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Leseprobe aus: ISBN: 978-3-498-04702-3 Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf www.rowohlt.de.

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Page 1: Leseprobe aus - rowohlt.de · gen. Der Tod ruft wirklich keine Emotionen mehr wach, er ist eher eine Erlösung, die den Neid der Lebenden weckt. Für Bulbul lagen die Dinge anders

Leseprobe aus:

ISBN: 978-3-498-04702-3Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf www.rowohlt.de.

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Khaled Khalifa

Der Tod ist einmühseliges Geschäft

Roman

Aus dem Arabischen vonHartmut Fähndrich

Rowohlt

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Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel«al-Maut ‘amal šāqq» bei Dar Naufal in Beirut.Die Übersetzung aus dem Arabischen wurde

mit Mitteln des Auswärtigen Amts unterstütztdurch Litprom e. V. – Literaturen der Welt.

1. Auflage Mai 2018Copyright © 2018 by Rowohlt Verlag GmbH,

Reinbek bei Hamburg«al-Maut ‘amal šāqq» Copyright © 2015

by Khaled KhalifaSatz aus der Concorde PostScript, InDesign,bei Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Druck und Bindung CPI books GmbH,Leck, Germany

ISBN 978 3 498 04702 3

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Inhalt

Kapitel eins Wärst du doch ein Kümmelsack!Kapitel zwei Ein Blumenstrauß, der auf dem FlussdahintreibtKapitel drei Bulbul fliegt in einem engen Raum

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Kapitel einsWärst du doch

ein Kümmelsack!Zwei Stunden bevor er starb, blickte Abdallatîf mit der letz-ten ihm verbliebenen Kraft seinem Sohn Bulbul tief in dieAugen. Er schien ihm ein hochheiliges Versprechen entlo-cken zu wollen und wiederholte seine Bitte, auf dem Fried-hof seines Heimatdorfes Anabîja begraben zu werden. Nachlanger Zeit sollten seine Knochen nun neben den sterbli-chen Überresten seiner Schwester Laila ruhen, wie er sichausdrückte. Neben ihrem Duft, wollte er eigentlich nochhinzufügen, doch dann war er nicht sicher, ob die Totennach vierzig Jahren noch gleich riechen. Diese wenigenWorte, das war sein Testament. Er fügte ihnen nichts hin-zu, was Unklarheiten hätte schaffen können. In seinen letz-ten Stunden wollte er schweigen. Also schloss er die Au-gen, ignorierte die Personen, die ihn umstanden, und ver-sank lächelnd in seiner Einsamkeit. Nur Nevin holte er sichzurück: ihr Aussehen, ihr Lächeln, ihren Duft, ihren nack-ten Körper, umhüllt einzig mit einem schwarzen Tuch, ih-ren Versuch, zu fliegen wie ein Schmetterling. Damals, ihreAugen strahlten, er erinnerte sich genau. Sein Herz schlugheftig, seine Knie zitterten. Er nahm sie auf und trug siezum Bett, wo er sie mit seinen Küssen verschlang. Doch be-vor er sich jeden einzelnen Augenblick dieser «Nacht derewigen Geheimnisse», wie sie sie nannten, vergegenwärti-gen konnte, starb er.

Bulbul verhielt sich, in einem seltenen Anflug von Mutund unter dem Eindruck der Abschiedsworte und der trau-rig umflorten Augen des Sterbenden, fest und furchtlos.Er versprach seinem Vater, seinen letzten Willen zu erfül-len, was, obwohl es klar und einfach klang, doch ein recht

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schwieriges Unterfangen zu werden drohte. Es ist natür-lich für einen Mann, in dem alles nach Klage ruft und derweiß, dass er innerhalb weniger Stunden gestorben seinwird, dass er schwach wird und schwer zu erfüllende Dingeverlangt. Und es ist auch natürlich für einen zerbrechlichenMann wie Bulbul, ihn in dieser Stunde nicht im Stich zu las-sen. Der letzte Augenblick ist immer emotional beladen undeignet sich im Allgemeinen nicht zum Nachdenken. In dergedrängten Zeit haben rationale Prozesse keinen Platz. DerRückblick auf die Vergangenheit und die Begleichung vonRechnungen erfordern viel Ruhe und lange Betrachtung,die diejenigen sich nicht leisten können, die wissen, dass esgleich zu Ende geht. Rasch werfen sie ihre Lasten ab undziehen los, um ans andere Ufer überzusetzen, wo die Zeitkeinen Wert hat.

Bulbul bereute, nicht energisch gewesen zu sein, seinemVater nicht klipp und klar erklärt zu haben, wie schwie-rig die Umsetzung seines letzten Willens in Tagen wie die-sen wäre. Überall gab es Tote, die man in Massengräbernentsorgte, ohne auch nur ihre Identität festzustellen. DieKondolenzfeiern beschränkten sich sogar für reiche Fami-lien auf wenige Stunden. Der Tod war kein Karneval mehr,um Status zu markieren. Ein paar Blumen, ein paar Trau-ergäste, die zwei Stunden lang in einem fast leeren Raumgähnen, ein Koranrezitator, der mit gedämpfter Stimme einpaar Suren aus dem Heiligen Buch spricht. Und das war’sdann.

Die stille Trauerfeier, dachte Bulbul, macht den Totenweniger einschüchternd. Zum ersten Mal sind im Tod allegleich. Die Rituale bedeuten nichts mehr. Arme und Reiche,hohe Offiziere und niedrige Soldaten in der Regierungs-armee, Führer bewaffneter Brigaden, Kämpfer und einfa-che Tote, deren Identität niemand kennt, sie alle werdenin mitleiderregend dürftigen Prozessionen zu Grabe getra-

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gen. Der Tod ruft wirklich keine Emotionen mehr wach, erist eher eine Erlösung, die den Neid der Lebenden weckt.

Für Bulbul lagen die Dinge anders. Der Leichnam seinesVaters war eine schwere Last. In einem Augenblick falscherEmotionen hatte er ihm versprochen, ihn im Grab seinerTante Laila, die er nie kennengelernt hatte, zur letzten Ru-he zu betten. Er hatte geglaubt, er werde ihn bitten, sich fürdie Rechte Nevins, seiner neuen Ehefrau, am Haus der Fa-milie einzusetzen, diesem Haus, das einem Luftangriff zumOpfer gefallen war – bis auf das Schlafzimmer, wo sein Va-ter die letzten Tage in Liebe zu Nevin verbrachte, bevorer mit Hilfe oppositioneller Kämpfer seinen Wohnort S. ver-ließ.

Ein eindrucksvoller Anblick, den Bulbul sein Leben langnicht vergessen wird. Sie brachten ihn, sauber. Ganz offen-sichtlich kümmerten sie sich um ihren Genossen, der sichentschieden hatte, trotz der drei Jahre dauernden Belage-rung in S. zu bleiben. Sie verabschiedeten sich von ihm mitgroßer Sympathie, sie küssten ihn heiß, ein Adieu für ei-nen Kameraden. Sie legten Bulbul ans Herz, sich gut umihn zu kümmern, er habe es verdient. Dann verzogen siesich rasch, mit hastigen Blicken, über eine gut bewachteSeitenstraße mit Gärten, die zum Ort führte. Seine Augenfolgten ihnen zum Abschied. Er versuchte, die Hand zu he-ben und ihnen zuzuwinken, aber er schaffte es nicht. Er warerschöpft und hungrig, hatte mehr als die Hälfte seines Ge-wichts verloren. Seit Monaten hatte er sich, wie alle Bela-gerten im Ort, nicht mehr richtig satt gegessen.

Sein Körper lag rosig auf eine Metallbahre gebettet imöffentlichen Krankenhaus.

«Jeden Tag sterben viele», sagte der Arzt zu Bulbul. «Siesollten sich glücklich schätzen, dass er so alt geworden ist.»

Bulbul schätzte sich zwar nicht glücklich, wie der Arztsich das gewünscht hatte, aber er verstand, was er mein-te. Er fühlte sich sehr unwohl in seiner Haut. Die Straßen

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der Stadt waren nach acht Uhr abends verlassen, und biszum nächsten Mittag musste der Tote abtransportiert sein.Die Pathologie war möglichst rasch zu entlasten. Am frü-hen Morgen würden aus den Randregionen von Damaskus,wo die Kämpfe nicht enden wollten, viele tote Soldaten ge-bracht.

Kurz vor zwei Uhr nachts verließ Bulbul das Kranken-haus. Sein Vater gehörte einer ganzen Familie, dachte er,und alle Mitglieder dieser Familie sind für die Umsetzungseines letzten Willens in gleicher Weise verantwortlich.Er suchte ein Taxi, das ihn zur Wohnung seines BrudersHussain brachte, nachdem er am Vortag mehrfach vergeb-lich versucht hatte, ihn anzurufen. Er dachte sogar daran,ihm eine SMS zu schicken, aber die Nachricht vom Tod desVaters per SMS wäre nun doch sehr pietätlos. So etwas warvon Angesicht zu Angesicht zu erledigen, um Trauer undSchmerz zu teilen.

Einer der Krankenhauswächter wies ihm den Weg zumnahegelegenen Daraa-Taxistand. Dort werde er einen Wa-gen finden. Er beschloss, nicht auf den Schießlärm in derNähe zu achten, und schritt rasch dahin, die Hände in dieTaschen geschoben und die Furcht abgelegt. In einer sol-chen Winternacht herumzulaufen war höchst gefährlich.Unablässig fuhren Patrouillen umher. Die Straßen warenvoller nicht zu identifizierender Bewaffneter. Der Stromwar in den meisten Vierteln unterbrochen. Große Beton-blöcke, aufgetürmt vor den Sicherheitsposten, versperrtenviele Straßen. Wer nicht aus der Gegend stammte, wuss-te nicht, wo ein Durchkommen möglich war und wo nicht.In einiger Entfernung sah Bulbul ein paar Männer umein Blechfass herumstehen, in dem ein paar Scheite Holzbrannten. Das mussten Fahrer sein, deren Weg blockiertwar und die auf den Morgen warteten, um nach Hausezu kommen. Er war drauf und dran aufzugeben, als er ei-nen Taxifahrer fand, der völlig entspannt Liedern von Umm

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Kulthûm lauschte. Rasch einigte er sich mit ihm, ohne auchnur über den Fahrpreis zu diskutieren.

Anfangs schwieg er. Doch nach einigen Minuten ließ ihnseine Furcht nicht mehr stillhalten. Sein Vater sei vor ei-ner Stunde im Krankenhaus gestorben, erzählte er ihm.Der Fahrer lachte. Im vergangenen Monat seien drei sei-ner Brüder und deren Söhne bei einem Bombenangriff umsLeben gekommen, erwiderte er. Dann schwiegen sie beide.Das Gespräch war nicht mehr auf gleicher Höhe. Er hattevon dem Fahrer, der ihm gegenüber sehr anständig war,etwas Sympathie erwartet. Immerhin fuhr er erst wiederab, als er sich überzeugt hatte, dass Bulbul angekommenwar. Hussain öffnete die Tür. Als er seinen Bruder um die-se Zeit da stehen sah, verstand er sofort. Er umarmte ihninniglich, bat ihn herein, bot ihm Tee an und forderte ihnauf, sich frisch zu machen. Dann versprach er ihm, sich umalles Weitere zu kümmern: das Leichentuch zu beschaffen,die Grablegung zu organisieren und ihre Schwester Fatimaabzuholen.

Bulbul fühlte sich erleichtert und schöpfte Mut. Eineschwere Last war von seinen Schultern genommen. Er ver-gaß sogar, dass Hussain sich kein bisschen für seinen Va-ter interessiert hatte, als dieser im Krankenhaus lag. Wich-tig war, dass er sich jetzt nicht zurückzog und ihn im Stichließ. Auf die Fähigkeit seines Bruders, in Situationen wiedieser zuzupacken, konnte er sich verlassen. Hussain warschon verschiedenen Tätigkeiten nachgegangen und besaßErfahrung im Umgang mit den Behörden. Er hatte an zahl-reichen Stellen Bekannte. Ohne zu zögern, löste Hussaindie Sitze des Minibusses und arrangierte sie in Form eineroffenen Kiste.

«Wir werden den Leichnam auf den Beifahrersitz legen.Der Platz reicht bequem für alle.»

Er meinte Bulbul und ihre gemeinsame Schwester.Selbst wenn ihr Schwager sie begleiten wollte, würde seine

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Anwesenheit sie nicht stören. Doch diesen Gedanken ver-warfen sie rasch. Einem Mann gegenüber, dessen Leich-nam ein paar hundert Kilometer zu seiner letzten Ruhestät-te reisen muss, spüren Menschen sich nicht mehr sehr ver-pflichtet.

Am Morgen um sieben Uhr hatte Hussain alle Reisevor-bereitungen getroffen und holte seine Schwester ab. Er hat-te die Schilder des Minibusses, mit dem er auf der Streckenach Dscharamâna als Service-Taxi fuhr, entfernt. Mit Hilfeeines Freundes, eines Autoelektrikers, hatte er eine provi-sorische Ambulanzsirene mit der Hupe verbunden. Er kauf-te eine Dose mit Luftspray, das, so schätzte er, während derlangen Reise nötig werden könnte, und vergaß auch nicht,einen Kollegen zu kontaktieren, damit er ihm vier Eisblöckebeschaffte. Trotz der nicht ganz einfachen Wünsche stan-den seine Freunde noch vor dem Morgengrauen auf, spra-chen ihm ihr Beileid aus und halfen ihm bei den Reisevorbe-reitungen. Schließlich war, damit sie sich auf den Weg ma-chen konnten, nur noch die Unterschrift des Krankenhaus-direktors nötig, der jedoch nie vor neun Uhr morgens er-schien. Sie wollten vor dem Krankenhaus warten, aber derChef der Pathologie forderte sie auf, den Leichnam ihresVaters umgehend ins Auto zu schaffen. Eine neue LadungLeichen warte auf den Kühlraum und die Kühlschränke sei-en überfüllt.

Bulbul hatte nicht den Mut, seinen Bruder Hussain indie Pathologie zu begleiten. Die Gänge waren voll finstererGesichter. Traurige Männer und Frauen, die darauf war-teten, ihre lieben Toten in Empfang zu nehmen. Ein Kran-kenpfleger machte ihm ein Zeichen, im Südtrakt der Pa-thologie zu suchen. Während er die zum Bersten gefülltenSchränke öffnete, musste er gegen den Brechreiz ankämp-fen, und erst als er schon fast die Hoffnung aufgegeben hat-te, stieß er schließlich auf die noch frische Leiche seinesVaters. Hunderte von Toten lagen vergessen und verloren

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in diesem Chaos herum. Seinem Vater war anzusehen, dasssein Tod noch nicht allzu lange Zeit zurücklag. Gegen ei-ne «Gebühr» von dreitausend Lira erlaubte der Pathologie-chef Hussain und dem Pfleger, den Toten im Totenbad zuwaschen, einem völlig verdreckten Raum, für dessen Reini-gung offenbar niemand zuständig war. Danach hüllten sieihn in das Leichentuch. Die Pathologie bot einen grauen-haften Anblick. Auf den Fluren unterhielten sich wütendeOffiziere. Sie schimpften unflätig auf den bewaffneten Wi-derstand. Soldaten in voller Kriegsmontur saßen herum; sierochen nach Kampf. Ihre verwundeten oder gefallenen Ka-meraden hierherzubegleiten gab ihnen die Gelegenheit, zufliehen oder die Rückkehr in den Kampf zu verzögern, wosie der Tod erwartete. In diesem Chaos schien alles todes-nah.

Hussain arrangierte seinen toten Vater so auf dem Sei-tensitz, dass er ihn nicht im Rückspiegel sehen mussteund von ihm abgelenkt wurde. Er rüffelte Fatima, sie solleden Mund halten, obwohl sie gar nichts gesagt hatte. IhrSchluchzen wurde daraufhin noch lauter. Seit ihrer Kind-heit kommandierte Hussain seine Schwester gern herum,und sie gehorchte ihm ohne Widerrede. Die Wünsche ihresBruders zu erfüllen gab ihr das Gefühl, die Welt sei nochin Ordnung. Auch auf Bulbul wurde er wütend, als er ihnein paar Meter entfernt an eine Mauer gelehnt schweigendrauchen sah. Er schlug die Tür des Minibusses zu und nahmdie Warterei vor dem Büro des Krankenhausdirektors wie-der auf. Erst mit der Unterschrift auf dem Totenschein wa-ren alle Formalitäten erledigt. Seine schlechte Laune hin-derte Hussain sogar daran, mit den anderen Wartenden Ge-schichten auszutauschen. Aber dann drängte es ihn doch,eine Frau zu fragen, wann der Herr Direktor wohl zu er-scheinen gedenke, worauf sie ihm mit einer Handbewegungzu verstehen gab, sie habe keine Ahnung, und sich dann um-drehte. Da unternahm Hussain keinen weiteren Versuch,

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mit jemandem ins Gespräch zu kommen, obwohl er es hass-te, schweigend warten zu müssen, weil er davon überzeugtwar, dass Reden den Schmerz lindert. Anspannung und ver-haltener Zorn lagen in den Augen der Menschen, die sichmit ihren Anliegen auf dem Flur drängten.

Um Punkt neun Uhr unterschrieb der Direktor das Pa-pier. Hussain hieß seinen Bruder Bulbul schnell einsteigen.Fatima befahl er, die Decken, die er von zu Hause mitge-bracht hatte, über den Leichnam zu breiten und den Mundzu halten.

Zehntausend Lira habe es gekostet, den toten Vater her-auszubekommen. Er habe es in seinem Abrechnungsbüch-lein notiert, fügte er noch hinzu. Er erwartete keinen Kom-mentar von seinen Geschwistern und überlegte nur, wieer am schnellsten aus Damaskus hinauskäme. Morgens umdiese Zeit sind alle Straßen verstopft. Auch an den zahlrei-chen Straßensperren staut sich der Verkehr. Es könnte St-unden dauern, sagte ihm seine Erfahrung als Minibusfah-rer, der den ganzen Tag im Gedränge unterwegs war. Ambesten wäre es wohl, den Weg über den Abbassiden-Platz zunehmen, trotz des üblen Rufs der Checkpoints in jener Ge-gend. Über den Sabaa-Bachrât-Platz im Herzen der Stadtzu fahren – darüber durfte man nicht einmal nachdenken.

Hussain beschloss, Damaskus via Abbassiden-Platz zuverlassen. Er versuchte, sich an ein Ambulanzfahrzeug zuhängen, doch schon am ersten Checkpoint erlaubte manihm nicht weiterzufahren. Ein paar Meter hatte er immer-hin gewonnen. Die Ambulanzsirene half nichts, niemandgab ihm den Weg frei, und mitten in diesem chaotischenGedränge erinnerte sich Hussain, wie in Friedenszeiten einLeichenwagen das Mitgefühl aller geweckt hatte: Die Au-tos gaben den Weg frei, und die Passanten blieben stehen,echte Anteilnahme in den Augen. Im Krieg ist ein Leichen-transport ein normales Ereignis, das nur den Neid der Men-

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schen weckt, deren Leben nichts anderes ist als quälendeTodeserwartung.

Plötzlich eine Kolonne von Ambulanzfahrzeugen, die ausder Stadt hinausfuhren. Darin saßen Soldaten, die die Sär-ge begleiteten. Man konnte sie durch die kleinen Fenstersehen. Hussain versuchte, sich in die Kolonne einzufädeln,doch einer dieser Soldaten schrie ihn wütend an und ent-sicherte sein Gewehr, was Hussain zurück in die normaleFahrzeugschlange brachte. Als das letzte Fahrzeug in derKolonne auf gleicher Höhe mit ihm war, verlangsamte esdie Fahrt. Ein Soldat streckte den Kopf aus dem Fenster,spuckte Hussain an und beschimpfte ihn. Hussain betrach-tete die Speichelladung auf seinem Arm und schluckte sei-ne Wut hinunter. Er hätte gerne losgeheult. Bulbul schwiegund schaute weg, um die Sache für seinen gedemütigtenBruder nicht noch peinlicher zu machen. Fatima hatte nichtmehr den Wunsch zu weinen. Ihre Tränen waren versiegt.Ihre Trauer über die Trennung vom Vater zum Ausdruck zubringen, verschob sie bis zur Bestattung – dem intensivstenAugenblick beim Abschied von einem Toten.

Seit seiner Kindheit hatte Hussain unzählige der Zita-te, Weisheitssprüche, Koranverse und Prophetenaussagenauswendig gelernt, mit denen islamische Wohlfahrtsorga-nisationen die Seiten ihrer billigen Kalender füllen. Er ver-wendete sie gern im täglichen Leben, um bei seinen Ge-sprächspartnern mit seiner umfassenden Bildung Eindruckzu schinden. Er war nicht dafür geschaffen, am Rande zustehen und nur zuzuhören. Aber als er nun den von der Au-toflut völlig überspülten Abbassiden-Platz betrachtete, fielihm keine dieser Weisheiten ein, um das Schweigen zu bre-chen, das schwer auf seinen Geschwistern lastete. Er fühltesich schrecklich schwach. Er hätte sie gern den Zwischen-fall mit dem Anspucken vergessen lassen und versuchtekrampfhaft, sich an Sprichwörter über den Tod zu erinnern.Es fiel ihm aber nur eines ein: Der Lebendige lebt länger

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als der Tote, ein Spruch, der ihm nicht gefiel, weil er meistvon Feiglingen bemüht wird. Diesmal war es eher anders-herum: Der Tote «lebt länger» als der Lebendige. Sie wür-den sowieso bald sterben. Dieser Gedanke hatte ihm wäh-rend der vergangenen vier Jahre immer wieder geholfen,für seine Arbeit neuen Mut zu schöpfen und die Demütigun-gen der Soldaten und der Geheimdienstleute an den Check-points zu ertragen. Er sah in ihnen Personen, die heute,übermorgen oder spätestens während der kommenden Mo-nate sterben und nicht mehr zu ihren Lieben zurückkeh-ren würden. Ein böser, aber realer Albtraum, der auf allenlastete. Alle Bewohner der Stadt betrachteten einander alskünftige Tote. Gefühle und Blicke, die die Emotionen unddie allgemeine Wut dämpften.

Umbrandet von einer Flut von Hunderten von Autos nä-herte sich der Minibus langsam dem Abbassiden-Platz. Ineiniger Entfernung erschienen drei Suzukis, die versuch-ten, sich einen Weg zu bahnen. Fahnen flatterten an ihnen,und auf der Ladefläche saßen alte Männer. Einer schriedröhnend in ein Megaphon:

«Märtyrer! Märtyrer! Märtyrer!» Und dann noch zornig:«Platz da für die Märtyrer! Platz da für die Märtyrer!»

Aber niemand kümmerte sich darum. Die Suzukis nä-herten sich Hussains Minibus. Sie versuchten, aus dem Ge-dränge auszubrechen. Sie kämen aus dem Tischrîn-Militär-spital, erklärte Hussain. Arme Leute fänden nicht einmaleine Ambulanz, um ihre Toten zum Friedhof zu transpor-tieren. Bulbuls Augen hingen an dem Mann mit dem Mega-phon in der Hand, bis er seinem Blick entschwunden war.

Der Tod war wie eine gewaltige Flut, die alle umgab,dachte Bulbul und räsonierte über seine Unfähigkeit, die-sem Tod zu entrinnen. Er erinnerte sich an die übertrie-ben pompösen Leichenzüge, die das Regime seinen Toteneinst gewährt hatte und im Fernsehen übertragen ließ. Esgab ein Musikkorps, das die Märtyrerhymne spielte; auf je-

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dem Sarg lag ein großes Blumenbouquet mit dem Namendes Führers der Streitkräfte, der gleichzeitig der Präsidentdes Landes war: ein weiteres Bouquet trug den Namen desVerteidigungsministers, ein drittes diejenigen der Kamera-den bei der Truppe oder in der Verwaltung. Die Spreche-rin verkündete mit vernehmlicher Stimme den Namen desDahingegangenen und fügte diesem den Titel «Märtyrer»und seinen Rang hinzu. Auch die Familie wurde gezeigt, diesich geehrt und stolz gab, dass ihr Sohn den Märtyrertodsterben und sein Leben dem Vaterland und dem Führer alsOpfer bringen durfte. Vaterland und Führer gehörten imFernsehen untrennbar zusammen. Nach einigen Monatenverschwand das Musikkorps ebenso wie die Blumen unddas Banner. Auch die Sprecherin verschwand, die stolz denMärtyrertod der Söhne aus armen Familie verkündet hatte,die sich für das Vaterland und den Führer geopfert hätten.Der Glanz des Wortes «Märtyrer» verblasste.

Bulbul betrachtete die Stadt, die allmählich verschwand.Er erinnerte sich an die vielen Geschichten, die seine Kol-legen mit großer Leidenschaft erzählten. Geschichten vonder Suche nach Toten und deren Bestattung. Voller Zornberichteten sie über völlig mit Toten überfüllte Kranken-häuser. Die Suche nach einem Toten war ein mühseligesGeschäft, und nicht selten war die Familie gezwungen,nachdem sie die Mitteilung vom Tod ihrer Söhne erhal-ten hatte, selbst zum Kampfplatz zu gehen und nach denLeichen zu suchen, die in irgendeinem Massengrab ver-scharrt, unter den Trümmern von Häusern verschüttet oderim Eisen verbrannter Panzer oder Kanonen verschmort wa-ren. Sogar Geschichten dieser Art hatten inzwischen ih-ren Glanz verloren, und niemand erzählte sie mehr. DasSchlimmste im Krieg ist das Wuchern abnormaler Handlun-gen und die Verwandlung von tragischen Vorgängen in Nor-malität. Solche Gedanken gingen Bulbul durch den Kopf,während er mit dem Gefühl, privilegiert zu sein, den Vater

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anschaute. Wenigstens wurde ihm nun, da er tot war, dieAufmerksamkeit seiner drei Kinder zuteil, und er lag nichtirgendwo herum. Er hätte seinen Geschwistern gern vonden letzten Stunden des Vaters berichtet – Warum hatte eres eigentlich noch nicht getan? – , doch er entspannte sich.Ein langer Weg lag vor ihnen, und sie würden noch genugZeit haben, über die positiven Seiten des Verstorbenen zureden und sich die Vergangenheit zu vergegenwärtigen, je-denfalls diejenigen Momente, die nicht elend waren.

Hussain ärgerte sich. Die Tausende von Weisheitssprü-chen und Redensarten, die er während zwanzig Jahren aus-wendig gelernt hatte, halfen ihm nicht, seinen Unwillenüber diesen Riesenstau in Worte zu fassen. Aber er gabnicht auf. Er sagte sich einige Zitate zu verschiedenenThemen auf, zum Beispiel über den Mangel an Loyalität,die Hoffnung, die Treulosigkeit. Er hielt das für ein gutesGedächtnistraining. Wer weiß, in wenigen Stunden schonkönnte er sie nötig haben, dann müssten sie griffbereit sein.Zeilen von Achmad Schauki, dem ägyptischen Dichter, fie-len ihm ein, und er deklamierte sie laut und getragen: Dierote Freiheit hat ein Tor, an dem jede blutbefleckte Handanklopft. Bei der folgenden Zeile hatte er schon Mühe:… wird immer leben in Gräben. Er brachte Achmad Schau-kis Gedicht mit demjenigen des tunesischen Dichters Abul-Kâssim al-Schâbbi durcheinander: Wollte das Volk einmalwirklich leben, muss sich das Schicksal dem Wunsche er-geben. Die Vermischung gefiel ihm, der Fehler interessier-te ihn nicht, er hatte den Wunsch, die beiden Gedichte zuverschmelzen, auch wenn der Reim darunter litt. Dutzendevon Malen hatte er diese Zeilen auf Kalenderblättern ge-lesen, und sie hatten ihm sehr zugesagt. Er benutzte sie,um Feiglinge bloßzustellen. Er wiederholte gedämpft diebeiden fehlerhaften Zeilen, als wollte er ein Klagelied aufseinen revolutionären Vater anstimmen. Bulbul kümmertesich nicht darum. Ihm reichten die drei letzten Monate, in

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denen er mit seinem Vater über alles gesprochen hatte. Fa-tima verstand das Ganze als eine späte Versöhnung zwi-schen Hussain und seinem Vater, der sie gern ihren Segengegeben hätte, doch Bulbuls schweres Schweigen ließ siezögern. Es käme sicher noch eine passende Gelegenheit fürsie, ihre Meinung über den Bruch zwischen Vater und Sohnzu äußern, der sich durch verschiedene Etappen gezogenhatte. Ein paarmal hatten sie sich zwar einander angenä-hert und versucht, eine neue Seite aufzuschlagen, doch ih-re Beziehung wurde nie mehr so unbeschwert wie damals,als Hussain noch der Liebling der Familie war.

Der Soldat am letzten Checkpoint vor dem endgültigenVerlassen der Region Damaskus begnügte sich damit, einenraschen Blick auf die Papiere zu werfen und sie durchzu-winken. An diesem Tag verließen viele Tote die Stadt, undviele Tote betraten sie. Für die Soldaten, die da im Schlammversanken, war der Anblick abstoßend geworden. Die To-ten erinnerten sie an ihren eigenen baldigen Tod, den sie indiesem Inferno zu vergessen versuchten. Hussain sah nichtauf die Uhr. Er seufzte erleichtert auf. Nun hatte er sichvom Gedränge des Abbassiden-Platzes befreit und Damas-kus lag hinter ihnen. Eigentlich sollten sie vor Mitternachtin Anabîja ankommen. Fatima und Bulbul gewannen ihrenOptimismus zurück. Sie überprüften das Notwendige: dieFlaschen mit Mineralwasser, die Zigaretten, die Personal-ausweise und ihr restliches Bargeld.

Er wird noch innerhalb eines angemessenen Zeitraumsbestattet, dachte Bulbul, und bei diesen winterlichen Tem-peraturen würde die Verwesung auch nicht so rasch ein-setzen. Glücklicherweise war der Vater nicht im August ge-storben, wenn die Fliegen sich sofort über die Toten her-machen. Der Tod ist zu allen Zeiten gleich, aber manchmalist er für die Zurückgebliebenen schwerer zu ertragen. Esist eben ein großer Unterschied, ob ein alter Mann in sei-nem Dorf im Kreise seiner Lieben und unweit des Friedhofs

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die Augen schließt oder ob er Hunderte von Kilometern ent-fernt von seinem Dorf stirbt. Das Elend der Lebenden un-terscheidet sich vom Elend der Toten. Niemand schätzt dieVerwesung einer geliebten Person. Jeder möchte sich einschönes Bild des Toten bewahren, das letzte Bild, das un-auslöschlich im Gedächtnis bleibt. Es ist Ausdruck des We-sens der Menschen. Der Traurige bleibt traurig, auch wennseine Muskeln erschlaffen. Wer deprimiert war, behält die-se Miene auch über den Tod hinaus. Und sehr oft gleichtdas letzte Bild dem ersten, demjenigen bei der Geburt.

Am ersten Checkpoint hinter Damaskus, kurz vor der Auf-fahrt zur Autobahn, fragte der Soldat mit Fingerzeig aufsInnere des Autos, was das da in Decken eingewickelt sei.

«Das ist mein toter Vater», erklärte Bulbul ruhig.Die Frage und der Fingerzeig wurden mit Nachdruck

wiederholt, ebenso die Antwort. Daraufhin machte der Sol-dat Hussain ein Zeichen, auf den Streifen für die Warenab-fertigung zu fahren. Dort kreiste ein etwa zwanzigjährigerSoldat mit einem Sprengstoffdetektor um die vielen LKWs.Der Soldat ging in ein Fertigteil-Häuschen, das dem Wach-personal als Büro und als Schlafraum diente. Einige Minu-ten später kam ein Offizier auf den Minibus zu und riss un-wirsch die Tür auf.

«Den Leichnam aufdecken!», herrschte er die Insassenan.

Bulbul hob die Decke vom Gesicht seines Vaters. Eswirkte noch recht frisch, sein Ableben war ja noch nichtallzu lange her. Der Offizier verlangte mit barscher Er-mittlerstimme die Papiere des Toten. Fatima reichte ihmdie vom Generaldirektor des Krankenhauses und dem Pa-thologiechef unterschriebene Todesurkunde; außerdem diePersonalausweise der drei Geschwister. Nachdem er diesegründlich studiert hatte, wollte er zu ihrer Überraschungden Personalausweis des toten Vaters sehen. Bulbul hätte

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ihm gern erklärt, dass alle Toten den gleichen Namen be-sitzen, dass sie sich aus ihrer Geschichte und ihrer Vergan-genheit verabschiedet haben, um Mitglied einer einzigenFamilie zu werden, der Familie der Toten. Der Personalaus-weis eines Toten sei einzig die Todesurkunde. Doch Fatimazog aus ihrer Tasche den verlangten Personalausweis undreichte auch diesen dem Offizier, der das Gesicht des Totenmit dem inzwischen zwanzig Jahre alten Foto auf dem Aus-weis verglich. Damals hatte der Vater noch gern gelacht,und sein Gesicht war das eines kräftigen und ernsten Man-nes. Der Offizier nahm alle Personalausweise mit in seinBüro. Die drei Geschwister sahen sich an und beschlossen,im Auto zu warten.

Hussain saß am Steuer und blickte wütend auf die Uhr.Er murmelte ein paar unverständliche Worte. Der Fahrereines Kleinlasters kam und erklärte laut und deutlich, umhier Waren durchzukriegen, müsse man «Gebühren» zah-len. Hussain verließ rasch den Minibus und folgte dem Of-fizier in sein Kabuff. Er zahlte die Bestechung, die man«Passiergebühr» nannte, kehrte mit den Personalauswei-sen zum Auto zurück und verließ mit einer Art Triumphge-fühl rasch den Checkpoint. Bulbul sinnierte darüber, dasssein Vater jetzt eine Ware war, wie Holzkohle für Wasser-pfeifen, Kisten voller Tomaten oder Säcke voller Zwiebeln.Sein Schweigen passte Hussain nicht. Er betonte, er habezweitausend Lira bezahlt, und nun müssten sie unbedingtvor Mitternacht in Anabîja ankommen.

Kurz blitzte bei Bulbul der Gedanke auf, nach Damas-kus zurückzukehren und den Vater auf irgendeinem Fried-hof der Stadt zu bestatten. Ein unmögliches Unterfangen,er wusste es. Die Gräber in Damaskus waren sehr teuer.Seit einigen Jahren wurden in Zeitungsannoncen Gräberzum Verkauf angeboten. Sie besaßen von ihren gemein-samen ursprünglichen fünfzigtausend Lira inzwischen nurnoch fünfunddreißig. Eine Rückkehr war praktisch unmög-

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lich geworden. Und wie sollten sie überhaupt zu einer Be-gräbnisbewilligung kommen? Und wie sollten sie den Sol-daten an den Checkpoints erklären, sie hätten sich ent-schlossen, den Vater doch in Damaskus zu bestatten? Dortsei er ja auch gestorben und nicht in einer der aufrühreri-schen Städte in der Umgebung.

Den Toten sind die Plätze im allgemeinen egal. Alleindieser Gedanke erfüllte Bulbul mit großer Frustration. In-zwischen war Mittag vorüber. Er fühlte sich erschöpft undhatte nicht mehr den Wunsch, etwas zu unternehmen. Fati-ma hob die Decke vom Gesicht ihres Vaters und öffnete dasFenster. Sie versuchte sich einzureden, die kalte Luft, diedurch das Fenster des Minibusses hereinwehte, werde ihmguttun, obwohl die Toten nicht atmen und sich nicht dafürinteressieren, ob die Luft frisch oder abgestanden ist. Bul-bul hieß sie den Vater wieder zuzudecken, damit die Eis-klötze, die sie um ihn herum aufgeschichtet hatten, nichtso rasch schmolzen. Sie fügte sich ohne Widerrede. Bulbulwollte nichts anderes als schweigend dasitzen, bis sie nachAnabîja kamen. Dort würden die Verwandten die Bestat-tung durchführen. Danach könnte er erneut vor der Familiefliehen, in seinen Kokon zurückkehren und in seinem Zim-mer leben wie eine Ratte, bis zu dem Augenblick, in demer seinen Traum verwirklichen und in ein fernes Land emi-grieren würde. Dort wollte er sich vom Schnee bedeckenlassen und über nichts mehr klagen. Jetzt spürte er nur, wieeng es war, und dachte an die Überraschungen, die er zuerwarten hatte. Seit drei Jahren hatte niemand mehr einenToten diese weite Strecke transportiert, um ihn in Anabîjazu begraben.

Inmitten seiner schweigenden Geschwister fühlteHussain sich unwohl. Da ihm sein Gedächtnis keine Ka-lenderblattweisheit lieferte, befahl er seiner Schwester ge-reizt, das Fenster zu schließen, und erklärte den beidenmit einer gewissen Häme, sie kämen sicher nicht vor Mit-

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ternacht in Anabîja an. Vielleicht nicht einmal vor Tages-anbruch, fügte er noch hinzu und sah die beiden im Rück-spiegel an. In allen dreien wuchs die Furcht. Alle ihre Ein-schätzungen waren hinfällig. Sie lagen weit hinter ihremZeitplan zurück. Die nur vereinzelt vorbeifahrenden Autos,die Leere und die weite Steppe – alles hier verstärkte ihreFurcht.

Bei der Autobahnauffahrt bogen die Autos auf eine Ne-benstraße ab. Ob die Autobahn denn gesperrt sei, frag-te Hussain einen Taxifahrer. Nein, aber es gebe Hecken-schützen, die die Durchfahrt unmöglich machten, erklärteer. Diese vier Passanten seien vor drei Stunden erschossenworden. Er wies auf vier Leichen: einen Mann, eine Frau,einen Burschen und ein junges Mädchen. Sie sind umge-kommen, wie sie gelebt hatten, als Familie, dachte Bulbul.Hussain bog auf ein schmales Sträßchen ab. Irgendwo inder Nähe waren Detonationen zu hören. Sie konnten dasFlugzeug sehen, das aus geringer Höhe Granaten abschoss.Splitter flogen herum. Hussain richtete seine ganze Auf-merksamkeit auf die Straße, damit sie nicht plötzlich aufallen Seiten von brennenden Olivenhainen eingeschlossenwaren.

Unzählige Autos in einer langen Schlange. Offenbarkannte jemand den Weg und führte die Kolonne an. Undwenn sie eingeschlossen würden und in eine Falle gerieten?Bulbul machte sich Sorgen, und erst die Rückkehr der Au-tos auf die Autobahn stimmte ihn wieder hoffnungsvoll. Erwünschte sich, sein Bruder Hussain würde schweigen, da-mit er seinen Gedanken über den Tod seines Vaters nach-hängen konnte. Doch Hussain pries ein weiteres Mal sei-ne Fähigkeit, sie aus allen Kalamitäten zu befreien. Bulbulversuchte, den Leichnam zu stabilisieren, der das Gleich-gewicht zu verlieren drohte. Sinnvollerweise hätte man ihnfestgebunden, doch ein solcher Vorschlag hätte eine Debat-te ausgelöst, der er nicht gewachsen war. Fatima erinnerte

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an die Sandwiches, die sie für die lange Reise vorbereitethatte. Sie könnten beim nächsten Parkstreifen, schon in derNähe von Homs, einen Halt machen, schlug Hussain vor.Seit dem Abend zuvor hatte Bulbul nichts zu sich genom-men, da es seiner Meinung nach unziemlich war, nur weni-ge Stunden nach dem Hinscheiden des Vaters zu essen.

Fatima sagte nichts mehr und verstaute die Brote wie-der in der Plastiktüte. Bulbul vermied es, nach rechts zuschauen. Schon drei Stunden lang hörte man jetzt die Flug-zeuge im Tiefflug, die Kanonen und die heulenden Geschos-se. Der Beschuss von Kabûn und Dschûbar war in vollemGang. Die von der Autobahn aus sichtbaren Gebäude zeig-ten deutliche Spuren. Bulbul blieb entspannt und gleichgül-tig. Hussain kündigte an, man nähere sich nun dem Check-point von Kutaifa und er werde sich, um Zeit zu gewinnen,sofort bei den LKWs einreihen. Bulbul hatte nichts dagegeneinzuwenden. Er reichte ihm einen Teil des noch verblie-benen Geldes. Eigentlich akzeptierte er es nicht, dass derLeichnam seines Vaters auf diese unwürdige Art behandeltwurde. Doch dann erinnerte er sich an die Tausenden vonToten, die auf dem freien Feld herumlagen, den Raubvögelnund den hungrigen Hunden zum Fraß, und er fand, sie sei-en vergleichsweise gut dran. Er versuchte, die vier Leichenmitten auf der Autobahn zu vergessen, denen sich niemandzu nähern wagte. Sein Körper schwächelte. Er hätte sichgern neben seinem Vater ausgestreckt, wie früher, als ernoch klein war. Doch neben einem toten Menschen zu lie-gen verbot ihm die Furcht.

Die Schlange der LKWs und Lastautos war entmutigendlang. Sie würden stundenlang warten müssen, bis sie an derReihe waren. Bulbul hatte erwartet, dass Hussain die Sachein die Hand nehmen würde, doch auch der hatte Angst undfand nicht den Mut, mit den reizbaren Soldaten am Check-point zu reden. Bulbul hoffte, dass diese Männer, die sicherebenfalls Angst hatten, vielleicht doch Mitleid mit einem

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Toten verspürten. Er ging zum Offizier und erklärte ihm miteiner gewählten Einleitung und wohlgesetzten Worten denSachverhalt. Der Offizier hörte ihn gar nicht. Viele Men-schen redeten gleichzeitig auf ihn ein. Bulbuls Stimme wareher schwach und ängstlich wie ein nasses Vögelchen in ei-nem modrigen Zimmer. Am Ende gelang es ihnen nicht, dieSchlange zu passieren, und sie reihten sich ein. Es war einimmenser Pulk, und riesige Betonblöcke verhinderten jed-wedes Ausscheren. Als Bulbul zurück zum Auto kam, nör-gelte sein Bruder Hussain wie immer an ihm herum. Er re-dete aufgebracht auf Fatima ein und bezeichnete dabei Bul-bul als Dummkopf, als Stoffel, der gewartet habe, bis eszu spät war, statt mit dem Offizier weiterzureden und ihnvon ihrem besonderen Fall zu überzeugen. Fatima versuch-te, die angespannte Stimmung aufzulockern. Sie erzählteihren Brüdern von ihrer Schwägerin, die eine Woche zuvoraus dem Gefängnis entlassen worden war, wo man sie wohl,so Fatima, in der Abteilung vergewaltigt habe. Sie sei lei-chenbleich gewesen, fügte sie noch hinzu, habe die Hälf-te ihres Gewichts verloren und ihre Haare seien geschorenworden. Bei Nacht fasle sie seltsames Zeug. Als Hussainnicht reagierte, fuhr Fatima fort, die Schwägerin habe dieKrätze bekommen, weswegen sich die Familie gezwungensah, sie in den Hühnerstall auf dem Dach zu sperren. IhrVerlobter habe sie verlassen und die Brautgeschenke vonder Familie zurückverlangt.

Die vier Leichen, die mitten auf der Autobahn lagen, gin-gen Bulbul noch immer nicht aus dem Sinn, und nun grubsich auch noch die Geschichte von Fatimas Schwägerin tiefin sein Inneres. Auf Reisen tauschen Menschen im allge-meinen hübsche Geschichten aus, um sich die Beschwerdendes Unterwegsseins zu erleichtern; sie reden von den schu-lischen Erfolgen ihrer Söhne oder von den geeigneten Ein-kochzeiten für Marmelade. Doch dazu kann man nieman-den zwingen. Seit zehn Jahren hatten die drei nie länger

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als ein paar Stunden zusammengefunden – zu den familiä-ren Verpflichtungen am Morgen des Fests. Nie lange ge-nug, um sich darüber auszutauschen, an welchem Punkt ihrLeben angelangt war. Als sie aus dem Krankenhaus weg-fuhren, war ihnen sichtbar unwohl gewesen über das er-zwungene Beieinander. Doch bald schon spürten sie denSchlag des Zufalls. Hier war eine echte Gelegenheit, überdie Möglichkeit zu reden, wieder eine Familie zu werden.Aber Hussain ließ das völlig gleichgültig, und auch Bulbulverspürte keinerlei Drang, das Thema anzusprechen. NurFatima versuchte, die Rolle der Schwester zu spielen, dienach dem Tod der Eltern die Familie zusammenhalten will.Von dieser Rolle hatte sie schon oft gehört, sie werde sozu-sagen vererbt. Der große Bruder erbe die Rolle des Vaters,die Schwester zwangsläufig diejenige der Mutter. Aber diemütterliche Rolle verlangte eine Kraft, die Fatima nicht be-saß. Sie war inzwischen selbst Mutter, glich aber nicht derihrigen. Sie hatte ihren Traum vom Reichtum aufgegebenund begnügte sich damit, zu klagen und ein wenig Geld vonihren und ihres Mannes Einkünften auf die hohe Kante zulegen – auf ein Bankkonto, von dem niemand etwas wusste.Im Umgang mit ihren bescheidenen Mitteln entwickelte siesich zu einer knausrigen Frau. Sie holte sich dies und dasaus ihrem Elternhaus und nahm Almosen von ihren Schwie-gereltern an. Ihre begrenzte Intelligenz ließ sie elend er-scheinen. Sie besaß keine andere Hoffnung mehr als die, ihrSohn oder ihre Tochter möchten den Traum vom Reichtumweiterträumen und so den Verlust des Stolzes rächen, densie selbst als junges Mädchen zur Schau getragen hatte, alssie sicher auf ein glückliches Leben zuzuschreiten meinte.

Fatima ging auf die vierzig zu. Die Spuren ihres eins-tigen Stolzes waren noch immer deutlich auf ihrem Ge-sicht zu sehen. Alle, die ihren Stolz verlieren, werden gei-zig und elend, ihre Augen haben keinen Glanz mehr, undin ihrem Innern häuft sich der Groll. Sie neigen dazu, zu

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tratschen und Heldentaten aus einem Leben zu erfinden,das sie selbst nie geführt haben. Auch Fatima machte dieseEtappen durch und ergab sich am Ende. Sie setzte immergrößere Hoffnungen auf ihren Sohn, der ein Studium derZahnmedizin begonnen hatte, und auf ihre erst vierzehnjäh-rige Tochter. Es schmeichelte ihr, wenn Leute behaupteten,sie gleiche ihr, sei so – kurzes Zögern – reizend. Für die Kin-der sah sie ein völlig anderes Leben vor. Sie erzählte ihnenimmer wieder von ihrer eigenen ersten Ehe mit einem an-geblich wichtigen Geschäftsmann – der in Wahrheit nichtsanderes war als ein kleiner Makler, der den großen Händ-lern dienstbar war. Er kümmerte sich um deren Angelegen-heiten bei den Behörden und erledigte für sie schmutzigeGeschäfte, zum Beispiel die Überwachung ihrer Ehefrauen,wenn sie selbst außer Hause waren, oder die Begleitungminderjähriger Töchter auf Einkaufstouren nach Beirut.

Eines Tages hatte sie auf den Bus gewartet, der sie insLehrerinnenseminar in Mazza bringen sollte. Da es fürch-terlich regnete und die Menschen sich an der Haltestelledrängten, nahm sie Mamdûchs freundliches Angebot, siehinzufahren, an. Sie hielt ihn für einen Bekannten ihrer Brü-der und stieg nach kurzem Zögern ein. Zu ihrer Überra-schung erzählte er ihr, er sehe sie immer an der Haltestel-le und sie gefalle ihm. Er sei ein Schüler ihres Vaters ander Oberschule. Dass sie ihm gefiel, hielt sie für völlig nor-mal und sah darin keinen Grund, sich Gedanken zu machen.Eigentlich war sie überzeugt, dass sie den meisten jungenBurschen im Ort gefiel, er aber als einziger den Mut hatte,es zuzugeben. Wie alle Mädchen in ihrer Klasse dachte siesich Geschichten aus, in denen sie von Liebhabern verfolgtwurde, und so war sein Auftritt in ihrem Leben ihrer Eitel-keit höchst förderlich. Sie sorgte dafür, dass die anderenMädchen sahen, wie sie von ihm allmorgendlich ins Semi-nar chauffiert wurde. Gemächlich stieg sie aus dem Autoaus und sprach zu ihm in einem Ton, als befehle sie ihm et-

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was, und Mamdûch nickte zustimmend. Obwohl er ihr vomersten Augenblick an gefiel, ließ sie ihn doch zappeln, be-handelte ihn von oben herab und gab ihre Gefühle nicht oh-ne weiteres preis. Tief drinnen schaute sie auf sich selbstmit hoher Wertschätzung, und Mamdûch erkannte ihrenstolzen Charakter an und bewunderte ihn. Die Phantasie-vorstellungen, die sie von ihm entwickelte, zogen ihn an. Inihren Augen wurde er eine andere Person. Sie sprach auf ei-ne seltsame Art und Weise von ihrer gemeinsamen Zukunft,voller Optimismus und Hoffnung. All das gefiel Mamdûch.Und ihr gefielen seine Eleganz und die kleinen Geschen-ke, die er ihr machte: Fläschchen mit Parfüm, italienischeSchuhe und Jeans, die in großen Kleiderläden in Damaskusunter einem falschen Markenlabel verkauft wurden. Auchseine wundervollen Worte über die Liebe und die glückli-che Familie, die sie zusammen gründen würden, faszinier-ten sie.

Zwischen ihnen bahnte sich eine ruhige Liebesgeschich-te an, und Fatima redete sich ein, dass ein so sanfter Mannmit all seinen Beziehungen und all dieser Lebensklugheit,auch wenn er jetzt noch nicht reich war, es ganz sicher ein-mal werden würde. Und so heiratete sie ihn trotz der Ein-wände ihres Vaters, der ihn als «Quecksilber» charakteri-sierte. Ein Mädchen mit ihrem Stolz könne doch nicht einenMann heiraten, der sich in nichts von anderen unterschied,der keinerlei Moral besaß, die ihn daran hindern könnte,ein Zuhälter zu werden. Sie verteidigte ihn in aller Ruhe,doch ihr Vater ließ sich nicht von seiner Meinung abbrin-gen. Schließlich gab er seine Einwilligung zur Heirat, docher ahnte das kommende Unheil.

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