kritik des aufsatzes von a. schapringer

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Kritik des Aufsatzes "yon A, Schapringer ): ,,Finder die Perception der verschiedenen Farben nieht in einer und derselben Lage der ~etzhaut start?" Von Prof. Dr. W. Koster Gzn. in Leiden. Mit 6 Figuren im Text. In obigem Aufsatze, der zum Titel ffihrt: ,,Finder die Perception der verschiedenen Farben nicht in ein und tier- 1) Ungefahr im Mai 1895 kam die Arbeit yon Schapringer (Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 60) in meine Hande, deren unrichtige Beweisffihrungen reich zu einer kleinen Kritik nSthigten. Ich sandte mein :~anuscript yon London aus nach Bonn an die Redaction des Archivs ftir die ges. Physiologie, in welcher Schapringer's Arbeit erschienen war, babe abet hie ein Wort fiber den richtigen Empfang vernommen, und weder auf meine zahlreichen Briefe mit Angabe meiner Adresse und der Bitte um l~aehricht die geringste Antwort erhalten. Auch mein letztes Schreiben yore Februar 97 an die Yerlagsbuch- handlung yon Emil Strauss, mit tier Bitte mein Manuscript zurfick zu schicken ist nnber/icksichtigt geblieben. Die l~Sglichkeit, dass alle meine Briefe ver]oren gegangen sind ist natfirlich nicht ausgeschlossen, jedoch wird 5eder, der meine Meinung fiber die Leistung Schapringer's genauer kennen lernt, und dieselbe geprtift hat, eine andere Erkl~rung der Sachlage ffir wahrschein]icher halten. Ich selber habe so lange wie nur irgend mSglich an der Idee festgehalten, dass hier ein Irrthum vorliegen mfisse, und man wird mir sicherlich keine Uebereilung vorwerfen,

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Page 1: Kritik des Aufsatzes von A. Schapringer

Kritik des Aufsatzes "yon A, Schapringer ): , , F i n d e r d i e P e r c e p t i o n d e r v e r s c h i e d e n e n F a r b e n

n i e h t i n e i n e r u n d d e r s e l b e n L a g e

d e r ~ e t z h a u t s t a r t ? "

Von

Prof. Dr . W . K o s t e r Gzn. in Leiden.

Mit 6 Figuren im Text.

I n obigem Aufsatze, der zum Ti te l f f ihr t : , ,Finder die

Pe rcep t ion der verschiedenen F a r b e n n icht in ein und tier-

1) Ungefahr im Mai 1895 kam die Arbeit yon S c h a p r i n g e r (Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 60) in meine Hande, deren unrichtige Beweisffihrungen reich zu einer kleinen Kritik nSthigten.

Ich sandte mein :~anuscript yon L o n d o n aus nach Bonn an die Redaction des Archivs ftir die ges. Physiologie, in welcher S c h a p r i n g e r ' s Arbeit erschienen war, babe a b e t h ie e in W o r t f iber den r i c h t i g e n E m p f a n g v e r n o m m e n , und w e d e r au f m e i n e z a h l r e i c h e n B r i e f e mi t A n g a b e m e i n e r A d r e s s e und der B i t t e um l ~ a e h r i c h t d ie g e r i n g s t e A n t w o r t e r h a l t e n . Auch mein letztes Schreiben yore Februar 97 an die Yerlagsbuch- handlung yon E m i l S t r aus s , mit tier Bitte mein Manuscript zurfick zu schicken ist nnber/icksichtigt geblieben.

Die l~Sglichkeit, dass alle meine Briefe ver]oren gegangen sind ist natfirlich nicht ausgeschlossen, jedoch wird 5eder, der meine Meinung fiber die Leistung S c h a p r i n g e r ' s genauer kennen lernt, und dieselbe geprtift hat, eine andere Erkl~rung der Sachlage ffir wahrschein]icher halten. Ich selber habe so lange wie nur irgend mSglich an der Idee festgehalten, dass hier ein Irrthum vorliegen mfisse, und man wird mir sicherlich keine Uebereilung vorwerfen,

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Kritik des Aufsatzes yon A. Sehapringer etc. 2 5 1

selben Lage der Netzhaut start?" kritisirt S c h a p r i n g e r die Versuche yon K S n i g und Zumft~)~ durch welche be- wiesen werden sollte, dass das Licht yon verschiedener Farbe um so tiefer in der l~etzhaut percipirt werden mtisste, je gr5sser die WellenlSnge des betreffenden Lichtes ist. XSn ig und Z u m f t gaben in ihren Mittheilungen an, dass sie im Stande waren, durch ein Diaphragma mit zwei feinen Oeffnungen, welches im vorderen Brennpunkt des Auges hin- und herbewegt wurde, ein Doppelbild der be- kannten Sehattenfigur der Reti6agef~isse hervorzurufen. Sie behaupteten weiter~ dass die Distanz der Doppelschatten bei verschiedenfarbigem Licht ungleieh gross sei, und zogen daraus den Schluss, dass es in der Retina verschiedene Sehichten g~ibe fiir die Perception der verschiedenen Farben. S c h a p r i n g e r hat in gutem Glauben angenommen~ dass Alles was KSn ig und Z u m f t mitgetheilt haben, riehtig sei, und dass das Resultat der Messungen unanfechtbar da- stehe, will aber die Sehlussfolgerung nicht annehmen; er sucht zu beweisen, dass es eine andere Erkliirung fiir die ungleich grosse Distanz der Doppelsehatten bei versehieden- farbigem Licht gebe, und meint also, class die Farben alle in einer und dieselben Sehieht der Netzhaut pereipirt werden, wie dies his jetzt allgemein angenommen wurde. Damit meint' er die v. t t e lmhol tz ' sche ]_~arbentheorie ihrer neuen Stiitze beraubt~ and die Hering 'sche Theorie der Gegenfarben gerettet zu haben; denn KSnig nnd Z u m f t hatten darauf hingewiesen, dass wenn Roth und Griin,

wenn ieh jetzt nach zwei Jahren mich geniithigt finde meine Meinung fiber die Redaction yon P f l t i g e r ' s Archly in ungfinstigem Sinne zu Endern.

1) Prof. Dr. A r t h u r K S n i g und Dr. J o b . Z u m f t : Ueber die lichtempfindliche Schicht in der Netzhaut des menschlichen Auges. Sitzungsberichte der k. preuss. Akademie der Wissenseh. zu Berlin. Sitzung der phys.-mathem. Classe vom 24. Mai 1894. - - A b g e d r u c k t im Centralbl. f. prakt. Augenheilk. Juni 1894.

v. Graefe's Archly ftir Ophthahuologie. XLIV. 17

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und Gelb und Blau an versehiedener Ste]le in der Netz- haut percipirt w~irden, sie niemals an Processe in derselben Sehsubstanz gebunden sein kSnnten; ,naeh dem oben Dar- gelegten", so schHesst S e h a p r i n g e r seine Auseinander- setzung~ ,,f~llt aber dieser Einwand gegen die Hering 'sche Theorie in •ichts zusammen".

S c h a p r i n g e r hat nun leider bei seinen theoretischen Auseinandersetzungen und mathematischen Beweisen ganz sonderbare Fehler sich einschleichen lassen, wodurch die

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Fig. I. Fig. 2.

"-20 y

ganze Kritik werthlos ist, wie Jeder einsehen wird, wenn er sich in den Gegenstand eindenkt. Den Ausgangspunkt seiner Betrachtungen bilden die yon E i n t h o v e n 1) ange- gebenen Figuren, welehe in Fig. 1 und 2 reproducirt sind. E i n t h o v e n hat damit deutlich gemacht~ dass wenn yon einem ausserhalb der Achse gelegenen Punkte/9 zwei Lichtsorten ausgehen, z. B. Ro th und ]~tau, und das Auge ftir B lau

1) W. E i n t h o v e n , Stereoskopie durchFarbendifferenz, v. Grae fe ' s Arch. f. 0phthalm. XXXL 3. S. 211.

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accommodirt ist~ das scharfe Bild der blauen Strahlen c niiher der Achse gelegen ist, als das Centrum ~ des Zerstreuungs- kreises r 'r" des rothen Lichtes. Ebenso lehrt uns die Fig. 2, dass wenn d~s Auge fiir R o t h accommodirt ist, d~s scharfe Bild der rothen Strahlen f wieder welter yon der Achse entfernt ist ats das Centrum y des Zerstreuungskreises b'b"

y7~

Fig, 4~.

Flg . 3.

der blauen Strahlen. S c h ~ p r i n g e r giebt uns jetzt eine Figur, welche in Fig. 3 wiedergegeben ist, wo der leuch- tende Punkt dem Auge stark geniihert ist, nnd schliesst ganz richtig, dass auch jetzt, wo die be iden Lichtsorten auf der Netzhaut Zerstreuungskreise hervorrufen, der Mittel- punkt des Zerstreuungskreises des rothen Lichtes welter yon der Achse entfernt sein muss, a.ls der des blauen Lichtes. Bis so welt ist ~lles richtig; es h~ndelt sich bier um Zer-

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streuungskreise , hervorgerufen durch die genau centrirte Pupille. Wenn S e h a p r i n g e r nns jetzt in einer folgenden Figur, welche in Fig. 4 genau abgezeichnet ist~ den Gang der Lichtstrahlen bei dem KSnig-Zumf t ' s chen Versuche deutlich machen will, verlegt er die Lichtbiindel an ganz falsche Stellen. In seiner Figm- ist t das schattenwerfende Gef~ss, welches jetzt in einem Lichtbiindel (r'/'b'b") yon parallelen blauen Strahlen einen Schatten nach t', und in einem Biindel r 'r"r r yon parullelen rothen Strahlen einen Sehatten nach t" werfen soll. Allein da die beiden Lieht- biindel angeblieh yon demselben Punkte ausgehen, n~mlich

................................................. ~P d s ~ c '

Fig. 5.

Yon dem LSchelchen in dem Schirm, dessen Bewegung die Schatten hervorru~, so miissen in der Figur doch jedenfalls alle b l auen S t r a h l e n sti~rker g e b r o c h e n werden als die ro then , und wir sehen vielmehr~ dass der b laue S t r a h l r'b" viel w e n i g e r g e b r o c h e n wird, als der yon demse lben P u n k t h e r k o m m e n d e ro the r'r. Wir sehen sofort ein, dass die Verhi~ltnisse der Mittelpunkte der Zerstreuungskreise der Pupille uns bier nichts helfen kSnnen; wo diese liegen, ist fiir die Construction der Schatten- figuren einertei. Wir miissen den Gang der einzelnen Strahlen verfolgen und wie ich schon friiher in dieser Zeit- schrift angegeben habe~ ist die Construction ziemlich ein- fach. Aus nebenstehender Fig. 5 ist ersichtlich, wie die ¥erh~ltnisse ]iegen. Das Auge r sei emmetropisch fiir blaue

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Kritik des Aufsatzes von A. Schapringer etc. 255

Strahlen. Das blaue Licht, welches yon einem in der vorderen Brennebene gelegenen Punkte e ausgeht, wird parallel zur Nebenachse ek durch den GlaskSrper treten, und ein Ge- fiiss o, welches sich vor der Retina, nicht weit yon der Hauptachse befindet, wird in a einen Schatten werfen; ao ist dann parallel zu ke. Ebenso wird dasselbe Gef~ss o in einem Lichtbandel, das yon dem Loche e herkommt, einen Schatten auf der Netzhaut in b hervorrufen. Kommt nun aber durch die LScher e und e rothes anstatt blauen Lichtes, d. h. eine weniger brechbare Lichtsort% so werden die Strahlen divergirend zur ~ebenachse ek resp. e k ihren Weg durch den GlaskSrper verfolgen, sie werden scheinbar yon den Punkten l und l' herzukommen scheinen, und die beiden Schatten a und b, welche dasselbe Gef~ss o in in diesem Falle entwirft, ]iegen zwischen den beiden yon dem blauen Licht entworfenen Schatten a und b.

Bei der Construction der Figur 5, ist die Stelle des Gefiisses o derart gew~hlt worden, dass dasselbe in der N~ihe der Hauptachse liegt, d. h. zwischen den beiden Neben- achsen. Bei meiner friiheren Berechnung fiber die GrSsse der Distanz der Schatten bei Gebrauch verschiedenfarbigen Lichtes wurde das Gefiiss in die ttauptachse verlegt, wie dies auch der Wahl eines Gef~sses in der ~ i h e der Fovea centralis bei den K 5 ni g- Z um ft ' schen Versuchen entsprach. Um allen Einw~nden yon vornherein zu begegnen, ffige ich noch die Figur 6 hinzu. Das Gef~ss o liegt bier mehr peripher, und zwar ausserhalb des yon den beiden Neben- achsen lk und l'k gebildeten Winkels. Aus der Zeiehnung geht hervor, dass jetzt der Sehatten a , we]cher durch das yon dem Loch e herkommende rothe Lieht entworfen wird weiter yon der H a u p t a c h s e entfernt ist, als der durch alas blaue Lieht entworfene Sehatten a; tier Schatten aj fi~llt also jetzt ausserhalb des Winkels boa. Da nun aber das Stack a a immer kleiner ist als das Stack bb, so ist aueh der Abstand zwischen den beiden Schatten a und b im

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blauen Lichte immer grSsser als der Abstand zwischen den beiden Sehatten a und b im rothen Lichte. Und dass das Stiick a a immer kleiner sein muss Ms das bb geht hervor aus den beiden Dreiecken lko und l'ko, deren Seiten ok und kt, und ok und kl" einander gleich sind, und worin also der Winkel o l'k, immer grSsser sein muss als tier Winkel o lk~ entsprechend dem grSsseren senkrechten Abstande der Spitze l' yon der gemeinschaftlichen Basis ok. Und wie aus der Zeiehnung hervorgeht, ist der Winkel ol'k gleich dem Winkel b, ob, und der Winkel olk gleich dem Winkel a, oa, also immer die eingesehlossene Seite bb grSsser als die eingeschlossene Seite aa,.

h_5 ~, b' f,

Fig. 6.

Es zeigt sich also, dass bei der Projection der Gef~iss- schattenfigur auf eine und diese lbe Sch ich te in der Retina, mitre]st zweier LSeher, we]che sich in der vorderen Brennebene befinden, die S c h a t t e n im b lauen L ich te wel te r ~use inander l i egen als im ro then Lich te , und dass also die ungleiehe Brechbarkeit der verschiedenen :Farben nicht, wie S c h a p r i n g e r zu beweisen versuchte, im Stande ist, die Versuchsergebnisse yon KSnig und Z u m f t zu erkl~ren, sondern dass dieselbe noch einen The i l des E in f lu s se s der P e r c e p t i o n der F ~ r b e n in verseh ie - dene r Tiefe der N e t z h a u t ve rdecken miisste. Dass iibrigens nicht nur die Resultate der Messungen, sondern auch die Versuche an und fiir sieh ziemlieh problematisch

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siad, und dass hier wahrscheinlich Verwechslung vorliegt mit irgend welcher anderen Erscheinung brauche ich nicht nochmals darzuthun; ich darfdafiir auf meine friiheren Mit- theilungen hinweisen.

Ich schliesse mit dem Ausdruck der ttoffnung, class diejenigen Fachbl~tter, welche die Arbeit Schapr inge r ' s referirt haben, auch diesen Aufsatz in ihren Spalten er- w~hnen, und insbesondere auch mittheilen mSgen, warum diese Kritik so versp~tet an dieser Stelle erscheint.