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www.nath-pool.ch , Magazin, 20. Feb. 2010 1 Ayurveda Das älteste Therapiesystem der Welt fasst auch in der Schweiz Fuss Franz Rutz ist eines der fünf Vorstandsmitglieder der Orga- nisation der Arbeitswelt Alternativmedizin (OdA AM), wel- che für die eidgenössische Berufsreglementierung in diesem Bereich zuständig ist. Gleichzeitig ist er Vorstandsmitglied des Schweizerischen Verbandes für Maharishi Ayurveda, welcher nebst dem Verband Schweizer Ayurveda-Mediziner und -Therapeuten bereits seit 1985 besteht. Hans-Peter Studer hat ihn zur Geschichte und Philosophie des Ayurveda sowie zu seinem Stellenwert in der Schweiz befragt. Herr Rutz, was ist Ayurveda? Ayurveda ist das älteste bekannte Naturheil- system, und man geht davon aus, dass er viele andere traditionelle Systeme beeinflusst hat, allen voran die chinesische und tibetische Me- dizin. Das Wissen ist in verschiedenen Wer- ken festgehalten, wobei dem Charaka Samhita heutzutage die grösste Bedeutung zukommt. Er befasst sich mit all den Fachgebieten, die wir auch aus der klassischen Medizin kennen, insbesondere mit der inneren Medizin. Wie weit reicht Ayurveda zurück? Der Ayurveda hat seine Wurzeln in der vedi- schen Hochkultur des alten Indiens. Man ver- mutet, dass diese Kulturepoche 5’000 bis 7’000 Jahre zurückliegt. Die vedische Kultur befasste sich mit den kosmischen Gesetzen der Architektur (Sthapatya Veda), der Musik (Gandharva Veda), der Astrologie (Jyotish), der Mathematik, der Medizin (Ayurveda) und mit vielen anderen Wissenschaften. Das Wis- sen wurde in Sanskrit festgehalten und ist in der vedischen Literatur zum Teil immer noch vorhanden. Veda heisst wörtlich übersetzt „reines Wissen“ und Ayus bedeutet „Leben“. Der Ayurveda befasst sich also mit dem Wis- sen über das Leben in seiner ganzen Tiefe, vom zeitlich begrenzten individuellen Leben bis hin zum endlosen kosmischen Sein. Ayurvedische Erkenntnisse reichen folglich sehr tief? Ayurveda beruht auf den Erkenntnissen von Menschen, die geistig in die Tiefen der kosmi- schen Gesetzmässigkeiten vordringen konn- ten. Sie wurden weitergegeben mit dem Be- streben, dem Menschen Hilfsmittel zur Besei- tigung der Leiden zur Verfügung zu stellen. Entsprechend sind sie auch heute noch gül- tig? Da sich der Ayurveda mit Naturgesetzen be- fasst und diese Gesetzmässigkeiten jedem Menschen innewohnen, ist er weder an Zeit, Religion, Ort noch an Kultur gebunden. Ge- nauso wie die Entdeckung der Gravitation in Frankreich nicht dazu führte, dass sie etwas Französisches ist, sondern ein Naturgesetz globaler Tragweite, sind die Gesetzmässigkei- ten, welche Leben fördern oder zerstören, überall auf der Welt dieselben und nicht an ihr Herkunftsland gebunden. Welche Rolle spielt Ayurveda in der moder- nen Welt? Ayurveda ist ein von der WHO anerkanntes Gesundheitssystem mit Jahrtausende alter Tradition und nach wie vor sehr grosser Verbreitung in seinem Ursprungsland Indien: 70 Prozent der Bevölkerung, welche einen Sechstel der Weltbevölkerung ausmacht, wen- den dort dieses Medizinsystem an. Es findet zunehmend auch weltweite Verbreitung. In Sri Lanka, Nepal, Indonesien und auf Mauritius ist Ayurveda seit langem ein offiziell aner- kanntes Medizinsystem. Welche Hauptbereiche umfasst Ayurveda?

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www.nath-pool.ch, Magazin, 20. Feb. 2010 1

Ayurveda Das älteste Therapiesystem der Welt fasst auch in der Schweiz Fuss

Franz Rutz ist eines der fünf Vorstandsmitglieder der Orga-nisation der Arbeitswelt Alternativmedizin (OdA AM), wel-che für die eidgenössische Berufsreglementierung in diesem Bereich zuständig ist. Gleichzeitig ist er Vorstandsmitglied des Schweizerischen Verbandes für Maharishi Ayurveda, welcher nebst dem Verband Schweizer Ayurveda-Mediziner und -Therapeuten bereits seit 1985 besteht. Hans-Peter Studer hat ihn zur Geschichte und Philosophie des Ayurveda sowie zu seinem Stellenwert in der Schweiz befragt.

Herr Rutz, was ist Ayurveda? Ayurveda ist das älteste bekannte Naturheil-system, und man geht davon aus, dass er viele andere traditionelle Systeme beeinflusst hat, allen voran die chinesische und tibetische Me-dizin. Das Wissen ist in verschiedenen Wer-ken festgehalten, wobei dem Charaka Samhita heutzutage die grösste Bedeutung zukommt. Er befasst sich mit all den Fachgebieten, die wir auch aus der klassischen Medizin kennen, insbesondere mit der inneren Medizin. Wie weit reicht Ayurveda zurück? Der Ayurveda hat seine Wurzeln in der vedi-schen Hochkultur des alten Indiens. Man ver-mutet, dass diese Kulturepoche 5’000 bis 7’000 Jahre zurückliegt. Die vedische Kultur befasste sich mit den kosmischen Gesetzen der Architektur (Sthapatya Veda), der Musik (Gandharva Veda), der Astrologie (Jyotish), der Mathematik, der Medizin (Ayurveda) und mit vielen anderen Wissenschaften. Das Wis-sen wurde in Sanskrit festgehalten und ist in der vedischen Literatur zum Teil immer noch vorhanden. Veda heisst wörtlich übersetzt „reines Wissen“ und Ayus bedeutet „Leben“. Der Ayurveda befasst sich also mit dem Wis-sen über das Leben in seiner ganzen Tiefe, vom zeitlich begrenzten individuellen Leben bis hin zum endlosen kosmischen Sein. Ayurvedische Erkenntnisse reichen folglich sehr tief? Ayurveda beruht auf den Erkenntnissen von Menschen, die geistig in die Tiefen der kosmi-

schen Gesetzmässigkeiten vordringen konn-ten. Sie wurden weitergegeben mit dem Be-streben, dem Menschen Hilfsmittel zur Besei-tigung der Leiden zur Verfügung zu stellen. Entsprechend sind sie auch heute noch gül-tig? Da sich der Ayurveda mit Naturgesetzen be-fasst und diese Gesetzmässigkeiten jedem Menschen innewohnen, ist er weder an Zeit, Religion, Ort noch an Kultur gebunden. Ge-nauso wie die Entdeckung der Gravitation in Frankreich nicht dazu führte, dass sie etwas Französisches ist, sondern ein Naturgesetz globaler Tragweite, sind die Gesetzmässigkei-ten, welche Leben fördern oder zerstören, überall auf der Welt dieselben und nicht an ihr Herkunftsland gebunden. Welche Rolle spielt Ayurveda in der moder-nen Welt? Ayurveda ist ein von der WHO anerkanntes Gesundheitssystem mit Jahrtausende alter Tradition und nach wie vor sehr grosser Verbreitung in seinem Ursprungsland Indien: 70 Prozent der Bevölkerung, welche einen Sechstel der Weltbevölkerung ausmacht, wen-den dort dieses Medizinsystem an. Es findet zunehmend auch weltweite Verbreitung. In Sri Lanka, Nepal, Indonesien und auf Mauritius ist Ayurveda seit langem ein offiziell aner-kanntes Medizinsystem. Welche Hauptbereiche umfasst Ayurveda?

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Seine Hauptkomponenten sind die ausführli-che Untersuchung des Patienten, Ernährungs- und Verhaltensberatung, therapeutische Mas-sagen und Behandlungstechniken, der Einsatz von Heilmitteln sowie Panchakarma. Letzteres wird oft im Wellnessbereich angepriesen, ist aber in Wirklichkeit ein vielschichtiges inva-sives Verfahren zur tiefen Stoffwechselnorma-lisierung. Aber gerade in der Schweiz wird Ayurveda oft mit Wellness gleichgesetzt? Es ist richtig: In der Schweiz ist der Ayurveda – Stichwort: Ölmassagen – vorrangig im Be-reich der Wellness-Anwendungen bekannt und verbreitet. Diese Tatsache führt dazu, dass die Tendenz zu einer gewissen Simplifizierung entsteht, alle ayurvedischen Anwendungen als Wellness-Behandlungen zu deklarieren und diese darum bestenfalls als Massnahme zur Befindlichkeitsverbesserung anzusehen. Das greift jedoch auch hierzulande zu kurz? Tatsache ist, dass der Ayurveda bereits seit über 20 Jahren als Therapie von den meisten Krankenkassen in den Zusatzversicherungen vergütet wird und beim EMR mit einem spe-ziellen Reglement zur Methodengruppe Ayur-veda mit hohen Anforderungen anerkannt ist.1 Zunehmend werden in der Schweiz und gene-rell im deutschsprachigen Europa sehr qualifi-zierte ayurvedische Ausbildungen angeboten, welche sowohl die Befähigung zur Praxisaus-übung als Komplementärtherapeut wie auch als Alternativmediziner vermitteln. Wie sieht denn eine ayurvedische Behand-lung aus, welche sich klar vom Wellness-Bereich abgrenzt? Eine ayurvedische Behandlung geht von ei-nem Gesamtkonzept aus, welches Auskunft darüber gibt, wie eine Krankheit behandelt werden soll. Die Behandlungsmassnahmen sehen dafür spezielle Sequenzen von Thera-pieformen wie Ausleitverfahren, Diätmass-nahmen, Heilmittel usw. vor und verlangen eine medizinische Betreuung. Der Ayurveda-Mediziner verfügt somit über ein Gesamtwis-sen von verschiedenen Ansätzen, welche im Zusammenhang mit Krankheiten spezifisch eingesetzt werden. Er hat eine Diagnose zu 1http://www.emr.ch/dl/dokumente/emr_reglemente.pdf, Seite 11

erstellen und Behandlungsschritte zu planen, um ein vorher definiertes Behandlungsziel anzugehen. Nun sehen in der Schweiz die OdA AM, aber auch die OdA KT (Organisation der Arbeits-welt Komplementärtherapie) vor, den Ayur-veda in beiden Bereichen anzuerkennen. Wie soll denn eine Patientin, ein Patient zwischen Ayurveda Medizin und Ayurveda Therapie unterscheiden können? Der Anspruch, diesen Unterschied klar ma-chen zu können, ist sehr berechtigt. Die Ver-treter der beiden ayurvedischen Ausbildungs-richtungen haben folglich diesen Punkt in en-ger Zusammenarbeit mit den führenden Perso-nen in den beiden Berufsreglementierungs-Projekten behandelt. Tatsache ist, dass der Ayurveda in Indien diese Unterscheidung be-reits traditionell seit Jahrhunderten macht und dies nicht einfach eine neue Vorstellung im eidgenössischen Berufsbildungs-Projekt ist. Und wie sieht diese Unterscheidung konkret aus? Der Komplementärtherapeut Ayurveda kennt die folgenden Kompetenzlimiten, welche ihn vom Alternativ-Mediziner Fachrichtung Ay-urveda klar unterscheiden: Er erstellt keine ayurvedisch-medizinische Diagnose – das heisst er wendet auch keine Puls-Diagnose an –, sondern macht nur eine therapeutische, kon-stitutionsbezogene Befunderhebung. Er ver-schreibt keine medizinischen Rezepte und verordnet keine Heilmittel. Er praktiziert keine invasiven Methoden.

Ähnlich wie in der Chinesischen Medizin spielt auch im Ayurveda die Pulsdiagnose eine wichtige Rolle.

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Der Ayurveda kennt eine Vielzahl von Heilmit-teln, die zum Teil auch in der Schweiz zuge-lassen sind. Sie müssen hierzulande hohen Qualitätsanforderungen entsprechen. Wo liegen denn die spezifischen Kompetenz-bereiche eines ayurvedischen Komplementär-therapeuten? Der Komplementärtherapeut ist selbständig im Präventionsbereich tätig und behandelt funkti-onelle Störungen. Unter Aufsicht und im Auf-tragsverhältnis mit Alternativ- oder Allge-meinmedizin kann er auch verordnete Rehabi-litationsmassnahmen durchführen. Zum Ein-satz kommt neben äusserlichen Massnahmen, das heisst verschiedenen ayurvedischen Mas-sagen und Behandlungstechniken, die Ge-sundheitsberatung in Lebensführung und Er-nährung. Ganz wichtig in der ayurvedischen Komplementärtherapie sind der agogische Aspekt und die Prozessbegleitung. Das heisst, bei der Unterscheidung zwischen ayurvedischer Komplementärtherapie und ayurvedischer Komplementärmedizin kommt es auch darauf an, wie weit eine Gesund-heitsstörung bereits fortgeschritten ist? Ja, die selbständige Behandlung von funktio-nellen Störungen ist beim Komplementärthe-rapeuten beschränkt auf die ersten vier Krank-heitsstufen, bevor organische Krankheiten auftreten. Der Indikator ist: Nach zwei Be-handlungen muss eine Besserung eintreten, sonst wird an einen Mediziner verwiesen. Eine Behandlung bei weiter fortgeschrittenen Er-

krankungen (4. bis 6. Stufe) durch einen Kom-plementärtherapeuten ist nur unter Aufsicht oder in Absprache mit einem Alternativ-Mediziner Fachrichtung Ayurveda möglich. Letzterer stellt Diagnosen, wendet auch inva-sive Behandlungen an und verordnet Heilmit-tel. Eine Frage zu den Ayurveda-Heilmitteln: Immer wieder taucht der Vorwurf auf, es bestünde ein grosses Risiko für Verunreini-gungen durch Schwermetalle. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Verunreinigungen durch Schwermetalle einer-seits und dem therapeutischen Einsatz von geläuterten Schwermetallen andererseits, wie ihn der Ayurveda mit bestimmten aufwändi-gen Herstellungs-Verfahren sehr erfolgreich in Indien praktiziert. Die Schulmedizin tut sich allerdings schwer mit dieser Unterscheidung. Darum ist diesbezüglich weltweit viel Aufklä-rungsarbeit nötig. Dann können ayurvedische Heilmittel auch Schwermetalle enthalten? Werden Ayurveda-Produkte über unkontrol-lierte Wege in die westliche Welt eingeführt, ist das Risiko von Schwermetallen in ayurve-dischen Produkten tatsächlich nicht auszu-schliessen. Die offiziellen Importeure von ayurvedischen Heilmitteln haben darum be-reits vor über 20 Jahren entschieden, in jedem Fall sicher zu stellen, dass die in der Schweiz durch sie eingeführten ayurvedischen Heilmit-tel grundsätzlich keinerlei Schwermetalle ent-halten dürfen. Dies wird, inklusive Kontrollen bezüglich Mikroben und Pestizide, durch eu-ropäische und schweizerische Labors laufend überprüft. Neu unterstehen die ayurvedischen Heilmittel auch der Kontrolle durch Swissme-dic. Es sind denn auch nie Beanstandungen aufgetreten. Herzlichen Dank für dieses informative In-terview und gutes Gelingen bei der Ausarbei-tung und Anerkennung der Bestimmungen für die beiden Berufsfelder von Ayurveda! Das Buch zum Thema: Tamara Köhler: „Ayurvedische Ernährung“ Fona Verlag AG, CH-5600 Lenzburg