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Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Masterstudiengang: Master of Education (GHR) Fächerkombination: Germanistik und Sachunterricht MASTERARBEIT Titel: „Beobachtungsstudie zum Vergleich des kognitiven Lernzuwachses von Grundschulkindern zweier Parallelklassen durch Lernen mit exemplarisch ausgewähltem Handlungsmaterial der Lernwerkstatt RÖSA und vorwiegend Lernen mit Arbeitsblättern.“ vorgelegt von: Manuela Freese Betreuende Gutachterin: Prof. Dr. Astrid Kaiser Zweite Gutachterin: Dr. Claudia Schomaker Oldenburg, 15.08.2009

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Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Masterstudiengang: Master of Education (GHR) Fächerkombination: Germanistik und Sachunterricht

MASTERARBEIT

Titel: „Beobachtungsstudie zum Vergleich des kognitiven

Lernzuwachses von Grundschulkindern zweier Parallelklassen durch Lernen mit exemplarisch

ausgewähltem Handlungsmaterial der Lernwerkstatt RÖSA und vorwiegend Lernen mit Arbeitsblättern.“

vorgelegt von: Manuela Freese

Betreuende Gutachterin: Prof. Dr. Astrid Kaiser Zweite Gutachterin: Dr. Claudia Schomaker

Oldenburg, 15.08.2009

INHALTSVERZEICHNIS 1. Problemstellung ............................................................................... 3

2. Stand der Forschung ....................................................................... 8

3. Design der eigenen Untersuchung ................................................. 20

3.1 Fragestellung und Umsetzung im Design ................................. 20

3.2 Stichprobe und Modalität der Datenerhebung .......................... 21

3.3 Erhebungsmethoden ................................................................ 25

3.3.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung ....................... 26

3.3.2 Die schriftliche Befragung ........................................... 29

3.3.3 Das Experteninterview ................................................ 31

3.4 Auswertungsmethoden ............................................................. 33

3.4.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung ....................... 33

3.4.2 Die schriftliche Befragung ........................................... 33

3.4.2 Das Experteninterview ................................................ 36

4. Darstellung der Ergebnisse ............................................................ 38

4.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung .................................... 38

4.2 Die schriftliche Befragung ......................................................... 42

4.3 Das Experteninterview .............................................................. 50

5. Interpretation der Ergebnisse ......................................................... 52

5.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung .................................... 52

5.2 Die schriftliche Befragung ......................................................... 58

5.3 Das Experteninterview .............................................................. 61

6. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ............................... 62

7. Quellen- und Literaturverzeichnis .................................................. 66

8. Anhang .............................................................................................. 70

2

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Triangulation verschiedener qualitativer Methoden .................... 25

Abbildung 2: Gebräuchliche Bezugspaare nach ATTESLANDER (2000) ........... 29

Abbildung 3: Ablaufmodell induktiver Kategorienbildung nach MAYRING ........ 34

Abbildung 4: Tabellarische Übersicht beispielhafter Kategorien und

Ankerbeispiele der Untersuchung .............................................. 36

Abbildung 5: Kategorisierung der Schülerantworten zur Frage: „Das habe ich in

der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“ (Arbeitsblattunterricht) . 43

Abbildung 6: Kategorisierung der Schülerantworten zur Frage: „Das habe ich in

der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“

(Handlungsorientierter Unterricht) ............................................ 44

Abbildung 7: Tabellarische Gegenüberstellung der Ergebnisse der beiden

Experimentalgruppen nach der ersten Fragebogenerhebung .... 45

Abbildung 8: Kategorisierung der Schülerantworten der zweiten

Fragebogenerhebung (Arbeitsblattunterricht) ............................ 46

Abbildung 9: Kategorisierung der Schülerantworten der zweiten

Fragebogenerhebung (Handlungsorientierter Unterricht) ........... 47

Abbildung 10: Tabellarische Gegenüberstellung der Ergebnisse der beiden

Experimentalgruppen nach der zweiten Fragebogenerhebung... 48

Abbildung 11: Vergleich der Anzahl der Wissenselemente der

Experimentalgruppen (Handlungsorientierter vs.

Arbeitsblattunterricht) bei der 1. und 2. Befragung ..................... 49

Abbildung 12: Tabellarische Übersicht der teilnehmenden Schüler/innen

an der Untersuchung ................................................................. A22

3

1. Problemstellung

Wenn wir uns zurück an unsere Grundschulzeit erinnern und dabei insbesondere an

den Sachunterricht denken, werden wir uns mit großer Wahrscheinlichkeit an die

Situationen erinnern können, in denen wir aktiv gehandelt bzw. praktisch gearbeitet

haben, wie zum Beispiel an das Anlegen eines Schulgartens oder an den Bau von

Vogelnistkästen. Diese aktiven Momente haben sich in unserem Gedächtnis fest

verankert und können auch nach vielen Jahren noch in Erinnerung gerufen werden.

Neben diesen handlungsorientierten Schulstunden werden ehemalige

Grundschüler/innen vielleicht auch an die zahlreichen Arbeitsblätter zurückdenken,

die Stunde für Stunde bearbeitet wurden und oftmals nur das reine Abschreiben von

vorgefertigten Merksätzen oder das stupide Einsetzen von Wörtern in die dafür

vorgesehenen Lücken in den Vordergrund stellten. Doch was in diesen

Schulstunden genau gelernt wurde, geschweige denn, wovon die Arbeitsblätter

gehandelt haben, kann oft nicht mehr wiedergegeben werden. Auch heute noch ist

diese beschriebene Form des „Arbeitsblattunterrichts“ eine weit verbreitete

Methode, um Schülern/innen Wissen anzueignen. Immer noch zu selten erhalten

handlungsorientierte Vorgehensweisen Eingang in den Sachunterricht (siehe 2.

Stand der Forschung: Untersuchung von GIEST, S. 13f.). Die Gründe, die von

Sachunterrichtslehrkräften hervorgebracht werden, sind vielfältig. So wird unter

anderem argumentiert, dass handlungsorientierter Unterricht sehr viel Zeit für die

Vor- und Nachbereitung in Anspruch nähme oder dass das Besorgen oder

Herstellen von Handlungsmaterialien ein erheblich höherer Arbeitsaufwand für

Lehrkräfte bedeute (vgl. JANK & MEYER 2002, S. 333f.). Aus diesem Grund

verwundert es nicht, wenn der eine oder andere Sachunterrichtslehrer auf das

altbewährte vorgefertigte Arbeitsblatt zurückgreift, auch wenn er dadurch seinen

Schülern/innen wertvolle und wichtige Erfahrungen durch Handlungsmaterialien

verwehrt. Und das, obwohl wir in der Praxis doch wissen „wie motivierend es ist,

wenn Kinder handeln dürfen, wenn sie selbst als Person angesprochen sind.“

(KAISER 1998, S. 3). In diesem Falle können sich Schüler/innen mit

Unterrichtsgegenständen besser identifizieren und die Verantwortung für ihren

Lernprozess übernehmen.

Bereits LAO TSE (chinesischer Philosoph) kam zu der Erkenntnis, dass Handeln

entscheidend zum Verstehensprozess beitrage und stellte die

Handlungsorientierung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen:

4

„Sag es mir, und ich werde es vergessen, Zeige es mir, und ich werde mich daran erinnern,

Beteilige mich, und ich werde es verstehen.“ (LAO TSE )

„Der Handlungsorientierte Unterricht beruft sich auf eine lange Tradition, die bis zu

Rousseaus ganzheitlichem Bildungsideal […] zurückreicht“

(http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at). Neben COMENIUS (1592-1670), der das

Lernen mit allen Sinnen forderte, sprach sich auch PESTALOZZI (1746-1827) für ein

Lernen mit Kopf, Herz und Hand aus (vgl. JANK & MEYER 2002, S. 319). Besonders

viele und wichtige Impulse gingen auch von den Reformpädagogen der

Jahrhundertwende (DEWEY, KERSCHENSTEINER, REICHWEIN usw.) aus. Diese

plädierten für ein tätiges, lebendiges und kindgerechtes Lernen und wollten die

„Schulbuchschule“ aus dem Unterricht verbannen (vgl. KAISER 1998, S. 3).

Heute finden sich in der Theorie neben zahlreichen Konzeptionen auch sehr viele

Definitionen, die einen handelnden, subjektorientierten und erfahrungsbezogenen

Unterricht beschreiben. JANK & MEYER verstehen beispielsweise unter einem

handlungsorientierten Unterricht einen „ganzheitlichen und schüleraktiven

Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer und den Schülern vereinbarten

Handlungsprodukte die Gestaltung des Unterrichtsprozesses leiten, sodass Kopf-

und Handarbeit der Schüler in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht

werden können“ (2002, S. 315). Diese Definition eines handlungsorientierten

Unterrichts schließt also jene Aspekte mit ein, die bereits von besagten

pädagogischen Klassikern und Reformpädagogen hervorgebracht wurden. ASTRID

KAISER (2004) ging noch einen Schritt weiter und ergänzte vor einigen Jahren ihren

Begriff des „handlungsorientierten Sachunterrichts“ mit dem Attribut „kommunikativ“.

Demnach können sich Bildungs- und Erkenntnisprozesse insbesondere über die

kommunikative Auseinandersetzung mit der Sache entwickeln. Eine Erweiterung,

die zu Recht erfolgte, denn wenn wir einmal an unsere handlungsorientierten

Schulstunden im Sachunterricht zurückdenken, stand das Durchführen eines

Experimentes oder einer Ortsbegehungen immer in Verbindung mit dem

kommunikativen Austausch, der sich oft im Dialog Lehrer/in und Schülern/innen, in

seltenen Fällen jedoch innerhalb der Schülergruppe äußerte (vgl. KAISER 2004,

48f.).

Schon lange wird in Fachkreisen darüber diskutiert, dass handlungsorientierte

Konzepte im Sachunterricht wirksamer und besser sind und die Schüler/innen mit

Hilfe von handlungsorientierten Materialien größere Lernerfolge erzielen. Jedoch

gibt es trotz einer „exponential anwachsenden Zahl an Konzepten, denen

5

Lernrelevanz zugeschrieben wird“ (KAISER & TEIWES 2002) nur wenige empirische

Studien, die die Wirksamkeit eines handlungsorientierten Unterrichts im Vergleich

zu einem konventionellen Unterricht dokumentieren. Daher sollen mit dieser

Interventionsstudie weitere Belege gefunden werden, die die Annahme stützen,

dass handlungsorientierter Unterricht sich positiv auf die Lernentwicklung (bzw. auf

den kognitiven Lernzuwachs) der Schüler/innen auswirkt und zu größeren

Lernerfolgen führt. Zudem soll mit dieser Untersuchung insbesondere Lehrern/innen

vor Augen geführt werden, wie effektiv der Einsatz von Handlungsmaterialien im

Vergleich zu konventionellen Unterrichtsmethoden („Arbeitsblattunterricht“) im

Sachunterricht sein kann und welche aktivierende und motivierende Wirkung der

Umgang mit handelnden Materialien für die Schüler/innen mit sich bringt. Daher soll

mit Hilfe dieser Studie der handlungsorientierte Unterricht, der ein „Konzept

zukünftigen Sachunterrichts“ (KAISER 2002, S. 170) repräsentiert, stärker in das

Bewusstsein der Lehrkräfte gerückt werden, sodass eine Steigerung der

Unterrichtsqualität erfolgen kann und damit ein Beitrag zur Verbesserung des

Bildungssystems geleistet wird.

Dieser Untersuchung liegen die Vermutungen zugrunde, …

� … dass handlungsorientierter Unterricht zu einem höheren kognitiven

Lernzuwachs bzw. zu größeren Lernerfolgen führt als das Lernen mit

Arbeitsblättern.

� … dass die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne der Schülerinnen

und Schüler beim Lernen mit handlungsorientierten Materialien länger ist als

beim Lernen mit Arbeitsblättern.

� … dass Schüler/innen durch eine aktive und selbstbestimmte

Auseinandersetzung mit den Handlungsmaterialien mehr Interesse für das

Unterrichtsgeschehen zeigen und konzentrierter und motivierter mitarbeiten.

In dieser Interventionsstudie soll der kognitive Lernzuwachses von

Grundschulkindern zweier Parallelklassen durch Lernen mit exemplarisch

ausgewählten Handlungsmaterialien und vorwiegendem Lernen mit Arbeitsblättern

verglichen werden.

Die handlungsorientierten Materialien stammen aus der Lernwerkstatt RÖSA, die

1994 an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg gegründet wurde und seit

1995 zahlreiche Handlungsmaterialien an interessierte Lehrer/innen und

Studierende verleiht. „Das Konzept der Regionalen Ökologischen

Sachunterrichtssammlung ist ein Konzept handelnden Unterrichts, welches die

SchülerInnen als selbstständige und handelnde Subjekte in den Mittelpunkt stellt.

Entdecken, Probieren, spielerisches Üben und Erfinden sowie Kreativität und

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Subjektivität können über zahlreiche Handlungsmaterialien entfaltet werden“

(KAISER 2007). Die Materialien werden in diversen Themenkisten gesammelt und

werden größtenteils aus „Wegwerfartikeln“ hergestellt. Die Handlungsmaterialien

ermöglichen den Kindern vieldimensionale Zugangsweisen zu bestimmten

Themenbereichen, wobei die individuellen Interessen und Fähigkeiten der

Schüler/innen berücksichtigt werden können (vgl. KAISER 2007).1

Wie bereits deutlich wurde, beschäftigt sich die Interventionsstudie

schwerpunktmäßig mit dem kognitiven Lernzuwachs von Schülerinnen und Schülern

zweier Parallelklassen. Die Intervention erfolgt in der Unterrichtseinheit zum Thema

„Zeit“. Außenvorgelassen werden allerdings die Präkonzepte der Kinder.

Folgende Fragestellungsaspekte werden daher bei der Untersuchung

berücksichtigt:

Lernen Kinder mit handlungsorientierten Materialien aus der Lernwerkstatt

RÖSA oder mit Arbeitsblättern intensiver, leichter und einfacher und zeigen

mehr Lernfreude?

Ist der kognitive Lernzuwachs beim Lernen mit handlungsorientierten

Materialien aus der Lernwerkstatt RÖSA oder beim Lernen mit

Arbeitsblättern am Ende der Stunde bzw. nach einer Wochen höher?

Wie bewerten Lehrkräfte das Lernen mit Handlungsmaterialien aus der

Lernwerkstatt RÖSA sowie einen damit verbundenen handlungsorientierten

Unterricht?

Im Hinblick auf die erste Fragestellung soll durch eine passiv teilnehmende

kategoriengeleitete Beobachtung ermittelt werden, bei welchem Unterrichtskonzept

die Schüler/innen konzentrierter, aufmerksamer, ausdauernder, motivierter, aktiver

(„einfacher und leichter“) und mit mehr Freude lernen. Beobachtet wird dabei eine

ausgewählte Schülergruppe beider Parallelklassen.

Des Weiteren erfolgt hinsichtlich der zweiten Forschungsfrage in beiden

Experimentalgruppen eine Fragebogenerhebung, die unmittelbar nach der

Interventionsstunde sowie nach einer einwöchigen Unterbrechung durchgeführt

wird. Die schriftliche Befragung der Grundschüler/innen soll Aufschluss darüber

geben, bei welcher Experimentalgruppe der größere kognitive Lernzuwachs zu

verzeichnen ist. Gezählt werden sollen hierbei die Wissenselemente2, die durch die

Fragebogenerhebung bei beiden Experimentalgruppen ermittelt werden.

1 Weitere Informationen zur Lernwerkstatt RÖSA unter http://www.roesa.uni-oldenburg.de/ 2 Der Begriff „Wissenselemente“ bezieht sich auf die Wiedergabe von Unterrichtsinhalten, subjektiven Erfahrungen sowie dem erlangten Erkenntniszuwachs. Eine umfangreiche Definition dieses Begriffs erfolgt in Kapitel 3.4 (Auswertungsmethoden)

7

Um herauszufinden, wie Lehrkräfte die Handlungsmaterialien der RÖSA respektive

einen handlungsorientierten Unterricht bewerten, soll ein Experteninterview mit der

Sachunterrichtslehrerin der Experimentalgruppe B geführt werden, die mit

exemplarisch ausgewählten RÖSA-Materialien zum Thema „Zeit“ arbeiten wird.

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2. Stand der Forschung

Wie bereits in der Problemstellung erwähnt wurde, gibt es zahlreiche Konzeptionen

für einen handlungsorientierten Sachunterricht „[…] denen Lernrelevanz

zugeschrieben wird, aber umso weniger empirische Untersuchungen, die

überprüfen, ob diese erwarteten Lerneffekte in der Praxis auch tatsächlich

eintreffen“ (KAISER & TEIWES 2002). Die folgende Studie von KAISER & TEIWES aus

dem Jahre 2002 konnte die Effektivität des handlungsorientierten Unterrichts und

insbesondere die aktivierende Wirkung der RÖSA-Materialien (vgl. KAISER 2007) bei

Kindern mit besonderem Förderbedarf belegen.

Im Fokus der Untersuchung, die im Rahmen des Projektes „Prävention von

Lernbehinderung“ stattfand, standen insbesondere „lernschwache“ Kinder, die beim

Umgang mit handlungsorientierten Materialien aus der Lernwerkstatt RÖSA

(Regionale Ökologische Sachunterrichtssammlung, Oldenburg) beobachtet wurden.

Ermittelt werden sollte, ob die Schüler/innen durch die Handlungsmaterialien „[…]

zum Lernen motiviert werden, inwieweit ihren Lernbedürfnissen entsprochen wird

und wo mögliche Probleme liegen“ (KAISER & TEIWES 2002). Die Ergebnisse der

Studie wurden durch eine teilnehmende Beobachtung (mit den

Beobachtungsschwerpunkten Attraktion, Motivation, Anforderung und

Qualifizierung) während des handlungsorientierten Unterrichts erhoben.

Die Beobachtungsstudie hat ergeben, dass die Materialien einen hohen Motivations-

und Aufforderungscharakter haben, die Neugierde der Schüler/innen wecken und

sie dazu anregen, sich mit den Materialien handelnd auseinander zu setzen. „Dies

sind elementar wichtige Lernvoraussetzungen, insbesondere bei „lernschwachen“

oder sogenannten lernbehinderten Kindern, da sie oft aufgrund von

Mißerfolgserlebnissen die Lust an Schule und Unterricht verloren haben“ (KAISER &

TEIWES 2002). Insbesondere naturwissenschaftliche Experimente wurden von den

Schülern/innen ausdauernd und intensiv bearbeitet und waren anregender als

sozialwissenschaftliche Themen. Daher nehmen KAISER & TEIWES (2002) an, dass

Experimente, bei denen die Kinder durch ihr Handeln selber Veränderungen

bewirken können „[…] den Bedürfnissen der „lernschwachen“ Kindern eher

entgegenkommt als die doch mehr kognitiven Zugänge der sozialwissenschaftlichen

Materialien“ (KAISER & TEIWES 2002). Des Weiteren wurde bei der

Beobachtungsstudie ermittelt, dass die Schüler/innen mit besonderem Förderbedarf

erhebliche Schwierigkeiten beim Lesen und Verstehen der Handlungsanweisungen

zeigten. Diese Probleme äußerten sich in der Form, dass die Anleitungen der

Handlungsmaterialien zu anspruchsvoll, zu lang und mit zu vielen schwierigen

Wörtern gestaltet wurden, sodass sich dieses negativ auf die Selbstständigkeit der

9

Kinder auswirkte. Während einige Schüler/innen Impulse zur Weiterarbeit von der

Lehrerin benötigten, haben andere Kinder die Handlungsmaterialien nach ihren

individuellen Vorstellungen und Ideen bearbeitet und versucht, eigene Lösungswege

zu finden.

Zudem wurde festgestellt, dass die Schüler/innen fast immer in Gruppen oder mit

einem Partner zusammengearbeitet haben. KAISER & TEIWES (2002) schließen

daraus, dass Kinder mit besonderem Förderbedarf eine Bezugsperson

(Mitschüler/innen oder Lehrer/in) suchen, die ihnen Sicherheit und Unterstützung bei

der Bearbeitung von Aufgaben geben.

„Es läßt sich folglich feststellen, dass die Handlungsmaterialien der RÖSA den

Bedürfnissen „lernschwacher“ Kinder sehr entgegenkommen. Dennoch bedarf es

einiger Veränderungen, damit selbständiges Arbeiten besser gewährleistet werden

kann und den besonderen Bedürfnissen noch stärker Rechnung getragen wird“

(KAISER & TEIWES 2002).

Neben der Untersuchung von KAISER & TEIWES (2002) konnte auch in einer

unveröffentlichten Studie von FRERICHS (2009) die Effektivität des RÖSA-Materials

und einem damit verbundenen handlungsorientierten Unterricht nachgewiesen

werden. In der Untersuchung konnte belegt werden, dass der kognitive

Lernzuwachs bei Grundschülern/innen, die zuvor mit Handlungsmaterialien der

RÖSA gearbeitet hatten, bedeutend höher war als bei einer zweiten Schülergruppe,

die im Vorfeld durch Frontalunterricht zum gleichen Unterrichtsinhalt belehrt wurde.

In einer weiteren Untersuchung hat WAGNER (1997) ausgewählte

Handlungsmaterialien der Oldenburger Sachunterrichts-Lernwerkstatt als Beitrag

zur konzeptionellen Weiterentwicklung handlungsorientierten Sachunterrichts

evaluiert. Das Ziel seiner Studie war folglich, „[…] die Untersuchung der

Beweggründe, mit den Materialien der Lernwerkstatt zu arbeiten (der subjektiv-

theoretische Hintergrund der Lehrerinnen also) und […] inwieweit die Materialien der

Lernwerkstatt zur Umsetzung des Konzeptes überhaupt geeignet sind (also die

Prüfung der Materialien anhand der Praxis)“ (WAGNER 1997, S. 72). Ermittelt

wurden die Daten mit Hilfe eines Fragebogens, wodurch Lehramtsanwärter/innen,

Studierende sowie Lehrer/innen befragt wurden. Diese bewerteten das Material der

Lernwerkstatt zumeist als praxistauglich für einen handlungsorientierten Unterricht.

Aufgrund dessen fordert WAGNER die Materialbestände der Lernwerkstatt weiter

auszubauen, um „[…] vieldimensional handlungsorientierte Zugänge zu der

Thematik […] [zu bieten], damit den Kindern ein selbsttätiges Lernen anhand der

Materialien möglich ist“ (WAGNER 1997, S. 92). Des Weiteren wurde durch die

Fragebogenerhebung deutlich, dass sich die Materialien nach seiner Deutung der

10

Aussagen der Befragten nur in begrenzter Weise für Sonderschulen sowie für die

erste und zweite Jahrgangsstufe der Grundschule eignen. WAGNER ist der Ansicht,

dass nicht alle Anleitungen der Handlungsmaterialien umgestaltet und vereinfacht

werden könnten, um den Anspruch jener Schulform bzw. Jahrgangsstufen zu

genügen. Diese Umgestaltung müsse alleine von der jeweiligen Lehrkraft initiiert

werden, so WAGNER. In Anlehnung an die Ergebnisse der Fragebogenerhebung

gelangt WAGNER zu dem Urteil, dass ein handlungsorientierter Sachunterricht…

• ganzheitlich ist

• nach dem exemplarischen Prinzip arbeitet

• forschend und entdeckend arbeitet

• Schüler/innen aktiv werden lässt

• ergebnis- und produktorientiert ist

• und die Kommunikation unter den Schülern/innen fördert (vgl. WAGNER

1997, S. 95).

WELLENREUTHER führt in seinem Buch („ Lehren und Lernen – aber wie? Empirisch-

experimentelle Forschungen zum Lehren und Lernen im Unterricht.“) drei

empirische Untersuchungen von MEYER (1997), MACKENZIE & WHITE (1982) und

AEBLI (1968) an, anhand derer die Effektivität eines handlungsorientierten

Unterrichts diskutiert wird.

MEYER (1997) hat im Rahmen eines Unterrichtsversuchs zum Thema

„Treibhauseffekt“ einen handlungsorientierten Unterricht (Projektarbeit) mit einem

Frontalunterricht verglichen. Dabei kam MEYER zu folgenden Ergebnissen: „In

beiden Versuchsgruppen konnte ein Lernerfolg festgestellt werden, allerdings war

dieser im Frontalunterricht deutlich größer. Vom handlungsorientierten Unterricht

gehen positive Effekte sowohl auf die Einstellungen als auch auf die

Handlungsbereitschaft aus“ (WELLENREUTHER 2004, S. 402f.). Dieser Befund

veranlasst WELLENREUTHER zu der Feststellung, dass der für den Lehrer hohe

Vorbereitungs- und Planungsaufwand in keiner Relation zum Unterrichtsertrag

stehe. Dieser sei nämlich im Vergleich zur direkten Instruktion eher geringer.

WELLENREUTHER ist der Ansicht, dass der „bescheidene Erkenntnisgewinn“ der

Projektgruppe (handlungsorientierter Unterricht) aus der Arbeitsteilung innerhalb der

Gruppen sowie der Herstellung und Präsentation eines Produktes resultieren würde.

Aus diesem Grund schlägt WELLENREUTHER eine Kombination von Projektarbeit und

direkter Instruktion vor, bei der seiner Einschätzung nach „[…] nachhaltiger gelernt

wird, indem das Wissen besser behalten wird und außerdem auch in gewissem

11

Umfang sinnvolle Handlungsbereitschaften entwickelt würden […]“

(WELLENREUTHER 2004, S. 403).

Die oben beschriebene Untersuchung, in dem der Projektunterricht mit einem

Frontalunterricht verglichen wurde, entspricht nur in Ansätzen einem

handlungsorientierten Unterricht. In MEYERS (1997) Unterrichtsversuch konnte die

Effektivität dieses Unterrichtskonzepts womöglich aus dem Grunde nicht

nachgewiesen werden, da die Herstellung eines „Umweltdrachens“ nicht gerade das

Interesse jeder Schülerin bzw. jedes Schülers weckte, sodass sich nicht unmittelbar

jedes Kind zur Gruppenarbeitsphase motivieren und einbringen konnte. Zudem

wurde den Schüler/innen durch die kurze Präsentationsphase der

Gruppenergebnisse nur in begrenztem Umfang Wissen präsentiert, wodurch

Informationen nicht vollständig verstanden und behalten werden konnten.

WELLENREUTHERS Vorschlag, die Projektarbeit mit direkten Instruktionen zu

verknüpfen, entspricht allerdings in keiner Weise den Zielen eines

handlungsorientierten Unterrichts, sondern hat eher den Charakter eines

lehrerzentrierten Frontalunterrichts.

Eine weitere empirische Untersuchung wurde von MACKENZIE & WHITE (1982) unter

dem Titel „Feldarbeit in der Geographie und Strukturen des Langzeitgedächtnisses“

veröffentlicht, wobei es zum Vergleich zweier verschiedener Exkursionsformen

(traditionell vs. prozessorientiert) kam. Während den Schülern/innen bei der

traditionellen Exkursion das Wesentliche von der Lehrkraft oder vom Feldführer

erklärt wurde und die Kinder „im Allgemeinen […] Empfänger von Informationen,

und keine Entdecker […]“ (WELLENREUTHER 2004, S. 404) waren, wurde die

prozessorientierte Exkursionsgruppe durch Erkundungsaufgaben von der Lehrkraft

zu einer genauen Erkundung des Feldes angeleitet. MACKENZIE & WHITE gelangten

nach der Durchführung eines Leistungstests zu der Feststellung, dass die

Schüler/innen der prozessorientierten Exkursion im Vergleich zur traditionell

organisierten Exkursionsgruppe bessere Ergebnisse aufwiesen. Insbesondere durch

die Befunde im Behaltenstest wurden erhebliche Unterschiede sichtbar: „Während

hier die Schüler mit prozessorientierter Exkursion sehr wenig verlernt hatten,

halbierte sich bei der anderen Exkursionsform fast das zuvor erzielte Lernergebnis“

(WELLENREUTHER 2004, S. 406). Aufgrund dessen nimmt WELLENREUTHER an, dass

Episoden mit Wissen verbunden werden müssen, damit Wissensstrukturen

langfristig gefestigt werden können. Ferner erachtet er es als wichtig, „dass […] die

Schüler nicht nur Dinge gezeigt und erklärt bekommen, sondern selbst aktiv werden

[…]. Nicht das Durchführen einer Exkursion als solcher ist somit entscheidend,

sondern die Qualität dieser Exkursion“ (WELLENREUTHER 2004, S. 407).

12

Auch die von WELLENREUTHER beschriebene prozessorientierte Exkursion aus der

empirischen Untersuchung von MACKENZIE & WHITE (1982) entspricht nur in

begrenzter Weise den Ansprüchen eines handlungsorientierten Unterrichts. Die

Schülergruppe der prozessorientierten Exkursion machte während der Erkundung

zwar eigene Erfahrungen, jedoch wurde sie durch die Bearbeitung eines

vorgefertigten Aufgabenzettels von der Lehrkraft stark angeleitet. Aufgrund der

Instruktionen der Lehrkraft, die die Aufmerksamkeit der Schüler/innen auf bestimmte

Aspekte der Exkursion richten sollte, wurde das eigenständige und selbstbestimmte

Handeln der Kinder stark eingeschränkt.

In einer weiteren Untersuchung führte AEBLI (1968) einen Vergleich von

handlungsorientiertem und traditionellem Unterricht in zwei sechsten Klassen im

Rahmen der Unterrichtseinheit „Fläche und Umfang von Rechtecken“ durch. In dem

„moderenen“ handlungsorientierten Unterricht wurde von der Lehrkraft die

Erfahrungswelt der Kinder durch das Heranziehen eines lebensweltlichen Beispiels

(Garten) miteinbezogen sowie den Schülern/innen Möglichkeiten zur eigenständigen

Problemlösung eingeräumt. Beim traditionellen Unterricht hingegen wurde ein

Bilderrahmen als Einführungsbeispiel gewählt und eine Skizze sowie die Formel für

die Umfangsberechnung von der Lehrkraft vorgegeben. Die Schüler/innen wurden

erst durch das Abschreiben und Anwenden der Formel an Übungsaufgaben aktiv.

Während AEBLI sieben Stunden für den Unterricht der handlungsorientierten

Versuchsgruppe in Anspruch nahm, benötigte er für den traditionellen Unterricht nur

fünf Schulstunden. AEBLI erklärt diesen Unterschied folgendermaßen: „Es scheint

tatsächlich, dass die Schüler im traditionellen Unterricht rascher vorankommen.

Dieser Anschein beruht vor allem auf der Tatsache, dass man den wahren

Schwierigkeiten ausweicht, indem man die Aufgaben so stellt und anordnet, dass

Verwechslungen zwischen den Operationen ausgeschlossen sind und der Schüler

die Lösung rein mechanisch finden kann“ (WELLENREUTHER 2004, S. 419 zit. aus

AEBLI 1968, S. 128). Allerdings konnte auch festgestellt werden, dass insbesondere

„schwächere“ Schüler/innen in der traditionell unterrichteten Gruppe fast die Hälfte

der Aufgaben nicht richtig gelöst hatten. In der „modernen“ Gruppe konnte hingegen

mehr als 90% der Aufgaben richtig gelöst werden. WELLENREUTHER schließt daraus,

dass die Verwendung abstrakter Begriffe zur Unsicherheit dieser Schülergruppe

führt. AEBLI hält es daher für notwendig, dass „schwächeren“ Schülern/innen

abstrakte Begriffe mit Beispielen aus der Realität näher gebracht werden.

Im Hinblick auf die oben beschriebenen Untersuchungen gelangt WELLENREUTHER

zu der Schlussfolgerung, dass ein effektiver handlungsorientierter Unterricht mit

direkten Instruktionen und einer Verknüpfung von abstrakten Begriffen mit der

13

Realität – insbesondere für „schwächere“ Schüler/innen – verbunden sei (siehe

Unterrichtsversuch von AEBLI 1968). Des Weiteren erscheint es ihm nicht

erforderlich, „[…] die äußere Realität direkt durch Exkursionen zu erfahren. Es gibt

vielfältige Möglichkeiten, Realtiät im Unterricht nachzubilden, z.B. durch

maßstabsgerechte Nachbildung, durch Zeigen von Filmen, Modellen […] etc.“

(WELLENREUTHER 2004, S. 435).

Im Hinblick auf den von WELLENREUTHER beschriebenen eigenständig

durchgeführten Unterrichtsversuch von AEBLI (1968) erscheint das Verständnis des

Forschers vom „handeln“ doch recht fragwürdig. So ist er der Meinung, „[…] dass

Schüler in der realen Welt diese Handlungen [nicht unbedingt] ausführen und

erproben [müssen]. Den Möglichkeiten der Schule entsprechend schlägt er vor, dem

Schüler praktische Probleme fiktiv zu stellen“ (WELLENREUTHER 2004, S. 408).

Aufgrund dieser Definition des „Handelns“ lässt sich auch AEBLIS Auffassung eines

handlungsorientierten Unterrichts erklären. Ein objektiver Betrachter würde

möglicherweise den von AEBLI deklarierten „modernen“ handlungsorientierten

Unterricht keinesfalls diesem Unterrichtskonzept zuordnen, sondern als

lehrerzentrierten Frontalunterricht bezeichnen, indem die Selbstbestimmung sowie

das aktive Handeln der Kinder in keiner Weise gefördert wird. In AEBLIS „modernem“

handlungsorientierten Unterricht werden den Schülern/innen direkte Instruktionen

von der Lehrkraft gegeben, wodurch der Unterricht strukturiert und gelenkt wird.

Diese Vorgehensweise widerspricht ganz eindeutig dem Verständnis eines

handlungsorientierten Konzepts, wie es in dieser empirischen Untersuchung

vertreten wird.

Da bereits in der Problemstellung darauf hingewiesen wurde, dass

handlungsorientierte Vorgehensweisen immer noch zu wenig Berücksichtigung im

Sachunterricht finden, soll an dieser Stelle auf eine Studie von GIEST (Universität

Potsdam) aus dem Jahre 1997 eingegangen werden, die sich mit der Fragestellung

„Wie handlungsorientiert ist der Sachunterricht?“ beschäftigte. Die Daten der

Untersuchung wurden im Rahmen einer 67 Sachunterrichtsstunden umfassenden

Hospitation in den 3. und 4. Klassen erhoben. Es wurden detaillierte

Verlaufsprotokolle, in denen insbesondere das Handlungsgeschehen dokumentiert

wurde, „[…] sowie eine auf dieser Basis vorgenommene fragebogengestützte

Unterrichtsanalyse“ (GIEST 1997, S. 65) angefertigt. Die Auswertung der

Hospitationsprotokolle ergab im Hinblick auf die Handlungsplanung, dass

Schüler/innen größtenteils vom Lehrer angeleitet wurden und daher mehrere

Hinweise für ein fehlendes antizipierendes und bewusstes Handeln der

Schüler/innen festgestellt werden konnte. Im Unterricht wurde vermehrt eine

14

Dominanz der Lehrtätigkeit beobachtet. „Von einer eigenständigen

Handlungsregulation in der Lerntätigkeit und damit in unserem Sinne von

handlungsorientiertem Unterricht kann also in unserer Stichprobe kaum die Rede

sein“ (GIEST 1997, S. 69). Zudem wurde überwiegend beobachtet, dass

gemeinsames und kooperatives Handeln und den damit verbundenen sozialen

Interaktionen im Unterricht nicht stattfanden. Des Weiteren wurde festgestellt, dass

Schülern/innen während der Hospitationsstunden kaum die Möglichkeit eingeräumt

wurde, ihr Handeln zu reflektieren. Daher konnten „[…] extern (also durch den

Mitschüler oder Lehrer) und intern (durch den eigenen Handlungserfolg oder -

mißerfolg) induzierte Bewertungsreaktionen bei den Kindern nur in Ausnahmefällen

beobachtet […]“ (GIEST 1997, S. 73) werden. Abschließend gelangt GIEST (1997, S.

73f.) zu der Folgerung, dass eigenreguliertes Handeln der Schüler/innen im

Unterricht sowie die damit einhergehende Förderung und Ausbildung der

Handlungskompetenz immer noch eine Ausnahmestellung im Unterricht einnehme.

GIEST fordert daher, dass bewusst vollzogenes handelndes Lernen eine stärkere

unterrichtliche Berücksichtigung finden muss, „damit Handlungsorientierung zum

Wesensmerkmal modernen Unterrichts wird“ (GIEST 1997, S. 73).

Auch EINSIEDLER hat in seinem Manuskript über die „Empirische

Grundschulforschung im deutschsprachigen Raum“ die defizitäre Forschungslage

des „offenen Unterricht“3 bemängelt. „Obwohl „offener Unterricht“ seit ca. 20 Jahren

das zentrale Thema der deutschen Grundschulpädagogik ist, wurden nur etwa 10

empirisch-quantitative Studien dazu publiziert, und nur in 2 Arbeiten davon wurden

im Vergleich mit Kontrollgruppen Lernerfolgsmaße erhoben“ (EINSIEDLER 1997, S.

6).

HILGENDORF konnte 1979 im Rahmen einer Vergleichsstudie (offenem vs.

konventionellen Unterricht) mit Klassen der dritten Jahrgangsstufe nachweisen,

dass offener Unterricht hinsichtlich der Fächer Deutsch und Mathematik keinerlei

Nachteile für die Schüler/innen mit sich bringt. Vielmehr wurden einige Vorteile des

offenen Unterrichts festgestellt: „Die Gruppenkohärenz war größer, die Schüler

hatten weniger das Gefühl mangelnder Kooperation und des Alleingelassenwerdens

als die Vergleichsschüler, die Einstellungen zu fast allen Schulfächern waren bei

offenem Unterricht positiver“ (EINSIEDLER 1997, S. 7).

Eine weitere Vergleichsstudie wurde 1995 von PETILLON & FLOR durchgeführt, die

einen Schulversuch der „Lern- und Spielschule“ in Rheinland-Pfalz begleiteten.

3 in der Literatur wird der Begriff des „offenen Unterrichts“ oftmals synonym mit dem des „handlungsorientierten Unterrichts“ verwendet

15

Während in den Versuchsklassen (der „Lern- und Spielschule“) nach einem Konzept

der Rhythmisierung des Schulvormittags verfahren wurde, (welches einen

besonders ausgeprägten offenen Unterricht mit vielen spielerischen Lernphasen

beinhaltete,) unterlagen die Kontrollklassen einem „gewöhnlichen“ offenen

Unterricht, der nicht so ausgiebig wie in den Versuchsgruppen praktiziert wurde. Im

Rahmen eines Allgemeinen Schulleistungstest (AST), der im 2. und 4. Schuljahr

durchgeführt wurde, konnte ermittelt werden, dass „die Klassen der Lern- und

Spielschule […] in den Bereichen Kreativität, Selbstständigkeit und Sozialverhalten

signifikant höhere Werte als die Kontrollklassen […]“ (EINSIEDLER 1997, S. 7)

aufwiesen.

HARTINGER (1997) konnte in einer Studie zur Interessensförderung im

Sachunterricht feststellen, „[…] dass ein handlungsorientierter Unterricht, in dem

Lernende die Möglichkeit haben, ihr Lernen in weiten Teilen selbst zu bestimmen,

eine interessensfördernde Wirkung hat“ (www.wwu.de). Beobachtet wurde das

Unterrichtsgeschehen (zum Thema: „Leben am Gewässer“) in drei 3. Klassen

bezüglich der Dimensionen „Autonomieunterstützung“ und „Handlungsorientierung“.

In der Klasse, die als Experimentalgruppe ausgewählt wurde, konnten die

Schüler/innen im Vergleich zu den Kontrollgruppen vermehrt über ihren Lernprozess

entscheiden („autonomes Lernen“) und führten wesentlich mehr biologische

Untersuchungstätigkeiten durch. Drei Wochen sowie fünf Monate („Follow-up“) nach

dem Unterrichtsgeschehen sollten eine Fragebogenerhebung und ein Interview

Aufschluss über die Interessenentwicklung der Schüler/innen geben. „Bei Fragen

nach beliebten Tätigkeiten (z.B. Beschäftigung mit Tieren, Pflanzen bestimmen,

Tierbücher lesen) zeigte die Experimentalklasse signifikant mehr Interesse an den

„gewässerbezogenen“ Tätigkeiten. Ähnliches galt für Fragen nach der Persistenz

des Interesses (themenbezogene Tätigkeiten außerhalb des Unterrichts)“

(EINSIEDLER 1997, S. 18). Bei mehreren Variablen konnte in der

Experimentalgruppe eine Zunahme des Interesses der Kinder verzeichnet werden.

In einer weiteren Studie (2001) zur Öffnung des Unterrichts hat sich HARTINGER

insbesondere mit der Frage beschäftigt, wie Schüler/innen ihre

Selbstbestimmungsmöglichkeiten im Unterricht wahrnehmen. Theoretischen

Begründungen zur Folge empfinden Schüler/innen die Möglichkeit der

Selbstbestimmung im Unterricht als ein zentrales psychologisches Bedürfnis. „Wird

dieses psychologische Bedürfnis unterstützt, so ist dies die Basis dafür, dass

intrinsische Motivation aufrechterhalten bleibt bzw. dass das Interesse an den

Themen des Unterrichts gefördert wird“ (HARTINGER 2001, S. 94). Diese

Erwartungen konnten mit der Untersuchung erfüllt werden. Je selbstbestimmter die

16

Schüler/innen sich wahrnahmen, desto motivierter und interessierter waren sie am

Unterricht (vgl. HARTINGER 2001, S. 97).

JÜRGENS (1995) nimmt in seinem Buch� „Die 'neue' Reformpädagogik und die

Bewegung Offener Unterricht. Theorie, Praxis und Forschungslage“ Bezug auf die

Untersuchung von FLYNN/ RAPOPORT (1976), GOETZE (1992), GOETZE/JÄGER

(1991). Diese konnten nachweisen, dass sich ein offener Unterricht bei hyperaktiven

Kindern positiv auf den emotionalen Bereich auswirkte.

FLYNN/ RAPOPORT (1976) konnten in ihrer Studie belegen, dass überaktive

Schüler/innen, die in medikamentöser Behandlung stehen, in offenen

Unterrichtsarrangements ein weitaus geringeres Maß an Hyperaktivität und ein

ausgeglicheneres Verhalten zeigten als in einem traditionell lehrergesteuerten

Unterricht. Auch GOETZE (1992) kam zu einem ähnlichen Ergebnis. „Als wichtigster

Befund kann festgehalten werden, daß sich nach Einschätzung der Lehrerinnen/ der

Lehrer die Verhaltensstörungen von Schülerinnen/Schülern auffällig verringert hatte“

(JÜRGENS 1995, S. 62). Lehreraussagen zufolge, reduzierten sich die Aggressionen

sowie die Hyperaktivität und die Ängstlichkeit der Schüler/innen im offenen

Unterricht. GOETZE (1992) führte dieses allerdings darauf zurück, dass in offenen

Unterrichtsarrangements Störungen nicht so negativ von Lehrkräften

wahrgenommen werden als im geschlossenen Unterricht.

GOETZE/JÄGER (1991) haben in einer sechsten Klasse einer Schule für

Verhaltensgestörte einen offenen mit einem lehrerzentrierten Unterricht verglichen.

Das emotionale Klima innerhalb der Lerngruppen sowie zwischen Lehrkräften und

Schülern/innen sorgte für eine erfolgreiche Einführung des offenen Unterrichts. Mit

Hilfe dieses Unterrichtskonzepts konnte „[…] für die beteiligten Lehrer das

Verständnis für viele Schülerprobleme erheblich erleichtert“ (JÜRGENS 1995, S. 62

zit. aus GOETZE/JÄGER 1991, S. 272) werden.

JÜRGENS (1995) gelangt schließlich zu der Schlussfolgerung: „Offener Unterricht

scheint aufgrund seiner organisatorischen Gestaltung Interaktions- und

Kommunikationsstrukturen hervorzubringen, die es gerade Problemschülerinnen/-

schülern ermöglichen, sich in ihrem emotionalen und sozialen Verhalten

eigenverantwortlich zu entfalten und zu stabilisieren“ (S. 63).

Da es im deutschsprachigen Raum nur wenige Untersuchungen zum offenen

Unterricht gibt, verweist BRÜGELMANN (1997) in seinem Bericht über die „Öffnung

des Unterrichts“ vornehmlich auf Forschungen im angelsächsischen Raum.

WRIGHTSTONE (1938), BAKER (1941) und LEONARD/ EURICH (1942) kamen bei ihren

qualitativen Untersuchungen zu der Erkenntnis, dass der offene Unterricht im

17

Vergleich zum traditionellen Unterricht für die Schüler/innen keinerlei Nachteile in

den Fachleistungen nach sich zieht. So „[…] seien deutliche Vorteile in

verschiedenen Dimensionen der Persönlichkeitsentwicklung (Initiative, soziales

Verhalten, Problemlösen u.ä.) festzustellen. Ähnlich fielen auch die Ergebnisse der

englischen Längsschnittstudie von Gardner (1942; 1950; 1966) aus“ (BRÜGELMANN

1997, S. 3). HORWITZ (1979) hingegen gelangte nach der Zusammenfassung

mehrerer Forschungsergebnisse zum offenen und traditionellen Unterricht zu dem

Urteil, dass es zwar „[…] einen leichten Rückstand offener Ansätze in den

fachlichen Leistungen […]“ BRÜGELMANN 1997, S. 3) gäbe, sich aber hinsichtlich des

Persönlichkeitsbereiches deutliche Vorteile ergaben. Zu einem ähnlichen Ergebnis

kamen auch PETERSON (1979; 1980), HETZEL (1982) und HEDGES (1981). Diese

konnten feststellen, dass Klassen mit offenen Unterricht leichte Defizite in den

Fachleistungen aufwiesen, „[…] in den Einstellungen (zum Lernen, zu den

Lehrpersonen) und in den Grundqualifikationen dagegen erreich[t]en sie bessere

Ergebnisse“ (BRÜGELMANN 1997, S. 3).

Studien, die im Sachunterricht im Hinblick auf die Öffnung des Unterrichts

durchgeführt wurden, beziehen sich zumeist sowohl auf die Selbstständigkeit der

Schüler/innen als auch auf das entdeckende Lernen als eine Methode zur Öffnung

von Aufgaben (vgl. BRÜGELMANN 1997, S. 3). BREDDERMAN (1983) konnte mit seiner

Meta-Analyse Vorteile eines handlungs-zentrierten gegenüber eines traditionellen

Programms im Hinblick auf naturwissenschaftliche Verfahren, inhaltliches Wissen

sowie für den affektiven Bereich nachweisen.

Eine Untersuchung von LAUS & SCHÖLL (1995) ergab, dass insbesondere

leistungsschwache Schüler/innen im offenen Unterricht eine längere

Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne aufwiesen als die Kontrollgruppe. Und

auch WAGNER (1978, 58) kam in seiner Studie zu dem Ergebnis, „dass die

SchülerInnen in offenen Situationen ein deutlich größeres Engagement und eine

höhere Arbeitsintensität zeigen als im normalen Frontalunterricht“ (BRÜGELMANN

1997, S. 18).

PESCHEL konnte in seinem Buch („Offener Unterricht. Idee, Realität, Perspektive und

ein praxiserprobtes Konzept zur Diskussion.“) die Praktikabilität des offenen

Unterrichts durch seine unterrichtspraktischen Erfahrungen belegen und bringt diese

Unterrichtsform in Verbindung mit praktischen Handlungen. In seinem Buch

beschreibt er seinen Unterricht, der von einer regelrechten „Vortragskultur“

(PESCHEL 2005, S. 215) geprägt sei, in dem die Schüler/innen alleine oder in

Kleingruppen Informationen eigenständig in Büchern recherchieren, Materialien

18

mitbringen und ihre Ergebnisse in Form von selbstgestalteten Plakaten vortragen.

Selbst „leistungsschwache bzw. lernbehinderte“ Kinder könnten „[…] sich plötzlich

Informationen beschaffen, diese sichten und auswerten und anderen zugänglich

machen […]. Man sollte also in keinem Fall vorschnell den Glauben an die

Selbststeuerungsfähigkeiten des Kindes verlieren!“ (PESCHEL 2005, S. 217f.).

GÜNTHER vertrat auf einem Vortrag über Projektarbeit und offenen Unterricht an der

Universität Köln die Meinung, „[…] daß der offene Unterricht im Hinblick auf

Konzentration, Lernfähigkeit und Sozialverhalten gerade an der Grundschule große

Probleme aufwirft, die sich in den weiterführenden Schulen besonders bemerkbar

machen“ (http://www.ariplex.com). GÜNTHER ist der Ansicht, dass durch einen

offenen Unterricht als bevorzugte Unterrichtsform, „[…] wichtige Lernfähigkeiten

[von den Grundschülern/innen] nicht erlernt […]“ (http://www.ariplex.com) werden

können und stellt die besagte Unterrichtsform als störungsanfällig dar. So führte er

beispielsweise an, dass der offene Unterricht Schülern/innen die Möglichkeit gäbe,

sich nicht mit den Aufgaben zu beschäftigen, sondern eine Plattform für

gemeinsame Unterhaltungen liefere, durch die motivierte und lernwillige Kinder

abgelenkt werden würden. GÜNTHER spricht sich hingegen dafür aus, dass „[…]

lehrerzentriertes, ruhiges, strukturiertes Lernen den Schülern eine bessere

Grundlage für erfolgreiches Lernen“ (http://www.ariplex.com) biete, als ein offener

Unterricht, der von Reizüberflutungen geprägt sein würde. Aus diesem Grunde

bevorzugt GÜNTHER ein kontinuierliches Lernen, in dem den Schülern/innen die

persönliche Unterstützung des Lehrers zukommt (vgl. http://www.ariplex.com).

GÜNTHER verschließt sich bei seiner Argumentation den positiven und für die

Schüler/innen aktivierenden Aspekten eines offenen Unterrichts und führt keinerlei

empirische Untersuchungen an, die derartige negative Behauptungen belegen. Der

Forscher ist ein entschiedener Gegner des offenen Unterrichtskonzepts und beharrt

auf den Grundsätzen eines lehrerzentrierten Frontalunterrichts.

Aufgrund der mangelhaften Forschungslage zur Wirksamkeit eines

„handlungsorientierten“ respektive „offenen Unterrichts“, kommt dieser

Untersuchung im Hinblick auf seine Forschungsfrage eine große Bedeutung zu.

Denn nur durch derartige Untersuchungen kann überprüft werden, ob dieses

Unterrichtskonzept auch in der Praxis effektiv ist, sodass handlungsorientierte

Vorgehensweisen häufiger im Sachunterricht berücksichtigt werden können. Mit

dieser Interventionsstudie sollen Belege für die Effektivität der RÖSA-Materialien

bzw. eines handlungsorientierten/offenen Unterrichts erhoben werden, wie sie

19

bereits in Studien von KAISER & TEIWES, FRERICHS, WAGNER, PESCHEL etc.

nachgewiesen werden konnten. Zudem soll mit dieser Untersuchung nachgewiesen

werden, dass die RÖSA-Materialien nicht nur für die Jahrgangsstufen drei und vier

geeignet sind (wie es in der Untersuchung von WAGNER behauptet wird), sondern

auch durchaus von Schülern/innen der zweiten Klasse genutzt werden können.

20

3. Design der eigenen Untersuchung

3.1 Fragestellung und Umsetzung im Design

Im Folgenden sollen die Fragestellungen dieser Untersuchung dargelegt und im

Hinblick auf die weitere Vorgehensweise begründet werden.

Da in dieser Arbeit davon ausgegangen wird, dass sich die Auseinandersetzung mit

handlungsorientierten Materialien positiv auf die Lernentwicklung der Schüler/innen

auswirkt und zu größeren Lernerfolgen führt, sollen mit dieser Untersuchung Belege

für diese Annahme gefunden werden.

Gegenstand dieser Interventionsstudie sind exemplarisch ausgewählte

Handlungsmaterialien aus der Lernwerkstatt RÖSA (Regionale Ökologische

Sachunterrichts-Lernwerkstatt), die mit dem konventionellen Lernen durch

Arbeitsblätter verglichen werden sollen. Schwerpunktmäßig soll insbesondere der

kognitive Lernzuwachs von Grundschülern/innen zweier Parallelklassen verglichen

werden, die jeweils mit einer der oben genannten Methoden arbeiten werden.

Folgende Fragestellungsaspekte sollen in dieser Stichprobe untersucht werden:

1. Mit welchen Lernmaterialien lernen Kinder intensiver, einfacher und leichter

und zeigen mehr Lernfreude?

2. Bei welcher Experimentalgruppe ist der kognitive Lernzuwachs am Ende der

Stunde größer?

3. Bei welcher Experimentalgruppe lässt sich nach einer Woche der größere

kognitive Lernzuwachs erkennen?

4. Wie bewerten Lehrkräfte das Lernen mit Handlungsmaterialien aus der

Lernwerkstatt RÖSA und einem damit verbundenen handlungsorientierten

Unterricht?

Im Hinblick auf die erste Fragestellung soll eine ausgewählte Schülergruppe beider

Parallelklassen beobachtet werden. Dabei kommt es zum Einsatz eines

eigenständig konstruierten kategoriengeleiteten Beobachtungsbogens, der die

Ausdauer am Arbeitsblatt bzw. Handlungsmaterial, das Instruktionsverständnis und

die Mitarbeit der zu beobachtenden Schüler/innen sowie den Interaktionsmodus und

sonstige Beobachtungen erfassen soll. Die Beobachtung des jeweiligen

Unterrichtsgeschehens in den Experimentalgruppen erfolgt durch passive

Teilnahme. Diese Feldforschungsmethode eignet sich aus dem Grunde besonders

gut, da sie mir ermöglicht, mich insbesondere auf meine Forscherrolle zu

konzentrieren, um hinsichtlich der erwähnten Kategorien möglichst präzise

beobachten zu können. Des Weiteren werde ich bei der Feldarbeit von einer

Kommilitonin unterstützt sowie eine Videokamera zur detaillierten Aufzeichnung der

21

Beobachtungssituation herangezogen. Mit diesem technischen Hilfsmittel sollte eine

möglichst genaue Beobachtung erzielt werden.

Um den kognitiven Lernzuwachs der Schüler/innen beider Experimentalgruppen zu

ermitteln, soll sowohl am Ende der beobachteten Sachunterrichtsstunden als auch

nach einer einwöchigen Unterbrechung ein Fragebogen in beiden Parallelklassen

eingereicht werden. Mit Hilfe der Fragebögen sollen die erlangten Wissenselemente

sowie die Meinung der Schüler/innen zur jeweiligen Unterrichtsstunde erfasst

werden. Der Fragebogen wird als Instrument zur Messung des kognitiven

Lernzuwachses eingesetzt. So soll mit diesem Hilfsmittel die Anzahl der

abgegebenen Wissenselemente der jeweiligen Experimentalgruppen ermittelt und

verglichen werden.

Um herauszubekommen, welches Meinungsbild Lehrkräfte zum RÖSA-Material

und dem damit verbundenen handlungsorientierten Unterricht haben, soll ein

leitfadenorientiertes Experteninterview mit der betreuenden Sachunterrichtslehrerin

der Experimentalgruppe B, die mit handlungsorientierten Materialien aus der RÖSA

gearbeitet hat, herangezogen werden. Neben der Meinung der Schüler (bei der

Fragebogenerhebung) soll also auch die Sichtweise der Lehrkraft zum

Untersuchungsgegenstand berücksichtigt werden.

Des Weiteren soll im direkten Anschluss an die Datenerhebung ein

Forschertagebuch erstellt werden, in dem die wichtigsten Gedanken, Eindrücke und

Erfahrungen der Intervention festgehalten werden und unterstützend zur

Interpretation der Daten herangezogen werden.

3.2 Stichprobe und Modalität der Datenerhebung

Im Vorfeld der Stichprobenerhebung wurde am 29. Mai 2009 ein Pretest des

Beobachtungs- und Fragebogens an der Grundschule Esens-Süd (Standort Dunum,

Landkreis Wittmund, Niedersachsen, Deutschland) in der zweiten Klasse während

der Sachunterrichtsstunde (5. Schulstunde) durchgeführt. Dieser Test sollte

Aufschluss darüber geben, ob im Hinblick auf den Beobachtungs- und Fragebogen

noch Verbesserungen vorgenommen werden mussten. Um den

Beobachtungsbogen zu testen, wurden willkürlich ein Schüler und eine Schülerin

ausgewählt, die in unmittelbarer Nähe voneinander saßen. Während der Pretest des

Beobachtungsbogens ohne größere Probleme durchgeführt werden konnte, wurde

ein Defizit beim Fragebogen entdeckt. Die letzte Frage („Das habe ich heute

gelernt:“) war für die Schüler/innen der zweiten Klasse zu unklar formuliert und

führte während der Bearbeitung zu Rückfragen bei der Lehrerin. Daher wurde die

22

Frage verbessert, indem auf die genaue Unterrichtsstunde verwiesen wurde („Das

habe ich in dieser Unterrichtsstunde gelernt:“). Bis auf diese missverständliche

Formulierung konnten alle anderen Fragen aber problemlos von den Schülern/innen

beantwortet werden. Lediglich das Verfassen eines eigen formulierten Textes

bereitete einigen Kindern große Schwierigkeiten und es kam des Öfteren zu

Rückfragen hinsichtlich der Rechtschreibung einiger Wörter. Aufgrund dieser

Probleme wurden die Schüleraussagen in den meisten Fällen nur sehr kurz

gehalten, waren allgemein formuliert und erschienen oft sehr stichpunktartig. Des

Weiteren wurde festgestellt, dass der Fragebogen mindestens zehn Minuten vor

dem Stundenschluss ausgeteilt werden müsste, damit die Schüler/innen die

Möglichkeit erhielten, in Ruhe die Fragen zu beantworten und nicht unter Zeitdruck

zu geraten.

Somit ließen sich Beobachtungs- und Fragebogen nach entsprechender

Bearbeitung problemlos während der Interventionsstunden an der Grundschule

Esens-Nord durchführen.

Die Stichprobe dieser Untersuchung wurde an der Verlässlichen Grundschule

Esens-Nord (am Standort Esens, Landkreis Wittmund, Niedersachsen,

Deutschland) durchgeführt.

Für den Posttest wurden die Klasse 2c (aus Esens) und 2W (aus Werdum)

ausgewählt. Beide Klassen beschäftigten sich während des

Untersuchungszeitraumes mit dem Thema „Zeit“ und haben sich – nach der

vorangegangen Parallelisierung durch die jeweiligen Lehrkräfte – für diese

Interventionsstudie bereit erklärt. In Absprache mit den Sachunterrichtslehrkräften

wurde die Experimentalgruppe A (Klasse 2c) mit Arbeitsblättern zum Thema „Zeit“

belehrt und die Experimentalgruppe B (Klasse 2W) näherte sich dem gleichen

Themenbereich mit Handlungsmaterialien aus der RÖSA. Anzumerken ist hierbei,

dass sich die beiden Parallelklassen von der Klassenzusammensetzung und der

Klassenstärke deutlich voneinander unterschieden. Während in der 2c (am Standort

Esens) insgesamt 20 Schüler/innen (13 Mädchen und 7 Jungen) unterrichtet

wurden, bestand die 2W (am Standort Werdum) aus lediglich 13 Kindern und war

vornehmlich mit Jungen besetzt (2 Mädchen und 11 Jungen).

Für die Beobachtung wurden insgesamt acht Schülerinnen und Schüler – vier

Mädchen und vier Jungen – im Alter von acht bis neun Jahren aus beiden

Parallelklassen des zweiten Schuljahres ausgewählt. Eine beobachtete

Schülergruppe bestand jeweils aus vier Kindern, die im Vorfeld von der jeweiligen

Sachunterrichtslehrerin ausgesucht wurden. Die zu beobachtenden Schüler/innen

23

entsprachen in beiden Experimentalgruppen einem heterogenen Leistungsniveau.

So reichte das Beobachtungsspektrum vom leistungsstarken bis zum

leistungsschwachen Kind. Um die beobachteten Ergebnisse besser vergleichen zu

können, wurde bewusst darauf geachtet, dass die zu beobachtenden Schüler/innen

aus beiden Experimentalgruppen einem heterogenen Leistungsbild entsprachen. So

wurden bereits im Vorfeld der Beobachtungen entsprechende Gespräche mit den

betreuenden Sachunterrichtslehrerinnen geführt, die Aufschluss über das

Leistungsniveau der zu beobachtenden Kinder aus beiden Parallelklassen gaben.4

Beide Experimentalgruppen wurden während einer Sachunterrichtsstunde (45

Minuten) in ihren Klassenräumen beobachtet. Da der Pretest gezeigt hatte, dass

eine Person maximal zwei Schüler/innen beobachten konnte, unterstützte mich bei

der kategoriengeleiteten kontinuierlichen Beobachtung eine Kommilitonin.

Die Schülergruppe der Klasse 2c wurde am 3. Juni (2009) in der ersten Schulstunde

beobachtet und sollte zwei Arbeitsblätter (siehe Anhang) aus dem Mobile-

Arbeitsheft bearbeiten. Während zu Beginn der Stunde noch konzentriert gearbeitet

wurde und leise Unterhaltungen mit den Sitznachbarn geführt wurden, erhöhte sich

der Lärmpegel innerhalb der Klasse nach ca. 20 Minuten erheblich. Verursacht

wurde dieses insbesondere dadurch, dass einige Schüler/innen die Arbeitsblätter

beendet hatten, ihre Ergebnisse der Klassenlehrerin vorzeigten und sich schließlich

laut miteinander unterhielten.

Die Schülergruppe der Klasse 2W wurde am Freitag, den 5. Juni 2009, in der

fünften und letzten Schulstunde beobachtet und näherte sich dem Themenbereich

„Zeit“ mit Handlungsmaterialien aus der Lernwerkstatt RÖSA. Die im Vorfeld von der

Klassenlehrerin ausgewählten handlungsorientierten Materialien wurden auf zwei

separaten Tischen in unmittelbarer Nähe der Tafel als „Lernbuffet“ aufgebaut und

konnten von allen Schülern/innen sowohl in Einzel- als auch in Partnerarbeit genutzt

werden. Obwohl die zu beobachtende Schulstunde am Freitag (den 5. Juni 2009) in

der letzten Stunde stattfand und die Klasse überwiegend aus Jungen bestand,

herrschte in der Klasse ein leises angenehmes Arbeitsklima. Nahezu jede Schülerin

und jeder Schüler beschäftigte sich konzentriert sowohl in Einzel- als auch in

Partnerarbeit mit den zur Verfügung gestellten Handlungsmaterialien.

Im Anschluss an die jeweiligen Unterrichtsstunden habe ich in beiden

Parallelklassen einen Fragebogen verteilt, mit dem die Meinung der Schüler/innen

zum jeweiligen Unterrichtsgeschehen sowie das erlangte Wissen erfasst werden

sollten. Der Fragebogen bestand ausschließlich aus offenen Fragen, sodass den

Schülern/innen genügend Raum für ihre eigene Meinung gegeben wurde. 4 Eine Beschreibung der beobachteten Schülergruppe erfolgt im Anhang.

24

Da die meisten Schüler/innen der Experimentalgruppe A (Klasse 2c) nach einer

Beobachtungszeit von 40 Minuten die Bearbeitung der Arbeitsblätter zum Thema

„Zeit“ abgeschlossen hatten und in vielen Fällen das Privatgespräch mit dem

Sitznachbarn gesucht wurde, erklärte die Lehrerin im Folgenden den Fragebogen.

Da die Lehrerin für die Intervention eine Doppelstunde zur Verfügung gestellt hatte,

wurde den Schülern/innen genügend Zeit für das Ausfüllen des Fragebogens

gegeben. Der Fragebogen wurde von insgesamt 19 Schülern/innen beantwortet,

von denen allerdings zwei bei der Auswertung nicht berücksichtigt werden konnten.

Zum Einen wurden keine Ergebnisse ermittelt, da die Handschrift eines Schülers

unlesbar war und zum Anderen konnten keine Daten erfasst werden, da eine

Schülerin Legasthenikerin war und die Lehrerin das Schreiben übernahm. Zudem

konnte ein Schüler krankheitsbedingt nicht an der Befragung teilnehmen.

In der Experimentalgruppe B musste die Beschäftigung mit den

handlungsorientierten Materialien nach 35 Minuten beendet werden, da die

Schüler/innen in den verbleibenden zehn Minuten den Fragebogen ausfüllen

mussten. Da auch in dieser Klasse ein Schüler aufgrund einer Erkrankung fehlte,

nahmen insgesamt 12 Schüler/innen an der Befragung teil.

Bereits während der Datenerhebung wurde deutlich, dass einige Schüler/innen der

Experimentalgruppe B Schwierigkeiten beim Beantworten der letzten Frage („Das

habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:) hatten. In diesen Fällen konnte

das Gelernte noch nicht genügend reflektiert und als Antwort formuliert werden.

Eine Woche nach der Intervention wurde in beiden Parallelklassen ein zweiter

Fragebogen eingereicht. Dieser sollte Aufschluss darüber geben, an welche

Wissenselemente sich die Schüler/innen aus der beobachteten

Sachunterrichtsstunde noch erinnern konnten. Der Fragebogen, der aus zwei

offenen Fragen bestand, wurde jeweils am Anfang der Sachunterrichtsstunde

bearbeitet. Besonders auffällig war hierbei, dass die Schüler/innen der

Experimentalgruppe A, die zuvor mit Arbeitsblättern unterrichtet worden waren, bei

der Beantwortung der Fragen in vielen Fällen die Hilfe der Lehrkraft oder von mir

suchten. Einige Kinder schauten auch hilfesuchend zur Sitznachbarin oder zum

Sitznachbarn herüber oder starrten lange auf ihren unausgefüllten Fragebogen und

versuchten sich mühselig an die Geschehnisse der besagten Unterrichtsstunde zu

erinnern. Aus diesem Grund verwunderte es nicht, dass sich die Mehrheit der

Schüler/innen nicht mehr an die genauen Inhalte der Interventionsstunde erinnern

konnte und sehr allgemein formulierte Antworten lieferten. In einigen Fällen wichen

die Antworten der Schüler/innen auch stark von den Inhalten, die in der

25

Sachunterrichtsstunde thematisiert wurden, ab. Zudem antworteten die Kinder

oftmals nur stichpunktartig oder in kurzen Sätzen.

Um die Meinung der Sachunterrichtslehrerin zum RÖSA-Material sowie dem damit

verbundenen handlungsorientierten Sachunterrichts zu ermitteln, wurde im

Anschluss der Intervention ein Experteninterview mit der Lehrkraft der

Experimentalgruppe B, die mit handlungsorientierten Materialien der RÖSA zum

Thema „Zeit“ gearbeitet hatte, geführt. Neben der Bewertung der

Handlungsmaterialien sollten auch individuelle Erfahrungen der Lehrerin sowie eine

Einschätzung des kognitiven Lernzuwachses durch eine handlungsorientierte

Vorgehensweise erörtert werden.

3.3 Erhebungsmethoden

Im Folgenden sollen die kategoriengeleitete, passiv teilnehmende Beobachtung und

die schriftliche Befragung, mit denen die Daten für die Stichprobe dieser

Untersuchung erhoben wurden, vorgestellt werden. Zudem wurde hinsichtlich der

Forschungsfrage, wie Lehrkräfte die RÖSA-Materialien und einen damit

verbundenen handlungsorientierten Sachunterricht bewerten, ein Experteninterview

mit der Sachunterrichtslehrerin der Experimentalgruppe B geführt. Da in dieser

Untersuchung mehrere Methoden zur Datenerhebung zum Einsatz kamen und zwei

unterschiedliche Beobachter im Feld tätig waren, handelt es sich hierbei laut FLICK

(2004, S. 14ff.) sowohl um eine Triangulation der Erhebungsmethoden als auch um

eine Investigator Triangulation.

Die Triangulation verschiedener Methoden erhält die stärkste Beachtung in der

qualitativen Forschung (vgl. FLICK 2004, S. 41). In der vorliegenden Untersuchung

ist damit die Verbindung zweier Erhebungsmethoden (passiv teilnehmende

Beobachtung und Fragebogenerhebung) aus der qualitativen Forschung gemeint,

die im Hinblick auf den Forschungsgegenstand angewendet wurden (siehe

Abbildung 1).

Abbildung 1: Triangulation verschiedener qualitativer Methoden

Quelle: FLICK 2004, S. 41

26

Durch die Kombination zweier Erhebungsmethoden sollen „Erkenntnisse auf

unterschiedlichen Ebenen gewonnen werden, die damit weiter reichen, als es mit

einem Zugang möglich wäre“ (FLICK 2004, S. 12).

Zudem besteht durch den Einbezug eines weiteren Beobachters in die

Interventionsstudie eine Investigator Triangulation. Dieser wird im Feld eingesetzt,

um mögliche Verzerrungen bei der Beobachtung zu minimieren (vgl. FLICK 2004, S.

14).

3.3.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung (qualitativ)

Laut ATTESLANDER „kann eine Typisierung der wichtigsten Beobachtungsformen

nach dem Grad ihrer Strukturiertheit, ihrer Offenheit und ihrer Teilnahme

vorgenommen werden“ (ATTESLANDER 2003, S. 94). Im Folgenden sollen diese drei

Dimensionen auf das dargelegte Beobachtungsverfahren bezogen werden.

Um herausfinden zu können, mit welchen Materialien sich Schüler/innen intensiver

beschäftigen, einfacher und leichter lernen sowie mehr Lernfreude zeigen, habe ich

mich bewusst für eine passiv teilnehmende Beobachtung entschieden, da ich mich

so insbesondere auf meine Rolle als Forscherin konzentrieren und meinen Fokus

auf die Beobachtung der ausgewählten Kinder richten konnte. ATTESLANDER

behauptet, dass „[…] der passiv teilnehmenden Beobachtung […] lange Zeit mehr

Objektivität und intersubjektive Überprüfbarkeit zugestanden [wurde], da bei ihr

quasi von außen, weitgehend unbeteiligt am sozialen Geschehen, beobachtet

wird“ (ATTESLANDER 2003, S. 102).

Obwohl meine Kommilitonin und ich uns dem Unterrichtsgeschehen als „reine

Beobachter“ (LAMNEK 1993 (2), S. 263) vollkommen ferngehalten haben, wurden

uns auch als passiv teilnehmende Beobachterinnen in der Klasse soziale Rollen

zugeschrieben (vgl. ATTESLANDER 2003, S. 109). Nicht nur wir, sondern auch die

Kinder haben uns während des Unterrichtsgeschehens wahrgenommen. So kam es

währenddessen auch zeitweilig zu Interaktionen mit einigen Kindern, die in

unmittelbarer Nähe von uns saßen. Die Schüler/innen hatten keinerlei

Berührungsängste und interessierten sich beispielsweise für unsere

Beobachtungstätigkeit oder fragten uns um Rat. Ich erklärte in den meisten Fällen

sehr kurz, dass ich bei ihnen wäre, um sie zu beobachten und verwies sie bei

inhaltlichen Fragen an die Lehrerin. Anders als bei einer aktiv teilnehmenden

Beobachtung, bei der der direkte persönliche Kontakt zum Forschungsfeld gesucht

wird, treten passiv teilnehmende Beobachter nur selten bis gar nicht in Interaktion

mit den Untersuchungspersonen (vgl. ATTESLANDER 2003, S. 102). Nichtsdestotrotz

27

akzeptierten die Schüler/innen meine Kommilitonin und mich auch als

außenstehende Beobachter und ließen uns an ihren Handlungen teilhaben.

Im Vorfeld der Untersuchung wurde ein eigenständig konstruierter

Beobachtungsbogen mit fünf Beobachtungskategorien ausgearbeitet, der die

Ausdauer, das Instruktionsverständnis, die Mitarbeit der Schüler/innen, den

Interaktionsmodus sowie sonstige Beobachtungen erfassen sollte. Diese

Beobachtungskategorien wurden im Hinblick auf die oben genannte

Forschungsfrage aufgestellt und durch „[…] empirisch erfassbare Indikatoren

operationalisiert“ (ATTESLANDER 2003, S. 95).

Der Beobachtungsbogen beschränkte sich auf 45 Minuten (eine Unterrichtsstunde)

und wurde für jede Schülerin bzw. jeden Schüler individuell angefertigt. Die

strukturierte Beobachtung wurde gewählt, da sich hiermit die Forschungsfrage

besonders gut überprüfen ließ. So „[…] wird z.B. erfasst, ob und wie oft die

Verhaltensweisen, die vorab in den Beobachtungskategorien formuliert worden sind,

auftreten“ (ATTESLANDER 2003, S. 95). Ein weiterer Vorteil eines

Beobachtungsschemas ist, dass die erhobenen Daten zu einem hohen Grad

quantifizierbar, kontrollierbar und vergleichbar sind. Daher kann die durchgeführte

Beobachtung auch jederzeit von anderen Personen wiederholt werden. Bei dieser

Form der Beobachtung muss allerdings darauf geachtet werden, dass die

zeitgleiche Protokollierung der Beobachtungssituation sehr präzise erfolgt und die

Kategorien trennscharf voneinander formuliert werden. Ein großer Nachteil einer

strukturierten Beobachtung ist hingegen laut ATTESLANDER (2003, S. 97), dass „[…]

Verhaltensweisen, die im Verlauf der Beobachtung auftreten und nicht durch das

Kategoriensystem abgedeckt sind, entweder nicht wahrgenommen, oder als nicht

beobachtungsrelevant eingeschätzt und folglich nicht aufgezeichnet [werden], selbst

wenn sie für die Forschungsfrage aussagekräftig wären. Die Wahrnehmung ist also

durch das Beobachtungsschema und die -kategorien eingeschränkt

[…]“ (ATTESLANDER 2003, S. 97). Dem Verlust von wichtigen

beobachtungsrelevanten Verhaltensweisen wurde allerdings dahingehend

entgegengewirkt, indem durch die Aufnahme der Beobachtungskategorie

„Sonstiges“ entsprechende Beobachtungen mit aufgeführt werden konnten.

Um möglichen Wahrnehmungs- und Aufzeichnungsfehlern, die durch die

vorgenommenen Verkürzungen bei der Operationalisierung entstehen können, zu

vermeiden, sollte man laut ATTESLANDER, bevor man den kategoriengeleiteten

Beobachtungsbogen im Forschungsfeld verwendet, einen Pretest durchführen (vgl.

ATTESLANDER 2003, S. 97). Aus diesem Grunde wurde der Beobachtungsbogen

28

auch im Vorfeld der Untersuchung in einer zweiten Klasse während einer

Sachunterrichtsstunde vorgetestet.

Zu Beginn der Unterrichtsstunden haben meine Kommilitonin und ich uns beiden

Experimentalgruppen vorgestellt und unser Vorhaben den Schülern/innen der

beiden Klassen geschildert. Ich habe mich bewusst für eine Offenlegung meiner

Forscherrolle entschieden, da somit „[…] ein gleichberechtigtes, soziales Verhältnis

zu den Untersuchungspersonen […]“ (ATTESLANDER 2003, S. 110) geschaffen

wurde, das einen „[…] unkomplizierteren Aufenthalt im Feld und einen

problemloseren Feldrückzug […]“ (ATTESLANDER 2003, S. 110) ermöglichte. Den

Kindern war also bewusst bzw. „transparent“ (ATTESLANDER 2003, S. 99), dass wir

sie während des Unterrichts beobachten würden. Erwähnt wurde allerdings nicht,

welche Kinder einer gezielten Einzelbeobachtung unterlagen und zu welchem

Zweck die Beobachtung durchgeführt wurde. So haben wir die Schüler/innen über

die Forschungsfrage im Unklaren gelassen und die Kinder wussten nicht, welche

Verhaltensweisen im Fokus der Beobachtung lagen (vgl. ATTESLANDER 2003, S.

101). „Obwohl eine offene Beobachtung anfänglich Missvertrauen und

Verhaltensänderung hervorrufen kann, verschwinden diese methodenbedingten

Verzerrungen in vielen Beobachtungsfeldern im Laufe der

Untersuchung“ (ATTESLANDER 2003, S. 101). Dieses Verhalten konnte auch in

beiden Forschungsfeldern festgestellt werden. Die Schüler/innen hatten sich schon

nach kurzer Zeit an uns und die Videokamera gewöhnt und haben sich bei ihren

Handlungen nicht stören lassen.

Laut ATTESLANDER kann die Beobachtungsform nach den oben genannten

Dimensionen als strukturierte, offene, passiv teilnehmende Beobachtung klassifiziert

werden.

Wie bereits oben erwähnt, kam es neben einer Stoppuhr, mit der die Zeit am

Arbeitsblatt bzw. am Handlungsmaterial gemessen wurde, auch zum Einsatz einer

Videokamera, die zur Unterstützung der Beobachtung herangezogen wurde. Die

Verwendung von technischen Hilfsmitteln (Videokamera, Tonband etc.) zur

Protokollierung bezeichnet SUMANSKI (1977, S. 56) als vermittelte Beobachtung.

„Sie bietet im Unterschied zur unvermittelten Beobachtung, die nicht wiederholbar

ist, die Möglichkeit, das Beobachtete zu speichern und beliebig oft zu

reproduzieren“ (SUMANSKI 1977, S. 56). Durch das Heranziehen eines technischen

Gerätes kann man Beobachtungsfehler, die aufgrund von Ermüdungserscheinungen

entstehen können, ausschließen und genauere Beobachtungsergebnisse erzielen

(vgl. SUMANSKI 1977, S. 56). Jedoch steht der Einsatz von technischen Hilfsmitteln

insbesondere bei vielen qualitativ-orientierten Forschern in der Kritik. So wird

29

beispielsweise von LAMNEK angeführt, dass die besagten Aufzeichnungsgeräte zu

einem Misstrauen bei den beobachteten Personen führen könnten und es dadurch

zu einer unnötigen Entfremdung der Beobachtungssituation käme (vgl. LAMNEK

1989, S. 291, vgl. in DEHN 1997, S. 57). Nichtsdestotrotz hält GRÜMER die

Verwendung von audio-visuellen Aufzeichnungsgeräten bei nichtteilnehmenden und

strukturierten Beobachtungen durchaus für sinnvoll. GRÜMER begründet dies, indem

er schreibt, dass es sich hier im Gegensatz zur teilnehmenden Beobachtung um

eine Vorgehensweise handele, wo der methodische Ablauf von vornherein

festgelegt sei und damit unabhängig von den jeweiligen Reaktionen der

Beobachtungspersonen stattfinden könne (vgl. GRÜMER 1974, S. 80, zit. aus DEHN

1997, S. 57).

3.3.2 Die schriftliche Befragung (qualitativ)

Um zu ermitteln, bei welcher Experimentalgruppe ein höherer kognitiver

Lernzuwachs zu verzeichnen ist, wurden sowohl unmittelbar nach der beobachteten

Unterrichtsstunde als auch eine Woche nach der Intervention in beiden Klassen

Fragebögen verteilt. Mit Hilfe des ersten Fragebogens sollten neben den erlangten

Wissenselementen auch die Meinung der Schüler/innen zur jeweiligen

Sachunterrichtsstunde erhoben werden.

Abbildung 2: Gebräuchliche Bezugspaare nach ATTESLANDER (2000)

Quelle: ATTESLANDER 2003, S. 161

Im Folgenden soll auf die von ATTESLANDER (2003, S. 160ff.) erwähnten

„gebräuchlichen Bezugspaare“ (siehe Abbildung 2) eingegangen werden:

Der Fragebogen, der unmittelbar nach der Beobachtung des Unterrichtsgeschehens

verteilt wurde, bestand aus drei offenen Fragen:

1. An der heutigen Stunde hat mir besonders gut gefallen:

2. An der heutigen Stunde hat mir nicht so gut gefallen:

30

3. Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:

Ich habe mich bewusst für die Wahl offener Fragen entschieden, da von den

Schülern/innen unter anderem verlangt wurde, sich an bestimmte Inhalte des

Unterrichts zu erinnern und sich dieser Fragetyp meiner Meinung nach am besten

für diesen Zweck eignete. Hierdurch wurde den Kindern die Möglichkeit gegeben,

ihre Antworten vollkommen selbstständig zu formulieren (vgl. ATTESLANDER 2003, S.

161). Allerdings verlangt das Beantworten dieser Fragen auch bestimmte

Kompetenzen von den Schüler/innen. Denn „Personen, die an einer Befragung

teilnehmen, haben (vgl. Strack und Martin 1987; sehr gut dargestellt auch in

Sudmann u.a. 1996, Kapitel 3) mehrere Aufgaben zu lösen. Sie müssen …

1. die gestellte Frage verstehen,

2. relevante Informationen zum Beantworten aus dem Gedächtnis abrufen,

3. auf der Basis dieser Informationen ein Urteil bilden,

4. dieses Urteil gegebenenfalls in ein Antwortformat einpassen und

ihr „privates“ Urteil vor Weitergabe an den Interviewer bzw. den Fragebogen

gegebenenfalls „editieren““ (PORST 2008, S. 17).

Um herauszubekommen, ob die Fragen für die Schüler/innen verständlich formuliert

waren, wurde im Vorfeld der Untersuchung ein Pretest des Fragebogens in einer

zweiten Klasse der Grundschule Esens-Süd (Standort: Dunum) durchgeführt. Wie

bereits oben erwähnt, offenbarten sich dabei Verständnisschwierigkeiten bei der

letzten Frage, die dann im Folgenden behoben wurden. Zudem wurde schon beim

Pretest deutlich, dass die Schüler/innen zwar in der Lage waren sich an gezielte

Wissenselemente aus der Unterrichtsstunde zu erinnern, diese allerdings nur

bedingt schriftlich formulieren konnten. Einige Schüler/innen hatten erhebliche

Schwierigkeiten bei der Formulierung von Sätzen, sodass oftmals nur

stichpunktartig geantwortet wurde. Aufgrund dieser Erfahrungen und in Anbetracht

dessen, dass die Zweitklässler/innen mit der Beantwortung der Fragen nicht

überfordert werden sollten, beschränkte sich der Fragebogen auf lediglich drei

Fragen, mit denen die wichtigste Forschungsfrage abgedeckt werden konnte.

Insbesondere wurde darauf geachtet, dass die Fragen einfach und präzise

formuliert wurden, damit sie für Schüler/innen der zweiten Klasse verständlich

waren.

Um zu überprüfen, an welche Wissenselemente sich die Schüler/innen auch nach

einer Woche noch erinnern konnten, wurde ein zweiter Fragebogen eingereicht,

dessen offene Fragen diesem Forschungsaspekt gerecht wurden. Die Fragen

lauteten wie folgt:

31

1. Weißt du noch, was du in der Sachunterrichtsstunde am letzten

Mittwoch/Freitag gemacht hast?

2. Was hast du in der Sachunterrichtsstunde am letzten Mittwoch/Freitag

gelernt?

Während bei der ersten Befragung noch die Meinung der Schüler zum jeweiligen

Unterrichtsgeschehen berücksichtigt wurde, beschränkte sich der zweite

Fragebogen nur noch auf das Überprüfen der Wissenselemente.

Laut ATTESLANDER entsprechen die jeweiligen Fragebögen einem nicht-

standardisierten Erhebungsinstrument. „Bei nicht-standardisierten Fragen wird

entweder auf eine Kategorisierung der Antworten verzichtet oder sie wird später

vollzogen“ (ATTESLANDER 2003, S. 160). Hinsichtlich dieser Untersuchung wurde im

Anschluss an die Datenerhebung eine Kategorisierung der Antworten vorgenommen,

durch die eine bessere Vergleichbarkeit der Ergebnisse ermöglicht wurde und

Häufigkeitsverteilungen gebildet werden konnten (vgl. ATTESLANDER 2003, S. 161).

Da vor der Feldarbeit ein eigenständig konstruierter Fragebogen entwickelt wurde,

handelte es sich bei dieser Interviewsituation um eine stark strukturierte Befragung.

ATTESLANDER verweist hierbei insbesondere auf die Wichtigkeit einer exakten und

sorgfältigen Vorgehensweise, „[…] da der Fragebogen die Freiheitsspielräume des

Interviewers und des Befragten stark einschränkt […]“ (ATTESLANDER 2003, S.

147f.). Besonders wichtig ist daher, dass die Fragen verständlich und eindeutig

formuliert werden, da diese während der Erhebungsphase nicht mehr verändert

werden können. „Inhalt, Anordnung und Anzahl der Fragen werden durch die

theoretische Problemstellung bestimmt, sodass bezüglich des Untersuchungszieles

eine möglichst vollständige Information erhoben werden kann“ (ATTESLANDER 2003,

S. 148).

3.3.3 Das Experteninterview (qualitativ)

Um zu ermitteln, wie Lehrkräfte Handlungsmaterialien aus der Lernwerkstatt RÖSA

und einen damit verbundenen handlungsorientierten Unterricht bewerten, wurde die

Meinung der betreuenden Sachunterrichtslehrerin der Experimentalgruppe B durch

ein im Anschluss an die Interventionsstunde geführtes leitfadenorientiertes

Experteninterview, miteinbezogen. Diese Erhebungsmethode wurde aus dem

Grunde gewählt, da die Lehrerin (als Expertin der Institution Schule) über

Erfahrungen zum Untersuchungsgegenstand verfügt „[…] und stellvertretend für

eine Vielzahl zu befragender Akteure interviewt […]“ (BOGNER, LITTIG & MENZ 2002,

S. 9) wurde. Zudem wurde ausschließlich die Lehrerin der Experimentalgruppe B

32

befragt, da sie den Unterricht mit den Handlungsmaterialien aus der RÖSA begleitet

hatte und eine direkte Stellungnahme geben konnte. Der Expertenstatus wurde der

Lehrerin ausschließlich von mir (als Forscherin) verliehen, da die Interviewpartnerin

„über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen […]

verfügt“ (MEUSER & NAGEL 1991, S. 443) und damit einen entsprechenden Beitrag

zur Beantwortung der Forschungsfrage leisten kann.

Experteninterviews sind in der Sozialforschung aus dem Grunde sehr beliebt, da

Daten auf eine schnelle, objektive und unproblematische Weise erhoben werden

können (vgl. BOGNER, LITTIG & MENZ 2002, S. 37). In Anlehnung an MEUSER und

NAGEL unterscheiden BOGNER, LITTIG & MENZ (2002, S. 36ff.) das „explorative“, das

„systematisierende“ und das „theoriegenerierende“ Experteninterview. Hinsichtlich

der oben beschriebenen Untersuchung wurde ein systematisierendes

Experteninterview geführt. „Im Vordergrund steht hier das aus der Praxis

gewonnene, reflexiv verfügbare und spontan kommunizierbare Handlungs- und

Erfahrungswissen“ (BOGNER, LITTIG & MENZ 2002, S. 9). Bei dieser Form des

Experteninterviews fungiert der Experte als „Ratgeber“, der den Forscher über

„objektive“ Tatbestände informiert und seine Meinung zu einem bestimmten

Themenbereich äußert. Der Forscher erhält durch die Expertenbefragung Einblicke

in ein für ihn nicht alltäglich zugängliches Fachgebiet und kann dadurch wichtige

Erkenntnisse erlangen (vgl. BOGNER, LITTIG & MENZ 2002, S. 37).

Die offenen Interviewfragen (siehe Anhang) waren anhand eines Interviewleitfadens

stark strukturiert und zielten insbesondere auf die Meinung der befragten

Sachunterrichtslehrerin ab. „Meinungsfragen sollen Einstellungen des Interviewten,

seine Bewertung von Personen, Situationen, Prozessen usw. ermitteln, indem sie

eine subjektive Stellungnahme verlangen“ (GLÄSER & LAUDEL 2004, S. 118). Ein

leitfadenorientiertes Interview wurde aus dem Grunde gewählt, da bestimmte

Informationen benötigt wurden, die mit Hilfe eines Leitfadens am besten erfasst

werden konnten (vgl. MEUSER & NAGEL 1991, S. 443).

Auch beim Experteninterview wurde ein technisches Hilfsmittel eingesetzt. Damit es

zu keinen Informationsverlusten oder -veränderungen kommen konnte, wurde das

Gespräch mit der Lehrerin durch ein batteriebetriebenes Diktiergerät protokolliert

(vgl. GLÄSER & LAUDEL 2004, S. 151ff.).

Neben den bereits beschriebenen Erhebungsmethoden wurde zudem ein

Forschertagebuch geführt, in dem persönliche Erfahrungen und Eindrücke

festgehalten wurden. Diese Aufzeichnungen wurden allerdings nicht ausgewertet,

sondern ausschließlich für Interpretationszwecke herangezogen.

33

3.5 Auswertungsmethoden

Im Folgenden sollen die Auswertungsschritte der passiv teilnehmenden

Beobachtung, der schriftlichen Befragung sowie des Experteninterviews dargelegt

werden, die im Anschluss an die Datenhebung erfolgten. Während die passiv

teilnehmende Beobachtung Aufschluss darüber geben sollte, mit welchen

Materialien Schüler/innen intensiver, leichter, einfacher und mit mehr Freude lernen,

sollte mit der schriftlichen Befragung erhoben werden, bei welcher

Experimentalgruppe der größere kognitive Lernzuwachs unmittelbar nach der

Interventionsstunde sowie nach einer einwöchigen Unterbrechung erfolgte. Des

Weiteren sollte mit dem Experteninterview ermittelt werden, wie Lehrkräfte die

RÖSA-Materialien sowie einen damit verbundenen handlungsorientierten Unterricht

bewerten.

3.5.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung

Das Datenmaterial der Beobachtungsbögen wurde mit dem

Textverarbeitungsprogramm Microsoft Word inhaltsanalytisch ausgewertet. Die

Ergebnisse der individuellen Beobachtungsbögen wurden im Anschluss an die

Interventionsstunden sinngemäß zusammengefasst, miteinander verglichen und im

Hinblick auf die oben genannten Fragestellungen interpretiert. Diese Form der

Auswertung entspricht einer deduktiven Vorgehensweise, da die fünf

Beobachtungskategorien (Ausdauer, Instruktionsverständnis, Mitarbeit,

Interaktionsmodus und Sonstiges) mit der passiv teilnehmenden Beobachtung

überprüft und die Daten anhand dieser Kategorien ausgewertet wurden. Generell

werden in der Literatur kaum Angaben zu standardisierten Auswertungsverfahren

von Beobachtungsbögen gemacht, sodass in der Regel eigene Auswertungsformen

entwickelt werden müssen (vgl. ATTESLANDER 2003, S. 111).

3.5.2 Die schriftliche Befragung

Das Datenmaterial der Fragebogenerhebung wurde in Anlehnung an die qualitative

Inhaltsanalyse nach MAYRING (2000) ausgewertet. Da aus den erhobenen Daten

schrittweise Kategorien entwickelt wurden, entspricht diese Vorgehensweise einer

induktiven Kategorienbildung bzw. einer „offenen Kodierung“ (MAYRING 2000, S.

76). Dem induktiven Verfahren wird in der qualitativen Forschung eine große

Bedeutung zugewiesen. „Es strebt nach einer möglichst naturalistischen,

gegenstandsnahen Abbildung des Materials ohne Verzerrungen durch

34

Vorannahmen des Forschers, eine Erfassung des Gegenstands in der Sprache des

Materials“ (MAYRING 2000, S. 75).

Das folgende Ablaufmodell (Abbildung 3) veranschaulicht grafisch die

Vorgehensweise bei einer induktiven Kategorienbildung nach MAYRING, auf dessen

Grundlage die Auswertung der Fragebögen erfolgte:

Abbildung 3: Ablaufmodell induktiver Kategorienbildung nach MAYRING

Quelle: http://www.qualitative-research.net

Im Folgenden sollen die einzelnen Schritte des qualitativ-inhaltsanalytischen

Verfahrens zur induktiven Kategorienbildung im Hinblick auf die durchgeführte

Auswertung der Fragebögen dargestellt werden:

Wie bereits in der Darstellung des Designs erwähnt wurde, sollte bei dieser

Untersuchung festgestellt werden, bei welcher Experimentalgruppe unmittelbar nach

der Interventionsstunde sowie nach einer einwöchigen Unterbrechung der größere

kognitive Lernzuwachs bzw. die meisten „Wissenselemente“ aufzuweisen waren.

Dabei soll an dieser Stelle zunächst einmal geklärt werden, was unter diesem

Begriff zu fassen ist:

„Wissenselemente“ beziehen sich im schulischen Kontext nicht nur auf die

Wiedergabe von angeeigneten Unterrichtsinhalten bzw. Informationen,

sondern insbesondere auf die Reproduktion subjektiver Erfahrungen (z.B.

handelnde Auseinandersetzung mit Unterrichtsinhalten) bzw. Bewertungen.

„Erst durch die individuelle Bewertung wird Information zu Wissen. Neues

35

Wissen entsteht durch die Kombination von Wissen, durch Vernetzen,

ungewöhnliche Entscheidungen und Bewertungen“ (http://www.genia-

berlin.de). Auf dieser Basis können schließlich Erkenntnisse gewonnen

werden.

In Anlehnung an die oben genannte Fragestellung wurden die Fragebögen der

jeweiligen Experimentalgruppen ausgewertet. Dafür wurde zunächst einmal das

gesamte erhobene Datenmaterial elektronisch auf dem PC gesichert, um einen

Überblick über die abgegebenen Schülerantworten zu erhalten und die Weiterarbeit

zu erleichtern. Im Folgenden musste laut MAYRING „[…] ein Selektionskriterium

eingeführt werden, das bestimmt, welches Material Ausgangspunkt der

Kategoriendefinition sein soll“ (MAYRING 2000, S. 76). Hierfür wurde insbesondere

das Datenmaterial berücksichtigt, das Aufschluss über den Lernzuwachs und die

Tätigkeiten der Kinder während der Interventionsstunden gab. 5 Die

Schülerantworten, die Informationen darüber gaben, was den Kindern an den

jeweiligen Unterrichtsstunden gefallen oder nicht gefallen hat (erster Fragebogen),

wurden bei der Inhaltsanalyse nicht mit einbezogen. Nach der Selektion des

Datenmaterials musste „[…] das Abstraktionsniveau der zu bildenden Kategorien

festgelegt werden“ (MAYRING 2000, S. 76). Da die erhobenen Schülerantworten in

den meisten Fällen nur sehr kurz gehalten wurden, habe ich darauf geachtet, dass

die zu entwickelnden Kategorien möglichst konkret und nicht zu differenziert

formuliert wurden. Ansonsten bestünde nämlich die Gefahr, dass durch eine zu

starke Zergliederung des Datenmaterials die Aussagekraft der Schülerantworten

verloren gehen würde. Im Anschluss an diese Festlegung wurde mit der „offenen

Kodierung“ begonnen, indem das Datenmaterial Wort für Wort durchgearbeitet

wurde. Bei der Analyse des ausgewählten Datenmaterials „[…] wird möglichst nahe

an der Textformulierung unter Beachtung des Abstraktionsniveaus die erste

Kategorie als Begriff oder Kurzsatz formuliert“ (MAYRING 2000, S. 76). Im Folgenden

musste dann darüber entschieden werden, ob die jeweilige Schüleraussage einer

bereits aufgestellten Kategorie zugeordnet werden konnte („Subsumption“) oder ob

eine neue Kategorie formuliert werden musste. Der nächste Schritt, den MAYRING

bei einer induktiven Kategorienbildung vorsieht, ist die Revision der Kategorien nach

ca. 10-50 % des Textmaterials. Hierbei „[…] muß überprüft werden, ob die

Kategorien dem Ziel der Analyse nahe kommen, ob das Selektionskriterium und das

5 Antworten auf die Fragen: Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt: (1. Fragebogen); Weißt du noch, was du in der Sachunterrichtsstunde am letzten Mittwoch/ Freitag gemacht hast? Was hast du in der Sachunterrichtsstunde am letzten Mittwoch/ Freitag gelernt? (2. Fragebogen)

36

Abstraktionsniveau vernünftig gewählt worden sind“ (MAYRING 2000, S. 76). Da die

Kategorien mit den genannten Kriterien übereinstimmten, konnte die Inhaltsanalyse

fortgesetzt werden. Nachdem meine Kodierung beendet war, wurde das

Datenmaterial zusätzlich von mehreren unabhängigen Personen im Hinblick auf die

Kategorienbildung im Sinne einer externen Validierung analysiert. In Anlehnung an

die Ergebnisse der Dritten wurde das Kategoriensystem noch einmal überarbeitet

und die endgültigen Kategorien festgelegt und dem Datenmaterial zugeordnet.

Abschließend erfolgte dann die Auszählung der abgegebenen Wissenselemente.

Die folgende tabellarische Übersicht (Abbildung 4) zeigt vier ausgewählte

Kategorien, die im Hinblick auf die qualitative Inhaltsanalyse nach MAYRING gebildet

wurden, sowie die dazugehörigen Ankerbeispiele der Fragebogenerhebung.

Abbildung 4: Tabellarische Übersicht beispielhafter Kategorien und Ankerbeispiele der Untersuchung

Kategorie Ankerbeispiel

� Allg. Unterrichtsinhalte genannt

„verschidene Uhren geshen“6

„Uhren“

� Lernergebnis nicht erkannt

„ich weis es nicht mer“

„Wie gesagt ich weiß nicht was aber irgentetwas

bestimt.“

� Detaillierte Handlungserinnerung

„Ich hab Zeitloto geschpilt. Ich hab Uhrenmemori

geschpilt. Ich hab ein Jahreszeiten spiel gespielt.“

„Früling Sommer Herpst Wintter spiel.“

� Erkenntnis formuliert „Ich habe gelernt das die Sonne Mittags am höchsten

ist.“

„Das auf der ganzen Welt versiedenen Uhren giebt.“

Quelle: FREESE 2009, Eigene Darstellung

Im Anschluss an die induktive Kategorienbildung nach MAYRING wurden die Daten

der Fragebogenerhebung hinsichtlich der gebildeten Kategorien mit dem Statistik-

und Analyseprogramm SPSS quantitativ ausgewertet, damit eine bessere

Vergleichbarkeit der Schülerantworten erzielt werden konnte.

3.5.3 Das Experteninterview

Da das Experteninterview (wie bereits in Abschnitt 3.3.3 erwähnt) mit einem

batteriebetriebenen Diktiergerät protokolliert wurde, musste im Vorfeld der 6 Orthographie der Schüler/innen wurde nicht verändert

37

Auswertung eine Transkription des aufgenommenen Sprachmaterials angefertigt

werden. Hierfür wurde das gesamte sprachliche Material berücksichtigt (siehe

Anhang), da das Interview lediglich fünf Minuten umfasste. MEUSER & NAGEL (1991,

S. 455) halten „[…] aufwendige Notationssysteme, wie sie bei narrativen Interviews

oder konversations-analytischen Auswertungen unvermeidlich sind, für

überflüssig.“ Aus diesem Grund wurden nur die wichtigsten nonverbalen und

parasprachliche Elemente in die Transkription aufgenommen.

Folgende Transkriptionsregeln (nach ALTRICHTER & POSCH 1998, S. 137f.) wurden

dabei berücksichtigt:

(lacht) = sinngemäße Ergänzung bzw. Charakterisierung nichtsprachlicher

Vorgänge

(?) = Unsichere Zuschreibung

() = Sprechpause unter 5 Sekunden

Begreifen = auffällige Betonung

Da das Experteninterview nur im Hinblick auf eine Forschungsfrage relevant ist,

nimmt es in der durchgeführten Untersuchung nur eine Randstellung ein und dient

vornehmlich zur Ermittlung von Hintergrundinformationen. Diese sollen in der

Darstellung der Ergebnisse zusammenfassend erläutert und im Anschluss

interpretiert werden.

Ethikkodex zur Forschung mit Kindern

Abschließend soll erwähnt werden, dass bei der oben beschriebenen Untersuchung

der Ethikkodex (nach WALTER-LAAGER & PFIFFNER 2009) zur Forschung mit Kindern

berücksichtigt und die Rechte der Schüler/innen gewahrt wurde. So wurde

beispielsweise im Vorfeld der Datenerhebung ein Elternbrief von der Klassenlehrerin

verteilt, indem die Erziehungsberechtigten über die besagte Untersuchung in

Kenntnis gesetzt wurden und eine Einverständniserklärung für Filmaufnahmen der

Kinder von den Eltern unterzeichnet werden musste (vgl. HOLMES 1998, S. 24).

Zudem wurde bei der schriftlichen Befragung darauf geachtet, dass den Kindern

genügend Zeit für die Beantwortung des Fragebogens eingeräumt wurde und keine

Fragen gestellt wurden, die die Schüler/innen dazu bringen, sich selber oder ihre

wichtigsten Bezugspersonen schlecht zu machen (vgl. WALTER-LAAGER & PFIFFNER

2009, S. 197 ff..). Keine Schülerin bzw. kein Schüler wurde gezwungen an der

schriftlichen Befragung teilzunehmen.

38

4. Darstellung der Ergebnisse

In diesem Kapitel sollen die Ergebnisse der passiv teilnehmenden Beobachtung, der

schriftlichen Befragung sowie des Experteninterviews im Hinblick auf folgende

Fragestellungsaspekte aufgezeigt werden:

Lernen Kinder mit handlungsorientierten Materialien aus der Lernwerkstatt

RÖSA oder mit Arbeitsblättern intensiver, leichter und einfacher und zeigen

mehr Lernfreude?

Ist der kognitive Lernzuwachs beim Lernen mit handlungsorientierten

Materialien aus der Lernwerkstatt RÖSA oder beim Lernen mit

Arbeitsblättern am Ende der Stunde bzw. nach einer Wochen höher?

Wie bewerten Lehrkräfte das Lernen mit Handlungsmaterialien aus der

Lernwerkstatt RÖSA sowie einen damit verbundenen handlungsorientierten

Unterricht?

4.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung

Mit Hilfe einer passiv teilnehmenden Beobachtung sollte ermittelt werden, bei

welchen Materialien Schüler/innen intensiver, leichter, einfacher und mit mehr

Freude lernen. Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Beobachtungsbögen im

Hinblick auf die oben genannten Kriterien zusammenfassend dargelegt werden.

In der Experimentalgruppe, die sich dem Unterrichtsgegenstand mit Arbeitsblättern

näherte, wurden die Schüler/innen Leyla, Jennifer, Sarah und Sven7 beobachtet.

Leyla, eine leistungsstarke Schülerin mit türkischem Migrationshintergrund, las zu

Beginn der Unterrichtsstunde die Aufgabenstellung des ersten Arbeitsblattes in der

Klasse laut vor. Nachdem das Mädchen zunächst noch einige Fragen bezüglich der

Aufgabenstellung an die Lehrerin hatte, begann die Schülerin konzentriert und aktiv

mit der Bearbeitung des ersten Arbeitsblattes. Obwohl Leyla ständig von ihrem

Sitznachbarn abgelenkt wurde, hatte sie bereits nach acht Minuten dieses

Arbeitsblatt beendet und wollte mit dem nächsten beginnen. Beim zweiten

Arbeitsblatt schien es zunächst einige Unklarheiten zu geben, sodass die Schülerin

erneut die Lehrerin um Rat fragte. Anschließend bearbeitete das Mädchen

konzentriert und in Einzelarbeit das zweite Arbeitsblatt. Jedoch wurde sie auch

hierbei mehrfach von ihrem Sitznachbarn angesprochen und abgelenkt. Während

Leyla zunächst noch ihrem Mitschüler weiterhalf, fühlte sie sich später jedoch

zusehends gestört und ermahnte ihren Sitznachbarn zur Weiterarbeit an seinem

Arbeitsblatt. Obwohl die Klasse nach ca. 25 Minuten immer unruhiger wurde und 7 Kindernamen sind aus Datenschutzrechten verändert worden

39

sich die Geräuschkulisse erheblich erhöhte, bearbeitete das Mädchen konzentriert

und sorgfältig ihr Arbeitsblatt bis zum Ende der Stunde.

Jennifer begann nach der Besprechung der Aufgabenstellung direkt mit der

Bearbeitung des ersten Arbeitsblattes. Sowohl das erste als auch das zweite

Arbeitsblatt wurden von der Schülerin, die von der Lehrerin als leistungsschwach

beschrieben wurde, konzentriert und zumeist in Einzelarbeit ausgeführt. Nach ca. 25

Minuten konnte jedoch beobachtet werden, dass sich die volle Aufmerksamkeit des

Mädchens nicht mehr ausschließlich auf das Arbeitsblatt richtete, sondern dass sie

sich zunehmend anderen Aktivitäten widmete. So beschäftigte sich die Schülerin

beispielsweise mit ihrem Pflaster, führte Privatgespräche, jonglierte ihren Stift auf

der Nase und interessierte sich auf einmal für die im Klassenraum aufgestellte

Videokamera. Nur noch zeitweilig richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf das

Anmalen des zweiten Arbeitsblattes.

Sarah konnte sich kaum auf die Bearbeitung der Arbeitsblätter konzentrieren. Die

leistungsschwache Schülerin wirkte des Öfteren sehr unaufmerksam, unruhig,

verhaltensauffällig und lenkte ihre Sitznachbarn immer wieder ab. Das Mädchen

hatte insbesondere beim zweiten Arbeitsblatt große Probleme, da sie die Uhr noch

nicht lesen konnte. Aus diesem Grund schaute sie oftmals zu ihren Mitschülern

hinüber oder fragte sie oder die Lehrerin um Rat, sodass sie ihre bisherigen

Aufzeichnungen immer wieder korrigieren musste. Nach ca. 25 Minuten stellte das

Mädchen die Bearbeitung des zweiten Arbeitsblattes vollkommen ein und redete mit

ihren Sitznachbarn. Die nervös und unruhig wirkende Schülerin konnte daher das

zweite Arbeitsblatt in der Unterrichtsstunde nicht beenden.

Sven war während der Bearbeitung der Arbeitsblätter sehr stark auf seine

Sitznachbarin Leyla (siehe oben) angewiesen. Der Schüler, der einem mittleren

Leistungsniveau entsprach, schaute des Öfteren zu dem Mädchen hinüber und bat

um ihre Hilfe. Anfängliche Schwierigkeiten hatte Sven insbesondere bei der

Aufgabenstellung des zweiten Arbeitsblattes, sodass der Junge auf die Erklärungen

seiner Sitznachbarin angewiesen war und dadurch die Aufgabe besser verstehen

konnte. Nachdem er das Arbeitsblatt eigenständig beendet und seine Ergebnisse

mit seiner Mitschülerin verglichen hatte, begann Sven mit dem Anmalen der

Symbole des ersten Arbeitsblattes. Da sich zu diesem Zeitpunkt der Geräuschpegel

an den Nachbartischen zunehmend erhöhte, ließ sich auch der Junge immer stärker

von Privatgesprächen am Gruppentisch ablenken, sodass er nicht mehr

ausnahmslos mit seinem Arbeitsblatt beschäftigt war. Auch wurde er auf einmal,

genauso wie seine Mitschülerin Jennifer, auf die Videokamera im Klassenraum

aufmerksam und fragte mich, warum ich dort filmen würde.

40

Aus der Experimentalgruppe, die mit Handlungsmaterialien der RÖSA gearbeitet

hat, standen Jan, Lars, Laura und Alexander im Fokus der Einzelbeobachtung.

Jan hat während der gesamten Unterrichtsstunde mit seinem Sitznachbarn

zusammengearbeitet. Der Schüler, der als besonders leistungsschwach von der

Sachunterrichtslehrerin eingestuft wurde, sowie sein Mitschüler zeigten ein großes

Interesse an den Handlungsmaterialien und beschäftigten sich während des

Unterrichts mit mehreren RÖSA-Materialien. Neben einer intensiven

Auseinandersetzung mit einem Buch über die „Zeit“, haben sich die beiden Jungen

insbesondere für die Spiele (Jahreszeiten-Memory, Jahreszeitenspiel etc.) des

„Lernbuffets“ interessiert. Auffällig war hierbei vor allem, dass die

Handlungsanweisungen der Materialien oftmals nicht von den beiden Schülern

verstanden wurden, sodass einige Spiele schon nach kurzer Zeit wieder zum

„Lernbuffet“ zurückgebracht wurden. Des Weiteren war zu beobachteten, dass die

Handlungsanweisungen einzelner Materialien von den beiden Jungen gar nicht

gelesen wurden, sondern dass es zur selbstständigen Erschließung der

Vorgehensweise kam. Beide Schüler wirkten während der Unterrichtsstunde sehr

aktiv, motiviert und kommunizierten die meiste Zeit leise miteinander.

Lars beschäftigte sich während der gesamten Sachunterrichtssunde vorwiegend in

Einzelarbeit mit zwei Handlungsmaterialien, wobei für den Schüler insbesondere

von der Uhrenkiste eine große Faszination ausging, die sein Interesse sowie seine

Neugierde weckte. Lediglich fünf Minuten der Unterrichtsstunde konnte sich Lars

von den kaputten Uhren der Uhrenkiste entziehen und ordnete an einem

Jahreszeiten-Stoffkreis im Beisein der Lehrerin die zur Jahreszeit passenden

Gegenstände zu. Bei der Zuordnung dieser Objekte hatte der Schüler allerdings

einige Schwierigkeiten, sodass die Lehrerin und ein Mitschüler Lars zum Teil

weiterhelfen mussten. Schnell verlor der Junge aufgrund seines Misserfolgs das

Interesse an dem Handlungsmaterial und begab sich alleine erneut zur Uhrenkiste

ans „Lernbuffet“. Jan nahm nahezu jede Uhr einmal in die Hand, horchte und drehte

an ihr herum und setzte auseinandergefallene Uhren wieder zusammen. Nach

diesem Erfolgserlebnis zeigte er mir stolz und voller Freude eine richtig

zusammengesetzte Uhr. Der technisch interessierte Schüler arbeitete sehr vertieft

an diesen Handlungsmaterialen und ließ sich nicht für die anderen RÖSA-

Materialien am „Lernbuffet“ begeistern. Nachdem Jan auch der Lehrerin seine

eigenständig zusammengesetzte Uhr präsentierte, erklärte diese dem Schüler

anhand der realen Uhr die Uhrzeiten. Hierbei wirkte der Junge sehr interessiert und

ließ sich gerne die Uhrzeit von der Lehrerin erklären. Im Vorfeld der Stunde

41

beschrieb die Lehrerin den Jungen als einen hyperaktiven und leistungsschwachen

Schüler. Dieses konnte während der Beobachtung allerdings zu keinem Zeitpunkt

festgestellt werden.

Laura nahm sich vom „Lernbuffet“ zunächst ein Buch und las mehrere Seiten darin.

Das Mädchen, das als leistungsstarke Schülerin von der Lehrerin beschrieben

wurde, wirkte sehr vertieft in das Buch und verhielt sich während der gesamten

Beobachtung sehr ruhig. Im Anschluss an die Beschäftigung mit dem Buch spielte

Laura zusammen mit ihrer Mitschülerin ein Uhren-Quartett. Hiermit waren die

beiden Mädchen den Großteil der Unterrichtsstunde (ca. 15 Minuten) beschäftigt

und wirkten sehr ausgelassen. Anschließend begab sich Laura alleine zum

„Lernbuffet“ und schaute sich mehrere Handlungsmaterialien an, mit denen sie sich

aber nicht näher beschäftigte.

Alexander hat sich zu Beginn der Stunde einer Jungengruppe angeschlossen, die

ein Zeit-Memory spielte. Während dieser Gruppenarbeitsphase hielt sich der Junge

allerdings stark zurück, war sehr still und wirkte etwas passiv und abwesend. Da der

Schüler ein wenig abseits der Gruppe saß, konnte er sich nur selten in das

Spielgeschehen einbringen und schaute des Öfteren gelangweilt durch den

Klassenraum. Nach dieser Gruppenarbeitsphase begab sich der Junge alleine zum

Jahreszeitenkreis, an dem bereits ein weiterer Mitschüler die zur Jahreszeit

passenden Gegenstände zuordnete. Alexander fand schnell Anschluss und half

dem Mitschüler, den Jahreszeitenkreis mit den vorgegebenen Objekten zu

vollenden. Hierbei wirkte der Junge viel aktiver, motivierter und arbeitete sichtlich

bemüht mit seinem Mitschüler zusammen. Nachdem alle Arbeitsaufträge erfüllt

waren, ging Alexander das erste Mal zum „Lernbuffet“ und betrachtete intensiv eine

kaputte Uhr der Uhrenkiste. Der beobachtete Schüler war stets bestrebt mit seinen

Mitschülern zusammenzuarbeiten. Da sich zunächst allerdings keine Mitschüler zum

Spielen finden ließen, fragte Alexander seine Sachunterrichtslehrerin. Diese riet ihm

allerdings, seine Mitschüler/innen aufzusuchen. Schließlich fand der Junge doch

einen Klassenkameraden, mit dem er zusammen ein weiteres Memory spielte. Auch

bei dieser Partnerarbeit wirkte Alexander sehr aktiv, motiviert, interessiert und hatte

sichtlich Freude.

4.2 Die schriftliche Befragung

Um zu ermitteln, bei welcher Experimentalgruppe der höhere kognitive Lernzuwachs

unmittelbar nach der Interventionsstunde sowie nach einer einwöchigen

Unterbrechung erfolgte, wurden zwei schriftliche Befragungen in beiden

42

Parallelklassen durchgeführt. In der Experimentalgruppe A (Arbeitsblattunterricht)

beteiligten sich an der ersten Fragebogenerhebung 19 Schüler/innen, wobei zwei

Fragebögen aufgrund der Mithilfe der Lehrerin sowie einer unleserlichen Handschrift

nicht berücksichtigt und ausgewertet werden konnten. An der zweiten schriftlichen

Befragung nahmen schließlich 18 Schüler/innen teil, da eine Schülerin

krankheitsbedingt fehlte. In der Experimentalgruppe B, die mit exemplarisch

ausgewählten RÖSA-Materialien gearbeitet hatte, nahmen sowohl an der ersten als

auch an der zweiten Befragung 12 Schüler/innen teil.

Die Schüler/innen der Experimentalgruppe A bezogen sich im Hinblick auf die erste

Frage („An der heutigen Stunde hat mir besonders gut gefallen:“) größtenteils auf

den Unterrichtsinhalt („Das wir wass über Uheren gelernt haben“ 8 ) sowie auf

positive subjektive Erfahrungen (z.B. „Das ich vertisch geworden bin.“) während der

Interventionsstunde. Lediglich ein Schüler äußerte sich kritisch zum

Unterrichtgeschehen und gab zur Antwort, dass ihm „nichts“ an der

Sachunterrichtsstunde gefallen habe. Ein weiterer Schüler nahm auf die oben

genannte Frage keine Stellung und machte stattdessen hinsichtlich der zweiten

Frage („An der heutigen Stunde hat mir nicht so gut gefallen:“) die Aussage, „das

der Unterricht blöt war“. Auch eine weitere Schülerin kritisierte das

Unterrichtsgeschehen. Dem Mädchen war aufgefallen, dass es während der

beobachteten Sachunterrichtsstunde besonders laut in der Klasse war und hatte

dieses auch im Fragebogen angemerkt. Auffällig erschien hingegen, dass acht

Schülern/innen keinerlei Anmerkungen zur Unterrichtsstunde machten und ihnen

demnach alles gefallen haben muss. Auch bei der zweiten Frage wurden

insbesondere subjektive Erfahrungen von den Kindern genannt („Das ich die Urh

nicht so gut kont“). Der Unterrichtsinhalt wurde hingegen nicht negativ bewertet.

Die Schüler/innen der Experimentalgruppe B, die mit handlungsorientierten

Materialien der RÖSA gearbeitet hatten, nannten unterschiedliche

Handlungsmaterialien, die ihnen besonders gut gefallen hatten. Insbesondere die

Spiele (z.B. Uhren- bzw. Zeit-Lotto, Uhrenmemory, Quiz) wurden von den Kindern

oft (10x) erwähnt und positiv bewertetet. Des Weiteren fanden die Schüler/innen

großes Gefallen an den Büchern sowie den kaputten Uhren, die von den Kindern

jeweils fünf Mal angegeben wurden. Kritik wurde nur in Anlehnung an einzelne

Handlungsmaterialien geübt, mit denen beispielsweise negative Erfahrungen

gemacht wurden („Das das memorie so lange gedauert hat, das ich beim Lotto nicht

gewonnen habe.“). Fünf Schüler/innen hat die Unterrichtsstunde mit den RÖSA-

Materialien allerdings ausgesprochen gut gefallen, sodass nichts kritisiert wurde. 8 Die Orthografie der Grundschüler/innen wurde nicht verändert.

43

Eine Schülerin begründete ihre Aussage sogar und führte an: „weil es nicht

langweilig war“. 9

Abbildung 5: Kategorisierung der Schülerantworten zur Frage: „Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“ (Arbeitsblattunterricht)

Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung

Abbildung 5 zeigt die Gesamtzahl der abgegebenen Schülerantworten der

Experimentalgruppe A (Arbeitsblattunterricht) bei der ersten Fragebogenerhebung

auf die Frage „Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“. Die

Schüleraussagen wurden hinsichtlich des inhaltsanalytischen Verfahrens nach

MAYRING ausgewertet und kategorisiert (siehe Kapitel 3.5.2). Im Hinblick auf dieses

Kategoriensystem wurden die Schülerantworten zusammengefasst und folgende

Ergebnisse ermittelt:

Sieben Schüler/innen gaben auf die oben genannte Frage „allgemeine

Unterrichtsinhalte“ wie zum Beispiel „Die Uhrzeit und verschiedene Uhren.“ oder

„Namen von den Uhren“ zur Antwort. Das „Lernergebnis umrissen“ wurde von sechs

Kindern. Unter dieser Kategorie wurden beispielsweise Antworten gefasst, wie „mit

9 Die vollständige Übersicht der Schülerantworten der 1. und 2. Fragebogenerhebung befindet sich im Anhang.

44

den Uhr zeiten habe ich gelernt“ oder „ein kleines bischen die urh lesen“. Des

Weiteren konnten drei Schüler/innen kein Lernergebnis erkennen, da Aussagen wie

„Ich weiß nicht recht was aber irgent etwas bestimt“ getätigt wurden. Zudem wurden

von zwei Kinder „keine stundenrelevanten Unterrichtsinhalte genannt“ (z.B. „wie

man mit der Uhr umgeht.“).

Abbildung 6: Kategorisierung der Schülerantworten zur Frage: „Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“ (Handlungsorientierter Unterricht)

Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung

Abbildung 6 gibt Aufschluss über die abgegebenen Schülerantworten der ersten

Fragebogenerhebung zur oben genannten Frage der Experimentalgruppe B, die mit

Handlungsmaterialien aus der RÖSA gearbeitet hatte. Im Anschluss an die induktive

Kategorienbildung (nach MAYRING) ergab die Auswertung der Schüleraussagen

folgendes:

Mehr als die Hälfte der Schülerantworten entfielen auf die Kategorie „allgemeine

Handlungserinnerung“. Hierbei wurde unter anderem genannt, dass „Etwas über

Uhren die Kaputt waren“ gelernt wurde oder „Ales selbst zu machen…“. Besonders

auffällig war zudem, dass mehr als ein Drittel der Kinder kein Lernergebnis

formulieren konnten (z.B. „Ich habe nichs gelernt.“). Während in der

45

Experimentalgruppe A von den Schülern/innen keine Erkenntnisse genannt wurden,

gab es in der Experimentalgruppe B immerhin zwei Schüler/innen, die derartige

Feststellungen leisten konnten.

Mit Hilfe der folgenden tabellarischen Gegenüberstellung (Abbildung 7) sollen noch

einmal zusammenfassend die Ergebnisse der ersten Fragebogenerhebung der

beiden Experimentalgruppen dargestellt werden, die einen Überblick über die

Anzahl der kategorisierten Schülerantworten gibt.

Abbildung 7: Tabellarische Gegenüberstellung der Ergebnisse der beiden Experimentalgruppen nach der ersten Fragebogenerhebung

Kategorien Experimentalgruppe A (Arbeitsblattunterricht)

Experimentalgruppe B (Handlungsorientierter Unterricht)

Allgemeine Unterrichtinhalte

genannt

7

0

Lernergebnis

umrissen

6

0

Lernergebnis nicht erkannt/ formuliert

3

5

Nicht stunden- relevante

Unterrichtsinhalte genannt

2

0

Allgemeine

Handlungserinnerung

0

8

Erkenntnis formuliert

0

2

Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung

46

Abbildung 8: Kategorisierung der Schülerantworten der zweiten Fragebogenerhebung (Arbeitsblattunterricht)

Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung

In Abbildung 8 wird ersichtlich, welche Aussagen die Schüler/innen der

Experimentalgruppe A bei der zweiten schriftlichen Befragung im Hinblick auf die

Fragen „Weißt du noch, was du in dieser Sachunterrichtsstunde gemacht hast?“ und

„Was hast du in dieser Unterrichtsstunde gelernt?“ getätigt haben. Rund 40 Prozent

der Schüler/innen haben mit Aussagen wie zum Beispiel „Wir haben die Zeit

gelernt.“ oder „Das wir so filh über Uhren gelernd haben!“ das „Lernergebnis

umrissen“. Jeweils sieben Kinder nannten bei der zweiten schriftlichen Befragung

allgemeine Unterrichtsinhalte und konnten keine stundenrelevanten

Unterrichtsinhalte sowie Lernergebnisse formulieren. Lediglich ein Grundschüler ließ

seine subjektiven Erfahrungen („oich kenengelert“) in seine Antwort mit einfließen.

47

Abbildung 9: Kategorisierung der Schülerantworten der zweiten Fragebogenerhebung (Handlungsorientierter Unterricht)

Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung

Abbildung 9 zeigt die Aussagen der Kinder der Experimentalgruppe B

(Handlungsorientierter Unterricht) bei der zweiten Fragebogenerhebung hinsichtlich

der oben genannten Fragen (siehe Abbildung 7). Auffällig war hierbei insbesondere

die große Bandbreite an verschiedenen Schülerantworten, die entsprechend der

dargestellten Kategorien zusammengefasst wurden. Während sich in der

Experimentalgruppe A keine Schülerin bzw. kein Schüler an die genauen

Unterrichtsinhalte der Interventionsstunde erinnern konnte, wurden in der

Versuchsgruppe die meisten Aussagen (24) im Hinblick auf detaillierte Handlungen

der Kinder gemacht. So äußerten die Schüler/innen beispielsweise: „Ich hab Zeitloto

geschpilt. Ich hab Uhrenmemori geschpilt. Ich hab ein Jahreszeiten spiel gespielt.“

Des Weiteren entfielen 18 Schülerantworten auf die Kategorie „allgemeine

Handlungserinnerung“, wobei folgendes wiedergegeben wurde: „Ich habe mir die

Uhren angekukt. Ich habe ein Spiel gespielt. Ich habe ein Buch gelesen.“ Zwölf Mal

wurde das Lernergebnis von den Schülern/innen umrissen und in fünf Fällen

konnten keine Angaben zum Lernergebnis gemacht werden („Ich hab nichs

gelernt.“). Zudem konnten vier Schüler/innen Erkenntnisse formulieren („Ich habe

48

gelernt das die Sonne Mittags am höchsten ist.“) und es wurden drei affektiv

emotionale Äußerungen getätigt („und die kakuten Uhren waren schön.“).

Die nachfolgende tabellarische Gegenüberstellung (Abbildung 10) der Ergebnisse

der Experimentalgruppen A (Arbeitsblattunterricht) und B (Handlungsorientierter

Unterricht) soll eine Übersicht über die kategorisierten Schülerantworten bei der

zweiten Fragebogenerhebung geben. Hierbei wird unter anderem besonders

deutlich, dass die Experimentalgruppe B, die mit RÖSA-Materialien gearbeitet hatte,

insgesamt gesehen wesentlich mehr Inhaltsaspekte nennt als die

Experimentalgruppe A.

Abbildung 10: Tabellarische Gegenüberstellung der Ergebnisse der beiden Experimentalgruppen nach der zweiten Fragebogenerhebung

Kategorien Experimentalgruppe A (Arbeitsblattunterricht)

Experimentalgruppe B (Handlungsorientierter Unterricht)

Lernergebnis umrissen

14

12

Nicht stunden-relevante

Unterrichtsinhalte genannt

7

0

Lernergebnis nicht

erkannt

7

5

Allgemeine Unterrichtsinhalte

genannt

7

0

Subjektive

Erfahrungen genannt

1

0

Detaillierte

Handlungserinnerung

0

24

Allgemeine

Handlungserinnerung

0

18

Erkenntnis formuliert

0

4

Affektiv emotionale Bewertung

0

3

Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung

49

Abbildung 11: Vergleich der Anzahl der Wissenselemente der Experimentalgruppen (Handlungsorientierter vs. Arbeitsblattunterricht) bei der 1. und 2. Befragung

Quelle: FREESE 2009, eigene Darstellung

Wie in Abbildung 11 zu erkennen ist, wird die Anzahl der genannten

Wissenselemente, die durch die erste und zweite schriftliche Befragung erhoben

wurde, der beiden Experimentalgruppen (handlungsorientierter Unterricht vs.

Arbeitsblattunterricht) gegenübergestellt und miteinander verglichen.

Während die Schüler/innen der Versuchsgruppe, die mit handlungsorientierten

Materialien aus der RÖSA gearbeitet hatten, bei der ersten Befragung lediglich zehn

Wissenselemente aufzählen konnten, hat sich die Anzahl dieser bei der zweiten

Fragebogenerhebung mehr als versechsfacht. Die Kinder der Versuchsgruppen

konnten insbesondere bei der letzten Befragung nahezu dreimal so viele

Wissenselemente (61) aufzählen, als die Kontrollgruppe (24). Die niedrige Anzahl

der Wissenselemente bei der ersten Befragung in der Versuchsgruppe

(handlungsorientierter Unterricht) lässt sich vor allem dadurch erklären, dass die

Schüler zum Teil nicht in der Lage waren, ein Lernergebnis zu formulieren. Folglich

konnten die Kinder der Kontrollgruppe (Arbeitsblattunterricht) ein wenig mehr

Wissenselemente (13) als die Schüler der Versuchsgruppe nennen.

50

4.3 Das Experteninterview

Im Hinblick auf die Forschungsfrage, wie Lehrkräfte die RÖSA-Materialien und

einen damit verbundenen handlungsorientierten Unterricht bewerten, wurde ein

Experteninterview mit der Lehrerin der Versuchsgruppe geführt. Im Folgenden

sollen die erhobenen Ergebnisse dieser Expertenbefragung dargestellt werden:

Die betreuende Sachunterrichtslehrerin der Versuchsgruppe ist der Überzeugung,

dass Grundschüler/innen durch einen handlungsorientierten Unterricht sehr viel

lernen können. Sie ist allerdings auch der Meinung, dass ein handlungsorientierter

Unterricht im Vergleich zu einem traditionellen Unterricht nicht unmittelbar zu einem

größeren kognitiven Lernzuwachs bei den Schülern/innen führen müsse. Aus der

Sicht der Lehrerin könne man dieses nicht verallgemeinern. Denn jedes Kind habe

seinen individuellen Lernweg: So würden einige Schüler am besten lernen, wenn sie

selbstständig arbeiten könnten. Andere Kinder hingegen würden durch den

auditiven Kanal oder durch eine handelnde Auseinandersetzung mit der Sache

besser lernen können. Ob ein kognitiver Lernzuwachs erfolgt, sei immer abhängig

von dem jeweiligen Kind, der Lehrkraft sowie der Unterrichtssituation.

Die Lehrerin empfand die Sachunterrichtsstunde, in der mit Handlungsmaterialien

aus der RÖSA gearbeitet wurde, als sehr animierend für die Kinder. Besonders gut

gefallen haben ihr insbesondere die Spiele, die in Gruppenarbeit durchgeführt

werden konnten, sowie der Stoffkreis über die Jahreszeiten. Hierbei betonte sie vor

allem die Förderung der kommunikativen Kompetenzen der Schüler/innen, die mit

der handelnden Auseinandersetzung der Materialien verbunden sei.

Kritisch angemerkt hat sie allerdings, dass einige Kinder mit den Materialien nicht

das gemacht hätten, was eigentlich vorgesehen wäre. So führte sie beispielsweise

an, dass besonders technisch interessierte Schüler/innen viel lieber mit dem

technischen Material der Uhren beschäftigt gewesen seien, als sich freiwillig mit der

Uhrzeit zu befassen. In diesem Fall, so die Sachunterrichtslehrerin, mussten die

Kinder sehr stark von der Lehrkraft angeleitet werden, um sich entsprechend der

Handlungsanweisungen zu verhalten. Des Weiteren gab die Lehrerin zu Bedenken,

dass womöglich nicht allen Kindern bewusst geworden sei, dass sie in der

Unterrichtsstunde mit den Handlungsmaterialien etwas gelernt haben.

Nichtsdestotrotz bewertete die Lehrerin die handlungsorientierte

Sachunterrichtsstunde mit den RÖSA-Materialien sehr positiv, da auch sie sehr

häufig mit Handlungsmaterialien im Unterricht arbeiteten würde. Aus diesem Grund

würde sie auch jederzeit auf die Handlungsmaterialien der RÖSA zurückgreifen

wollen, da diese dann nicht selber hergestellt werden müssten. Jenen Aspekt sieht

sie auch als Hauptgrund, weshalb handlungsorientierter Unterricht so selten im

51

Sachunterricht stattfinde. Da entsprechende Materialien schlecht zu bekommen

seien und Lehrkräfte zahlreiche Verpflichtungen hätten, erscheint es oftmals

unmöglich, sich auch noch um die Handlungsmaterialien für den Unterricht zu

kümmern.

52

5. Interpretation der Ergebnisse

Im Folgenden sollen die erhobenen Ergebnisse der passiv teilnehmenden

Beobachtung, der schriftlichen Befragung sowie des Experteninterviews im Hinblick

auf die aufgestellten Forschungsfragen interpretiert werden.

5.1 Die passiv teilnehmende Beobachtung

Beim Vergleich der Beobachtungsbögen der Schüler/innen wurden gravierende

Unterschiede im Hinblick auf die Verhaltensweisen der Kinder zwischen

Arbeitsblattunterricht und handlungsorientiertem Unterricht festgestellt. Diese

resultieren womöglich vornehmlich aus dem Desinteresse bzw. Interesse der

Schüler/innen an der jeweiligen Unterrichtsform. Im Folgenden sollen spezifische

Verhaltensauffälligkeiten der jeweils beobachteten Schülergruppe beider

Experimentalgruppen dargelegt und interpretiert werden.

Das „Lernbuffet“ hat bei den Schülern/innen der Versuchsgruppe bereits beim

Hereinkommen in die Klasse eine gewisse Spannung erzeugt und die Kinder

neugierig auf die aufgebauten Handlungsmaterialien gemacht. Daher verwundert es

nicht, dass alle Kinder den Erklärungen der Lehrerin zu Beginn der

Sachunterrichtsstunde mit voller Aufmerksamkeit folgten und sich im Anschluss

größtenteils an das „Lernbuffet“ begaben. Die Kinder waren sichtlich interessiert an

den RÖSA-Materialien und konnten es kaum erwarten, die Lernutensilien

auszuprobieren. Bereits HARTINGER (2001) konnte in einer Studie nachweisen, dass

Schüler/innen umso motivierter und interessierter am Unterricht sind, wenn sie

selbst bestimmen können. Ähnliches konnte auch in dieser Klasse festgestellt

werden.

Die beobachteten Schüler/innen haben die Handlungsmaterialien der RÖSA

größtenteils sehr gut angenommen und dabei ein aktives Arbeitsverhalten gezeigt.

Die unbekannten Materialien haben die Kinder neugierig gemacht, ein großes

Interesse hervorgerufen und die Schüler/innen zu einer motivierten

Herangehensweise animiert. Insbesondere die Uhrenkiste hatte für die Kinder einen

hohen Aufforderungscharakter. Die darin enthaltenen kaputten Uhren haben vor

allem die Neugierde und das Interesse der Jungen geweckt und zur Beschäftigung

herausgefordert. Dieses geschlechtspezifische Interesse ist womöglich auf den eher

technisch ausgelegten Charakter des Handlungsmaterials zurückzuführen. Mehrere

Schüler drehten an den defekten Uhren herum, betrachteten sie intensiv oder

versuchten, auseinandergefallene Uhren wieder richtig zusammenzusetzen.

53

Insbesondere Lars 10 , der von der Lehrerin im Vorfeld der Stunde als ein

leistungsschwacher und hyperaktiver Schüler beschrieben wurde, zeigte großes

Interesse an den kaputten Uhren und richtete seine Aufmerksamkeit immer wieder

auf das besagte RÖSA-Material. Der Junge unternahm Versuche zur aktiven

Problemlösung (Zusammensetzen von Uhren) und wirkte während der

Unterrichtsstunde sehr vertieft, ruhig, ausgeglichen und keinesfalls

verhaltensauffällig. Ein Verhaltensmuster, das bereits in Untersuchung von FLYNN/

RAPOPORT (1976), GOETZE (1992), GOETZE/JÄGER (1991) (siehe Kapitel 2: Stand

der Forschung) festgestellt werden konnte und für die aktivierende und positive

Wirkung eines handlungsorientierten Unterrichts spricht.

Neben den defekten Uhren der Uhrenkiste wurden auch Spiele mit

Wettkampfcharakter häufig von den Schülern/innen ausgewählt und mit der

Partnerin oder dem Partner sowie in Kleingruppen gespielt. Die Spiele schienen

einen besonderen Anreiz für die Schüler/innen zu haben, da diese ihren natürlichen

kindlichen Bedürfnissen entsprachen und für die Kinder mit Spaß, Freude und

Herausforderungen verbunden waren. Hierbei ergaben sich für die Schülern/innen

auch genügend Möglichkeiten, um miteinander zu kommunizieren.

Die Ausdauer der Kinder am Handlungsmaterial war hingegen von Schüler/in zu

Schüler/in unterschiedlich. Während sich einige Kinder (wie zum Beispiel Lars)

intensiv mit einem bestimmten Handlungsmaterial beschäftigten, wechselten andere

Schüler/innen (wie beispielsweise Jan) häufig die RÖSA-Materialien. Letzteres war

oftmals dann der Fall, wenn die Kinder die Handlungsanweisungen (zumeist bei den

Spielen) nicht verstehen konnten. Insbesondere lernschwache Schüler/innen hatten

große Schwierigkeiten, die Handlungsanweisungen zu lesen, zu verstehen und in

Handlung umzusetzen, da diese zum Teil zu umfangreich formuliert waren und die

Kinder infolgedessen das Lesen abgebrochen haben. Diese Befunde konnten auch

in einer Studie von KAISER & TEIWES (2002) erhoben werden: „Häufig sind die Texte

sehr lang, mit vielen sehr expliziten und komplizierten Erklärungen, was die Kinder

meiner Ansicht nach zu oberflächlichem Überlesen des Textes veranlaßt. Dies führt

dazu, dass Handlungsaufträge nur teilweise verstanden werden. Die Kinder können

zwar meistens mit der Arbeit beginnen, wissen aber an einem bestimmten Punkt

einfach nicht mehr weiter“ (KAISER & TEIWES 2002). Die Schüler/innen hatten

oftmals nur das Bedürfnis zu handeln und haben daher die Handlungsanleitungen

des RÖSA-Materials außer Acht gelassen. Insbesondere leseschwache

Schüler/innen wurden durch die zum Teil sehr langen Handlungsanweisungen

entmutigt und haben entweder das handlungsorientierte Material zurück zum 10 Kindernamen sind aus Datenschutzrechten verändert worden

54

„Lernbuffet“ gebracht oder sich ihre Vorgehensweise selber erschlossen. Aus

diesem Grunde schließe ich mich der Ansicht von KAISER & TEIWES (2002) an und

bin der Meinung, dass es „[…] nicht so expliziter Ausführungen [bedarf], die die

einzelnen Handlungsschritte bis ins kleinste Detail erklären. Die Kinder sind häufig

auch in der Lage, mit weniger vorbereiteten und erklärten Materialien Aufgaben

durchzuführen.“

Die Lehrerin hat sich während der Interventionsstunde weitestgehend aus dem

Unterrichtsgeschehen herausgehalten. Sie musste nur selten eingreifen und hat den

Schülern/innen lediglich Hilfestellungen, Anregungen und Impulse zur

Beschäftigung mit den Handlungsmaterialien gegeben. Generell konnte jedoch

festgestellt werden, dass sich die Schüler/innen vielmehr untereinander

ausgetauscht haben und es nur sehr wenige Fragen an die Lehrerin gab. Obwohl

einige Kinder vor allem beim Erlesen der Anleitungen große Schwierigkeiten hatten,

wurde in den meisten Fällen nicht die Hilfe der Lehrerin in Anspruch genommen,

sondern eigene Lösungswege gesucht. Dieses Verhalten lässt sich dahingehend

interpretieren, dass die Schüler/innen sehr bestrebt waren, selbstständig zu

arbeiten. Da die Lehrerin erwähnt hatte, dass sie ausschließlich Wochenplanarbeit

in der Klasse durchführe, lässt sich das selbstständige Arbeitsverhalten der

Schüler/innen erklären.

Während der Interventionsstunde haben sich die Schüler/innen sowohl in Gruppen-,

Partner- als auch in Einzelarbeit mit den Handlungsmaterialien beschäftigt. Jan hat

beispielsweise ununterbrochen mit seinem Sitznachbarn zusammengearbeitet. Der

Junge hat keinen Schritt ohne seinen Mitschüler gemacht und sich während der

Sachunterrichtsstunde immer an seinem Sitznachbarn orientiert. Daher wird

angenommen, dass insbesondere lernschwache Schüler, wie Jan, eine

Bezugspersonen benötigen, die ihnen die Sicherheit geben „[…] sich in das

Handlungsgeschehen besser zu integrieren“ (KAISER & TEIWES 2002). Auch

Alexander war während der beobachteten Unterrichtsstunde sehr bemüht, mit

anderen Mitschülern/innen zusammenzuarbeiten. Daher schloss sich Alexander

zunächst auch einer Jungengruppe an, mit der er ein Memory spielte. Da der

Schüler sich allerdings nicht in die Gruppe einbringen konnte, sehr still war und

passiv und abwesend wirkte, wechselte er das Handlungsmaterial und beschäftigte

sich zusammen mit einem Mitschüler mit der Zuordnung von Gegenständen zum

Jahreszeitenkreis und konnte dabei aktiv an der Problemlösung mitwirken. Und

auch beim Memoryspielen mit einem anderen Klassenkameraden war Alexander

auf einmal viel aktiver, zeigte Interesse, lachte und unterhielt sich angeregt mit

seinem Mitschüler. Der Junge musste sich zunächst, so schien es, an diese

55

Unterrichtsform gewöhnen und hat sich daher einer größeren Gruppe

angeschlossen, in der er sich allerdings sichtlich unwohl fühlte. Erst durch die

Beschäftigung mit dem Handlungsmaterial, das er sich selber ausgesucht hatte und

in Partnerarbeit durchgeführt wurde, zeigte Alexander mehr Aktivität und

Lernfreude. Der Schüler hatte in der Klasse einen leichten Außenseiterstatus und

konnte sich daher in die größere Gruppe nicht integrieren. Um sich besser in das

Handlungsgeschehen einzufinden, war Alexander daher ständig auf der Suche nach

einer Bezugsperson, mit der er sich austauschen konnte. Die Partnerarbeit bot ihm

schließlich eine Schutzatmosphäre, die ihm eine innere Sicherheit gab und in der er

sich sichtlich wohl fühlte. Auch die soziale Strukturierung des handlungsorientierten

Unterrichts scheint eine wichtige Qualitätsbedingung zu sein.

Auffällig war allerdings, dass sich die Schüler/innen überwiegend in Gruppen bzw.

mit der Partnerin oder dem Partner mit den Handlungsmaterialien beschäftigten. So

fanden sich oftmals mehrere Kinder zum gemeinsamen Spielen oder zur

Bearbeitung der Handlungsmaterialien des „Lernbuffets“ zusammen. Hierdurch

konnte das Gruppen- und Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Klasse

gestärkt sowie kommunikative und soziale Kompetenzen gefördert werden.

Obwohl die Interventionsstunde an einem Freitag in der letzten Schulstunde

stattfand und die Klasse vornehmlich aus Jungen bestand, herrschte innerhalb der

Klasse eine sehr ruhige und angenehme Lernatmosphäre. Die beobachteten Kinder

haben größtenteils sehr vertieft bis zum Ende der Sachunterrichtsstunde mit den

Handlungsmaterialien gearbeitet und sich durchgängig beschäftigt. Dieses spricht

dafür, dass die Kinder ein großes Interesse an den RÖSA-Materialien sowie am

handlungsorientierten Unterricht zeigten. Da diese Art von Unterricht nicht alltäglich

für die Kinder war, musste der handlungsorientierte Unterricht daher umso

motivierender und begeisternder auf die Schülern/innen gewirkt haben. Als die

Lehrerin die Sachunterrichtstunde aufgrund der Bearbeitung des Fragebogens

beenden musste, schienen die Schüler/innen sehr enttäuscht zu sein und hätten

sich gerne weiter mit den RÖSA-Materialien beschäftigt.

Im Hinblick auf die erhobenen Beobachtungen kann also zusammenfassend

festgehalten werden, dass Schüler/innen durch einen handlungsorientierten

Unterricht zu einer selbstbestimmten, aktiven und kommunikativen

Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand angeregt und motiviert werden.

Das exemplarisch ausgewählte RÖSA-Material hat das Interesse und die Neugierde

der Kinder geweckt und das Unterrichtsgeschehen stark belebt. Lediglich das

Erlesen der zum Teil ausführlichen Handlungsanleitungen führte zu leichten

Problemen bei lernschwachen Schülern/innen.

56

Im Gegensatz zu den Handlungsmaterialien aus der RÖSA, hatten die Arbeitsblätter

für die Schüler/innen der Experimentalgruppe A keinen hohen Motivations- und

Aufforderungscharakter. Dieses konnte bereits zu Beginn der Unterrichtsstunde

festgestellt werden. Während die Klassenlehrerin die Aufgaben der Arbeitsblätter

erklärte, hörte nicht unmittelbar jedes Kind aufmerksam zu. Bei zwei der zu

beobachtenden Kinder (Sarah und Sven) wurde beispielsweise ein Kippeln mit dem

Stuhl registriert. Daher kann angenommen werden, dass die Bearbeitung der

Arbeitsblätter nicht gerade das Interesse und die Motivation dieser Kinder geweckt

hatte. Dass einige Kinder (wie zum Beispiel Sven) bei der Aufgabenbesprechung

nicht richtig zugehört hatten, wurde zudem daran ersichtlich, dass sich diese

Schüler/innen die Aufgaben von ihren Mitschülern/innen oder von der Lehrerin

abermals erklären lassen mussten. Folglich liegt die Vermutung nahe, dass ein

Arbeitsblattunterricht aufgrund seines nicht genügenden Aufforderungscharakters zu

einem unaufmerksamen Verhalten führt und damit die Ablenkungsbereitschaft

fördert. Zudem wurde beobachtet, dass selbst eine leistungsstarke und engagierte

Schülerin (wie Leyla) leichte Probleme mit den Arbeitsaufträgen der Arbeitsblätter

zeigte und oftmals die Lehrerin um Rat fragen musste. Das Mädchen und auch

andere Schüler/innen waren also in einem hohen Maße von der Lehrkraft abhängig

und hätten womöglich ohne ihre Hilfe größte Schwierigkeiten bei der Bearbeitung

der Aufgaben gehabt. Da es bei einem Arbeitsblatt oftmals nur eine richtige bzw.

eine falsche Lösung gab, waren die Schüler/innen in diesem Falle umso stärker auf

die Hilfestellungen der Lehrkraft angewiesen. Nachdem Leyla die Aufgaben

schließlich verstanden hatte, musste sie ihren Sitznachbarn über die richtige

Bearbeitung der Arbeitsblätter informieren. Sven profitierte von den erarbeiteten

Ergebnissen seiner Klassenkameradin sehr stark und lenkte Leyla des Öfteren

durch Fragen vom Lerngeschehen ab oder schaute zu ihr hinüber, um die richtige

Lösung zu übernehmen. Dieses Verhaltensmuster konnte während der

Interventionsstunde des Öfteren beobachtet werden. Da sich vor allem

leistungsschwache Schüler/innen auf die Hilfe von leistungsstarken Mitschüler/innen

verlassen, sich an ihnen orientieren und gegebenenfalls Ergebnisse „abschreiben“,

reduziert sich oftmals die Eigenleistung von den „schwächeren“ Schülern/innen und

führt zu einem geringeren kognitiven Lernzuwachs.

Während der beobachteten Interventionsstunde hatte es nicht den Anschein, dass

die Kinder die Aufgabe motiviert oder mit Freude bearbeiteten. Das Arbeitsklima

innerhalb der Klasse wurde vielmehr durch ein routiniertes Abarbeiten der

Aufgabenstellungen geprägt. Zudem wurde beobachtet, dass die Aufmerksamkeits-

und Konzentrationsspanne der Kinder beim Arbeitsblattunterricht deutlich geringer

57

war als bei der Experimentalgruppe, die mit Handlungsmaterialien aus der RÖSA

gearbeitet hatte. Während sich die Kinder der Experimentalgruppe B bis zum Ende

der Interventionsstunde intensiv mit den Handlungsmaterialien beschäftigten,

machten einige Schüler/innen der Kontrollgruppe, wie zum Beispiel Jennifer, bereits

nach der Hälfte der Unterrichtsstunde einen unaufmerksamen und gelangweilten

Eindruck und versuchten, sich unter anderem durch das Führen von

Privatgesprächen von der Bearbeitung der Arbeitsblätter abzulenken. Das Mädchen

zeigte also ein Verhalten, das nicht gerade für einen interessanten und

motivierenden Unterricht spricht. Die beobachteten Schüler/innen konnten sich im

Gegensatz zur Versuchsgruppe nicht bis zum Stundenende mit den Arbeitsblättern

beschäftigen und suchten vermehrt das Privatgespräch. Nach ca. 25 Minuten

erhöhte sich der Lärmpegel in der Klasse erheblich, sodass sich einige Kinder nicht

mehr auf ihr Arbeitsblatt konzentrieren konnten und von Mitschülern/innen abgelenkt

wurden.

Abschließend kann festgehalten werden, dass sich ein Arbeitsblattunterricht durch

sein geringes Maß an Selbstbestimmung der Schüler/innen negativ auf die

Motivation, das Interesse und das Leistungsverhalten auswirkt. Des Weiteren

konnte durch die passiv teilnehmende Beobachtung ermittelt werden, dass der

Arbeitsblattunterricht häufig eine Plattform für Ablenkungen durch Mitschüler/innen

bietet und damit die Unruhe und Unaufmerksamkeit innerhalb der Klasse fördert.

Zudem sind die Schüler/innen in einem hohen Maße von der Lehrkraft abhängig und

auf ihre Hilfestellungen angewiesen. Aufgrund der dargelegten negativen Aspekte

dieser Unterrichtsform sowie insbesondere durch die Einschränkung der

Selbstständigkeit der Schüler/innen wird die Qualität des Unterrichts stark

beeinträchtigt.

Ein handlungsorientierter Unterricht stellt also eine für die Kinder belebendere

Unterrichtsform dar, weil er gemäß dieser Forschungsergebnissen die

Selbstständigkeit der Schüler/innen fördert, die Motivation sowie die Neugierde der

Grundschulkinder weckt und zur aktiv-handelnden und kommunikativen

Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand anregt. Da die Schüler/innen

eigenständig über ihren Lernprozess bestimmen dürfen, können sie bei einem

handlungsorientierten Unterricht leichter, einfacher, intensiver und mit mehr Freude

lernen.

5.2 Die schriftliche Befragung

Unmittelbar nach der Interventionsstunde erhielten beide Experimentalgruppen

einen Fragebogen, durch den die Schüler/innen die Sachunterrichtsstunde bewerten

58

und Auskunft darüber erteilen sollten, was sie gelernt hatten. Die Schüler/innen der

Experimentalgruppe A, die sich dem Unterrichtsgegenstand mit Arbeitsblättern

näherte, bewerteten den Unterrichtsinhalt zumeist positiv und nannten positive

subjektive Erfahrungen („Das ich vertisch geworden bin.“) 11 . Kritische Stimmen

wurden allerdings im Hinblick auf den Unterricht laut: So äußerten einige

Schüler/innen, dass ihnen „nichts“ am Unterricht gefallen hat oder „das der

Unterricht blöt war“. Diese ehrlichen Aussagen der Zweitklässler blieben jedoch die

Ausnahme. Es hatte den Anschein, als ob die Kinder nicht den Mut hatten oder

gehemmt waren, eine Bewertung des Unterrichts abzugeben. Daher äußerten sich

womöglich auch die meisten Schüler/innen positiv zum Unterrichtsinhalt („Das wir

wass über Uheren gelernt haben“). Lediglich ein Mädchen berichtete, dass ihr der

Unterricht nicht gefallen hätte, da es während der Sachunterrichtsstunde sehr laut in

der Klasse gewesen wäre. Eine Beobachtung, die womöglich auch von anderen

Kindern gemacht wurde, jedoch nicht im Fragebogen genannt oder als störend

empfunden wurde. Obwohl der Unterricht für die Schüler/innen aufgrund der

Ergebnisse der passiv teilnehmenden Beobachtung sichtlich unmotivierend sowie

durch ein stupides und routiniertes Abarbeiten der Aufgabenstellungen geprägt war,

äußerten sich die meisten Zweitklässler positiv zum Lerngegenstand und hatten

wenig Kritik am Unterricht zu üben. Dieses Verhalten entspricht den Ergebnissen

einiger Forschungen und lässt sich dahingehend interpretieren, dass

Grundschüler/innen ihre Lehrerin sowie ihren Unterricht in hohem Maße schätzen,

sollte diese bzw. dieser auch noch so schlecht sein.

Die Schüler/innen der Experimentalgruppe B, die mit Handlungsmaterialien aus der

RÖSA arbeiteten, zählten diverse RÖSA-Materialien (insbesondere Spiele) auf, die

ihnen besonders gut gefallen hatten. Kritik hatten die Kinder lediglich an einzelnen

Utensilien zu üben, mit denen sie oftmals negative subjektive Erfahrungen während

der Interventionsstunde gemacht hatten (z.B. „…das ich beim Lotto nicht gewonnen

habe.“). Von fünf Schülern/innen – also fast der Hälfte der Klasse – wurde nichts am

Unterricht kritisiert, wobei eine Schülerin im Fragebogen angemerkt hatte, dass der

Unterricht nicht langweilig gewesen sei. Diese Aussage spricht dafür, dass diese

Unterrichtform, in der die Kinder aktiv handeln konnten, im Interesse der

Schüler/innen lag und ihre Motivation sowie ihre Neugierde geweckt haben musste.

Kritik am Unterricht hat hingegen kein Zweitklässler geäußert. Auch diese Tatsache

kann dahingehend interpretiert werden, dass der Unterricht von den Schülern/innen

als durchgehend positiv empfunden wurde und für die Kinder mit mehr Freude am

Lernen verbunden war. 11 Die Orthografie der Grundschüler/innen wurde nicht verändert.

59

Die dritte Frage („Das habe ich in der heutigen Unterrichtsstunde gelernt:“) des

Fragebogens sollte Aufschluss darüber geben, bei welcher Experimentalgruppe

unmittelbar nach der Interventionsstunde der größere kognitive Lernzuwachs

erfolgte. Auffällig war hierbei, dass bei beiden Experimentalgruppen vergleichbare

Kategorien nach dem inhaltsanalytischen Verfahren von MAYRING gebildet werden

konnten. Sowohl in der Experimentalgruppe A (Arbeitsblattunterricht) als auch B

(handlungsorientierter Unterricht) haben die Schüler/innen „allgemeine

Unterrichtsinhalte“ bzw. „allgemeine Handlungserinnerungen“ am häufigsten

genannt, wobei der prozentuale Anteil der Schüleraussagen der

Experimentalgruppe B, die sich auf „allgemeine Handlungserinnerungen“ bezogen,

erheblich höher war als in der Experimentalgruppe A. Die Kinder, die sich zuvor mit

den Handlungsmaterialien der RÖSA beschäftigt hatten, konnten sich zwar

mehrheitlich an ihre Handlungen erinnern, jedoch war ihnen zum Teil nicht bewusst,

was sie in der Sachunterrichtsstunde gelernt hatten. Dies lässt sich möglicherweise

dadurch erklären, dass viele Zweitklässler während der Interventionsstunde durch

die Beschäftigung mit Lernspielen nicht das Gefühl hatten, etwas gelernt zu haben.

Die impliziten Lernprozesse, die durch die kommunikative und aktive

Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand verbunden waren, konnten von den

Kindern nicht wahrgenommen werden und wurden daher auch nicht im Fragebogen

aufgeführt. Das handlungsorientierte Lernen entsprach für die Schüler/innen

womöglich keinem „normalen“ Unterrichtsgeschehen, sodass das Lernziel für die

Kinder womöglich nicht unmittelbar ersichtlich wurde.

Nichtsdestotrotz gab es in der Experimentalgruppe B (Handlungsorientierter

Unterricht) sogar eine Schülerin und einen Schüler, die direkt nach der

Interventionsstunde eine Erkenntnis („Das eine Sonnenuhr nur fuktioniert wenn die

Sonne scheint.“) formulieren konnten. Derartige Feststellungen wurden nur in

dieser Gruppe geleistet und sprechen für die Effektivität eines handlungsorientierten

Unterrichts.

Um zu ermitteln, bei welcher Experimentalgruppe nach einer Woche ein höherer

kognitiver Lernzuwachs zu verzeichnen war, wurde sieben Tage nach der jeweiligen

Unterrichtung ein weiterer Fragebogen eingereicht. Bei der Auswertung der

Fragebögen konnte festgestellt werden, dass insbesondere die Schülerantworten

der Experimentalgruppe B, die mit RÖSA-Materialien gearbeitet hatte, sehr viel

ausführlicher waren, als bei der ersten schriftlichen Befragung. Die Kinder konnten

sich noch sehr genau an die Handlungsmaterialien erinnern, mit denen sie sich in

der Interventionsstunde beschäftigt hatten und zählten diese im Fragebogen auf.

Durch die aktiv-handelnde Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand konnten

60

sich die Zweitklässler besser an die Details der Sachunterrichtsstunde erinnern als

die Experimentalgruppe A. Die interessengeleiteten und selbstbestimmten

Tätigkeiten der Schüler/innen während des Unterrichts konnten sich fest in den

Köpfen der Zweitklässler verankern und sind möglicherweise auch in Zukunft noch

präsent.

Ein anderes Bild zeigte sich hingegen in der Experimentalgruppe A, die sich dem

Unterrichtsgegenstand mit Arbeitsblättern genähert hatte. Die Schüler/innen

konnten sich bei der zweiten schriftlichen Befragung nur mit Mühe an das

Unterrichtsgeschehen der letzten Woche erinnern. Die Auswertung der Fragebögen

ergab schließlich, dass lediglich sieben Schüler/innen noch in der Lage waren,

„allgemeine Unterrichtsinhalte“ wiederzugeben. Nahezu die Hälfte der Zweitklässler

(7 Kinder) konnte sich bereits nach einer Woche nicht mehr an das

Unterrichtsgeschehen erinnern und nannte im Fragebogen keine

„stundenrelevanten Unterrichtsinhalte“. Diese erhobenen Ergebnisse sprechen

eindeutig für die Uneffektivität eines „Arbeitsblattunterrichts“ und rücken diese

Unterrichtsform in ein nicht unerwartetes „schlechtes Licht“.

Auch bei der zweiten schriftlichen Befragung konnten einige Schüler/innen beider

Experimentalgruppe kein Lernergebnis formulieren. Während nach der ersten

Fragebogenerhebung lediglich drei Kinder der Experimentalgruppe A

(Arbeitsblattunterricht) kein Lernergebnis erkennen konnten, waren es bei der

zweiten schriftlichen Befragung bereits sieben Zweitklässler. Da die Schüler/innen

zum Teil keine Erinnerung mehr an die Sachunterrichtsstunde hatten, konnten sie

zumeist auch kein Lernergebnis formulieren. In der Experimentalgruppe B

(handlungsorientierter Unterricht) blieb hingegen die Anzahl der Schüler/innen,

denen nicht bewusst war, was sie gelernt hatten, gleich.

Während die Zweitklässler der Experimentalgruppe B, die mit Handlungsmaterialen

aus der RÖSA gearbeitet hatten, unmittelbar nach der Interventionsstunde weniger

Wissenselemente (10) als die Experimentalgruppe A (13) nannten, konnte sich

dieser Wert nach einer Woche mehr als versechsfachen (61). Die relativ geringe

Anzahl der Wissenselemente bei der ersten schriftlichen Befragung resultiert

womöglich vornehmlich daraus, dass einigen Kindern nicht bewusst war, was sie

gelernt hatten und dieses auch im Fragebogen äußerten. Bei der zweiten

schriftlichen Befragung konnten sich die Schüler/innen hingegen viel besser und

detaillierter an ihre Handlungen während der Interventionsstunde erinnern als die

Kinder der Experimentalgruppe A. Der kognitive Lernzuwachs der Schüler/innen der

Experimentalgruppe B ist also mehr als doppelt so hoch gewesen als bei der

Gruppe, die mit Arbeitsblättern zum gleichen Unterrichtsgegenstand belehrt wurde.

61

Daher kann die Effektivität eines handlungsorientierten Unterrichts im Vergleich zu

einem „Arbeitsblattunterricht“ anhand der ermittelten Wissenselemente deutlich

belegt werden.

5.3 Das Experteninterview

Die Lehrerin der Experimentalgruppe B, die den Unterricht mit Handlungsmaterialien

aus der RÖSA gestaltete, zeigte weniger inhaltliche Nähe zum Konzept des

handlungsorientierten Unterrichts. Dieses wurde unter anderem daran deutlich, dass

die Lehrerin die falsche Vorgehensweise der Schüler/innen mit den RÖSA-

Materialien im Interview kritisierte und damit sehr stark auf ihr oberflächliches

Richtlinienwissen beharrte. Es deutete vieles darauf hin, dass die Lehrerin ihr

Hauptaugenmerk lediglich auf das Erlernen der Uhrzeiten richtete und nur in

geringem Maße die Problemlösekompetenz der Kinder anerkannte. So hatte sie

beispielsweise im Interview die interessengeleitete Beschäftigung mit dem

technischen Material der defekten Uhren kritisch angemerkt und den damit

verbundenen Problemlösungscharakter, der mit dem Zusammensetzen der zum Teil

auseinandergefallen Uhren verbunden war, überhaupt nicht wahrgenommen.

Obwohl die Lehrerin den handlungsorientierten Unterricht mit den RÖSA-Materialien

sehr positiv bewertete und auch erwähnte, dass sie selber häufig mit

Handlungsmaterialien im Unterricht arbeiten würde, machten die Äußerungen der

Lehrkraft im Experteninterview deutlich, dass die Lehrerin im Inneren nicht eindeutig

hinter den Zielen dieses Unterrichtskonzepts stand. Trotz dieser skeptischen

Einstellung ist es umso bemerkenswerter, dass der handlungsorientierte Unterricht

mit den RÖSA-Materialien der beobachteten Schülergruppe derart viele positive

Impulse geben konnte und zu einer aktiven, selbstbestimmten Auseinandersetzung

mit dem Unterrichtsgegenstand motivierte.

62

6. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

In der dargestellten empirischen Interventionsstudie sollte die Effektivität der RÖSA-

Materialien sowie dem darin materialisierten handlungsorientierten Unterricht

anhand ermittelter Wissenselemente überprüft werden. Diesbezüglich wurde

zunächst mit Hilfe einer passiv teilnehmenden Beobachtung ermittelt, ob Kinder mit

handlungsorientierten Materialien aus der Lernwerkstatt RÖSA oder mit

Arbeitsblättern intensiver, leichter und einfacher lernen sowie mehr Lernfreude

zeigen. Um herauszufinden, bei welcher Experimentalgruppe der höhere kognitive

Lernzuwachs erfolgte, wurden unmittelbar nach der Interventionsstunde sowie nach

einer Woche in beiden Parallelklassen jeweils zwei Fragebogenerhebungen

durchgeführt. Neben der separat auf Schülerinnen und Schüler bezogenen passiv

teilnehmenden Beobachtung und der Erhebung von Schüleraussagen bei der

schriftlichen Befragung, wurde durch das Experteninterview auch die Meinung der

Lehrkraft zum RÖSA-Material bzw. zur handlungsorientierten Sachunterrichtsstunde

in die Untersuchung miteinbezogen. Folgende aussagekräftige Ergebnisse konnten

im Hinblick auf die oben genannten Fragestellungsaspekte ermittelt werden:

Bei der passiv teilnehmenden Beobachtung wurden gravierende Unterschiede

hinsichtlich der Verhaltensweisen der Schüler/innen der beiden

Experimentalgruppen deutlich. So zeigten die beobachteten Kinder im

handlungsorientierten Unterricht ein aktives Arbeitsverhalten, wirkten sehr motiviert

und waren besonders interessiert an den RÖSA-Materialien. Selbst ein hyperaktiver

und leistungsschwacher Schüler verhielt sich aufgrund der Beschäftigung mit einem

interessengeleiteten Handlungsmaterial (kaputte Uhren aus der Uhrenkiste) sehr

ruhig, vertieft, ausgeglichen und unternahm Versuche zur aktiven Problemlösung

(Zusammensetzen der kaputten Uhren). Ein derartiges Verhaltensmuster konnte

bereits in Untersuchungen von FLYNN/ RAPOPORT (1976), GOETZE (1992),

GOETZE/JÄGER (1991) erhoben werden und spricht für die aktivierende und positive

Wirkung des RÖSA-Materials. Lediglich das Erlesen der zum Teil zu ausführlich

formulierten Handlungsanleitungen bereitete insbesondere leseschwachen

Schülern/innen große Schwierigkeiten. Infolge dessen wurde entweder die

Beschäftigung mit dem Handlungsmaterial abgebrochen oder die weitere

Vorgehensweise von den Schülern/innen eigenständig erschlossen. Derartige

Befunde konnten auch schon in einer Studie von KAISER & TEIWES (2002) erhoben

werden. Ferner wurde beobachtet, dass die Kinder sehr bestrebt waren,

selbstständig zu arbeiten und sehr selten die Hilfe der Lehrkraft in Anspruch

nahmen. Da den Zweitklässler/innen Möglichkeiten zur selbstbestimmten und

aktiven Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand („Zeit“) gegeben

63

wurden, zeigten die Kinder ein großes Interesse am Unterricht und waren während

der handlungsorientierten Sachunterrichtsstunde sehr motiviert (vgl. Studie von

HARTINGER 2001).

Die beobachteten Schüler/innen der zweiten Experimentalgruppe, die sich dem

gleichen Unterrichtsgegenstand mit Arbeitsblättern näherten, ließen sich nur in

geringem Maße für die Bearbeitung der Aufgabenstellungen während der

Interventionsstunde motivieren und begeistern. Bereits nach der Hälfte der

Unterrichtsstunde erhöhte sich der Geräuschpegel in der Klasse erheblich, sodass

sich die volle Aufmerksamkeit der Zweitklässler/innen nicht mehr auf die

Bearbeitung der Arbeitsblätter richtete, sondern vermehrt das Privatgespräch mit

der Sitznachbarin bzw. dem Sitznachbarn gesucht wurde. Die Aufmerksamkeits-

und Konzentrationsspanne der Schülergruppe im Arbeitsblattunterricht war daher

deutlich geringer als in der Experimentalgruppe, die zuvor mit den

Handlungsmaterialien aus der RÖSA gearbeitet hatte. Des Weiteren konnte

beobachtet werden, dass die Kinder der Experimentalgruppe A

(Arbeitsblattunterricht) besonders stark auf die Hilfestellungen der Lehrkraft

angewiesen waren und somit oftmals ein sehr unselbstständiges Verhalten zeigten.

Aufgrund der erhobenen Ergebnisse durch die passiv teilnehmende Beobachtung

gelange ich im Hinblick auf die oben genannte Forschungsfrage zu der Erkenntnis,

dass Schüler/innen mit handlungsorientierten Materialien aus der Lernwerkstatt

RÖSA sehr viel ausdauernder, konzentrierter und selbstständiger lernen konnten

sowie mehr Lernfreude zeigten als die Schülergruppe, die sich mit Arbeitsblättern

dem Unterrichtsgegenstand näherte.

Bei der schriftlichen Befragung der Experimentalgruppen konnte ermittelt werden,

dass bei den Schülern/innen, die im Vorfeld mit Handlungsmaterialien der RÖSA

gearbeitet hatten, nach einer Woche ein erheblich höherer kognitiver Lernzuwachs

zu verzeichnen war als bei den Kindern der Parallelklasse (Arbeitsblattunterricht).

Die Schüler/innen, die sich mit den RÖSA-Materialien beschäftigten, konnten sich

viel detaillierter an das Unterrichtsgeschehen sowie ihre Handlungen erinnern als

die Zweitklässler/innen der Experimentalgruppe A. Letztere nannten überwiegend

allgemeine oder keine stundenrelevanten Unterrichtsinhalte. Zudem konnten

Erkenntnisse lediglich von den Schülern/innen der Experimentalgruppe B gewonnen

werden, die mit Handlungsmaterialien aus der RÖSA gearbeitet hatten. Die

erheblich höhere Anzahl der genannten Wissenselemente der Schüler/innen der

Experimentalgruppe B kann als ein deutliches Indiz für die Wirksamkeit der RÖSA-

Materialien bzw. eines handlungsorientierten Unterrichts gewertet werden. Um

64

weitere Belege für die Effektivität eines handlungsorientierten Unterrichts zu finden,

müsste nun eine Langzeituntersuchung an diese empirische Studie anknüpfen, die

die ausgewählte Stichprobe weiterhin untersuchen würde. Hierbei müsste

schließlich überprüft werden, ob sich die Schüler/innen der beiden

Experimentalgruppen auch nach einer längeren Zeitspanne noch an die Inhalte der

Unterrichtsstunde erinnern können. Vermutlich wäre dann der kognitive

Lernzuwachs der Kinder der handlungsorientierten Versuchsgruppe noch erheblich

höher gewesen als der der Vergleichsgruppe.

Aufgrund der Ergebnisse der Fragebogenerhebung konnte daher einigen

empirischen Untersuchungen (vgl. MEYER 1997, HORWITZ 1979, PETERSON

1979;1980, HETZEL 1982 und HEDGES 1981), die Defizite eines

handlungsorientierten bzw. offenen Unterrichts gegenüber einem traditionellen

Unterricht hinsichtlich der Fachleistungen offenbarten, mit dieser Studie deutlich

widersprochen werden. Ähnliches gilt für gegenläufige Ansätze eines

handlungsorientierten Unterrichts, wie sie von WELLENREUTHER und GÜNTHER

vertreten werden. Insbesondere bei den von WELLENREUTHER beschriebenen

Untersuchungen von MEYER (1997), MACKENZIE & WHITE (1982) und AEBLI (1968),

anhand derer die Wirksamkeit eines handlungsorientierten Unterrichts überprüft

wurde, konnte festgestellt werden, dass diese lediglich in begrenzter Weise dem

Konzept eines handlungsorientierten Unterrichts gerecht wurden. Während in dieser

empirischen Untersuchung die Effektivität jenes Unterrichtskonzepts durch die

Verwendung realer Handlungsmaterialien, die die Selbstständigkeit, Aktivität sowie

die Sozial- und Problemlösekompetenz der Schüler/innen umfassend förderten,

eindeutig nachgewiesen werden konnte, erscheinen die von WELLENREUTHER

dargestellten Studien aufgrund ihrer inhaltlichen Ferne dem handlungsorientierten

Unterrichtskonzept deutlich zu widersprechen. WELLENREUTHERS Auffassung

entspricht in keiner Weise dem Verständnis eines handlungsorientierten Unterrichts,

wie es in dieser empirischen Studie verstanden wird.

Im Hinblick auf das Experteninterview wurde deutlich, dass die Lehrerin trotz einer

positiven Bewertung des handlungsorientierten Unterrichts, nicht eindeutig hinter

den Zielen dieses Unterrichtskonzepts stand und sehr stark auf ihr oberflächliches

Richtlinienwissen beharrte. Aufgrund dieser wenig förderlichen Einstellung erschien

es umso bemerkenswerter, dass die Beschäftigung mit den Handlungsmaterialien

der Lernwerkstatt RÖSA den Schülern/innen derart positive Impulse geben konnte.

65

Aufgrund der erhobenen Forschungsergebnisse konnten die im Vorfeld der

Untersuchung aufgestellten Hypothesen daher allesamt bestätigt werden.

� Ein handlungsorientierter Unterricht führt zu einem höheren kognitiven

Lernzuwachs bzw. zu größeren Lernerfolgen als das Lernen mit

Arbeitsblättern.

� Die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsspanne der Schüler/innen beim

Lernen mit handlungsorientierten Materialien ist länger als beim Lernen mit

Arbeitsblättern.

� Schüler/innen zeigen durch eine aktive und selbstbestimmte

Auseinandersetzung mit den Handlungsmaterialien mehr Interesse für das

Unterrichtsgeschehen und arbeiten konzentrierter und motivierter mit.

Abschließend kann aufgrund der ermittelten Forschungsergebnisse festgehalten

werden, dass handlungsorientierte Vorgehensweisen für die Schüler/innen eine

weitaus belebendere, motivierendere, interessantere und effizientere

Unterrichtsform darstellen als ein Arbeitsblattunterricht, der durch ein stupides und

routiniertes Abarbeiten der Aufgabenstellungen geprägt ist. Die Schüler/innen

können durch eine aktiv-handelnde Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen

wertvolle Erfahrungen sammeln, Erkenntnisse gewinnen und sich im Nachhinein viel

detaillierter an das Unterrichtsgeschehen erinnern. Aufgrund der aktivierenden und

motivierenden Wirkung der RÖSA-Materialien sollten handlungsorientierte bzw.

offene Vorgehensweisen daher verstärkt Eingang in den Sachunterricht finden.

Obwohl die Planung eines handlungsorientierten Unterrichts oftmals mit einem

größeren Arbeits- und Zeitaufwand verbunden ist, sollten Lehrkräfte diesen

unbedingt in Anspruch nehmen und ihren Schülern/innen vermehrt die

Möglichkeiten einräumen, sich selbstständig und handelnd mit ihrer Lernumgebung

auseinanderzusetzen. Die Arbeit mit den Handlungsmaterialien der RÖSA hat

gezeigt, dass es sich angesichts der ermittelten Ergebnisse durchaus lohnen würde,

derartige Lernwerkstätten flächendeckend an deutschen Grundschulen oder

Universitäten einzurichten.

Im Hinblick auf die erhobenen Forschungsergebnisse dieser empirischen

Untersuchung kann dem handlungsorientierten Unterricht daher ein hoher

Stellenwert eingeräumt werden.

66

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