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AU L I NG E RRECHTSANWÄLTE | NOTARE
MANDANTENINFORMATION | April 2012
IN EIGENER SACHE
Zeit für Neues: Mit einem Relaunch unserer Mandanteninformation starten wir in das Jahr 2012. In neuem Gewand knüpfen wir an die bewährte Struktur unserer Mandanteninformation an und werden Sie weiter regelmäßig über aktuelle Rechtsentwicklungen informieren.
AULINGER wächst weiter: Seit dem 15.03.2012 verstärkt Rechtsanwalt Alexander Posch das Bochumer Team um unseren Partner Dr. Volker Weinreich im Steuerrecht, Steuerstrafrecht und Wirtschaftsstrafrecht.
Diese und unsere früheren Mandanteninformationen haben wir für Sie auch in elektronischer Form im Internet bereitgestellt. Von unserer Homepage www.aulinger.eu können Sie unter der Rubrik „Publika tionen“ die Dokumente herunterladen. Gleichzeitig können Sie sich dort auch für die regelmäßige Zusendung unserer Mandanteninformation in elektronischer Form anmelden – natürlich für Sie kostenlos.
INHALT
GESELLSCHAFTSRECHT Streit zwischen LimitedGesellschaftern nur vor englischen Gerichten
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Vorsicht bei der Gestaltung von Abfindungsbestimmungen in der GmbHSatzung
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Stuttgarter Verfahren in Abfindungsklauseln in GmbHGesellschaftsverträgen
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ERBRECHT Einführung Testamentsregister 9
INSOLVENZRECHT ESUG – Die erste Stufe der Insolvenzrechtsreform aus Schuldnersicht
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Grundschulden als Insolvenzfalle 11
ARBEITSRECHT Nachtrag zum Urlaub bei langer Arbeitsunfähigkeit 12
Stichtagsklauseln im Arbeitsvertrag 12
Sogenannte Kettenbefristungen europarechtlich grundsätzlich zulässig, aber Einzelfallabwägung erforderlich
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IMMOBILIENRECHT Beachtenswerte Rechtsprechung zum Thema „Kaution“ 15
Deutsches Bauplanungsrecht und Europarecht (sog. „SevesoRichtlinie“)
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KARTELLRECHT Bundeskartellamt kann Kartellopfern weiter Akteneinsicht in Unterlagen von Kronzeugen zur Vorbereitung von Schadensersatzansprüchen verweigern
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VERGABERECHT Neue Wertgrenzen und Schwellenwerte! 20
ENERGIERECHT Eine Solarstromanlage auf dem Einsteinhaus und die Gewinnung regenerativer Energien als Religionsausübung? – Bedeutung der Staatszielbestimmung des Klima schutzes im Planungsverfahren
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Die Förderung unkonventioneller Erdgasvorkommen in Deutschland
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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 12.07.2011 festgestellt: Wenn sich Gesellschafter einer britischen Limited untereinander streiten, so ist für einen Prozess ausschließlich ein britisches Gericht zuständig.
Das hatten sich die Unternehmer so nicht vorgestellt: Im schönen Hessen betrieben sie mit einer Kommanditgesellschaft ein Sportstudio, wollten aber nicht persönlich haften. Die Rolle des persönlich haftenden Gesellschafters sollte deshalb eine Kapitalgesellschaft einnehmen. Die beiden Studiobetreiber gründeten deshalb eine Limited (Ltd.) mit eingetragenem Sitz in England, die dann persönlich haftende Gesellschafterin der deutschen SportstudioKG wurde. Statt eines Geschäftsführers hat eine britische Ltd. einen „director“ und als solcher wurde der spätere Kläger bestellt. In den Gesellschaftsvertrag der Ltd. wurde ausdrücklich eine Gerichtsstandsvereinbarung aufgenommen, nach der für sämtliche Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern und zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft (Limited) deutsche Gerichte zuständig seien. Zum „Fall“ wurde die Sache, als der andere Gesellschafter den director in einer Gesellschafterversammlung abberief. Dagegen wehrte sich der abberufene director und klagte bei dem deutschen Landgericht mit dem Antrag, den Abberufungsbeschluss für nichtig zu erklären.
Zwingende Zuständigkeit englischer Gerichte für Limited Ein wie so häufig „einheitliches“ Bild der Rechtsprechung zeigt die weitere Entwicklung: Das Landgericht gab der Klage noch statt, bereits das Oberlandesgericht, letztlich vor allem auch der BGH erklärten sie aber für unzulässig. Grund ist die Regelung in einer europäischen Verordnung, deren amtlicher Titel dem Leser nicht vorenthalten werden soll: „Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000, ABl. EG L 12 v 16.01.01 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen“, mit der im Vergleich dazu
angenehm übersichtlichen Abkürzung „EuGVVO“. Deren Artikel 22 Nr. 2 sagt, dass „ausschließlich zuständig“ die Gerichte des Mitgliedsstaates sind, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren rechtlichen Sitz hat, wenn es etwa um die Klage gegen die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe geht.
Nun ging es hier um den Beschluss zur Abberufung des kläge rischen directors. Und eine englische Ltd., die im konkreten Fall nichts anderes tut, als für eine deutsche KG und deren „Sportstudio“ persönlich zu haften, wird ja überhaupt nur deswegen in Deutschland anerkannt, weil die englische Gründung und der formale Registersitz einerseits in England sind, andererseits auch solche Gesellschaften in Deutschland als Kapitalgesellschaften anzuerkennen sind. Dann bleibt es aber nach dem BGH dabei, dass für deren eigene gesellschaftsrechtliche Verhältnisse das Gesellschaftsrecht des Gründungsstaates maßgeblich ist und bleibt. Und außerdem gilt dann mindestens für Klagen gegen die Gültigkeit der Beschlüsse von Organen der Gesellschaft die ausschließliche englische Gerichtszuständigkeit. „Ausschließlich“ bedeutet „zwingend“, also auch nicht durch die Satzung der Ltd. änderbar.
Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) als Alternative zur LimitedDer „Gründungsboom“ von Ltd. zur Verwendung in Deutschland scheint zwar ohnehin abgeflacht, wenn nicht sogar beendet zu sein, weil mittlerweile für Interessentenkreise, die mit wenig Liquidität eine Kapitalgesellschaft gründen möchten, die im GmbHGesetz geregelte „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ zur Verfügung steht. Wer aber noch aus „alten Zeiten“ eine Ltd. in seinem unternehmerischen Portefeuille hält, sollte diese BGHEntscheidung wie auch weitere deutsche Gerichtsentscheidungen zum Anlass nehmen zu prüfen, ob die weitere Benutzung der Gesellschaftsform Ltd. noch zweckmäßig ist.
STREIT ZWISCHEN LIMITED-GESELLSCHAFTERN NUR VOR ENGLISCHEN GERICHTEN
GESELLSCHAFTSRECHT
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Es können durchaus auch seriöse und wirtschaftlich tragfähige Unternehmen auf der Basis einer Ltd. oder Limited & Co. KG organisiert worden sein. Ein Grund hierfür mag durchaus in den wenig flexiblen Kapitalaufbringungs und –erhaltungsvorschriften des deutschen GmbHRechts zu sehen sein. Obwohl bei manchen Startups ohne größeren Kapitalbedarf das gesetzlich für eine „normale“ GmbHGründung vorgesehene Mindeststammkapital von 25.000 EUR für den Geschäftsbetrieb nicht benötigt wurde, war schlechterdings jede sinnvolle Verwendung der Liquidität verboten, ab gesehen praktisch von der Anlage auf einem Sparkonto.Daran hat sich im Grundsatz auch seit der Reform vom 01.11.2008 nicht viel geändert. Abgesehen davon wird für den Fall einer KG in der Komplementärin kein nennenswertes Kapital benötigt. Auch insoweit kann eine Kapitalgesellschaft mit geringem Nennkapital jedenfalls mit Blick auf
die Kapitalanforderung durchaus hinnehmbar sein, selbst wenn die eigentlichen Geschäfte durch eine KG mit höherem Liquiditätsbedarf betrieben werden sollen. Freilich leidet die
„Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“, zulässig nur mit der einzigen Erleichterung „UG (haftungsbeschränkt)“ firmierend, unter dem gesetzgeberisch gewollt angeordneten Malus einer abschreckenden, in der Firma aber zwingend zu führenden Gesellschaftsbezeichnung.
Wie auch immer: Bevor Streit entsteht oder bevor der (mindestens auch) nach englischem Recht und dessen Besonderheiten abzuwickelnde Erbfall nach dem bisherigen Alleingesellschafter einer Ltd. eintritt, sollte mit gutem Grund überlegt werden, das „Abenteuer Limited“ rechtzeitig zu beenden und einen der verschiedenen Wege zur Neustrukturierung zu beschreiten.
Dr. Egon Peus
Dem aus der GmbH ausscheidenden Gesellschafter steht grundsätzlich eine Abfindung zum vollen wirtschaftlichen Wert zu. Der Gesellschafter erhält den Verkehrswert seines Geschäftsanteils. Weil das Gesetz keine Regelungen über die Abfindung enthält, kommt der Gestaltung in der Satzung angesichts vielfältiger Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Abfindungsguthaben dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Gesellschafter sind dabei befugt, Abfin dungs modalitäten im Rahmen der Nichtigkeitsgrenzen flexibel zu vereinbaren.
Auslegung von lückenhaften oder unpräzisen SatzungsklauselnSieht die Möglichkeit der individuellen Abfindungsregelung auf den ersten Blick nach interessengerechter Privatautonomie der Gesellschaft aus, so kann gleichwohl darin Potenzial für Streitigkeiten enthalten sein, insbesondere dann, wenn entsprechende Klauseln in der Satzung lückenhaft sind oder unpräzise formuliert werden. Das mit Abfindungsklauseln verfolgte Ziel, die Ermittlung von Abfindungshöhen zu vereinfachen, wird dann möglicherweise sogar konterkariert. In diesen Fällen kann der Frage der Auslegung solcher Bestimmungen eine besondere Bedeutung zukommen.
In einem vom Bundesgerichtshof (BGH) jüngst entschiedenen Fall sollte sich die Abfindungshöhe grundsätzlich nach einem dem Verhältnis der Stammeinlagen zu berechnenden Anteil am nominellen Eigenkapital der Gesellschaft richten, und zwar „soweit dies gesetzlich zulässig“ sei (Regelung 1). In den Fällen, in denen dies gesetzlich nicht zulässig sei, solle sich die Abfindung nach dem gemeinen Wert (Stuttgarter Ver fahren) bemessen (Regelung 2).
Der ausgeschiedene Gesellschafter erhielt unter Verweis auf Regelung 1 zunächst eine Abfindung in Höhe von rd. 7.000 €. Im Klagewege verlangte er eine weitere Abfindung in Höhe von rd. 300.000 € und berief sich dabei auf Regelung 2. Das Landgericht gab der Klage zunächst statt. Das Oberlandesgericht (OLG) wies sie ab, u.a. mit der Begründung, die Satzung sei so auszulegen, dass eine Abfindung nach dem Stuttgarter Verfahren lediglich eine Vertragslücke schließen solle, falls sich Regelung 1 als gesetzlich unzulässig darstelle. Das sei jedoch nicht der Fall.
Die hiergegen erhobene Revision des ausscheidenden Gesellschafters war erfolgreich und führte zur Zurückverweisung. Dabei hat der BGH ausgeführt: Regelung 2 erfasse, anders als
VORSICHT BEI DER GESTALTUNG VON ABFINDUNGS- BESTIMMUNGEN IN DER GMBH-SATZUNG
es das OLG meine, nicht nur den Fall, dass sich die Bemessung der Abfindung nach Regelung 1 als von Anfang an unzulässig erweise. Vielmehr solle Regelung 2 eine Berechnungsmöglichkeit für Fälle bieten, in denen sich die nach Regelung 1 berechnete Abfindung im Einzelfall als gesetzlich unzulässig erweise, und zwar unabhängig davon, ob die Abfindung zum Nominalwert von Anfang an sittenwidrig zu gering sei oder ob sie aufgrund der Geschäftsentwicklung erst mit der Zeit in gesetzeswidriger Weise unangemessen geworden sei. Im Zweifel hätten die am Gesellschaftsvertrag beteiligten Personen „etwas Vernünftiges gewollt, nämlich eine auf Dauer wirksame und die Gesellschafter gleich behandelnde Berechnung der Abfindung“. Immer dann, wenn sich die nach Regelung 1 berechnete Abfindung zum Nominalwert im Zeitpunkt der Abfindung (hier: wegen groben Missverhältnisses der Abfindung zum Verkehrswert des Anteils) als unzulässig erweise, habe der Gesellschafter Anspruch auf eine Abfindung nach Regelung 2. So könne flexibel auf Schwankungen im Wert des Geschäftsanteils
Abfindungsklauseln in GmbH-Gesellschaftsverträgen bieten seit jeher einen Nährboden für erhebliche Auseinandersetzungen im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters. Wegen der oftmals existentiellen Bedeutung der Abfindungshöhe sowohl für den ausscheidenden Gesellschafter als auch für die GmbH selbst werden Prozesse mit äußerster Vehemenz geführt. Folge sind typischerweise komplizierte, langwierige und kostenintensive Gerichtsverfahren, unkalkulierbare Ergebnisse und nicht zuletzt schwere persönliche Zer würf nisse in inhabergeführten mittelständischen Unternehmen.
Um diese Probleme zu vermeiden, wurde insbesondere in alten Gesellschaftsverträgen aus den 1980 er Jahren für die Bestimmung von Abfindungen an ausscheidende Gesellschafter häufig auf das „Stuttgarter Verfahren“ verwiesen, das eine vergleichsweise einfache Bestimmung des Unternehmenswerts anhand verobjektivierter Kriterien ermöglichen sollte. Es sollte sichergestellt werden, in Abfindungssituationen eine pragmatische Lösung zu finden.
reagiert werden und es werde der Gleichbehandlung aller Gesellschafter Rechnung getragen, die unabhängig vom Zeitpunkt ihres Ausscheidens nach den gleichen Grundsätzen abgefunden würden.
Rechtssicherheit durch sorgfältige Gestaltung von Satzungsklauseln Die vorliegende Entscheidung verdient nicht nur im Kontext der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Abfindungsbeschränkungen Beachtung. Sie verdeutlicht auch, dass bei der Abfassung satzungsmäßiger Abfindungsklauseln Vorsicht geboten ist. „Gut gemeint“ ist hier noch lange nicht „gut gemacht“. Nur sorgfältig gestaltet sind solche Klauseln geeignet, die Ermittlung von Abfindungshöhen zu verein fachen und dadurch Rechtssicherheit zu schaffen sowie die Gesellschaft im Interesse der verbleibenden Gesellschafter in ihrem Bestand zu schützen und ihre Liquidität zu sichern.
Cornelius Kruse LL.M.
Stuttgarter Verfahren ggf. noch bewertungsrelevant trotz steuerrechtlicher „Abschaffung“Ursprünglich diente das Stuttgarter Verfahren der Finanzverwaltung dazu, für die Bemessung der Schenkungs- und Erbschaftsteuer den Wert von nicht börsennotierten Anteilen an Kapitalgesellschaften zu bewerten. Im Zuge der Erbschaftsteuerreform 2009 wurde es allerdings steuerrechtlich
„abgeschafft“. Grund hierfür war der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.11.2006 zur Verfassungswidrigkeit der Erbschaftsteuer, worin dem Stuttgarter Verfahren als Grund lage für die Anteilsbewertung die Eignung abgesprochen wurde, da es zu erheblichen Abweichungen zum tatsächlichen Wert eines Unternehmens – der üblicherweise nach Ertragswertmethoden zu bestimmen ist – führen kann.
Überdauert haben dies freilich die zuvor verfassten GmbHSatzungen, in denen das Stuttgarter Verfahren sich nach wie vor als Bewertungsmaßstab findet. Es stellt die Gesellschafter betroffener Gesellschaften deshalb vor zwei Probleme: Zum einen ist fraglich, ob eine auf das Stuttgarter Verfahren als Bewertungsmaßstab verweisende Satzungsbestimmung im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters
STUTTGARTER VERFAHREN IN ABFINDUNGSKLAUSELN IN GMBH-GESELLSCHAFTSVERTRÄGEN
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mit Blick auf die „Abschaffung“ des Verfahrens überhaupt noch Anwendung findet. Zudem stellt sich die Frage, ob betroffene Satzungen angepasst werden müssen.
Substanzwertbetrachtung mit ErtragswertkomponenteFür die Beantwortung ist die Funktionsweise des Stuttgarter Verfahrens von Bedeutung. Es bestimmt den Unternehmenswert durch die Kombination einer substanzwertorientier ten Betrachtung auf Basis der Steuerbilanzwerte mit einer Er-tragswertkomponente. Für die Bestimmung des Ertragswerts unterstellt man eine Normalverzinsung des im Unternehmen investierten Kapitals in Höhe von 9 %. Falls genau diese Normalverzinsung auch tatsächlich erwirtschaftet wird, entspricht der Unternehmenswert dem Substanzwert. Liegt ein besseres Ergebnis vor, wird der überschießende Teil diskontiert und dem Substanzwert zugeschlagen. Niedrigere Ergebnisse können ebenso korrigierend berücksichtigt werden.
Diese Art der Unternehmensbewertung führt dazu, das Unternehmen mit unterdurchschnittlicher Rentabilität tendenziell überbewertet werden, da sich die Substanz als Wertetreiber auswirkt. Dasselbe gilt bei Unternehmen in riskanten Geschäftsfeldern, da die Bemessung der Ertragswert kom ponen te auf einem fixen Zinssatz basiert und etwaige Risiken ausblendet. Auf der anderen Seite werden hoch rentable Unter nehmen im Vergleich zu ihrem nach der Ertragswertmethode zu bestimmenden tatsächlichen Wert unterbewertet.
Freilich ergeben sich weder aus etwaigen Bewertungsdivergenzen zum tatsächlichen Unternehmenswert noch allein aus der „Abschaffung“ des Stuttgarter Verfahrens per se Aus wirkungen auf entsprechende Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen. Es entspricht grundsätzlich der Ver-tragsfreiheit der Parteien, wie auch immer geartete Abfindungsregelungen in den Gesellschaftsvertrag aufzunehmen. Deshalb ist im Grundsatz auch erst einmal davon auszugehen, dass ein Verweis auf das Stuttgarter Verfahren zur Bestimmung der Abfindungshöhe wirksam und dieses Verfahren im konkreten Fall auch anwendbar ist. Etwas anderes ergibt sich allenfalls entweder daraus, dass eine entsprechende Satzungsklausel unklar und auch durch Auslegung nicht zu retten ist oder aber weil es zu übermäßig hohen Abweichungen des nach dem Stuttgarter Verfahren bestimmten Unternehmenswerts zu dem Wert des Unternehmens nach der Ertragswertmethode kommt.
Unklarheiten in diesem Sinne ergeben sich vielfach aus unpräzisen Verweisen in den Abfindungsbestimmungen. Das Stuttgarter Verfahren bzw. die diesem zugrundeliegenden Bewertungsansätze wurden im Laufe der Zeit mehrfach ge ändert; Satzungsklauseln – darin liegt der Kern des Problems – jedoch oftmals nicht. Zudem findet nach Abschaffung der Vermögensteuer keine regelmäßige Bewertung des Einheitswerts des Betriebsvermögens mehr statt, die jedoch in vielen Gesellschaftsverträgen als Bewertungsgrundlage herangezogen werden sollte. Insoweit kann sich die Frage stellen, auf welche „Fassung“ des Stuttgarter Verfahrens sich eine Abfindungsklausel bezieht. Kann hier durch Auslegung nicht hinreichend deutlich ermittelt werden, was gewollt war, kann die betroffene Abfindungsbestimmung deshalb unwirksam sein.
Anpassung von AbfindungsregelungenVirulenter dürfte allerdings eher die Frage werden, wie sich Abweichungen zum tatsächlichen Unternehmenswert auswirken. Hier spielen aus Sicht des ausscheidenden Gesellschafters die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Rahmenbedingungen zur Zulässigkeit von Abfindungsbeschränkungen ebenso eine Rolle wie das Verbot, die Kündigung eines Gesellschafters unzulässig zu erschweren. Die Folgen sind weitreichend. Wich der nach dem Stuttgarter Verfahren zu bestimmende Unternehmenswert von Anfang an eklatant vom tatsächlichen Wert der Gesellschaft ab, wäre die Satzungsklausel von vornherein nichtig, der tatsächliche Wert des Unternehmens wäre maßgeblich. Ergibt sich eine solche Differenz erst später im Laufe des „Gesellschaftslebens“, müsste ggf. die Höhe der Abfindung angepasst werden. Allein geringfügige Abweichungen führen jedoch nicht zur Nichtigkeit bzw. Anpassung, denn es stand den Parteien bei Abschluss des Gesellschaftsvertrags ja frei, ein anderes Verfahren zu wählen. Aufgrund der Vertragsfreiheit der Parteien ist Voraussetzung für die oben genannten Konsequenzen vielmehr, dass ein erhebliches Missverhältnis zwischen dem Unternehmenswert nach dem Stuttgarter Verfahren und dem nach der Ertragswertmethode besteht.
Für den betroffenen Gesellschafter bedeutet dies, in jedem konkreten Einzelfall ermitteln zu müssen, wie die entsprechenden Bestimmungen in der Satzung zu verstehen sind und zu welchen Werten das Stuttgarter Verfahren im Vergleich zu dem nach der Ertragswertmethode ermittelten Unternehmenswert kommt. Das sind erhebliche Hürden, zumal er die Gründe, warum eine Anwendung des Stuttgarter Verfahrens
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ausscheidet, im Streitfall darlegen und beweisen muss. Hierfür wird regelmäßig die Einholung entsprechender Wertgutachten erforderlich sein, um in einer Auseinandersetzung seine Position überhaupt substantiiert begründen zu können. Vor einem etwaigen Tätigwerden ist deshalb aus Sicht des ausscheidenden Gesellschafters dezidiert zu prüfen, zu welchem Ergebnis eine Bewertung anhand des Stuttgarter Verfahrens kommt. Hinzu kommt, dass ein nachträglich eingetretenes Missverhältnis zwischen dem wahren Anteilswert und dem Anteilswert nach dem Stuttgarter Verfahren keinesfalls automatisch zur Abfindung zum tatsächlichen Wert führt. Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ist vielmehr ein Wert zu bestimmen, der lediglich nicht mehr zu einem groben Missverhältnis führt. Auch das sollte mit Blick auf die Kosten / Nutzenrelation eines streitigen Verfahrens berücksichtigt werden.
Die Anpassung der Abfindungshöhe bei erheblichen Divergenzen zwischen dem tatsächlichen und dem Wert nach dem Stuttgarter Verfahren auf einen Mittelwert, die ein mit einem solchen Rechtsstreit befasstes Gericht vornehmen würde, ist überdies auch der Grund dafür, warum aus Sicht betroffener Gesellschaften eine Überprüfung der ge-sellschaftsvertraglich vereinbarten Abfindungsregelungen zwar dringend anzuraten ist, aber mit der gebotenen Sorgfalt erfolgen muss. Werden nämlich durch die neue Klausel die von der Rechtsprechung aufgestellten Zulässigkeitsgrenzen ebenfalls überschritten, bewirkt dies allenfalls eine „Verschlimmbesserung“. Denn anstelle einer Anpassung der ursprünglich wirksamen, nach heutigen Maßstäben aber nicht mehr passende Abfindungsregelung steht dann als Rechtsfolge die Nichtigkeit der neuen Klausel im Raum. Auch insoweit ist Vorsicht geboten.
Sebastian Hauptmann
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Seit dem 01.01.2012 betreibt die Bundesnotarkammer das zentrale Testamentsregister für Deutschland.Das zentrale Testamentsregister enthält die Verwahrangaben zu sämtlichen erbfolgerelevanten Urkunden, die vom Notar errichtet werden oder in gerichtliche Verwahrung gelangen. Private Urkunden, die nicht in amtlicher Verwahrung befindlich sind, werden nicht erfasst.
Die Bundesnotarkammer prüft bei Sterbefällen das Register auf registrierte Testamente, Erbverträge und sonstige notarielle erbfolgerelevante Urkunden. Sind entsprechende Angaben über die Verwahrung registriert, informiert die Bundesnotarkammer im Sterbefall das zuständige Nachlassgericht und auch die Verwahrstelle selbst in elektronischer Form.
Die Bundesnotarkammer erfasst in dem Register Angaben zur Urkunde, dem Verwahrort sowie zur Person des Erblassers. Inhaltliche Daten der Verfügungen von Todes wegen werden jedoch nicht aufgenommen. Abfrageberechtigt sind nur Notare und Gerichte. Die Vertraulichkeit der Daten wird gewahrt.
Sinn und Zweck des zentralen Testamentsregisters ist die Erleichterung der Auffindung von Verfügungen von Todes wegen, um dadurch zu gewährleisten, dass der letzte Wille auch tatsächlich Berücksichtigung findet.
Bisher wurden die erbfolgerelevanten Informationen als sogenannte gelbe Karteikarten bei ca. 5.000 Geburtsstandes äm tern hinterlegt. Bisher wurden die entsprechenden Informationen zwischen Standesämtern, Verwahrstelle und den jeweiligen Nachlassregistern lediglich postalisch abgewickelt. Zukünftig erfolgt der Informationsaustausch im elektro-nischen Wege.
Notare können zukünftig Informationen dazu abrufen.
Weitere Informationen zum Testamentsregister sind unter www.testamentsregister.de erhältlich. Die Kosten betragen zukünftig zwischen 15 € und 18 € für die reine Registrierung.
Dr. Thomas Huesmann
EINFÜHRUNG TESTAMENTSREGISTER
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ERBRECHT
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Am 01.03.2012 ist das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) in Kraft getreten. Mit ihm erfährt das Insolvenzverfahren erhebliche Änderungen. Ziel der Gesetzesänderung ist es, die Sanierung von Unternehmen zu erleichtern, indem die Sanierungsinstrumente Insolvenzplan und Eigenverwaltung gestärkt und die Gläubiger frühzeitig in das Verfahren eingebunden werden. Für Schuldner gilt es nun, die sich aus der Insolvenzrechtsreform ergebenden Chancen zu nutzen. Die Möglichkeiten sollen im Folgenden aufgezeigt werden.
Aus Schuldnersicht droht im Falle einer Insolvenzverwaltung regelmäßig der Verlust der Kontrolle über das Unternehmen. Zwar sieht die Insolvenzordnung auch die Eigenverwaltung vor, bei der die Verwaltungs und Verfügungsbefugnis beim Schuldner verbleibt und lediglich ein Sachwalter als Aufsichtsorgan eingesetzt wird. Bisher konnte der Antrag des Schuldners auf Anordnung der Eigenverwaltung jedoch erst mit dem Eröffnungsbeschluss beschieden werden. Dies führte dazu, dass im vorläufigen Verfahren regelmäßig bereits ein vorläufiger Insolvenz-verwalter eingesetzt und dem Schuldner damit „die Zügel aus der Hand genommen“ wurden. Der Schuldner hatte auch keine Möglichkeit, den Insolvenzantrag unter der Bedingung zu stellen, dass Eigenverwaltung angeordnet wird.
Eigenverwaltung gestärktNach der Reform der Insolvenzordnung gilt nun, dass bereits im vorläufigen Verfahren lediglich ein vorläufiger Sachwalter als Aufsichtsorgan eingesetzt wird, wenn der Schuldner einen Antrag auf Eigenverwaltung gestellt hat und dieser nicht offensichtlich aussichtslos ist. Daneben hat der Schuldner die Möglichkeit, den Insolvenzantrag wieder zurückzunehmen, wenn das Gericht die Voraussetzungen für eine Eigenverwaltung nicht für gegeben ansieht und das Unternehmen lediglich drohend zahlungsunfähig ist.
Maßgeblich ist, dass der Schuldner rechtzeitig, nämlich bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit, die Möglichkeiten der Sanierung im Rahmen einer Insolvenz ins Auge fasst. Wird der Antrag erst bei Zahlungsunfähigkeit gestellt, kann er nicht mehr zurückgenommen werden, unabhängig davon, ob Eigenverwaltung angeordnet wird. Der Umstand, dass lediglich drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, sollte im Insolvenzantrag detailliert dokumentiert werden, um Probleme im Falle einer Rücknahme zu vermeiden.
Voraussetzung für die Anordnung der Eigenverwaltung ist, dass die Anordnung voraussichtlich nicht zu Verfahrensverzögerungen oder zu Nachteilen für die Gläubiger führt. Auch dies gilt es im Insolvenzantrag sorgsam darzulegen. Insbesondere ist zu verdeutlichen, wieso der Schuldner oder seine Leitungsorgane trotz der Krise dazu geeignet sind, das Unternehmen fortzuführen.
SchutzschirmverfahrenNeben der Stärkung der Eigenverwaltung sollen auch die Voraussetzungen für die Durchführung eines Insolvenzplanes erleichtert werden. Hierfür wird mit der Reform ein Schutz-schirmverfahren eingeführt. Das Gericht kann auf Antrag des Schuldners die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagen oder einstweilen einstellen, soweit sie nicht unbewegliche Gegenstände betrifft. Dem Schuldner wird Gelegenheit gegeben, innerhalb von maximal drei Monaten einen Insolvenzplan vorzulegen. Während dieser Zeit wird als Aufsichtsorgan lediglich ein vorläufiger Sachwalter eingesetzt.
Voraussetzung für die Anordnung dieses Schutzschirmes ist, dass der Schuldner den Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestellt und die Anordnung der Eigenverwaltung beantragt hat. Darüber hinaus darf die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos sein. Beide Voraussetzungen, also das Nichtvorliegen der
ESUG – DIE ERSTE STUFE DER INSOLVENZRECHTSREFORM AUS SCHULDNERSICHT
INSOLVENZRECHT
Für viele Eigentümer von Immobilien ist die Eigentumssicherung ein wichtiger Punkt. Gerade wenn eine wirtschaftliche Krise befürchtet wird, soll vermieden werden, dass Gläubiger Zugriff auf das Familienheim oder eine andere Immobilie nehmen.
Versagung der Restschuldbefreiung wegen Vermögens-verschwendung bei Grundschulden ohne Gegenleistung Zum Zwecke dieser Absicherung gilt es teilweise als probates Mittel, zugunsten eines nahestehenden Dritten Grund-schulden einzutragen. In einigen Fällen erfolgt dies, ohne dass eine Gegenleistung für die Grundschuldbestellung erbracht wird. Einen solchen Fall hatte nunmehr der Bundesgerichtshof (BGH) im Rahmen eines Verfahrens über die Versagung der Restschuldbefreiung zu entscheiden. Der Schuldner hatte innerhalb des letzten Jahres vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen zugunsten seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Grundschulden an einer ihm gehörenden Immobilie bestellt, ohne dass es hierfür eine erkennbare Gegenleistung gab. Ein Gläubiger hatte daraufhin die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt, da der Schuldner sein Vermögen verschwendet habe. Der Schuldner wandte demgegenüber ein, die Grundschulden seien bestellt worden, um sie ggf. später als Drittsicherheit zur Verfügung zu stellen. Daneben sei er von Anfang an davon ausgegangen, dass die Grundschuldbestellung anfechtbar und somit nicht von Dauer sei.
Der BGH folgte dieser Argumentation nicht. Er stellte fest, dass die Belastung eines Grundstücks zugunsten eines Dritten, dem keine zu sichernde Forderung gegen den Schuldner zusteht, unabhängig davon eine Vermögensverschwendung
darstelle, ob die Belastung anfechtbar oder nach Bereicherungsrecht rückgängig zu machen sei. Eine solche Vermö-gensverschwendung habe zur Folge, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen ist.
Bedeutung der BGH-Entscheidung für die PraxisIn der Praxis ist die Entscheidung sowohl für Gläubiger, als auch für Schuldner von erheblicher Bedeutung. Für Gläubiger bietet sie die Möglichkeit, bei Bestellung von Grundschulden innerhalb des letzten Jahres vor Insolvenz antragstellung ohne Rechtsgrund die Versagung der Restschuldbefreiung zu beantragen. Daneben erleichtert es die Kenntnis von entsprechenden Handlungen, im Rahmen von vorinsolvenzlichen Sanierungsverhandlungen die Risiken eines Totalverlustes realistisch einzuschätzen. Ggf. kann eine mögliche Restschuldbefreiung für den Schuldner auch dadurch vermieden werden, dass rechtzeitig ein Fremdinsolvenzantrag gestellt wird.
Für Schuldner bedeutet die Entscheidung, dass die Ein-tragung von Grundpfandrechten zugunsten Dritter für sich ge nommen kein geeignetes Mittel ist, um Vermögen zu schützen. Eine entsprechende Grundschuldeintragung kommt nur in Betracht, wenn eine nachweisbare Forderung der zu sichernden Person besteht. Abgesehen von den dargestellten Risiken einer entsprechenden Eintragung für eine Restschuldbefreiung besteht bei Eintragung von Grundschulden zugunsten nahestehender Personen stets das Problem, dass diese binnen einer Frist von vier Jahren anfechtbar sind.
Markus Winnacker, LL.M.
GRUNDSCHULDEN ALS INSOLVENZFALLE
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Zahlungsunfähigkeit und die Sanierungsfähigkeit müssen durch einen Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder Personen mit vergleichbarer Qualifikation bescheinigt werden. Die Bescheinigung muss dem Insolvenzantrag beigefügt werden.
Da das Insolvenzplanverfahren selbst auch verbessert wurde, lohnt es sich nunmehr für den Schuldner, neben außer ge
richt lichen Vergleichen auch das Insolvenzverfahren als Sanierungsinstrument zu nutzen. Wichtig ist allerdings, dass sich der Schuldner rechtzeitig mit der Erfordernis einer Sanierung auseinandersetzt und sowohl die Sanierungs fähigkeit des Unternehmens als auch das Nichtvorliegen der Zahlungsunfähigkeit hinreichend prüft und dokumentiert.
Heike Middendorf
Oftmals sind in Arbeitsverträgen Sonderzuwendungen für Arbeitnehmer vereinbart, die zusätzlich zur Grundvergütung ausgezahlt werden. Als „Klassiker“ sind hier sicherlich das Urlaubsgeld (das nicht mit dem Urlaubsentgelt verwechselt werden darf) und das Weihnachtsgeld zu nennen. Um sicher zustellen, dass derartige Zuwendungen nicht an Arbeit nehmer fließen, bei denen bereits feststeht, dass sie das Unternehmen verlassen, greifen Arbeitgeber in der betrieblichen Praxis regelmäßig auf sog. Stichtagsklauseln zurück. Damit koppeln sie den Anspruch auf Urlaubs bzw. Weihnachtsgeld an den ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Stichtag.
Stichtagsklauseln unterliegen einer gerichtlichen AGB-KontrolleSeit der Schuldrechtsmodernisierung zum 01.01.2002 gelten für Arbeitsverträge auch die Regelungen zur Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Das Bundes arbeitsgericht (BAG) hat bereits vor einigen Jahren entschieden, dass der Arbeitnehmer bei Abschluss eines Arbeits vertrages als Verbraucher anzusehen ist, so dass wegen der Regelungen in § 310 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nahezu jeder
Arbeitsvertrag einer AGBKontrolle zu unterziehen ist. Dies gilt seit dem 01.01.2003 auch für Arbeitsverträge, die vor dem 01.01.2002 geschlossen worden sind.
Durch die nunmehr auch für Arbeitsverträge einzuhaltenden AGBrechtlichen Vorgaben ist fraglich geworden, ob früher als unproblematisch angesehene Vertragsklauseln nunmehr noch Bestand haben können. Dies wird letztlich abschließend erst durch die Rechtssprechung des BAG für die jeweilige Klausel entschieden. Auch 10 Jahre nach Einführung des neuen Schuldrechts sind längst nicht alle Unklarheiten der AGBKontrolle durch die Rechtssprechung des BAG beseitigt.
Keine Vorenthaltung der Vergütung für Arbeitsleistung Zu den Stichtagsklauseln wird seit Einführung der AGBKontrolle u. a. vertreten, dass diese nur wirksam sein könnten, wenn in der Klausel geregelt sei, dass der Anspruch nur für den Fall ausgeschlossen sein soll, dass das Arbeitverhältnis aus Gründen gekündigt wurde, die nicht in der Sphäre des Arbeitgebers liegen. Denn auf solche Umstände hat der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Einfluss, so dass es unbillig erscheint, ihm dennoch einen Anspruch zu verwehren. Der
STICHTAGSKLAUSELN IM ARBEITVERTRAG
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Seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Verfahren SchultzHoff beschäftigt die Übertragung von Urlaub bei lang andauernder Krankheit Arbeitgeber und Gerichte (siehe zuletzt unser Beitrag in der Mandanteninformation vom Dezember 2011).
Über zwei wesentliche Teilfragen haben wir nun am 13.02.2012 vor dem Landesarbeitsgericht Hamm (Az. 16 Sa 148/11) eine für Arbeitgeber günstige Entscheidung erwirkt: Demnach endet die Übertragung 15 Monate nach Ablauf des Über-tragungszeitraumes nach § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz, so dass auch der gesetzliche Urlaub aus dem Jahr 2009 am
30.06.2011 verfällt, selbst wenn er bis dahin wegen Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden kann – und zwar auch ohne dass das im Vertrag oder Tarifvertrag ausdrücklich vorgesehen ist. Bezieht der Arbeitnehmer nach Ende des Krankengeldbezuges Arbeitslosengeld, so entstehen grund-sätzlich in dieser Zeit keine neuen Urlaubs ansprüche. Eine Revision ist bereits angekündigt. Zunächst einmal gibt die Entscheidung jedoch in Verhandlungen eine gute Argumentationshilfe. Verlassen sollten sich Arbeitgeber darauf jedoch nicht, sondern bei der Vertrags gestaltung dringend darauf achten, die rechtlichen Möglichkeiten einer Begrenzung auszuschöpfen.
Inken Hansen
NACHTRAG ZUM URLAUB BEI LANGER ARBEITSUNFÄHIGKEIT
ARBEITSRECHT
10. Senat des BAG hat mit Urteil vom 18.01.2012 hingegen klargestellt, dass es für die Wirksamkeit einer Stichtagsklausel nicht darauf ankomme, wer das Arbeitsverhältnis gekündigt habe. Vielmehr sei lediglich entscheidend, dass der durch die Kündigung entfallende Gehaltsbestandteil nicht für die Vergütung der Arbeitsleistung selbst bestimmt ist. Das BAG geht dabei davon aus, dass ein Gehaltsbestandteil, der dem Arbeitnehmer gerade für die Arbeitsleistung gewährt wird, in keinem Fall dem Arbeitnehmer vorenthalten werden könne. Dies greife in die durch § 611 BGB vorgegebene Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung ein und halte daher einer AGBrechtlichen Kontrolle nicht stand. Im vom BAG entschiedenen Fall ging es um eine Weihnachtsgratifikation, die ausgeschlossen sein sollte, wenn sich das Arbeitsverhältnis im Auszahlungszeitpunkt im gekündigten Zustand befindet.
Weihnachts- und Urlaubsgeld grundsätzlich keine direkte Gegenleistung für Arbeitsleistung Aus der Entscheidung des BAG lässt sich zunächst schließen, dass eine Weihnachtsgratifikation nicht als direkte Gegenleistung für die Arbeitsleistung anzusehen ist. Dies dürfte auch für das zusätzlich zum Urlaubsentgelt erbrachte Urlaubsgeld jedenfalls dann der Fall sein, wenn sich keine deutlichen Anhaltspunkte aus dem Vertrag erkennen lassen, nach denen Weihnachts bzw. Urlaubsgeld im direkten Verhältnis zur Arbeitsleistung des Arbeitnehmers stehen. Des Weiteren
geht das BAG offensichtlich davon aus, dass für eine Stichtagsklausel unerheblich ist, aus welcher Sphäre der Anlass für die Kündigung stammt. Als Korrektiv für etwaige unbillige Ergebnisse zieht das BAG § 162 BGB heran, nach dem eine Partei sich nach treuwidriger Verhinderung des Bedingungseintritts nicht auf den Nichteintritt berufen kann. Auch hieran zeigt sich, dass das BAG offensichtlich für die Wirksamkeit der Klausel für unerheblich hält, aus wessen Sphäre der Anlass für die Kündigung stammt. Denn ansonsten wäre die Frage nach einer etwaigen Treuwidrigkeit überflüssig, da die Klausel ohnehin schon nach der AGBKontrolle unwirksam wäre und somit der Arbeitnehmer den Anspruch auf das Weihnachtsgeld hätte.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass für Stichtagsklauseln in Arbeitsverträgen nach der Entscheidung des 10. Senats unerheblich ist, aus welcher Sphäre der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses stammt. Allerdings können Stichtagsklauseln nur wirksam für solche Gehaltsbestandteile vereinbart werden, die nicht im direkten Gegenseitigkeitsverhältnis zur Arbeitsleistung stehen. Dies ist vom BAG ausdrücklich für eine Weihnachtsgratifikation bejaht worden und dürfte auch für Urlaubsentgelt in der Regel gelten.
Dr. BastianPeter Stenslik
Die Befristung von Arbeitsverträgen ist nach § 14 Abs. 2 S. 1 Teilzeit und Befristungsgesetz (TzBfG) grundsätzlich nur bis zu einer Dauer von insgesamt zwei Jahren ohne weiteres möglich. Für darüber hinaus gehende Zeiträume bedarf es hiefür eines sachlichen Grundes. Fehlt dieser, ist die Be fristung unwirksam und ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entsteht.
Vertretung eines anderen Arbeitnehmers als Sachgrund für Befristung Mögliche Sachgründe für eine Befristung sind in § 14 Abs. 1 Nr. 1 – 8 TzBfG beispielhaft aufgeführt. Einer davon ist die Vertretung eines anderen Arbeitnehmers, der zum Beispiel wegen einer längeren Erkrankung oder einer Elternzeit temporär ausfällt. Solche Arbeitnehmer dürfen also für die Zeit ihrer Abwesenheit durch befristet Beschäftigte ersetzt werden.
Vor allem in großen Betrieben und Verwaltungen gibt es aber fast durchgehend Arbeitnehmer, die vorübergehend ausfallen und deshalb auch vorübergehend ersetzt werden müssen. Dies kann in Einzelfällen zu der auf den ersten Blick befremdlichen Praxis führen, dass ein Arbeitnehmer über viele Jahre wegen des dauerhaften Vertretungsbedarfes immer wieder einen befristeten Arbeitsvertrag erhält. Umgangssprachlich spricht man insoweit auch von einer „Ketten-befristung“.
Unter anderem wegen solcher Erscheinungen ist das Be fri s t ungsrecht als angeblicher Wegbereiter prekärer Arbeitsverhältnisse immer wieder Gegenstand politischer Diskus sionen.
SOGENANNTE KETTENBEFRISTUNGEN EUROPARECHTLICH GRUND- SÄTZLICH ZULÄSSIG, ABER EINZEL FALLAB WÄGUNG ERFORDERLICH
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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat ungeachtet dessen Ketten befristungen bisher stets für zulässig erachtet. Dies galt un abhängig von der Anzahl der mit der Vertretungskraft geschlossenen Verträge und unabhängig davon, ob die Befristung auf einem unmittelbaren oder mittelbaren Vertretungsbedarf beruhte.
Jüngst kamen dem BAG indes Zweifel, ob diese Rechtsprechung aus europarechtlicher Sicht noch zu halten ist. Anlass war der vom BAG zu entscheidende Fall einer Arbeitnehmerin, die über 13 Jahre immer wieder auf Grund – unstreitig – bestehenden Vertretungsbedarfs befristet angestellt wurde und nunmehr ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begehrte. Das BAG wandte sich aus diesem Grunde im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit der Frage, ob eine Kettenbefristung gegen Europarecht, namentlich § 5 Nr. 1 a der Rahmenvereinbarung zur Richtlinie 1999/70, verstößt.
Der EuGH kam in seinem Urteil vom 26.01.2012 (Az. C586/10) zu folgenden Ergebnissen: Kettenbefristung grundsätzlich europarechtskonform, aber Missbrauchskontrolle im EinzelfallDie vorübergehende Vertretung eines anderen Arbeitnehmers ist grundsätzlich als Befristungsgrund im Sinne der genannten Rahmenvereinbarung anzusehen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Vertretungsbedarf wiederholt auftritt und deshalb aufeinanderfolgende Befristungen notwendig werden. Eine solche Praxis widerspricht jedenfalls nicht von vornherein dem in § 5 Nr. 1 a der Rahmenvereinbarung zur Richtlinie 1999/70 verankerten Zweck, Missbrauch durch Befristungen zu vermeiden.
Eine Grenze ist allerdings dann erreicht, wenn der Bedarf einer Arbeitskraft nicht nur zeitweilig, sondern ständig und dauerhaft besteht. Ein solcher Einsatz befristeter Arbeitsverträge läuft nämlich der Prämisse, dass unbefristete Arbeitsverträge die übliche Form der Beschäftigungsverhältnisse sind, zuwider. Ob ein in Wahrheit dauerhafter Arbeitskräftebedarf besteht, muss anhand aller Umstände des Einzelfalls einschließlich der Zahl und Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Arbeitsverträge durch die nationalen Gerichte im Rahmen einer Missbrauchskontrolle entschieden werden.
Klärung offener Fragen durch nationale Gerichte erforderlichFür die Praxis ergibt sich nunmehr Folgendes: Auf der einen Seite besteht erfreulicherweise Klarheit darüber, dass Kettenbefristungen nicht von vornherein unzulässig sind. Auf der anderen Seite ist nicht viel gewonnen, weil mit der Einführung einer Einzelfallabwägung neue Rechtsunsicherheit entsteht. So wird zu fragen sein, ab wann die Grenze zum Missbrauch überschritten sein wird. Auch wird die Frage auf zuwerfen sein, ob eine bloß mittelbare Vertretung zukünftig noch als Befristungsgrund ausreichen wird. Das alles wird durch die nationalen Gerichte zu entscheiden sein. Es bleibt also ein weiteres Mal abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung in diesem Bereich entwickelt. Möglicherweise macht das BAG auch im vorliegenden Rechtsstreit schon klare Vorgaben.
Florian Zahn / Ralf Heine, M.M.
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In kaum einem Gewerberaummietvertrag fehlt eine Regelung über die vom Mieter geschuldete Mietsicherheit („Kaution“). Anders als im Wohnraummietrecht, für das § 551 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) strenge und nicht der Parteidisponibilität unterliegende Regelung zum Mieterschutz bereit hält, fehlt es für das Gewerberaummietrecht an gesetzlichen Regelungen, so dass im Grundsatz viel Freiraum für Partei-vereinbarungen zur Verfügung steht. Diesen werden aber durch die Rechtsprechung, insbesondere für die in der Praxis überwiegend vorkommenden Verträge mit dem Charakter Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) Grenzen gesetzt, die sowohl bei der Vertragsgestaltung als auch bei der Handhabung der vertraglich geschaffenen Rechte zur Vermeidung von Rechtsnachteilen zu beachten sind.
VertragsgestaltungHier werden in der Rechtsprechung insbesondere folgende Fragestellungen diskutiert:Einerseits geht es um die Frage, in welchem Umfang AGBmäßig zulässigerweise eine Mietsicherheit vereinbart werden kann. In obergerichtlicher Rechtsprechung sind Kautionssummen von sechs bzw. sieben Monatsmieten als noch akzeptabel anerkannt worden. Da BGHRechtsprechung zu dieser Frage noch nicht existiert, der Bundesgerichtshof (BGH) aber auch im Gewerberaummietrecht mieterfreundliche Ten denzen erkennen lässt, ist von der AGBmäßigen Vereinbarung einer Mietsicherheit oberhalb von sechs Monatsmieten abzuraten. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund des soge nannten Verbots der geltungserhaltenden Reduktion unzulässiger AGBKlauseln. Dies führt dazu, dass unangemessene Klauseln nicht etwa auf ein (noch) angemessenes Maß begrenzt werden, sondern infolge ihrer Unwirksamkeit ersatzlos entfallen. Folge wäre, dass überhaupt keine Kaution geschuldet ist; ist sie gleichwohl erbracht, könnte sie zurückgefordert werden!
Viel diskutiert, aber ebenfalls noch nicht höchstrichterlich entschieden ist die Frage, ob der Mieter AGBmäßig zur Er
bringung der geschuldeten Mietsicherheit in Form einer Bürgschaft auf erstes Anfordern verpflichtet werden kann.Solange keine BGHRechtsprechung vorliegt, die eine solche Vereinbarung ausdrücklich gestattet, ist wegen der gravierenden Folgen der Verwendung unwirksamer AGBKlauseln von der Vereinbarung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern abzuraten.
Ohnehin sollte sich aus Vermietersicht die Pflicht zur Erbringung der Mietsicherheit niemals auf die Beibringung einer Bürgschaft beschränken, da die klageweise Durchsetzung eines solchen Anspruchs spätestens in der Zwangsvollstreckung außerordentlich problematisch ist. Vielmehr sollte stets eine Pflicht des Mieters zur Leistung einer Barsicher-heit vereinbart werden – verbunden mit dem Wahlrecht zugunsten des Mieters, seine Pflicht auch durch Vorlage einer Bankbürgschaft in gleicher Höhe zu erfüllen.
VertragshandhabungDie rechtsichere Vertragsgestaltung allein liefert noch keine Gewähr dafür, die vertraglich begründeten Rechte auch tatsächlich ausüben zu können:Nicht selten wird bei Mietbeginn von der konsequenten Ver-folgung des Anspruchs auf Beibringung einer Miet sicher-heit Abstand genommen. Erst wenn – u. U. nach Jahren – die Mietzahlungen ins Stocken geraten, erinnert sich der Vermieter an die vereinbarte Mietsicherheit und forderte diese beim Mieter ein. Eine solche Großzügigkeit (oder Schludrigkeit) des Vermieters kann fatale Folgen haben und zu Rechts-verlust führen: Die verschiedentlich anzutreffende Auffassung, der Anspruch auf Leistung der Mietsicherheit könne praktisch beliebig während der gesamten Mietzeit geltend gemacht werden, geht fehl: Vielmehr gilt die allgemeine Ver-jährungsfrist von drei Jahren zum Jahresende (§ 195 BGB). Beginn des Fristenlaufes ist der Zeitpunkt, ab dem nach den Regelungen im Vertrag der Anspruch auf Stellung der Mietsicherheit fällig ist. Dies ist regelmäßig entweder schon der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses oder – spätestens – der Zeit
BEACHTENSWERTE RECHTSPRECHUNG ZUM THEMA „KAUTION“
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IMMOBILIENRECHT
punkt des Mietbeginns. Wird innerhalb der dadurch in Lauf gesetzten 3JahresFrist der Anspruch nicht klageweise geltend gemacht, tritt grundsätzlich Ver jährung ein; eine nur schriftliche Anforderung schützt vor Verjährungseintritt nicht.
Auch in Bezug auf Kündigungsmöglichkeiten kann Zuwarten zu Rechtsverlust führen. Es ist zwar seit Jahren in der Rechtsprechung – auch derjenigen des BGH – anerkannt, dass die Nichtleistung der vereinbarten Mietsicherheit durch den Mieter eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses aus wichtigem Grund rechtfertigen kann – und zwar u. U. auch schon zu einem Zeitpunkt vor Mietbeginn!
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH, 1. Kammer) hat in einem Urteil vom 15.09.2011 eine Änderung in der deutschen Baugenehmigungspraxis erzwungen.
Eine Gesellschaft hatte antragsgemäß durch Bauvorbescheid die Bestätigung bekommen, auf einem Baugrundstück dürfe bauplanungsrechtlich ein „Gartencenter für den Einzelhandelsverkauf von Gartenbedarf “ errichtet werden. Vormals war auf dem Grundstück eine Schrott und MetallrecyclingAnlage betrieben worden; in der Umgebung befanden und befinden sich gewerbliche Nutzungen verschiedener Art, etwa großflächiger Einzelhandel und auch ein Hotel. Ein Unternehmen der chemischen Industrie bekämpft diese Erlaubnis, da es etwa 250 Meter entfernt Anlagen betreibt, in denen im Sinne der 12. Verordnung zum Bundesimmis-sionsschutzgesetz (BImSchV) und vor allem der sogenannten Seveso-Richtlinie (Richtlinie der EU 96/82) gefährliche Stoffe – hier insbesondere Chlor – verwendet werden. Der Betreiber möchte also verhindern, dass ein neuer genehmigter Betrieb der als potentiell gefährlich eingestuften Chemieanlage zu nahe „auf die Pelle rückt“.
Kein Bestandsschutz für genehmigte Anlagen mit GefährdungspotentialDer Abwehrkampf hat einen, auch im deutschen Recht schon seit Jahrzehnten bekannten und zu beachtenden, wichtigen Hintergrund: Soweit es um Auswirkungen (Emissionen/Immissionen) oder das Gefährdungspotential eines Gewerbeunternehmens geht, gilt nicht etwa der Satz: „Wer zuerst kommt,
Auch hier droht allerdings ein Rechtsverlust, wenn der Vermieter dem Mieter all zu viel Geduld entgegenbringt: Dazu hat jüngst das Oberlandesgericht Koblenz entschieden, dass nach Ablauf von zehn Monaten seit Fälligkeit der Mietsicherheit auf deren Nichtleistung durch den Mieter eine fristlose Kündigung nicht (mehr) gestützt werden kann. Zugrunde liegt die Regelung in § 314 Abs. 3 BGB, die generell für Dauerschuldverhältnisse Geltung hat und nach der eine fristlose Kündigung nur möglich ist, wenn sie innerhalb einer ange-messenen Frist erklärt wird, nachdem der Kündigungsgrund vorliegt. Am Ende ist hier also der Gutmütige der Dumme.
Dr. Matthias Koch
mahlt zuerst“. Ein genereller „Bestandsschutz“ in dem Sinne, dass später heranrückende Nutzungen sich immer und allzeit mit dem vorhandenen Gewerbebetrieb einschließlich seiner Emissionen und Gefahrenpotentiale abfinden müssten, wird nicht anerkannt. Wer genehmigt eine gewerbliche und industrielle Anlage betreibt, die emittiert oder auch wegen potentieller Störungsgefahren besonderen Einschränkungen unterliegt, muss den gesetzlich und nach sicherheitstechnischer Beurteilung erforderlichen Schutz und damit verbundene Belastungen tragen und hinnehmen, soweit dies erforderlich ist, um tatsächlich vorhandene andere Nutzungen im Einwirkungsbereich zu schützen. Und zwar selbst dann, wenn diese erst in jüngerer Zeit genehmigt worden sind. Das kann teuer sein und werden.
Die Rechtslage im konkreten Fall war kompliziert. Einerseits sehen die EURegelungen, speziell die SevesoRichtlinie und die zur Umsetzung erlassene 12. BImSchV, bei Verwendung dort genannter Schadstoffe Schutzmaßnahmen, Kontrollmaßnahmen und Einschränkungen vor. Jedenfalls muss der Anlagenbetreiber mit Blick auf mögliche Gefahren und mögliche Schadensauswirkungen erforderliche Vorkehrungen treffen. Diese werden umso teurer und umfangreicher sein, je näher eine schutzbedürftige Nutzung, vor allem der Aufenthalt von Menschen, ist.
Im Falle der Aufstellung eines Bebauungsplanes durch die Gemeinde waren solche möglichen Auswirkungen bereits an er kanntermaßen stets zu prüfen. Anders war die deutsche
DEUTSCHES BAUPLANUNGSRECHT UND EUROPARECHT (SOG. „SEVESO-RICHTLINIE“)
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baubehördliche Genehmigungspraxis und Rechtsauslegung in jenen Fällen, in denen für ein Gebiet überhaupt kein Bebau ungsplan erlassen war, sondern es sich um den sogenannten „unbeplanten Innenbereich“, handelte. Hier war bisher Verwal tungspraxis, dass die konkrete Baugeneh mi gung s-behörde nicht gezielt die Einhaltung der aus den immissionsschutzrechtlichen Regelungen folgenden angemessenen Abstände zu prüfen, sondern diesen Rechtsbereich außer Betracht zu lassen hatte. Dies galt auch dann wenn – wie im konkreten Fall im Laufe des Prozesses gutachtlich ermittelt – der neu anzusiedelnde Betrieb innerhalb des Auswirkungsbereichs einer potentiell gefährlichen Anlage lag.
Der Instanzenzug beeindruckt: der beantragte Vorbescheid wurde zunächst erteilt, auf den Widerspruch des Betreibers der bestehenden Anlage jedoch aufgehoben. Die hiergegen gerichtete Klage war in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht und in zweiter Instanz vor dem Verwaltungsgerichtshof erfolgreich. Der Rechtsstreit gelangte dann in dritter Instanz zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), und dieses legte wegen der europarechtlichen Frage die Sache dem EuGH vor. Der Gewinner eines jeweiligen Verfahrensstadiums wird sehr leicht die „Instanzenseligkeit“ bedauern oder darüber empört sein. Wer hingegen verloren hat, hört doch so manches Mal erfreut davon, man könne noch ein Rechtsmittel einlegen.
Im konkreten Verfahren hat der EuGH auf Anfrage des BVerwG „nur“ zur Berechtigung der Auslegung deutschen Rechts am Maßstab europäischer Vorschriften Stellung genommen; das Ergebnis muss nunmehr das BVerwG auswerten. Es lautet: Nicht nur bei dem Erlass von Bebauungsplänen, sondern auch bei konkreten baubehördlichen Be-scheiden (Vorbescheiden oder Baugenehmigungen müssen die Regelungen der immissionsschutzrechtlichen Störfall-verordnung (12. BImSchV) geprüft und die Auswirkungen in eine Abwägung eingestellt werden. Es ist nicht etwa so, dass jegliche Neubebauung auch im Auswirkungs bereich eines gefährlichen Betriebes unzulässig sei. Die beteiligten Interessen müssten nur eben geklärt, identifiziert und abgewogen werden.
Für das konkrete Verfahren ist damit zu rechnen, dass nunmehr das BVerwG die Entscheidung des Verwaltungsgericht hofs aufheben und den Rechtsstreit (erneut) an den Verwaltungsgerichtshof zurückverweisen dürfte. Es spricht jeden falls viel dafür, dass die erforderliche Sachverhalts
ermittlung bei der Einbeziehung der Auswirkungen der Störfall ver ordnung und die Abwägung der berührten Interessen Fragen der Tatsachenermittlung und damit nicht dem BVerwG zugewiesen sind. Die Kette der berührt befassten Instanzen wird sich also möglicherweise noch verlängern.
Abwägung auch bei Bauvorhaben im unbeplanten InnenbereichPraktiker haben darauf verwiesen, dass nunmehr die Bau-ordnungsbehörden (Kreise bzw. Städte) in Fällen von Bau-genehmigungsverfahren im „unbeplanten Innenbereich“ schwieriges Immissionsschutzrecht zu beachten haben werden, zu dessen Anwendung ihnen bisher Routine und Erfahrung fehlt. Weiterhin erhöhen sich das Streitpotential und die Unsicherheit. Denn auch dann, wenn das Bauvorhaben im räumlichen Auswirkungsbereich des fraglichen, der Störfallverordnung unterliegenden Betriebes liegt, ist nicht allein deswegen gleichsam automatisch eine Baugenehmigungen zu verweigern. Die Verpflichtung zur Wahrung angemessener Abstände sei – so der EuGH – nicht absolut und gleichsam nach Entfernung zwingend. Die erforderlichen Abstände müssten „anhand aller maßgeblichen Faktoren“ festgelegt werden, und bei der entsprechenden Risikobewertung seien die Abstände neben anderen Faktoren zu berücksichtigen.
Dem juristischen Praktiker bleibt dann nur der Hinweis: Wo in solcher Weise abzuwägen ist, da ist das Ergebnis kaum vorhersehbar. Für Unternehmen, deren Betriebsstätten der Störfallverordnung unterliegen, dürfte jedenfalls der Ratschlag gelten, vorsorglich die Bauordnungsbehörden ausdrücklich auf die immissionsschutzrechtliche Beurteilung aufmerksam zu machen mit der weiteren Aufforderung, das Unternehmen bei sämtlichen Bauvorhaben, die in dem möglicherweise relevanten Umkreis beabsichtigt werden, förmlich am Genehmigungsverfahren zu beteiligen.
Dr. Egon Peus
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In unserer Mandanteninformation vom Dezember 2011 berichteten wir über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Juni 2011 (Rs. C260/09). Das Gericht hatte entschieden, dass die europäischen Kartellvorschriften dem Recht eines Kartellopfers auf Akteneinsicht in Unterlagen von Kronzeugen nicht entgegenstehen und übertrug die Entscheidungsgewalt über den konkreten Umfang des Zugangs den nationalen Rechtsprechungsinstanzen. Diese hätten im jeweiligen Einzelfall zwischen den Interessen, die die Einsicht in die Unterlagen rechtfertigen und denen, die dem Schutz der vom Kronzeugen freiwillig vorgelegten Informa tionen dienen, abzuwägen
Versagung der Akteneinsicht bei Gefährdung des Untersuchungszwecks Nunmehr ist die erste Anwendung dieser Grundsätze in einem Beschluss des Amtsgerichts Bonn (AG Bonn) vom 18. Januar 2012 (Az.: 51 Gs 53/09) erfolgt. Das Gericht versagte einem durch ein Kartell Geschädigten die Einsicht in Unterlagen, die ein Teilnehmer des Kartells als Kornzeuge dem Bundeskartellamt zum Erlass oder Reduzierung von Kartellbußgeldern übergeben hat. Der Beschluss ist unanfechtbar.
Hintergrund dieser Entscheidung ist ein Bußgeldverfahren aus dem Jahr 2008. Das Bundeskartellamt hatte gegen mehrere Hersteller von Dekorpapieren Geldbußen wegen Preis und Kapazitätsstilllegungsabsprachen in Höhe von insgesamt über 60 Mio. EUR verhängt. Im Rahmen des Ermittlungs-verfahrens wurden von mehreren der Kartellanten – in der Hoffnung, einen Erlass oder eine Reduktion der Geldbußen zu erwirken – als Kronzeugen Bonusanträge gestellt und dem Amt umfangreiche Unterlagen zur Aufdeckung des Kartells übergeben (sog. „Bonusregelung“). Dies nahm ein Kunde der Kartellteilnehmer zum Anlass eine Schadens
ersatzklage vorzubereiten und beantragte Einsicht in die Verfahrensakte des Bundeskartellamts, um Beweise für den eigenen Zivilprozess zu erlangen. Das Amt ist zwar grundsätzlich zur Einräumung von Akteneinsicht gegenüber den Opfern eines Kartells verpflichtet, wollte aber in diesem Fall zum Schutz der Effektivität der Bonusregelung, in die von den Kronzeugen zur Verfügung gestellten Unterlagen keine Akteneinsicht gewähren. Daraufhin klagte der geschädigte Kunde vor dem AG Bonn auf Akteneinsicht. Nachdem das Verfahren dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt wurde und dieser, wie dargestellt entschied, oblag es nun wieder dem Amtsgericht zwischen dem Akteneinsichtinteresse und dem Schutz der Effektivität der Bonusregelung abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen.
Das Gericht begründet seinen Beschluss damit, dass Akteneinsicht versagt werden kann, soweit der Untersuchungs-zweck von Ermittlungshandlungen – auch in einem anderen Verfahren – gefährdet erscheint. Dies wäre der Fall, wenn ein Kartellopfer Einsicht in Bonusanträge von Kronzeugen nehmen könnte, da dann das Bundeskartellamt der Aufgabe der Aufdeckung und Verfolgung nicht mehr effektiv nachkommen könne. Nach der Entscheidung darf angenommen werden, „dass in diesem Fall ein an einer wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung Beteiligter sich künftig davon abhalten lässt, von der Bonusregelung Gebrauch zu machen.“ Gerade die Bekämpfung von besonders für den Wettbewerb schädlichen
„Hardcore-Kartellen“ (z. B. Preisabsprachen), die sorgfältig geplant und durchgeführt werden, ist ohne Kronzeugen, die sich zur umfassenden Kooperation mit dem Amt entscheiden, um einen Erlass oder die Reduzierung der Geldbuße zu erwirken, nur schwer möglich. Vielfach erlangt das Bundeskartellamt erst durch diese „Whistleblower“ Kenntnis von der Existenz einer wettbewerbswidrigen Absprache.
BUNDESKARTELLAMT KANN KARTELLOPFERN WEITER AKTEN-EINSICHT IN UNTERLAGEN VON KRONZEUGEN ZUR VORBEREITUNG VON SCHADENSERSATZANSPRÜCHEN VERWEIGERN
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KARTELLRECHT
Entscheidung über Zugang zu Akten vom Einzelfall abhängigDer Beschluss des Amtsgerichts Bonn ist von enormer praktischer Bedeutung für das „private enforcement“ im Kartellrecht. Durch Kartelle geschädigte Unternehmen, die Schadensersatz von Kartellanten verlangen möchten, können sich zwar zum Nachweis des Kartellverstoßes auf die Entscheidung der Kartellbehörde berufen, die für den Zivilrichter bindend sind. Die Kläger müssen aber vor allem hinsichtlich der Schadenshöhe und Kausalität schlüssig vortragen und beides auch beweisen, soweit der Beklagte – und davon wird auszugehen sein – den Tatsachenvortrag bestreit. Kartellopfer versuchen daher Zugang zu den Akten des Amtes zu erhalten, um Beweise für die eigene Position zu gewinnen.
Kartellopfer mögen den Beschluss daher als Rückschlag verstehen. Gleichwohl führt das Gericht aus, dass der Sachverhalt bei Beweismitteln, die ohnehin bereits bei den Kartellbehörden vorhanden waren und keine Geschäfts oder Betriebsgeheimnisse der Kartellanten enthalten, anders ge lagert sei. Für diese Fälle ist anzunehmen, dass Akteneinsicht gewährt wird. Kartellgeschädigte Unternehmen sollten daher stets die Erfolgsaussichten von zivilrechtlichen Schadensersatzklagen gegen Teilnehmer von Kartellen prüfen und beim Amt zu diesem Zweck Akteneinsicht beantragen, um soweit möglich an weitere Informationen und Beweise zu kommen. Letztendlich hängt die Entscheidung über den Zugang zu Akten der Kartellbehörden vom jeweiligen Einzelfall ab und sollte nicht unversucht gelassen werden. Es ist daher davon auszugehen, dass künftig noch weitere Entscheidungen über Gesuche auf Akteneinsicht ergehen und Klagen gegen Kartelle auf Schadensersatz zunehmen.
Dr. Andreas Lotze / Dr. Markus Segeth
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VERGABERECHT
Ein neues Jahr birgt für alle, die mit dem Vergaberecht befasst sind, immer die spannende Frage, ob sich die Wertgrenzen und EUSchwellenwerte geändert haben. Insofern ist das Jahr 2012 ein ganz besonderes, denn es hat sich viel getan. Wir wollen Ihnen nachfolgend die neuen monetären Maßstäbe für die Wahl der Verfahrensarten in NRW einmal zusammenfassen:
Neue EU-Schwellenwerte Mit der Verordnung VO (EU) Nr. 1251/2011 vom 30.11.2011 hat die EUKommission neue Schwellenwerte veröffentlicht, ab denen grundsätzlich ab dem 01.01.2012 EUweite Ausschreibungen durchzuführen sind. Sie lauten:Bauaufträge ohne Unterscheidung des Auftraggebers: 5.000.000 €Liefer- und Dienstleistungsaufträge• vonoberstenu.oberenBundesbehörden: 130.000€• vonallgem.öffentlichenAuftraggebern: 200.000€• vonSektoren-Auftraggebern: 400.000€
Entscheidend sind immer die geschätzten NettoAuftragswerte.
Die Änderung der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV) ist am 22.03.2012 in Kraft getreten. Damit gelten die neuen Schwellenwerte – über den SektorenBereich, in dem sie schon seit dem 01.01.2012 Wirkung entfaltet haben, hinaus – nun auch in Deutschland.
Neue Wertgrenzen unterhalb der SchwellenwerteFür die Verfahrenswahl im Bereich unterhalb der EUSchwellen werte gibt es seit langem über Ministerialerlasse besondere Vereinfachungen. Diese werden nahezu jährlich für die unterschiedlichen Verwaltungsebenen angepasst. So auch in diesem Jahr. Es gelten die nachfolgenden Wertgrenzen:
Zunächst der Baubereich: Auf der Ebene des Bundes wird § 3 Abs. 3, 5 Vergabe und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A direkt angewendet. Hiernach ergibt sich das folgende Bild: Freihändige Vergabe: bis 10.000 €Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb:• fürTief-,VerkehrswegeundIngenieurbau: bis150.000€• fürAusbaugewerke(ohneEnergieundGebäudetechnik), Landschaftsbau und Straßenausstattung: bis 50.000 € • füralleübrigenGewerke: bis100.000€Für eine Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb können die doppelten Werte angesetzt werden.
Auf Landesebene gilt über den ministerialen Runderlass vom 23.12.2010 dasselbe. Die kommunale Ebene weicht hiervon aber erheblich ab. Nach dem ministerialen Runderlass vom 13.12.2011 gilt:Freihändige Vergabe: bis 100.000 €Beschränkte Ausschreibung stetsohne Teilnahmewettbewerb bis 1.000.000 €.
Jetzt zum Dienstleistungs- und Lieferbereich: Die Bundesebene kann sich auf keine besonderen Wertgrenzen für die Verfahrenswahl berufen. Die Landesebene kann auf Folgendes abstellen:Direktkauf: bis 500 € Freihändige Vergabe: bis 15.000 €Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb: bis 50.000 €Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb: bis 100.000 €
Der kommunale Bereich wird auch hier besser gestellt. Direktkauf: bis 500 € Freihändige Vergabe: bis 100.000 € Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb: bis 100.000 €
Dr. Stefan Mager
NEUE WERTGRENZEN UND SCHWELLENWERTE
Albert Einstein erhielt 1921 unter anderem für seine Entdeckung des „Gesetzes des photoelektrischen Effekts“ den Nobelpreis für Physik. Damit hat Einstein einen wesentlichen wissenschaftlichen Beitrag für die Nutzung von regenera-tiven Energien geleistet, die in Zeiten der Energiewende eine immer wichtigere Rolle spielen. Obwohl die Photovoltaik in Deutschland nur einen relativ geringen Beitrag zur Gesamtstromerzeugung liefert (2 % im Jahr 2010), stellt sie eine nicht zu unterschätzende Größe der deutschen Wirtschaft dar. Ende 2010 waren etwa 15.000 Solarunternehmen in Deutschland angesiedelt (davon rund 350 Produzenten), so dass diese Branche ca. 150.000 Personen beschäftigte.
Ob es in Einsteins Sinne gewesen wäre, eine Solarstroman-lage auf seinem mittlerweile denkmalgeschützten Sommerhaus im brandenburgischen Caputh zu installieren, ist nicht bekannt. Ein ähnliches Vorhaben wollte jedoch eine Kirchen -gemeinde in Baden-Württemberg umsetzen und auf dem Dach ihrer ebenfalls denkmalgeschützten Pfarrscheuer eine Photovoltaikanlage errichten.
Der Antrag auf Erteilung einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung wurde von der zuständigen Behörde unter anderem mit der Begründung abgelehnt, die Belange des Denkmalschutzes an der Erhaltung des Erscheinungsbildes überwögen das Interesse der Kirchengemeinde an der En ergie gewinnung durch die Photovoltaikanlage. Die Widerspruchsbehörde war zudem der Ansicht, dass die Beein-trächtigung der Pfarrscheuer erheblich sei und wies den Widerspruch zurück. Die gegen diesen Widerspruchs be scheid erhobene Klage hatte ebenfalls keinen Erfolg, so dass die Klägerin Berufung beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg einlegte. Sie war der Ansicht, dass keine
wesentliche Beeinträchtigung vorliege und des Weiteren die Vorbelastung durch die im Umland zahlreich vorhandenen Photovoltaikanlagen berücksichtigt werden müsse. Schließlich greife die Ablehnung der beantragten Genehmigung in das Grundrecht der Religionsfreiheit ein, da die Errichtung von Photovoltaikanlagen auf kirchlichen Dächern unter dem Schutz der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG) gewährleisteten Glaubens und Religionsfreiheit stehe. Ergänzt werde dieser durch das in Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV) garantierte kirchliche Selbst be-stimmungsrecht.
Klimaschutz als Staatszielbestimmung im Denkmalschutzrecht abwägungsrelevantDer VGH stellte in seinem Urteil klar, dass eine denkmalschutzrechtliche Genehmigung nur dann zu versagen sei, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Kulturdenkmals vorliege und höherrangiges Recht, insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, keine abweichende Entscheidung gebiete. Dies sei der Fall, wenn der Gesamteindruck von dem Kulturdenkmal empfindlich gestört und diese erhebliche Beeinträchtigung deutlich wahrnehmbar und vom Betrachter als belastend empfunden wird. Hierbei ist das Empfinden des für die Belange des Denkmalschutzes aufgeschlossenen Durchschnitts be-trachters entscheidend. Dieser Maßstab sei jedoch kein statischer, sondern dynamisch, da sich das Empfinden des Durchschnittsbetrachters im Laufe der Zeit wandele. Dadurch, dass in den letzten Jahren Photovoltaikanlagen auf Dächern
– gerade auch auf Scheunendächern – in so großer Zahl errichtet wurden, gehörten derartige Anlagen in ländlich strukturierten Gegenden heute zum normalen Er-scheinungsbild. Es sei ein Gewöhnungseffekt einge treten,
EINE SOLARSTROMANLAGE AUF DEM EINSTEINHAUS UND DIE GEWINNUNG REGENERATIVER ENERGIEN ALS RELIGIONSAUS-ÜBUNG? – DIE BEDEUTUNG DER STAATSZIELBESTIMMUNG DES KLIMASCHUTZES IM PLANUNGSVERFAHREN
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ENERGIERECHT
Dass ein Unternehmen der Energiebranche heutzutage noch Reklame für Atomkraft oder die Stein und Braunkohleförderung machen würde, ist schwer vorstellbar und auch ein entsprechender neuer „Energiepolitischer Appell“ in den großen Tageszeitungen ist derzeit nicht zu erwarten. Vielmehr dominieren Werbefilme und prospekte im Bereich der Produktion und Förderung von Energieträgern für ver heißungsvolle Anlageprojekte in Windkraft oder Solaran lagen, die die Bürger zu Investitionen anregen sollen.
Einen völlig neuen Weg der offensiven Bürgerbeteiligung und aufklärung geht nun ein großer USamerikanischer Mineralölkonzern. Dieser hat unter anderem zur Hauptsendezeit im öffentlichrechtlichen Fernsehen einen TVSpot
geschaltet, um die Akzeptanz der umstrittenen Förder me-thode von unkonventionellen Erdgasvorkommen, dem sogenannten „hydraulic fracturing“ oder kurz „Fracking“, in der Bevölkerung zu steigern. Sie steht dem noch weitgehend unbekannten (aber bereits seit den sechziger Jahren praktizierten) Bohrverfahren zur Förderung von Erdgas zumeist skeptisch gegenüber und auch objektiv geben die eingesetzten Stoffe zumindest im Ansatz Grund zur Besorgnis, ob eine Belastung der Umwelt und besonders des Grundwassers gänz lich ausgeschlossen werden kann.
Fracking genehmigungsbedürftig nach BundesbergrechtBei der Förderung konventioneller Gasvorkommen werden Gasblasen in Gesteinsschichten angebohrt und das dort
DIE FÖRDERUNG UNKONVEN TIONELLER ERDGASVORKOMMEN IN DEUTSCHLAND
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der durch die gewandelten Anschauungen über die Notwen-digkeit der vermehrten Nutzung regenerativer Energien und die damit einhergehende positive Grundeinstellung des Durchschnittsbetrachters zu dieser Form der Energiegewinnung noch verstärkt werde. Die Behörden hätten zudem die in Art. 20 a GG und der Landesverfassung verfassungsrechtlich verankerte Staatszielbestimmung des Klimaschutzes übersehen und dies nicht in ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigt. Den Belangen des Denkmalschutzes gebühre nicht automatisch der Vorrang gegenüber den Belangen des Klimaschutzes. Die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentümerbefugnisse würden so gestärkt und seien von der Genehmigungsbehörde entsprechend zu berücksichtigen.
Aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und der Re ligionsfreiheit ergeben sich entgegen der Ansicht der Kirchen gemeinde jedoch keine weitergehenden Anforde-rungen, da die Gewinnung regenerativer Energien, auch wenn sie religiös motiviert sein möge und unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Schöpfung erfolge, keine Religions-ausübung darstelle. Das kirchliche Eigentum sei gegenüber denkmalschutzrechtlichen Maßnahmen durch Art. 14 GG nicht anders als das Eigentum Privater geschützt.
Wachsender Stellenwert der Erneuerbaren EnergienDer VGH BadenWürttemberg gab der Genehmigungsbehörde auf, den Antrag unter Berücksichtigung seiner Rechts
auffassung neu zu bescheiden. Die Entscheidung zeigt, dass die zumeist als stumpfes Schwert empfundene Staatsziel-bestimmung des Art. 20 a GG und die analog in den Landesverfassungen ausgestalteten Normen auch im Anwendungs-bereich des einfachen Rechts eine große Bedeutung haben. Auch wenn Gerichte in älteren Urteilen bei ähnlich gelagerten Fällen zumeist zugunsten des Denkmalschutzes entschieden haben, zeichnet sich eine Wende in der Rechtsprechung ab, mit der den Erneuerbaren Energien ein wach sender Stel-lenwert eingeräumt wird und dies auf zahlreiche Rechtsgebiete ausstrahlt. Die grundlegenden Wertungen des dieses VGHUrteils sind auf andere Anlagen zur Erzeugung von Erneuerbaren Energien übertragbar, so dass im Falle einer planungsrechtlichen Kollision mit dem Denkmalschutz, und auch in Bezug auf umweltschutzrechtliche Belange, die Abwägung jedenfalls nicht zwingend zulasten der Windkraft-anlage oder des Solarparks ausfällt.
Angemerkt sei, dass bei der Bewertung, ob Solaranlagen auf denkmalgeschützten Gebäuden zulässig sind, immer auch die nähere Umgebung mit in den Entscheidungsprozess ein-zubeziehen ist. Unter dieser Prämisse wird nach unserer Einschätzung der Bau einer Solaranlage auf dem Einsteinhaus in Caputh wegen dessen solitärer Lage nicht zu erwarten sein.
Dr. Christian Stenneken / Christoph Schmidt
la ger nde Gas an die Oberfläche gefördert. Die in Deutschland in größerer Zahl vorhandenen unkonventionellen Lagerstätten sind mit der herkömmlichen Technik jedoch nicht zu erschließen. Das Gas ist in Ton-, und Schiefer-gestein oder Kohleflözen gespeichert und muss hydrau-lisch aufgebrochen werden, um Fließwege zur Bohrung zu schaffen. Die durch die Bohrung erzeugten Risse werden sodann mit einem Gemisch aus Wasser (98 %), Sand (1,8 %) und Chemikalien (0,2 %) erweitert und zur Förderung des Erdgases offen gehalten. Bei einer in Damme (Niedersachsen) realisierten Frac-Bohrung wurden so fast 12.000 m³ Wasser, ca. 210 m³ Sand und 24.000 l Additive verpresst. Zurzeit werden noch mindestens vier der eingesetzten Stoffe als giftig qualifiziert. Von der eingesetzten FracFlüssigkeit wird nach Abschluss des Vorgangs etwa 60 % wieder an die Oberfläche gefördert und dort aufgefangen.
Die Förderung des unkonventionellen Erdgases als Kohlenwasserstoff unterliegt den Genehmigungsvoraussetzungen des Bundesberggesetzes („BBergG“). Zur Aufsuchung und der Gewinnung von Bodenschätzen sind verschiedene Genehmigungen, für die Aufsuchung eine Erlaubnis und für die Gewinnung eine Bewilligung, erforderlich. Neben diesen bedarf es weiterhin der Genehmigung eines berg-rechtlichen Betriebsplans durch die zuständige Behörde sowie grundsätzlich einer wasserrechtlichen Erlaubnis nach dem Wasserhaushaltsgesetz („WHG“). Fracking ist nach Einschätzung der Bundesregierung in Wasserschutzgebieten unzulässig – in Schutzzonen der Klassen I und II könne eine Genehmigung von vornherein nicht erteilt werden.
Derzeit keine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlichEine Umweltverträglichkeitsprüfung („UVP“), die unter anderem eine Beteiligung der Öffentlichkeit nach § 9 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung („UVPG“) beinhalten würde, ist beim Fracking hingegen (noch) nicht erfor-derlich. Für die Gewinnung von Erdgas zu gewerblichen
Zwecken ist eine solche erst ab einem Fördervolumen von mehr als 500.000 m³/ Tag durchzuführen. Eine so große Menge von unkonventionellem Erdgas wird in Deutschland jedoch nicht gefördert, so dass die Genehmigung des Betriebsplans einer einzigen Behörde obliegt und keine um-fassende Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt wird.
Deren Einführung ist jedoch Gegenstand wissenschaftlicher und politischer Diskussion. Dabei werden verschiedene Ansätze verfolgt: Zum einen wird eine Novellierung des Berg-rechts in Erwägung gezogen. Ein entsprechender Antrag wurde nach erster Beratung im Bundestag Ende Januar 2011 an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Weiterhin wurde eine Gesetzesinitiative zur Änderung der Umweltverträg-lichkeitsprüfungsverordnung Bergbau („UVP-V Bergbau“) über den Bundesrat eingebracht. Auch diese kurzfristiger umzusetzende Alternative wird jedoch zurzeit noch beraten. Das Land Nordrhein-Westfalen hingegen hat im November 2011 durch einen Erlass auf die unklare umweltpolitische Debatte reagiert und zunächst alle Fracking-Bohrungen sowie die direkte oder indirekte Vorbereitung solcher Bohrungen bis zum Sommer dieses Jahres untersagt. Hintergrund ist ein von der Landesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten zu den langfristigen Folgen der Fracking-Me-thode für Mensch und Umwelt, das bis zu diesem Zeitpunkt vorliegen soll.
Fracking ist ein sowohl politisch als auch gesellschaftlich hochbrisantes Thema und es bleibt abzuwarten, wie auf die neuen Herausforderungen reagiert wird. Auch auf Seiten der Unternehmen, die das unkonventionelle Gas in Deutschland fördern wollen, wird mit Nachdruck an einer Verbesserung der Technik gearbeitet; die für das Verfahren benötigten Chemikalien werden schrittweise durch neutrale Stoffe ersetzt und wurden bereits von sieben auf vier verringert.
Dr. Christian Stenneken / Christoph Schmidt
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Auch in diesem Jahr finden wieder die beliebten Arbeitsfrühstücke des Fachbereichs Arbeitsrecht statt. Anfang Mai 2012 werden Rechtsanwältin Inken Hansen und Rechtsanwalt Dr. BastianPeter Stenslik in Bochum und in Essen „Aktuelles aus dem Kündigungsschutzrecht“ vortragen. Die genauen Daten und Veranstaltungsorte folgen in Kürze auf unserer Internetseite. Über Ihr Interesse an dieser Veranstaltung würden wir uns sehr freuen. Anmeldungen per eMail nimmt Frau Gehrke ([email protected]) bereits jetzt gerne entgegen.
Rechtsanwalt Dr. Andreas Lotze wird am 15. Mai 2012 auf einer Veranstaltung des Bundesverbandes für Energie und Wasserwirtschaft in Mainz einen Vortrag halten. Das Thema lautet „Neue Wassertarif-Modelle – Externe Unterstützung im Projektmanagement“
Am 22. Mai 2012 trägt Rechtsanwalt Dr. Matthias Koch bei der IHK Bochum zum Thema „Praxisrelevante aktuelle Rechtsprechungsentwicklungen im Gewerberaummietrecht“ vor.
AKTUELLE VERÖFFENTLICHUNGEN
Dr. Stefan Mager „Neue Maßgaben zur InhouseVergabe und zu den Anforderungen vergabefreier Vertragsänderungen“, Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht 2012, Seite 25 ff.
Dr. Bastian-Peter Stenslik/ „Die Rechtsprechung des EGMR zum kirchlichen Arbeitsrecht“,Dr. Stephan Fahrig Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht, Heft 2/2012
Dr. Marco Krenzer „Für Vertragsstrafen gelten Obergrenzen“, Gastbeitrag Immobilien Zeitung 15.03.2012, Ausgabe 11/2012, Seite 13
Silke Herbst „Stundenlohnarbeiten – Voraussetzungen und Schwierigkeiten einer Abrechnung auf Stundenlohnbasis“, Gastbeitrag Deutsches Baublatt, Ausgabe vom 10.04.2012
In den einzelnen Beiträgen können die angesprochenen Themen nur schlagwortartig und in gedrängter Kürze dargestellt werden. Die Lektüre ersetzt also in keinem Fall eine gründliche Rechtsberatung! Sollten Sie feststellen, dass Sie im Einzelfall Beratungs oder Handlungsbedarf haben, so bitten wir Sie, Ihren vertrauten Anwalt bei AULINGER Rechtsanwälte anzusprechen oder sich an eines unserer Büros in Bochum oder Essen zu wenden.
Für Fragen, Anregungen und Kritik zu diesem Mandantenrundschreiben stehen wir alle Ihnen gern zur Verfügung. Redaktion: Dr. Markus Haggeney / Dr. Marco Krenzer
VERANSTALTUNGEN (SEMINARE ETC.) UNTER BETEILIGUNG VON REFERENTEN VON AULINGER RECHTSANWÄLTE