. Denn sie sehen, aber erkennen nichts; sie hören, aber verstehen nichts!“ (Matthäus 13,10-13). Die Gleichnisse sollen also die Glau-benssätze, die den Menschen nicht unmittelbar einleuchten, gewissermaßen übersetzen. Ursprünglich sollten sie jedem verständlich sein, indem sie mit Beispielen aus der Erfahrungswelt der Menschen ar-beiteten. Diese Evidenz ist für uns heute meist verlorengegangen, so dass wir diese Gleichnisse erst interpretieren müssen. 470 Tucker, John Baldessari: Pursuing the Unpredictable, in: John Baldessari (Kat.), New York 1981, S. 35.
162
gesammelt hat, zum Tragen: „The minute you start telling a story the interest level of
your audience picks up.“471
Neben diesen eher pragmatischen Gründen für die Verwendung dieser Form der
Narration dürften auch andere Überlegungen eine Rolle gespielt haben. In der religiös
konnotierten Form der ‘Parable’ äußert sich auch ein ironischer Bezug zur Kunstwelt
und ihren ‘Glaubenssätzen’,472 zumal gerade im Abstrakten Expressionismus die Spra-
che sowohl der KünstlerInnen als auch der KritikerInnen nicht immer frei von religiö-
sen Untertönen war.473 Die Arbeiten aus der Ingres-Serie beziehen sich allerdings
nicht mehr, wie noch die Text-on-Canvas-Bilder der späten sechziger Jahre, in einer
ironischen Form auf den modernistischen Diskurs, sondern verweisen vielmehr auf die
zu jener Zeit aktuellen Entwicklungen in der Kunst. Sie spielen in erster Linie mit dem
pädagogischen Aspekt der Form der ‘Parable’, indem sie die Geschichten wie ‘Ratsch-
läge’ für Nachwuchskünstler präsentieren. Im Folgenden wird ein Beispiel, nämlich
Ingres, ausführlich analysiert.
Ingres
Die erste Arbeit gibt der Serie Ingres and Other Parables ihren Namen: Ingres (Abb.
6). Das Foto zeigt einen Nagel, der auf einem neutralen Hintergrund parallel zur Bild-
diagonalen in der Mitte des Bildes liegt. Er wirft einen starken Schlagschatten auf sei-
ne linke Seite. Der Nagel scheint in keiner Weise außergewöhnlich zu sein. Der Form
des Kopfes nach dürfte es sich wohl um einen kleineren Nagel für Holz handeln, so
wie er in jedem Baumarkt erhältlich ist. Die Tatsache, dass er völlig gerade ist und
auch sonst keine Anzeichen von Abnutzung zeigt, deutet darauf hin, dass es sich um
einen neuen Nagel handelt.
Die Geschichte, die Baldessari selbst erfunden hat,474 dreht sich um ein Bild von
Ingres, dessen ‘Geschichte’ nacherzählt wird:
„Ingres: This is the story of a little known painting by Ingres. Its first owner took good care of it, but as things go, he eventually had to sell it. Succeeding owners were not so cautious about its welfare and did not take as good care of it as the first
471 John Baldessari, zitiert in: John Baldessari (Kat.), New York 1981, S. 35. 472 Vgl. auch Arbeiten aus der Text-on-Canvas-Serie, wie etwa Everything is Purged, die ebenfalls die-sen religiösen Unterton kritisieren. 473 In diesem Zusammenhang ist es sicher kein Zufall, dass Künstler wie Rothko auch Kirchen gestaltet haben. 474 Vgl. Zitat von Baldessari, in: John Baldessari (Kat.), New York 1981, S. 35.
163
owner. That is, the second owner let the painting’s condition slip a bit. Maybe it all began by letting it hang crookedly on the wall, not dusting it, maybe it fell to the floor a few times when somebody slammed the door too hard. Anyway the third owner received the Ingres with some scratches (not really tears), and the canvas buckled in one corner – paint fading here and there. Owners that followed had it retouched and so on, but the repairs never matched and the decline had be-gun. The painting looked pretty sad. But what was important was the documenta-tion – the idea of Ingres; not the substance. And the records were always well-kept. A clear lineage, a good genealogy. It was an Ingres certainly, even though the painting by this time was not much. The other day it was auctioned off. Time had not been kind to the Ingres. All that was left was one nail. Maybe the nail was the original, maybe it was used in re-pairs, or maybe Ingres himself had used it to hang the painting. It was all of the Ingres that remained. In fact, it was believed to be the only Ingres nail ever of-fered in public sale. Moral: If you have the idea in your head, the work is as good as done.“
Im Laufe seiner verschiedenen Wechsel an Besitzern, die hier – wie es sich für Para-
beln gehört – anonym bleiben, unterliegt das Bild einer Art Erosionsprozess, an dessen
Ende nur noch ein Nagel übrig ist. Während des fortlaufenden Zerfallsprozesses bleibt
einzig sein Echtheitsnachweis, seine lückenlose Provenienz, immer gewahrt. Deshalb
kann letztendlich dieser Nagel in einer Auktion als echter Ingres versteigert werden.
Analyse der Geschichte
In der Geschichte verbirgt sich im letzten Satz vor der ‘Moral’ ein Wortspiel, das die
oben beschriebene Bedeutung auf den Kopf stellt und das der Ausgangspunkt für die
ganze Serie gewesen sein soll. Wenn man van Bruggen bzw. Baldessari glauben darf,
stammt die Grundidee zu Ingres aus dem Jahr 1967, als an einem langweiligen Tag:
„[...] his imagination was sparked by the accidental discovery of a sound pun, the as-
sonance of ‘Ing’ [res] and ‘hang’, which he then linked to ‘nail’“.475 Baldessari be-
schreibt die Pointe dieser Verbindung folgendermaßen: „If you read it, there is a pun at
the end; they were the only Ingres nails (‘hang nails’) that existed.“476 Überträgt man
also diese Pointe, die darin besteht, dass sich „Ingres nail“ ähnlich anhört wie
„hangnail“477 (was so viel bedeutet wie ‘abstehende Haut um den Fingernagel herum’),
auf den tatsächlichen Text, dann ergibt sich Folgendes: „In fact, it was believed to be
475 Van Bruggen, John Baldessari, S. 69. 476 John Baldessari, zitiert in: John Baldessari (Kat.), New York 1981, S. 35. Auffällig erscheint an dieser Aussage allerdings, dass Baldessari sich anscheinend nicht an den genauen Wortlaut der Ge-schichte erinnert und die Pointe, so wie er sie erzählt, gar keinen Sinn ergibt. 477 Dieser Witz funktioniert nur, wenn man Ingres amerikanisch ausspricht und sich das ‘h’ dazu denkt.
164
the only [h]angnail ever offered in public sale.” Durch diese semantische Doppeldeu-
tigkeit erhält die Geschichte einen äußerst absurden Beiklang.478
Die Geschichte zu Ingres geht allerdings nicht vollständig in diesem einfachen
Wortspiel auf. Mit der Erklärung dieser Pointe ist weder die Entstehung der Serie noch
ihre formale Ausformung und inhaltliche Substanz endgültig geklärt oder die genaue
Bedeutung der Geschichte vollständig erfasst. Das Wortspiel lässt sich vielmehr als
Anlass zu einer semantischen Kette verstehen, die Bedeutung an sich immer wieder
neu verknüpft und die mit Sprache in einer kreativen Weise arbeitet. Baldessari be-
schreibt seine Verwendung der Sprache folgendermaßen:
„Language seems to me to be a very viable material to use in a creative way. We always think about using forms in some creative way and that seems to me inter-esting, but no more interesting than using words.“479
Wie Baldessari mit der Sprache als Material arbeitet, soll ein genauerer Blick auf die
Geschichte ergeben.480
Das Thema von Ingres ist vordergründig das Verhältnis zwischen dem materiel-
len Kunstwerk, das sich durch seine konkrete ästhetische Erscheinung hervorhebt und
durch diese seine Besonderheit erhält, und seinem Wert im Kunsthandel, der sich an
Kriterien wie Echtheit, Stellenwert des Künstlers oder lückenloser Provenienz orien-
tiert. Die Geschichte schöpft ihre Absurdität daraus, dass bei diesem Ingres dieses
Verhältnis so weit in Richtung des immateriellen Werts verschoben ist, dass schließ-
lich gar kein materielles Werk mehr existieren muss, das diesen Wert besitzen würde,
solange die Authentizität des Gegenstandes gewährleistet ist. Die Ironie liegt in der
Idee, dass ein Nagel einen Ingres repräsentieren und der (ästhetische) Wert des ur-
sprünglichen Bildes auf ihn transferiert werden könnte, obwohl es nicht einmal sicher
ist, dass dieser Nagel überhaupt von dem Originalbild stammt.
Allerdings bleibt die Geschichte nicht auf dieser ersten unmittelbar zu erschlie-
ßenden Ebene stehen. Wie ein näherer Blick auf einige Passagen der Geschichte und
insbesondere ihr Verhältnis zu dem Foto deutlich macht, bleibt diese erste Lesart nicht
478 Diese Art Wortspiel erinnert Marcel Duchamps Titel, die oft ebenfalls aus doppeldeutigen Wortkom-binationen bestehen. 479 John Baldessari, zitiert in: Van Bruggen, John Baldessari, S. 69. 480 Baldessaris Arbeit mit Sprache beschränkt sich nicht nur auf seine eigentlichen Arbeiten, sondern erstreckt sich auch auf seine Interviews. Hier nennt er oft scheinbar pragmatische und unmittelbar ein-leuchtende Gründe für seine künstlerischen Entscheidungen (so gibt er an, der Grund für das Cremation
Project sei sein überfülltes Studio gewesen), die einer näheren Prüfung nicht standhalten. In diesem Fall kommt hinzu, dass die kleine Geschichte über das Wortspiel den Geschichten der Ingres-Serie frappie-rend ähnelt.
165
die einzig mögliche. Zumal Ingres seiner Form als Parabel gerecht wird und hier auch
mit der ‘Moral’ den Verweis auf eine versteckte Wahrheit enthält.
In der Mitte der kleinen Erzählung gibt es eine Stelle, die aus der klaren Struktur
der Narration herausfällt: „But what was important was the documentation – the idea
of Ingres; not the substance.“ Der erste Teil des Satzes ebenso wie der Rest des Ab-
schnitts lassen sich in die Logik der Geschichte einfügen. Unklar aber ist, wie sich die
durch den Gedankenstrich angedeutete Verbindung der Begriffe ‘Dokumentation’ und
„Idea of Ingres“ fassen lässt. Zunächst ist der Begriff ‘Idee’ hier völlig vage, weil er
eine ganze Reihe verschiedener Konnotationen umfasst: Erstens könnte damit die Idee,
im Sinne des Einfalls von Ingres selbst, gemeint sein, die ihn dazu veranlasst, dieses
Bild zu malen; zweitens könnte es sich auf die Idee des Bildes von Ingres im Sinne
einer platonischen Idee beziehen, welche gewissermaßen das Wesen des Bildes ver-
körpert; drittens wäre denkbar, dass damit auf die Idee, als Summe der Vorstellungen
von Ingres, also seines Werkes und seiner Künstlerpersönlichkeit insgesamt, verwiesen
werden soll. Diese letzte Möglichkeit erinnert einmal mehr an den bereits im Kapitel
zu den Commissioned Paintings herangezogenen Text Was ist ein Autor? von Fou-
cault. Dieser würde diesbezüglich vom Diskurs über Ingres sprechen.
Der Begriff ‘Dokumentation’ seinerseits bezieht sich hier offensichtlich auf die
Provenienz, also den Herkunftsnachweis. Diese gibt aber schließlich nicht über die
Idee eines Kunstwerkes Auskunft – zumindest dann nicht, wenn man die ersten beiden
der im vorigen Abschnitt genannten Konnotationen von Idee zu Rate zieht. Wenn man
allerdings die dritte Variante einmal genauer analysiert, nämlich die Idee von Ingres als
dem Diskurs über ihn,481 lässt sich doch ein Bezug zwischen den beiden Begriffen
herstellen. Denn seine Position als Autor innerhalb der Kunstgeschichte, und damit
indirekt auch sein Wert für den Kunsthandel, werden durch diesen Diskurs bestimmt.
Foucault beschreibt eine der besonderen Funktionen des Diskurses ‘Autor’ folgender-
maßen:
„Hat ein Diskurs einen Autornamen, [...] so besagt dies, dass dieser Diskurs nicht aus alltäglichen Worten besteht, [...] sondern aus Worten, die in bestimmter Wei-se rezipiert werden und in einer gegebenen Kultur ein bestimmtes Statut erhalten
481 Vgl. Kap. 4.1.2. Der Exkurs zu Duchamp hat sich dieser Frage bereits kurz gewidmet, weil sich Du-champ ebenfalls mit diesem Problem auseinandersetzt. Seine Boîte-en-valise z.B. beinhalten immer auch Objekte, die ihren Wert allein dadurch erlangen, dass sie von seiner Person stammen. Dieser Dis-kurs wiederum steht aber auch in Relation zu anderen Diskursen, mit denen dieser verbunden ist, z.B. dem Diskurs über französische Malerei des 19. Jahrhunderts, und letztendlich dem Kunstdiskurs insge-samt.
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müssen.“482
Das bedeutet also, dass der Diskurs ‘Ingres’ allein durch seinen Autor einen wichtigen
Platz in der kulturellen Welt einnimmt und dass alles, was mit diesem in Verbindung
gebracht werden kann, so auch einen bestimmten Wert erhält. Die Mechanismen, die
den genauen Wert eines Diskurses in Relation zu anderen steuern, und deren Überset-
zung in einen bestimmten Marktwert sind zu komplex, als dass sie sich in aller Kürze
darstellen ließen.
Auf der anderen Seite steht das Werk, um das herum sich auch ein eigener Dis-
kurs entwickeln kann, der dem des Künstlers in nichts nachsteht. Ein Beispiel dafür ist
die Mona Lisa, deren Berühmtheit so groß geworden ist, dass das Bild selbst als mate-
rielles, ästhetisches Objekt kaum mehr wahrgenommen werden kann, während sich um
dieses herum ein Feld von Bedeutungen gebildet hat, das dem Bild einen nahezu mys-
tischen Status verschafft. Das Bild erhält so eine Aura, die alles überstrahlt483 und die
sich auf den Künstler selbst als den ‘Schöpfer’ des Werkes ausdehnt.
In der Geschichte Baldessaris über Ingres ist das Werk allerdings verschwunden,
weshalb die Provenienz diese zentrale Rolle spielt, denn nur sie kann den Weg zum
Künstler zurückverfolgen und so die Teilhaberschaft am Diskurs und damit den Wert
dieses Bildes als ‘echten Ingres’ garantieren. Der Künstler (Autor) wiederum verhilft
dem Objekt zu einem bestimmten Status, nämlich dem eines Werkes; Foucault be-
schreibt diese Funktion folgendermaßen:
„Schließlich ist der Autor ein bestimmter Brennpunkt des Ausdrucks, der sich in mehr oder minder vollendeter Form genauso und im gleichen Wert in den Wer-ken, den Skizzen, den Briefen und den Fragmenten offenbart.“484
Die Wirkung des Künstlergenies (Autors) Ingres erstreckt sich also nicht nur auf die
konkreten Arbeiten, sondern auf alles, was mit ihm in Verbindung gekommen ist, so-
gar die Fragmente.
482 Foucault, Was ist ein Autor?, S. 17. 483 Mit dem Begriff ‘Aura’ soll hier bewusst an den von Benjamin geprägten Begriff angeknüpft werden. Dieser definiert die auratischen Kunstwerke als geprägt durch ihr Hier und Jetzt und durch den Aspekt der Echtheit: „Die Echtheit einer Sache ist der Inbegriff alles von Ursprung her an ihr Tradierbaren, von ihrer materiellen Dauer bis zu ihrer geschichtlichen Zeugenschaft. [...] was aber dergestalt [durch die Reproduktion] ins Wanken gerät, das ist die Autorität der Sache. Man kann, was hier ausfällt, im Begriff der Aura zusammenfassen [...]“ (Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Re-produzierbarkeit, in: Ders., Illuminationen, Frankfurt 1977, S. 140f). Allerdings basiert der Kunstmarkt darauf, sich nur mehr den verdinglichten Abglanz der Aura zu sichern, die Benjamin hier meint, denn im Kunstmarkt geht es gerade nicht um die Autorität der Sache, sondern nur noch um ihre Verwertung. Die materielle Dauer zeitigt nicht geschichtliche Zeugenschaft, sondern Wertsteigerung. 484 Foucault, Was ist ein Autor?, S. 21f.
167
Baldessari treibt in der Ingres-Geschichte diese Logik auf die Spitze, indem er
das Werk so sehr fragmentarisiert, dass schließlich nur noch die letzte Spur eines
Fragments übrigbleibt, während das ursprüngliche Bild gar nicht mehr existiert. Der
Nagel ist der (notariell beglaubigte) Repräsentant eines Ingres, er wird zum Werk; so
wie jedes Bild oder jede Zeichnung, in letzter Konsequenz alles, mit dem Ingres je in
Berührung gekommen ist, durch dessen künstlerische Autorschaft in dem von Foucault
beschriebenen Sinn zum Werk wird. In dieser Geschichte reicht es aus, dass der Nagel
einmal mit dem echten Bild in Berührung gekommen ist, und sei es nur als der Nagel,
an dem das Bild einmal aufgehängt worden ist, um ihm eine Teilhabe am Werk des
Künstlers (Autors) Ingres zu verschaffen.485 Der Künstler Ingres erhält so eine nahezu
mystische Macht – bzw. „einen Brennpunkt des Ausdrucks“, um es mit Foucault zu
sagen – die alles, was mit seinem Werk in Verbindung gekommen ist, transformiert.
Dieser Verwandlung eines an sich wertlosen Gegenstandes haftet etwas Religiöses an,
das an Reliquien erinnert. Alle Holzsplitter des Kreuzes etwa benötigen ebenfalls eine
Form des Herkunftsnachweises, der allerdings nicht notariell beglaubigt ist, und eine
gute Portion Glauben – schließlich ließen sich aus allen Splittern, die existieren, ver-
mutlich ein Unzahl Kreuze rekonstruieren – damit aus unscheinbaren Holzstückchen
Objekte der Verehrung werden können.
Die ‘Moral’ korrespondiert aber nicht ganz mit der oben dargelegten Interpreta-
tion der Geschichte. Baldessari verortet hier den Begriff ‘Idee’ in einem anderen Kon-
text als dem eben erläuterten: „If you have the idea in your head, the work is as good
as done.“ Der Ideenbegriff, auf den sich die ‘Moral’ zu beziehen scheint, ist mehrdeu-
tig. Es kann sich um die Idee, die der Künstler hervorbringt und die dem Werk
zugrundeliegt, handeln, also gewissermaßen die prä-materielle Ausformung des
Kunstwerkes: der künstlerische Einfall. Demgegenüber spielt der zweite Teil der ‘Mo-
ral’ die Bedeutung der eigentlichen Ausführung der Arbeit herunter. Mit dieser Stoß-
richtung lässt sich die ‘Moral’ eindeutig im Kontext der Conceptual Art jener Zeit mit
ihren Vorstellungen von Dematerialisierung verorten.
Kontrastiert man die beiden Konzeptionen von Idee miteinander, indem man die
der ‘Moral’ auf die Geschichte überträgt, wird deutlich, dass sich beide in gewisser
Weise gegenseitig ausschließen. Steht am Anfang des Nagels wirklich ein Einfall
485 Damit wird allerdings die Behauptung der lückenlosen Dokumentation wieder relativiert, zumindest was den Nagel angeht, denn dessen Provenienz, vom Moment seiner Herstellung an, lässt sich nicht lückenlos rekonstruieren.
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Ingres’ und nicht etwa eines seiner Bilder? In der Geschichte wird der an dieser Stelle
nicht näher definierte Begriff ‘Dokumentation’ mit der Idee Ingres’ gleichgesetzt. Der
Widerspruch liegt darin begründet, dass der Einfall des Künstlers, der zu dem inzwi-
schen verlorenen Bild führte, mit diesem verschwunden ist und die Provenienz des
Nagels keine Auskunft über diesen Einfall geben kann.486 Außerdem steht am Beginn
das Bild als materieller Gegenstand, der sich erst im Laufe der Geschichte auflöst und
durch die ideelle Komponente verdrängt wird. Die Dokumentation wird erst durch das
Bild Ingres’ relevant. In der ‘Moral’ ist der Künstler das Subjekt der Idee – es ist seine
Idee – und in der Geschichte ist er ihr Objekt – es ist eine Idee über ihn und sein Werk.
Eine weitere Interpretationsmöglichkeit der ‘Moral’ besteht darin, diese nicht auf
den oder die KünstlerIn und seinen oder ihren Schaffensprozess zu beziehen, sondern
auf die BetrachterInnen. Der Nagel in der Geschichte wird für die BetrachterInnen
bzw. KäuferInnen nur dann zu einem fertigen Kunstwerk, mit dem man handeln kann
und dessen Wert feststeht, wenn man seine Idee im Kopf hat – also seine Geschichte
und Ingres’ Position in der Kunstgeschichte. Ansonsten bleibt er einfach ein unbedeu-
tender austauschbarer Alltagsgegenstand, genauso wie er auf dem Foto präsentiert
wird. Diese Interpretation lässt sich auf einer Metaebene wiederum auf das Foto des
Nagels selbst und damit auf die Arbeit als Ganzes übertragen, denn erst durch die Idee
– den Kontext – der Geschichte wird aus einem unscheinbaren, banalen Foto Kunst.
Allerdings muss man für diese Auslegung die ‘Moral’ gewissermaßen querlesen, denn
die Verwendung des Wortes done legt den Akzent eher auf den künstlerischen Schaf-
fensprozess.
Die ‘Moral’ und die Geschichte stehen also in einem immanenten Spannungs-
verhältnis zueinander, das unter anderem auch einem Wechsel der Perspektive ge-
schuldet ist. Die Geschichte gibt die Sicht der RezipientInnen wieder, während die
‘Moral’ sich auf die ProduzentInnen bezieht. Dabei verortet sie sich, wie bereits er-
wähnt, in einem anderen Kontext, nämlich dem der Conceptual Art, und greift die in
deren Umfeld kursierenden radikalen Ideen einer dematerialisierten Kunst auf, die wie
die ‘Moral’ der Idee den Vorrang vor der Ausführung geben.
Tatsächlich gibt es einen Satz aus den Sentences on Conceptual Art von Sol
LeWitt, der Baldessari hier als Vorbild gedient haben dürfte: „Once the idea of the
piece is established in the artist’s mind and the final form is decided, the process is
486 Alles, was wir wissen, ist, dass Ingres irgendeine Idee gehabt haben muss, auf der er sein Bild aufge-baut hat.
169
carried out blindly.“487 Hinter der Formulierung von LeWitt verbirgt sich allerdings
eine ziemlich mechanische Vorstellung dieses Prozesses, wie ein anderer Satz deutlich
macht: „The process is mechanical and should not be tampered with. It should run its
course.“488 Baldessaris Geschichte bewertet diesen Prozess trotz der gemeinsamen
Grundidee ein wenig anders. Zum einen steckt in seiner Formulierung offensichtlich
eine gewisse ‘Profanisierung’ oder zumindest Ironisierung der Aussage LeWitts,489
zum anderen ist es bei ihm nicht die Idee, die der Künstler Ingres hatte und in ein
Kunstwerk umsetzte, die letztendlich das Resultat, sprich die Verwandlung des Nagels
in einen Ingres, bestimmt, sondern ein Prozess, der sich dessen Kontrolle entzieht.
Auch für LeWitt ist: „The artist’s will [...] secondary to the process he initiates from
idea to completion.“490 Aber bei LeWitt ist es im Gegensatz zu Baldessaris Geschichte
der Künstler, der den Prozess initiiert. Baldessari verweist hier darauf, dass der Pro-
zess, der den Nagel zur Kunst hat werden lassen, von Faktoren bestimmt wird, wie
dem Diskurs über Ingres in der Kunstgeschichte oder dem Kunstmarkt, die nur indirekt
von dessen Werk, d.h. dessen materiellen Arbeiten, abhängen.
Ein Versuch, sich diesem Problemfeld zu nähern, ist die Auseinandersetzung mit
dem ‘Betriebssystem Kunst’ (BSK), wie sie Anne-Marie Bonnet vorschlägt:
„BSK-Bestandteile sind nicht nur die Orte – Akademien, Museen, Ausstellung-sorte, Galerien, Auktionshäuser, Messen, Universitäten, Ateliers –, sondern auch deren diskursive Praktiken, wie Kunstkritik und Kunstgeschichte.“491
Die genaue Funktionsweise des ‘BSK’ kann in diesem Kontext nicht dargelegt werden,
zumal der Begriff auch noch nicht verbindlich eingeführt ist. Es wird aber deutlich,
dass es sich um ein komplexes Netzwerk handelt, das nach eigenen Regeln funktio-
niert, die sich keineswegs nur an kunstgeschichtlichen Kriterien orientieren.492
Ein Name, der mit der Kritik des ‘BSK’ untrennbar verbunden ist, ist Marcel
Duchamp. Baldessari verweist in dieser Geschichte auf eine bestimmte Funktion des
Künstlers, der durch seine Person die Macht hat, alles in Kunst zu verwandeln, wenn
487 Sol LeWitt, Sentences on Conceptual Art, in: Gerd de Vries (Hg.), On Art, S. 190. 488 Ebd. 489 Dass es sich um eine ironische Auseinandersetzung handelt, zeigt auch eine andere Arbeit, nämlich das Video Baldessari Sings LeWitt (S/W-Video, Ton, 15min, 1972). Hier singt er LeWitts Sentences on
Conceptual Art zu bekannten Melodien, etwa der US-amerikanischen Nationalhymne. 490 LeWitt, Sentences on Conceptual Art, in: Gerd de Vries (Hg.), On Art, S. 186 (Hervorhebungen von Ingo Maerker). 491 Bonnet, Kunst der Moderne, S. 90. 492 Vgl. ebd., S. 89ff. Bonnet bezieht sich hier u.a. auf eine Ausgabe des Kunstforum international, die sich diesem Thema widmet: Kunstforum international, Bd. 125, Januar/Februar 1994.
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er es nur in den richtigen Kontext versetzt, die Duchamp bereits in den Readymades
oder der Boîte-en-valise kritisiert hat.493 Duchamp thematisierte in den Readymades
bereits die institutionellen Prozesse des ‘Betriebssystems Kunst’; Baldessari knüpft
daran an und spitzt die Logik sogar noch zu. Die Geschichte handelt gewissermaßen
von einem automatischen Readymade, das sich, nur vermittels der institutionellen Pro-
zesse, selbst erzeugt, ohne dass es einen oder eine KünstlerIn bräuchte, der oder die
den Nagel zur Kunst erklären würde. In diesem Prozess, der von so vielen Faktoren,
wie den Galerien, Museen, Messen, KritikerInnen oder KuratorInnen bestimmt wird,
scheint der oder die KünstlerIn zu verschwinden wie das Ingres-Bild in der Geschichte.
Die ‘Moral’ versucht dem entgegenzuhalten, dass ein Kunstwerk letztendlich
doch einzig von der Idee im Kopf des Künstlers oder der Künstlerin abhängen soll,
dass es schon im Kopf so gut wie fertig sei.494 Diese Ambivalenz wird von Baldessari
zu keiner Seite hin aufgelöst und bleibt somit als Fragestellung virulent.
Das semantische Geflecht von Foto und Text
Die bisherige Analyse hat sich auf den Text konzentriert und dessen Verhältnis zu dem
Foto vorläufig zurückgestellt. Zum besseren Verständnis der Arbeit gilt es jetzt, den
Bogen zurück zur Relation von Foto und Text zu schlagen. Zu Beginn des Kapitels
wurde festgestellt, dass beide in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander stehen:
Der Text scheint das Foto zu erklären und das Foto den Text zu illustrieren. Vorder-
gründig trifft dies auch zu, schließlich zeigt das Foto den Gegenstand, um den es in der
Geschichte geht: einen Nagel. Betrachtet man allerdings das Foto genauer und bezieht
die nun vorliegende Analyse des Textes mit ein, ergeben sich einige Widersprüche.
Zunächst gilt es, die Beschreibung des Fotos im Kontext der Geschichte noch
einmal zu präzisieren. Es wurde bereits festgestellt, dass es sich um einen gewöhnli-
chen, neuen Nagel495 handelt, wie er in jedem Baumarkt erhältlich ist, und nicht um
einen Nagel aus dem 19. Jahrhundert. Zudem handelt es sich nicht um einen speziellen
493 Vgl. Kap. 4.1.2. für eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Vorstellungen von Duchamp. 494 Baldessari verweist damit nicht nur auf bestimmte Vorstellungen der Conceptual Art, sondern auf die bereits in der Renaissance bei Vasari oder Leonardo existierende Vorstellung, dass die Idee die Grund-lage der Kunst schlechthin sei. 495 Bezieht man sich auf den versteckten Wortwitz mit dem ‘hangnail’, ergibt sich offensichtlich über-haupt keine Übereinstimmung, denn wir sehen keinen Fingernagel mit überstehender Haut, sondern einen gewöhnlichen Nagel. Das Wortspiel funktioniert mit dieser Fotografie nicht und bleibt so nur auf den Bereich der Narration beschränkt.
171
‘Kunstnagel’ zum Aufhängen von Bildern. Außerdem wird der Nagel nicht in Funkti-
on präsentiert, mehr noch, er erweckt den Eindruck, als sei er noch nie benutzt worden.
Offensichtlich genügt bereits dieser kurze Blick auf das Foto für die Einsicht, dass
Baldessari nicht einmal versucht, den Eindruck zu erwecken, als könne es sich um
etwas anderes als irgendeinen beliebigen Nagel handeln. Und doch stellt sich der Be-
zug fast selbstverständlich her: Der abgebildete Nagel wird durch seine Position und
Präsentation mit der Geschichte verbunden.
Die Offenheit der fotografischen Bildzeichen erzwingt eine solche Lesart gera-
dezu, denn selbst ein scheinbar so eindeutig denotiertes Zeichen wie dieser Nagel ver-
ändert seine Konnotation entsprechend dem Kontext, in den er eingebettet wird. Ro-
land Barthes stellt dazu Folgendes fest:
„Der Text bildet eine parasitäre Botschaft, die das Bild konnotieren, das heißt ihm ein oder mehrere zusätzliche Signifikate ‘einhauchen’ soll. Anders ausge-drückt, und hier liegt eine wichtige Umkehrung vor, illustriert das Bild nicht mehr das Wort; struktural gesehen parasitiert vielmehr das Wort das Bild.“496
Die Geschichte lädt also das Bild eines gewöhnlichen Nagels erst mit Bedeutung auf.
Baldessari demonstriert auf diese Weise die Abhängigkeit von Bild und Text. Er ver-
wendet den Gegenstand Nagel, um den Bezug herzustellen und die BetrachterInnen in
die Falle zu locken. Gleichzeitig wird dieser Bezug durch Baldessaris antiillusionisti-
sche Verwendung eines neuen Nagels – er hätte diesen schließlich auch so herrichten
können, dass er tatsächlich der Geschichte entspricht – konterkariert. Auf diese Weise
zeigt Baldessari, dass es sich um eine arbiträre Verbindung handelt, die erst durch den
Konnex von Bild und Text erzeugt wird.
Auf der anderen Seite der semantischen Verbindung, dem Text, erscheint aber
ebenfalls ein Bruch. Denn auch der Text erhält durch das Foto einen anderen Konnota-
tionsrahmen. Eine Fotografie des ‘echten’ Nagels aus der Geschichte würde die Fikti-
on vervollkommnen und der Geschichte Authentizität verleihen, weil Fotos etwas zei-
gen, das wirklich da war.497 Die sachliche, dokumentarische Machart des Fotos unter-
496 Barthes, Die Fotografie als Botschaft, in: Der., Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Kriti-sche Essays III, Frankfurt 1990, S. 21. 497 Vgl. Barthes, Die Fotografie als Botschaft, in: Ders., Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, S. 13f. Barthes spricht hier von einer Botschaft ohne Code, weil die Fotografie ohne oder nur mit einer minimalen Vermittlung die Realität abbildet, sie denotiert ihren Gegenstand unmittelbar. Allerdings kommt auf einer zweiten Ebene immer auch ein Feld der Konnotationen hinzu, das die vermeintliche Unmittelbarkeit wieder aufhebt. In Zeiten der digitalen Fotografie stellt sich allerdings grundsätzlich die Frage, wie es sich mit dem Beweischarakter verhält. Diese Frage kann noch nicht beantwortet werden, wobei die Vermutung besteht, dass sich im Alltagsverständnis von Fotografie noch nichts grundsätzlich verändert hat.
172
stützt den Eindruck von Objektivität. Aber so wie das Foto sich zwar vordergründig
als Illustration des Textes erweist, hintergründig aber ein widersprüchliches Verhältnis
zu diesem hat, so gilt dies auch in entgegengesetzter Weise: Der Text beschreibt eben
auch nicht das Foto. Das Foto dokumentiert zwar durchaus einen Nagel, aber nicht den
aus der Geschichte. Die Dokumentationsfähigkeit der Fotografie wird präsentiert, in-
dem über die Abbildung des Nagels auf die Geschichte Bezug genommen wird, und
zugleich dementiert, indem offensichtlich ein ‘falscher’ Nagel gezeigt wird, damit
weist das Foto auf seinen eigenen Missbrauch hin. Die Fotografie, die eigentlich der
Geschichte den Bezug zur Realität vermitteln sollte, wendet sich in das genaue Gegen-
teil, nämlich eine ironische Infragestellung des Verhältnisses von Text und Bild und
seiner eigenen Dokumentationsfähigkeit.
Paradoxerweise handelt die Geschichte selbst von Authentizität, denn nur diese
verleiht dem Nagel seinen Wert und hebt ihn aus der Masse der Nägel heraus. Baldes-
sari macht diese Arbitrarität der Zuschreibung augenfällig, indem er als scheinbaren
fotografischen ‘Beweis’ der Echtheit wieder einen beliebigen Nagel heraussucht. Die
arbiträre Aufladung, die der Nagel in der Geschichte erfährt, entspricht der Aufladung
des Fotos im Verhältnis zum Text: Es ist nicht der Gegenstand, der Nagel selbst, son-
dern die Idee dahinter, die den Wert vermittelt, in diesem Fall der gesamte Diskurs
über Ingres und der Kunstmarkt.
Die Ironie entspringt der vermeintlich naiven Gegenüberstellung, die nur die
Raffinesse der semantischen Verweise verbirgt:
„[...] die Texte [...] sind in ihrer vertrackten Eindeutigkeit nicht auflösbar [...]. Die Kombination beider kehrt deren Platz mental um: das Photo wird zur Meta-pher des Gesagten, die Story wird zum Rahmen für ein vergrößertes Detail, das irgendwo in einem schlichten Satz auftaucht und im sprachlichen Zusammenhang gar nicht die Hauptsache schien.“498
Baldessari weist so auf die Abhängigkeit der textuellen und visuellen Zeichen vom
jeweiligen Kontext, aber auch auf deren tendenzielle Unabgeschlossenheit und gegen-
seitige Abhängigkeit hin, die eben über ein bloßes Abbildungsverhältnis hinausgeht.
Die beiden Elemente Foto und Text zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie in ihrer
Verbindung einen semantischen Gewinn verbuchen können.499 Margarethe Jochimsen
stellt in diesem Zusammenhang zur Story Art allgemein fest:
498 Georg Jappe, ‘Was macht gewöhnliche Ereignisse so unerinnerbar?‘, in: Kunstforum international, Bd. 33, Nr. 3, 1979, S. 47. 499 „One does not mirror or illustrate the other – in fact, they may even point in different directions, while at the same time enriching one another [...]“ (van Bruggen, John Baldessari, S. 75).
173
„Foto und Text stehen nämlich nicht einfach in einem sich ergänzenden Verhält-nis zueinander, sondern erzeugen in ihrer Beziehung zueinander etwas Drittes, etwas Neues, was weder durch den Text noch durch das Foto für sich genommen ausgesagt werden kann.“500
Dieses Dritte ist bei Baldessari gerade in der Verunsicherung der Verweisungsverhält-
nisse von Foto und Bild bzw. der Verunsicherung von Bedeutung allgemein zu sehen.
Auf der semantischen Ebene entsteht im Verhältnis zwischen der ‘Moral’ und
der Arbeit Baldessaris selbst eine Art Verdoppelungseffekt. Denn die ‘Moral’ bezieht
sich eigentlich auf die Geschichte, dehnt sich aber im Grunde genommen auf die ganze
Arbeit aus. Denn geht dieser Arbeit nicht eine Idee in seinem Kopf voraus, nämlich der
Wortwitz, die dann in vermutlich kurzer Zeit zu realisieren war? Aber wie die Analyse
der Arbeit gezeigt hat, handelt es sich bei der Geschichte nicht einfach nur um ein
Wortspiel. Die Geschichte verdeutlicht vielmehr, dass es nicht allein die Idee im Kopf
eines Künstlers ist, die den Wert einer Arbeit ausmacht, sondern die Art und Weise,
wie diese umgesetzt wird und in welchem Kontext das Kunstwerk schließlich verortet
wird. Insbesondere der institutionelle Kontext, der die Rolle des Künstlers prägt, und
das ‘Betriebssystem Kunst’, das durch ein komplexes Netzwerk von Faktoren be-
stimmt wird, spielen hier die zentrale Rolle, während der Künstler selbst nur ein Ele-
ment unter vielen ist. Auf diese Weise kommentiert Baldessari ironisch die Grundla-
gen der zeitgenössischen Kunstwelt, insbesondere der Conceptual Art.
Die scheinbare Naivität von Ingres erweist sich in diesem Zusammenhang als
Mittel, um die darüber hinausgehende Reflexion über die Grundlagen von Kunst, die
die semantische mit der formalen Ebene verschränkt, hinter einem Wortspiel bzw.
einer amüsanten Geschichte über den Kunstbetrieb zu verstecken. Deren Thema, die
Bedeutung der Dokumentation und der Begriff der ‘Idee’ von Ingres, wird mit einer
Untersuchung über das Verhältnis von Bild und Text über sowie die Rolle des Kontex-
tes für die Semantik verwoben. Die Arbeit erweist sich also bei näherer Betrachtung
als ein Netz von syntaktischen und semantischen Verweisen: „Das Foto bedarf zur
Entschlüsselung des Textes also genauso, wie die Moral des Textes bedarf, denn auch
das Foto stellt eine bildlich nicht direkt erfaßbare Sublimierung der Geschichte dar.“501
Dieser Aussage von Margarethe Jochimsen über John Baldessaris Text-Foto-Arbeiten
insgesamt ließe sich noch hinzufügen, dass auch der Text der beiden anderen Kompo-
500 Margarethe Jochimsen, Story-Art. Text-Foto-Synthesen, in: Magazin Kunst, Jg. 14, Nr. 2, 1974, S. 62. 501 Jochimsen, Story-Art, S. 71.
174
nenten bedarf.502 Als zusätzliche ironische Note bedient sich Baldessari dabei ausge-
rechnet des dokumentarischen Mediums schlechthin, nämlich der Fotografie, deren
Funktion er demonstriert und zugleich sabotiert. Die ‘Moral’ erweist sich, wenn man
die Arbeit als Gesamtheit betrachtet, als Falltür, denn es handelt sich keineswegs um
den einfach zu konsumierenden Kern der Geschichte, sondern um einen zusätzlichen
Faden im Geflecht der Verweise, dessen Funktion es gerade ist, die semantischen
Verweisungsverhältnisse zu verunsichern.
Andere Beispiele aus der Serie Ingres and Other Parables
Der folgende kurze Blick auf einige andere Beispiele aus dieser Serie soll zum einen
die Bandbreite der Geschichten demonstrieren und zum anderen deren grundsätzliche
Funktionsweise offenlegen. Alle Geschichten beziehen sich in ähnlicher Weise wie
Ingres auf die Kunstwelt und ihr institutionelles ‘Betriebssystem’. Diese werden aber
immer in einer der Gattung ‘Parable’ angemessenen verallgemeinerten und verklausu-
lierten Form präsentiert, so dass das Element der persönlichen Erfahrung in den Hin-
tergrund tritt. Trotzdem hat es teilweise den Anschein, als seien in den Geschichten
auch autobiographische Elemente verarbeitet worden. In Ingres and Other Parables:
Art History (Abb. 51) z.B. geht es um die Situation eines Künstlers aus der Provinz im
Verhältnis zum Kunstzentrum bzw. um die Schwierigkeit, am Kunstmarkt zu reüssie-
ren.503
In Ingres and Other Parables: The Best Way to Do Art (Abb. 50) geht es, ähnlich
wie schon in Ingres, um die Frage der Originalität und der Reproduktion und darum,
502 Allerdings nimmt Jochimsen die ‘Moral’ zu wörtlich und sieht in dieser Baldessaris Intention unmit-telbar ausgedrückt. Die bisherige Analyse sollte deutlich gemacht haben, dass sich die ‘Moral’ in einem fließenden Verhältnis zur Gesamtarbeit befindet. Das zweite Problem von Jochimsens Interpretation ist, dass sie glaubt, im Foto die Abbildung der ‘Moral’ zu erkennen, und somit die dargelegten komplexen Beziehungen der einzelnen Elemente vereinfacht (vgl. Jochimsen, Story-Art, S. 71). 503 Der Text lautet: Art History: A young artist had just finished art school. He asked his instructor what he should do next. „Go to New York,“ the instructor replied, „and take slides of your work around the galleries and ask them if they will exhibit your work.“ Which the artist did. He went to gallery after gallery with his slides. Each director picked up his slides one by one, held each up to the light the better to see it, and squinted his eyes as he looked. „You’re too provincial an artist,“ they all said, „You are not in the mainstream.“ „We’re looking for Art History.“ He tried. He moved to New York. He painted tirelessly, seldom sleeping. He went to museum and gallery openings, studio parties, and artists’ bars. He talked to every person having anything to do with art; traveled and thought and read constantly about art. He collapsed. He took his slides around the galleries a second time. „Ah,“ the gallery directors said this time, „finally you are historical.“ Moral: Historical mispronounced sounds like hysterical.
175
wie man mit dem Erbe der Kunstgeschichte umgehen soll.504 Die Enttäuschung des
Protagonisten über die realen Bilder, die für ihn nicht an die Reproduktionen heranrei-
chen, wird hier zur ironischen Begründung für eine konzeptuelle Hinwendung zu den
Reproduktionstechniken. Diese theoretisch fundierte Reflexion über das Kunstwerk im
Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit505 wird so als eine einfache Reaktion auf die Kon-
frontation mit dem Ungewohnten dargestellt, weil die Reproduktionen die Anschauung
der eigentlichen Werke in gewisser Weise ersetzt haben, zumindest für den Protago-
nisten dieser Geschichte. Seine scheinbar naive Reaktion ist in Wirklichkeit die Hin-
wendung zu einer konzeptuellen Kunst, die sich ihrer Vermittlung bewusst ist. Dabei
lässt die ironische Form offen, in welche Richtung, ob als Kritik oder Zustimmung,
man diese Wendung interpretieren will.
Die ‘Moral’ der Geschichte versucht wieder, deren Aussagen zu unterlaufen, in-
dem sie in vorgeblich naiver Art darauf hinweist, dass sich Gemälde nun mal nicht in
den Briefkasten stecken lassen. Passend zur ‘Moral’ sieht man auf dem Foto einen
Luftpostbrief mit einer (deutschen?) Europamarke. Damit spielt Baldessari auf einen
nicht unbedeutenden Aspekt der Conceptual Art an, nämlich ihre internationale Ver-
netzung, die nicht zuletzt deshalb möglich war, weil ihre Werke tatsächlich in einen
Briefkasten passten.506 Die propagierte (und tatsächliche) Dematerialisation der Kunst
ermöglichte de facto, dass sich die Arbeiten der KünstlerInnen leichter austauschen
ließen und sich so eine weltweite Ausstellungstätigkeit entwickeln konnte.507
504 The Best Way to Do Art: A young artist in art school used to worship the paintings of Cezanne. He looked at and studied all the books he could find on Cezanne and copied all the reproductions of Cez-anne’s work he found in the books. He visited a museum and for the first time saw a real Cezanne paint-ing. He hated it. It was nothing like the Cezannes he had studied in the books. From that time on, he made all of his paintings the sizes of paintings reproduced in books and he painted them in black and white. He also printed captions and explanations on the paintings as in books. Often he just used words. And one day he realized that very few people went to art galleries and museums but many people looked at books and magazines as he did and they got them through the mail as he did. Moral: It’s difficult to put a painting in a mailbox. 505 Damit ist der bewusste Verweis auf den Text Benjamins gemeint, der sich anhand dieser Geschichte durchaus anbietet. 506 Außerdem gab es auch das Phänomen der Mail Art. Man denke nur an die I Am Still Alive-Serie von
On Kawara, die aus Postkarten an seinen Galeristen besteht. 507 Beispiele für dieses Phänomen sind Legion. Dazu gehörten Ausstellungen wie ‚Art by Telephone’, die darauf aufbaute, dass sich alle Arbeiten der beteiligten Künstler per Telefon übermitteln ließen, oder auch Baldessaris Arbeit I Will Not Make Any More Boring Art (1971) für das Nova Scotia College, die er auch nur als schriftliche Anweisung übermittelte, um sie dann vor Ort von Freiwilligen ausführen zu lassen. Es ging darum, dass diese Freiwilligen diesen Satz immer wieder auf eine Wand schreiben soll-ten, bis sie voll war.
176
Eine weitere Geschichte nennt sich Ingres and Other Parables: The Neon Story
(Abb. 52).508 Das Foto zeigt eine einfache Glühbirne, die sich etwas unterhalb der
Bildmitte in relativ großer Entfernung zum Betrachter befindet. Man hat den Eindruck
als würde sie in der Luft schweben. Die Geschichte handelt davon, wie es einem unbe-
kannten Bildhauer, der mit Neon arbeitet, gelingt, nur durch die Presseankündigung
seiner Ausstellung bekannt zu werden. Lakonisch schließt die Geschichte: „No one
had seen any of the artist’s work but all had read the press announcement.“ In dieser
Geschichte steckt offensichtlich wieder ein Verweis auf das ‘Betriebssystem Kunst’
und seine Mechanismen. Zu der Funktion des Gerüchtes im ‘BSK’ schreibt Jack Burn-
ham im Zusammenhang mit der Conceptual Art: „Conceptualism demonstrates that art
as communication has much of the unverifiable consistency of a rumor.“509 Auch Bal-
dessaris Geschichte betont die Rolle des Gerüchts und des Sprechens über Kunst, das
hier die Stelle der Betrachtung der eigentlichen Arbeiten angenommen hat.
Die ‘Moral’ eröffnet auch in diesem Fall wieder einen Blick über die Geschichte
hinaus. Analog zu Ingres ist der Begriff der ‘Idee’ hier wieder zweideutig belegt und
schwankt zwischen künstlerischer Idee, der Idee, die sich die Öffentlichkeit von Kunst
macht, und in diesem Fall der ganz praktischen Idee, wie man seine Kunst fördern
kann. Deshalb ist auch der Begriff ‘Wert’ (‘value’) an dieser Stelle durchaus auch als
ein materieller zu verstehen. Der Bezug der ‘Moral’ zum Foto ist, wie bei den anderen
Beispielen auch, eine ironische Entgegensetzung. Zum einen kennt man das Motiv der
Glühbirne schließlich aus unzähligen Comics als das Zeichen für eine Idee,510 zum
anderen geht es bei Neon auch um Lichtkörper, gleichwohl diese selbstredend keine
einfachen Glühbirnen sind. Auf diese Weise wird die Technikfixierung der Minimal
Art auf den Arm genommen.
508 The Neon Story: Once there was an unknown sculptor who was an early worker in neon. The director of a small college gallery who heard him speak of his efforts with this material asked to see his work. Upon seeing the neon sculpture, the director arranged to show the piece in the gallery. Press announce-ments were mailed out. On the basis of the announcements, the following occurred: 1. One of America’s largest newspapers asked for color photographs to run in the Sunday edition. 2. One of America’s largest museums wanted to give a new-talent award to the sculptor. 3. The director of a major gallery in one of America’s largest cities offered him a one man show. No one had seen any of the artist’s work but all had read the press announcement. Moral: Never under-estimate the value of an idea. 509 Jack Burnham, Alice’s Head. Reflections on Conceptual Art, in: Artforum, Vol 8, Feb. 70, S. 43. 510 Den Konventionen für Comics entsprechend, erscheint eine solche Birne immer über den Köpfen der Personen, die eine Idee haben.
177
Ingres and Other Parables als Gesamtserie
Die einzelnen Erzählungen dieser Serie bilden keine Metageschichte, die alle Ge-
schichten wieder zusammen führt, sondern stehen für sich. Zwar findet sich in allen
hier vorgestellten Beispielen ein ironischer Bezug zu den Mechanismen des ‘Betriebs-
systems Kunst’, die mit grundlegenderen Fragen, wie der Möglichkeit der Dokumenta-
tion, der Dematerialisierung des Kunstwerkes oder der institutionellen Rolle der
KünstlerInnen, verbunden sind, aber dabei handelt es sich nur um eine lockere Ver-
knüpfung durch das übergreifende Thema ‘Kunstwelt’.
Die Entscheidung, sich trotzdem der Serienform zu bedienen, dürfte wohl ver-
schiedene Gründe gehabt haben. Einmal ist dies für die Conceptual Art jener Zeit, und
auch für Baldessari selbst, eine sehr typische Form, weil sie die Untersuchung einer
Frage unter verschiedenen Blickwinkeln erlaubt. Van Bruggen beschreibt diesen As-
pekt, auch bezogen auf die Form der Geschichte, folgendermaßen:
„The vehicle of the story suits Baldessari especially well since early on he had realized that he could not concentrate and summarize all his perceptions into a single piece of art. He would continually think of other related concepts and im-ages that could be substituted. Besides, he felt, the differences and similarities among things could stand out only through comparisons.“511
Darin drückt sich auch eine immanente Kritik des modernistischen Werkverständnis-
ses aus, das schließlich gerade auf der Vorstellung des ganzheitlichen Kunstwerkes
basiert, welches sich auf einmal, durch einen Blick, erschließen lassen muss.512 Bereits
die Form der Geschichte steht dem entgegen, aber hinzu kommen die hybride Mi-
schung von Text und Bildern und schließlich die Serienform. Auf diese Weise wird
der ganzheitliche Anspruch des modernistischen Kunstwerkes gleich auf mehreren
Ebenen unterlaufen.513
Nach Baldessaris Aussage stellen die Parables eine Mischung aus Wahrheit und
Erfindung dar.514 Diesen Punkt unterstreicht auch van Bruggen:
„Fabricated out of the artist’s experiences and those of friends, the parables are based on the idea of a textbook for graduate students about what to expect from the art world.“515
511 Van Bruggen, John Baldessari, S. 69. 512 Vgl. Kap. 3.1.2. 513 Die Bedeutung solcher ‘Cross-over’-Strategien für die Conceptual Art wurde bereits in Kap. 3.3.6. diskutiert. 514 Vgl. John Baldessari, Brief an Margarete Jochimsen, in: Kunstforum, Bd. 33, Nr. 3, 1979, S. 84. 515 Van Bruggen, John Baldessari, S. 70.
178
Der Anteil der tatsächlichen Erfahrungen an diesen Geschichten beläuft sich zweifellos
in erster Linie auf die skizzierten Grundsituationen und nicht auf die phantasiereich
ausgeschmückten Handlungsstränge, wie etwa bei Ingres oder Art History, deren Poin-
te gerade darin besteht, bestimmte Tendenzen ironisch zu überspitzen. Letztendlich
besteht in der Frage der Wahrheit auch nicht der entscheidende Punkt. Damit die Pa-
rables als persiflierte Gleichnisse, als auf die Kunstwelt übertragene ironisierte Moral-
sätze, funktionieren können, müssen sie einen allgemeinen Anspruch erheben, der
nicht an die Authentizität der Geschichten als wirkliche Erlebnisberichte eines Künst-
lers gekoppelt ist. Dies liegt schon in der Form der ‘Parable’ begründet, die authenti-
sche, individuelle oder persönliche Erzählelemente nur verwendet, um diese in eine
allgemeine Form zu übersetzen und sie mit Bedeutung aufzuladen. Die Geschichten
müssen nicht wahr sein, sondern lediglich einen Kern von Plausibilität enthalten, da-
mit sie in den Kontext der Kunstwelt eingeordnet werden können.
Die scheinbar naive Simplizität der Geschichten, die sie mit ihren Vorbildern
verbindet, gründet im Übrigen nach Aussage Baldessaris auf einer intensiven kontinu-
ierlichen Durcharbeitung der Texte:
„When I write I think about the rhythm a lot, or how the words sound, when I look at a page ....[For the Parables] I wrote something, and rewrote it and re-wrote it, so it has a certain kind of rhythm. And yet they seem very offhand.“516
Diese Aussage macht einmal mehr klar, dass Baldessari hier keineswegs naiv vorgeht,
sondern sehr bewusst mit der Form des Gleichnisses und dessen stilistischen Elemen-
ten umgeht. Das gilt für seinen gesamten Umgang mit der Sprache, wie etwa auch das
versteckte Wortspiel in Ingres beweist. Sprache ist für ihn in diesen Geschichten auch
ein künstlerisches Material, das er bewusst einsetzt.517 Deshalb ist es auch zweifelhaft,
ob Baldessari wirklich ein Lehrbuch für Studenten plante, ob er also die Geschichten
tatsächlich als Ratschläge ernst nimmt oder ob er nicht viel mehr ein ironisches Spiel
mit dieser Idee treibt.518 Vergleicht man die Ingres-Serie etwa mit den frühen Text-on-
516 Baldessari, zitiert nach van Bruggen, John Baldessari, S. 70 (dort aus: Moira Roth, A Conversation with John Baldessari, 1973, unveröffentlichtes Manuskript). 517 „Language seems to me to be a very viable material to use in a creative way“ (Baldessari, zitiert in: van Bruggen, John Baldessari, S. 69). 518 Das Problem der Erörterung der Serie bei van Bruggen besteht darin, dass sie die Geschichten viel zu wörtlich nimmt. Infolgedessen konzentriert sie sich auf die verschiedenen Elemente in den Geschichten, wie etwa die Frage des Timings oder der Entscheidungsfindung, so als wären diese völlig ernst gemeint, und übersieht so deren ironischen Charakter. Abgesehen davon ist es doch ziemlich fraglich, ob Baldes-sari, wenn er wirklich Rat erteilen wollte, ausgerechnet dieses Medium benutzen würde. In gewisser Weise arbeitet van Bruggen ähnlich narrativ, indem sie auch nur willkürliche Assoziationen zu den ein-
179
Canvas- und Foto-Text-Bildern, spricht ohne Frage mehr für die ironische Infragestel-
lung der Regeln als für einen Versuch, selbst welche zu proklamieren.519
Die Analyse der Geschichten ergibt, dass diese in einer ironischen Form die
Funktionsweisen des ‘Betriebssystems Kunst’, aber auch bestimmte Grundfragen
künstlerischer Arbeit thematisieren. Dabei ist bisher deren literarische Form als ‘Pa-
rable’, also als Gleichnis mit seinen in erster Linie religiösen Konnotationen, noch
nicht umfassend betrachtet worden.520 Der thematische Bezug zur Religion besteht
dabei nicht darin, deren feste Glaubenssätze zu transportieren, sondern, wie schon an-
gedeutet, diese in einer ironischen Weise auf die Kunstwelt und ihre offenen oder ver-
steckten Gesetze zu übertragen. Die äußere Form der ‘Parable’ wird letztendlich nicht
übernommen, um Bedeutung zu stabilisieren, sondern um diese zu verunsichern. Bal-
dessari versucht also hier nicht ernsthaft, eine höhere Moral für die Kunstwelt zu ver-
treten, sondern er appropriiert diese Form ironisch. In dieser Appropriation äußert sich
eine seiner postmodernen Strategien: Er versucht nicht die bestehenden Regeln der
Kunstwelt durch andere zu ersetzen, sondern deren universellen Anspruch auf Gültig-
keit zu unterwandern. Die verwendeten Formen und Medien werden ironisch in der
Form des „Pastiche“521 aufgenommen. Diese Subversion dient aber gleichzeitig dazu,
grundlegende Fragen zum Verhältnis von Bild und Text oder zum dokumentarischen
Charakter der Fotografie zu stellen.
Die Auseinandersetzung der Geschichten mit dem ‘Betriebssystem Kunst’ be-
zieht sich nicht nur, wie bereits ausgeführt, auf die modernistische Kunst, sondern
steht auch in einem Spannungsverhältnis zur Conceptual Art und anderen verwandten
Strömungen jener Zeit, wie etwa der Story Art. Van Bruggen stellt fest:
„Written in the midst of the Minimal and Conceptual period of the early 1970s,
zelnen Geschichten benennt, die einem wirklichen Verständnis eher im Weg stehen, anstatt diese einer kritischen Analyse zu unterziehen (vgl. van Bruggen, John Baldessari, S. 70ff). 519 Bei Wrong (Abb. 2) geht es etwa nicht darum, aufstrebenden Fotografen Ratschläge zu erteilen. 520 Van Bruggen stellt vor allem das persönliche Verhältnis Baldessaris zur organisierten Religion her-aus und stellt die Parables außerdem in den Kontext des Zen-Buddhismus (vgl. van Bruggen, John Bal-dessari, S. 75). Diese Verbindung erscheint nicht besonders stringent, weil Baldessari sich schließlich von der Religion abgewendet hat und diese auch sonst in seinem Werk keine Rolle spielt. Für den Ver-weis auf Zen spricht neben dem Zeitgeist allerdings nur, dass auch Zen-Parabeln oft eine gewisse Ab-surdität auszeichnen, die meist auf die Erkenntnis der Nichtigkeit Ichs bezogen ist. Die Verwendung von Gleichnissen, egal ob christlich oder zen-buddhistisch, als Form erfolgt hier offensichtlich in einer ironi-schen Weise, die sich mit einem ernsthaften Interesse an Religion kaum verbinden lässt. 521 Fredric Jameson definiert ‘Pastiche’ als Gegensatz zur Parodie so: „Pastiche is, like parody, the imi-tation of a peculiar or unique style, the wearing of a stylistic mask, speech in a dead language: but it is a neutral practice of such mimicry, without parody’s ulterior motive, without the satirical impulse, without laughter, without that still latent feeling that there exists something normal compared to which what is being imitated is rather comic“ (Jameson, Postmodernism and Consumer Society, in: Ann E. Kaplan (Hg.), Postmodernism, S. 16. Hervorhebungen durch den Autor).
180
these stories strongly emphasize reason over emotion. But, paradoxically, at the same time they undermine traditional linear Western logic.“522
Baldessari bewegt sich mit dieser Serie zweifellos im Kontext der Conceptual Art. Der
Bezugspunkt dieser Arbeiten ist, wie sich gezeigt hat, allerdings kein vager Begriff
von westlicher Logik überhaupt als vielmehr die Kunstwelt und ihre Verfasstheit zu
Beginn der siebziger Jahre.523 Baldessari ist sich dieses Kontextes bewusst und reflek-
tiert über diesen, wie sich in vielen Anspielungen in den Geschichten, aber vor allem
in den thematischen Schwerpunkten, wie etwa Dematerialisierung des Kunstwerkes,
Verhältnis von Text und Bild oder der Rolle der Dokumentation, zeigt. Dabei weist er
auf einige Schwächen der konzeptuellen Kunst im weitesten Sinn hin, z.B. die oft et-
was naiven Vorstellungen von Dematerialisierung524 (vgl. Ingres) oder die fehlende
Infragestellung der institutionellen Regeln und Funktionsweisen des ‘Betriebssystems
Kunst’.525 Baldessaris Ansatz unterscheidet sich gerade im Punkt der ironischen
Selbstaufhebung und der Hybridität sowohl von den trockenen, abstrakt argumentie-
renden Arbeiten der Conceptual Art im engeren Sinn als auch von den Vertretern der
Story Art, die das Mittel der Narration zumeist unreflektiert zum Erzählen von Ge-
schichten einsetzen.526 Von der Conceptual Art unterscheidet ihn hier aber in erster
522 Van Bruggen, John Baldessari, S. 75. 523 Diese westliche Logik besteht im Übrigen aus mehr als dem Kausalprinzip. Es sei denn, man wollte die gesamte Philosophiegeschichte seit Kant nicht dazurechnen. Insbesondere Wittgenstein mit seinen Sprachspielen, aber auch die strukturalistische Linguistik und nicht zuletzt Freud kennen etwas anderes als lineare Logik. 524 Ein Beispiel dafür ist der berühmte Text The Dematerialization of Art von Lucy R. Lippard und John Chandler von 1968, der weder eine Definition des Begriffes leisten kann noch sich vom Modernismus abzusetzen vermag. Auffällig sind auch die positivistischen Tendenzen: „[...] mathematical logic enters into art“ oder „Nominalism and Minimalism have more in common than alliteration“ (Lippard/Chandler, The Dematerialization of Art, in: Alberro/Stimpson (Hg.), Conceptual Art: A Critical Anthology, S. 46). Darin drückt sich der zeitgemäße äußerst positive Bezug zu den Naturwissenschaften aus, folgerichtig kommt auch dieser Text nicht ohne das Modethema ‘Entropie’ aus. Baldessaris Arbeiten bewahren da-gegen immer eine gewisse Distanz zu diesen Modethemen und konzentrieren sich immer auf ihren eige-nen Kontext, nämlich die Kunst selbst (vgl. auch Kap. 3.3.1.). 525 Das Interesse an dieser Frage taucht auch bei anderen Conceptual Art Künstlern auf, wie etwa Art & Language, Kosuth oder Dan Graham, die diese Frage, mit Ausnahme von Graham, allerdings in einer anderen, sich auf die analytische Philosophie beziehenden, Weise untersuchen. 526 Jochimsen unterteilt die Story Art in zwei verschiedene Varianten, von denen eine die Beziehungen zwischen Text und Foto allgemein untersucht (z.B. William Wegman, Robert Cumming oder David Askevold) und die andere persönliche Erfahrungen verarbeitet (Hutchinson, Le Gac und Baldessari) (vgl. Jochimsen, Story-Art, S. 53). Wie dieses Kapitel gezeigt hat, gehört Baldessari eindeutig der ersten Gruppe an, deren Vertreter meist sogar einen geringeren Grad der Selbstreflexion vorweisen. Jochimsen wiederholt diese zweifelhafte Einordnung in ihrem Text für das Kunstforum 1979, wo sie erneut be-hauptet, dass „[...] er [J.B.] häufig der ‘Gegenstand‘ seiner Erzählungen ist“ (Jochimsen, Text-Foto, S. 21). Was Baldessaris Verhältnis zu den anderen Text-Foto-KünstlerInnen angeht, muss man vielleicht nicht so weit gehen wie Georg Jappe, der ihn für den Erfinder der ‘Narrative Art’ hält (vgl. Jappe, ‘Was macht gewöhnliche Ereignisse so unerinnerbar?‘, S. 45), um seine besondere Rolle zu würdigen. Tat-sächlich geht diese Serie den meisten Arbeiten dieser Richtung voraus, gerade auch denen, die seinen am ähnlichsten sind (vgl. z.B. die 1976 entstandene Arbeit von Jean Le Gac ...und der Maler).
181
Linie ein anderer Aspekt: „[...] das Abbild, von der Concept-Art nur noch als Notbe-
helf, als Beleg akzeptiert, bekam hier wieder eine eigenständige Bedeutung untersouff-
liert“.527 Diese Neugewichtung des Bildlichen, die kein Rückfall in einen naiven, vor-
konzeptuellen Zustand darstellt, sondern dessen Neubewertung unter den neuen Be-
dingungen, bestimmt Baldessaris besonderen Zugang zur Kunst.
Baldessaris Spiel mit den Medien und den Regeln der Signifikation ist ein Para-
debeispiel für eine kritische Verwendung postmoderner ‘Cross-over’-Strategien, die
versucht, die Regeln zu hinterfragen und die sich so auch von vielen zeitgenössischen
Ansätzen der Conceptual Art abhebt. Insgesamt gesehen gerät in den Parables nicht
nur die Form des Gleichnisses in ein widersprüchliches Verhältnis zu ihrer Präsentati-
on und zu ihrem Inhalt, sondern darüber hinaus bilden alle anderen Teile der Arbeit ein
Geflecht von Verweisungen, das die Verunsicherung von Bedeutung und Referenz
zum Ziel hat, wie es sich etwa beim Verhältnis von Bild und Text zeigt. Dabei dienen
die scheinbar eindeutige ‘Moral’ und der vordergründig klare Bezug der Texte auf die
Fotos dazu, genau diese Klarheit auf der zweiten Ebene, in der Form eines permanen-
ten Infragestellens der Signifikation, wieder zu verwischen.
4.2.3. A Different Kind of Order (The Thelonious Monk Story) (1972-
73)
A Different Kind of Order (The Thelonious Monk Story) (Abb. 7) ist Teil einer kleinen
Serie aus zwei Arbeiten.528 Sie besteht aus fünf Schwarzweißfotografien und einem
maschinengeschriebenen Text. Die Fotos und der Text sind jeweils im Stil eines Pas-
separtouts in gleich große, schwarze Rahmen eingezogen (je 29,8 x 37,5 cm), die ne-
beneinander auf einer Linie angebracht sind. Die Anordnung des Textes und der Fotos
ist variabel.529
Die auffälligste Eigenschaft dieser Arbeit ist die schiefe Lage der Rahmen. Sie
sind in verschiedenen Winkeln gegen die horizontale Achse gekippt, so dass sie sich in
unterschiedlichen Graden nach rechts oder links neigen, allerdings ohne dass sich ein
527 Jappe, ‘Was macht gewöhnliche Ereignisse so unerinnerbar?’, S. 47. 528 Die zweite Arbeit A New Sense of Order (The Art Teacher’s Story) (Abb. 53) wird weiter unten noch genauer untersucht. 529 In van Bruggens Buch (van Bruggen, John Baldessari, S. 82f.) und dem Katalog zur Ausstellung in Wien 2005 (John Baldessari: A Different Kind of Order (Kat.), S. 197) ist der Text jeweils rechts, wäh-rend er in der Ausstellung in Wien selbst links war.
182
regelmäßiger Eindruck einstellen würde. Die Reihenfolge der einzelnen Bilder ist nicht
festgelegt und deshalb auch in jedem Katalog anders: Bei van Bruggen ergibt sich für
die gesamte Konstellation eine Art Rhythmus aus sich jeweils zugeneigten Bildpaaren,
während beim Wiener Katalog zur Retrospektive 2005 die Reihe durch zwei in die
gleiche Richtung geneigte Rahmen abgeschlossen wird.530
Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die Fotos und auch der Text innerhalb der
Rahmen ihrerseits schief zu deren Achse stehen: Die Rahmen befinden sich also in
Relation zur Wand und die Fotos in Relation zu den Rahmen in einer schiefen Lage.
Der Sinn dieser Doppelung erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Durch sie wer-
den die Fotos und der Text auf einer zweiten Ebene, nämlich in Relation zur Wand
und zu der Linie, auf der sie aufgereiht sind, wieder gerade gerückt. Die auf den ersten
Blick potenzierte Unordnung hebt sich auf diese Weise wieder auf und erzeugt auf
einer neuen Ebene eine neue Form der Ordnung, die sich in ein Spannungsverhältnis
zur ersten Ebene der offensichtlichen Unordnung begibt.
Der Text
Der Text ist mit einer Überschrift versehen, die dem Titel der Arbeit entspricht: A Dif-
ferent Kind of Order (The Thelonious Monk Story).531 Darunter folgt der eigentliche
Text, der eine Anekdote aus dem Leben des Jazzmusikers Thelonious Monk wieder-
gibt:
„There’s a story about Thelonious Monk going around his apartment tilting all the pictures hanging on the wall. It was his idea of teaching his wife a different kind of order. When she saw the pictures askew on the wall she would straighten them. And when Monk saw them straightened on the wall, he would tilt them. Until one day his wife left them hanging on the wall tilted.“
Abgesehen von der Tatsache, dass die Arbeit denselben Titel wie die Anekdote hat,
legt auch der Inhalt der Geschichte nahe, dass sie sich auf die Fotos und deren Präsen-
tation bezieht. Man könnte fast sagen, dass die Arbeit auf den ersten Blick wie eine
530 Vgl. van Bruggen, S. 82f. und A Different Kind of Order (Kat.), S. 197. Laut der Abbildungsliste von Baldessari selbst, ist die Anordnung variable: die Reihenfolge der Bilder in der Wiener Ausstellung selbst und auch die Anordnung im Katalog zur Ausstellung im New Museum in New York 1981 unter-scheidet sich von den anderen (vgl. John Baldessari (Kat.), New York 1981, S. 17). 531 Die Position des Textes rechts oder auch links neben den Bildern, an der Stelle, an der sich sonst meist die Tafel mit dem Namen des Bildes befindet, räumt ihm eine prominente Position ein. Der Text fungiert so entweder wie eine Informationstafel, die sich meistens rechts von Bildern befindet, während im Fall der Positionierung links die im Westen übliche Leserichtung einbezogen ist.
183
Illustration der Anekdote wirkt.532 Bevor diese zentrale Fragestellung näher beleuchtet
werden kann, muss allerdings noch ein genauerer Blick auf die semantischen und for-
malen Aspekte der Anekdote geworfen werden.
Der Begriff Anekdote533 beschreibt den vorliegenden Text zweifellos am besten,
zum einen handelt es sich hier offensichtlich nicht um eine neutrale, sachliche Be-
schreibung, wie man sie von einer Texttafel in einer Kunstausstellung erwarten würde,
sondern um einen kurzen narrativen Text. Zum anderen integriert diese kurze Ge-
schichte viele Elemente, die in Stil und Form an Anekdoten oder Witze erinnern.
Schon der erste Satz, der mit „There’s a story...“ beginnt, nimmt ein typisches Element
auf, nämlich den Bezug auf eine übernommene Geschichte, die hier weitergegeben
wird. Diese ist sehr einfach aufgebaut, kurz und prägnant geschrieben und endet in
einer Art Pointe, die die Geschichte abschließt: „Until one day his wife left them hang-
ing on the wall tilted.“
In diesem Fall basiert die Geschichte auf einer wahren Episode, die Baldessari in
einem Buch über Jazz entdeckt hat. Dort erzählt Nellie, die Frau von Thelonious
Monk, folgende Geschichte:
„[Monk] nailed a clock on the wall at a very slight angle, just enough to make me furious. We argued about it for two hours, but he wouldn’t let me change it. Fi-nally, I got used to it. Now anything can hang at an angle, and it doesn’t bother me at all.“534
Van Bruggen sieht darin Nellies Heilung von ihrer Phobie vor schief hängenden Ge-
genständen.535 Ob hier tatsächlich ein Heilungsprozess beschrieben wird und ob Nellie
wirklich eine solche Phobie hatte, muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Auffäl-
lig aber ist, dass in Baldessaris Version die geschilderte Auseinandersetzung über die
spezifische Situation von Thelonious Monk und seiner Frau hinausgeht und sich mehr
532 Die sich daran anschließende Frage nach dem generellen Verhältnis von Bild und Text wird an späte-rer Stelle noch einmal ausführlicher dargelegt. Hier sei nur noch einmal kurz auf das vorherige Kapitel über die Parables-Serie verwiesen, das die Beziehung der beiden Zeichensysteme, insbesondere der wechselseitigen semantischen Aufladungen von Text und Bild, behandelt. 533 An dieser Stelle soll es allerdings nicht darum gehen, eine detaillierte Analyse der literarischen und sprachlichen Formen vorzunehmen, zumal dies für das Verständnis dieser Arbeit auch nicht nötig ist. Baldessari versucht sich hier schließlich nicht als Dichter, der sich im literarischen Diskurs verorten will, sondern als Künstler, der sich im ästhetischen Kontext befindet. Der Einsatz von Texten geschieht in erster Linie auf eine pragmatische Weise, wenngleich immer mit einer Reflexion des sprachlichen Kontextes. Um diese zu verstehen muss, man allerdings schon zu einem gewissen Grad die sprachlichen und literarischen Elemente der Arbeiten einbeziehen. 534 Nat Hentoff, Jazz Life, New York 1961, reprinted 1978, S. 203, zitiert in: Van Bruggen, S. 81. 535 Vgl. van Bruggen, S. 80-81.
184
in Richtung einer klischeehaften Auseinandersetzung aus dem Alltag einer Ehe entwi-
ckelt.
Baldessari ändert die Geschichte an ein paar wichtigen Stellen etwas ab: Zum
Ersten fügt er einen pädagogischen Unterton ein, zum Zweiten geht es statt um eine
Uhr um alle Bilder und zum Dritten wird aus dem Streit mit einer fest umrissenen
Zeitdauer (two hours) eine nicht näher bestimmte Periode des Machtkampfes. Die
Auflösung in der Pointe besteht schließlich einfach darin, dass die Frau irgendwann
aufgibt. Ob sie das macht, weil sie die Idee einer ‘anderen Art von Ordnung’ verstan-
den hat, oder ob sie es einfach leid war, bleibt völlig offen. Denn die vorhergehende
Auseinandersetzung schien nicht auf einen Kompromiss oder einen Sieg einer der Par-
teien hinauszulaufen. Im Gegenteil scheint die geschilderte Auseinandersetzung
durchaus über Jahre hinweg vorstellbar. Diese Geschichte weist einige typische
Merkmale von Anekdoten auf, erstens handelt es sich um eine „kurze, schmucklose
[...] Erzählung zur scharfen Charakterisierung einer historischen Persönlichkeit
[...]“536. Zweitens muss sich das Geschehen nicht genau so abgespielt haben, weil bei
Anekdoten gilt: „Ihre innere Wahrheit beruht weniger auf der Wirklichkeit als auf der
historischen Möglichkeit.“537 Das bedeutet, dass die vermeintlichen bzw. tatsächlichen
Erlebnisse oder Aussagen etwas über die betreffenden Menschen enthüllen sollen, das
ihre wahre Persönlichkeit deutlich macht.538 Ob für A Different Kind of Order auch die
Musik Monks eine Rolle spielt, wird an späterer Stelle noch zu untersuchen sein.
Die kurze Analyse der Geschichte zeigt auf, dass Baldessari hier die wahre Epi-
sode verallgemeinert und mit einigen Elementen anreichert. Van Bruggen sieht darin
folgenden Kern: „Baldessari emphasizes a patriarchal teacher-student relationship in
which our conditioned sense of order is questioned.“539 Bemerkenswerterweise benutzt
er zur Illustration dieses Verhältnisses ausgerechnet die private Situation in einer Ehe,
die auf diese Weise mit hohen ästhetischen Ansprüchen aufgeladen wird.540 Van
536 Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 71989, S. 31. 537 Ebd. 538 Damit ist allerdings keineswegs deren Authentizität garantiert, vielmehr weist das auf eine der Funk-tionsweisen einer solchen Anekdote hin, die darin besteht, ein gewisses Mindestmaß an Realitätsnähe vorzuweisen, d.h., sie müssen wenigstens einigermaßen dem Bild der Person entsprechen, das sich die öffentliche Meinung von dieser gebildet hat. Denn der Witz dieser Anekdoten besteht darin, dass sie mit den Erwartungen der Zuhörer spielen. 539 Van Bruggen, John Baldessari, S. 81. 540 Diese Konstellation erinnert an bestimmte humoristische Situationen, die den Machtkampf zwischen Mann und Frau karikieren, der oft entlang solcher Linien ausgefochten wird, wobei der Mann stets die Vernunft und das größere Wissen für sich reklamiert, während die Frau die Situation mit ihrer prakti-schen Intelligenz vernünftig lösen kann.
185
Bruggen weist an dieser Stelle darauf hin, dass die Anekdote den herkömmlichen Ord-
nungsbegriff ignoriert und dass Thelonious sich durchsetzt. In der Anekdote gelingt es
Thelonious, seine Vorstellung von Ordnung seiner Frau aufzuzwingen, worin man
durchaus ein patriarchales Lehrer-Schüler Verhältnis sehen kann. Wenn aber, wie van
Bruggen andeutet, unser konditionierter Sinn für Ordnung in Frage gestellt wird, müss-
te das nicht auch die Autorität des Lehrers betreffen? Wenn man den Text in Bezug
zum Rest der Arbeit, also den Fotos in ihren Rahmen, setzt, zeigt sich, dass das Ver-
hältnis von Ordnung und Unordnung und von Monk und seiner Frau wesentlich weni-
ger eindeutig ist, als es zunächst den Anschein hat.
Die Fotos
Die Fotos zeigen Bilder von Naturkatastrophen, die Zerstörungen menschlicher Ord-
nung nach sich ziehen. Das Foto eines quer über den Himmel reichenden Tornados,
mit einem kleinen Haus im Vordergrund rechts, das durch diesen bedroht wird, bildet
eine Ausnahme, weil hier nur das Potenzial von Zerstörung angedeutet wird. Ein Bild
zeigt eine überflutete Straße mit schwer beschädigten Geschäften an der Seite und her-
umschwimmenden Trümmern. Ein weiteres Foto bildet Häuser ab, die wahrscheinlich
auf Grund eines Erdbebens wie durcheinandergewirbelt herumliegen. Die beiden ande-
ren Bilder stellen ein gestrandetes und leckgeschlagenes Boot dar, sowie eine Land-
schaft mit einem umgefallenen Strommast.
Es dürfte sich dabei um Pressefotos handeln, zumindest weisen sie alle eine Ras-
terung auf, wie sie bei Zeitungsfotos üblich ist. Diese ist allerdings bei den verschiede-
nen Fotos unterschiedlich grob, was darauf hinweist, dass die Fotos aus verschiedenen
Quellen stammen. Sie hatten ursprünglich verschiedene Formate und wurden erst
durch Baldessari auf die gleiche Größe gebracht. Die Bilder zeigen Motive, die man
schon unzählige Male gesehen hat. Sie alle verbindet das übergeordnete Thema des
Einbruchs der chaotischen Natur in die geordnete Welt der Zivilisation in der Form
von verschiedenen Naturkatastrophen, von denen Baldessari hier einige Beispiele mehr
oder weniger wahllos, aber doch einen gewissen Querschnitt ergebend, ausgewählt
wurden.541 Dieses Thema wird auf den Fotos durch die Abbildung von entweder be-
541 Es finden sich Katastrophen mit verschiedenen beteiligten Elementen wieder, wie etwa eine Über-schwemmung (Wasser), ein Erdbeben (Erde), ein Tornado (Luft). Bei zwei der Fotos lässt sich kein eindeutiger Bezug erkennen, sie dürften aber Folgen von Stürmen zeigen.
186
reits zerstörten Dingen, wie Häusern, Schiffen oder Masten, oder von solchen, die
durch Zerstörung bedroht sind, dargestellt. Auch die Komposition der Fotos nimmt
dieses Thema auf, indem auf den ersten vier Fotos schrägliegende bzw. schräg zur
Bildachse stehende Häuser und Schiffe gezeigt werden. Nur im Bild mit dem Tornado
ist es die Natur selbst, die schräg steht, und das Haus am Bildrand ist – noch zumindest
– unversehrt.
Der Bezug der Fotos zu der Geschichte ist weniger eindeutig, als man zunächst
vermuten könnte. Die Bilder illustrieren zwar den Inhalt der Geschichte in gewisser
Hinsicht, allerdings nicht im Sinn einer Abbildung, denn sie zeigen weder die Prota-
gonistInnen, noch sind sie mit ziemlicher Sicherheit mit den Bildern an den Wänden
der Wohnung identisch, um die es in der Geschichte geht,542 obwohl die Präsentation
der Pressefotos als Passepartouts in einem Bilderrahmen diese aus ihrem herkömmli-
chen Kontext heraushebt. Die formale Präsentation bezieht sich auf die Situation in der
Geschichte, indem sie durch die Rahmung das Aussehen eines gewöhnlichen Wand-
schmucks aufgreift, wenn auch gebrochen durch die Schräglage. Die Motive, eben
wegen ihrer Herkunft aus einem ganz anderen Kontext, und ihre Präsentation geraten
so in einen Widerspruch, der sich einer eindeutigen Auflösung versperrt.
Neben diesem Bezug der Anekdote zu den Fotos und ihrer Präsentation auf der
formalen Ebene findet sich auch auf der inhaltlichen Ebene ein eindeutiger Verweis
auf das Thema von A Different Kind of Order. Der inhaltliche Bezug ergibt sich nicht
in der Form einer Illustration, sondern metaphorisch durch die Motive der Unordnung.
Das so erzeugte Bedeutungsfeld, in dem sich diese Bezüge verorten lassen, bleibt aber
offen für verschiedene Konnotationen und Verweisungsverhältnisse. Die Bilder kon-
textualisieren in einem doppelten in sich widersprüchlichen Sinn die Geschichte, in-
dem sie bestimmte Elemente aus der Anekdote aufgreifen, diese aber gleichzeitig wie-
der unterlaufen.
542 Obwohl es sich nicht mit Sicherheit ausschließen lässt, dass es sich um die gleichen Bilder handelt, kann man doch davon ausgehen, dass wahrscheinlich andere Bilder gemeint sind, denn diese wären ein recht eigenwilliger Wandschmuck. In diesem Zusammenhang wäre auch eine andere Form der Präsenta-tion möglich gewesen, eine Art Installation, die die Situation in der Wohnung nachstellt, die also eine Spiegelung des räumlichen Kontextes vornähme, mit den Reproduktionen der tatsächlichen Bilder oder solcher, die man zumindest dafür halten könnte.
187
Die Dialektik der Ordnungssysteme
Bezieht man jetzt den Text auf die Fotos und die Art, wie sie angebracht sind, also auf
die Arbeit als Ganzes, so scheint diese die Pointe der Geschichte wieder aufzunehmen,
indem sie den Sieg der Unordnung über die Ordnung zeigt – und damit den Sieg von
Thelonious über seine Frau.543 Schließlich stehen die Rahmen jetzt schräg, wodurch
nahelegt wird, dass sie das Resultat des Streits zwischen Thelonious Monk und seiner
Frau dokumentieren. Außerdem fügen sich die Bilder durch die Motivwahl vorder-
gründig perfekt in den vermeintlichen Sieg der Unordnung ein. Zwar wird so der Aus-
gangspunkt im Kontext der Geschichte deutlich gemacht, in dem sich die Bilder bewe-
gen, die nähere Betrachtung der Relation zwischen den Rahmen und den Fotos bzw.
dem Text zeigt allerdings, dass dies auf einer höheren Ebene wieder aufgehoben wird.
Auf diese Weise kehrt die Ordnung in einer anderen Form wieder zurück.544 Die Fotos
stehen also im Zentrum eines anderen Ordnungsprinzips (A Different Kind of Order),
das nur sie und nicht ihre Rahmen erfasst. Dieses Ordnungssystem ist jedoch nur mög-
lich, indem es durch sein Gegenteil vermittelt wird, denn in Relation zu den Rahmen
sind die Fotos und der Text selbst immer noch verschoben, und ihre Ordnung ist nur
durch die Unordnung auf der Ebene der Rahmen möglich.
Obwohl auch die Motive der Fotos Bilder der Zerstörung und der Unordnung
zeigen, ist ihr Verhältnis zu dieser Dialektik der Ordnung weniger eindeutig, als es
scheint. Zum einen sind Fotos immer schon in ein Ordnungssystem eingebunden, ins-
besondere diese Art von Pressefotos bewegt sich in einem klaren Bedeutungsrah-
men.545 Zum anderen zeitigt Baldessaris Auswahl der Motive selbst ein Interesse an
543 Mit dieser Zuschreibung scheinen die gewöhnlichen Geschlechterrollen zum Teil wenigstens umge-kehrt, steht doch traditionell der Mann für die Ordnung und die Zivilisation und die Frau für die Unord-nung und Natur. Andererseits zeichnen sich viele andere Elemente der Anekdote durch eine Bestätigung der Rollenklischees aus, wie etwa die Frage der Rollenverteilung im Haus. Dass die Frau dort für die Ordnung zuständig ist, entspricht schließlich voll und ganz den Erwartungen. 544 Im Kontext der Anekdote müsste man also annehmen, dass Mrs. Monk die Vorstellungen ihres Gat-ten dadurch gekontert hat, dass sie auf eine andere Ebene ausgewichen ist oder dass es sich um den Kompromissvorschlag des Künstlers selbst handelt. 545 Marcia Tucker verweist in ihrem Beitrag zum Katalog der Ausstellung im New Museum 1981 (John Baldessari (Kat.), New York 1981, S. 16) auf folgendes Zitat von Barthes zum Thema Pressefoto: „[...] so ist die traumatische Fotografie (Brände, Schiffbrüche, Katastrophen, gewaltsame Tode ‘aus dem wirklichen Leben’) diejenige, über die es nichts zu sagen gibt: [...] Keinerlei Wert, keinerlei Wissen, äußerstenfalls nicht einmal verbale Kategorisierung, können auf den institutionellen Prozeß der Bedeu-tung einwirken“ (Barthes, Die Fotografie als Botschaft, in: Ders., Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, S. 26). Die hier gezeigten Katastrophenfotos zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie gerade nicht in einer traumatischen Weise aufrüttelnd sind und so keine Konnotationen zulassen. Wie gezeigt ist eher das Gegenteil der Fall. Auch diese Art Fotos entstammt einem eigenen Kontext, der sich durch seinen eigenen speziellen Code auszeichnet, der hier von Baldessari allerdings konterkariert wird,
188
der Ordnung der Welt nach rationalen Grundsätzen, indem er hier verschiedene Typen
von Naturgewalt ausgesucht hat und somit einer Logik der Kartographierung und der
Taxinomie folgt, die man z.B. aus Schulbüchern kennt. Auf diese Weise setzen die
Fotos einen Kontrapunkt und greifen die Dialektik der Ordnung auf der Ebene der fo-
tografischen Zeichensemantik wieder auf.
Das prägende Element dieser Arbeit ist also ihre Dialektik der (Un-)Ordnung,
die durchaus in einem ganz emphatischen Sinn zu verstehen ist, denn die These der
Ordnung verbindet sich mit der Antithese der Unordnung zu der Synthese einer Ord-
nung der nächsten Stufe, eben: A Different Kind of Order. Diese existiert nur durch die
doppelte Unordnung – der schiefen Rahmen und der schiefen Bilder darin – und über-
schreitet diese doch. Sie wird zu einer sich selbst reflektierenden Ordnung, die ihre
Herleitung aus der Unordnung nicht leugnet, sondern offenlegt und ihren Entstehungs-
prozess deutlich macht. Auf diese Weise bleibt sie auch dynamisch, alternierend und
lässt sich nicht eindeutig festlegen. Damit einher geht eine Verfeinerung der Ästhetik,
die sich in genau diesem Prozess ausdrückt, nämlich der Vermeidung der einfachen
Ordnung zugunsten einer komplexeren, die sich auf einer höheren, dialektischen Ebe-
ne entfaltet und die selbstreflektierend vorgeht. In einem Katalogtext heißt es dazu,
bezogen auf Baldessaris Auffassung von den Bedingungen des künstlerischen Arbei-
tens überhaupt:
„A travers ces travaux, John Baldessari nous offre sa vision du naturel de l’activité artistique sous forme de parabole: la volonté d’exprimer un équilibre instable – tant au niveau du contenu que de la forme – dans deux domaines qui, pour lui, sont indissociables: la création et la perception.“546
Die Frage ist allerdings, ob das Resultat tatsächlich in ein instabiles Gleichgewicht
mündet, wie in dem Zitat nahegelegt wird, oder ob nicht die Vorstellung einer gewis-
sermaßen offenen dialektischen Beziehung die Arbeit besser beschreibt. Richtig ist in
jedem Fall der Hinweis, dass sich dieses instabile Gleichgewicht sowohl auf der Ebene
der Form als auch des Inhalts einstellt.547
indem die ursprüngliche Denotation der Bilder im Kontext des Textes bzw. der Arbeit als Ganzen mit immer neuen Konnotationen angereichert wird. So werden die ‘traumatischen’ Bilder zu Metaphern für Kunst und Ordnung, die sich mit Wert und Wissen gewissermaßen anreichern. 546 Guadalupe Echevarria Vincente Todoli, Un ordre différent: l’histoire de John Baldessari, in: Ni Por ésas / Not Even So. John Baldessari (Kat.), Centro de Arte Reina Sofia Madrid und capc Museé d’art contemporain de Bordeaux 1989, S. 11. 547 Ein weiterer wichtiger Aspekt, der in diesem Zitat angesprochen wird, ist der Verweis auf die Para-bel, der im vorhergehenden Kapitel bereits eingehend analysiert wurde.
189
Die Vorstellung einer Dialektik der Unordnung verweist noch auf einen weiteren
semantischen Bezug zu der Anekdote, und zwar in Relation zur Musik von Thelonious
Monk selbst, die mit ähnlichen Elementen, dem Verbergen einer höheren Ordnung
hinter einer Schicht der scheinbaren Unordnung, arbeitet. In einem Jazzlexikon heißt
es dazu: „Sein technisch wenig anspruchsvolles Klavierspiel folgt einer diskontinuier-
lichen Konzeption und schließt melodisch-rhythmische Überraschungseffekte nicht
aus.“548 Zurückbezogen auf die Arbeit Baldessaris könnte man das Zitat wie folgt pa-
raphrasieren: „Sein technisch [scheinbar] wenig anspruchsvolles“ Arrangement, „folgt
einer diskontinuierlichen“ – sprich: keiner einheitlichen Ordnung unterworfenen –
„Konzeption“, und es stellt sich in der Form der Ordnung auf der Ebene der Fotos ein
„melodisch-rhythmischer“ – sprich ästhetischer – „Überraschungseffekt“ ein.549
Abschließend noch ein Wort zum Verhältnis von Bildern und Text: Die Bilder
illustrieren die Geschichte nicht in einem strengen Sinn, sondern die Geschichte dient
als Ausgangspunkt zu der oben erläuterten Reflexion über Ordnung und Unordnung.
Obwohl ein klares Verweisungsverhältnis zwischen dem Text und den Fotos nicht
gegeben ist, lässt uns die Kombination und die Art und Weise der Präsentation kaum
eine andere Wahl, als beide aufeinander zu beziehen. Dazu trägt selbstredend auch die
Tatsache bei, dass es sich um Pressefotos handelt, die im gewöhnlichen Kontext im-
mer mit einem Text versehen werden. Erst im fruchtlosen Versuch, die verschiedenen
Ebenen der Ordnung und Unordnung und deren wechselseitige Abhängigkeit zu
durchschauen, wird deutlich, dass es auch im Verhältnis zwischen dem Text als Erzäh-
lung und der Arbeit als Ganzem um die Idee der Ordnung geht.
Baldessari bezieht dabei sehr verschiedene Aspekte dieser Idee ein, die über den
ursprünglichen Rahmen der Geschichte hinausgehen. In ihr geht es darum, dass mit
einer anderen Ordnung – der unordentlichen Aufhängung der Bilder – die gewohnte
Sichtweise auf die Dinge aufgebrochen werden soll. Die Fotomotive stehen für den
Gegensatz von menschlicher Ordnung und chaotischer Natur, wobei Baldessari durch
die Verwendung von unkünstlerischen Pressefotos auch mit der ästhetischen Ordnung
bricht. In der Präsentation greift er die Geschichte auf, aber nur als Ausgangspunkt für
sein dialektisches Spiel von Ordnung und Unordnung, dessen Synthese darin besteht,
diese Spannung in keiner Richtung aufzulösen. Das dialektische Spiel wird im Ver-
548 Carlo Bohländer und Karl Heinz Holler (Hg.), Reclams Jazzführer, Stuttgart 1970, S. 462. 549 Diese Übereinstimmung ist zunächst einmal oberflächlicher Natur. Die genaue Untersuchung des Verhältnisses von Ordnung und Unordnung in der Musik Monks würde eine interdisziplinäre Herange-hensweise erfordern, die den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde.
190
hältnis zwischen dem Text (der Erzählung) und der Arbeit als Ganzem perpetuiert:
Auch die Arbeit steht in einem Spannungsverhältnis zu der Geschichte, die sie gleich-
zeitig illustriert und in Frage stellt, was dadurch unterstrichen wird, dass der Text
selbst auch schräg in seinem Rahmen steht, er also auch in das Spiel der Ordnungssys-
teme einbezogen wird. Dieses Spiel durchzieht alle Ebenen der Arbeit, und es stellt
durch den Kunstkontext, in dem es sich bewegt, insgesamt gesehen eine Kritik der
traditionellen ästhetischen Bildordnung her, der hier ein alternativer Entwurf gegen-
übergestellt wird.
Marcia Tucker behauptet, dass in dieser Arbeit „the visual aspect is seemingly
semantic, the verbal seemingly esthetic, reversing the usual procedure and bringing the
two into collision“.550 Dem muss man entgegenhalten, dass beide Elemente sowohl
semantisch als auch ästhetisch aufgeladen sind und sich die Arbeit durch ihre Durch-
dringung und nicht durch ihre Kollision auszeichnet. Der Text ist der Ausgangspunkt
für die Arbeit, er setzt den Kontext, in dem sich die Bilder bewegen und durch den sie
interpretiert werden sollen. Die Bilder werden auf diese Weise mit Konnotationen auf-
geladen, sie erweisen sich als abhängig vom Kontext. Auf der anderen Seite ist es aber
auch der Text, der durch die Präsentation und Auswahl der Fotos einen Überschuss an
Bedeutung erhält. Der wechselseitigen Abhängigkeit von Text und Bild entspricht die
Ambivalenz in der Frage der Ordnung und Unordnung, die die Arbeit ironisch offen-
lässt, natürlich nicht ohne doch einen eigenen Weg der neuen Ordnung anzudeuten, der
sich durch die Unordnung auf überraschende Weise vollzieht und so zeigt, dass sich
beide gegenseitig bedingen. Auf diese Weise wird das Verhältnis zwischen Text und
Bild im Allgemeinen thematisiert. Darüber hinaus überschreitet die Arbeit als Ganzes,
also die Fotos, die Rahmen und die Art und Weise, wie sich beide zueinander verhal-
ten, das Bedeutungsfeld des Textes. Baldessari gelingt es so, die angesprochene Dia-
lektik der Ordnung, die sich in der Synthese der Ordnung der höheren Ebene aufgeho-
ben hat, in der Schwebe zu halten und eine Ambivalenz der Bedeutung zu erzeugen,
die sich nicht völlig auflösen lässt.
550 Tucker, in: John Baldessari (Kat.), New York 1981, S. 16. Obwohl Tucker sich hier eigentlich auf die zweite Arbeit A New Sense of Order (The Art Teacher’s Story) (Abb. 53.) bezieht, lässt sich dieses Zitat auch auf die hier diskutierte Thelonious Monk Story übertragen, die den gleichen Grundaufbau und eine ähnliche Bildauswahl zeigt.
191
A New Sense of Order (The Art Teacher’s Story)
Eine Ambivalenz der Bedeutung findet sich, mit einer gewissen Akzentverschiebung,
auch in der zweiten Arbeit dieser Serie wieder, deren Grundprinzip der ersten sehr
ähnlich ist. A New Sense of Order (The Art Teacher’s Story) (Abb. 53) besteht eben-
falls aus fünf Fotos, deren Reihenfolge nicht vorgegeben ist, und einem Text (jeweils
25,4 x 16,5 cm gerahmt). Beide sind nebeneinander angebracht. Die formalen Unter-
schiede zur ersten Arbeit zeigen sich an mehreren Punkten: Erstens befindet sich der
Text an der dritten Position und nicht am Rand, zweitens handelt es sich um hochfor-
matige Fotos und drittens ist das Verhältnis von Fotos, Text und Rahmen ein ande-
res.551 Dieser letzte Punkt ist besonders hervorzuheben: Die Fotos und der Text sind in
den Rahmen nur wenig aus der Achse gekippt, dafür hängen, anders als bei A Different
Kind of Order, die Rahmen im Verhältnis zueinander und zur Wand gerade. Außerdem
sind die Fotos auf einem leicht gelblichen Hintergrund angebracht.
Die Motive entstammen wieder derselben Kategorie, es handelt sich um Presse-
fotos von Naturkatastrophen, die über die menschliche Ordnung hereinbrechen: ein
Erdrutsch, ein Tornado, ein Sturm in einem Ort, eine Überschwemmung und ein Blitz-
schlag vor der Kulisse einer Großstadt. Alle Fotos betonen dem Hochformat entspre-
chend die Vertikale. Der dazugehörige Text lautet:
„A friend of mine who taught painting had all his students stand on one foot (in front of their easels) while painting. He believed that if the student was physi-cally off balance a new sense of order would emerge in their work.“
Es drängt sich hier wieder die Frage nach dem Verhältnis der Bilder zur Geschichte
auf, das weniger eindeutig zu sein scheint als bei A Different Kind of Order, obwohl
die Grundbedingungen in beiden Arbeiten gleich sind. Baldessari forciert jeweils eine
bestimmte Form der Unordnung, um eine neue Ordnung zu erzeugen, und die Fotos
spiegeln bzw. kontrastieren dies auf mehreren Ebenen. Bezieht man zunächst auf einer
unmittelbaren Ebene des Sinnbezugs Bilder und Text aufeinander, könnte man die
leicht verschobenen Fotos als Ausdruck der Bewegung des Schwankens interpretieren,
die entsteht, wenn man versucht, sein Gleichgewicht auf einem Bein zu halten. Damit
hätten wir es mit einer Verbildlichung des Ratschlages aus der Geschichte zu tun. Wir
551 In der Retrospektive A Different Kind of Order in Wien 2005 befand sich der Text allerdings links von den Bildern.
192
könnten uns also in die Haut der SchülerInnen versetzen, die vor ihren Leinwänden um
die Balance ringen.
Wie schon in der ersten Anekdote wird diese erste Konnotation einerseits nahe-
gelegt und andererseits gleichzeitig in Frage gestellt, denn wären die Bilder, also die
Fotos und die Rahmen, als Illustrationen in diesem Sinn gemeint, so dürften sie keine
Fotos sein, denn in der Geschichte geht es um Malerei.552 Außerdem macht es bei Fo-
tos keinen Unterschied für die Aufnahme, ob man auf einem oder zwei Beinen steht,
das Resultat ist immer eine Abbildung der Wirklichkeit. Je nach Belichtungszeit könn-
te das Foto zwar verwackelt oder schief sein, aber nur in Relation zum Raum im Bild
und nicht zum Rahmen. Die Fotos sind folglich erst beim Einfügen in die Rahmen aus
ihrer Ordnung gerissen worden, sie werden hier wie ‘Objets trouvés’ behandelt, d.h.
als Rohmaterial, das aus seinem ursprünglichen Kontext gerissen wurde und jetzt mit
dem neuen Kontext kollidiert. Der Zusammenhang zwischen Bildern und Geschichte
wird auf diese Weise gleichzeitig suggeriert und durch den allzu offensichtlichen Wi-
derspruch wieder dementiert. Die Bilder funktionieren wie eine Karikatur der Ge-
schichte, die auf einer sehr grundlegenden Ebene wörtlich genommen wird, nur um sie
auf der nächsten Ebene ins Absurde zu wenden.
Die Absurdität der Art Teacher’s Story steckt schon in der Geschichte selbst,
wenn man sie im Hinblick auf die Möglichkeit ihrer tatsächlichen Verwirklichung be-
trachtet. Denn wie anders könnte das Resultat dieser Malklasse aussehen als ein Fias-
ko? Wie sollten die StudentInnen auch nur einen geraden Strich auf die Leinwand set-
zen können? Aus dieser Unklarheit bezieht Thomas Lawson folgende Einsicht:
„Neither element quite adds up, but together they represent a play of sorts, a game about the self-engrossed pointlessness of the game itself. The piece works as an allegory of meaninglessness.“553
Abgesehen davon, dass der Begriff Allegorie wohl gar nicht so falsch ist, wenn man
sich an die Serie der Parables erinnert, macht Lawson hier den Fehler, aus der vorder-
gründigen Absurdität auf eine tiefere Sinnlosigkeit zu schließen. Dabei geht er von
einer richtigen Grundannahme aus, die er wie folgt formuliert:
„They [Baldessaris Geschichten] purport to tell us something, a story, a joke, a riddle, but actually tell us something else. The jokes and stories never quite co-here; they lack a defining moment. [...] Rather they are about the difficulty of
552 Baldessari hätte auch Gemälde herstellen und zu diesem Text präsentieren können, dann wäre er der Geschichte sehr viel treuer gewesen. Dass er dies nicht tat, liegt sicherlich nicht daran, dass er die Mühe scheute, sondern ist Absicht und muss in die Analyse einbezogen werden. 553 Thomas Lawson, The Theatre of the Mind: John Baldessari, in: Parkett (Zürich), Nr. 29, 1991, S. 42.
193
getting art to mean anything useful.“554
Lawson ist zuzustimmen, wenn er dieses Fehlen des definitorischen Moments konsta-
tiert, allerdings fängt damit die Bedeutung der Arbeiten Baldessaris gerade erst an.
Hinter diesem humoristischen Effekt versteckt sich eine tiefere Logik, die in einer
ganz anderen Richtung zu suchen ist als in der Frage der ‘Nützlichkeit’ der Kunst, die
für seine Arbeit hingegen keine Rolle spielt.555 Die Logik bezieht sich auf das Verhält-
nis von Ordnung und Chaos und damit auch auf die Möglichkeit von Kunst überhaupt.
Die scheinbar widersinnige Übung des Balancierens auf einem Bein vor der Staf-
felei hat durchaus einen Sinn. Einerseits wird die Konzentration der StudentInnen vom
Malen abgezogen, um zu verhindern, dass sie zu intentional arbeiten, zu viel an das
Malen denken. Andererseits werden sie so auch mehr mit ihrer eigenen Körperlichkeit
beim Malen konfrontiert und werden sich dieses Elements bewusst. Beide Möglichkei-
ten dienen in erster Linie dazu, die Fallstricke der Konventionalität zu umgehen.
Das widersprüchliche Verhältnis von Geschichte und Bildern demonstriert, wie
Baldessari mit diesen Ideen spielt. Die Verwendung der Fotografie sprengt den durch
die Geschichte vorgegebenen Rahmen in zweifacher Weise. Zum einen geht es in der
Geschichte schließlich um eine Malklasse, aber anstelle von gemalten Bildern werden
Fotos präsentiert. Diese sind zum anderen bezeichnenderweise gefundene Fotos. Da-
mit wird der mediale Rahmen erweitert, mehr noch, die Arbeit erhält, wie bereits erör-
tert, eine ganz andere Stoßrichtung. Auch was die Verortung von A New Sense of Or-
der (The Art Teacher’s Story) im Rahmen der Kunst insgesamt angeht, erhält der Ver-
such, einen neuen Sinn für Ordnung einzuführen, eine ganz andere Bedeutung. Durch
die Verwendung der Fotografie wird die klassische Ordnung der Malerei insgesamt in
Frage gestellt.
Die beiden Arbeiten im Zusammenhang
Vergleicht man schließlich, wie sich Baldessari mit dem Thema Ordnung und Chaos in
beiden Arbeiten auseinandersetzt, kann man feststellen, dass beide unterschiedliche
Facetten betonen und sich aus ihrem Verhältnis wiederum eine Erweiterung der Be-
554 Ebd., S. 41. 555 Der Begriff der Nützlichkeit erscheint nicht angemessen, denn was soll ein Kunstwerk nützlich ma-chen, wenn seine grundlegende Definition doch gerade darin besteht, sich einer unmittelbaren Nutzbar-machung zu entziehen?
194
deutung ergibt. Die Dialektik wird auf eine jeweils unterschiedliche Weise aufgelöst.
In der Thelonious Monk Story ergibt sich eine andere Art der Ordnung, indem sich auf
der Ebene der Bilder zwei Formen der Unordnung dialektisch aufheben. Damit wird
gleichzeitig das Verhältnis von Geschichte und Bildern, ebenso wie das von Motiven
und Geschichte, in ein Verweisungsgeflecht eingebunden, das sich nicht auflösen lässt.
Diese andere Art der Ordnung ist sich also ihrer Herkunft aus der Unordnung bewusst
und steht für eine selbstreflexive Offenheit.
Der neue Sinn der Ordnung in der Art Teacher’s Story hingegen löst sich nicht in
einer Synthese auf, sondern verweist auf die Idee, dass der Ästhetik eine bestimmte
Form der Unordnung zugrundeliegt. Bei beiden Arbeiten werden die medialen Ebenen
gegeneinander ausgespielt. Denn so wie die Fotos in den Rahmen verschoben sind, so
sind auch die Bilder im Verhältnis zu den Geschichten ‘verschoben’. Sie bewegen sich
offensichtlich im Rahmen der Geschichte, aber gehen doch nicht in dieser auf.
Beide Arbeiten verweisen aufeinander, während sie jeweils das Verhältnis von
Ordnung und Chaos neu bestimmen. Damit greifen sie auf einer Metaebene wiederum
die Problematik auf, die jede für sich bereits prägt. Auf diese Weise wird aber gleich-
zeitig deutlich gemacht, dass sich das Verhältnis nicht ohne weiteres in eine Richtung
auflösen lässt. Die verschiedenen Elemente werden jeweils auf eine neue Art kombi-
niert und mit neuer Bedeutung aufgeladen. In beiden Arbeiten geht es offensichtlich
darum, wie sich die Kunst in diesem Feld bewegt. Die Thelonious Monk Story greift
dabei die Seite der Präsentation auf, also die Frage, wie Bilder aufgehängt werden und
wie sich der Kontext auf sie auswirkt. Auf der anderen Seite steht die Art Teacher’s
Story, in der der Schwerpunkt auf der Seite des Schaffensprozesses liegt, was sich
nicht zuletzt auch daran zeigt, dass hier von einem neuen Sinn (‘sense’) die Rede ist,
womit die für Baldessari typische Doppeldeutigkeit ins Spiel kommt, denn ‘sense’ im
Englischen ist wie Sinn im Deutschen sowohl das subjektive Empfinden als auch die
objektive Logik.
In den beiden Kontexten ist die Betonung jeweils leicht unterschiedlich, die Ar-
beiten stehen also ähnlich schief zueinander wie die Fotos zu den Rahmen oder die
Arbeiten zu der Geschichte. Auf diese Weise wiederholt sich das Grundmotiv auf allen
Bedeutungsebenen und wird so bestätigt: Die ‘andere Art der Ordnung’ ersetzt nicht
einfach die alte, sondern zeichnet sich durch ihren offenen Charakter aus, ist damit
kontextabhängig und entzieht sich einer einfachen Auflösung.
195
Baldessaris Verwendung von gefundenen medialen Bildern verweist ein weiteres
Mal auf die Kritik der klassischen Rolle der KünstlerInnen als AutorInnen.556 Sein
Verzicht auf die klassische Funktion der künstlerischen Autorschaft, Bilder herzustel-
len, indem er sich auf bereits gemachte Bilder stützt, verortet ihn im Kontext der
postmodernen Kritik an der Rolle des Autors, wie sie etwa Barthes in seinem berühm-
ten Aufsatz über den Tod des Autors darlegt. Die Überlegungen, die Barthes hier an-
lässlich von Texten anstellt, lassen sich auch auf die Thelonious Monk Story übertra-
gen:
„[...] a text is not a line of words releasing a single ‘theological’ meaning (the ‘message’ of the author-God) but a multi-dimensional space in which a variety of writings, none of them original, blend and clash. The text is a tissue of quotations drawn from innumerable centres of culture.“557
Baldessari greift hier ebenfalls auf eine Vielzahl von Quellen zurück, er beginnt mit
einer übernommenen Anekdote, die er mit gefundenen medialen Bildern illustriert, um
so einen neuen Kontext herzustellen, der all diese Bezüge bewusst integriert. Der
Künstler arbeitet hier wie ein Sammler, der schon vorhandene Dinge neu ordnet und
nicht vorgibt, Kunstwerke aus dem Nichts zu erschaffen, sondern sich seines Kontex-
tes bewusst ist. Die Bilder funktionieren in dem gleichen Modus wie Barthes’ Texte,
sie verlagern das Gewicht vom Autor-Künstler zum Betrachter-Leser und sind in ei-
nem Netz von Verweisen gefangen. Die neue Art von Ordnung entsteht folgerichtig
aus einem ironischen Spiel mit der schon existierenden Ordnung, deren Geltung hin-
terfragt wird.
Für Baldessari kann es diese neue Art von Ordnung nur geben, wenn die Ebene
der traditionellen Medien, also Leinwand und Farbe, verlassen wird, sonst bleibt der
Versuch absurd und die Kunst in ihren Konventionen gefangen. An die Stelle der tra-
ditionellen Bildordnung tritt in der Thelonious Monk Story die Idee einer Dialektik von
Ordnung und Unordnung, die durch das Brechen der herkömmlichen Ordnung auf vie-
len verschiedenen Ebenen – nicht zuletzt auch auf der der Medien – gekennzeichnet
ist. Ziel ist für ihn ganz im Sinne der Titel, eine andere Art der Ordnung zu finden, die
auf einer selbstreflexiven Befragung der Kunst basiert und die die Möglichkeit bereit-
stellt, die Ästhetik dadurch zu erweitern. Darin besteht auch der Gegensatz zu der mo-
dernistischen Lösung dieser Frage der Ordnung, deren Grenzen durch die Selbstbe-
556 Zur Kritik des modernen Bildes und des scheinbar autonom aus sich heraus schaffenden Autors siehe Kapitel 4.1.2. zu den Commissioned Paintings. 557 Barthes, Death of the Author, in: Image - Music - Text, S. 146.
196
schränkung auf ihre Medien eng gesteckt sind. Baldessaris postmoderne Antwort be-
steht darin, die vorhandene ästhetische Ordnung in Frage zu stellen, indem die Bilder,
die uns täglich umgeben, zu Motiven werden. Die Kunst wird so zur Welt, in der wir
uns bewegen, in Beziehung gesetzt, ohne in dieser aufzugehen, während zugleich, in
einer Doppelbewegung, genau diese Bilder und ihr Verhältnis zur Sprache ganz allge-
mein einer Kritik unterzogen werden.
4.2.4. Throwing Balls in the Air (Best of 36 Tries) (1972-73)
Baldessari arbeitet in der Throwing Balls in the Air-Serie wieder, wie schon bei den
anderen Beispielen, in der Form einer Serie, die aus verschiedenen Variationen des
gleichen Grundschemas besteht. Die einzelnen Arbeiten bestehen aus mehreren farbi-
gen Fotos, die orangerote Bälle vor einem blauen Himmel als Hintergrund zeigen.
Obwohl hier im Gegensatz zu den anderen Arbeiten558 nicht zusätzlich zum Titel ein
weiterer begleitender Text mit den Fotos geliefert wird, lässt sich das Grundprinzip
anhand des Titels und der Fotos sofort erschließen. Bei allen geht es darum, durch das
In-die-Luft-Werfen einer variablen Anzahl von orangeroten Bällen (3 oder 4), be-
stimmte geometrische, zweidimensionale Formationen (gerade Linien, gleichschenke-
lige Dreiecke oder Quadrate) herzustellen. Der Titel gibt den Rahmen vor, er setzt die
an sich relativ wahllos angeordneten Bälle in Relation zu einem idealen, nur gedachten
Muster. Das Vorgehen insgesamt erinnert an ein Experiment, zumal zusätzlich noch
die Herstellungsbedingungen offengelegt werden: Als Resultat präsentiert werden nach
eigenen Angaben die jeweils besten Versuche, deren Gesamtzahl mit 36 angegeben
wird.
Die Zusammenstellung der Fotos erfolgt nach keinem festen Muster, bei Thro-
wing Four Balls in the Air to Get a Square (Abb. 8)559 etwa werden die acht Bilder in
zwei Viererreihen nebeneinanderstehend präsentiert. Die Position der einzelnen Fotos
innerhalb dieses Musters ist nicht durch den Künstler vorgegeben, sie unterscheidet
sich von Katalog zu Katalog und auch beim Katalog und der Präsentation in der Aus-
558 Gemeint sind die Parables-Serie und die Arbeit A Different Kind of Order, die bereits diskutiert wurden. 559 Acht Farbfotos auf Karton kaschiert, gerahmt je 24,1 x 35 cm (1972-73).
197
stellung.560 Es existiert aber auch eine Version in der Form eines Künstlerbuchs
(Throwing Three Balls in the Air to Get a Straight Line), in der die einzelnen Bilder, in
diesem Fall sind es zwölf, jeweils eine Seite einnehmen.561
Die Analyse der Serie anhand einiger Beispiele
Beim ersten Beispiel Throwing Four Balls in the Air to Get a Straight Line (Best of 36
Tries) (Abb. 54)562 gibt es nur vier Fotos, die allesamt ausschließlich die Bälle und den
blauen Himmel zeigen. In allen sind diese in einer mehr oder weniger geraden Linie
aufgereiht. Im Foto ganz links befinden sich die Bälle in der Mitte der oberen Bildhälf-
te ziemlich eng beieinander und bilden einen angenäherten Kreisausschnitt, der nach
links offen ist. Rechts daneben findet sich an der gleichen Stelle im Foto eine ähnliche
Form, allerdings weniger stark gekrümmt, zur anderen Seite hin offen und mit etwas
größeren Abständen zwischen den Bällen. Das nächste Foto zeigt diese noch weiter
gestreut, so dass sie sich fast quer über das ganze Foto erstrecken, aber dafür mit nur
einer leichten Krümmung nach rechts. Ganz rechts sind die Bälle in Richtung des rech-
ten Bildrands verschoben und liegen so eng beieinander, dass sie sich teils überlappen.
Dafür bilden sie eine fast gerade Linie. Betrachtet man die Fotos als Abfolge, so könn-
te man den Eindruck gewinnen, dass sich hier eine Entwicklung vollzieht, von krumm
zu gerade.563
Die Fotos sind durch eine reduzierte, aber doch klare Ästhetik geprägt, die ihre
Kraft dem Farbkontrast zwischen den orangeroten Bällen und dem tiefblauen Himmel
Kaliforniens verdankt. Die Farbe des Himmels deutet darauf hin, dass Baldessari bei
der Aufnahme dieser Fotos keine Filter, wie sie in der professionellen Fotografie üb-
lich sind, verwendet hat. Dieser Verzicht lässt sich auf zwei Gründe zurückführen,
zum einen wird so der Kontrast zwischen den Bällen und dem Himmel verstärkt, zum
anderen folgt dies der Logik der Amateurisierung, die bereits in den National City-
560 In der Retrospektive in Wien 2005 war die Anordnung eine andere als im Katalog, vgl. A Different Kind of Order (Kat.), S. 208-209. 561 Throwing Three Balls in the Air to Get a Straight Line (Best of Thirty-Six Attempts), Mailand, Edizi-oni Giampaolo Prearo/Galleria Toselli, 1973. Die Buchversion ist im Übrigen relativ aufwändig gestal-tet, mit einem Umschlag mit Sichtfenster und goldener Schrift. Die Seiten lassen sich einzeln entnehmen und haben keine Nummerierung, woraus sich schließen lässt, dass sie auch keine feste Reihenfolge bil-den. 562 Vier Farbfotos, je 33,7 x 50,8 cm (1972-73). 563 Dies trifft allerdings nur auf die Abbildungen in diesem Katalog zu, da es wie schon erwähnt keine feste Anordnung der einzelnen Fotos gibt.
198
Schnappschüssen zum Ausdruck kommt und die Baldessari bewusst einsetzt, um auch
den fotografischen Code einer selbstreflexiven Befragung zu unterziehen. Bei dieser
Serie kommt noch hinzu, dass die fehlende fotografische Perfektion den experimentel-
len Charakter der Fotos unterstreicht und ihnen einen höheren Grad der Authentizität
verschafft. Bei Throwing Three Balls in the Air to Get a Straight Line fällt dies beson-
ders auf, weil dort die Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Bildern deutlich
hervortreten. Zum einen sind auf den Bildern zum Teil Bäume im Hintergrund zu se-
hen,564 zum anderen gibt es deutliche Unterschiede in der Farblichkeit, die ein profes-
sioneller Fotograf zweifellos vermieden hätte.565 Dieser Aspekt wird durch die fehlen-
de bewusste ‘Komposition’ der Bilder insgesamt, also die Positionierung der Bälle in
Relation zum Bildganzen, unterstrichen, die nicht den üblichen Regeln der Fotografie
folgt.
Bei der Festlegung der Rahmenbedingungen für die Arbeit ließ Baldessari die für
ihn typische Pragmatik walten. Die Anzahl der Versuche beruht nicht etwa auf ma-
thematischen Überlegungen oder einer logischen Verbindung zum Experiment, son-
dern ergibt sich aus der Anzahl der Bilder auf einem gewöhnlichen Film, eben 36. Die
Anzahl der ausgewählten Bilder, die präsentiert werden, variiert je nach Arbeit.566 Der
Ort der Aufnahmen, vermutlich eine freie Fläche in der Nähe seines Studios, ist eben-
falls aus pragmatischen Gründen gewählt, wobei die Tatsache, dass der tiefblaue
Himmel einen so klaren Kontrast zu den orangeroten Bällen bildet, mit Sicherheit kein
Zufall, sondern das Produkt einer ästhetischen Wahl ist.
Eine Arbeit der Serie, Throwing Four Balls in the Air to Get a Square (1972-73)
(Abb. 8), zeichnet sich durch eine interessante Besonderheit aus: Ein Foto dieser Serie
zeigt nämlich am unteren Bildrand den oberen Teil eines Kopfes und einen linken
564 Bei Throwing Three Balls in the Air To Get an Equilateral Triangle (Best of 36 Tries) (1972-73) (5 Farbfotografien, je 33,7 x 50,8 cm) (Abb. 55) und Throwing Four Balls in the Air To Get a Straight
Line (Best of 36 Tries) (1972-73) (Abb. 54) befinden sich keine Gegenstände im Hintergrund, sondern nur der blaue Himmel. Ob dieser Unterschied Folge ästhetischer Erwägungen oder nur Zufall ist, bleibt offen. 565 Diese Beobachtung könnte man als Indiz dafür betrachten, dass Baldessari nicht voll und ganz seinen eigenen Vorgaben gefolgt ist, denn diese Unterschiede könnten von der Verwendung verschiedener Filme, damit also von mehr als 36 Versuchen, herrühren, oder sie könnten an verschiedenen Tagen ge-macht worden sein. Andererseits könnten die verschiedenen Farbtöne auch von unterschiedlichen Win-keln zur Sonne oder von der Veränderung der Tageszeiten her stammen. 566 Man könnte darüber spekulieren, ob sie die jeweils einzigen einigermaßen gelungenen Aufnahmen sind. In diesem Fall also die einzigen vier, auf denen sich eine wenigstens annähernd gerade Linie bildet, während auf den anderen Fotos vielleicht gar nicht alle Bälle zu sehen sind oder Ähnliches. Damit ließe sich die unterschiedliche Anzahl erklären. Andererseits gibt es für uns als Betrachter keine Möglichkeit zu überprüfen, ob Baldessari wirklich nur jeweils einen Film benutzt hat, d.h., ob er sich an seine eige-nen Regeln gehalten hat.
199
Arm. Geste und Position der Hand legen nahe, dass diese soeben die Bälle geworfen
hat.567 Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass die Bälle relativ groß zu sein
scheinen, was die Frage aufwirft, wie die werfende Person in der Lage war, vier Bälle
in einer Hand zu halten, und vor allem wie sie diese so kontrolliert werfen konnte, dass
zumindest annähernd ein Quadrat dabei entstanden ist. Zwar ist es denkbar, dass Bal-
dessaris WerferIn geübt hat, bis er oder sie es einigermaßen konnte, oder dass er einen
Jongleur engagiert hat;568 möglich wäre aber auch die Variante, dass die werfende Per-
son gar nicht versucht hat, eine bestimmte Formation zu erreichen, sondern dass hin-
terher die Fotos zusammen gruppiert wurden, auf denen ähnliche Muster zu erkennen
sind.569 Diese Frage lässt sich im Nachhinein nicht mehr klären, es sei denn, man wür-
de den Versuch selbst nachstellen.570
Das Foto mit dem Arm fungiert in gewisser Weise wie eine Dokumentation des
Zustandekommens der Serie, es sorgt dafür, dass jeder mögliche Illusionismus gebro-
chen wird, indem es die Herstellung der Motive zeigt und garantiert, dass die Fotos auf
den Titel bezogen werden. Auf den zweiten Blick wirft es aber mehr Fragen auf, als es
beantwortet. Baldessari baut hier einen Stolperstein in die Präsentation seiner Arbeit
ein. Das Foto erfüllt alle formalen Kriterien einer Dokumentation und erklärt die Her-
stellung doch nicht, sondern stellt zugleich noch eine immanente Kritik fotografischer
Objektivität dar. Der werfende Arm macht gerade nicht die Entstehungsbedingungen
transparent, wie es zunächst den Anschein hat, sondern stellt diese in Frage und lenkt
so die Aufmerksamkeit auf die Frage des Verhältnisses von Titel (dem Konzept) und
Abbildungen.
Bei näherer Betrachtung erweisen sich die in den Titeln genannten, scheinbar so
einfachen und klaren Versuchsbedingungen als doppelbödig. Die Behauptung etwa,
Baldessari habe nur je einen Film benutzt, können wir nicht überprüfen. Dieses Krite-
rium wäre zudem, sofern es tatsächlich darum ginge, das angegebene Ziel, nämlich die
jeweilige geometrische Figur, zu erreichen, völlig arbiträr bzw. sogar hinderlich, wären
die Chancen bei einhundert oder eintausend Versuchen doch wesentlich höher, und die
567 Die Frisur und der Arm gehören mit Sicherheit nicht zu Baldessari, der damit als Werfer ausscheidet. 568 Aber selbst ein Meisterjongleur wäre kaum in der Lage, das Ergebnis völlig zu kontrollieren, zumal das Resultat, also das Foto, letztlich durch den Winkel der Kamera und das richtige Timing beim Auslö-sen bestimmt wird. 569 Gegen diese Annahme spricht allerdings auch die Tatsache, neben dem zeitlichen Abstand der Arbei-ten von 1972 bis 1974, dass es Arbeiten mit drei oder vier Bällen gibt und dass gerade bei denen mit drei Bällen die Resultate für ein reines Zufallsprodukt ein bisschen zu gut sind. 570 Die Vorstellung, dass jemand dieses Experiment nachstellt, würde Baldessari gefallen, spürt man doch bei seiner Arbeit auch die Lust, etwas einfach mal zu probieren.
200
statistische Aussagekraft wäre auch größer. Baldessaris demonstratives Abheben auf
die rein praktischen Gründe für die Anzahl der Versuche fungiert nicht nur als ironi-
sche Infragestellung der Grundlagen dieses Experiments, sondern auch als Verweis auf
die generelle Arbitrarität im Kern eines jeden Experiments. Hinter der Aussage „Best
Tries“ verbirgt sich ein weiteres Problem: Handelt es sich tatsächlich um die besten
Versuche und – wenn das der Fall ist – nach welchen Kriterien wurden diese bewertet?
Betrachtet man die ästhetische Wirkung der Bilder an sich, so fällt auf, dass sie
gerade wegen ihrer offensichtlich amateurhaften Machart und ihres Zufallscharakters
ästhetisch überzeugen. Das Bemerkenswerte ist, dass sie sich gegen eindeutige Assozi-
ationen sperren.571 Die Tatsache, dass es sich um Punkte am Himmel handelt, kann
vielleicht vage Erinnerungen an Sternbilder aufkommen lassen. Allerdings operieren
diese Muster hier in einem umgekehrten Sinn, denn die Bälle sollen einer vorgegebe-
nen Form folgen und nicht umgekehrt die Einbildungskraft Bilder auf die kontingente
Natur übertragen. Das freie Assoziieren wird nicht zuletzt durch den Bezug zur klaren
Aufgabenstellung des Titels und im Fall von Throwing Four Balls in the Air to Get a
Square durch das Foto mit dem werfenden Arm verhindert, und mögliche metaphori-
sche (poetische) Konnotationen treten zurück. Gleichzeitig schieben sich auf diese
Weise die Bilder als rein ästhetische Objekte wieder in das Blickfeld.
Scheitern als Prinzip?
Die Formulierung des Titels sorgt dafür, dass man die Bilder tatsächlich in erster Linie
im Hinblick auf das Gelingen des vorgegebenen Versuchs bewertet. Die Arbeit wird
also als Experiment oder zumindest als Spiel ernst genommen, zumal die Regeln so
einfach und eindeutig sind, dass sie jedem sofort einleuchten.572 Wenn man dieser Be-
trachtung folgt, fällt auf, dass es tatsächlich eine gewisse Plausibilität gibt, die für die
Ernsthaftigkeit der Versuche spricht, denn es finden sich immer einige Fotos, die recht
571 Jörg Zutter sieht hier etwa Molekularmodelle, obwohl dieser Vergleich etwas forciert erscheint. Ab-gesehen davon, dass diese Modelle ebenfalls mit farbigen Bällen arbeiten, allerdings verschiedenfarbi-gen, gibt es keine Parallelen, denn diese Modelle sind ja immer regelmäßige geometrische Abstraktio-nen der tatsächlichen Moleküle (vgl. John Baldessari, Museum für Gegenwartskunst Basel, Text von Jörg Zutter, Basel 1986, keine Seitenangaben). 572 Die Grenzen zwischen Experiment und Spiel verlaufen durchaus nicht so eindeutig, wie gemeinhin gedacht wird. Schließlich gibt es in formaler Hinsicht einige Übereinstimmungen, etwa den seriellen Charakter oder die Fixierung auf ein isoliertes Ziel. Der große Unterschied liegt zweifellos in der Zweckhaftigkeit, die beim Experiment über die eigentliche Beschäftigung hinausgeht. In diesem Fall bleibt das Experiment der vorläufige Bezugsrahmen, weil die Arbeiten in ihrer Nüchternheit eher in diese Richtung tendieren. Inwieweit diese gebrochen wird, soll der weitere Verlauf der Analyse ergeben.
201
nahe an die vorgegebenen Formen heranreichen.573 Im Fall von Throwing Three Balls
in the Air to Get a Straight Line, also des Buches, ergeben sich sogar fünf Bilder, die
den Anforderungen zumindest nahezu entsprechen, allerdings ist hier die Aufgabe
auch zweifellos die einfachste. Bei Throwing Four Balls in the Air to Get a Square
sind die Ergebnisse etwas dürftiger, hier ergibt sich höchstens eine Art Raute.
Aber was für eine Art Experiment haben wir hier vor uns? Es gibt zwar eine
Versuchsanordnung mit bestimmten Regeln: Drei oder vier Bälle werden nach oben
geworfen, um so – aus dem Winkel der Kamera – die geometrischen Grundfiguren zu
bilden, die sich aus drei bzw. vier Bällen herstellen lassen.574 Aber was wäre hier die
Hypothese und worin läge die Zweckhaftigkeit? Jörg Zutter etwa schließt aus der Tat-
sache, dass das angestrebte Ziel „nur zum Teil erreicht [wurde]“: „Die ideale Form des
Werkes besteht nur als Idee. Die Arbeit enthüllt sich somit als Sisyphusarbeit und be-
zieht sich auch auf die Situation des Künstlers.“575 Zugespitzt formuliert geht es hier
also nach Zutter darum, den Versuch, in der Form einer negativen Hypothese, als ein
kalkuliertes Scheitern zu begreifen, als verbildlichte Sinnlosigkeit. Zunächst stellt sich
in Bezug auf Zutters Aussage die Frage, unter Bezugnahme auf welche Kriterien das
angestrebte Ziel teilweise erreicht wurde und wie sich dies entscheiden lässt. Bezogen
auf das Quadrat wurde es jedenfalls recht deutlich verfehlt.
Die zweite Frage ist, ob die ideale Form des Werkes tatsächlich nur als Idee be-
steht. Nur als Idee besteht zwar die ideale geometrische Form als Ziel der Arbeit, die
ideale ästhetische Form des Werkes aber entfaltet sich vielmehr gerade durch die
Spannung zwischen dieser gedachten Form und der tatsächlichen zufälligen Formation
der Bälle in der Wirklichkeit. Baldessaris Arbeit demonstriert diese Differenz zwi-
schen der geometrischen Konstruktion der reinen Form und seiner niemals perfekten
Entsprechung in der Realität. Daraus ergibt sich zweifellos etwas anderes als eine Si-
syphusarbeit, also eine endlose Wiederholung, die nie zum Ende kommt, denn die Ar-
beit verdeutlicht, dass es andere Möglichkeiten gibt, eine ästhetisch gelungene Kom-
573 Zur damaligen Zeit existierten die Möglichkeiten der digitalen Manipulation der Fotografie noch nicht, und ein Arrangement im Studio lässt sich aufgrund des Lichts und des Hintergrunds ebenfalls ausschließen. 574 Nimmt man drei Bälle als Grundlage, so müssen diese immer, sofern sie sich nicht überlappen, ein Dreieck oder eine Linie bilden; und die Grundform des Dreiecks ist das gleichschenklige Dreieck. Folg-lich gibt es zwei Arbeiten mit drei Bällen: Linie und gleichschenkliges Dreieck. Vier Bälle, sofern sie sich nicht überlappen, müssen immer Vierecke oder eine Linie bilden, wobei das Quadrat die Grund-form des Vierecks ist; zu beiden Varianten gibt es auch je eine Arbeit. 575 Jörg Zutter, in: John Baldessari, Museum für Gegenwartskunst Basel, Basel 1986, keine Seitenanga-ben.
202
position herzustellen, indem man nämlich die zufällige Kontingenz ins Verhältnis zu
einer bewussten Vorgabe setzt. Damit wäre also tatsächlich ein Kriterium für die Klas-
sifizierung der Throwing Balls-Serie als einer Art Experiment gegeben. Allerdings
bedient sich Baldessari der Form des Experiments, das sonst versucht, anhand abstrak-
ter Vorgaben Gesetzmäßigkeiten in der kontingenten Welt zu finden, in einer unvor-
hergesehenen Weise. Seine Versuchsanordnung erfüllt gerade nicht die Aufgabe, die
Kontingenz zu ordnen, sondern umgekehrt die ästhetische Ordnung mit den unvorher-
sehbaren Resultaten seines Experiments in Frage zu stellen. Damit bezieht Baldessari
sich in humorvoller Art und Weise auch auf eine Kritik der wissenschaftlichen Empi-
rie überhaupt, deren Unzulänglichkeiten er hier präsentiert.576
Kunst und Zeichenhaftigkeit
Stellt man Throwing Balls in the Air in den Kontext von Baldessaris Gesamtwerk,
wird noch ein weiterer Aspekt sichtbar, nämlich sein Interesse an der Zeichenhaftigkeit
der Kunst, das sich als roter Faden durch seine Arbeiten zieht. Das Experiment er-
scheint im vorigen Abschnitt als eine Kritik an den mathematischen Ordnungsversu-
chen der Welt, die an der Kontingenz der Welt scheitern müssen. Diese Kritik ließe
sich noch erweitern, wenn man sich die Grundbedingungen des Experiments noch
einmal vor Augen führt. Die geometrischen Figuren der Titel können nur auf einer
Fläche erreicht werden, denn die angestrebten Formen sind alle zweidimensional, wie
Linie, Quadrat oder Dreieck, und nicht deren dreidimensionale Äquivalente, wie Qua-
der oder Pyramide. Die Vorgabe macht also überhaupt nur im Zurückbrechen der drei-
dimensionalen Formationen der Bälle auf die optische Fläche des Films in der Kamera
Sinn, denn aus jeder anderen Perspektive erscheinen die Bälle in einer anderen Forma-
tion. Es geht also um geometrische Konstruktionen, die auf einen Betrachterstand-
punkt, in diesem Fall den der Kamera, hin konzipiert sind, und nicht um die tatsächli-
chen Verhältnisse im dreidimensionalen Raum der Wirklichkeit. Das ganze Experi-
ment ergibt also nur in Bezug auf das fotografische Abbildungssystem überhaupt einen
Sinn. Das an die Natur angelegte geometrische Zeichensystem funktioniert nur in Be-
zug auf einen anderen vorgegebenen Code, nämlich den der Fotografie. Ziel des Expe-
576 Selbstredend handelt es sich nicht um eine Wissenschaftskritik auf hohem theoretischem Niveau; aber trotz der notwendigen Vereinfachung der Funktionsweisen und Grundlagen der Experimente bleibt der Bezug im Kern stimmig.
203
riments ist also auch die Untersuchung des Abbildungsverhältnisses von Natur und
Kunst.
Die bisherige Erörterung hat den eigentlichen Kontext, nämlich die Kunst der
sechziger und siebziger Jahre, noch nicht entsprechend seiner Bedeutung gewürdigt.
Der Bezug der geometrischen Formen zur Kunst, insbesondere zur Minimal Art, aber
auch zu den damals immer noch aktuellen modernistischen Richtungen, wie Color
Field Painting, ist zu offensichtlich, als dass man diesen Aspekt unbeachtet lassen
könnte. Auch der Kritiker James Collins stellt diesen Bezug her, indem er die Bilder
als: „Color fields with inflections“577 bezeichnet. Aber darüber hinaus lässt sich auch
eine Verbindung zu bestimmten Strömungen innerhalb der Conceptual Art herstellen.
Baldessari tarnt auch diese Arbeit durch eine vordergründig naive Absurdität, hinter
der sich eine Kritik an bestimmten Strömungen der Conceptual Art verbirgt, die stark
auf eine positivistisch geprägte, wissenschaftlich beeinflusste Form des Experimentie-
rens eingestellt waren;578 dem stellt er eine ironische, spielerische Form der Auseinan-
dersetzung mit den Elementen des Experimentellen entgegen.
Die Ästhetik des Zufalls
Gleichzeitig unterscheiden sich Baldessaris Arbeiten noch in einem anderen Punkt
deutlich von denen seiner Kollegen aus der Conceptual Art, auch wenn sie auf einer
vordergründigen Ebene auf den gleichen amateurhaften und absichtlich unästhetischen
Prinzipien aufbauen, wie etwa die Arbeiten Mel Bochners, die sich dem Zufall wid-
men.579 Die Arbeiten Baldessaris sind in einer anderen Weise ästhetisch codiert, sie
zeichnen sich durch einen ästhetischen ‘Überschuss’ aus. Sie sind mehr als nur eine
577 James Collins, Pointing, Hybrids and Romanticism: John Baldessari, in: Artforum, New York, Vol. 12, Nr. 2, 1973, S. 55. 578 Ein Beispiel für diese Strömung sind Arbeiten von Hans Haacke, z.B. seine soziologischen Publi-kumsbefragungen oder der Condensation Cube, die sich ebenfalls recht eindeutig auf wissenschaftliche Vorbilder beziehen. Aber auch die Arbeiten Sol LeWitts, die auf mathematischen Prinzipien gründen, könnte man hier anführen, weil es sich bei ihnen, wenn sie konsequent durchgeführt werden, um Ver-bildlichungen von Formeln handelt (vgl. Kapitel 3.3.3.). 579 Mel Bochners Untersuchungen über Zufallsverteilungen haben einen sehr mathematischen Charakter. Er beschäftigte sich Ende der sechziger bzw. Anfang der siebziger Jahre stark mit der Frage des Zufalls und des Experimentierens. Ein Beispiel ist die Arbeit Axiom of Indifference: East Side and West Side (1973), die aus Münzen besteht, die auf dem Boden verteilt sind und dabei unter dem Gesichtspunkt einer Art stochastischen Untersuchung in Relation zu bestimmten Flächen gebracht werden. Der Unter-schied zu Baldessari besteht in Bochners größerer Nähe zur Mathematik, die sich auch in Arbeiten wie Triangular and Square Numbers (1971) zeigt, die eine Art mathematische Untersuchung über geometri-sche Grundformen mit Hilfe von Steinen, die auf dem Boden liegen, darstellt.
204
Demonstration der Kontingenz von Experimenten, mehr als eine Untersuchung der
Brechung zwischen Zeichensystem und Natur und auch mehr als eine Parodie auf
pseudowissenschaftliche Ansätze der Zeitgenossen. Um zu zeigen, worin dieser ‘Über-
schuss’ besteht, gilt es, die Frage der Ästhetik wieder aufzugreifen, die weiter oben
bereits angesprochen wurde.
Zunächst weckt die Tatsache, dass Baldessari diese Arbeit ausgestellt hat, ob-
wohl die Fotos eigentlich das Scheitern ihres Anspruches dokumentieren, das Interes-
se. Bemerkenswert ist allerdings, dass es bei näherer Betrachtung gerade ihr kalkulier-
tes Scheitern ist, dass die besondere ästhetische Qualität dieser Fotos ausmacht. Nicht
nur die offensichtlich aufgrund von ästhetischen Erwägungen getroffene Wahl der
Farbe der Bälle und der dadurch bedingte Kontrast zum Himmel, sondern insbesonde-
re auch die Formationen der Bälle lassen einen ästhetischen Überschuss aufscheinen.
Die Fotos sind zu schön, um komponiert zu sein, oder anders gesagt: Ihr zufälliges
Zustandekommen verhindert die bewusste, durch die ästhetische Vorprägung gesteuer-
te Komposition, die immer Gefahr läuft, der Wiederholung oder der Belanglosigkeit
anheimzufallen.580 Baldessari selbst sagt dazu:
„[...] in terms of throwing balls up into the air I had no idea of what I was getting. In fact I was saying, ‚What would happen if I did this?’ I wasn’t making these compositions, but I love them. I could never do them by myself.“581
In dieser Aussage steckt ein wichtiger Hinweis auf die Einordnung dieser Art von Ver-
suchsaufbau. Das ganze Experiment dient so dazu, von der Ästhetik abzulenken, den
geübten künstlerischen Blick zu verhindern und so das Ungeplante, ‘Nichtidentische’
dieser Fotos zuzulassen, also das, was Baldessari niemals selbst kreieren könnte. Bal-
dessari geht es darum, die Person des Künstlers mit ihrer ästhetischen Vorbildung und
ihren Intuitionen möglichst weit aus der Entstehung der Arbeit herauszuhalten, um zu
verhindern, dass diese komponiert werden kann. Dadurch stellt seine Arbeit zugleich
eine Kritik des klassischen modernistischen Bildes der KünstlerInnen, die aus sich
heraus Werke schaffen, die einzig Ihrer Kreativität zu verdanken sind, dar. Dahinter
steht die Einsicht, dass diese Autonomie nie ganz frei von den Vorprägungen des Ge-
580 Dieses Problem stellte sich insbesondere den Vertretern der gegenstandslosen Malerei, die ihr Heil entweder in der metaphysischen Aufladung oder eben in Zufallselementen gesucht haben. Letztendlich gilt dies auch für LeWitts Wall Markings, deren mathematische Grundlage eben diese ästhetischen Fallstricke vermeiden soll. 581 John Baldessari, Interview mit Ingo Maerker.
205
schmacks und der Gesellschaft war. In einem anderen Interview formuliert Baldessari
das Problem des Geschmacks wie folgt:
„I’m concerned with the formal and esthetic qualities to the point where I try to set up situations where I can’t make any esthetic decisions about it and that’s very hard. I realize that as you go on you get better at making things look good, and you have to set up stumbling blocks so that you can escape your own good taste, and even that creeps in a lot.“582
Diese Arbeit ist der beste Beweis für diese Aussage, denn auch hier kommt die Ästhe-
tik wieder deutlich, wenn auch über Umwege, zum Tragen. Dabei reduziert sich die
Rolle Baldessaris auf die eines Versuchsleiters, der die Regeln vorgibt und der dann
entscheidet, welche Versuche gewertet werden; auf diese Weise hält wieder ein gewis-
ses Element der Subjektivität Einzug. Dieses besteht allerdings nur noch in einer –
ästhetischen – Entscheidung über die Produkte eines Verfahrens, das sich weitestge-
hend seiner Kontrolle entzogen hat.583 Baldessaris Rolle besteht darin, der Ästhetik des
Zufalls im Rahmen seiner Vorgaben freien Lauf zu lassen und die Ergebnisse der von
ihm erzeugten Situationen zusammenzutragen, ohne den Anspruch zu erheben, selbst
der Schöpfer dieser Kompositionen zu sein.584
Dieser veränderten Rolle des Künstlers entspricht auch der ironische Ansatz der
Serie, die sich selbst nie ganz ernst zu nehmen scheinen. Der Humor wirkt hier als
Ablenkungsmanöver, das den Blick auf die vordergründig nur absurden Vorgaben
lenkt. Erst bei eingehender Beschäftigung mit der Serie werden deren tiefer liegende
Schichten der Bedeutung erkennbar, die sich hinter der scheinbar simplen Struktur
582 Zitiert nach: John Baldessari (Kat.), New York 1981, S. 20. 583 Bei dem Surrealisten Jean Arp spielte der Zufall ebenfalls eine zentrale Rolle. Er selbst sagte dazu Folgendes: „Das ‘Gesetz des Zufalls’, welches alle Gesetze in sich begreift und unfasslich ist, wie der Urgrund, aus dem alles Leben steigt, kann nur unter völliger Hingabe an das Unbewusste erlebt werden. Ich behaupte, wer dieses Gesetz befolge, erschaffe reines Leben“ (zit. nach: John Baldessari, Basel 1986, keine Seitenangaben). Diese Aussage macht einerseits die Ähnlichkeit der Ansätze deutlich, ande-rerseits aber auch deren Unterschiede. Baldessari käme niemals auf die Idee, eine derartige Metaphysik zu bemühen, für ihn geht es um pragmatische Fragen der Kunst, die in einem nüchternen Verfahren untersucht werden. 584 Baldessari geht es bei seiner Verwendung des Zufalls im Gegensatz zu den Surrealisten aber nicht darum, das Unbewusste und Verdrängte der Person des Künstlers sichtbar zu machen, wie es etwa die ‘Ériture Automatique’ bewerkstelligen wollte: „Breton’s fantasy of ‚automatic writing’, [...] , presumes the possibility of expressing the subconscious directly: Thus the subconscious is made referential through direct translation; the signifier is assumed to be identical to the referent. This would be an im-possibility in both linguistic and psychoanalytic terms“ (Jones, Postmodernism and Duchamp, S. 265). Abgesehen von diesen allgemeinen Problemen unterscheiden sich die automatischen Verfahren von Baldessaris Vorgehen hier vor allem dadurch, dass bei der ‘Ériture Automatique’ der Künstler, der wenn auch unbewusst Handelnde bleibt, während sich bei Baldessaris Arbeit die Ergebnisse dem bewussten und auch unbewussten Einfluss des Künstlers entziehen.
206
verbergen. Denn es sind gerade der ironische Stil und die Absurdität der Vorgabe, die
die entscheidenden Punkte betonen und herausbringen.
Pier 18 (1971)
Die Grundidee für die Throwing Balls-Serie stammt aus dem Jahr 1971, als Baldessari
an einer Ausstellung in New York (Pier 18) teilnahm. Er schildert die Grundsituation
wie folgt:
„There was this pier in New York called Pier 18. And there were going to be two well known art photographers Shunk and Kinder, who would be at your disposal; anything you wanted to do there, they would record, and the results would be shown at the Museum of Modern Art. [...] I thought‚ ‚How do I make sure that it wouldn’t be their work, but that it would become my work?’ So I had to divert their attention [...] I would take this rubber ball and I bounced it on the pier, and I said, ‚All you have to do, is to get it in the center of the photograph.’ And so they would be so busy doing that they couldn’t be composing. It worked fine.“585
Das Konzept der Ausstellung bestand darin, dass sich die KünstlerInnen ein Projekt
überlegen sollten, das dann von den Fotografen aufgenommen werden sollte. Baldessa-
ri unterlief diese Vorgabe, indem er kein eigentliches Projekt, das man fotografieren
könnte, entwarf, sondern die Situation selbstreflexiv mit einbezog. Durch den Ball
wurde die Aufmerksamkeit der Fotografen gefesselt, und sie wurden auf diese Weise
der Verantwortung für das Gelingen des Bildes enthoben. Denn das Verfolgen des Bal-
les verhinderte, dass sie sich auf das eigentliche Bild um den Ball herum konzentrieren
und dieses nach den Gesichtspunkten der fotografischen Ästhetik komponieren konn-
ten. Es blieb ihnen so nur die Rolle des Festhaltens der Wirklichkeit, wie sie sich in
ihrer Zufälligkeit um den Ball herum darbot. Coosje van Bruggen formuliert das so:
„Forced to follow the ball, the photographer was prevented from creating a per-fect composition, so that objects in the background captured by chance produced unpredictable and surprising effects.“586
Baldessari delegierte so die Arbeit an die beiden bekannten Kunstfotografen, während
er ihnen gleichzeitig die Kontrolle über ihre Produkte entzog und sie so auf die Stufe
von Amateuren versetzte, indem er sie daran hinderte, ihr technisches Können und
ihren ästhetischen Blick zur Geltung zu bringen. Er benutzt die Fotografen wie ein
Werkzeug, sie stellen eine weitere Stufe der Vermittlung zwischen ihm und der Wirk-
585 Baldessari, Interview mit Ingo Maerker. 586 Van Bruggen, John Baldessari, S. 119.
207
lichkeit dar. Fraglich erscheint allerdings die Zweckbestimmung, die van Bruggen hier
suggeriert, nämlich die Erzeugung von bestimmten Effekten.
Pier 18587 (Abb. 56) zeigt eine wenig pittoreske Aufnahme des besagten Piers,
mit dem Fluss im Hintergrund und einem großen Hafengebäude sowie einer industriel-
len Stadtlandschaft am anderen Ufer. Auf der linken Bildseite ist, halb angeschnitten
vom Bildrand und im Schatten, Baldessari zu erkennen. Entgegen van Bruggens Be-
hauptung können sich durch den eintönigen Hintergrund und die große Distanz zum
anderen Ufer kaum überraschende Effekte einstellen. Wäre dies also sein Ziel gewe-
sen, dann hätte er sich einen anderen Ausblick aussuchen müssen. Das Bild wirkt ins-
gesamt fotografisch nicht überzeugend, erfüllt aber den eigentlichen Zweck der Arbeit:
Das fotografische Können der beiden Fotografen wird sabotiert, und gleichzeitig wird
selbstreflexiv das Prinzip dieser Vorgehensweise demonstriert. Die Tatsache, dass
Baldessari einen derartigen Aufwand betreiben muss, deutet an, wie stark gerade die
vermeintlich neutrale Fotografie durch ihre eigene Ästhetik geprägt ist.
Auffällig ist allerdings, dass sich der Ball nicht in der Mitte des Bildes befindet,
sondern nach rechts oben verschoben ist, auf diese Weise rückt am linken Bildrand
Baldessari selbst in das Blickfeld. Es stellt sich hier die Frage, ob sich die Fotografen
wirklich strikt an die Vorgabe gehalten haben oder ob auch sie diese nicht ebenfalls
unterlaufen haben, indem sie den Künstler absichtlich mit ins Bild genommen haben.
Baldessari verwandelt die Vorgabe der Ausstellung in eine Art Experiment oder
Spiel, dessen Ergebnis nicht wirklich relevant ist588 und dessen einfacher Aufbau und
ironischer Charakter der Arbeit einen humorvollen Unterton gibt. Das Spiel mit den
auf den ersten Blick willkürlichen Regeln dient dazu, dem eigentlichen Zweck den
Boden zu bereiten. Zum einen werden die Bedingungen der eigenen Entstehung the-
matisiert und in dieser Rückbezüglichkeit die Grundlagen des Fotos hinterfragt, und
zum anderen werden die Grundbedingungen fotografischer Ästhetik offengelegt. An
diesem Beispiel zeigt sich, welche Rolle der ästhetische Blick spielt, gerade dadurch,
dass seine Funktionsweise auf diese Weise umgangen werden muss.
587 Schwarzweißfoto-, gerahmt 17,8 x 25,4 cm. 588 Damit sind die einzelnen Fotos gemeint, deren genaue Gestalt tatsächlich nicht wichtig ist. Das Er-gebnis der Arbeit insgesamt ist hingegen im Hinblick auf die Komposition durch den Zufall durchaus relevant.
208
Die Weiterentwicklung der Grundidee von Pier 18 stellt eine Serie von Bildern
mit dem Titel Aligning: Balls589
(Abb. 57) dar. Sie besteht aus Fotos, auf denen sich
jeweils an verschiedenen Punkten ein roter Ball befindet. Zum Teil sind die Bilder
verschwommen. Auf allen ist ein Hintergrund zu erkennen, meist die Straße, manch-
mal auch Stromleitungen. Der amateurhafte Eindruck der Fotos erinnert zum Teil an
die National City-Schnappschüsse. Das Herstellungsverfahren dürfte ähnlich wie bei
den anderen Arbeiten sein, d.h., eine Person wirft den Ball oder lässt ihn aufspringen,
und eine zweite Person versucht, diesen zu fotografieren. Was die Bilder selbst angeht,
entwickeln diese die Grundidee von Pier 18 weiter, indem sie tatsächlich verschiedene
Motive zeigen. Der Effekt ist, dass „each shot is alternatively a photograph of the ball
or a photograph of a location or scene“.590
Gleichzeitig kommt aber noch der Aspekt der Präsentation hinzu, denn die Bil-
der sollen so nebeneinandergehängt werden, dass alle Bälle auf einer Linie liegen. So
entsteht, wie schon bei der A Different Kind of Order (The Thelonious Monk Story),
eine Dialektik zweier Ordnungssysteme, bei der die tatsächliche Anordnung der Bilder
allein einem zufälligen Verfahren geschuldet ist. Der Eindruck, der sich hieraus ergibt,
ist der einer Rhythmisierung591 und einer Dynamik, so als wäre jemand dem fliegen-
den Ball auf seinem Weg durch die Stadt gefolgt.
Cigar Smoke To Match Clouds That Are Different
In eine ähnliche Richtung, allerdings angereichert um die Frage der Mimesis, gehen
einige andere Arbeiten dieser Zeit, wie etwa Cigar Smoke To Match Clouds That Are
Different (By Sight – Side View) (1972-73) (Abb. 58)592. Auch diese Arbeit besteht aus
einer Reihe von Fotos, die den Versuch dokumentieren, ein bestimmtes absurdes Vor-
haben experimentell zu erreichen. In diesem Fall wird der Versuch unternommen, ein
ephemeres Naturphänomen, nämlich Wolken, durch ein von Menschen produziertes,
aber ebenso ephemeres Phänomen wie Zigarrenrauch zu imitieren. Wie das Werfen der
Bälle unterliegt auch dieses Vorhaben einem deutlichen Handicap, denn der Rauch
589 41 Farbfotos in Plexiglasrahmen, gerahmt je 8,9 x 12,7 cm (1972). Daneben gibt es noch weitere Arbeiten, die dieses Grundthema variieren, etwa zwei Versionen von Trying To Photograph A Ball So
That It Is In The Center Of The Picture (1972-73), die jeweils aus Fotos mit orangeroten Bällen beste-hen, die mehr oder weniger nahe am Zentrum des Bildes sind. 590 Baldessari, zitiert nach van Bruggen, John Baldessari, S. 170. 591 Baldessari sieht darin eine Art musikalische Notation (vgl. Ebd.). 592 3 Farbfotografien, je 35,6 x 24,1 cm.
209
einer Zigarre lässt sich nur bedingt kontrollieren. Andererseits ist die Wahl des Rau-
ches als Medium der Mimesis naheliegend, denn seine Gestalt ähnelt der einer Wol-
ke.593 Dieser Aspekt hebt Cigar Smoke To Match Clouds von Throwing Balls in the
Air ab, denn das mimetische Verhältnis zur Natur spielt dort nur eine untergeordnete
Rolle. Die Formen, auf die sich diese Arbeit bezieht, entstammen nicht der Natur, son-
dern der Geometrie.
Von Cigar Smoke To Match Clouds existieren drei Versionen.594 Eine trägt den
Untertitel By Sight – Side View und zeigt Baldessari am linken Bildrand, den Rauch
einer Zigarre (oder Zigarette) ausblasend, vor dem Hintergrund einer dunklen Tafel,
auf der ein Foto einer Wolke zu sehen ist. Das Foto hängt relativ weit rechts, so dass
zwischen ihm und Baldessari ein gewisser Raum verbleibt, in dem sich der Rauch ab-
zeichnet, so dass er mit einer Wolke verglichen werden kann. In einer zweiten Version
By Memory – Front View kann Baldessari die Fotos nicht direkt sehen, weil sie ihm
auf der Stirn angebracht sind. Zu sehen ist er folgerichtig von vorn, wobei sich der
Rauch vor seinem Gesicht befindet, was dessen Sichtbarkeit für die BetrachterInnen
nicht unbedingt verbessert. Der im Titel angedeutete Bezug zur Erinnerung gibt dieser
Version noch eine ganz eigene Wendung, die über das rein Experimentelle hinaus-
geht.595 Scheinbar versucht Baldessari hier den Rauch so zu blasen, dass er den Wol-
ken gleicht, die er sich vorher bei der Betrachtung der Fotos eingeprägt hat. Darin
könnte man eine wenn auch eine ironisch gewendete poetische Metapher erkennen in
der Art von: Erinnerung ist flüchtig wie Rauch. Besonders wenn man bedenkt, dass
Fotos selbst so etwas wie gefrorene Augenblicke sind, was ganz besonders auf Fotos
von Wolken zutrifft, die außerdem permanent ihre Gestalt ändern. Die Ironie besteht
darin, dass den Wolkenfotos ausgerechnet Rauchschwaden bzw. Fotos von ihnen ge-
genüberstehen, also zwei völlig ephemere Bereiche purer Kontingenz wie austauschba-
re Zeichen verwendet werden.
593 Eine weitere Arbeit Study for False Cloud Piece (1973) zeigt Fotos von Wolken, unter die ein Foto eines Wattebausches gemischt wurde. Hier liegt ein weiteres Material vor, das sehr häufig in einer mi-metischen Weise zum Zweck der Imitation von Wolken eingesetzt wird. Auch hier geht es weniger dar-um, die BetrachterInnen tatsächlich zu täuschen, als auf bestimmte Kongruenzen hinzuweisen (siehe: Demonstrative Fotographie (Kat.), Heidelberger Kunstverein, Hans Gercke (Hg.), Heidelberg 1974). 594 In der Ausstellung A Different Kind of Order in Wien 2005 war die dritte Version zu sehen, von der allerdings keine Abbildung im Katalog vorhanden ist. Sie hat den Untertitel By Side – First Version und stammt auch aus den Jahren 1972-73. Die Fotos zeigen eine Rückenansicht von Baldessari, rechts neben ihm sind Bilder von Wolken zu sehen, die er offensichtlich betrachtet und dabei Rauchwolken produ-ziert. Wegen seiner Position sind die Rauchwolken aber kaum zu erkennen und folglich auch nur schwer mit den Fotos der Wolken zu vergleichen. 595 Auch dieser Aspekt taucht wieder in anderen Arbeiten auf, wie z.B. Police Drawing (1971).
210
Baldessari selbst sagt zu dieser Arbeit:
„There is also this boring thing, you know, at parties, or a dinner, where someone takes a cigar, and is going to blow a ring, and that sort of thing. So taking that in-formation that’s already there in the culture, and pushing it slightly askew, it be-comes even more ridiculous. A cloud is amorphous already and then combining it with cigar smoke – that uselessness I like.“596
Baldessari geht es aber um mehr, als sich über Partygewohnheiten lustig zu machen.
Aus der ironischen Appropriation entwickelt er statt dessen eine Reflexion über Mi-
mesis und die Frage der Abbildung der Realität durch ein Zeichensystem. Als Teil des
Kunstkontextes erhält die Arbeit außerdem einen anderen Bezugsrahmen. Kunst taucht
hier metaphorisch als der gescheiterte Versuch auf, die Natur zu imitieren, aber sie tut
dies nicht in der Form von ästhetischen Zeichen, sondern indem sie versucht, sich ein
anderes kontingentes, letztlich auch natürliches Verfahren zunutze zu machen. Der
Misserfolg, im Sinne des vorgeblichen Zieles, steht auch hier von Beginn an fest, denn
die Gestalt des Rauches ist mit Sicherheit äußerst schwer zu beeinflussen, und trotz der
morphologischen Übereinstimmung seiner Gestalt mit der der Wolken ist deren Struk-
tur viel zu vielschichtig und zufällig, als dass sie sich auf diese Weise imitieren ließe.
Sollte es doch eine Übereinstimmung geben, wäre dies ein reines Zufallsprodukt.
Spielerisch experimentelle Serien als Basis der ästhetischen Bildfindung
Betrachtet man diese doch recht unterschiedlichen Arbeiten im Überblick, zeigen sich
einige durchgehende Gemeinsamkeiten. So finden sich viele der Strategien wieder, auf
die Baldessaris Arbeiten dieser Zeit aufbauen: Der auf Zufall basierende experimentel-
le Charakter der Herstellung, das Spiel mit einem neuen Ordnungssystem, die selbstre-
flexive Einbeziehung der Entstehungsbedingungen und die Suche nach einer neuen
Form der Ästhetik. Die Themen sind dabei zum einen das Verhältnis von Natur und
deren Abbildung in der Form der Mimesis verschiedener Naturmaterialien, wie bei
Cigar Smoke To Match Clouds, und zum anderen das Verhältnis zwischen einem Kon-
zept, das auf Mathematik bzw. Geometrie aufbaut, und dessen bildlicher Umsetzung,
wie bei der Throwing Balls-Serie. Diese Thematik wird paradoxerweise im indexikali-
schen Medium der Fotografie untersucht, das die Natur doch unmittelbar abbilden soll.
Durch den ironischen Einsatz der experimentellen Verfahren und das spielerische Of-
596 Baldessari, zitiert nach: van Bruggen, John Baldessari, S. 25.
211
fenlegen der Versuchsbedingungen gelingt es Baldessari, die Ästhetik und Wirkungs-
weise dieses Mediums selbstreflexiv zu hinterfragen und darüber hinaus die Frage auf-
zuwerfen, was eine Fotografie abbilden kann und was diese ästhetisch auszeichnet.
Der experimentelle und zufällige Charakter der Arbeiten zeichnet sich durch eine
präzise Planung und einen strategischen Einsatz aus. Baldessari wirft die Kamera nicht
einfach in die Luft oder verwendet ähnliche rein auf Zufall basierende Verfahren, son-
dern unterwirft die Bildfindung einem bestimmten System, das seine eigenen Regeln
hat. Es entsteht also eine Dialektik von Ordnungssystem und Zufall, dessen Synthese
schließlich beides beinhaltet. Außerdem werden durch das scheinbare Offenlegen der
Herstellung, etwa bei dem Foto mit dem werfenden Arm, die Entstehungsbedingungen
der Arbeiten selbstreflexiv problematisiert.
Die Frage der Ästhetik wird auf diese Weise auf eine unkonventionelle Art ge-
löst. Es geht darum, den möglichen Bereich der Ästhetik in einer Weise zu erweitern,
der sich dem direkten, gewollten Einfluss des Künstlers entzieht, zumindest was die
Endprodukte anbelangt, in anderen Worten: Bilder zu schaffen, die überraschend, neu
oder ‘nichtidentisch’ sind; dies aber gleichzeitig nicht in der Form eines geheimen
oder wissenschaftlichen Verfahrens zu tun, dessen Gesetzmäßigkeiten der Betrachter
nicht unmittelbar durchschauen kann,597 oder in der Form eines surrealistischen Ver-
fahrens der Visualisierung des Unbewussten,598 sondern in der Form einer Mischung
aus Spiel und Experiment, die ihre eigenen Prämissen und Funktionsweisen offen-
legt.599
Neben der aktiven Thematisierung der Ästhetik unterscheidet sich Baldessaris
Ansatz von dem vieler seiner Kollegen aus der Conceptual Art, die sich ähnlicher ex-
perimenteller Techniken bedienen, vor allem durch die ironische Distanz. Baldessari
597 Vgl. z.B. Hanne Darbovens mathematische Formeln (man denke nur an die ‘Karriere’ der Fibonacci Reihen), Sol LeWitts Wandzeichnungen oder die komplexen linguistisch philosophischen Indexsysteme von Art & Language. Damit sollen die genannten Arbeiten nicht abgewertet werden, sondern es soll nur die Differenz zu Baldessaris Vorgehensweise betont werden. 598 Vgl. das Zitat von Arp in: John Baldessari, Basel 1986, keine Seitenangaben. Baldessaris Verhältnis zum Surrealismus wurde an anderer Stelle schon einmal angesprochen. Sicher ist, dass sich in den späte-ren Arbeiten, die sich mit Bildern aus den Medien beschäftigen, aber auch in einigen der Arbeiten, die sich mit der Wirkung von Farben und dem Verhältnis von Sprache und Welt beschäftigen, ein deutliches Interesse am Unbewussten ausdrückt. Bei den hier behandelten Arbeiten scheint mir dieser Aspekt aller-dings noch nicht die zentrale Rolle zu spielen. Der entscheidende Punkt ist hier, dass das Zufallsverfah-ren nicht dazu dient, die verborgenen semantischen Bedeutungen aufzudecken, die in der Sprache oder den Bildern enthalten sind, sondern auf einer syntaktischen Ebene die Möglichkeiten des Bildermachens überhaupt auf ihre Grundbedingungen hin zu untersuchen. Die Fotos zerren nicht verborgene Bedeutun-gen ans Licht, sie zeigen vielmehr, wie die Grammatik des Bildermachens funktioniert bzw. funktionie-ren könnte. 599 Siehe auch die Choosing-Serie (Abb. 43), die ähnlich aufgebaut ist.
212
will die Ästhetik nicht vollständig hinter sich lassen, sondern sie von den Zwängen des
modernistischen Geschmacksurteils und von der Chimäre des künstlerischen Genius
befreien. Gleichzeitig versucht er aber auch, die Fallstricke einer völlig positivisti-
schen Kunst zu vermeiden, deren Absurdität in diesen Arbeiten treffend auf den Punkt
gebracht wird. Seine ‘Experimente’ versuchen nicht die Wissenschaft nachzuahmen
und damit das, was Kunst auszeichnet, aufzugeben, sondern sie beharren auf dem Rest,
der Kunst von der wissenschaftlichen Zwecklogik unterscheidet.600 Gleichzeitig ma-
chen sie aber dadurch, dass sie in den Titeln ihre Grundlagen offenlegen, den rationa-
len, ‘aufklärerischen’ Teil der Kunst stark. Baldessari versucht hier, den Phänomenen
der Ästhetik auf den Grund zu gehen, indem er diese nicht einfach ‘unbewusst’ produ-
ziert, sondern selbstreflexiv thematisiert.
Die verschiedenen Themenbereiche der Arbeiten dieser Serie, wie etwa Ordnung
und Chaos oder Mimesis, entfalten sich immer anhand der ästhetischen Form der Bil-
der in Relation zum Konzept. Die Bilder nehmen dabei nicht nur die Funktion von
Platzhaltern für das Konzept ein, sondern sind zugleich in ihrer jeweiligen Gestalt un-
abhängige ästhetische Objekte, deren Ausführung notwendig ist, weil sie jeweils ein-
malige Lösungen aus dem unendlichen Pool der Möglichkeiten darstellen. Das Kon-
zept der Arbeiten stellt eben keine bloße Partitur dar, wie oft bei Arbeiten aus dem
Fluxus, weil es sich immer auch auf die Abbildung der Wirklichkeit durch Fotografie
bezieht. Baldessari führt hier vor, wie eine Arbeit aussehen kann, die konzeptuell im
Hinblick auf ihre ästhetische Form und Herstellungsweise ist und gleichzeitig über ihre
Grenzen hinausweist.
Die serielle Form, das einfache und sachliche Grundprinzip, das für jeden auch
ohne mathematische Kenntnisse nachvollziehbar ist, und die nüchterne, aber durch-
dachte Präsentation verschaffen den Arbeiten innerhalb der Conceptual Art eine Son-
derstellung, weil jene sich gleichzeitig auch in einer ironischen Weise mit der Concep-
tual Art auseinandersetzen. Die hier diskutierten Arbeiten stehen beispielhaft für eine
postmoderne Selbstreflexion, weil sie immer auch ihre eigenen Entstehungsbedingun-
gen mit einbeziehen, so die Grundbedingungen von Fotografie und Abbildung kritisie-
ren und die Frage der Ästhetik in einer neuen Weise aufwerfen.
600 Vgl. Buchloh, Conceptual Art 1962-69: From the Aesthetics of Administration to the Critique of Instituitions.
213
4.2.5. Violent Space Series (1976)
Diese Serie aus dem Jahr 1976 greift, wie sich zeigen wird, auf verschiedene inhaltli-
che und formale Elemente der bisher diskutierten Arbeiten zurück und verbindet diese
mit der Verwendung von ‘Filmstills’, auf deutsch: Filmstandbilder, als Repräsentanten
eines kulturellen Codes, der nicht der ‘Kunst’ entstammt.
„Filmstandbilder sind Gebrauchsfotografien der Filmindustrie oder Werbeträger. [...] Als Zusätze im wörtlichen Sinne werden Filmstandbilder einem Werk (dem Film) beigefügt.“601
Baldessari stützt sich in dieser Serie auf Filmstandbilder aus einem bestimmten Genre,
nämlich dem Film noir, in erster Linie aus B-Movies.602 Diese ‘Filmstills’ bilden die
Grundlage für die Fotokombinationen und die bearbeiteten Einzelbilder der Serie. Die-
se ‘gefundenen’ Bilder weisen, wie schon der Titel der Serie nahelegt, eine Gemein-
samkeit auf: Sie alle zeigen verschiedene Formen von Gewalt, entweder potenzielle
Gewalt, Ausübung von Gewalt oder die Folgen einer Gewalteinwirkung. In der fol-
genden Analyse einiger Einzelbeispiele wird die Herkunft der Bilder aus dem Film
noir eine zentrale Rolle spielen.
Violent Space Series: Two Stares Making a Point But Blocked by a Plane (For Ma-
levich)
Anhand dieser Arbeit (Abb. 9) lassen sich einige zentrale Merkmale dieser Serie ver-
deutlichen.603 Sie ist ein Beispiel für ein bearbeitetes Einzelbild – im Gegensatz zu den
Fotokombinationen, die später behandelt werden. Die Arbeit besteht aus einer fotogra-
fischen Vergrößerung eines schwarzweißen ‘Filmstills’, auf dem ein weißer Kartonbo-
gen in der Form eines schräggestellten Quadrates, das fast die gesamte linke Hälfte des
Bildes einnimmt, angebracht wurde. Dem Augenschein nach ist der Karton nur relativ
lose in den Rahmen eingefügt, weil er nicht überall bündig aufliegt. Auf diese Weise
wird aber auch betont, dass es sich um eine Collage handelt. Das Quadrat, dessen Sei-
601 Winfried Pauleit, Movie Stares. John Baldessaris Arbeiten mit Filmstandbildern, in: A Different Kind of Order (Kat.), S. 85. 602 Bei B-Movies handelt es sich um Filme, die nicht mit den höchsten Ansprüchen gemacht werden und bei denen nicht die größten Stars mitspielen. Zum Genre des Film noir siehe unten. 603 Es handelt sich um ein Schwarzweißfoto mit Collage, auf einer Tafel kaschiert (61,3 x 91,4 cm).
214
tenfläche etwas kürzer als die Höhe des Fotos ist, ist um etwa 15º nach rechts gedreht,
so dass drei seiner Ecken jeweils den Rand der Fotografie berühren.
Betrachtet man die auf der Fotografie abgebildete Szene, wird deutlich, dass der
Titel Two Stares Making a Point But Blocked by a Plane diese sehr präzise und lako-
nisch beschreibt, so als wolle Baldessari mögliche Missverständnisse auf dieser Ebene
von vornherein ausräumen. Zu sehen ist eine nächtliche Szene auf einem Hausdach:604
Am rechten Bildrand befinden sich zwei Personen, die beide in die gleiche Richtung
starren, nämlich dorthin, wo das Quadrat einen Teil des Bildes verdeckt. Der (schein-
bar) selbstbeschreibende Titel wirft allerdings mehr Fragen auf, als er beantwortet,
suggeriert er doch einen klaren erzählerischen Zusammenhang zwischen den Personen
und dem Quadrat, dessen tatsächlicher Charakter im Folgenden auf der kompositio-
nell-syntaktischen und inhaltlich-semantischen Ebene untersucht werden soll.
Das Quadrat als Mittel der Abstraktion
Im Vordergrund verläuft von links nach rechts in einem spitzen Winkel zum unteren
Bildrand eine Mauer, die ungefähr auf der Höhe der beiden Personen aus dem Blick
verschwindet. Dieser Winkel entspricht genau der Neigung des Quadrats, so dass des-
sen untere Seite an der Kante der Mauer verläuft, bis zu dem Punkt, wo deren Vorder-
seite aus dem Blick verschwindet und nur noch die schmale, deutlich hellere Oberseite
der Mauer zu erkennen ist. Diese Anordnung sorgt dafür, dass das Quadrat auf seiner
ganzen Länge die Oberseite der Mauer verdeckt und nur den Blick auf deren Vorder-
seite mit ihren schmutzigen, graue Streifen bildenden Schlieren zulässt. In dem drei-
eckigen Feld auf der linken Seite des Fotos, das durch das Quadrat vom Rest abge-
trennt wird, sieht man noch ein weiteres kleines, ebenfalls dreieckiges Stück Mauer,
das analog zu dem im Vordergrund vertikale Streifen aufweist und dessen Oberkante
das Quadrat ungefähr auf der Höhe seiner Mittelachse trifft.
Baldessari fügt das Quadrat in einer Position, die sich an der Linienführung des
Bildes orientiert, in das Foto ein; die dadurch abgetrennten Teile des Fotos, wie z.B.
die Mauer, fallen aus dem Bild heraus und verwandeln sich in abstrakte, rein ästhetisch
604 Dass es sich um ein Hausdach handelt, lässt sich daraus schließen, dass am rechten und linken oberen Bildrand helle Punkte zu sehen sind, die als Lichter einer Stadt verstanden werden können. Dazu gibt es am rechten oberen Bildrand eine offene Tür, die in ihrer kastenartigen Form, die außerdem noch frei im Raum steht, an den Ausgang eines Treppenhauses auf das Dach denken lässt. Weiterhin erscheinen die Mauern für einen Hinterhof ein bisschen zu niedrig.
215
lesbare Flächen einer Komposition. Zudem verlieren sie durch die präzise Platzierung
des Quadrats, das nur den Blick auf eine Seite der Mauer freilässt, ihren räumlichen
Bezug. Das Resultat zeitigt eine Reduktion des fotografischen Bildes auf seine abstrakt
optischen Qualitäten als eine rein flächige Struktur. Das Foto erhält so eine doppelte
Wertigkeit, auf der linken Seite als ein Geflecht von Linien und Flächen, gewisserma-
ßen als eine ‘abstrakte Komposition’, auf der rechten Seite als gegenständlicher Be-
deutungsträger, der eine ‘konkrete’ Szene darstellt. Es handelt sich selbstredend nicht
um einen Zufall, dass sich Baldessari für diese ‘abstrakte Komposition’ mit einem
weißen Quadrat ausgerechnet einer der Ikonen der klassischen Moderne bedient, näm-
lich der Suprematistischen Komposition: Weiß auf Weiß (Abb. 59) von Malewitsch aus
dem Jahr 1918.605
In der Betrachtung des Fotos fallen die für die Analyse getrennten Lesarten ‘abs-
trakt’ oder ‘konkret’ allerdings wieder in eins, und man ist versucht, beide zu vermit-
teln oder in eine Richtung aufzulösen. Dabei spielt eine Rolle, dass sich das Quadrat
auf zwei Weisen interpretieren lässt: einmal als das beschriebene verfremdende Ele-
ment, das in seiner strengen Zweidimensionalität das Bild aufbricht; zum anderen aber
auch als die Rückseite eines weißen Schirms, den die beiden Personen anstarren, damit
also als ‘konkreten’ Bedeutungsträger und Teil der Bildsemantik. Zwischen dem Ein-
druck des weißen Quadrats als reinem Flächenelement und dem des Schirms als Ab-
bild der Wirklichkeit entsteht so eine Art von Vexierbild, das sich gerade nicht zu ei-
ner der beiden Seiten hin auflösen lässt: Einerseits wird das eigentlich bildfremde E-
lement des Quadrats in den gegenständlichen Bedeutungsrahmen des Fotos integriert,
andererseits verwandelt sich der linke Teil des Fotos durch das Quadrat in eine gegens-
tandslose Komposition.
Verbergen als Mittel der semantischen Bereicherung
Bei der bisherigen Analyse der formalen Aspekte ist der Inhalt des Fotos noch außer
Acht gelassen worden, dies soll nun ein Blick auf die semantische Seite des Vexier-
bilds korrigieren. Die fotografische Ästhetik, sowohl die körnige Qualität des
Schwarzweißfilms als auch die Inszenierung der Personen mit den ausgeprägten Licht-
Schatten-Effekten, weisen darauf hin, dass es sich um ein Filmstill aus einem Film
605 Die Bedeutung dieses Zitats bzw. dieser Appropriation des Bildes von Malewitsch wird weiter unten ausführlich analysiert werden.
216
noir der dreißiger oder vierziger Jahre handeln dürfte. Dieser Eindruck wird durch die
Kleidung und das Auftreten der beiden Personen unterstrichen. Sie erfüllen die für
Gangster typischen Attribute: schwarze Anzüge und ein bedrohliches Aussehen.
Der erste Eindruck, den diese Szene vermittelt, ist der einer bedrohlichen Span-
nung, die im Begriff ist, sich zu entladen. Die beiden Ganoven starren in einer Mi-
schung aus Entsetzen und Drohung in die Richtung des weißen Quadrats. Der vordere
streckt halbherzig die Hand aus: Ob er gerade seine Pistole fallengelassen hat oder
einer Person im verdeckten Bereich die Hand reichen will, lässt sich nicht mit Sicher-
heit sagen. Da sich die Szene auf einem Hausdach abspielt, wäre es denkbar, dass je-
mand auf der Mauer steht und im Begriff ist herunterzuspringen; möglich wäre aber
auch, dass dort jemand mit einer Waffe steht und die beiden Gangster bedroht.
Ausgerechnet der Grund für die bedrohliche Stimmung, auf den sich die Perso-
nen konzentrieren und der durch den ganzen Bildaufbau herausgehoben wird, ist nicht
sichtbar. Durch das Abdecken des eigentlichen Zentrums der Aufmerksamkeit wird die
dem Filmstill inhärente Spannung noch um ein Vielfaches verstärkt. Craig Owens
weist darauf hin, dass sich diese Leerstelle in dem Bild auch in den Blicken der Gangs-
ter widerspiegelt: „Insofar as the meaning of the protagonists’ gazes is defined by their
mutual object, Baldessari has literally hidden meaning.“606 Dieses Verbergen der Be-
deutung reichert die Szene mit einer Fülle von Konnotationen an und nimmt ihr die
vorhersehbare Konventionalität. Die vergleichsweise einfache Bildsprache der Szene
wird aufgewertet, weil statt des erwarteten Helden im hellen Anzug nichts zu sehen ist
und den Gangstern ohne ihren Gegenpart die Rolle des Bösen auch nicht mehr ohne
Weiteres zugeordnet werden kann.607 Statt einer klar definierten Bedeutung ergibt sich
nun eine Unzahl potentieller Bedeutungen, die sich vermittels der Phantasie (des Un-
bewussten) ausmalen lassen.
Ein weiterer Effekt dieser Aussparung ist, dass die Elemente, die für den Span-
nungsaufbau von entscheidender Bedeutung sind, aber normalerweise nicht ins Zent-
rum der Aufmerksamkeit rücken, wie die Gesten der Personen, die Lichteffekte und
die gesamte Komposition des Fotos, hervorgehoben werden. Auf diese Weise entsteht
eine paradoxe Doppelbewegung: Durch das Verbergen des eigentlichen Zentrums wird
606 Craig Owens, Telling Stories, in: Art in America, Vol. 69, May 1981, S. 129. 607 Die Technik, Spannung aufzubauen, indem etwas nicht gezeigt wird, ist selbstredend auch dem Film nicht fremd, allerdings mit dem Unterschied, dass dort die Aussparung außerhalb der Szene stattfindet und nicht in der Szene selbst. Der Film wird auf dieses Fehlen hin konzipiert, während hier in den Film nachträglich eingegriffen wird.
217
dem Bild einerseits etwas entzogen, ihm wird eine Leerstelle eingeschrieben, während
andererseits der Rest des Bildes vom Zuwachs der Aufmerksamkeit profitiert, die ihm
das fehlende Zentrum verschafft.
Filmstills als Bildquelle
In einigen der bereits diskutierten Arbeiten (z.B. A Different Kind of Order) hat Bal-
dessari ebenfalls medial vermittelte Fotografien verwendet, neu an dieser Arbeit ist
jedoch, dass er auf ‘Filmstills’ zurückgreift. Er selbst begründet deren Einsatz folgen-
dermaßen:
„[...] through movies there was a common language that I could speak, address people with. You might not know about art, but you knew about movies.”608
Die ‘Filmstills’ stellen für Baldessari also eine Art allgemeinverständliche Sprache
dar; damit bieten sie für ihn eine Möglichkeit, sich auf eine konventionelle Basis von
Zeichen zu beziehen, deren Code den meisten Menschen zugänglich ist, und diesen
mit dem ästhetischen Code zu verbinden. Die Verwendung dieser Filmbilder kann man
also als Versuch interpretieren, eine Verbindung zur Welt außerhalb der Kunst herzu-
stellen. Baldessari erliegt dabei allerdings nicht einfach naiv der Faszination der popu-
lären Medien, sondern macht sich diese zunutze, um den Code der ‘Kunst’, aber auch
den der Medien selbst zu hinterfragen.
Die Wahl des Genres Film noir als Bildreservoir dürfte einer Mischung aus per-
sönlichen und cinematografischen Gründen geschuldet sein. Gerade dieses Genre war
für die Generation Baldessaris äußerst prägend, die ihre ersten Kinoerfahrungen (zu-
mindest zum Teil) damit machte. Er selbst räumt ein, dass die Verwendung der Film
noir-Bilder kein Zufall war: “Well, I’ve got to say I have a predilection for film noir,
so that might skew my choices.“609 Allerdings fällt auf, dass Baldessari nie bekannte
Schauspieler oder Filmstandbilder, die ihre Herkunft aus einem ganz bestimmten Film
verraten, auswählt. Er versucht sich der allgemeinen Funktionsweise des Film noir als
Zeichensystem anzunähern, bei diesem Vorhaben würde das Wiedererkennen von
Stars vom allgemeinen Charakter der Arbeiten ablenken. Baldessaris Interesse an die-
608 John Baldessari, Interview mit Ingo Maerker. 609 John Baldessari, Interview mit Ingo Maerker.
218
sem Genre hängt aber auch damit zusammen, dass ihn von Anfang an das Thema Ge-
walt in den Bann gezogen hat:
„I remember that when I first used them [die Filmstills], the biggest file I had was people with guns. A lot of movies are about people with guns. If it was people finding a cure for cancer, I would have that kind of art.”610
In dieser Antwort wird der Grund für Baldessaris Interesse an dem Thema deutlich,
denn das Genre Film noir und das Thema der Gewalt gehören unteilbar zusammen, so
dass jemanden mit einer Vorliebe für Film noir dieses Thema nahezu ‘aufgezwungen’
wird.
Außerdem stellte der Film noir auch für die Entwicklung der Ästhetik des Kinos
insgesamt einen wichtigen Schritt dar.611 Der Film noir entstand in den vierziger und
frühen fünfziger Jahren. Die Filme sind, sowohl filmtechnisch als auch was die Hand-
lung betrifft, durch eine düstere Atmosphäre geprägt; dies zeigt sich auch daran, dass
die Filme selten ein Happy End haben. Es handelt sich um Gangsterfilme, die vor al-
lem in Los Angeles spielen und die negativen Seiten der Gesellschaft thematisieren;
ursprünglich durchaus in einem sozialkritischen Sinn. Gewalt ist ein dominierendes
Thema, wobei auch die Hauptfigur, in aller Regel ein heruntergekommener Privatde-
tektiv, dieser meist passiv ausgeliefert ist. Mike Davis beschreibt ‘Noir’, das ursprüng-
lich eine literarische Form war, folgendermaßen: „[...] a fantastic convergence of
American ‚tough-guy’ realism, Weimar expressionism, and existentialized Marxism –
all focused on unmasking a ‚bright, guilty place’ (Welles) called Los Angeles“.612 Die-
se Aussage bezieht sich in erster Linie auf das literarische Genre, die Filme legen noch
weitere Einflüsse nahe:
„Sometimes film noir is described in shorthand as the result of the encounter be-tween the American hard-boiled novel and exiled German expressionist cinema – a simplistic definition that leaves out other seminal influences, including psycho-analysis and Orson Welles.“613
Baldessari ist sich dieser Konnotationen des Film noir bewusst, was sich sowohl am
Titel Violent Space Series als auch an der Umsetzung durch die Technik des Verde-
ckens ablesen lässt.614
610 John Baldessari, Interview mit Ingo Maerker. 611 Die Bedeutung dieser Ästhetik zeigt sich daran, dass das Genre des Thrillers bzw. Gangsterfilms bis heute vom Film noir geprägt ist, teils als bewusstes Zitat, teils als Basis der Filmästhetik insgesamt. 612 Mike Davis, City of Quarz, New York 1990, S.18. 613 Ebd., S. 40. 614 Wie bereits erwähnt greift Baldessari damit die expressionistische Licht-Schatten-Ästhetik in einer zugespitzten Form auf. Denn auch diese basiert immer auf einer Dialektik von Verbergen und Offenle-
219
Die Violent Space Series thematisiert allerdings nicht so sehr die filmischen
Möglichkeiten des Film noir, sondern betrachtet diesen als Code, als Sammlung von
Zeichen, deren Bedeutung über den Film, dem sie entstammen, hinausgeht. Die
menschlichen Grunderfahrungen wie Furcht, Spannung oder Gewalt, vermittelt über
das Medium Film, sind es, die Baldessari interessieren. Die Vielzahl der Filme über
Gewalt drückt die Faszination der Gesellschaft von Gewalt aus. Will man sich also
damit beschäftigen, was diese Gesellschaft prägt, kommt man um dieses Thema nicht
herum.
Zugleich haben wir es aber auch mit einer Art Rückkopplungseffekt zu tun, denn
die Filmbilder prägen entscheidend unser Bild der Wirklichkeit. Zumal sich gerade die
Filmstandbilder dadurch auszeichnen, dass sie zwischen zwei Orten, „der Schwelle
zwischen Stadtraum und Kinosaal“,615 vermitteln. Sie stehen also zwischen der Reali-
tät der Welt und der des Films:
„Es sind die letzten Standbilder vor einem Film, auf die man als Betrachter noch einen prüfenden Blick werfen kann. [...] Nach dem Film sind sie dann wieder zur Stelle und zeigen sich in einem anderen Licht: Es sind jetzt Erinnerungsbilder [...]“.616
Diese Bilder verschwinden gewöhnlicherweise, nachdem ein Film gelaufen ist; indem
Baldessari sie hier einsetzt, holt er sie aus dem Vergessen wieder in die Erinnerung
zurück.
In der Violent Space Series funktionieren die Filmstandbilder als Platzhalter ei-
ner ganz allgemeinen Erinnerung an Filme bzw. an Gewalt in Filmen, weil sie gerade
nicht an einen bestimmten Film erinnern. Sie aktivieren Angstbilder und Bedrohungs-
szenarien, deren filmische Umsetzung längst allgemeingültigen Charakter gewonnen
hat.617 Wenn Baldessari Bilder herstellen will, die alle verstehen können, ist es nur
konsequent, sich des Reservoirs der Bilder zu bedienen, die unser kollektives Be-
wusstsein prägen, nämlich der Filme.
gen, wobei die Spannung gerade durch die Unsicherheit über das, was im Schatten liegt, erzeugt wird. Dass es in diesen Filmen zugleich oft um die dunklen Seiten der menschlichen Triebe und verdrängte Wünsche des Unbewussten geht, ist selbstredend kein Zufall: Form und Inhalt fallen hier in eins. 615 Pauleit, Movie Stares, in: A Different Kind of Order (Kat.), S. 85. 616 Ebd. 617 Dieses Phänomen ist an sich nicht neu, ähnlich arbeiten auch Märchen. Neu ist das Medium Film mit seinen ganz anderen Möglichkeiten der Bebilderung und der Erzeugung virtueller Räume und Szenarien, das ein neues Reservoir an Bildern hervorgebracht hat. Ein Beispiel dafür ist die Duschszene aus Hitch-cocks Film Psycho, die inzwischen in das kollektive Gedächtnis als universelles Angstbild eingezogen ist.
220
Eine Hommage an Malewitsch?
Im bisherigen Verlauf der Bildanalyse ist ein Aspekt des Titels noch nicht ausreichend
gewürdigt worden, nämlich der Verweis auf Malewitsch. Die Art der Formulierung –
For Malevich – legt nahe, dass es sich um eine Hommage handeln könnte, allerdings
eine sehr bemerkenswerte Form der Hommage: wie bereits erwähnt zitiert die weiße,
quadratische Aussparung ein bestimmtes Bild von Malewitsch, nämlich die Suprema-
tistische Komposition: Weiß auf Weiß (Abb. 59) von 1918.618 Das Bild von Male-
witsch besteht aus einem kleineren weißen Quadrat, das schräg in ein größeres weißes
Quadrat eingefügt wurde. Baldessari hat die Proportionen und die Winkel des inneren
Quadrats im Verhältnis zum Bildrand übernommen, hat allerdings das Bild um 90°
gedreht und die Form des äußeren Quadrats in ein Rechteck verändert, dessen Seiten-
flächen die Ecken des inneren Quadrats berühren und das rechts verlängert wurde.
Baldessari zitiert also ausgerechnet das berühmte ‘Weiße Quadrat’ – und damit
eine der ‘Ikonen’ des Suprematismus619 – und verwendet dieses als Mittel zum Span-
nungsaufbau im Kontext eines Filmstills. Eine bemerkenswerte Appropriation, die
eine Kollision der Hochmoderne mit der Populärkultur auf überraschende und humor-
volle Weise arrangiert. Van Bruggen sieht darin durchaus eine Form der Hommage:
„By injecting an eerie emotional quality into the tabula rasa of the constructivist white plane, Baldessari was not necessarily trying to reduce Malevich, to take him off his pedestal. [...] he simply tried to make Malevich more accessible and human.“620
Abgesehen davon, dass es zwischen konstruktivistisch und suprematistisch durchaus
einen Unterschied gibt, geht die Beschreibung der weißen Fläche des Quadrats als ei-
ner Tabula rasa an Malewitsch’ Vorstellungen des weißen Quadrats als Zukunft der
gegenstandslosen Kunst schlechthin vorbei. Van Bruggen stellt hier falsche Alternati-
ven einander gegenüber: Wie im Folgenden gezeigt wird, geht es weder darum, Male-
618 Öl auf Leinwand, 79,4 x 79,4 cm, seit 1999 im Besitz des Museum of Modern Art in New York. 619 Die Suprematistische Komposition: Weiß auf Weiß stellt eines der wichtigsten Gemälde für Male-witsch’ Kunst jener Zeit dar: „Im Suprematismus wurden drei Stadien beleuchtet: ein farbiges, ein schwarzes und ein weißes, was mir ermöglicht hat, grafische Kunst zu schaffen und die Zukunft im wei-ßen Quadrat als neue weiße Epoche der Konstruktion der Welt des gegenstandslosen Suprematismus zu beleuchten.“ (Kasimir Malewitsch, Für den 2. Teil des Suprematismus als gegenstandslose Kunst, das befreite Nichts, 1920, Manuskriptheft, Privatarchiv, St. Petersburg, S. 43, zit. nach: Jean-Claude Marca-dé, Kasimir Malewitsch als Maler und Autor: zur Entstehung einer suprematischen Philosophie, in: Kasimir Malewitsch: Suprematismus (Kat.), Matthew Drutt (Hg.), Deutsche Guggenheim Berlin (14.1.2003 - 27.4.2003), New York/Berlin 2003, S. 34. 620 Van Bruggen, John Baldessari, S. 96.
221
witsch vom Sockel zu stoßen, noch darum, ihn ‘zugänglicher’ und ‘menschlicher’ zu
machen.
Betrachtet man den Aufbau von Two Stares Making a Point But Blocked by a
Plane (For Malevich), so wirkt das weiße Quadrat wie eine Konfrontation der Kunst
mit der Wirklichkeit: Die beiden Gangster sind wie erstarrt angesichts des suprema-
tistischen Quadrats, das aus dem Bereich der gegenstandslosen Kunst in die ‘Wirk-
lichkeit’ versetzt wurde. Auf diese Weise entsteht für die Betrachterin ein Bruch der
semantischen Kontinuität in der Welt der beiden Gangster, weil diese scheinbar mit
dem fremden Objekt interagieren. Das Quadrat wird in einen neuen Kontext versetzt,
nämlich den Film. Dieser stellt eine wenn auch verzerrte Abbildung der Wirklichkeit
dar und integriert das Quadrat damit in diesen Kontext. Darin könnte sich ein Verweis
auf die Idee einer Grenzüberschreitung von Kunst und Leben andeuten, wenn auch in
einer anderen Form, als es sich die Avantgarde vorstellte.621
Im Kontext von Baldessaris Kritik des Modernismus, die sich durch alle seine
Arbeiten zieht, ergibt sich allerdings noch eine weitere Interpretationsmöglichkeit:622
Wenn man sich die zentrale Rolle des ‘reinen Sehens’, des desinteressierten modernis-
tischen ‘Blicks’, der – nicht nur für Greenberg – die Grundbedingung der modernisti-
schen Ästhetik überhaupt ist, ins Gedächtnis ruft, erscheint das Starren der Männer als
eine Karikatur dieses modernistischen Blicks. Dieses ‘reine’ Sehen kann hier nicht
mehr funktionieren, weil ihr Blick kein (ästhetisches) Objekt mehr erreichen kann und
weil das, was sie eigentlich vor Augen haben, durch das weiße Quadrat, als Zitat der
modernen Kunst, verborgen (abgeblockt) ist. Ihr ‘objektloser’ Blick richtet sich auf das
weiße Quadrat, das sie aber eigentlich gar nicht sehen können, und wird auf diese Wei-
621 Zur Frage der Avantgarde vgl. Kapitel 3.2.2. 622 An dieser Stelle ergibt sich allerdings eine Frage, die sich auf die genaue Rolle des Suprematismus und der russischen Avantgarde insgesamt im Kontext des Modernismus bezieht. Diese komplexe Prob-lematik lässt sich im Rahmen dieser Untersuchung nur anreißen. Es muss hier bei dem Hinweis bleiben, dass zumindest Anfang der sechziger Jahre diese Kunst relativ unbekannt und auch nicht Teil des Ka-nons eines Greenberg war, andererseits aber bestimmte Vorstellungen von Reinheit, die Malewitsch mit dem Suprematismus verbunden hat, durchaus eine Parallele zum Modernismus darstellen – gleichzeitig hatte der Konstruktivismus immer einen klaren sozialen und praktischen Bezug, der sich von der Idee einer L’art pour l’art grundsätzlich unterscheidet. Tatsächlich entdeckten ausgerechnet die Künstler der Minimal Art, mit den üblichen Missverständnissen, den Konstruktivismus wieder. Wobei der Suprema-tismus eines Malewitsch mit seinem eher transzendentalen Ansatz eine geringere Anziehungskraft aus-übte. Es wäre also möglich, dass Baldessari auf diese Weise auch die Helden der Minimal Art demontie-ren wollte, um deren Wurzeln in der Kunst der Moderne deutlich zu machen.
222
se wörtlich genommen ‘desinteressiert’.623 Das prägnante Starren unterstreicht diese
Konnotation noch. Im Titel Two Stares Making a Point But Blocked by a Plane (For
Malevich) steckt noch eine weitere Doppeldeutigkeit, die diese Interpretation stützt: ‘to
make a point’ bedeutet auch: eine Aussage untermauern, etwas beweisen. Die blo-
ckierten Blicke beweisen also, dass sich allein mit dem ‘reinen’ Sehen kein Verständ-
nis von Kunst gewinnen lässt.
Baldessari führt in dieser Arbeit nicht nur die modernistische Ideologie des ‘rei-
nen’ Sehens ironisch ad absurdum, sondern auch die der klaren Trennung zwischen
Kunst und Leben. Dabei ist bereits die Kombination des suprematistischen Quadrats
mit einem Filmstill ein Bruch mit dem ‘reinen’ Sehen, weil dieses Sehen ein völlig
autonomes, ‘reines’ Kunstwerk voraussetzt, das von seinem Kontext nicht beeinflusst
wird. Die wechselseitige Aufladung von weißer Fläche und Foto demonstriert gerade
das Gegenteil, indem sie deutlich macht, wie fließend der Prozess der Signifikation ist
und wie sich die Bedeutung des Quadrats durch das Versetzen in einen anderen Kon-
text verschieben und ausweiten kann.
Die modernistische Idee der Reinheit wird schließlich auch schon durch die hyb-
ride Form der Arbeit kritisiert. Diese Hybridität wirkt auf verschiedenen Ebenen; aus
dem Blickwinkel der modernistischen Ästhetik ist bereits die Verwendung von Foto-
grafie an sich eine Überschreitung. Baldessari geht aber noch weiter, indem er sich
gefundener medialer Bilder bedient. Das Ziel dieser Verwendung geht über die Kritik
der modernistischen Ideologie hinaus und bezieht auch die Wirkungsweise medialer
Bedeutungserzeugung ein, indem diese Filmstills ebenfalls in einen neuen Kontext
versetzt werden. Dahinter steht die Vorstellung, dass die medialen Bilder gewisserma-
ßen moderne ‘Archetypen’ sind, die in unser Bewusstsein (und Unbewusstes) als neues
kollektives Reservoir eingegangen sind und durch die unsere Wahrnehmung immer
schon gefiltert wird.
623 Der Begriff ‘desinteressiert’ bezieht sich auf die kantischen Wurzeln von Greenbergs Kunsttheorie, weil bei Kant ein Geschmacksurteil nicht mit irgendeinem Interesse verbunden sein darf (vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, § 2. S. 117 und Harrison, Essays on Art & Language, S. 6, siehe Kapitel 3.1.2.).
223
Violent Space Series: Nine Feet (Of Victim and Crowd) Arranged by Position in
Scene
Die anderen Beispiele aus dieser Serie arbeiten mit ähnlichen Voraussetzungen, aller-
dings gibt es dort keinen direkten Bezug auf einzelne Werke der Kunstgeschichte. Bei
Nine Feet (Of Victim and Crowd) Arranged by Position in Scene (Abb. 60)624 findet
sich wieder, wie bei Two Stares Making a Point, die beschriebene Dialektik von Ver-
hüllen und Offenlegen. Auf den ersten Blick wirkt es, als seien auch hier Teile des
Bildes durch eine gleichfarbige Fläche verhüllt worden, wobei allerdings der größte
Teil des Bildes verdeckt zu sein scheint. In Wirklichkeit ist das Verhältnis von Foto
und Abdeckung invertiert. Die runden Fotoausschnitte sind auf die graue Fläche ge-
klebt.
Es handelt sich um sieben gleich große runde Ausschnitte aus Fotos, von denen
einer allerdings vom rechten Bildrand angeschnitten wird, auf denen Füße und ansatz-
weise zwei Arme zu erkennen sind. Die Kreise sind, bis auf einen, der sich am linken
unteren Bildrand befindet, in etwa entlang der Mittelachse des Bildes angeordnet, aus-
gehend vom linken Bildrand, wo sich eines der Fotos befindet. Die meisten Kreise
sammeln sich in der rechten Bildhälfte, wobei vier von ihnen eine Art Halbkreis bil-
den, während einer etwas nach rechts unten versetzt ist.
Die Ausschnitte vermitteln den Eindruck, dass sie sich zu einem Gesamtbild zu-
sammenfügen lassen. Die auf ihren Fersen liegenden Schuhe und Ansätze von Beinen
links deuten darauf hin, dass es sich um eine Person handelt, die auf dem Boden liegt.
Der Halbkreis rechts könnte sich um den fehlenden Kopf formiert haben, zu dem sich
eine der Personen gerade herunterbeugt, deren Arme zu sehen sind und deren Fußstel-
lung darauf hindeutet, dass sie sich in einer hockenden Position befindet. Daneben
sieht man die Füße einer Frau, einen schwarzen Männerschuh mit einem kleinen Fleck
auf dem Boden vor ihm, vielleicht Blut, sowie ganz rechts einen weiteren Männer-
schuh, der hell angeleuchtet ist. Die letzten beiden dürften wahrscheinlich einer Person
gehören, darauf deutet ihre Position und ihre Ähnlichkeit hin. Schließlich lässt sich an
der Haltung des Schuhs am unteren Bildrand erkennen, dass er von einer knienden
Person stammen muss, die sich vermutlich von der anderen Seite zu der liegenden Per-
son herunterbegibt. Allerdings stellt erst der Titel Nine Feet (Of Victim and Crowd)
624 Schwarzweißfotografie mit Kollage, gesamt: 61,9 x 92,7 cm.
224
Arranged by Position in Scene sicher, dass die wenigen visuellen Informationen aus-
reichen, um das Bild zu vervollständigen.
Gerade weil alles so perfekt arrangiert ist, drängt sich die Frage auf, ob es sich
wirklich um ein zusammenhängendes Foto handelt oder ob hier verschiedene kombi-
niert wurden. Schließlich sind die Ausschnitte aufgeklebt, sie könnten also ursprüng-
lich von verschiedenen Fotos stammen oder zumindest an anderen Stellen gewesen
sein, zumal der Titel in einer verräterischen Wortwahl von ‘Arranged’ spricht. Aber
genau in dieser Unsicherheit liegt die Pointe des Titels, dessen Wahrheitsgehalt gerade
wegen seiner Offenheit auf einer zweiten Ebene wieder fraglich erscheint.
Bemerkenswert ist, wie wenige Informationen man benötigt, um das Bild zu ent-
schlüsseln, allein die Verteilung der Fotos auf dem Bild sowie die Positionen der Füße
reichen aus, um eine komplexe Situation zu rekonstruieren. Dabei erfolgt die Auswahl
des Gezeigten in einer rein kontingenten Weise, in diesem Fall werden z.B. nur Füße
gezeigt, von denen man nicht einmal sagen kann, ob sie alle von ein und demselben
Foto stammen. Die genaue Herkunft und Bedeutung des ursprünglichen Bildes, falls es
nur eines war, bleibt verborgen, und doch kann man die suggerierte Situation verste-
hen, selbst wenn man nicht weiß, wer oder ob überhaupt jemand auf dem Boden liegt.
Die Spannung ergibt sich aber wieder aus dem, was man nicht sieht, dem Verborge-
nen, dem nur Angedeuteten, das hier den Großteil des Bildes ausmacht. Durch diese
Reduktion auf das Angedeutete wird die Bedeutung des Bildes erst generiert, und aus
einer Ansammlung runder Fotos von Füßen wird der Schauplatz eines Verbrechens.
Baldessari verdeutlicht den universellen Charakter der Fotos, indem er die Frage auf-
wirft, wie sich Bedeutung überhaupt entfalten kann. Dafür eignen sich die Filmstills
hervorragend, denn diese sind allgemeinverständlich und beziehen sich auf die Situati-
onen, die jeder kennt. Es ist nicht nötig, den oder die Filme zu kennen, aus denen die
Filmstills stammen, um dieses Bild zu verstehen. Dadurch dass sie aus ihrem determi-
nierenden Rahmen abgezogen werden, öffnen sie sich gleichzeitig auch wieder der
subjektiven Interpretation und der individuellen Phantasie, der sie als Anlass dienen,
sich innerhalb des Rahmens wieder neu zu positionieren.
225
Violent Space Series: Five Vignetted Portraits of Stress Situations
Ganz gegensätzlich geht Baldessari bei den Five Vignetted Portraits of Stress Situati-
ons (Abb. 61) vor.625 Zu sehen sind die Gesichter von fünf Männern, die jeweils vig-
nettenartig von einem weißen Hintergrund abgehoben sind. Es handelt sich wieder um
Filmstills, die allerdings zusätzlich noch bearbeitet wurden. Alle zeigen nämlich in der
Mitte eine mehr oder weniger deutlich ausgeprägte Art von Schatten, der sich nicht aus
der Beleuchtung der Szene erklären lässt. Außerdem wirken die Fotos aufgrund ihrer
Unschärfe insgesamt sehr weich. Dadurch und durch die Vignettierung wird der Ein-
druck erweckt, es handele sich um alte Fotos, z.B. besonders ‘künstlerische’ Porträt-
aufnahmen aus dem letzten Jahrhundert. Baldessari versucht hier die Konnotation his-
torischer Aufnahmen für diese Bilder zu evozieren, indem er durch den Schatten auf
Vergilbung oder technische Mängel verweist, ohne dass er eine perfekte Imitation an-
strebt.
Betrachtet man die nebeneinanderhängenden Bilder, fällt auf, dass Baldessari
hier einen Rhythmus erzeugt, indem er bestimmte Gesichtsausdrücke wiederholt. Im
Zentrum steht das Gesicht eines Mannes, der voller Schrecken, in einer stummen Ges-
te, den Mund geöffnet hat und die Augen auf einen Punkt links neben dem Betrachter
fixiert. Seine Augen sind die einzigen, die geöffnet sind, und ziehen dadurch die Auf-
merksamkeit der BetrachterInnen auf sich. Links und rechts neben ihm befinden sich
zwei Gesichter mit sehr ähnlichem Ausdruck, beide kneifen die Augen und den Mund
zusammen und wenden den Kopf nach unten, jeweils leicht zur Mitte hin geneigt. Die
äußeren Gesichter zeigen ebenfalls einen ähnlichen Ausdruck: Rechts sind die Augen
geschlossen, während der Mund geöffnet ist und sich die Zähne zeigen. Die Position
des Kopfes ist relativ waagerecht. Links sind Augen und Mund ähnlich, aber der Kopf
wird leicht nach hinten geworfen. Beide wenden sich geringfügig nach links. Auf diese
Weise ergibt sich ein Wechsel zwischen waagerechten und nach unten gerichteten Ge-
sichtern, die sich um die Mitte gruppieren und die insgesamt grob der Blickrichtung
des mittleren Mannes folgen.
Die fünf Gesichter sind aus ihrem narrativen Kontext, der allein erklären könnte,
wie diese Grimassen zustande kommen, völlig herausgelöst. Und doch meint man die
Gesichtsausdrücke der Protagonisten sofort zu erkennen. Die beiden äußeren Gesichter
625 Die Arbeit besteht aus fünf Schwarzweißfotos auf Karton kaschiert, je: 28 x 35,2 cm.
226
erwecken den Eindruck, als befänden sie sich im Todeskampf. Der Mann in der Mitte
scheint Todesangst zu durchleben, umrahmt von zwei Menschen, die offenbar große
Schmerzen durchleiden, vermutlich sind sie verwundet.
Befremdlich ist allerdings die Form der Präsentation, denn die Bilder werden zu-
sätzlich durch die Vignettierung zu einer Art Porträt aufgewertet. Anders als bei her-
kömmlichen Porträts wird hier nicht versucht, individuelle Persönlichkeiten hervorzu-
heben, sondern es werden extreme Gemütszustände ‘porträtiert’, die viel zu sehr Aus-
druck einer besonderen Situation sind, als dass sie sich eignen würden, eine bestimmte
Person zu charakterisieren.626 Im Gegenteil erhalten die Bilder durch die völlige Über-
treibung der Gesichtsausdrücke einen viel zu allgemeingültigen Charakter, als dass sie
jemand für ein Porträt halten könnte. Sie zeigen persönliche, individuelle Umgangs-
weisen mit Schmerz, also den subjektiven Ausdruck eines allgemeinen Phänomens,
und nicht tatsächliche Personen, zumal es sich um Schauspieler handelt, die diese Re-
gungen nur spielen.
Diese offensichtliche Widersprüchlichkeit, die sich bereits im Titel Five Vignet-
ted Portraits of Stress Situations äußert, dient Baldessari dazu, die Künstlichkeit der
Filmstills zu betonen, indem er diese entgegen den gängigen Erwartungen als Porträts
präsentiert. Schließlich handelt es sich nur um Abbilder, die zeigen, wie sich die
Schauspieler bzw. Regisseure diese Gemütszustände vorstellen. Die Frage ist in die-
sem Zusammenhang allerdings, ob es nicht gerade die mediale Vermittlung ist, die
diese Gesichter verständlich macht, bzw. ob diese nicht in Wirklichkeit authentischer
wirken als die tatsächlichen, weil ebendiese allgemeinen Gefühle so dargestellt sind,
dass sie von allen verstanden werden können, ohne diese wirklich selbst zu erleiden.
Zugespitzt formuliert könnte man sogar sagen, dass unsere Erfahrungswelt nur noch
die Medienwirklichkeit der kollektiven Bilderwelt kennt, dass also in unserem Be-
wusstsein diese Bilder dabei sind, den Raum eigener Erfahrung zu übernehmen.627
Baldessari arbeitet mit diesen Codes, indem er die in ihrer Isolation absurd wir-
kenden Grimassen wie beliebige Zeichen verwendet, die sich einfach auf einer rein
syntaktischen Ebene neu kombinieren lassen. Wir kennen zwar den Code, verstehen
die Gesichter, aber herausgerissen aus ihrem Kontext verlieren sie die semantische
626 Die Idee, bestimmte Gemütszustände in der Form von Porträts darzustellen, erinnert an die Charak-terkopfplastiken des österreichischen Barockkünstlers Franz Xaver Messerschmidt, wie etwa der Erzbö-sewicht (Abb. 62) (nach 1770), die auch nicht als Abbilder einer bestimmten Person gedacht sind. 627 Man muss sich nur einmal vor Augen führen, wie viele Menschen den Tod oder das Sterben nur durch die Medien und ihre Bilder davon kennen.
227
Bedeutung und werden auf einmal wieder einfach als eigene visuelle Zeichen sichtbar,
die sich auch in einem anderen Kontext, z.B. dem der Kunst, nach anderen Regeln
zusammensetzen lassen. In diesem Fall findet dies, wie bereits beschrieben, auf mehre-
ren Ebenen statt.
Zunächst gibt es eine Vermischung von Hoch- und Populärkunst durch die Ver-
wendung der altmodischen Technik der Vignettierung, die den Bezug zur Porträtfoto-
grafie herstellt und so diese Bilder aus belanglosen B-Movies auf eine entscheidende
Weise aufwertet. Aber auch in Bezug auf den Kontext der Fotografie selbst findet sich
eine Ungleichzeitigkeit, denn die Form selbst entspricht nicht dem aktuellen Code.
Auf diese Weise ergibt sich eine doppelte Brechung des Codes. Die Fotos selbst wer-
den gleichzeitig streng formalistisch nach ästhetischen Gesichtspunkten kombiniert,
sichtbar etwa in der Erzeugung eines Rhythmus durch die Haltung der Köpfe. Baldes-
sari behandelt die Fotos der Gesichter zuerst einfach als ‘objets trouvés’, als reine Sig-
nifikanten ohne Bedeutung, wohl wissend, dass sich diese Trennung nicht wirklich
vollziehen lässt. Denn auch auf der semantischen Ebene setzt sich die Rhythmisierung
fort. Die verschiedenen Gesichtsausdrücke der Personen stehen für verschiedene Zu-
stände des Schmerzes und der Verwundung bzw. des Sterbens. Das Gesicht in der Mit-
te hingegen zeigt die Angst einer Person vor dem Tod, also vor dem, was in den ande-
ren Fotos gezeigt wird. So ergibt sich auch ein semantischer Zusammenhang zwischen
den Fotos, der sich um das potenzielle Leid und das erlebte Grauen der Person in der
Mitte gruppiert.
Dieser semantische Charakter bezieht sich zwar auf den ursprünglichen Kontext
der Bilder, indem diese Gesichter ihre Lesbarkeit behalten, aber sie sind dem narrati-
ven Fluss entzogen. Sie formen keine Geschichte, sie ergeben keinen narrativen Sinn.
Deutlich wird so in erster Linie der Zeichencharakter der Bilder und damit zwei Phä-
nomene, die damit verbunden sind, erstens ihre Künstlichkeit und zweitens ihre Fähig-
keit zu bedeuten. Künstlichkeit steht hier dafür, dass die Gesichter überhaupt als Zei-
chen wahrgenommen werden können; indem sie aus ihrem Kontext entfernt und nach
anderen Gesichtspunkten geordnet werden, wird der Mythos ihrer vermeintlichen Un-
mittelbarkeit zerstört und ihre Arbitrarität offengelegt. Gleichzeitig zeigt sich aber
auch der zweite Punkt, nämlich die Tatsache, dass die Signifikate nicht ohne Weiteres
auszuschalten sind. Die Fotos lassen sich nicht als pure Formen kombinieren, ohne
dass sie auf irgendeine Weise wieder Bedeutung generieren würden.
228
Die Verwendung von Bildern aus einem bereits vermittelten Kontext entspricht
einer doppelten Verschiebung, der die Bilder ausgesetzt sind. Sie werden auf diese
Weise vom Zeichen für etwas Reales, das filmisch umgesetzt werden muss, zum Zei-
chen für genau diese Umsetzung selbst. Damit wird der Prozess des Bezeichnens ins-
gesamt thematisiert, also die Frage, wie Abbildung funktioniert und wie diese Zeichen
codiert sind. Der Film als Teil der Medien insgesamt ist dabei nicht irgendein Code,
sondern die gegenwärtig dominierende Art und Weise, sich ein Bild von der Welt zu
machen und die Wahrnehmung der Wirklichkeit zu prägen. Ob man dabei so weit wie
Baudrillard gehen muss, die Realität hinter den Simulakren verschwinden zu lassen,
sei einmal dahingestellt:
„Today it is quotidian reality in its entirety – political, social, historical and eco-nomic – that from now on incorporates the simulatory dimension of hyperreal-ism. We live everywhere already in an ‘esthetic’ hallucination of reality. The old slogan ‘truth is stranger than fiction’, that still corresponded to the surrealist phase of this aestheticization of life, is obsolete.“ 628
Zweifellos sind aber unsere Erfahrungen und Vorstellungen von klein auf an bestimm-
te mediale Formen gebunden, unabhängig davon, ob wir nun bestimmte Filme kennen
oder nicht, weil das gesamte gesellschaftliche Unbewusste von den Produkten der Kul-
turindustrie geprägt ist. Auf diese Mechanismen spielt Baldessari an, indem er auf
Filmstills als Material zurückgreift.
Violent Space Series: Six Vignetted Portraits of Guns Aligned and Equipoised (Vio-
let)
In eine ähnliche Richtung geht die Arbeit Six Vignetted Portraits of Guns Aligned and
Equipoised (Violent) (Abb. 63),629 allerdings mit der Verwendung des bereits aus A
Different Kind of Order (The Thelonious Monk Story) (Abb. 7) und anderen Arbeiten
bekannten Prinzips, die Rahmen in einer unüblichen Weise anzuordnen. Die sechs
Bilder von Pistolen sind so nebeneinander angebracht, dass alle Läufe auf einer Linie
liegen, die waagerecht in etwa die Mitte der Fotos durchläuft. Weil die Pistolen aller-
dings jeweils nicht waagerecht zu ihren Rahmen ausgerichtet sind, sind die Bilder im-
mer mehr oder weniger schräg gestellt. Am geradesten sind die Fotos am Rand, die
außerdem eine ‘Profilansicht’ zeigen. Neben ihnen befinden sich zwei recht stark ge-
628 Jean Baudrillard, The Orders of Simulacra, New York 1983, S. 159. 629 Sechs Schwarzweißfotos auf Karton kaschiert, je: 35,6 x 28 cm.
229
kippte Rahmen, mit Pistolen ebenfalls im Profil, die auf die beiden äußeren Pistolen
zielen, während die in der Mitte weniger schräg stehen und zwei gegeneinander gerich-
tete Pistolen im Halbprofil zeigen. Auffällig ist, dass die Bilder unterschiedlich scharf
bzw. gekörnt sind. Sie dürften vermutlich im Original unterschiedlich groß gewesen
sein. Auf allen Bildern ist auch die Hand zu erkennen, die die Pistole hält.
Wie schon bei Five Vignetted Portraits of Stress Situations (Abb. 61) zeichnet
sich die Arbeit durch eine Rhythmisierung der Bilder aus, die hier jeweils zu Paaren
geordnet sind. Es findet zur Mitte hin eine gewisse Steigerung statt, die aber durch das
ordnende Gesamtprinzip vereinheitlicht wird. Wegen der unterschiedlichen Ansichten
wirkt es so, als seien die beiden Pistolen in der Mitte nicht ganz im Lot. Dabei handelt
es sich allerdings, wie eine genauere Betrachtung ergibt, um eine optische Täuschung,
die damit zusammenhängt, dass wir Fotos – aber auch andere realistische Bilder – im-
mer als Abbild der räumlichen Wirklichkeit sehen und nicht als Projektion derselben
auf eine Fläche. Baldessari spielt so mit unseren Sehgewohnheiten, allerdings ohne
dass dies der zentrale Punkt dieser Arbeit wäre.
Insgesamt konstituiert sich diese Arbeit als Mischung verschiedener Elemente
aus anderen Beispielen, wie etwa der Aufhebung der gewöhnlichen waagerechten
Hängung der Rahmen, die durch eine Anordnung nach arbiträren Regeln ersetzt wird,
oder der Verwendung von vignettierten ‘Porträts’. Der Bruch mit dem Code des Port-
räts ist hier allerdings noch weitgehender, denn das ‘Porträt’ einer Pistole widerspricht
der Grundbedingung, dass ein Porträt eine Person darstellt. Tatsächlich bedient sich
Baldessari hier nur der äußeren Form, um einen Kontrast zu dem Inhalt, also den Waf-
fen, zu erreichen.630
Six Vignetted Portraits of Guns zeichnet sich im Unterschied zu A Different
Kind of Order durch eine Modifikation des Verhältnisses von Bild und Rahmen aus.
Dort war die zweite Ordnung, also die waagerechte Reihe der Fotos im Gegensatz zu
ihren Rahmen, den eigentlichen Motiven äußerlich, und die Verbindung stellte sich
über die Schräglage der Fotos in Relation zu ihren Rahmen dar. Es waren also im
Grunde genommen zwei Systeme von Rahmen, zum einen das Passepartout und zum
anderen der eigentliche Rahmen, die um die Fotos herum die Dialektik der Ordnung
inszenierten, ohne dass sich dies in den Bildern anders als metaphorisch niederge-
schlagen hätte. Bei Six Vignetted Portraits of Guns verhält es sich in dieser Hinsicht
630 Möglich wäre auch, dass hier ein ironischer Verweis auf den Waffenfetischismus in den USA impli-ziert ist.
230
völlig anders. Hier haben wir es nicht mit zwei den Motiven äußerlichen Systemen der
Rahmung zu tun, sondern damit, dass ein arbiträres, den Fotos aber intrinsisches Ele-
ment, nämlich die Ausrichtung der Pistolenläufe, verwendet wird, um ein neues Prin-
zip der Anordnung der Fotos zu erzeugen. Baldessari selbst beschreibt diese zwei ver-
schiedenen Möglichkeiten folgendermaßen:
„I’ve used two kinds of framing situations in the last ten years. One, which I call framing from without where [...] you accept the square or the rectangle and then we can go into other geometric variations like the equilateral triangle, a circle, extended rectangle, what-have-you, and then I compose within that, or framing from within: there I take a shape – the subject matter that I’m using dictates the frame.“631
Damit fällt allerdings auch der metaphorische Bezug weg, den die Motive in A Diffe-
rent Kind of Order zu ihrer Präsentation haben. Baldessari verwendet die Pistolen in
erster Linie als auf ihre formalen Eigenschaften reduzierte kompositorische Elemente,
wobei hier wieder wie schon bei Five Vignetted Portraits of Stress Situations die Me-
chanismen der Signifikation auf einer Metaebene wiederkehren.
Die Verwendung eines arbiträren Prinzips zur Generierung von Formen wieder-
um verweist auf eine andere Serie, die bereits analysiert wurde, nämlich die Throwing
Balls-Serie. Bei der Herstellung von A Different Kind of Order ist es trotz des Ein-
drucks von Zufälligkeit letztendlich Baldessari, der für die genaue Ausführung der
Verschiebung verantwortlich zeichnet. Bei der Throwing Balls-Serie (Abb. 8) hinge-
gen gibt er nur noch die Regeln vor und lässt den Zufall die jeweilige Form finden, so
dass das Prinzip der Strukturierung auf der Idee des Künstlers gründet, es sich aber
gleichzeitig, was die Ausführung angeht, seiner Kontrolle entzieht.632 Darauf baut Six
Vignetted Portraits of Guns wiederum auf, indem hier ein Ordnungsprinzip zur An-
wendung kommt, das auf Elementen basiert, deren Herstellung nicht nur der Kontrolle
des Künstlers entzogen ist, sondern von diesem nicht einmal initiiert wurde. Hier wird
dem Reich des Zufalls als Bildgestalter die mediale Bilderwelt entgegengestellt.
Baldessari hat bereits in anderen Arbeiten mediale Bilder verwendet, z.B. in A
Different Kind of Order, in dieser Serie allerdings wird diese Einbeziehung auf einer
631 John Baldessari, Recalling Ideas, Interview mit Jeanne Siegel, in: Art in America (New York), Vol. 62, Nr. 8, 1988, S. 88. Eine spätere Arbeit, die dieses Prinzip verdeutlicht, ist Shape Derived from Ob-
ject (Snake): Used as a Framing Device to Produce New Photographs, 1981. Hier nimmt Baldessari die Form einer Schlange auf einem Foto als Ausgangspunkt, indem er diese Form auf andere Fotos als Rahmen überträgt. Dabei gibt es eine dialektische Spannung zwischen Form und Inhalt, die sich teilwei-se auf überraschende Weise auflöst, wenn z.B. auf einigen der Bilder die Schlangenform mit dem Motiv doch wieder zusammenpasst. 632 Zum Verhältnis von Zufall und Wahl des Künstlers, siehe Kap. 4.2.4.
231
neuen Ebene verwirklicht. Baldessari benutzt die Pistolen, wie schon die Gesichter in
der vorhergehenden Arbeit, als Zeichen, als reine Formen, die er aus ihrem narrativen
Kontext – und damit auch aus ihrem Sinngefüge – entfernt und nach arbiträren Regeln
neu kombiniert. Baldessari beschreibt dieses Verhältnis wie folgt:
„There I was trying to use violent subject matter as content and balanc-ing/neutralizing it by how I handled the space, how I handled the formal ar-rangement. So it’s almost like I’m putting a violent situation on one hand and op-posing it with formalistic devices on the other where they all sort of balance.“633
Die Regeln für dieses formale Arrangement ergeben sich aus bestimmten formalen
Eigenschaften, die extrahiert werden können, wie etwa das Verhältnis zwischen dem
Lauf der Pistole und der Bildachse bzw. dem Lauf der Pistole auf dem nächsten Bild.
Genau genommen könnte man von Komposition und Linienführung sprechen, wenn
auch nicht im klassischen Sinn. Dieses Verhältnis wiederum spielt im Kontext der
Filme, in denen diese Bilder entstanden sind, überhaupt keine Rolle, die Richtung, in
die diese Pistolen zeigen, richtet sich nicht nach ästhetischen, sondern nach dramatur-
gischen Gesichtspunkten.
Baldessari befreit die Bilder aus diesem Kontext und stellt sie in einen fremden,
um ihr inhärentes ästhetisches Potenzial zu demonstrieren. Dabei brechen die Bilder
aus ihrem Rahmen aus, indem sie gegen dessen Logik frei verschoben werden. Der
entscheidende Punkt ist, dass Baldessari dies durch die Art der Präsentation offenlegt.
Er musste die Bilder schließlich aus den Filmen herausschneiden, dabei hätte er diese
gleich so drehen können, dass sie eine Linie bilden. Die Betrachterin hätte keinen Un-
terschied feststellen können, denn ohne das fehlende Bild um die Pistolen herum kann
man nicht wissen, wie die Pistolen wirklich gehalten werden.
Dass Baldessari die Rahmen gedreht hat, ist ein Verweis auf die Herkunft der
Bilder und die Rolle, die der Kontext in einem unmittelbaren, formalen Sinn eines
Zeichens spielt. Gleichzeitig wertet er diese Zeichen auf, indem er seine Ordnung auf
Elemente aufbaut, die den Bildern inhärent sind. Auf diese Weise bringt er auch den
semantischen Aspekt wieder ins Spiel. Denn die Pistolen machen schließlich das, was
sie sollen, sie bedrohen; aber ohne ihr Gegenüber, ohne ihren Kontext, ist diese Dro-
hung sinnlos, sie wird zu einem rein ornamentalen Arrangement, das sich vor allem
durch seine ironische Absurdität auszeichnet.
633 John Baldessari, Interview mit Jeanne Siegel, S. 88.
232
Noch deutlicher wird dieser Aspekt bei der Arbeit Violent Space Series: Six Si-
tuations with Guns Aligned (Guns Sequenced Small to Large) (Abb. 64)634, bei der
zwar etwas mehr Informationen über den Kontext der Bilder mitgeliefert werden, weil
wir das vollständige ursprüngliche Bild sehen, aber dieses verliert durch seine neue,
rein formal begründete Zusammenstellung seine Dramatik und erscheint statt dessen
humorvoll. Deutlich wird dies unter anderem daran, dass wir es hier mit Bildern aus
verschiedenen Genres und mit unterschiedlichen Protagonisten zu tun haben, die of-
fensichtlich keine semantische Verbindung aufweisen. Statt dessen wird über die Posi-
tion der Pistole und deren Schuss- bzw. Zielrichtung, die immer nach rechts weist, eine
rein formale, in gewisser Weise syntaktische Verbindung erzeugt. Der humorvolle
Effekt leitet sich aus der Kollision der beiden Ebenen her.
Die formale Verbindung verleitet dazu, auch eine semantische bzw. narrative
herzustellen. Baldessari spielt dabei mit verschiedenen narrativ kodierten Elementen.
Das beginnt mit der Reihung der Bilder, die an sich schon narrativ konnotiert ist; ins-
besondere Bilder, die offensichtlich einem narrativen Kontext, wie dem Film, ent-
stammen, werden unwillkürlich als Teil einer Geschichte gelesen.635 Die formale Ver-
bindung und die ähnlichen Motive unterstützen diesen Eindruck maßgeblich, der durch
die Vergrößerung der Pistolen von links nach rechts, also der traditionellen Erzählrich-
tung folgend, noch pointiert wird, indem eine Dynamik innerhalb der Bilderfolge sug-
geriert wird. Gleichzeitig verhindert die arbiträre Zusammenstellung der Motive, dass
sich die auf der formalen Ebene hergestellte Narration tatsächlich auch vollziehen
kann. Strukturalistisch ausgedrückt könnte man also sagen, dass sich hier eine meto-
nymische Kette von Signifikanten bildet, die zum Signifikanten einer Narration ohne
Signifikat verschmelzen. Anders gesagt folgen die Fotos allen Regeln für den Aufbau
634 Sechs Schwarzweißfotos auf Karton kaschiert, je: 24,3 x 17,6 cm. 635 Van Bruggen betont diese Verbindung zum Film besonders stark: „In order to create a different fil-mic language, opening up new realities, Baldessari needed to upset the viewer’s conditioned responses to cinema. He began to challenge conventions about how to tell a story on screen by proving that a movie does not need to have a story line at all“ (van Bruggen, John Baldessari, S. 84) Dieses Zitat legt nahe, dass Baldessari eigentlich ein Filmregisseur sei, dem es um eine neue Filmsprache gehe. Zwar hat er auch einige Videos und kurze Filme gemacht, die sich mit dem Filmemachen und seinen Regeln aus-einandersetzen, wie Title, 1973, aber es ging ihm offensichtlich nie darum, Filme im eigentlichen Sinn zu machen. Der Aspekt, der ihn hier interessiert, ist, wie Narration im Kontext der Bilder funktioniert und wie sich Elemente des Films auf die Kunst übertragen lassen. Van Bruggens Behauptung, dass Bal-dessari bewiesen habe, dass Spielfilme („Movies“) keine Handlung haben müssten, geht deshalb völlig am Kern seiner Arbeiten vorbei, denn diesen Beweis konnte er gar nicht antreten. Ziel ist vielmehr, die Mechanismen der Signifikation und der Narration von Bildern allgemein zu untersuchen.
233
einer Geschichte, ohne dass sie tatsächlich eine erzählen würden.636 Hal Foster hat das
im Zusammenhang mit einer späteren Serie637 treffend auf den Punkt gebracht: „[...]
insofar as the work [die Blasted Allegories] is related to semiology or to structuralism,
it is about how it may mean, not what it does mean, nor indeed that it means at all“.638
An dieser Stelle kommt allerdings eine Eigenschaft bildlicher Zeichen ins Spiel,
die diese von sprachlichen unterscheidet, nämlich ihre weitaus größere Offenheit und
die daraus folgende geringere Möglichkeit der Einschränkung ihres Bedeutungsfeldes.
Ein Bild wie das eines Mannes, der einen anderen mit einer Pistole bedroht, ist
schließlich nicht einfach nur ein Zeichen mit einer eindeutigen Denotation, sondern ein
Bündel von Zeichen. Das beginnt bei dem Stil der Kleidung, der uns Auskunft über die
Zeit geben kann, in der der Film spielt,639 über die Position der Männer im Bildraum
bis hin zu den Gesichtsausdrücken. Sofern wir diese Sprache sprechen, d.h. genügend
Gangsterfilme gesehen haben, erschließt sich eine Bedeutung unmittelbar. Diese Be-
deutung ist allerdings äußerst vielschichtig. Deshalb neigen diese Art Zeichen zu einer
Verflüssigung der Signifikate, die ihre Anreicherung in einem neuen Kontext ermög-
licht, wie in diesem Beispiel.
Außerdem sind die Bilder gewissermaßen auch unmittelbar mit unseren unbe-
wussten Wünschen verbunden, weil sie unsere Psyche auf unterschiedliche Weise be-
rühren. Einmal beziehen sich diese Filme, gerade Film noir, auf die Tiefen der
menschlichen Psyche und deren dunkle Seite, und zum anderen prägen sie unsere
Wahrnehmung von klein auf. Damit werden sie zu Objekten der Aufladung, die so auf
einer Metaebene Auslöser einer anderen Form von Geschichte werden können, die sich
636 Diese Vorgehensweise erinnert an Lewis Carroll, der mit einer ähnlichen Technik auf der sprachli-chen Ebene arbeitet. Ein Beispiel wäre etwa sein Gedicht Jabberwocky aus dem Buch Through the
Looking-Glass von 1871 (Lewis Carroll, Jabberwocky, in: The Norton Anthology of English Literature Volume 2, Hg. M.H. Abrams, 6th Edition, New York/London 1993, S. 1558). Vordergründig handelt es sich um ein gewöhnliches Gedicht, zu dessen Verständnis es lediglich nötig erscheint, das eine oder andere Wort nachzuschlagen. Tatsächlich arbeitet Carroll in diesem Gedicht mit einer Mischung aus gewöhnlichen Worten und solchen, die er erfunden hat. Diese erfundenen Worte haben keinen Sinn, sie bezeichnen nichts, aber sie ahmen in ihrer Form existierende Worte nach, indem sie sich in Klang und grammatikalischer Struktur etwa als Verben oder Adjektive zu erkennen geben. Es handelt sich folglich zwar um Unsinn, aber um einen genau konzipierten Unsinn, der die prinzipielle Offenheit der Signifika-tion in der Sprache demonstriert. Die erfundenen Worte sind Signifikanten ohne Signifikate, die aber doch eine Signifikation in Gang setzen und damit deren prinzipielle Flüssigkeit beweisen. 637 Die Rede ist von den Blasted Allegories (1978), die in dieser Arbeit nicht mehr thematisiert werden können und die die Tendenz dieser Serie weiterführen. Ein Beispiel ist: Blasted Allegories (Colorful
Sentence and Purple Patch): Starting With Red Father...(1978) (Abb. 65). 638 Hal Foster, John Baldessari’s „Blasted Allegories“, in: Artforum, Vol. 18, Nr. 2, 1979, S. 54. Her-vorhebungen im Original. 639 Bei näherer Betrachtung und Sachkenntnis lässt sich sogar erkennen, wann der Film entstanden ist, weil eine bestimmte Art der Filmkleidung mit einer bestimmten Phase der Filmgeschichte verbunden ist.
234
hinter der vordergründigen abspielt. Auf diese Weise wird eine starke Spannung er-
zeugt, die sich aus dem nicht eingelösten Versprechen dieser Bilder ergibt, deren Inhalt
wir aus unzähligen Filmen kennen und die so etwas wie ein kollektives Gedächtnis
bzw. Unbewusstes bilden.
Die letzte Arbeit dieser Serie, die hier noch kurz angesprochen werden soll, ist
Story Outline (A Story That Ends Up Mostly in Bed).640 Diese Arbeit betont die The-
matik der Narration noch deutlicher als die anderen Beispiele. Baldessari zeigt hier
zwei Reihen von je vier Fotos, die er offensichtlich vom Fernseher abfotografiert hat,
nebeneinander. Zu jedem Bild gibt es ein Wort, das dieses Bild beschreiben soll. Beide
Reihen enden mit einem Bild, das mit „Bed“ betitelt ist. Links sitzt ein Mann mit einer
Tasse auf dem Rand eines Betts, und rechts liegt eine Frau in einem Bett und schaut
traurig ins Leere.641 Baldessari suggeriert hier, dass zwei verschiedene Geschichten
parallel nebeneinander stehen und in einer ähnlichen Szene enden. Die Bilder haben
allerdings, wie schon bei Six Situations with Guns Aligned, keinen semantischen Zu-
sammenhang, sie stammen wahrscheinlich aus verschiedenen Filmen, sind aber auf
jeden Fall so kombiniert, dass sie keinen Sinn ergeben. Der Unterschied zu Six Situati-
ons with Guns Aligned ist allerdings, dass es diesmal keine formalen Übereinstimmun-
gen sind, die die Verbindung herstellen, sondern die sprachliche Bezeichnung. Ähnlich
wie bei den bereits analysierten Text-Bild-Beispielen, wie der Ingres-Serie oder bei A
Different Kind of Order (The Thelonious Monk Story), werden auch hier durch die Bet-
rachterInnen Text und Bild unwillkürlich zueinander in Bezug gesetzt. Die Bilder wer-
den als Illustrationen der Wörter verstanden, während gleichzeitig die Wörter unter-
einander zu einer Geschichte verbunden werden. Durch die Parallelisierung zweier
Varianten von „Bed“ wird diese Verbindung nachhaltig gestört und die verschiedenen
Möglichkeiten, wie Bedeutung in diesem Spannungsfeld gegenseitiger Beeinflussung
von Bild und Text entstehen kann, deutlich gemacht.
Zusammenfassung
Die Violent Space Series greift, wie bereits im Einzelnen dargelegt, auf verschiedene
Elemente früherer Arbeiten zurück, die in einer neuen Weise verknüpft werden. Die
640 Acht Schwarzweißkontaktabzüge mit Tinte auf Karton kaschiert: 21 x 14 cm. 641 Diese Arbeit entspricht dem Grundprinzip der Blasted Allegories, abgesehen davon, dass dort die Bilder noch zusätzlich farblich unterlegt sind und gewissen räumlichen Anordnungsregeln gehorchen.
235
markanteste Innovation dieser Serie ist die Verwendung der Filmstills, die im Übrigen
auch Baldessaris späteres Werk prägen. Mit dieser Serie verabschiedete Baldessari
sich auch endgültig vom Bereich der Conceptual Art, die 1976 allerdings ihren Höhe-
punkt bereits überschritten hatte. Auch die KünstlerInnen, die eine ‘theoretische’ bzw.
‘linguistische’ Conceptual Art vertraten, traten auf die eine oder andere Weise in eine
neue Phase ein.642 Das Erbe der Conceptual Art, v.a. ihre diskurskritische Herange-
hensweise und ihre selbstkritische Ausrichtung, bleibt aber trotzdem noch heute für
Baldessari der Ausgangspunkt, ein naives ‘Zurück zu den unschuldigen Bildern’ kann
es für ihn nicht geben.
Ein weiterer Aspekt rückt in der Violent Space Series wieder ins Blickfeld, näm-
lich die Konfrontation von verschiedenen Codes: ‘Hohe Kunst’ vs. populäre Kunst
bzw. alltägliche Bilder. Baldessari weist so darauf hin, dass er sich des Kontextes sei-
ner Arbeiten immer bewusst ist. Das deutlichste Beispiel ist die Referenz auf Male-
witsch in Two Stares Making a Point (Abb. 9), mit der er nicht nur den Bezug zur Mo-
derne herstellt, sondern sich in der Debatte um die Bewertung des Konstruktivismus
positioniert. Sein ‘weißes Quadrat’ als Zitat stellt sich im wahrsten Sinne des Wortes
quer: zu der Bildordnung, in die es eingefügt wurde, aber auch zu seiner Rezeption als
‘reine Kunst’. Einerseits ist es Teil einer abstrakten Bildkomposition, andererseits lässt
es sich auch als Element der bildlichen Narration begreifen. Diese dialektische Span-
nung steht einer modernistischen Interpretation der Bilder als kontextlose und ‘reine’
Kunstwerke im Sinne Greenbergs entgegen.
Baldessaris Violent Space Series steht insgesamt für eine Rückkehr des Bildes,
wenn auch in der Form des appropriierten Bildes. Die Bilder verweisen dabei immer
auch auf ihre Herkunft und auf ihren Kontext. Barthes beschreibt diese Form des
Querverweises in der Literatur als ‘Intertextualität’:
„The intertextual in which every text is held, it itself being the text-between of another text, is not to be confused with some origin of the text: to try to find the ‘sources’, the ‘influences’ of a work, is to fall in with the myth of filiation; the citations which go to make up a text are anonymous, untraceable, and yet already
read: they are quotations without inverted commas.“643
642 Art & Language beschäftigten sich 1980 etwa mit Pollock (Portrait of V.I. Lenin in the Style of Jack-
son Pollock), Dan Graham arbeitete schon einige Zeit mit Video und Architektur usw. 643 Barthes, From Work to Text, in: Image - Music - Text, S. 160 (Hervorhebungen im Original).
236
Gerade auf Baldessaris Filmstills trifft diese Beschreibung zu, stammen sie doch aus
‘anonymen’ Filmen und sind doch Teil des allgemeinverständlichen Codes ‘Film’.644
Baldessaris Verdecken und Verfremden der Filmstills unterstützt deren Anonymität
noch. Insofern ist es konsequent, nicht zu versuchen, das ‘Original’ hinter den Bildern
zu entdecken, sondern zu versuchen zu analysieren, was uns die Bilder eigentlich zu
sagen haben. Der ‘Text’, der sich in den älteren Serien, wie etwa bei Ingres oder The-
lonious Monk, noch in einer materiell textlichen Form manifestierte, ist auch in dieser
Serie nicht gänzlich verschwunden, sondern nur in den Subtext der filmischen Narrati-
on verschoben. Die Bilder sind ‘intertextuell’, sie verweisen durch ihre Form als
Filmstills immer auf einen anderen Kontext, auch wenn der spezifische Kontext, also
der Film, aus dem sie stammen, nicht bekannt ist.
Baldessari arbeitet mit diesem Reservoir an Bildern als einer Form des kollekti-
ven Gedächtnisses, um durch sie Bezug auf bestimmte allgemeinmenschliche Erfah-
rungen und Situationen zu nehmen. Die Verwendung des Film noir spielt in diesem
Zusammenhang eine zentrale Rolle, wie bereits gezeigt wurde, weil diese Gattung in
der Geschichte des amerikanischen Films und der amerikanischen Gesellschaft von
herausragender Bedeutung ist.645 Die Verwendung dieser medialen Bilder ist natürlich
kein Zufall, denn nicht erst heute ist unsere Welt geprägt durch die mediale Vermitt-
lung, die den Platz des Realen eingenommen hat.646
Bei den Guns Aligned-Arbeiten (Abb. 63 u. 64) z.B. entwickelt Baldessari eine
Bildordnung, die gewissermaßen ‘quer’ zur narrativen Ordnung aufgebaut ist, sie folgt
nicht der erwarteten semantischen Logik wie in den Filmen, aus denen diese Bilder
stammen, sondern einem kontingenten ‘kompositorischen’ Prinzip. Auf diese Weise
kann die Dominanz der ursprünglichen konventionellen Narration gebrochen werden,
und es entstehen neue unkonventionelle Kombinationen, die nicht nur die Möglichkeit
einer anderen Narration demonstrieren, sondern die allgemeinen narrativen Prinzipien
in einem visuellen Kontext offenlegen. Durch die Arbeiten werden die hinter den Bil-
644 Die BetrachterInnen müssen nicht den einzelnen Film kennen, um die in den Bildern angelegten Situationen zu decodieren. 645 Film noir steht dabei zum einen für eine Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen, indem auf deren Doppelmoral und Schattenseiten (im wahrsten Sinn des Wortes auch in filmtechnischer Hinsicht) hin-gewiesen wird, und zum anderen auch für eine Psychologisierung des Krimigenres, die sich in den von Selbstzweifeln geplagten Hauptpersonen, die mit ihren Schwächen und Trieben kämpfen müssen, aus-drückt. 646 „Das Prinzip des Warenfetischismus ist es, d.h. die Beherrschung der Gesellschaft durch „sinnlich übersinnliche Dinge“, das sich absolut im Spektakel vollendet, wo die sinnliche Welt durch eine über ihr schwebende Auswahl von Bildern ersetzt wird, welche sich zugleich als das Sinnliche schlechthin hat anerkennen lassen“ (Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin 1996, S. 31f.).
237
dern verborgenen narrativen Codes ans Licht gebracht und damit verdeutlicht, dass
sich die Filmstills in einem klar definierten Kontext befinden, der immer eine be-
stimmte Bedeutung als die einzig wahre forciert. Demgegenüber zeigt Baldessari hier,
dass die subversive Verwendung der Bilder eine Vielzahl von möglichen Bedeutungen
zulässt.
Diese Serie wirft außerdem die Frage der Originalität in einer neuen Weise auf.
Die Arbeiten untersuchen nicht nur die syntaktischen Möglichkeiten der Verknüpfung
auf einer ästhetisch-formalen Basis, sondern spielen mit dem ganzen konnotativen
Reichtum, den gerade die Filmstills verkörpern. Baldessari verhilft so dem verdrängten
Gehalt der Bilder zu seinem Recht, indem er den Bildern durch ihre Befreiung aus
ihrem narrativen Kontext ganz neue Entfaltungsmöglichkeiten verschafft, die aber
stets ihren kontextuellen Rahmen einbeziehen. Baldessari ist sich der Codierung der
Bilder bewusst und konzipiert deshalb die Arbeiten so, dass sie die diskursive ‘Kon-
tamination’ der Filmstills aufdecken.
In der Violent Space Series verbindet Baldessari den kulturellen Code ‘Film’ mit
Elementen aus früheren analytisch geprägten Arbeiten, wie etwa A Different Kind of
Order (The Thelonious Monk Story), wie sich z.B. bei Six Guns Aligned deutlich zeigt.
Baldessari stellt hier die Frage nach der Wirkung der Bilder und nach dem Verhältnis
von ‘Text’ und Bild aufs Neue. Zugleich findet aber auch eine ‘Psychologisierung’ und
‘Semantisierung’ seiner Arbeiten statt, deren Bilderschatz aus appropriierten Bildern
besteht, die in einer hybriden Form neu kontextualisiert werden. Mit dieser Serie ver-
ortet sich Baldessari endgültig in der Postmoderne und setzt für deren Entwicklung
neue Maßstäbe, die viele der nachfolgenden KünstlerInnen, wie etwa Cindy Sherman,
beeinflusst haben.647
647 Auf der Ebene der theoretischen Referenz vollzieht sich eine Verschiebung in Richtung des Post-strukturalismus, ohne dass damit eine direkte Beeinflussung angedeutet werden soll. Allerdings sind sowohl die Arbeiten als auch die Theorien durch dieselbe historische Situation bzw. denselben Zeitgeist geprägt.
238
5. Zusammenfassung: John Baldessaris
künstlerische Strategien als Modell einer
selbstreflexiven Postmoderne
In diesem abschließenden Kapitel sollen die Ergebnisse der Einzelanalysen der Arbei-
ten John Baldessaris zusammengetragen und ihre Bedeutung in Relation zur Concep-
tual Art und zu dem diagnostizierten Paradigmenwechsel von der Moderne zur Post-
moderne erörtert werden. In Kapitel 3.4. wurde bereits die Bedeutung der Conceptual
Art für diesen Paradigmenwechsel dargelegt. Die Conceptual Art nimmt in diesem
Prozess eine Doppelrolle ein. Einerseits steht sie für den Endpunkt der Entwicklung
modernistischer Kunst, deren reduktionistische Tendenzen sie mit der ‘Dematerialisie-
rung’ gewissermaßen an ihr logisches Ende führte, wie es etwa de Duve sieht.648 An-
dererseits ist dieser Endpunkt die Ausgangsbasis für die Überwindung der Paradigmen
der Kunst der Moderne und damit für die Entwicklung einer postmodernen Kunst.649
Thorsten Scheer interpretiert diese Situation folgendermaßen:
„Es gibt also in den Kunstströmungen der sechziger Jahre [...] Phänomene, die einerseits über die Paradigmen der Moderne hinausgehen, aber andererseits diese Moderne produktiv als ihre eigene historische Bedingung verstehen. Mit der Concept Art sind mediale Bedingungen entstanden, die in der Folge erlauben, die Verfahrensweisen der Moderne als historische zu begreifen [...].“650
Es ist also gerade die bewusste Auseinandersetzung mit dem Erbe der Moderne und
ihren ‘klassischen’ künstlerischen Gattungen, wie sie etwa Baldessari in den Text-on-
Canvas-Bildern betreibt, die den Weg für die „freie Verfügbarkeit der Mittel“ in der
Kunst und damit die Durchsetzung der postmodernen Kunst bereiten.651 Dabei zeich-
net die Conceptual Art gerade ihre dialektische Beziehung zur Moderne aus, deren
Logik sie einerseits verhaftet bleibt, während sie andererseits auch über diese Logik
648 Vgl. Kapitel 3.1.4. bzw. Thierry de Duve, The Monochrome and the Blank Canvas, in: Serge Guil-baut (Hg.), Reconstructing Modernism, S. 244-310. 649 Die Formulierung ‘Paradigmen’, also der Plural, ist absichtlich gewählt, handelt es sich bei der Mo-derne doch nicht um ein monolithisches Phänomen (vgl. Kapitel 2., S. 11f.). 650 Scheer, Postmoderne als kritisches Konzept, S. 96. 651 Laut Scheer besteht die „freie Verfügbarkeit der Mittel“ erst bei der postmodernen Kunst, während die Conceptual Art diese nur vorbereitete. Er bezeichnet die Conceptual Art folglich als protopostmo-dern. Vgl. Scheer, Postmoderne als kritisches Konzept, S. 98.
239
hinausweist. Diese beiden Aspekte sind nicht zu trennen, sondern stellen die Beson-
derheit der Conceptual Art als einer Brücke zwischen Moderne und Postmoderne dar.
Wie der in Kapitel 3.3.3. vorgenommene Blick auf die verschiedenen Vorge-
hensweisen innerhalb der Conceptual Art verdeutlicht, arbeiteten die KünstlerInnen
zum Teil bereits mit postmodernen Strategien. Insbesondere der Aspekt der Selbstkri-
tik bzw. Selbstbefragung zeichnet den postmodernen Charakter aus und prägt in der
Folge auch die postmoderne Kunst, die sich aus der Conceptual Art speist. Ihr Bezug
ist immer die Selbstkritik des künstlerischen Codes bzw. die Bewusstmachung der
Tatsache, dass es überhaupt einen Code gibt, sowie die Kritik des (modernistischen)
Mythos des Künstlers als unbewusst schöpferisches Genie. Victor Burgin fasst die
kritischen Aspekte der Conceptual Art folgendermaßen zusammen:
„What was radical in conceptual art [...] was [...] recognising, intervening within, realigning, reorganising, these networks of differences in which the very defini-tion of ‘art’ and what it represents is constituted: the glimpse it allowed us of the possibility of the absence of ‘presence’, and thus the possibility of change.“652
Burgin sieht darin, dass die Conceptual Art die Möglichkeit der Abwesenheit eines
ästhetischen Objektes aufzeigt, ihre entscheidende Bedeutung. Diese Kunstrichtung
zeichnet sich also gerade durch das Erkennen und Offenlegen der Grundlagen der De-
finition von Kunst aus und damit durch das Bewusstsein ihres eigenen Kontextes und
ihrer Bedingungen. Dieser aufklärerische Impuls unterscheidet die Conceptual Art und
die auf sie aufbauende Ausprägung der Postmoderne von anderen Formen der postmo-
dernen Kunst, denen dieser Bezug fehlt. Hal Foster spricht in diesem Zusammenhang
vom „postmodernism of resistance“, der sich sowohl gegen die „official culture of
modernism“ als auch gegen die „‘false normativity’ of a reactionary postmodernism“
richte.653 Diese ‘reaktionäre’ Variante beschreibt er folgendermaßen:
„The postmodernism of reaction [...] is singular in its repudiation of modernism. [...] Thus is this postmodernism conceived in therapeutic, not to say cosmetic, terms: as a return to the verities of tradition (in art, family, religion...). Modern-ism is reduced to a style [...] and condemned, or excised entirely as a cultural mistake;“654
Man könnte also sagen, dass diesem „postmodernism of reaction“ die dialektische Be-
ziehung zur Moderne fehlt und damit die Möglichkeit der grundlegenden Selbstrefle-
xion der eigenen Bedingungen; statt dessen führt die Reinstitutionalisierung der Tradi-
652 Victor Burgin, The Absence of Presence, in: Ders., The End of Art Theory, London 1986, S. 48. 653 Foster, Postmodernism: A Perface, in: Ders. (Hg.), The Anti-Aesthetic, S. xii. 654 Ebd.
240
tionen in die Nähe des Mythos und der Irrationalität. Im Gegensatz dazu kann man die
Conceptual Art als Versuch begreifen, die grundlegenden Fragen, was Kunst ist bzw.
sein kann, immer wieder neu aufzuwerfen, ohne dabei die Ergebnisse der Kunst frühe-
rer Zeiten zu ignorieren. Die Conceptual Art stellt statt dessen die Frage, wie sich das
Verhältnis des Kontexts zur Kunst unter den geänderten Bedingungen einer postmo-
dernen Gesellschaft neu auswirkt.
5.1. John Baldessaris Verhältnis zur Conceptual Art
John Baldessari wird in der Literatur oft nicht seiner Bedeutung entsprechend gewür-
digt, nur am Rande erwähnt oder unter der ihm nicht angemessenen Kategorie der Pop-
Art geführt. Dies hat sich in den letzten Jahren ein wenig geändert, und in den neueren
Überblicksarbeiten zur Conceptual Art rückt sein Beitrag etwas mehr in den Blick,
ohne dass dabei seine ganze Bedeutung für diese Kunstrichtung und für die Entwick-
lung der postmodernen Kunst insgesamt erkannt wird. Dabei basieren seine Arbeiten,
wie etwa die Text-on-Canvas-Serie, thematisch auf einer künstlerischen Infragestel-
lung der Ästhetik des Modernismus. Er erfüllt mit dieser Selbstbefragung der Bilder in
vielerlei Hinsicht die Kriterien der strengsten Definition der Conceptual Art, die etwa
Kosuth aufgestellt hat, obwohl gerade dieser in Baldessaris Bildern nur Pop-Art er-
kennt.655
Baldessaris Rolle für die Fotografie in der Conceptual Art wird ebenfalls oft un-
terschätzt. Ein Beispiel dafür ist der Text Marks of Indifference von Jeff Wall, der sich
mit der Rolle der Fotografie in der Conceptual Art beschäftigt und in dem Baldessari
gar nicht erwähnt wird, obwohl er in seinem Gebrauch der Fotografie von Beginn an
deren Regeln und Grundlagen reflektiert.656 Baldessaris Arbeiten beschäftigen sich
mehr als die anderer KünstlerInnen immer auch mit den ästhetischen Möglichkeiten
der Fotografie und deren Codes überhaupt, weil sie nur zu einem geringeren Teil do-
kumentarisch sind. Selbst das Calif. Map Project Part I: California (Abb. 5), das mit
dokumentarischer Fotografie arbeitet, zeichnet sich im Vergleich zu ähnlichen Arbei-
ten wie Douglas Hueblers Variable Piece No. 70 (in process) – Global (November
655 Vgl. Joseph Kosuth, Art After Philosophy, Part II: ‘Conceptual Art’ and Recent Art, in: Ders., Art After Philosophy and After, S. 29. 656 Vgl. Jeff Wall, „Marks of Indifference“: Aspects of Photography in, or as, Conceptual Art, in: Re-considering the Object of Art (Kat.), S. 247-267.
241
1971) oder Robert Barrys Inert Gas: Helium (1969) (Abb. 48) durch einen hohen Grad
an Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen fotografischer Abbildung und deren
Verhältnis zum Abgebildeten aus.
Auch die von Jeff Wall und John Roberts657 hervorgehobene Bedeutung des
Amateurhaften als einer der Grundlagen der Fotografie in der Conceptual Art ist eines
der Hauptmerkmale in John Baldessaris Arbeiten. Seine Verwendung amateurhafter
Bilder geschieht dabei immer bewusst, wird explizit thematisiert und immer wieder
selbstreflexiv gebrochen, wie z.B. in Wrong (Abb. 2). Die Commissioned Paintings
(Abb. 4) beweisen zudem, dass sich Baldessari nicht nur mit der Amateurfotografie
beschäftigte, sondern mit der Kunst von Amateuren und ihrem Verhältnis zur etablier-
ten Kunst überhaupt. In diesen Arbeiten werden die verschiedenen Codes gegeneinan-
der ausgespielt und nicht zuletzt in einer subversiven Aneignung die Hobbykünstler in
einen Kontext versetzt, der ihnen sonst verschlossen bleibt, und damit zugleich die
Codes von Autorschaft, Originalität und Kunstwerk in Frage gestellt.
Die Einzelanalysen der Arbeiten Baldessaris in Kapitel 4. haben ebenfalls ver-
deutlicht, dass Baldessari in den Kontext der Conceptual Art gehört. Das gilt beson-
ders für die in Kapitel 4.1.1. analysierte erste Gruppe von Arbeiten (1967-1968), näm-
lich die Text-on-Canvas-Serie (Abb. 1) und die Phototext-Serie (Abb. 2) bzw. die Na-
tional City-Schnappschüsse (Abb. 3). Diese Arbeiten sind, wie andere Beispiele aus
der Conceptual Art auch, sowohl formal als auch inhaltlich von den Vorgaben des
Modernismus geprägt, stellen diese zugleich aber grundlegend in Frage. Die Verwen-
dung der Leinwand verortet diese Bilder zwar scheinbar noch klar im Kontext des
Modernismus, stellt aber zugleich die notwendige Voraussetzung dafür dar, dass die
Selbstbezüglichkeit der Texte in Relation zu ihrer Form als Bilder und damit die Kritik
der modernistischen Vorstellungen von Kunst wirksam werden kann. Baldessari setzt
auch die amateurhaften Fotos und den Schildermaler ganz bewusst als Kontrapunkt
gegen die Leinwand ein.
Baldessari greift auch bei den anderen Beispielen immer wieder auf verschiedene
in Kapitel 3.3. genannte Strategien der Conceptual Art zurück bzw. prägt diese maß-
geblich mit. Seine Kritik der Autorschaft und der Rolle des Kontextes in den Commis-
sioned Paintings (1969) setzt in ihrer Radikalität und ihrem Grad der Selbstkritik ganz
neue Maßstäbe. Insgesamt verbindet alle Arbeiten Baldessaris jener Zeit der grundle-
657 Vgl. John Roberts (Hg.), The Impossible Document. Photography and Conceptual Art in Britain, 1966 - 1976, London 1997.
242
gende Ansatz der Selbstbefragung der Kunst und ihrer Codes, der auch die Conceptual
Art insgesamt auszeichnet.
Nach den Commissioned Paintings, als Baldessari zuletzt mit Malerei und Lein-
wänden arbeitete, vollzog sich Ende der sechziger Jahre in seinem Werk eine Neuori-
entierung. Das Calif. Map Project Part I: California (1969) ist die erste Arbeit, in der
Baldessari ausschließlich Texte und Fotografien verwendete und damit die in der fol-
genden Zeit vornehmlich eingesetzten Medien. Thematisch geht es darum zu zeigen,
wie sich Zeichen und Referenz zueinander verhalten, in diesem Fall am Beispiel von
Landkarten als einer besonderen Form des grafischen Codes, und darum, die Grundla-
gen der Fotografie als indexikalisches Medium zu untersuchen; eine Frage, die bereits
in den Commissioned Paintings verhandelt wurde und die in veränderter Form in der
Throwing Balls-Serie (1972-1974) wieder aufgenommen wurde.
Die Serie Ingres and Other Parables (1971) (Abb. 6) und die Arbeit A Different
Kind of Order (The Thelonious Monk Story) (1973) (Abb. 7) werfen hingegen die Fra-
ge nach dem grundlegenden Verhältnis der beiden Medien Text und Bild auf. Bei den
Texten handelt es sich um Geschichten. Es wird zusätzlich noch der aus der Kunst der
Moderne meist ausgeschlossene Aspekt der Narration in diese Arbeiten integriert. Bal-
dessari demonstriert hier, dass Bild und Text keineswegs einfach aufeinander verwei-
sen, sondern sich gegenseitig mit Bedeutung anreichern. Die Thelonious Monk Story
zeichnet sich zudem durch die Reflexion über die Möglichkeiten der Bildordnung aus,
die sich von den vorgegebenen Wegen entfernt und neue Lösungen anstrebt.
In der Violent Space Series (Abb. 9) zieht Baldessari schließlich die Bilanz sei-
ner Untersuchung der Kunst seit den späten sechziger Jahren, indem er die Resultate
der Selbstreflexion der Kunst aus den vorherigen Arbeiten in einer Synthese zusam-
menfasst und durch die Verwendung der Filmstills mit einem neuen ästhetischen
Rahmen verbindet. Die Arbeiten dieser Serie nehmen die Ergebnisse der Selbstbefra-
gung z.B. in Bezug auf Ordnung oder Zufall auf und verbinden sie mit einem neuen
Bilderschatz, der den Massenmedien entnommen und damit gewissermaßen universell
ist. Spätestens mit dieser Arbeit verlässt Baldessari den Bereich der Conceptual Art im
strengen Sinn. Mit dieser Serie endet die Bewegung von einer ‘reinen’ Untersuchung
darüber, was Kunst sein kann, hin zu einer ‘Reästhetisierung’, also der Anwendung der
243
Untersuchungsergebnisse auf das einzelne Bild.658 Baldessari findet zudem in dieser
Serie seine ganz persönliche ‘Handschrift’, die sein gesamtes späteres Werk prägt,
nämlich die Verwendung der Filmstills als Basismaterial für die Auseinandersetzung
mit einer visuell codierten narrativen Bildordnung.
Baldessaris Entwicklung könnte man in einige entscheidende Etappen einteilen.
Ausgangspunkt ist die unmittelbare (textliche) Bezugnahme auf den Modernismus,
darauf folgt eine Kritik des ‘Betriebssystems Kunst’ (und auch seiner Protagonisten
aus der Conceptual Art). Die Untersuchung des Verhältnisses von Bild und Text sowie
der ästhetischen Möglichkeiten von Fotografien allgemein stellt den nächsten Schritt
dar, bevor sich Baldessari der Frage der Bildordnung zuwendet, die er mit den gesell-
schaftlichen Bilderwelten aus den Medien verknüpft. Baldessaris Interesse verschiebt
sich also grob gesprochen vom Text zum Bild, von der syntaktischen Analyse der
möglichen Formen (Formprinzipien) zur semantischen (und syntaktischen) Untersu-
chung der tatsächlichen Bilder.
Baldessari steht wie die ganze Conceptual Art an einem Scheidepunkt zwischen
dem Versuch, sich von der Bildlichkeit vollständig zu befreien, und dem Versuch, die
Möglichkeiten der Bildlichkeit in einer postmodernen Situation neu zu bestimmen.
Dieser Versuch der Befreiung vom Bild ist zum einen die Folge des unverarbeiteten
Erbes des Modernismus, dessen Logik, auch entgegen der Intention der KünstlerInnen,
noch viele Formen der frühen Conceptual Art prägt, zum anderen aber auch eine Folge
der ideologiekritischen Erkenntnis, dass Bilder keine neutralen, unpolitischen, rein
ästhetischen Objekte sind. Aimee Rankin hat diesen Aspekt in einer Diskussion präg-
nant zusammengefasst:
„American practices – minimalism, conceptual art – also had this attitude toward the image: to interrupt its seductive qualities or distance the spectator. This is an interesting project, but it often uses language in order to sidestep the question of how images work – by discussing desire at arm’s length rather than dealing with it in material terms.“659
In der Frage des Verhältnisses von Sprache und Visualität liegt auch der Unterschied
zwischen der Praxis Baldessaris und der der analytischen Conceptual Art etwa eines
Kosuth in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren. Bereits Baldessaris Photo-
658 Baldessaris Arbeiten sind allerdings immer durch ein Gefühl für die ästhetische Wirkung geprägt, auch wenn diese in Relation zum jeweiligen Konzept steht, bei dem es sich meistens um Fragen der bildlichen Wirkung, der Komposition oder der Farblichkeit handelt, also um Fragen der Ästhetik. 659 Aimee Rankin, in: Legacies of Critical Practice in the 1980s (Diskussion), in: Hal Foster (Hg.), Dis-cussions in Contemporary Culture, Seattle 1987, S. 114.
244
text-Bilder beziehen sich immer zurück auf ihre Bildlichkeit, ihre Visualität, sie wen-
den sich direkt der Frage zu, was Bildlichkeit ausmacht, statt sie zu umgehen. In der
Violent Space Series schließlich wird der von Rankin angesprochene verdrängte, un-
bewusste Anteil der Bilder, also etwa ihre Verbindung zum Verlangen oder zur Ge-
walt, materiell.
Die zentrale Rolle der Frage der Visualität beschreibt auch Johanna Drucker tref-
fend in Bezug auf eine spätere Serie Baldessaris (Kissing Series: Simone. Palm Trees
(Near) 1975 (Abb. 66)):
„Wherein lies the idea? It can be described through language, but the idea itself, it can be argued, is intrinsically visual since it resides in the structure of photo-graphic reality; its illusions and sustainable fictions, and the capacity to under-stand its visual untruths within a narrative of image relations.“660
Für Baldessari bleiben also das Visuelle und das Textliche immer aufeinander bezo-
gen. Dies trifft gerade auf die textbasierten Arbeiten der frühen siebziger Jahre zu, wie
die Ingres-Serie oder A Different Kind of Order (The Thelonious Monk Story), in de-
nen Sprache nicht zur Verwendung kommt, um den Fragen der Bildlichkeit auszuwei-
chen, sondern im Gegenteil um deren Verhältnis zur Bildlichkeit, besonders zur Foto-
grafie, zu untersuchen. Auch Diedrich Diederichsen sieht in Baldessaris Werk eine
besondere Beziehung zwischen Sprache und Bild:
„John Baldessaris Werk ist von Anfang an als ein Korrektiv wie als Kompensati-on dieses alten und vielbesprochenen Problems [der bloßen Ersetzung visueller Konzepte durch sprachliche, I.M.] aufgetreten. Der Geringschätzung oder der Vernachlässigung der Eigenlogik des Visuellen setzt er allerdings alles andere als einen Visualismus gegenüber, sondern er zeigt vielmehr beständig, wie gerade die konzeptuelle Untersuchung an den sogenannten primären Stadien des Bilder-produzierens und Bildersehens ansetzen muß.“661
Baldessaris Untersuchung setzt in allen Medien auf der grundlegenden Ebene des Bil-
derproduzierens und Bildersehens an, um die Mechanismen der Signifikation in den
künstlerischen Medien, beispielsweise die übernommenen Annahmen bezüglich des-
sen, was Fotografie abbildet, offenzulegen und in Frage zu stellen.
660 Johanna Drucker, The Crux of Conceptualism: Conceptual Art, the Idea of Idea, and the Information Paradigm, in: Michael Corris (Hg.), Conceptual Art: Theory, Myth, and Practice, Cambridge 2004, S. 263f. 661 Diedrich Diederichsen, Die Kritik der Kunst, das Machen von Bildern und ihr Doppelgänger: John Baldessari, in: Baldessari: While something is happening here, something else is happening there. Works 1988 - 1999, (Kat.) Sprengel Museum Hannover (26.9.1999 - 2.1.2000), mit Texten von Meg Cranston, Diedrich Diederichsen und Thomas Weski, Köln 1999, S. 43.
245
5.2. Baldessaris künstlerische Strategien als Orientie-
rungspunkte einer postmodernen Kunst
Die vorliegende Arbeit geht, Jameson folgend, von der Grundannahme aus, dass wir es
bei der Postmoderne mit der ‘kulturellen Logik des Spätkapitalismus’ zu tun haben
und es insofern wenig sinnvoll ist, sich in der Diskussion über die Existenz des Phä-
nomens ‘Postmoderne’ zu verlieren. Der Ansatz dieser Arbeit besteht statt dessen dar-
in, sich mit einer Kunstrichtung, der Conceptual Art, und insbesondere einem Künst-
ler, Baldessari, zu beschäftigen, die in ihren künstlerischen Arbeiten den Paradigmen-
wechsel von der Moderne zur Postmoderne vollzogen haben. Im Zentrum steht dabei
der Versuch, dies aus den einzelnen Arbeiten herzuleiten, indem die in diesen zum
Tragen kommenden künstlerischen Strategien herausgearbeitet werden. Dabei wird
ausdrücklich darauf verzichtet, eine postmoderne Theorie auf diese Arbeiten zu über-
tragen, sondern es wird versucht, die Arbeiten selbst zum Sprechen zu bringen.
Fasst man die Ergebnisse zusammen, lässt sich Baldessaris Vorgehensweise zu-
nächst durch eine gewisse ironische Grundstimmung beschreiben, die sich durch alle
Arbeiten zieht. Ironie und Humor sind die Mittel, die verhindern, dass die Arbeiten
pathetisch werden, und die dazu dienen, den Blick zugleich abzulenken und zu schär-
fen. Ironie und Humor weisen außerdem darauf hin, wo die Widersprüche und ideolo-
gischen Begrenzungen der ‘ernsten’ Kunst liegen. Die Ironie bezieht sich dabei nicht
nur auf den Modernismus, sondern auch auf die zeitgenössische Kunst generell oder
die Conceptual Art selbst, die auf diese Weise ebenfalls einer Selbstbefragung unter-
zogen werden.
Baldessari bringt in den einzelnen Arbeiten und Serien verschiedene Strategien
zur Anwendung, die in der Einzelanalyse bereits herausgearbeitet wurden. Erstens ist
dies die Amateurisierung, also der bewusste Verzicht darauf, seine künstlerische Ar-
beit den allgemein anerkannten Regeln des Codes zu unterwerfen, etwa in der Fotogra-
fie. Zweitens arbeitet er mit der Vermischung der Medien und Gattungen, aber auch
der Hoch- und Popkultur. Diese ‘Cross-over’-Strategie kommt in der Kombination von
Bildern und Texten oder im Einsatz von Amateurkunst zur Anwendung und dient da-
zu, die ‘klassischen’ modernistischen Vorstellungen von einem Kunstwerk als organi-
sche Einheit in Frage zu stellen. Drittens haben wir es mit der Appropriation von me-
dialen Bildern zu tun, nicht nur zur Erweiterung des Bildkanons, sondern in einer akti-
246
ven Auseinandersetzung mit deren Kontext und deren Bedeutung. Viertens arbeitet
Baldessari mit ‘Pseudoexperimenten’, die bestimmte Elemente wissenschaftlichen
Denkens und Handelns aufgreifen, diese aber in einer ‘unwissenschaftlichen’, spieleri-
schen Weise behandeln. Fünftens wendet Baldessari die Serialität als Strategie an, die
sich gegen die mit dem Modernismus verbundene Vorstellung eines Kunstwerks als
eines einmaligen Originals wendet.
Alle diese Strategien zeigen den postmodernen Kern von Baldessaris Werk und
werden von ihm in einer selbstreflexiven Weise eingesetzt, die ihre eigenen Bedingun-
gen stets einbezieht und die Grundlagen der Kunst insgesamt einer Selbstkritik aus-
setzt. Dabei geht es ihm nicht darum, Antworten zu präsentieren, sondern Fragen auf-
zuwerfen, diese Grundlagen sichtbar zu machen und zu problematisieren. Diederichsen
sieht für die Kunst die Möglichkeit, eine kritische Position einzunehmen, auch wenn
sie sich nicht dezidiert gegen das Kunstsystem wendet, indem sie sich auf ihre beson-
dere ‘Bildrhetorik’662 in der Form einer ‘Grundlagenforschung’ bezieht:
„Ein [...] kritischer Anspruch von Kunst nimmt sich in der Tat zurück: er beharrt auf der Formulierung von Kritik, aber auf eine elementare und möglicherweise akademische, nicht unmittelbar an die Bedürfnisse täglicher Ideologiekritik anschlußfähige Weise, als Grundlagenforschung.“663
Diese ‘Grundlagenforschung’ ist letztendlich einem aufklärerischen Ansatz verpflich-
tet, der in einer neuen ironischen Form an die Idee der Avantgarde von der Subversion
der künstlerischen Codes anknüpft. Diese Codes werden nicht mehr direkt angegriffen,
sondern einer ironischen Selbstbefragung ausgesetzt, die deren ideologischen Charak-
ter offenlegt und sie damit insgesamt ins Wanken bringt.
Diese Selbstbefragung richtet sich an die wichtigsten Grundlagen der Kunst: Das
ist erstens ihr Kontext, also die außerästhetischen Faktoren wie das ‘Betriebssystem
Kunst’, dessen Kritik die Bedingungen der Kunst in dieser Zeit einschließt. Zweitens
geht es um das Modell der modernistischen Autorschaft, die auf den schöpferischen
Künstler aufbaut. Baldessari kritisiert dieses Modell und stellt ihm das postmoderne
Bild eines kontrollierenden (aber nicht machenden), experimentierenden und schließ-
lich approriierenden Künstlers entgegen. Drittens handelt es sich um die Frage von
Bildlichkeit allgemein. Es geht hier um die Reflexion darüber, was ein Bild überhaupt
ist, sowohl als ein fotografisches Bild als auch allgemein als ‘Kunst’, und in welcher
662 Vgl. Ebd., S. 44. 663 Ebd.
247
Relation es zu seinem Kontext und seinen Grenzen steht, die durch die künstlerischen
Codes gezogen werden. Baldessaris Arbeiten zeichnen sich insgesamt dadurch aus,
dass sich diese Reflexion in den Bildern und Texten selbst vollzieht, ohne Umweg
über theoretische Texte oder Diskussionen in Kunstzeitschriften. Baldessari betreibt in
seiner Kunst der sechziger und siebziger Jahre eine Auseinandersetzung mit den Mög-
lichkeiten und Grundlagen der Ästhetik, die auf einer grundlegenden Infragestellung
der Regeln und Vorgaben des künstlerischen Codes basiert. Baldessaris künstlerische
Strategien und sein Ansatz einer selbstreflexiven ‘Grundlagenforschung’ heben ihn als
einen der Pioniere einer kritischen postmodernen Kunst hervor, die sich einem aufklä-
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- John Baldessari. Photoarbeiten, (Kat.) Carl Haenlein (Hg.), Kästnergesellschaft Hannover, Text von Germano Celant, Hannover 1989. - John Baldessari. This Not That, (Kat.) Cornerhouse Manchester u.a., Manchester 1995. - John Baldessari. Tetrad Series, (Kat.) Marion Goodman Gallery, New York 1999. - Kasimir Malewitsch: Suprematismus, (Kat.) Matthew Drutt (Hg.), Deutsche Gug-genheim Berlin, 14.1. - 27.4.2003, New York/Berlin 2003. - Knowledge: Aspects of Conceptual Art, (Kat.) Frances Colpitt u. Phyllis Plous (Hg.), University Art Museum, Santa Barbara, Seattle, WA/London 1992. - „Konzept“ - Kunst, (Kat.) Felix Zdenek u. Konrad Fischer (Hg.), Kunstmuseum Basel, 18.3. - 23.4.1972. - Konzepte einer neuen Kunst, (Kat.) Michael Badura (Hg.), Göttingen 1970. - Konzeption - Conception: Dokumentation einer heutigen Kunstrichtung, (Kat.) Rolf Wedewer (Hg.), Städtisches Museum Leverkusen, Oktober - November 1969, Köln/Opladen 1969. - Kunst bleibt Kunst: Projekt ‘74: Aspekte internationaler Kunst am Anfang der 70er Jahre, (Kat.) Wallraff-Richardtz Museum u. Kunsthalle Köln, 6.7. - 8.9.1974. - Künstlerbücher I, (Kat.) John Baldessari u.a., Krefeld 1993. - L.A. Pop in the Sixties, (Kat.) Anne Ayres (Hg.), Newport Harbor Art Museum, Newport Beach, CA, 1989. - L’art conceptuel une perspective, (Kat.) Claude Gintz (Hg.), Museé d’Art Moderne de la Ville de Paris, 22.11. 1989 - 18.2.1990. - Marcel Duchamp, (Kat.) Museum Ludwig, Köln 1984. - Minimal und Conceptual Art aus der Sammlung Panza, (Kat.) Museum für Ge-genwartskunst Basel, Basel 1980. - Ni Por ésas / Not Even So. John Baldessari, (Kat.) Centro de Arte Reina Sofia Ma-drid und capc Museé d’art contemporain de Bordeaux 1989. - Op Losse Schroeven: Situaties en Cryptostructuren, (Kat.) Wim Beeren u. Ank Marcar (Hg.), Stedelijk Museum Amsterdam, 15.3. - 27.4.1969. - Projections: Anti-Materialism, (Kat.) La Jolla Museum of Art, 15.5. - 5.7.1970. - Proof: Los Angeles Art and the Photograph 1960 - 1980, (Kat.) Charles Desma-rais (Hg.), Laguna Art Museum, Laguna Beach, CA, 31.10.1992 - 17.1.1993.
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- Reconsidering the Object of Art: 1965 - 1975, (Kat.) Ann Goldstein u. Anne Rorimer (Hg.), The Museum of Contemporary Art, Los Angeles 15.10.1995 - 4.2.1996, Cambridge, MA/London 1995. - Robert Smithson, Retrospective: Works 1955 - 1973, (Kat.) Samtidskunstmuseum, Oslo 1999. - Robert Smithson: A Retrospective View, (Kat.) Robert Hobbs (Hg.), Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg, New York. - Sammlung Sonnabend. Von der Pop-Art bis heute. Amerikanische und europäi-sche Kunst seit 1954, (Kat.) Felix Zdenek (Hg.), Hamburg 1996. - This Book is a Movie. An Exhibition of Language Art and Visual Poetry, (Kat.) Jerry G. Bowles u. Tony Russel (Hg.), New York 1971. - Um 1968: konkrete Utopien in Kunst und Gesellschaft, (Kat.) Marie Luise Syring (Hg.), Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Köln 1990. - „Was die Schönheit sei, das weiß ich nicht“: Künstler, Theorie, Werk: Zweite Biennale Nürnberg, (Kat.) Jürgen Harten u.a. (Hg.), Kunsthalle Nürnberg, 30.4. - 1.8.1971. - Westkunst, (Kat.) Laszlo Glozer (Hg.), Köln 1981. - When Attitudes Become Form. Works - Concepts - Processes - Situations - In-formation: Live in Your Head, (Kat.) Harald Szeeman (Hg.), Kunsthalle Bern, 22.3. - 27.4.1969 u.a., London 1969. - 14 mal 14, (Kat.) Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 16.3. - 28.4.1973. - 557.087, (Kat.) Lucy Lippard (Hg.), Seattle Art Museum Pavilion, Seattle Art Mu-seum, 5.7. - 5.10.1969. - 955.000, (Kat.) Lucy Lippard (Hg.), Vancouver Art Gallery, University of Britsh Co-lumbia, 13.1. - 8.2.1970.
6.3. Zeitschriftenartikel und Reviews
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- Babias, Marius, Strategie & Rhetorik, in: Kunstforum International, Bd. 106, März/April 1990, S. 289. - Baker, Elizabeth C., Los Angeles, 1971, in: ArtNews (New York), Vol. 70, Nr. 5, September 1971, S. 27-39. - Bell, Jane, John Baldessari (Review), in: ArtNews (New York), Vol. 77, Nr. 9, No-vember 1978, S. 184. - Brook, Donald, Toward a Definiton of Conceptual Art, in: Leonardo, Vol. 5, 1972, S. 49-50. - Buchloh, Benjamin H.D., Conceptual Art 1962 - 69: From the Aesthetics of Ad-ministration to the Critique of Instituitions, in: October Nr. 55, Winter 1990, S. 105-143. - Buchloh, Benjamin H.D. (u.a., round table), Concept Art and the Reception of Duchamp, in: October Nr. 70, Fall 1994, S. 127-146. - Burnham, Jack, Alice’s Head. Reflections on Conceptual Art, in: Artforum (New York), Vol. 8, Februar 1970, S. 37-43. - Clark, T.J., Clement Greenberg‘s Theory of Art, in: Critical Inquiry (University of Chicago Press), Vol. 9, September 1982, S. 139-156. - Collins, James, Painting, Hybrids and Romanticism: John Baldessari, in: Artforum
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- Fried, Michael, How Modernism Works: A Response to T.J. Clark, in: Critical In-
quiry (University of Chicago Press), Vol. 9, September 1982, S. 217-234. - Gardner, Colin, A systematic bewildering, in: Artforum (New York), Vol. 28, Nr. 4, Dezember 1989, S. 106-112. - Goldin, Amy, Words in Pictures, in: Art News (New York), Annual XXXVI, 1970, S. 61-71. - Harten, Jürgen, Maxi-Konzeption, mini-concept, in: Kunstjahrbuch, Nr. 1, 1970, S. 136-146. - Helms, Dietrich, Die Welt als Material - Land Art, Conceptual Art, Process Art, Arte Povera, in: Kunst und Unterricht, Heft 6, Dezember 1969, S. 48-49. - Hess, Barbara, Why did the Conceptual Artists take up painting? A. It was a good idea (Review), in: Texte zur Kunst, 6. Jg., Nr. 21, März 1996, S. 142-147. - H.[ess], T.[homas] B, Editorial: Burning Issues, in: ArtNews (New York), Vol. 69, Nr. 4, Sommer 1970, S. 27. - Honnef, Klaus, Nouvelle Biennale de Paris, in: Kunstforum International, Bd. 79, Nr. 2, 1985, S. 216-232. - Honnef, Klaus, Die Welt als Entwurf: John Baldessari, in: Kunstforum Internatio-
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- Köhler, Michael, ‘Postmodernismus‘: Ein begriffsgeschichtlicher Überblick, in: Amerikastudien (Stuttgart), Jg. 22, Heft 1, 1977, S. 8-18. - Kozloff, Max, Pygmalion Reversed, in: Artforum (New York), Vol. 14, Nr. 3, 1975, S. 30-37. - Larsen, Susan C., Los Angeles: Inside Jobs, in: ArtNews (New York), Vol. 77, Nr. 1, Januar 1978, S. 110. - L.[ast], M.[artin], John Baldessari (Review), in: ArtNews (New York), Vol. 67, Nr. 8, Dezember 1968, S. 16-17. - Lawson, Thomas, The Theatre of the Mind: John Baldessari, in: Parkett (Zürich), Nr. 29, 1991. - Lee, Pamela M., Das konzeptuelle Objekt der Kunstgeschichte, in: Texte zur Kunst, 6. Jg., Nr. 21, März 1996, S. 121-129. - Levin, Harry, What is Modernism?, in: Massachussetts Review, 1960.
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- Winer, Helen, Scenarios / Documents / Images I, in: Art in America (New York), Vol. 61, Nr. 2, März/April 1973, S. 42-47. - Wortz, Melinda, John Baldessari‘s Raw Prints, in: ArtNews (New York), Vol. 75, Nr. 7, September 1976, S. 68-69. - Zutter, Jörg, Brief aus den Niederlanden. Neuer Subjektivismus in Malerei, Skulp-tur und Fotografie, in: Kunstforum International, Bd. 48, Nr. 2, 1982, S. 180-184. Sonderausgaben:
- John Baldessari, Museum für Gegenwartskunst Basel, Text von Jörg Zutter, Basel 1986. - Collaboration John Baldessari & Cindy Sherman, in: Parkett (Zürich), Nr. 29, 1991. - John Baldessari, in: Terskel/Threshold (Museet for Samtidskunst Oslo), Jg. 7, Nr. 16, Februar 1996.
6. 4. Künstlerprojekte und Künstlertexte
- Alberro, Alexander u. Stimpson, Blake (Hg.), Conceptual Art: A Critical Anthology, Cambridge, MA/London 1999. - Baldessari, John, TV Like 1. a Pencil 2. Won‘t Bite Your Leg, in: Art-Rite (New York), Nr. 7, 1974, S. 22-23. - Baldessari, John, Three Ways to Measure Los Angeles, in: AQ zeigt (Nr. 15): Situa-tionen zeitgenössischer Kunst & Literatur, Dudweiler, 1975, Cover und drei Seiten (unpaginiert). - Baldessari, John, Untitled Statement, in: Art-Rite (New York), Nr.14, 1976/77, S. 6. - Baldessari, John, Das Verhältnis von Tatsache und Erfindung variiert in jeder Ge-schichte / Verfluchte Allegorien – Eine Erklärung, in: Kunstforum International, Bd. 33, Nr. 3, 1979, S. 84-91. - Baldessari, John, Tagebucheintragung, in: Kunstforum International, Bd. 84, Ju-ni/Juli/August 1986, S. 191. - Bochner, Mel u. Smithson, Robert, Domain of the Great Bear, in: Art Voice, Herbst 1966.
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- Bochner, Mel, The Serial Attitude, in: Alberro, Alexander u. Stimpson, Blake (Hg.), Conceptual Art: A Critical Anthology, Cambridge, MA/London 1999, S. 22-27 (Er-stausgabe in: Artforum international, Vol. 6, Nr. 4, Dezember 1967, S. 28-33). - Graham, Dan, Homes for America, in: Arts Magazine, Nr. 41, Dezember 1966 - Januar 1967. - Groh, Klaus (Hg.), If I had a mind... (ich stelle mir vor...) Concept Art - Project Art, Köln, 1971. - Huebler, Douglas, Variable Piece 4 Secrets, New York 1973. - Judd Donald, Specific Objects, in: Vries, Gerd de (Hg.), On Art - Über Kunst, Köln 1974, S. 120-136 (Erstausgabe in: Contemporary Sculpture, Arts Yearbook VIII, 1965, S. 74-82). - LeWitt, Sol, Paragraphs on Conceptual Art, in: Vries, Gerd de (Hg.), On Art - Über Kunst, Köln 1974, S. 176-184 (Erstausgabe in: Artforum (New York), Vol. 5, Nr. 10, Sommer 1967, S. 79-83). - LeWitt, Sol, Sentences on Conceptual Art, in: Vries, Gerd de (Hg.), On Art - Über Kunst, Köln 1974, S. 186-191 (Erstausgabe in: Art-Language, Vol. 1, Nr. 1, Mai 1969, S. 11-13). - Maenz, Paul u. Vries, Gerd de (Hg.), Art & Language. Texte zum Phänomen Kunst und Sprache, Köln 1972. - Magritte, René, mots et images, in: La Révolution Surréaliste, Vol. 5, Nr. 12, De-zember 1929. - Minimal and Conceptual Art Documents, (Briefe, Ausstellungsplakate usw.), Getty Research Library, Los Angeles, CA. - Morris, Robert, Notes on Sculpture, Parts 1 and 2, in: Artforum (New York), Vol. 4, Nr. 6, Februar 1966, S.42-44 u. Vol. 5, Nr. 2, Oktober 1966, S. 20-23. - Smithson, Robert, The Monuments of Passaic, in: Artforum (New York), Vol. 6, Nr. 4, Dezember 1967. - Vries, Gerd de (Hg.), On Art - Über Kunst. Künstlertexte zum veränderten Kunst-verständnis nach 1965, Köln 1974. - Wallis, Brian (Hg.), Blasted Allegories, An Anthology of Writings by Contemporary Artists, The New Museum of Contemporary Art, New York 1987. - Wallis, Brian (Hg.), Dan Graham - Rock my Religion. Writings and Art Projects 1965 - 1990, Cambridge, MA, 1993.
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6.5. Künstlerbücher
- Baldessari, John, Choosing: Green Beans, Mailand, Edizioni Toselli, 1972. - Baldessari, John, Throwing a Ball Once to Get Three Melodies and Fifteen Chords, Art Gallery University of California, Irvine, CA, 1973. - Baldessari, John, Throwing Three Balls in the Air to Get a Straight Line: Best of Thirty-Six Attempts, Mailand, Edizioni Giampaolo Prearo, 1973. - Baldessari, John, Fable: a Sentence of Thirteen Parts (With Twelve Alternate Verbs) Ending in Fable, 1974. - Ruscha, Ed, Twenty-six Gasoline Stations, Los Angeles, Ed Ruscha, 1963. - Ruscha, Ed, Various Small Fires and Milk, Los Angeles, Ed Ruscha, 1964. - Ruscha, Ed, Every Building on the Sunset Strip, Los Angeles, Ed Ruscha, 1967. - Ruscha, Ed, Royal Road Test, Los Angeles, Ed Ruscha, 1967.
6.6. Interviews
- Alberro, Alexander u. Norvell, Patricia (Hg.), Recording Conceptual Art. Early Interviews with Barry, Huebler u.a. by Particia Norvell, Berkeley, CA/London 2001. - Foote, Nancy (Hg.), Situation Esthetics. Impermanent Art and the Seventies Audi-ence (Interviews mit u.a. John Baldessari), in: Artforum (New York), Vol. 18, Januar 1980, S. 22-29. - Fricke, Marion, Fricke, Roswitha u. Siegelaub, Seth (Hg.), The Context of Art/ The Art of Context. Artists on Art, the Art World & Life Since 1969, in: Kunst & Mu-
seumsjournaal, Vol. 7, Nr. 1-3, 1996, S. 52-94. - Marcel Duchamp, Dialogues with Marcel Duchamp, Interview mit Pierre Cabanne, New York 1987. - Joseph Kosuth, Art as Idea as Idea: An Interview with Jeanne Siegel, in: Ders., Art After Philosophy and After, Cambridge, MA/London 1991, S. 47-56. - John Baldessari, Interview mit Leo Rubinfien, in: Art in America (New York), Vol. 66, Nr. 5, September/Oktober 1978, S. 77-78. - John Baldessari, Interview mit Marc Selwyn, in: Flash Art (Milano), Nr. 135, 1987, S. 62-64.
268
- John Baldessari, Recalling Ideas, Interview mit Jeanne Siegel, in: Art in America (New York), Vol. 62, Nr. 8, 1988, S. 86-89. - John Baldessari, Interview mit Meg Cranston, in: Journal of Contemporary Art, Vol. 2, Nr. 1, Frühling/Sommer 1989, S. 51-58; u. Nr. 2, Herbst/Winter 1989, S. 41-49. - John Baldessari, I will not make any more boring art, Interview mit Liam Gillick, in: Art Monthly, Nr. 187, Juni 1995, S. 3-7. - John Baldessari, Interview mit Marion Fricke und Roswitha Fricke, in: Fricke, Marion, Fricke, Roswitha u. Siegelaub, Seth (Hg.), The Context of Art/ The Art of Context, in: Kunst & Museumsjournaal, Vol. 7, Nr. 1-3, 1996, S. 59-63. - John Baldessari, Interview mit Hugh Davies und Andrea Hales, in: John Baldessari. National City (Kat.), 1996, S. 85-103. - John Baldessari, unveröffentlichtes Interview mit Ingo Maerker, Santa Monica, 16.8.2000. - Lawrence Weiner, Interview mit Patricia Norvell (3.6.1969), in: Alberro, Alexander u. Norvell, Patricia (Hg.), Recording Conceptual Art, Berkeley, CA/London 2001, S. 101-111. - Sol LeWitt, Interview mit Patricia Norvell (12.6.1969), in: Alberro, Alexander u. Norvell, Patricia (Hg.), Recording Conceptual Art, Berkeley, CA/London 2001, S. 112-123.
6.7. Fernsehsendungen
- John Baldessari, aus der Reihe Contacts, Ausstrahlung März 2005 auf ARTE. - John Baldessari. This not That, Ausstrahlung am 12.3.2005 auf SF1.
269
Anhang
Abbildungen
270
1. John Baldessari: Everything is Purged…(1966-68) Acryl auf Leinwand, 172,7 x
143,5 cm (Courtesy of the Artist)
2. John Baldessari: Wrong (1966-68), Acryl, Fotoemulsion auf Leinwand, 149,9 x
114,3 cm (Courtesy of the Artist)
271
3. John Baldessari: Econ-O-Wash, 14th and Highland, National City, Calif. (1966-68), Acryl, Fotoe-
mulsion auf Leinwand, 149,9 x 114,3 cm (Courtesy of the Artist)
4. John Baldessari: Commissioned Painting: A Painting by Pat Perdue (1969), Acryl und Öl auf Lein-
wand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
272
5. John Baldessari: Calif. Map Project Part I: California (1969), 11 Farbfotografien (je 20,3 x 25,4 cm) und ein Text (21,6 x 27,9 cm) (Courtesy of the Artist)
6. John Baldessari: Ingres, aus Ingres and Other Parables (1971), Text und Fotografie auf Papier, 20,3 x 25,4 cm
(Courtesy of the Artist)
7. John Baldessari: A Different Kind of Order (The Thelonious Monk Story) (1972-73), 5 Schwarzweiß-fotografien and 1 maschinengeschriebener Text auf Tafel kaschiert, Anordnung variabel, je 29,8 x 37,5 cm (Courtesy of the Artist)
273
8. John Baldessari: Throwing Four Balls in the Air to Get a Square (1972-73), 8 Farbfotografien auf
Karton kaschiert, je 24,1 x 35 cm (Courtesy of the Artist)
9. John Baldessari: Violent Space Series: Two Stares Making a Point But Blocked by a Plane (For Ma-
levich) (1976), Schwarzweißfotografie mit Kollage, 61,3 x 91,4 cm (Courtesy of the Artist)
274
10. Yoko Ono: Instructions for Paintings (1962), Tu-sche auf Papier, 1 von 22 Arbeiten, je ca. 25 x 36 cm
11. Joseph Kosuth: Titled (Art as Idea as Idea)
[Universal] (1967), Schwarzweißfotografie, 122 x 122 cm (© VG Bild-Kunst, Bonn 2009)
12. Edward Ruscha: Some Los Angeles Apartments (Detail) (1965), Künstlerbuch
13. Robert Smithson: A Nonsite, Franklin, New Jersey (1968), Bemalte Holzkästen, Steine, 41,9 x 208 x 279,4 cm (© VG Bild-Kunst, Bonn 2009)
275
14. Dan Graham: Homes for America (1966-67), 101,6x76,2 cm
Texte und Fotos auf zwei Tafeln kaschiert, je
15. Robert Smithson: Monuments of Passaic (1967) (Abb. aus dem Artikel) (© VG Bild-Kunst, Bonn 2009)
276
16. John Baldessari: Cremation Project (1970), 6 Farbfotografien, Bronzeplakette, buchförmige Urne
aus Bronze, Zeitungsanzeige, Schachtel mit Asche, Maße variabel (Courtesy of the Artist)
17. John Baldessari: Exhibiting Paintings (1966-68), Acryl auf Leinwand, 172,7 x 143,5 cm (Courtesy of the Artist)
18. John Baldessari: Tips for Artists Who Want to
Sell (1966-68), Acryl auf Leinwand, 172,7 x 143,5 cm (Courtesy of the Artist)
277
19. John Baldessari: Clement Greenberg (1966-68), Acryl auf Leinwand, 172,7 x 143,5 cm (Courtesy of the
Artist)
20. John Baldessari: A Work with Only One
Property (1966-68), Acryl auf Leinwand, 149,9 x 114,3 cm (Courtesy of the Artist)
21. John Baldessari: Pure Beauty (1966-68), Acryl auf Leinwand, 115,2 x 110,2 cm (Courtesy of the
Artist)
278
22. Joseph Kosuth: Clear Square Glass Leaning (1965), 4 Glasscheiben, je 152,4 cm2, mit aufgedruckten
Buchstaben (© VG Bild-Kunst, Bonn 2009)
23. Joseph Kosuth: One and Eight – A Description (1965), Leuchstoffröhre, 33 x 386,1 cm (© VG Bild-
Kunst, Bonn 2009)
24. Gene Beery: Note: Make a Painting of a Note as a Painting (1969)
279
25. John Baldessari: Looking East on 4th and C, Chula
Vista, Calif (1966-68), Acryl, Fotoemulsion auf Lein-wand, 149,9 x 114,3 cm (Courtesy of the Artist)
26. John Baldessari: The Spectator is Compelled…
(1966-68), Acryl, Fotoemulsion auf Leinwand, 149,9 x 114,3 cm (Courtesy of the Artist)
27. Ed Ruscha: Union, Needles California, Abbildung aus dem Künstlerbuch Twenty-six Gasoline Stations
(1963)
280
28. Ed Ruscha: Every Building on the Sunset Strip (Detail) (1967), Künstlerbuch
29. John Baldessari: Commissioned Painting: A Painting
by William Bowne (1969), Acryl und Öl auf Leinwand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
30. John Baldessari: Commissioned Painting: A Paint-
ing by Helene Morris (1969), Acryl und Öl auf Lein-wand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
281
31. John Baldessari: Commissioned Painting: A Painting
by Edgar Transue (1969), Acryl und Öl auf Leinwand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
32. John Baldessari: Commissioned Painting: A Paint-
ing by Elmire Bourke (1969), Acryl und Öl auf Lein-wand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
33. John Baldessari: Commissioned Painting: A Painting
by Sam Jacoby (1969), Acryl und Öl auf Leinwand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
34. John Baldessari: Commissioned Painting: A Paint-
ing by Nancy Conger (1969), Acryl und Öl auf Lein-wand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
282
35. John Baldessari: Commissioned Painting: A Painting
by Dante Guido (1969), Acryl und Öl auf Leinwand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
36. John Baldessari: Commissioned Painting: A Paint-
ing by Patrick X. Nidorf O.S.A. (1969), Acryl und Öl auf Leinwand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
37. John Baldessari: Commissioned Painting: A Paint-
ing by Anita Storck (1969), Acryl und Öl auf Leinwand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
38. John Baldessari: Commissioned Painting: A Paint-
ing by Pat Nelson (1969), Acryl und Öl auf Leinwand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
283
39. John Baldessari: Commissioned Painting: A Paint-
ing by Hildegard Reiner (1969), Acryl und Öl auf Lein-wand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
40. John Baldessari: Commissioned Painting: A Painting
by Jane Moore (1969), Acryl und Öl auf Leinwand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
41. John Baldessari: Commissioned Painting: A Painting by George Walker (1969), Acryl und Öl auf
Leinwand, 150,5 x 115,6 cm (Courtesy of the Artist)
284
42. Marcel Duchamp: Tu m’ (1918), Öl auf Leinwand, Flaschenbürste, drei Sicherheitsnadeln, Bolzen, 69,8 x
303 cm (© Succession Marcel Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn 2009)
43. John Baldessari: Choosing (A Game for Two Players): Rhubarb, (1972), 7 Farbfotografien, je 35,6 X 27,9 cm (Courtesy of the Artist)
44a. John Baldessari: Pointing: Circle, (1969), Farbfotografie auf Karton kaschiert, 73 x 108 cm (Courtesy of the Artist)
44b. John Baldessari: Pointing: Pencil Sharpener, 1969, Farbfotografie auf Karton kaschiert, 73 x 108 cm (Courtesy of the Artist)
44c. John Baldessari: Pointing: T.V. Set, 1969, Farb-fotografie auf Karton kaschiert, 73 x 108 cm (Cour-tesy of the Artist)
44d. John Baldessari: Pointing: Hasp (with Lock), 1969 Farbfotografie auf Karton kaschiert, 73 x 108 cm (Courtesy of the Artist)
285
45. Robert Smithson: Spiral Jetty (1970), Schlamm, Salzkristalle, Steine, Wasser, Länge: ca. 450 m, Breite ca. 4,5
m (© VG Bild-Kunst, Bonn 2009)
46. Dennis Oppenheim: Time Line (1968), 2 paral-lele Linien, je ca. 1 m breit und 4,8 km lang, zwi-
schen Fort Kent, Maine und Clair, New Brunswick auf dem gefrorenen St.John Fluss, Geschwindigkeit 56 km/h, Ausführungszeit: 10 min, Uhrzeit: 15.15h
in den USA und 16.15h in Kanada
47. Douglas Huebler: Location Piece # 13 (1969) (Ausschnitt), 3 Farbfotografien, Karte
von Kalifornien und Statement, Fotos 25,4 x 20,3 cm, Karte 26,4 x 21,6 cm, Statement 27,9 x 21,6
cm (© VG Bild-Kunst, Bonn 2009)
48. Robert Barry: Inert Gas: Helium (1969), 0,028 cm3 Helium abgelassen in die Atmosphäre in der
Mojave Wüste in Kalifornien
286
49. John Baldessari: Ingres and Other Parables (1971), 10 Blätter mit Text und Fotografien, je 20,3 x 25,4 cm (Courtesy of the Artist)
50. John Baldessari: The Best Way to Do Art, aus Ingres and Other Parables (1971), Text und Foto-grafie auf Papier, 20,3 x 25,4 cm (Courtesy of the Artist)
51. John Baldessari: Art History, aus Ingres and Other Parables (1971), Text und Fotografie auf Papier, 20,3 x 25,4 cm (Courtesy of the Artist)
287
52. John Baldessari: The Neon Story, aus Ingres and Other Parables (1971), Text und Fotografie auf Papier, 20,3 x 25,4 cm (Courtesy of the Artist)
53. John Baldessari: A New Sense of Order (The Art Teacher’s Story) (1972-73), 5 Schwarzweißfotografien, 1
Text auf Tafel Kaschiert, Anordnung variabel, je 25,4 x 16,5 cm (Courtesy of the Artist)
54. John Baldessari: Throwing Four Balls in the Air to Get a Straight Line (Best of 36 Tries) (1972-73), 4 Farbfotografien, je 33,7 x 50,8 cm (Courtesy of the Artist)
288
55. John Baldessari: Throwing Three Balls in the Air to Get an Equilateral Triangle (Best of 36 Tries) (1972-73), 5 Farbfotografien, je 33,7 x 50,8 cm (Courtesy of the Artist)
56. John Baldessari: Pier 18 (1971), Schwarzweißfotografie, Auflage von 3, 17,8 x 25,4 cm (Courtesy of the
Artist)
57. John Baldessari: Aligning Balls (1972), 41 Farbfotografien (je 8,9 X 12,7 cm) und Kreidelinie. An-zahl der Fotos abhängig von der Wandlänge (Courtesy of the Artist)
289
58. John Baldessari: Cigar Smoke To Match Clouds That Are Different (By Sight – Side View) (1972-73), 3 Farbfotografien, je 35,6 x 24,1 cm (Courtesy of the Artist)
59. Kasimir Malewitsch: Suprematistische Komposition: Weiß auf Weiß (1918), Öl auf Leinwand, 79,4
x 79,4 cm, Museum of Modern Art, New York
290
60. John Baldessari: Nine Feet (Of Victim and Crowd) Arranged by Position in Scene (1976), Schwarz-
weißfotografie, 61,9 x 92,7 cm (Courtesy of the Artist)
61. John Baldessari: Five Vignetted Portraits of Stress Situations (1976), 5 Schwarzweißfotografien, 28 x 35,2 cm (Courtesy of the Artist)
62. Franz Xaver Messerschmidt: Charakterkopf: Ein Erzbösewicht (nach 1770), Zinn-Blei-Legierung,
Höhe 38,5 cm, österreichische Galerie Belvedere
291
63. John Baldessari: Six Vignetted Portraits of Guns Aligned and Equipoised (Violent) (1976), 6 Schwarzweißfotografien, je 35,6 x 28 cm (Courtesy of the Artist)
64. John Baldessari: Six Situations with Guns Aligned (Guns Sequenced Small to Large) (1976), 6 Schwarz-weißfotografien, 24,3 x 17,6 cm (Courtesy of the Artist)
65. John Baldessari: Blasted Allegories (Colorful Sentence and Purple Patch): Starting with Red
Father...(1978), Farbfotografien und Schwarzweißfotografien auf Tafel kaschiert, 77,8 x 93 cm (Courte-sy of the Artist)
292
66. John Baldessari: Kissing Series: Simone. Palm Trees (Near) (1975), 2 Farbfotografien, je 25,4 x 20,3 cm (Courtesy of the Artist)