mcdonalds, fnac, virgin, eurodisney, arcade

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RÄNKESCHMIEDE Texte zur internationalen ArbeiterInnenbewegung McDonalds, Fnac, Virgin, EuroDisney, Arcade: »Das Solidaritätskollektiv: eine Erfahrung der etwas anderen Art« Arbeitskämpfe und Organisationsversuche in gewerkschaftlich nicht organisierten Betrieben und Sektoren Herausgeber: tie – Internationales Bildungswerk e.V. AFP e.V., express-Redaktion No. 14 Oktober 2003 6. Jahrgang Offenbach

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R Ä N K E S C H M I E D ETexte zur

internationalen ArbeiterInnenbewegung

McDonalds, Fnac, Virgin, EuroDisney, Arcade:

»Das Solidaritätskollektiv:eine Erfahrung der etwas

anderen Art«Arbeitskämpfe und Organisationsversuche in

gewerkschaftlich nicht organisierten Betrieben und Sektoren

Herausgeber: tie – Internationales Bildungswerk e.V.AFP e.V., express-Redaktion

No. 14Oktober 2003

6. JahrgangOffenbach

Angaben zum Original:Gianni Soriano: »McDonalds, Fnac, Virgin, Eurodisney, Arcade, etc. Une expérienceParisienne un peu particulière: Le collectif de solidarité, in: Le Temps Maudits,Nr. 15, April 2003

Übersetzung aus dem Französischen und Anmerkungen: Bernhard Schmid, Paris

Herausgeber:

tie – Internationales Bildungswerk e.V.Heidestraße 13160385 FrankfurtTelefon (069) 97 76 06 66Fax (069) 97 76 06 69E-Mail [email protected] Internet www.tie-germany.org

AFP – Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der politischen Bildung e.V.express-RedaktionNiddastraße 6460329 FrankfurtTelefon (069) 67 99 84E-Mail [email protected]

2. Auflage, April 200532 Seiten, Einzelpreis 5 Euro zzgl. Porto

RÄNKESCHMIEDE erscheint in unregelmäßiger Folge

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Inhalt

Vorwort von tie e.V. / express 4

Vorwort der Redaktion von Les Temps Maudits 5

McDonalds – zur Entstehung des Solidaritätskomitees 7

FNAC, Virgin, EuroDisney: das unternehmensübergreifende

Streikkomitee auf den Champs-Elysées 15

Arcade: Druck auf den Generalunternehmer 19

Einige Überlegungen zur Bedeutung und zum Bestehen

des Solidaritätskollektivs 25

»Organisierung in gewerkschaftsfreien Betrie-ben und Sektoren« – damit ist ein Defizit ge-werkschaftlicher Arbeit und zugleich einezentrale Herausforderung nicht nur für die Ge-werkschaften verbunden. Bedingt durch Ratio-nalisierungsprozesse, Outsourcing, die Reorga-nisation der Produktionsketten, das Neuentste-hen von Branchen, die Neuzusammensetzungzwischen Branchen, neue Management- und»Führungskonzepte« in Bezug auf die Mitar-beitereinbindung oder ganz schlicht oft: ver-stärkte Repression der Arbeitgeber nehmen die»weißen Flecken« zu. Viele Beschäftigte verfü-gen nicht mehr oder haben noch nie über eineeigenständige Interessenvertretung verfügt. Diemangelnde Verankerung von kollektiven Inter-essenvertretungsstrukturen ist dabei oft nur einAusdruck der Informalisierung, Prekarisierungund Individualisierung der Arbeitsverhältnisseselbst. Besonders deutlich ist dies in Bereichenwie dem Reinigungs- oder dem Baugewerbe,aber auch in den filialisierten Betriebsstruktu-ren des Einzelhandels oder der Gastronomie.Lag das Augenmerk der Gewerkschaften langeZeit gar nicht auf den Entwicklungen in diesenBranchen und den entsprechenden Unterneh-men, ist es heute oft so, dass den Gewerkschaf-ten die Kapazitäten für eine flächendeckendeOrganisierungsarbeit und die Zugangsmöglich-keiten zu den Beschäftigten fehlen. Vor diesemHintergrund interessieren Erfahrungen zur Her-ausbildung eigenständiger Organisierungs-

bemühungen, wie sie – trotz der schwierigenSituation – exemplarisch in einer Reihe von Ar-beitskämpfen seit 2001 in Frankreich gemachtwurden. Während die Auseinandersetzung beiMcDonalds, die zur Zeit gerade wieder neu ent-brannt ist, auch internationale Bedeutung er-reichte (z.B. in Form eines internationalen Mc-Donalds-Aktionstages im vergangenen Jahr),wurden die Kämpfe bei der ReinigungsfirmaArcade, bei Eurodisney oder der FNAC hierzu-lande weniger beachtet.

Wir wollen mit der vorliegenden Broschüre, derÜbersetzung eines Textes aus der Zeitschrift»Les Temps Maudits«, einen Beitrag zurKlärung von Fragen leisten, die uns auch imRahmen der 5. internationalen tie/express-Konferenz interessieren, zu der wir Aktive ausden im Folgenden geschilderten Arbeitskämp-fen eingeladen haben: Welche Erfahrungen vonOrganisierung und Kämpfen gibt es in Sekto-ren, in denen prekäre Arbeitsverhältnisse vor-herrschen und gewerkschaftliche Organisierungfast völlig fehlt? Woran haben sie sich ent-zündet? Wer waren die AkteurInnen und Unter-stützerInnen in diesen Auseinandersetzungen?Welche Organisationsformen haben sich gebil-det? Was ist geblieben? Und nicht zuletzt: Wel-che Rolle spielt Migration in diesem Kontext?

tie e.V./express-Redaktion, Oktober 2003

4

Vorwort vontie e.V. / express

Der nachfolgende Text ist ursprünglich in deritalienischen Zeitschrift Collegamenti Wobblyerschienen und wurde für die Veröffentlichungin unserer Zeitschrift überarbeitet und ergänzt.Sein Verfasser erzählt darin die Tätigkeit desSolidaritätskollektivs nach, das ursprünglich ge-gründet wurde, um den Streik zu unterstützen,der in der McDonalds-Filiale an der Kreuzungzwischen Boulevard de Strasbourg und Boule-vard Saint-Denis in Paris gestartet worden war.Nachdem dieser Streik zwischendurch beendetwar1, beteiligte das Kollektiv sich an anderensozialen Kämpfen, besonders bei der FNAC2

und bei Virgin3. Während das Kollektiv sichdann aufzulösen beabsichtigte, war es der – beiRedaktionsschluss des vorliegenden Textes imDezember 2002 noch andauernde – Streik derPutzfrauen beim Unternehmen Arcade, das be-sonders die Reinigungsarbeiten des Hotelkon-zerns Accor als Subfirma ausführt, der einigeMitglieder des Kollektivs zum Weitermachenanimierte.

Wir wollen nicht verschweigen, dass dieser Textrecht heftige Diskussionen innerhalb des Re-daktionskomitees unserer Zeitschrift ausgelösthat. Sie wurden durch einige Anspielungen aufdas Eingreifen der (anarcho-syndikalischen Ge-werkschaft; Anm. d. Ü.) CNT in die verschiede-

nen sozialen Konflikte, die in dem Text erwähntwerden, verursacht sowie durch die Passage, inwelcher der Verfasser sich die Frage nach denGrenzen oder Mängeln der »real existierendengewerkschaftlichen Betätigung« stellt. Einigeunter uns erblickten dort, sei es zu Recht oder zuUnrecht, eine Aufnahme gewohnter Formenvon Kritik der Ultralinken4 gegenüber sämtli-chen Formen gewerkschaftlicher Organisie-rung.

Dennoch waren wir alle interessiert an den posi-tiven Aspekten einer (Kampfes-) Erfahrung, dieteilweise mit den Gewerkschaften, die in denbetreffenden Sektoren bestehen, und teilweiseaußerhalb von ihnen oder an ihrem Rand ge-macht wurde, aber niemals gegen sie gerichtetwurde. Diese Aspekte waren uns dann wichtigerals der Rest. In unserer Augen verdiente die Er-fahrung, die hier geschildert wird, unseren Le-serInnen zur Kenntnis gebracht zu werden, undzwar aus zwei Gründen: Erstens weil dieseKämpfe solche Sektoren betreffen, die sichdurch die neuesten und schärfsten Formen vonAusbeutung der Ware Arbeitskraft auszeichnen,was das fast völlige Fehlen von gewerkschaftli-cher Organisierung nur noch alarmierendermacht. Und dann, weil die Art und Weise, aufdie diese Kämpfe geführt wurden, sich aus je-

5

1) Das war im Februar 2002. Im Frühjahr 2003 brach er erneut auf bisher unbestimmte Zeit aus; derzeit, im Oktober 2003,hält er seit sieben Monaten an; Anm. d.Ü.

2) einem auf Musik, Literatur und andere Kulturgüter spezialisierten französischen Kaufhaus, das in Paris rund 20 undfrankreichweit 50 Filialen unterhält; Anm. d.Ü.

3) einer vor allem auf Musik spezialisierten Kaufhauskette mit Hauptsitz in den USA; Anm. d.Ü.4) Dieser Begriff bezeichnet im Französischen präzise jene Strömungen, die alle anderen Teile der Linken als revolutions-

hemmende Faktoren verwerfen und in der Regel keinen Unterschied zwischen bürgerlich-demokratischen und auto-ritären oder faschistischen Systemen machen; Anm. d.Ü.

Vorwort der Redaktionvon Les Temps Maudits*

nen Werten speist, auf denen die gewerkschaft-liche Betätigung – so wie wir sie verstehen – ba-siert: direkte Aktion, Ablehnung des Delegie-rens von Entscheidungen, Beschlussfassung inVollversammlungen. Wir werden an andererStelle in dieser Ausgabe unserer Zeitschrift aufdie ethischen Prinzipien des ursprünglichen So-zialismus zu sprechen kommen: Widerstand derBeherrschten gegen die Unterdrückung undpraktische Solidarität. Diese beiden Grundprin-zipien sahen wir in der Beschreibung, die unseines der Mitglieder des Kollektivs gab, der unsdiesen Artikel für die Zeitschrift der CNT an-bot, in der Praxis widergespiegelt. Obwohl derAutor nicht Mitglied unserer Organisation ist,

dürften sein hellsichtiger Blick auf diese Erfah-rung und die Lehren, die er daraus zieht, dochihr Denken anregen und ihr dabei helfen, besserauf die Herausforderungen der gegenwärtigenPeriode zu antworten. Wir wünschen uns auch,dass dieser Text die Aktiven der CNT dazu ver-anlasst, ihre eigenen Erfahrungen weiterzuge-ben an die LeserInnen der Zeitschrift, die unse-re Organisation herausgibt. Letztere ihrerseitshat sich unmissverständlich zum Ziel gesetzt,den revolutionären Syndikalismus wieder zu be-leben.

Les Temps Maudits

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* Dieser Text wurde im Juli 2002 geschrieben, erschien in Collegamenti-Wobbly, Nummer 2 (der Ausgabe für das zweiteHalbjahr 2002), dann im Dezember 2002 für Les Temps Maudits (»Verfluchte Zeiten«), die Beilage von Combat Syndi-caliste (Zeitschrift der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT), überarbeitet und ergänzt und erschien dort in derNr. 15 (Januar-April) 2003, S. 35-66. Übersetzung aus dem Italienischen von Nicolas Thé.

Am 24. Oktober 2001 geschah es in der McDo-nalds-Filiale, die an der Kreuzung zwischenBoulevard de Strasbourg und Boulevard Saint-Denis in der Pariser Stadtmitte liegt.5 Der Päch-ter des Restaurants kündigt die Entlassung vonfünf Beschäftigten an – alle »Manager« (alsoTeamleiter, die ein bisschen wie »große Brüder«angesehen werden) – und gleichzeitig auch,dass er Strafanzeige gegen Unbekannt wegenDiebstahls erstatten werde. Angeblich fehlen150 000 Euro (in der damaligen Währung: rundeine Million französischer Francs; Anm. d.Ü.) inder Kasse. Rein zufällig handelt es sich bei denEntlassenen um Mitarbeiter, die dabei waren,eine Gewerkschaftssektion zu gründen und vor-hatten, bei den künftigen Betriebsratswahlen zukandidieren.

Am selben Tag antworten die Beschäftigten desSchnellrestaurants, indem sie in den Streik tre-ten. Jede Aktivität in dem Restaurant ruht des-wegen.6

Frankreichweit befindet sich das UnternehmenMcDonald’s in starkem Wachstum begriffen:Ende des Jahres 2001 sind über 900 Restau-rants der Fastfood-Kette im Betrieb; im Jahr2000 beschäftigt das Unternehmen bereits35 000 MitarbeiterInnen bei einem Umsatz von17,5 Millionen Euro. Vorherrschendes Ge-schäftsprinzip ist die Verpachtung, die es Mc-Donalds erlaubt, mittels eines Quasi-Exklusiv-vertrags die Verwendung des Namens, die Prei-se, die Zulieferer, die Qualität zu bestimmenund einen Anteil an den Gewinnen einzustrei-chen, der zwischen 12 und 25 Prozent liegt,während die Investitionen dem Pächter überlas-sen bleiben. Auf diesem Wege wird McDonaldsalle Betriebskosten los und hält sich vor allemdas Risiko von Arbeitskonflikten mit den Be-schäftigten vom (eigenen) Hals.

Das System ist so entworfen, dass Arbeitskämp-fe es schwer haben, sich zu entfalten. Es werdenpraktisch nur junge Leute für Teilzeitjobs (87

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McDonalds – zur Entstehung desSolidaritätskomitees

5) im 10. Pariser Bezirk, nördlich des eigentlichen Zentrums und unweit der Gare de l’Est, also des Ostbahnhofs; Anm. d. Ü.6) Der erste Teil dieses Artikels ist die Übernahme eines Artikels aus Le Monde libertaire (einer anarchistischen Wochen-

zeitschrift; Anm. d. Ü.), Nr. 1267 vom 7. Februar 2002. Da ich nicht die Zeit und die Möglichkeit hatte, um über diesenArtikel mit den KollegInnen des Solidaritätskollektivs zu diskutieren, gebe ich hier meine persönliche Interpretation un-serer Erfahrung wieder. Die Entscheidung dafür dazu, die Erfahrung des Kollektivs – von Oktober 2001 bis heute – alsein von Kontinuität geprägtes Experiment zu beschreiben, ist natürlich diskutierbar. Ich habe sicherlich Dinge ausgelas-sen, die andere als wichtig erlebt haben, oder manche Details zu ausführlich dargestellt. Ich hoffe dennoch, alles in allemdie Bedeutung dessen, was geschah, richtig wiedergegeben zu haben. Mehrere Artikel sind über den Streik veröffentlichtworden. Zu den interessantesten zählen: Jeff: Résistance à la mac-donaldisation (Widerstand gegen die Mc-Donaldisie-rung), in Courant Alternatif, Januar 2002, S. 5-8; Antoine: Grèves à répétition dans la royaume de la précarité (Wie-derholte Streiks im Reich der Prekarität), in Courant alternatif, April 2002, S. 11-12; Janos Borovi: La grève des McDo,lutte et espoir (Der Streik der Mc Donalds-Beschäftigten, Kampf und Hoffnung), gefolgt von mehreren Anmerkungenvon Jeff: Un bilan provisoire des McDo (Eine vorläufige Bilanz der McDo-Beschäftigten), in Carré Rouge Nr. 21,März/April 2002, S. 7-10; H.S.: McDo and Co., in Echanges Nr. 100, Frühjahr 2002, S. 9-12. Auf den letztgenannten Ar-tikel, der sehr ideologisch ausfällt – im Gegensatz zu den drei zuerst genannten, die vor allem informieren – ist eine Ant-wort von Nicolas Thé erschienen: McDo en lutte: éléments pour un bilan (Mc Donalds im Arbeitskampf, Grundlagen füreine Bilanz), erschienen in Echanges Nr. 102, S. 40-46 und in Courant alternatif, Nr. 123, November 2002, S. 11-14.

Stunden pro Monat für 485 Euro netto), seltenerauch für Vollzeitjobs (790 Euro) eingestellt. DerRestaurantbetrieb läuft sieben Tage in der Wo-che. Ein so genannter »swing manager« (fak-tisch ein Teamleiter) verdient zwischen 850 und990 Euro auf einer Vollzeitstelle, bis er »Mana-ger« werden und dann 1 200 bis 1 300 Euro imMonat verdienen kann. Natürlich gibt es kein13. Monatsgehalt. Die turn-over-Rate7 ist hoch,denn die Arbeitsrhythmen und die de factovariablen Arbeitszeiten erlauben es jenen, dienebenher studieren, nicht länger als ein paarMonate, Arbeit und Studium miteinander zuvereinbaren. Die Mehrheit unter ihnen gibtschließlich ihren Job auf, um im Studium wei-terzukommen; aber angesichts der hohen Ar-beitslosigkeit werden auch jene immer zahlrei-cher, die es umgekehrt machen und sich dafürentscheiden, in der Unternehmenshierarchievon McDonalds aufzusteigen, um ein Gehalt zuerreichen, von dem sie leben können.

Die Einstellungspraxis stimmt im Allgemeinenmit der »ethnischen« Zusammensetzung desWohnviertels überein, und die Teams verfügenüber einen starken inneren Zusammenhalt: Mangeht zusammen aus, die Beziehungen unterein-ander sind durch Freundschaft und Paternalis-mus zugleich gekennzeichnet. Unruhestifterwerden im Allgemeinen hinausgeekelt, nochbevor sie Probleme hervorrufen können. DerZusammenhalt ist ein wichtiges Element, das zuder erwarteten hohen Produktivität der Beschäf-tigten beiträgt. Kurzum, es handelt sich um eineArbeitsorganisation, in welcher gewerkschaftli-che Betätigung als störend empfunden wird und

wo die Zahl der Arbeitskämpfe sich an den Fin-gern einer Hand abzählen lässt.8

Aber im vorliegenden Fall sollte die Empfin-dung erlittenen Unrechts dazu führen, dass ge-nau das, was sonst gerade die Stärkeposition desArbeitgebers ausmachte, sich gegen ihn kehrteund zum auslösenden Faktor für den Arbeits-kampf wurde. Die Beschäftigten sind unter-einander befreundet, sie kennen sich gut undwissen, dass die Vorwürfe an ihre Kollegen nureinen Vorwand darstellen. Alle oder jedenfallsfast alle Beschäftigten nehmen vom ersten Mo-ment ab an einem Kampf teil, der insgesamt 115Tage dauern wird.

Man wird nicht verstehen können, wieder Arbeitskampf die Isolierung – inwelcher die Kämpfe in diesem nur

schwach gewerkschaftlich organisierten Sektornormalerweise stecken bleiben – überwindenkonnte, wenn man nicht die Präsenz von relativjungen, aber bereits kampferfahrenen Aktivengenau in diesem Moment bedenkt. Das Solida-ritätskollektiv bildet sich zu einem Zeitpunkt,an dem bereits ein kleines »Netzwerk« von Ak-tiven besteht: Da wären das CGT-Gewerk-schaftskollektiv der Fastfoodbranche (collectifCGT de la restauration rapide), das aus den Ar-beitskämpfen des voran gegangenen Jahres9

heraus entstanden ist, das Netzwerk Stop Préca-rité und vor allem eine gewisse Zahl informellerKontakte, die eher durch Freundschaften undBekanntschaften vermittelt sind als durch ge-meinsame Betätigung in politischen bzw. ge-werkschaftlichen Gruppen oder Initiativen.

8

7) Auswechseln von Arbeitskräften durch Abgänge und Neueinstellungen: Fluktuationsrate; Anm. d. Ü.8) Damien Cartron, der das Experiment des Solidaritätskollektivs aus der Nähe verfolgt hat, hat eine Reihe interessanter

Texte über die Arbeitsorganisation bei dieser Kette veröffentlicht. Um seine soziologische Forschung durchführen zukönnen, hat er bei McDonalds gearbeitet und die Mechanismen, die er beschreibt, unmittelbar erlebt. Seine schriftlicheArbeit endete mit einem ziemlich pessimistischen Schlussteil, indem er die Wahrscheinlichkeit eines kollektiven Ar-beitskampfs als sehr gering ansetzt. Dies wurde durch den Streik widerlegt, was ihn angenehm überrascht hat. Man fin-det seine Texte auf der Webpage: http://dcartron.free.fr/. Vgl. außerdem seinen Artikel Travailler au fast-food: les con-ditions de travail au McDonalds (Arbeit im Fastfood: Die Arbeitsbedingungen bei McDonalds) in derselben Nummerder Temps mauvais, in der auch der vorliegende Text erschienen ist.

9) Im Dezember 2000 wurde drei Wochen bei Pizza Hut gestreikt; Anm. d. Ü.

Wenn es darum geht, Energie in einen »undank-baren« Sektor wie den der Fastfoodbranche zustecken, neigen die etablierten Gewerkschaftenbekanntlich kaum zu großem Eifer. Denn dieserSektor zeichnet sich dadurch aus, dass die Un-ternehmen häufig kurzen Prozess machen, dasssie jegliche Form kollektiver Organisierung ih-rer Beschäftigten verachten, dass Prekarität, eindurch die Unternehmen erwünschter und be-günstigter häufiger Wechsel der Beschäftigtensowie Niedriglöhne die Regel darstellen, wo-durch die Aussicht auf dauerhafte gewerk-schaftliche Organisierung mit mehr oder mindernennenswertem Beitragsaufkommen ziemlichin Frage gestellt wird. Und selbst wenn die Be-schäftigten von selbst in den Ausstand tretenund bei den Gewerkschaften anklopfen, umUnterstützung und Rechtsschutz zu erhalten,müssen sie oftmals mit jener höflichen, aberdistanzierten Haltung der Funktionäre vorliebnehmen, die implizit besagt: Aber was habenwir denn dort verloren? Diese Haltung erklärt,dass in diesem Sektor vorwiegend gewerk-schaftliche Obleute10 anzutreffen sind, die demArbeitgeber wohlgesonnen sind und unter zwei-felhaften Bedingungen – wenn überhaupt – ge-wählt wurden.11

Im McDonalds-Restaurant an der Metro-Stationvon Strasbourg-Saint-Denis waren die Arbeits-bedingungen bis dahin mehr oder weniger die-selben wie im übrigen Fastfood-Sektor. Es herr-schten die üblichen Formen von Überausbeu-tung: Teilzeitarbeit, die nach dem gesetzlichenMindestlohn SMIC bezahlt wird; variable Ar-beitszeiten, die eine möglichst intensive Tätig-keit der Anwesenden die ganze Zeit über ge-

währleisten; oft bestehen Unfallrisiken am Ar-beitsplatz. Doch die Fähigkeit zum Auf-begehren wurde durch den Teamgeist (»WennDu trödelst, dann müssen Deine Kumpels da-für büßen«) und beinahe familienähnliche Be-ziehungen zwischen Mitarbeitern und Vorge-setzten gedämpft. Auf diesem Wege wird dasindividuelle »Arrangement« begünstigt und zu-gleich die psychische Distanz, die der Beschäf-tigte benötigt, um seine Interessen zu verteidi-gen, erschwert.

Dennoch trat das Wunder ein – »dank« der Ar-roganz eines neuen Pächters. Indem er ein an-gebliches Loch in der Kasse zum Vorwandnahm, um fünf störend gewordene »Manager«zu entlassen, reizte er die Beschäftigten zumAufbegehren und löste einen Streik des gesam-ten Personals für ihre bedingungslose Wieder-einstellung aus. So kann die Empfindung vonUngerechtigkeit selbst den erprobtesten Unter-nehmensstrategien einen Strich durch die Rech-nung machen.

Daraufhin beginnt ein Prozess ge-werkschaftlicher Organisierung. DieStreikteilnehmer wenden sich, auf der

Suche nach Schutz und Unterstützung, an ver-schiedene Gewerkschaften und finden schließ-lich bei der Handels-Branchengewerkschaft derCGT (fédération CGT du commerce) ein offe-nes Ohr.12 Eine Betriebssektion der CGT wirdgegründet, und einigen entschiedenen und vonder symbolischen Bedeutung dieses Streiksüberzeugten CGT-Mitgliedern – die ihrerseitsrecht wenig Unterstützung aus dem Gewerk-schaftsapparat erhalten – ist es zu verdanken,

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10) Délégués syndicaux – jede als »repräsentativ« anerkannte Gewerkschaft kann, ab einer bestimmten Betriebsgröße, ei-ne/n oder mehrere solcher Obleute ernennen, die u.a. besonderen Kündigungsschutz genießen; Anm. d. Ü.

11) Grundsätzlich werden die délégués syndicaux, im Gegensatz zu den Betriebsratsmitgliedern sowie den betrieblichenVertrauensleuten – délégués du personnel – nicht durch die Belegschaft gewählt, sondern durch ihre Gewerkschaft er-nannt. Dabei kann es aber mehr oder weniger innergewerkschaftliche Demokratie, mehr oder weniger Einfluss des Ar-beitgebers auf ihre Entscheidungen geben; Anm. d. Ü.

12) Nicht zu unterschätzen ist auch die Unterstützung, die einige Unions locales (normalerweise Ortsverbände, innerhalbvon Paris aber Stadtbezirks-Verbände; Anm. d. Ü.) der CGT aufbrachten: jene des 1./2. Bezirks, jene des 8. und jenedes 10. Bezirks beim Mc Donalds-Streik und jene des 14. Bezirks für den Streik bei Arcade.

dass der Arbeitskampf einen Unterstützerkreisfindet. Drei oder vier Wochen nach Beginn desStreiks schält sich ein Solidaritätskollektiv her-aus. In seinem harten Kern treffen Aktive unter-schiedlicher politisch-gewerkschaftlicher Ten-denzen zusammen, darunter eine starke libertä-re (antiautoritäre bis anarchistische; Anm. d.Ü.)Strömung, aber auch Mitglieder der CGT-Han-delsgewerkschaft aus anderen Unternehmen,die an den laufenden Arbeitskämpfen teilneh-men.

Die Diskussionen im Solidaritätskollektiv unddie von ihm ausgehenden Initiativen (die übli-cherweise lange Liste von Organisationen, diedas Kollektiv bilden, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Praxis immer eine relativkleine Zahl von entschlossenen Aktiven wirk-lich tätig ist) tragen dazu bei, dem Kampf Dau-erhaftigkeit zu verleihen, ihn zu verbreitern undbekannt zu machen. Unter diesen Initiativenkommt der Serie von Besetzungs- und Blocka-deaktionen bei verschiedenen Pariser McDo-nalds-Niederlassungen, die Samstag für Sams-tag organisiert werden, eine besonders hoheBedeutung zu. Diese wöchentlichen Aktionenhaben es erlaubt, Aufmerksamkeit für die be-sonderen Konflikte zu erwecken, die in anderenRestaurants der Fastfood-Kette – jeweils fürsich genommen – bestehen, und zugleich dieUnterstützung der dort Beschäftigten für ein ge-meinsames Ziel zu gewinnen: die Rücknahmeder Kündigungen in der Filiale von Strasbourg-Saint-Denis. Für die McDonalds-Beschäftigtenvom Boulevard de Saint-Germain, von der Ruede Rivoli, vom Boulevard de Bonne-Nouvelle,vom Opernviertel, von den Champs-Elyséesusw., die ihrerseits in den Streik traten, wennauch für kürzere Zeit, waren diese Aktionen ei-ne Gelegenheit, damit zu beginnen, miteinanderzu sprechen, sich kennen zu lernen und zusam-men zu kämpfen. Selbst eine Ausweitung über

die Unternehmensgrenzen von McDonalds hin-aus zeichnete sich ab, als ein einwöchigerStreik im Quick-Restaurant13 am BoulevardBarbès14 ausbrach, den das Solidaritätskollektivselbstverständlich unterstützt hat.

Aber diese Besetzungen haben es darüber hin-aus auch erlaubt, den Arbeitskampf und seineGründe gegenüber den McDonalds-Kunden, derBevölkerung und den Medien bekannt zu ma-chen, wobei diese alles in allem viel Sympathieund Verständnis gezeigt haben. Flugblätter aufEnglisch, Deutsch, Spanisch, Portugiesisch,Italienisch, Arabisch und Russisch haben dazubeigetragen, den Einwanderern sowie denTouristen die Hintergründe des Streiks zu er-klären. Natürlich kam es auch zu Reibereienund Auseinandersetzungen mit aggressivenKunden, doch neigten die Leute eher dazu, dieStreikenden moralisch zu unterstützen.

Die Idee, dass man unseren (schwachen; Anm.d.Ü.) Kräften angemessene Aktionen durch-führen müsse, war einer der zentralen Punkte,und mehr als nur ein Mal erlaubten uns Fantasieund spielerische Handlungsformen, geschicktaus Situationen heraus zukommen, die belastendfür uns hätten werden können. Die Flugblätter inverschiedenen Fremdsprachen waren dabei einwertvolles Mittel, um die Aggressivität mancherKundInnen – die vor allem an den am meistenvon Touristen besuchten und teuersten Orten zuspüren war –, deren Sprache wir nicht be-herrschten, abzubauen: bei den Russen, die garnicht verstanden, dass man überhaupt in denStreik treten konnte, und das nahezu als persön-liche Beleidigung aufnahmen; bei den Amerika-nern, die erst nach langer Diskussion und vielenErklärungen oder aber nach dem Lesen desFlugblatts akzeptierten, die Streikposten an derTür nicht zu überrennen; bei den jungen Beurs(arabischstämmigen Einwanderern in Frank-

10

13) eine französisch-belgische Fastfoodkette; Anm. d. Ü.14) im 18. Pariser Arrondissement, dem ärmsten und am meisten von Einwanderern geprägten Bezirk; Anm. d. Ü.

reich; Anm. d.Ü.), die durch den Text auf Ara-bisch überrascht waren und dadurch ganz außer-gewöhnlich gut gestimmt wurden, so als ob manauf diese Weise ihre Existenz anerkennen würde.

Die aktive Unterstützung durch bestimmteStrukturen der CGT, aber auch das, was bei denSpendensammlungen – die während der sams-täglichen Blockadeaktionen, auf den Wochen-märkten, beim Flugblattverteilen und sogar anden Arbeitsplätzen15 und später, als der Wahl-kampf im Vorfeld der Präsidentschaftswahlenvon Ende April/Anfang Mai 2002 begonnenhatte, auch am Eingang bestimmter politischerVeranstaltungen durchgeführt wurden – erzieltwurde, haben es erlaubt, den Streikenden einefinanzielle Unterstützung zukommen zu lassen.Sie betrug im Dezember 2001 pro Beschäftigten150 bis 200 Euro (wobei der Betrag für jene, dieeine Familie zu ernähren hatten, erhöht wurde)und im Januar 2002 beinahe das Doppelte. Dasstellte eine stattliche Frischluft-Zufuhr dar fürPersonen, die auch in normalen Zeiten mit nied-rigen Löhnen auskommen mussten.16 Das Her-annahen der Wahlen bot natürlich gute Gelegen-heiten, den Kampf bekannt zu machen:Während die trotzkistischen Parteien damit zu-frieden waren, Unterstützung zu leisten, verlordie Französische Kommunistische Partei17 kei-ne einzige Gelegenheit, sich demonstrativ zuzeigen. Robert Hue, Präsidentschaftskandidatder KP, José Bové, Sprecher der linken Bauern-gewerkschaft Condédération paysanne, NoëlMamère, Präsidentschaftskandidat der franzö-

sischen Grünen vom »Realo«-Flügel, ließensich – jeder mit seinem Gefolge von Fotogra-phen und Fernsehkameras – vor dem bestreiktenRestaurant blicken, und später auch vor anderenbestreikten Fastfood-Läden.

In dem Solidaritätskollektiv fanden sich Leutegemeinsam an einem Tisch wieder, die norma-lerweise wenig miteinander zu tun haben wol-len und sogar eine gründliche gegenseitige Ab-neigung pflegen: an erster Stelle die CGT, aberauch SUD und bestimmte Mitglieder der CNT –die als solche erst nach einigen Monaten aufge-taucht ist18 –, Mitglieder trotzkistischer Partei-en, Libertäre aller Couleur, Mitglieder unabhän-giger Kollektive und freie Individuen. DasSpektrum reichte am einen Ende bis hin zu jun-gen Chevènementisten19 und am anderen Endehin zur Koordination der Sans-papiers20. Allediese Kräfte leisteten ihren Beitrag zur Unter-stützung des Kampfes.

In der Provinz (d.h. außerhalb von Paris undseiner Trabantenstadt-Zone; Anm. d.Ü.) gab esvielfache Solidaritätsaktionen in verschiedenenStädten, aber wir haben auch von Aktionen inanderen Ländern (Deutschland, England, Grie-chenland) erfahren. Mehrere linke oder alter-native Zeitungen in verschiedenen europä-ischen Ländern veröffentlichten Informationenund Analysen über den Kampf, und selbst dieetablierten Medien (bis hin zu CNN, zu demZeitpunkt, als der Streik sich bis zur Champs-Elysées, also auf den größten McDonalds-

11

15) Gemeint ist hier: am Eingang des bestreikten Restaurants, wo die Ausständigen die ganze Zeit über einen Infostandaufgebaut hatten, aber auch an den Arbeitsplätzen der anderen McDonalds-Beschäftigten; Anm. d. Ü.

16) Dass die Streikenden überhaupt mit den genannten Summen überleben konnten, erklärt sich, wenn man berücksichtigt,dass – durch die Ausständigen oder die UnterstützerInnen – gemeinsame Einkäufe getätigt wurden, die es erlaubten, imbestreikten und besetzten Restaurant zu essen; Anm. d. Ü.

17) Diese war zu jenem Zeitpunkt noch an der Regierung beteiligt und sollte im April 2002 (dem Zeitpunkt des erstenWahlgangs) eine schwere Wahlniederlage erleben; Anm. d. Ü.

18) Vgl. Combat syndicaliste (Zeitschrift der CNT; Anm. d. Ü.), Nr. 230, 24. Januar 2002, S. 819) Anhänger des linksnationalistischen Präsidentschaftskandidaten und Innenministers der Jahre 1997 bis 2000, Jean-

Pierre Chevènement, den man als autoritätsorientierten Sozialdemokraten, republikanischen Nationalisten, Antiameri-kaner und EU-Skeptiker charakterisieren kann; Anm. d. Ü.

20) illegalisierte Immigranten, die um eine »Legalisierung« ihres Aufenthaltsstatus kämpfen; Anm. d. Ü.

Laden in Europa, ausgeweitet hatte) zeigtensich neugierig.

Die Frage des Umgangs mit Informa-tion ist natürlich von entscheidenderBedeutung gewesen. Zunächst jene

der Informationsverbreitung unter uns, die esdem Kollektiv erlaubte, sich in dauerhafterForm zu organisieren: Dafür stellte es sich alsunerlässlich heraus, sicherzustellen, dass Ver-sammlungsprotokolle, Termine und aufgewor-fene Fragen weitergeleitet wurden. Anders hät-ten wir wahrscheinlich kein derartiges Kollektivbilden können. Es wurde nicht formell jemandzum Mitschreiben bestimmt, sondern diese Rol-le wurde am Anfang im Wesentlichen von ei-nem Kollegen übernommen, der sie dann an an-dere weitergab, bevor es dann zum ständigenAbwechseln kam. Dieses Weitergeben der Pro-tokolle hat es allen Beteiligten erlaubt, imKontakt zu bleiben, nicht von den laufendenDiskussionen und den gemeinsamen Aktivitä-ten abgeschnitten zu werden: Es gab also keineformalisierten demokratischen Strukturen, aberes wurde sehr wohl auf die praktisch aufgewor-fenen Funktionsprobleme geachtet. Dass es kei-nen Streit über die Inhalte der auf diesem Wegeverbreiteten Information gab, lag nicht daran,dass er unter dem Deckel gehalten worden wä-re: Die Informationen widerspiegelten wirklichdie Tätigkeit des Kollektivs, innerhalb dessenMeinungsunterschiede zwar keineswegs ausge-schlossen waren, aber in dem die Diskussionensich um die Fortführung und Weiterentwicklung

des konkreten Kampfes drehten und nicht sosehr um globale politische Weltsicht seiner Mit-glieder.

Dann stellte sich die Frage der Informationsver-breitung aus dem Inneren des Kollektivs ansympathisierende Menschen um uns herum:Versammlungsprotokolle und Flugblätter wur-den weit über den Kreis der KollegInnen, dieaktiv am Solidaritätskollektiv teilnahmen, hin-aus verbreitet und schufen so in einem größerenUmfeld aus politisch engagierten Menschengünstige Voraussetzungen, um breiter angelegteInitiativen zu ergreifen. Diese Art von Initiati-ven erklärt zu einem großen Teil den Erfolg derDemonstrationen und Unterstützungs-Partys.

Schließlich stellte sich auch die Frage der Infor-mationsvermittlung nach außen, an ein breiteresPublikum. Sie bildete eine der Hauptaufgaben,die sich das Kollektiv gestellt hatte, und derent-wegen riesige Mengen an Flugblättern verteiltwurden.21 Da waren die Flugblätter der Strei-kenden selbst oder der Gewerkschaftssektionen,die sie unmittelbar unterstützten.22 Dann auchjene des Kollektivs, die nicht allein auf Agita-tion abzielten, sondern vor allem die Leute, mitdenen sich ein Kontakt herstellen ließ, informie-ren sollten, aber am Ende auch einen Aufruf zurSolidarität, einen Appell an die Eigeninitiativeder LeserInnen enthielten. Im Allgemeinenwurden sie gut aufgenommen und zeitigten oft-mals konkrete Auswirkungen bei den Spenden-sammlungen. Die reichhaltig illustrierten Plaka-

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21) Das Verteilen von Flugblättern spielte während der ersten Phase der Tätigkeiten des Solidaritätskollektivs eine gerin-gere Rolle und gewann erst später, auf den Champs-Elysées und mit dem Streik bei Arcade, eine größere Bedeutung.

22) Wenn auch ein Großteil der Flugblätter durch jene Verbände der CGT und von SUD gedruckt wurden, die den Kampfunterstützten, so hat doch das Solidaritätskollektiv auf diesem Gebiet den konkreten Beweis seiner Autonomie ge-genüber dem gewerkschaftlichen großen Bruder erbracht. Als der Streik bei der McDonalds-Filiale von Strasbourg-Saint-Denis zu Ende geht, führt ein »Missverständnis« zum Entzug des Raums in der Bourse du travail (einem Ge-werkschaftshaus, das von verschiedenen Organisationen genutzt wird; Anm. d. Ü.), wo wir uns versammelten. Die fol-gende Versammlung fand dann in den Räumen einer Initiative statt, des CICP (Centre international de culture popu-laire – Dachverband verschiedener Initiativen im Dritte-Welt- sowie im Sozialbereich; Anm. d. Ü.), und das Kollektivdruckte die Flugblätter mit seinen eigenen Mitteln, ohne die Gewerkschaft um Hilfe zu bitten, bevor dann der Sekretärder CGT-Handelsgewerkschaft sich ausdrücklich entschuldigte und anbot, weiterhin den Versammlungsraum zur Ver-fügung zu stellen.

te des Kollektivs, die oft die Eigenwerbung derUnternehmen, in denen Aktionen stattfanden,aufgriffen und »zweckentfremdeten« oder diedie Unterstützungspartys ankündigten, machtendie besetzten Orte von weitem sichtbar.

Ferner stellte sich auch die Frage der Beziehun-gen mit den Medien. Zwar neigten manche jün-geren Kollegen anfänglich dazu, »schnell nachHause zu kommen, um sich selbst im Fernse-hen zu entdecken«, aber die Mischung aus jün-geren und erfahreneren Leuten hat es erlaubt,eine Art kollektiver politischer Intelligenz her-auszubilden, die man – ein wenig schematisch– wie folgt zusammenfassen könnte: Wir wis-sen, dass die Medien sich wie die Banken ver-halten, d.h. nur denjenigen als kredit- oderglaubwürdig betrachten, die ohnehin keine Notleiden; wir müssen uns also als fähig erweisen,selbst einen Grundsockel an Informationsver-breitung abzudecken, auf dessen Basis dannBeziehungen mit der Presse oder dem Fernse-hen hinzu kommen können. Besonders spekta-kuläre Aktionen können in manchen Fällennützlich sein, aber zu sehr darauf zu setzen,heißt, sich selbst von der Medienberichterstat-tung abhängig zu machen. Jedes Mal, wenn dasmöglich war, haben wir den Kontakt mit einemJournalisten oder einer Journalistin »ausge-sucht«, die sich für das, was wir taten, als sen-sibel bzw. empfänglich erwiesen hatte. Wenn eroder sie hingegen durch die Redaktion ge-schickt worden war, dann hielten wir nicht mitunserer Kritik an der Berichterstattung der je-weiligen Zeitung über diesen Arbeitskampfhinter dem Berg, aber ohne uns dem Kontakt zuverschließen. Kurz, wir legten eine rechtunideologische und eher pragmatische Haltungan den Tag und achteten darauf, uns nicht in-strumentalisieren zu lassen. Eine Gesamtschauauf die Ergebnisse dürfte zu dem Schluss

führen, dass wir mit dieser Abwägung nicht er-folglos gewesen sind.

Welche Haltung nahm der Pächterein bzw. die Unternehmensleitungvon McDonalds Frankreich, die

ihren offiziellen Angaben zufolge den Konfliktvon außen beobachtete, in Wirklichkeit jedochdie Positionen vorgab?

Zu Anfang wurden Drohungen gegenüber be-stimmten Mitarbeitern ausgesprochen. Späterkam es, parallel zu den laufenden Verhandlun-gen mit gewerkschaftlichen Vertretern, zu eini-gen Versuchen individueller Bestechung. Auchdie Art und Weise, in der die Verhandlungenselbst geführt wurden, zeigte deutlich, dass esbei McDonalds keine Erfahrung oder Praxis imUmgang mit Arbeitskonflikten gibt. So schlugdie Gegenseite beispielsweise vor, die Entlasse-nen wieder neu einzustellen, ohne jedoch dieDauer ihrer Betriebszugehörigkeit zu berück-sichtigen. Damit erkannte sie implizit an, dassihre Vorwürfe keinen Bestand hatten, nahm aberzugleich lange Zeit über eine Verweigerungs-haltung gegenüber der Hauptforderung derStreikenden ein, nämlich der nach Wiederein-stellung der Entlassenen unter voller Wahrungihrer bisher im Betrieb erworbenen Rechte.

In der Zwischenzeit hatte die inspection du tra-vail (wörtlich »Arbeitsinspektion«)23 die ersteKündigung für nichtig erklärt.24 Eine Wochespäter erklärte das zuständige Arbeitsgerichtseinerseits die Kündigung von zwei weiterenMitarbeitern des McDonalds-Restaurants fürrechtswidrig, und verurteilte den Arbeitgeberzur Zahlung von 153 Euro Strafe für jeden Tag,um den sich der Vollzug des Urteils verzögernwürde. Das Vorgehen auf gerichtlicher Ebenespeiste während der gesamten Konfliktdauer die

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23) Diese Behörde überprüft die Einhaltung der geltenden Arbeitsgesetze und entspricht in der BRD grob den Dezernatenfür Arbeitsschutz; Anm. d. Ü.

24) Das kann sie nur bei Kündigungen, die besonders gesetzlich geschützte Beschäftigtengruppen treffen, wie in diesemFall erklärten Kandidaten zu einer Betriebsratswahl; Anm. d. Ü.

Diskussionen im Solidaritätskollektiv und unterden Streikenden, es lieferte uns Teilerfolge undverschaffte uns Instrumente, die es erlaubten,konkret auf jede Initiative der Gegenseite eineAntwort zu finden.

Im Übrigen hat es nicht an Initiativen geman-gelt, die unabhängig von uns ergriffen wurden,an Aktionen von der Basis aus, aber auch an po-litischem Druck seitens unterschiedlicher linkerGruppen auf die Regierung25, auf das Arbeits-ministerium und auf die inspection du travail,der darauf zielte, dass diese Instanzen sich als»Vermittler« einschalteten. Dies zeitigte zwarkeine anderen konkreten Ergebnisse außer derbloßen formellen Fortsetzung der Verhandlun-gen, aber es erhöhte dennoch den Druck auf den»Mutterkonzern« McDonalds. Dort hatte mandarauf gesetzt, den Konflikt auszusitzen, indemman – fälschlicherweise – annahm, die Strei-kenden würden sich schon erschöpfen und dieUnterstützung werde abbröckeln. (...)

Am 15. Februar 2002, nach 115 Tagen Streik,akzeptierte der Pächter des McDonalds-Restau-rants, den größten Teil der Forderungen derAusständigen zu erfüllen:

● die Rücknahme der Kündigungen und dieWiedereinstellung der fünf Mitarbeiter, ohneVerlust ihrer erworbenen Betriebszugehö-rigkeits-Dauer und unter Aufrechterhaltungihrer Qualifikation;

● die Bezahlung der Streiktage zu 33 Prozentzuzüglich einer einmaligen Abfindung inHöhe von 380 Euro, wodurch insgesamt rund45 Prozent des entgangenen Lohns erstattetwurden;

● die volle Ausbezahlung der Löhne währendder Dauer der Umbauarbeiten, die im Restau-rant geplant sind (die Streikenden hatten esgeschafft, die Durchführung dieser Arbeitenim besetzten Restaurant zu verhindern);

● das Versprechen, keine Repressalien gegendie Streikteilnehmer auszuüben.

Zu den Forderungen, die nicht erfüllt wurden,gehörte die Entfernung des damaligen Pächters.Diese sollte allerdings einige Wochen, nachdemdie Streikenden ihre Arbeit wieder aufgenom-men hatten, erfolgen.26

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25) Damals noch die Koalition der »pluralen Linken« (einschließlich KP und Grünen) unter dem sozialdemokratischenPremierminister Lionel Jospin; Anm. d. Ü.

26) Die spätere Nichteinhaltung der abgegebenen Versprechen durch die neue Restaurant-Leitung sollte im März 2003 da-zu führen, dass die Beschäftigten des McDonalds-Ladens von Strasbourg-Saint Denis erneut in den Ausstand tretenwürden. Derzeit, also Anfang Oktober 2003, hält dieser unvermindert an. Das Restaurant ist Tag und Nacht besetzt,und die Besetzung ist aufgrund von Plakaten, Aufklebern und Infoständen weithin sichtbar; Anm. d. Ü.

Je länger der Arbeitskampf andauerte und sichdie Streikfront festigte, desto mehr wurde dasSolidaritätskollektiv auch zum Treffpunkt vonStreikenden aus anderen Handelsketten und-unternehmen, die aus ihrer Isolierung heraus-zutreten versuchten; eine Anlaufstelle, wo ein-zelne Beschäftigte Hilfe herbeiholen oder Infor-mationen darüber, was in ihren Unternehmenlos war, verbreiten bzw. Informationen über dielaufenden Aktionen finden konnten. Daher wares normal, dass mit dem Ende des Streiks beiMcDonalds – als die Mitglieder des Solida-ritätskollektivs sich die Frage zu stellen anfin-gen, ob das Experiment fortgesetzt werden kön-ne – die Antwort beinahe automatisch erfolgte,bestärkt durch die Initiativen, die im Gange oderin Vorbereitung waren.

In dieser zweiten Phase der Tätigkeiten des So-lidaritätskollektivs, von Mitte Februar bis MitteMai 2002, nimmt das »unternehmensübergrei-fende Aktivistenkomitee der Champs-Elysées«Gestalt an, eine Art von Koordinationsaus-schuss zwischen Gewerkschaftsaktivisten beider FNAC, bei Virgin und bei McDonalds.27 Es

handelt sich vor allem um junge CGT-Mitglie-der, aber der Arbeitskampf, der bei der FNACausbricht und beinahe einen Monat dauern wird,kann sich auf die Teilnahme einer Mehrheit vongewerkschaftlich nicht Organisierten sowie aufdie Unterstützung anderer Gewerkschaftsgrup-pen in der selben Kaufhauskette, vor allem vonSUD und der CNT, stützen.28

Am 6. März 2002 hatte Lionel Jospin vor, seinsoeben veröffentlichtes Buch im Virgin-Kauf-haus auf den Champs-Elysées vorzustellen undWidmungen zu verteilen. Der unternehmens-übergreifende Ausschuss, das o.g. Solidaritäts-kollektiv, CGT, SUD usw., bereiten eine Über-raschungsaktion vor, doch Jospin, der vorge-warnt wurde, sagt seinen Besuch ab. Die 300Aktivisten, die sich vor der FNAC treffen, orga-nisieren daher eine Spontan-Demonstration aufder »schönsten Prachtstraße der Welt«. EineViertelstunde später werden sie durch die Be-reitschaftspolizeitruppe CRS blockiert, denn dieeinzige Demonstration, die auf dieser Straßeerlaubt wird, ist die Militärparade zum französi-schen Nationalfeiertag am 14. Juli. Der Demo-

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FNAC, Virgin, EuroDisney:das unternehmensübergreifende

Streikkomitee auf den Champs-Elysées

27) Von den Dummheiten, die über die Tätigkeiten des und die Diskussion im Kollektiv geschrieben wurden, ist eine be-sonders bösgläubig verbreitete hervorzuheben, die in einem – anonym erschienenen – Artikel Débat stratégique: unpremier bilan de la lutte des précaires (Strategische Debatte: Eine erste Bilanz des Kampfs der Prekären) enthalten ist.Er erschien in (der Aktivisten-Zeitschrift; Anm. d. Ü.) Syndicaliste!, Nr. 17, Juli 2002, S. 10. Dort wurde die Bereit-schaft des Solidaritätskollektivs, den Streikenden bei der FNAC unter die Arme zu greifen, so dargestellt: »Einige Mit-glieder trugen den Beschäftigten der FNAC, die ihre Kollegen bei McDonalds (im Streik; Anm. d. Ü.) abgelöst hatten,das Komitee an, wobei alle Entscheidungen vorher getroffen waren.« Es ist unnötig zu sagen, dass diese Sorte vonÄußerungen von Leuten kommt, die alles anfeinden, was ihrer Gewerkschaftsarbeit die leiseste Konkurrenz machenkönnte.

28) Zum Ablauf dieses Streiks siehe auch Gaëlle Créach: La lutte des salarié(e)s de la FNAC (Der Streik der Mitarbeiter-Innen der FNAC), in Carré Rouge (eine Theoriezeitschrift der trotzkistischen Linken; Anm. d. Ü.), Nr. 23, Oktober2002, S. 77-80.

zug zieht sich auf das Trottoir zurück und be-ginnt, zwischen den einzelnen bestreikten Kauf-häusern bzw. Geschäften hin und her zu ziehen.Die Presse wird über diese Aktion berichten,und vermutlich auf diesen Anlass hin wird dasgewerkschaftsübergreifende Arbeitskampfko-mitee (l’intersyndicale) bei der FNAC – dasVerhandlungen für die gesamte Kette aufge-nommen hatte – die Vorbedingung aufstellen,dass (vor Eröffnung ernsthafter Gespräche) derKonflikt bei der FNAC auf den Champs-Ely-sées, der anscheinend der Kontrolle der offiziel-len Gewerkschaftsstruktur entglitten war, beige-legt werden müsse.29

Am 9. März 2002 wird der laufende Streik beider FNAC von Les Halles30 zur Gelegenheit, ei-nen Demozug innerhalb dieses Einkaufszen-trums zu organisieren, verbunden mit einemAbstecher bei dem Sportwarengeschäft GoSport, das seinen ersten Streik überhaupt erlebtund wo die jungen Beschäftigten entdecken,dass es möglich ist, für ihre Rechte zu kämpfen.

Aber wenn auch, einerseits, der Arbeitskampfbei FNAC auf den Champs-Elysées mit einem(Beinahe-)Sieg endet, so wird doch anderer-seits jener auf der Ebene der gesamten FNAC-Kette sehr viel traditioneller organisiert und

stärker durch die Gewerkschaftsorganisationenkontrolliert. Hier braucht es kein Solidaritäts-kollektiv, und nach ein paar Besuchen in denbestreikten Kaufhäusern konzentriert diesessich auf andere Aktionen, wo seine Präsenz er-beten ist.

Kurz nach der FNAC (...) wird das Vir-gin-Kaufhaus in die Show eintreten.Dort gibt es eine gefestigte CGT-Sek-

tion, die beschließt, nicht durchgängig zu strei-ken, aber das Kaufhaus an bestimmten Tagenmit besonderem Kundensandrang zu blockierenund einen Teil der durch die Arbeitsniederle-gung entstehenden Lohnverluste für die Be-schäftigten durch besser bezahlte Sonntagsar-beit aufzufangen; dadurch soll es den Teilneh-mern ermöglicht werden, längerfristig durchzu-halten. Das Solidaritätskollektiv ist in »abge-speckter« Form präsent, mit einem Erklärungs-und Unterstützungsflugblatt, das in verschiede-ne Sprachen übersetzt wurde. Der Großteil derAktiven zieht es jedoch vor, den Streikenden beiMcDonalds auf den Champs-Elysées unter dieArme zu greifen, die am selben Tag Mobilisie-rungsschwierigkeiten haben. Die Leitung desVirgin-Kaufhauses verlangt das sofortige Ein-greifen der Gerichte sowie die Entfernung derStreikposten, und verhandelt zur gleichen Zeit

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29) Les Echos (arbeitgeberfreundliche Wirtschafts-Tageszeitung, vergleichbar mit dem Handelsblatt; Anm. d. Ü.) berich-tete am 8. April 2002 von der Besorgnis in Arbeitgeberkreisen gegenüber »sehr auffälligen Streikbewegungen« bei derSupermarktkette Monoprix, der FNAC, Virgin oder Mc Donalds, in denen sich Formen »räumlicher oder branchenbe-zogener Koordinierung« entwickelten. Betont wurde auch, dass die FNAC »kollektive (und nicht mehr länger nur in-dividuelle) Lohnerhöhungen gewähren musste und dies in mehreren Filialen«. Die KP-nahe Tageszeitung L’Humanité zitiert am 15. Mai 2002 einen Arbeitgeber-Funktionär, der sich in der be-triebswirtschaftlichen Fachzeitschrift Gestion sociale vom 26. April folgendermaßen geäußert hatte: »Genau diese Ra-dikalität beunruhigt uns. Mit den klassischen Gewerkschaften wissen wir umzugehen. Aber nicht mit diesen Operatio-nen von kleinen Gruppen, mit sich verändernden und komplizierten Forderungen.« Die Textanalyse von Catherine La-fon in L’Humanité: »‘sich verändernde Forderungen’« bedeutet Ablehnung der Flexibilität der Arbeitskraft, und»‘kompliziert’« bedeutet Lohnerhöhungen – was offenkundig nicht nur »kleine Gruppen« betrifft.Der Streik der McDonalds-Beschäftigten – und die nachfolgenden – hat offenkundig auch Jacques Trenteseaux in sei-nem Artikel La montée des extrémistes (Der Aufstieg der Extremisten) beeinflusst (in: Enjeux, Monatszeitschrift vonLes Echos, November 2002, S. 72-78). Dort denkt er über die betreffenden Konflikte nach und versucht, auf die Be-sorgnisse der Arbeitgeber zu antworten. Angesichts seiner Entdeckung der Rolle der schlimmen Extremisten von SUDrät er den Unternehmen, den Dialog mit den »verantwortungsbewussten« Gewerkschaften aufzuwerten, um die Ent-wicklung des »Radikalismus« zu verhindern.

30) Einkaufsviertel im Stadtzentrum unter dem ehemaligen Gelände der Pariser Markthallen, die für seine Errichtung zer-stört wurden; Anm. d. Ü.

mit den Gewerkschaften im Geschäft, wobei sienur eine schwache Lohnerhöhung zugesteht, dieaber dennoch die Streikenden spaltet. DieStreiktage, die in unzusammenhängenden Wel-len nachfolgen, bringen recht bescheidene Er-folge: Nur ein Teil der VerkäuferInnen schließtsich ihnen an, und das Kaufhaus bleibt dabeigeöffnet. Manche Kunden bezeugen ihre Soli-darität, aber das Geschäft wird nicht beeinträch-tigt. Das Solidaritätskollektiv könnte wertvolleErfahrung einbringen, aber niemand will seinePräsenz und seine Handlungsformen KollegIn-nen aufzwingen, die sich für andere Wege ent-schieden haben.

I n den darauf folgenden Tagen wird eine In-tervention auf dem EuroDisney-Gelände inMarne-la-Vallée rund 30 Kilometer östlich

von Paris geplant. Die Betreibergesellschaft be-reitet eine Feier zum zehnjährigen Bestehen desParks vor und will die Gelegenheit nutzen, ei-nen zweiten Vergnügungspark einzuweihen.Aus Gründen der Vorsicht31 ist sie bemüht, dieGewerkschaften zu spalten und gleichzeitig dieMelodie der vorbeugenden Bestechung und je-ne der Bestrafung von Abweichlern vorzuspie-len. Dennoch findet am Tag der Einweihungs-feier eine Demonstration von Beschäftigtenstatt, zu der die CGT aufgerufen hatte. EinigeTage später, am Samstag, den 16. März 2002,tritt das Solidaritätskollektiv auf, um Flugblätterzu verteilen. Es handelt sich gewissermaßen umeine zweite Demonstration, aber von Leuten,die nicht selbst im Unternehmen arbeiten. Nurdrei gewerkschaftliche Obleute von EuroDisneynehmen mit uns zusammen daran teil, und alledrei werden Repressalien seitens des Arbeitge-

bers zu spüren bekommen. Ein Spalier vonCRS- (Bereitschafts-) Polizisten sperrt die Ein-gänge zum Vergnügungspark ab und leistet unsbeim Flugblattverteilen Gesellschaft. Die dortaufgenommenen Fotos zeigen deutlich, welchesKlima der Überwachung und der Paranoia aufdem EuroDisney-Gelände herrscht.

Das Solidaritätskollektiv fährt unterdessen da-mit fort, sich mit den Problemen auseinander zusetzen, die seine Mitglieder an ihren jeweiligenArbeitsplätzen erleiden. Jedes Mal, wenn es zueinem Gerichtsverfahren oder einer Arbeitsnie-derlegung kommt, versucht es kollektiv in Er-scheinung zu treten, um zu zeigen, dass dieStreikenden nicht allein sind, und auf diese Wei-se die Isolierung zu durchbrechen, in der dieGewerkschaften (in denen die verschiedenenKollegen Mitglied sind) ihre aktivsten und unru-higsten Mitglieder schmoren lassen. EuroDis-ney, Maxilivres (eine Buch-Kaufhauskette), Ba-zar de l’Hôtel de Ville (ein Gemischt-Kaufhausmit mehreren Niederlassungen in Paris) heißendie Unternehmen, in denen die KollegInnen ar-beiten, und wir tun, was uns möglich ist, um sienicht allein zu lassen. Einige Mitglieder einesKollektivs von emplois-jeunes32 beginnen, dasSolidaritätskollektiv zu besuchen und an seinenAktionen teilzunehmen; im Gegenzug nimmtdas Kollektiv an der Demonstration vor dem Fi-nanzministerium teil, das die emplois-jeunes am12. März 2002 organisieren.

Der letzte Auftritt in dieser Phase der Aktivitä-ten des Solidaritätskollektivs fand am 20. April2002 in Gonesse statt, in der nördlichen PariserBanlieue. Dabei ging es um die Unterstützung

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31) EuroDisney ist für besonders harte Arbeitsbedingungen und Repressionsmethoden bekannt; Anm. d. Ü.32) Die emplois-jeunes, wörtlich »Jugend-Arbeitsplätze« – die Beschäftigten selbst werden genauso bezeichnet – sind auf

fünf Jahre befristete und öffentlich geförderte quasi-ABM-Stellen für junge Erwachsene, die die Jospin-Regierung ab1997 eingeführt hatte. Die Stellen sind oft schlecht bezahlt, da sie meist nach dem gesetzlichen Mindestlohn SMIC ent-lohnt werden. Allerdings erlaubten sie auch gemeinnützigen Vereinigungen und Initiativen, ABM-Stellen für nicht ren-table Aktivitäten mit öffentlichen Fördergeldern zu schaffen. In absehbarer Zeit werden sie verschwunden sein. Bereitsvor den Wahlen im Frühjahr 2002 stand ihre Zukunft zur Disposition, weshalb es im genannten Zeitraum zu Demon-strationen kam, bei denen die Festeinstellung der jungen Beschäftigten über die Fünf-Jahres-Frist hinaus gefordert wur-de; Anm. d. Ü.

der streikenden Beschäftigten von McDonaldsin der benachbarten Trabantenstadt Goussanvil-le, die um Hilfe bei der örtlichen Ausweitungihres Streiks gebeten hatten. Diese Aktion sollteohne sichtbare Folgen bleiben.

Das Wahlkampf- und Vorwahl-Klima wirktesich deutlich auf die Tätigkeit und die Entwick-lung des Solidaritätskollektivs aus. Es stimmt,dass eine größere Zahl linker Politiker sich mitdiesem oder jenem Streikenden zusammen foto-graphieren lassen wollte, dass ihre Zeitungensie interviewten, dass ihre Parteimitglieder dieUnterstützungspetitionen für die Arbeitskämpfeunterschrieben und manchmal ihren Geldbeutelaufmachten, um ihre konkrete Solidarität unterBeweis zu stellen. Aber er stimmt auch, dass ineinem solchen Klima die Repression durch dieRegierung sich in eher maßvollen Formen be-wegte. Die Polizei tat sicherlich nichts, um unszu helfen, aber sie vermied es doch, in brutalerForm gegen die Demonstrationen oder gegendie Blockadeaktionen vor Fastfood-Restaurantsund Kaufhäusern vorzugehen. Die »wohlwol-lende Neutralität« der Regierung Jospin hat alsoin nicht unerheblicher Weise Auswirkungen aufdie Entwicklung unserer Aktionen gehabt.

Mit dem Näherrücken des 21. April33

und dem Schock, der auf ihn folg-te34 änderte sich das Klima bis in

unser Kollektiv hinein. Eine größere Zahl von

KollegInnen und GenossInnen – abgesehen vondenen, die Erschöpfung zeigen oder sich vor-nehmen, in Urlaub zu fahren – beginnt, zu ihrentraditionellen politischen Aktivitäten zurückzu-kehren: Solidarität mit Palästina, Unterstützungder Sans-papiers, Antifaschismus, eigene Ak-tionen der Gewerkschaften oder politischenGruppen, denen sie angehören, usw. Die Kolle-gInnen des Netzwerks Stop Précarité ziehensich nach und nach aus dem Kollektiv zurück,entweder aufgrund von Spannungen mit demGewerkschaftssekretär der CGT-Handelsge-werkschaft – mit dem sie im Rahmen des Soli-daritätskollektivs nicht in offenen Konflikt tre-ten können – oder weil sie mittlerweile über-zeugt waren, dass ihre Agitationstätigkeit gegenprekäre Beschäftigungsverhältnisse ein bis-schen »dasselbe« sei wie die Arbeit des Kollek-tivs. Es wird also noch ein paar Versammlungengeben, auf denen Bilanz gezogen wird – und diein das Verfassen eines vierseitigen Faltblattseinmünden, das am 1. Mai 2002 verteilt wird35

–, die aber angesichts des Fehlens von laufen-den Streiks, die unsere Präsenz erfordern könn-ten, mit dem Beschluss enden, die Aktivitätenvorläufig einzustellen. (...) Wenngleich die Be-weggründe der einzelnen Personen unterschied-lich sind, so hat doch niemand Lust, eine weite-re bürokratisierte Struktur oder die x-te Koordi-nierungsgruppe den bestehenden hinzuzufügen.Die logische Entscheidung lautet also, auf-zuhören.

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33) dem Datum der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl; Anm. d. Ü.34) aufgrund des Wahlerfolgs des Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen, der den sozialdemokratischen Regierungschef Lio-

nel Jospin vor der zweiten Runde aus dem Rennen warf; Anm. d. Ü.35) Die Überschrift: Lutter contre le fascisme, c’est d’abord lutter contre son propre patron (Den Faschismus zu bekämp-

fen, bedeutet, zuerst gegen seinen eigenen Chef zu kämpfen) ist unzweideutig. Die Grundidee ist die, dass das Wachs-tum des Front National ein Problem darstellt, das stärker auf dem Feld der sozialen Kämpfe als auf dem der Wahlpoli-tik zu bekämpfen ist. Davon ausgehend stellen wir vor, was unser Beitrag dazu war, wobei wir betonen, dass jeder sol-che Initiativen ergreifen kann. Dieses Flugblatt ist sicherlich eines der wenigen, die sich nicht auf die Ebene der Wahl-en beschränkten oder im Gegenteil auf reinen Antiparlamentarismus und Wahlboykott setzten, sondern versuchten ei-nen möglichen, konkreten Weg aufzuzeigen, ohne dem braven Arbeitervolk Lehren erteilen zu wollen. Es endet mit ei-ner optimistischen Anspielung: »Auf dass hundert, tausend Solidaritätskollektive rund um die Welt aufblühen!« (Ironi-scher Rekurs auf Mao Ze-Dongs »Auf dass tausend Blumen erblühen!«; Anm. d. Ü.) Eine zweite Auflage wurde am 19.Mai 2002 anlässlich der Fête de Lutte Ouvrière verteilt (dem jährlich am Pfingstwochenende, rund 30 Kilometer nörd-lich von Paris stattfindenden Fest der trotzkistisch-traditionsproletarischen Partei LO, »Arbeiterkampf«; Anm. d. Ü.)

Die Ruhephase des Kollektivs würde nicht lan-ge anhalten. In der ersten Maihälfte 2002 wer-den Kontakte zu den Zimmerfrauen bei derHotelkette Arcade, die seit dem 7. März 2002im Streik sind, hergestellt und zu den SUD-Mit-gliedern, die sie von Anfang an aktiv unterstüt-zen. Der Arbeitskampf dauert zu dem Zeitpunktbereits seit über zwei Monaten an, aber dieStreikenden leiden unter einer gewissen Isolie-rung, trotz ihrer Beteiligung an allen möglichenDemonstrationen, besonders nach dem 21.April. Die Übriggebliebenen des Solidaritäts-kollektivs gelangen daraufhin zu der Ansicht,dass man etwas tun könne, um ihnen zu helfen,und ein neues Erlebnis nimmt seinen Lauf.37

Arcade ist ein Dienstleistungsunternehmen imSecurity- und im Reinigungs-Bereich, das unge-fähr 3 500 Beschäftigte zählt. 800 von ihnen ar-beiten in Hotels, wobei Arcade als Subunterneh-men vor allem die Zimmerreinigung in den 86französischen Hotels des ACCOR-Konzernsübernommen hat. Insgesamt nennt der Konzern3 700 Hotels in der ganzen Welt, unter verschie-denen Firmennamen, sein eigen.38 Die Zimmer-frauen von Arcade sind fast alle als Teilzeitkräf-

te angestellt (im allgemeinen für eine Arbeits-zeit von 5 Stunden pro Tag) und werden nach ei-nem Akkordsystem bezahlt. Demzufolge habensie theoretisch die willkürlich festgelegte Vorga-be von 3,2 bis 4 Zimmern pro Stunde, je nachStandard des Hotels, zu erfüllen. Die Stundenwerden auf dieser Grundlage abgerechnet, ganzegal wie lange die tatsächlich für die Zimmerrei-nigung benötigte Arbeitszeit, die meistens deut-lich länger ausfällt, in Wirklichkeit ist; dafürsorgt der ständige Druck der autoritären Vorge-setzten. Hinter den »Teilzeitstellen« verbirgtsich in Wirklichkeit eine auf die Spitze getriebe-ne Flexibilität der Arbeitskräfte: Tatsächlichwerden die Beschäftigten nicht an bestimmtenWochentagen, sondern zu ständig wechselndenZeiten innerhalb der Woche zur Arbeit bestellt,und zwar abhängig vom Bedarf des Unterneh-mens. Wenn die Anzahl der zu reinigenden Zim-mer theoretisch einer geringeren Stundenzahlals der im Vertrag festgeschriebenen Arbeitszeitentspricht, werden »Fehlzeiten« aufgeschrie-ben. Außerdem machen sich bei den Zimmer-frauen normalerweise nach einigen Jahren, indenen sie diese Schwerarbeit verrichten, eineReihe von Gesundheitsproblemen bemerkbar:

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36) Ein Teil des folgenden Kapitels wurde an die engagierte (linke oder linksalternative; Anm. d. Ü.) Presse versandt, umdem Bedürfnis nach Informationen über den Streik nachzukommen. Vgl. z.B. Courant alternatif (Zeitschrift der OCL,Organisation Communiste Libertaire; Anm. d. Ü.), Dezember 2002.

37) Bei Redaktionsschluss dieses Beitrags hielt dieses noch an. Der Streik bei Arcade, der am 7. März 2002 begonnen hat-te, sollte erst am 24. Februar 2003 enden. An diesem Tag wurde ein Abkommen mit der Leitung der Hotelkette unter-zeichnet, in dem letztere den Forderungen, die durch die Streikenden erhoben worden waren, im Wesentlichen nach-gab. Die UnterstützerInnen sprachen von einem Sieg, gleichzeitig aber von der Notwendigkeit, wachsam zu bleiben,und feierten am 1. März 2003 eine große Party zum erfolgreichen Abschluss des Arbeitskampfes; Anm. d. Ü.

38) ACCOR ist ein Mischkonzern, dem Hotelmarken wie etwa »Sofitel« , »Novotol«, »Mercure« oder »Etap« gehören, deraber auch als Reiseveranstalter auftritt und in dieser Funktion auch Abschiebeplätze in Transportmitteln im Auftrag desfranzösischen Innenministeriums reserviert und bereit stellt; Anm. d. Ü.

ARCADE36:Druck auf den Generalunternehmer

Arthrose, Rückenleiden und Gelenkschmerzenkommen häufig vor, werden jedoch nicht als Be-rufskrankheiten anerkannt. In der Praxis werdendie Frauen, wenn sie die harte Arbeit nicht mehrverrichten können, hinausgeworfen. Diese uner-trägliche Situation, die jahrelang ohne zu mur-ren ertragen worden war, rief am Ende danndoch Reaktionen hervor – dank des Auftretenseiner Gewerkschafterin, die dieselbe (Mutter-)Sprache beherrschte wie ein Teil der Beschäftig-ten, und dank der Tätigkeit von SUD.

Der Streik begann mit 37 Personen, diein Hotels im Großraum Paris arbeite-ten und sich untereinander kannten.

Die Streikbeteiligung blieb während der fol-genden drei Monate ungefähr gleich, dannbegann sie zu sinken. Im Dezember 2002 (beiRedaktionsschluss des Artikels) kämpfen noch21 Frauen. Die Erpressungsversuche und derDruck seitens der Unternehmensleitung auf dereinen Seite sowie die erheblichen finanziellenProbleme der Streikteilnehmerinnen auf der an-deren Seite erklären diesen Rückgang. Ein har-ter Kern hat es dennoch geschafft, zu widerste-hen, was die allmähliche Herausbildung einesSolidaritäts-Netzwerks erlaubte. Natürlich wardas erste Problem, das sich stellte, jenes derfinanziellen Unterstützung39: Während derersten Monate hat SUD, dank der Solidaritätseiner eigenen Mitglieder, es geschafft, demstreikenden Personal einen Ausgleich für denentgangenen Lohn zu zahlen. Aber bald mussteman sich mit dem Ergebnis von Spendensamm-lungen begnügen, die anlässlich von Aktionenvor oder in den Hotels, in Form von Unterstüt-zungspartys oder an anderen Arbeitsplätzendurchgeführt wurden.

Die Forderungen der Streikenden betreffen vorallem die Frage des Akkords (sie fordern seineVerringerung auf 2,5 Zimmer pro Stunde in denDrei-Sterne-Hotels und auf 3 Zimmer in denZwei-Sterne-Hotels), die Arbeitsverträge (siewollen Vollzeitstellen) und die Rücknahme derSanktionen, die gegen die Streikenden verhängtwurden, namentlich der acht Entlassungen, dieausgesprochen wurden.

Zu dem Zeitpunkt, an dem das Solidaritätskol-lektiv mit den Streikenden in Kontakt trat, be-gann die Lage besonders schwierig zu werden.Der Arbeitskampf war durch SUD als ein ge-werkschaftlicher Kampf im engeren Sinne or-ganisiert worden – doch angesichts der Un-möglichkeit, ihn innerhalb des Unternehmensauf eine breitere Basis zu stellen, blieb nurübrig, das Solidaritäts-Netzwerk außerhalb sostark wie möglich auszubauen und zu versu-chen, das Kräfteverhältnis zu verändern, indemman auf die wunden Punkte des Auftraggeberszielte, also des ACCOR-Konzerns.40 Es mussleider festgestellt werden, dass SUD (trotz ih-rer Verdienste) Schwierigkeiten hat – die mehrin ihrer Organisationskultur als in ihrer bewus-sten Politik begründet liegen – zu begreifen,dass man über sein eigenes Milieu hinausgehenmuss. Das Solidaritätskollektiv begann also indieser Richtung tätig zu werden, und die Unter-stützung über die gewerkschaftspolitischenund organisatorischen Grenzen hinweg zu er-weitern.

Nachdem die Wahlen vorbei sind, hören die po-litischen Parteien und Gruppen auf, sich ausGründen der Eigenwerbung für die Kämpfe zuinteressieren: Es gibt keine formale Unterstüt-

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39) In Frankreich gibt es i.d.R. keine Streikkassen, und der geschilderte Arbeitskampf war auch nicht gewerkschaftlich ge-steuert; Anm. d. Ü.

40) Dabei wurden in linken u.a. Demonstrationen namentlich auch die Rolle des Konzerns als Organisator zahlreicher Ab-schiebungen im Auftrag des Innenministeriums sowie die Vermietung von Räumlichkeiten für rechtsextreme Veran-staltungen thematisiert. So war ein Hotel der »Sofitel«-Kette von ACCOR für den Auftritt des – erfolglosen – neofa-schistischen Kandidaten Bruno Mégret am Abend der Präsidentschaftswahl vermietet worden. Dies war Thema auf vie-len Flugblättern; Anm. d. Ü.

zung mehr wie für den Arbeitskampf bei Mc-Donalds. Die lange Liste der Unterzeichner-gruppen verschwindet im unteren Teil der Flug-blätter, da das Solidaritätskollektiv beschlossenhat, dass die Unterstützung der Organisationensich konkret in den aktiven Handlungen erwei-sen muss. Die Solidaritäts-Spendensammlun-gen, die man während der Wahlveranstaltungendurchführen konnte, werden jetzt seltener – beiden Sommeruniversitäten der Parteien und po-litischen Gruppen fallen sie recht mager aus,aber ein Infostand bei der »Fête de l’Huma-nité«41 bringt etwas zufriedenstellendere Er-gebnisse. Mit Beginn des Sommers 2002 ent-steht ein Problem, was den Fortgang der Aktio-nen betrifft: Der Druck auf den ACCOR-Kon-zern darf nicht abreißen oder nachlassen. Vordem Hintergrund der positiven Erfahrungen dervorangegangenen Monate wird beschlossen,den Rhythmus wöchentlicher Versammlungenbeizubehalten – die Protokolle werden syste-matisch über die Diskussions-Mailingliste ver-schickt und über die email-Foren der Erwerbs-losen-Organisation AC!, der Sans-papiers undanarchistischer Gruppen weiter geleitet, wo-durch das politisch aktive Umfeld regelmäßiginformiert bleibt – und einen regelmäßigen Ak-tionstermin in der Woche festzulegen. Dies er-möglicht es, die bescheidenen verfügbarenKräfte zu bündeln.

Parallel dazu gründet sich eine intersyndi-cale (gewerkschaftsübergreifender Kampfaus-schuss; Anm. d. Ü.) aus SUD, CNT und opposi-tionellen CGT-Sektionen. Mitglieder der dreiOrganisationen nehmen an den Aktivitäten desSolidaritätskollektivs teil. Leider entspricht derUmfang ihrer Beteiligung nicht ganz den Er-wartungen, sowohl aufgrund der geringen ver-fügbaren Kräfte als auch aufgrund der verschie-denen Prioritätensetzungen. Schnell wird klar,dass intersyndicale nur virtuell lebendig ist.

Man muss dazu sagen, dass die CGT-Branchen-gewerkschaft im Reinigungsgewerbe gewisseEigenheiten hat. Sie wird von einem afrika-nischstämmigen »Chef« kontrolliert, der sie ge-wissermaßen wie seinen Privatbesitz leitet undenge Beziehungen zu den Unternehmen derBranche unterhält. In der Praxis verhält sie sichwie eine gelbe Gewerkschaft. Dem Dachver-band der CGT ist das Problem bekannt, doch ertut nichts, um es zu lösen: Seine Betretenheitscheint hinter der Tatsache zurückzutreten, dassdie bezahlten Anzeigen von Unternehmen derReinigungsbranche ihm die Finanzierung meh-rer Organe der Gewerkschaftspresse erlauben.Zwar könnte man die Angelegenheit »norma-lerweise« als ein nebensächliches Korruptions-problem betrachten, das sich auf die CGT be-schränkt. Aber wenn ein Arbeitskampf wiejener bei Arcade ausbricht und durch die Bran-chengewerkschaft der CGT (fédération du Net-toyage) behindert wird, dann wird das zu einemProblem für die gesamte Bewegung. Konkretbedeutet das z.B., dass das übrige Personal inaktiver Weise davon abgehalten wird, sich mitden Streikenden zu solidarisieren, es werdenexplizite Drohungen gegenüber Gewerkschaf-tern ausgesprochen, die sich am stärksten in derUnterstützung engagiert hatten.

Aus mehreren Gründen sollte derKampf bei Arcade für viele Gruppender radikalen Linken symbolträchtige

Bedeutung haben: Die Belegschaft dieses Un-ternehmens ist über-ausgebeutet; sie bestehthauptsächlich aus Frauen, die im allgemeinenaus Ländern der so genannten Dritten Weltstammen, oftmals ohne Papiere im Land sind,und die sich in besonders prekärer oder abhän-giger Situation befinden, weil sie häufig wederlesen noch schreiben können und sich aus die-sem Grund nur schwer den Anmaßungen derautoritären Vorgesetzten widersetzen können.

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41) Pressefest der Tageszeitung der französischen KP, das von Hunderttausenden Menschen, auch über das engere KP-Milieu hinaus, besucht wird und alljährlich Mitte September stattfindet; Anm. d. Ü.

Deswegen richtete sich der erste Versuch, aufdiesen Kampf aufmerksam zu machen, an diepolitisch aktiven Gruppen, die zu den angespro-chenen Problembereichen tätig sind. Die Ant-wort ließ oftmals auf sich warten oder blieb imBereich bloßer Verlautbarungen stecken.

Die Kampfführung nahm zu Anfang bereits »er-probte« Formen an, etwa mit dem Blockierenvon Hotels; doch diese mussten aufgegebenwerden, nachdem ACCOR die Justiz angerufenund dabei die Aufhebung der Blockadeaktionenverlangte sowie Strafanzeige gegen jene Mitar-beiterInnen erstattet hatte, die daran teilnahmen.An diesem Punkt angelangt, zeigte sich, dassdie Präsenz eines Unterstützungskomitees ihrenNutzen hat: Seine Mitglieder konnten noch tun,was den Streikenden nunmehr gerichtlich ver-boten war. Die Aktionen gegen die Hotels neh-men unterschiedliche Formen an, je nach Zahlder Teilnehmenden und den konkreten Bedin-gungen (vom einfachen Flugblattverteilen überdas Diskutieren mit Angestellten und KundIn-nen zu einer Zeit, da die Hotelrestaurants vollvon Leuten sind, bis hin zum lautstarken Ankla-gen oder dem Ausschütten von Papierkörbenund Mülleimern, falls die Gegenseite aggressivreagierte). Sie sollen den Führungskräften desACCOR-Konzerns zu verstehen geben, dass ihrUmgang mit dem Konflikt – der Versuch, ihnauszusitzen, ohne je ernsthafte Verhandlungenzu eröffnen – in eine Sackgasse führt und demKonzern, langfristig, ernsthaften Schaden berei-ten kann.

In diesem Zusammenhang kommt der interna-tionalen Solidarität und den Initiativen zur Pu-blikumsinformation sowie zur Störung des Be-triebsfriedens eine entscheidende Bedeutungzu: Sie bleiben Mückenstiche gegenüber einemElefanten, aber wenn sie an Zahl zunehmen undandauern, dann können sie den Konzern am En-

de doch überzeugen, dass er dem Konflikt lieberein Ende bereitet.

Schließlich muss man auch eine Veränderungin der Zusammensetzung des Solidaritätskol-lektivs erwähnen. Zu dem Zeitpunkt, als dieKämpfe in der Fastfoodbranche und in denKaufhäusern stattfanden, waren die gewerk-schaftlich Organisierten unter den Mitgliederndes Kollektivs vorwiegend Mitglieder der CGTund standen mit den Gewerkschaftssektionender Streikenden in Verbindung. Das Solida-ritätskollektiv zählte viele Mitglieder politi-scher Gruppen und VertreterInnen unterschied-licher Initiativen bzw. Vereinigungen, die sichneben unabhängigen Einzelpersonen an einerArt Kreuzungsort wiederfanden. Während derDauer des Konflikts bei Arcade hingegen sindSUD und die CNT am besten (wenn auch ins-gesamt sehr schwach) vertreten. Die Nicht-Ge-werkschaftsmitglieder kommen vor allem ausKollektiven, die an der Bewegung der Arbeits-losen und der Prekären von 1997/9842 teilnah-men – und kaum irgendwelche Sympathien fürGewerkschaften hegen –, oder, seltener, ausdem Netzwerk Stop Précarité. Die Zusammen-setzung der Gruppe von Streikenden selbst hatsich verändert: Die jungen Franzosen bei Mc-Donalds, großteils maghrebinisch-migranti-scher Herkunft, die oftmals studieren oder stu-diert hatten, sowie die für spezielle Verkäufer-tätigkeiten (mit Spezialisierung auf Literatur,Musik oder Informatik usw.) ausgebildetenjungen Mitarbeiter bei Virgin oder der FNACsind eingewanderten Frauen afrikanischer Her-kunft gewichen, die nur über geringe Verhand-lungsfähigkeiten verfügen und daher wenigGewicht in die Waagschale werfen können.Diese Merkmale erklären zu einem großen Teildie Interesselosigkeit der Medien für den Streikbei Arcade.

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42) Gemeint ist die Besetzungsbewegung, die zwischen Dezember 1997 und März 1998 zahlreiche Aktionen etwa in Ar-beitslosengeld-Kassen und Arbeitsämtern, aber auch in Supermärkten durchführte und mehrere Dutzend öffentlicherEinrichtungen besetzt hielt; Anm. d. Ü.

Anfang Oktober 2002 wird die Situation schwie-riger: Das Arbeitsgericht – vor dem die Streiken-den die acht Entlassungen, die gegen sie ver-hängt worden waren, anfochten – wies das an-gestrengte Schnellverfahren43 ab und verwiesdie Klägerinnen an das normale Verfahren. DerArbeitgeber nutzte das aus, um sie einzeln vor-zuladen und ihnen folgenden Vorschlag zu un-terbreiten: Alle sollten an die Arbeit zurückkeh-ren, einschließlich der zuvor Entlassenen, aberohne dass auf die Hauptforderung nach einerVeränderung des Akkords eingegangen würde.»‘Wir haben eine Schlacht verloren, aber nichtden Krieg.’44 Und wir haben nicht sieben Mona-te lang für nichts gestreikt«, antworteten dieStreikenden einfach. SUD, die in Bezug auf Ak-tionen in den Hotels einen Monat lang versuchthatte mäßigend auf die Streikenden einzuwir-ken, da sie der Meinung war, man dürfe die lau-fenden Verhandlungen nicht behindern und denArbeitgeber nicht provozieren, sieht sich in die-sem Moment von Widersprüchen hin- und her-gerissen: Manche Mitglieder unterstützen denStreik weiterhin vorbehaltlos, andere würdensich gern zurückziehen, sprechen gar von einem»bevorstehenden Sieg«.45 Die finanzielle Belas-tung und die überlange Dauer des Streiks, dasHerannahen der Sozialwahlen46, die Schwächeder verfügbaren Kräfte und wahrscheinlich auchein gewisser Pessimismus hinsichtlich der Mög-lichkeit eines wirklichen Sieges erklären zwei-fellos diese Schwankungen. Tatsache bleibt,dass diese Gewerkschaft, während sie ihre logi-stische Infrastruktur zur Verfügung stellt, zu-gleich in immer geringerem Maße mit eigenenMitgliedern aktiv präsent ist. (...)

Infolge der Schwierigkeiten von Anfang Okto-ber 2002 beschließt das Solidaritätskollektiv, ei-ne Anstrengung zu unternehmen, um demStreik breitere Aufmerksamkeit zu verschaffen:Es ruft zu einer landesweiten Aktionswoche ge-gen den ACCOR-Konzern auf. Wenn auch dieAktionen dazu hauptsächlich in Paris stattfin-den, wo sie sich zugleich intensivieren, so wer-den doch eine Reihe von Kontakten im übrigenFrankreich und Europa geknüpft. Die Anwesen-heit bei gewerkschaftlichen, kulturellen und be-ruflichen Veranstaltungen im Hotelgewerbeerlaubt es, die Informationen über den Arbeits-kampf weiter zu verbreiten; Aktionen wie dasDrucken von Protest-Postkarten oder von Flug-blättern, die sich speziell an die KundInnen oderdas Personal der Hotels richten usw., verstärkendie Wahrnehmbarkeit des Streiks. Die Medien,die ihn von der Liste der interessanten Themengestrichen hatten, sind in manchen Fällen dazugewillt, über ihn zu berichten. Das Kräftever-hältnis gegenüber dem Arbeitgeber (und dasVertrauen der Streikenden wie auch der sie un-terstützenden Gewerkschaften auf ihren Sieg)hat in dieser Phase den Anschein, sich zum Bes-seren entwickeln zu können.

Um mit den Fehlern und der schlechten Arbeit,die bei der Betreuung der juristischen Verfahrenvorkamen – mitsamt ihren bedauerlichen Aus-wirkungen auf die psychische Verfassung derStreikenden und auf den Kampf selbst – fertigzu werden, beschließt das Kollektiv, auch aufdieser Ebene tätig zu werden und die Verbin-dung zu den AnwältInnen zu übernehmen. Aufdas explizite Verlangen der Streikenden hin soll

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43) Die Procédure de référé zielt auf den Erlass einer Einstweiligen Verfügung; Anm. d. Ü.44) berühmtes Zitat General Charles de Gaulles aus dem Jahr 1940, nachdem Frankreich von deutschen Truppen besetzt

war und de Gaulle nach London fliehen muss; Anm. d. Ü.45) Siehe zu diesem Thema die Artikel: Grève Arcade: chronique d¹une victoire annoncée! (Streik bei Arcade: Chronik ei-

nes angekündigten Sieges!) in Sud Rail (Mitgliederzeitschrift der Bahnbeschäftigten der Gewerkschaft SUD), Oktober2002, S. 12, der zweifellos bereits im Juli 2002 verfasst wurde, und Arcade: victoire! (Arcade: Sieg) in Rouge (Wo-chenzeitung der trotzkistisch-undogmatischen LCR, Ligue Communiste Révolutionnaire) vom 26. September 2002

46) vom 11. Dezember 2002; bei den élections prud’homales werden die paritätisch mit Beschäftigten- und Arbeitgeber-Vertretern besetzten Arbeitsgerichte (Conseils de prud’hommes) alle fünf Jahre neu gewählt, ein wichtiger Kräftetestfür alle Gewerkschaftsorganisationen; Anm. d. Ü.

der Versuch unternommen werden, zum erstenMal in direkten Kontakt mit der ACCOR-Ge-sellschaft zu treten. Auch wenn eventuellezukünftige Verhandlungen allein der Entschei-dung der Streikenden überlassen bleiben wer-den, arbeitet das Solidaritätskollektiv dennochnunmehr wie eine richtige »Beratungskanzlei«.

Eine letzte Bemerkung zu den Hinter-gründen dieses Streiks, die vielen nurmit Mühe auffallen:

● Er stellt, auf konkrete Weise und nicht nur inWorten, die Arbeitsbedingungen in den vonSubunternehmen dominierten Bereichen inFrage, und vor allem im Reinigungssektor,der ganz vorne steht in dem Dumpingwett-lauf, der bezüglich der Arbeitsverhältnisseeingesetzt hat. Da man die Hotels nicht ausla-gern kann, holt man die Arbeitsbedingungen

aus der »Dritten Welt« hierher, wodurch manein günstiges Klima schafft, um auch in denangrenzenden Sektoren eine zunehmendeVerschlechterung herbeizuführen. Ein Siegder Streikenden würde diese Entwicklung einStück weit aufhalten und so eine Art Präze-denzfall bilden, der Tausenden von abhängigBeschäftigten als Orientierung dienen kann.

● Die Möglichkeiten einer Organisierung indiesem Sektor, wo der Druck durch die Ar-beitgeber und ein anderswo unvorstellbaresAusmaß der Korruption unter Gewerkschaf-tern vorherrschen, würden durch einen Siegerheblich vergrößert werden. Die am deut-lichsten spürbare unmittelbare Auswirkungwäre zweifellos, dass die gewerkschaftlicheLandschaft neu gezeichnet und die gewerk-schaftlichen Praktiken neu überdacht wür-den.

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Die erste Feststellung, die getroffen werdenmuss, betrifft die von den Arbeitskämpfen undden Aktivitäten des Solidaritätskollektivs be-rührten Sektoren: Es handelt sich fast aus-schließlich um den Privatsektor – zunächst umden Handel und den Fastfoodbereich, im An-schluss um Subfirmen, die im Reinigungsbe-reich tätig sind. Die betroffenen Unternehmensind in ihrem Sektor die jeweils stärksten undmächtigsten, fast immer multinationale Konzer-ne. In nahezu allen Fällen ist der gewerkschaftli-che Organisationsgrad schwach, wie übrigensauch die Streikdichte bzw. Streikbereitschaft,und die Kräfteverhältnisse fallen im allgemeinensehr ungünstig für die Beschäftigten aus. Ohneeine Unterstützung von außen hätten die Ar-beitskämpfe nicht andauern können und wärenwahrscheinlich niedergeschlagen worden.

Der Unterschied gegenüber der Erfahrung ge-genseitiger Unterstützung, die wie vor einigenJahren während der Arbeitslosenbewegung er-lebten, sticht in’s Auge. Damals hatte sich dieKoordination der prekär Beschäftigten (Coor-dination des travailleurs précaires) gebildet,die viel weniger in bzw. gegenüber den Medienin Erscheinung trat als die hier beschriebeneBewegung und die fast ausschließlich prekärBeschäftigte aus dem öffentlichen Dienst um-fasste. Alles in allem hatte sie sehr bescheideneErgebnisse erzielt, aber sie hatte sich einer Rei-he von Problemen gestellt, denen sich auch dasSolidaritätskollektiv seinerseits ausgesetzt sah,das dabei zweifellos bessere Ergebnisse er-reichte.

Zwar handelte es sich in der öffentlichen Wahr-nehmung – diese Wahrnehmung wurde auch

von vielen Mitgliedern des Kollektivs gepflegt –bei den neuen Kämpfen auch um Kämpfe von»Prekären«, aber man muss sehen, dass die Pre-karisierung der Arbeitsbeziehungen vor allemden Hintergrund darstellt, vor dem diese Kämp-fe entstanden sind. An diesen Kämpfen nehmenBeschäftigte teil, die zumeist einen unbefriste-ten Arbeitsvertrag (contrat à durée indéter-minée) vorweisen können, und für die sich diePrekarität mehr aus dem raschen Wechsel derBeschäftigten am Arbeitsplatz, dem »turn-over«ergibt – der wiederum den sehr schlechten Ar-beitsbedingungen geschuldet ist – als aus ihremrechtlichen Status. In den Arbeitskämpfen, diewir unterstützt haben, stieß man auf Beschäftig-te mit relativ gesichertem Arbeitsplatz ebensowie auf Prekäre. In manchen Fällen rieten die-jenigen mit »stabilen« Stellen den prekär Ange-stellten, sich abseits zu halten, um nicht zuviele Risiken gegenüber dem Arbeitgeber ein-zugehen.

Die Arbeitskämpfe hatten Kündigungen, dieLohnpolitik, Arbeitsbedingungen und -rythmuszum Gegenstand, und nur am Rande ging es umprekäre Vertragsformen. Die Solidarität unterArbeitskollegen spielte eine große Rolle in die-sen Auseinandersetzungen.

Die direkte Aktion ist ein ständig wiederkeh-rendes Merkmal der Kämpfe, die das Kollektivunterstützt hat, wie auch seiner eigenen Praxis.Eine Entscheidungsfindung in Vollversammlun-gen hat die Verbindlichkeit aller wichtigen Be-schlüsse garantiert, ohne indes bestimmte Grup-pen oder Einzelpersonen daran zu hindern, un-abhängige Initiativen zu ergreifen, die jene desSolidaritätskollektivs begleiteten. Ein Gleichge-

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Einige Überlegungen zurBedeutung und zum Bestehen

des Solidaritätskollektivs

wicht, wenngleich ein mitunter wackeliges,wurde gefunden zwischen dem persönlichenHandeln, der kollektiven Diskussion und Ver-ständigung, dem Bemühen um basisdemokra-tische Legitimation der Handlungen, demWunsch, sich nicht Kriminalisierungsrisikenauszusetzen, und dem Bewusstsein, ein berech-tigtes Anliegen zu verteidigen.

Wir haben immer auf unsere eigenen Kräfte ge-zählt, und uns nur auf Aktionen eingelassen, diedem Stand unserer Mittel entsprachen. Mankonnte in der Aktion beobachten, wie sich auferstaunliche Weise die Schwäche der uns zurVerfügung stehenden Mittel und die Stärke derÜberzeugung miteinander verbanden, wobei dieFantasie als Hebel dafür eingesetzt wurde, dieKräfteverhältnisse mit dem Gegenüber zu ver-ändern. Die Form von Beziehungen, die mit denMedien aufgebaut wurden, wies ebenfalls indiese Richtung: Ohne dass wir jemals daran ge-dacht hätten, sie als Grundlage für unser Han-deln zu nehmen, haben wir nicht gezögert, siean bestimmten Momenten der Arbeitskämpfeeinzusetzen, wobei wir wussten, dass sie eineStütze bei der Überwindung einer vorüberge-henden Schwäche bilden oder auch als Verstär-ker für unsere Informationstätigkeit dienenkonnten.

Alles in allem sind die Kämpfe, ob sie nun aufdie (mehr oder minder ausschließliche) Initiati-ve einer Gewerkschaftssektion zurückgingenoder nicht, unter der Kontrolle der Gesamtheitder Streikenden geblieben. Die Gewerkschafts-mitglieder hatten manchmal ein größeres Ge-wicht bei Debatten bzw. Entscheidungen,brachten mehr Erfahrung mit, spielten eine Rol-le als Berater oder »älterer Bruder«, aber nir-gendwo war blindes Vertrauen oder eine Formvon Unterordnung unter die gewerkschaftlichenStrukturen anzutreffen.

In bestimmten Fällen kann die Beziehung, wel-che die Beschäftigten zur Gewerkschaft (und,warum sollte man es nicht zugeben?, auch zumSolidaritätskollektiv) unterhielten, als eineKonsumentenbeziehung bezeichnet werden.Wie soll man sich anders, beispielsweise, dasStillhalten der McDonalds-Beschäftigten vonStrasbourg-Saint-Denis nach ihrer Rückkehran den Arbeitsplatz erklären, selbst als dreiMonate später die ersten Repressalien einzu-setzen begannen? (Die Beschäftigen wandtensich daraufhin an die CGT, die ihnen Rechts-beistand lieferte, ohne sich zu bequemen, ir-gend jemandem im Solidaritätskollektiv zu in-formieren.)47

Leider scheint die Solidarität durch die strei-kenden Beschäftigten als eine Einbahnstraßeerlebt worden zu sein. Nachdem der Streikbeim McDonalds von Strasbourg-Saint-Denisbeendet war, war es nur selten möglich, dieMitarbeiter zum Beispiel zur Unterstützung fürandere laufende Streiks zu mobilisieren. DieGegenseitigkeit in der Unterstützung ist einAnspruch, den das Kollektiv zwar erfolgreichausdrücken, aber sehr viel weniger erfolgreichumsetzen konnte: Wenn man die kurze Dauerder interenseigne, der gewerkschaftsübergrei-fenden Solidarisierung auf den Champs-Ely-sées ausnimmt, bei der die gegenseitige Hilfeauf die Tatsache gründete, dass die im Arbeits-kampf Engagierten in den betreffenden Unter-nehmen sich untereinander persönlich kannten,so sind die anderen Versuche begrenzt undohne Zukunftsperspektive geblieben. DerStreik bei Arcade hat ein weiteres Beispieldafür geliefert: Obwohl die Streikenden unddas Kollektiv jede sich bietende Gelegenheitnutzten, um auf die Notwendigkeit gegenseiti-ger Hilfe hinzuweisen, sind die entsprechendenErgebnisse doch sehr bescheiden geblieben.

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47) Zumindest mit dem Stillhalten war es später wieder vorbei – im März 2003 brach im gleichen Schnellrestaurant ein er-neuter Streik aus, dessen Ende bisher nicht abzusehen ist; Anm. d. Ü.

Die Streiks, die zu unterstützen wir versucht ha-ben, weisen einige gemeinsame Merkmale auf,über die es sich nachzudenken lohnt.

Die Dauer dieser Streiks übertrifft jene dermeisten Kämpfe aus den letzten Jahren: überdrei Monate bei McDonalds Strasbourg-Saint-Denis, fast einen Monat bei der FNAC, überzwei Wochen bei McDonalds am BoulevardSaint-Germain, neun Monate bei Arcade48. Die-se Dauer hat es der Solidarität ermöglicht, sichzu strukturieren, und die Bündelung anderer,kürzerer Kämpfe rund um diesen ›Magneten‹herum erlaubt. Die Energien der Aktiven, dieauf diesem Wege gesammelt wurden, wurdenspäter an andere Kämpfe weitergegeben, dieansonsten unsichtbar oder isoliert gebliebenwären. Die Streiks bildeten ein starkes Bin-deglied, um das herum sich andere Solidari-tätsaktionen mit bescheidenerem Umfang oderindividueller Natur formierten, die aber nichtweniger nützlich für die Kampfbereitschaft ins-gesamt waren. Natürlich kann ein so begrenz-tes Aktiven-Milieu nicht allen Kämpfen, die esbräuchten, eine wirksame Unterstützung zu-kommen lassen. Deswegen war es die Dauer derKämpfe – verbunden mit Zufälligkeiten vonTreffen, Bekanntschaften, Freundschaften,Mund-zu-Mund-Propaganda – die dieses Zu-sammenkommen und die Ausrichtung der Un-terstützung auf einen konkreten Punkt im Klas-senkampf erlaubte. In der Praxis stellt das Soli-daritätskollektiv so etwas wie eine Belohnungfür die Kampfkraft und Ausdauer derjenigendar, die sich dazu entschließen, mit Entschie-denheit zu kämpfen, und lange genug widerste-hen, damit die Solidarität entstehen und sichausweiten kann.

Die geringe Größe der laufenden Streiks ist einanderer Grund, der den praktischen Nutzenauch eines relativ bescheidenen Netzwerks be-

legt. Die relativ geringe Zahl der Streikenden(30 bis 40) hat es erlaubt, ihnen eine finanzielleUnterstützung zukommen zu lassen, die unmög-lich gewesen wäre, falls es um Tausende gegan-gen wäre, da die für Solidaritätsaktionen zurVerfügung stehenden Mittel unter den derzeiti-gen Kräfteverhältnisse nicht ausreichen können.Darin liegt ein besonderes Problem der franzö-sischen Arbeiterbewegung, die über keine Tra-dition strukturierter und dauerhafter Streikkas-sen verfügt. Sei dies nun positiv oder negativeinzuschätzen, diese Realität muss auf jedenFall berücksichtigt werden.

Das geringe quantitative Ausmaß derStreiks und die Existenz eines genaubezeichneten und begrenzten Unter-

stützungsbereichs machten es möglich, aus derLogik der reinen Agitation (gegen die Preka-rität zum Beispiel), der hohlen Phrasen und derideologischen Debatten (für oder gegen Ge-werkschaftsmitgliedschaft, die CGT, die alter-nativen Gewerkschaften, die Einheit zwischenihnen, radikale Gewerkschaftspolitik usw.) aus-zubrechen, um die Probleme auf konkrete Wei-se aufzuwerfen; aus der (globalisierungskriti-schen oder »bürgerbewegt«-linksnationalisti-schen49 oder antikapitalistischen) Ideologieauszubrechen, um sich auf den Boden des prak-tischen Klassenkampfs zu stellen. Auf demsel-ben konnte dann jedeR seine (oder ihre) eige-nen Analyseraster auf die kollektive Aktion an-wenden und seinen eigenen Beitrag leisten,welcher nicht an der Elle abstrakter Radikalitätoder schön klingender Theorie gemessen wur-de, sondern an jener der praktischen Wirksam-keit für den Erfolg des Kampfes – wodurch we-nig Raum für Demagogie oder Mauscheleienbleibt. Sicherlich wurde die Art und Weise desKampfes zu einem Gegenstand von Debatten,doch eine Tatsache blieb dabei unbestritten undunumgänglich für die Fortsetzung des Kamp-

48) Der Streik hielt bei Redaktionsschluss an und endete nach insgesamt elfeinhalb Monaten; Anm. d. Ü.49) Damit ist vor allem die Haltung der Chevènementisten bezeichnet; vgl. Fußnote 19; Anm. d. Ü.

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fes: nämlich, dass die Beschlüsse über dieStreikführung unter der Kontrolle der Streiken-den selbst bleiben sollten.

In einem Umfeld, in dem die »abgehobenen Be-wegungen« – wie René Riesel50 sie mit einergeglückten Begriffsschöpfung bezeichnet hat –die Hauptaufmerksamkeit derjenigen sozialenund politischen Kräfte, die für eine (radikale?)Gesellschaftsveränderung eintreten, auf sichziehen, untermauert die Erfahrung des Solida-ritätskollektiv im Gegenteil die Idee, dass esnotwendig und konkret möglich ist, auf das Felddes Klassenkampfs zurückzukehren und den ge-sellschaftlichen Bewegungen einen sozialenGehalt zu geben. Einen sozialen Gehalt, der imLohnverhältnis wurzelt, also im Kern der Ver-hältnisse, die unsere Gesellschaft strukturieren.

I nnerhalb des Kollektivs kommt es zu einerUmkehrung der Herangehens-Logik: We-der wird versucht, Aktive, die in konkreten

Kämpfen engagiert sind, zugunsten von Akti-vitäten allgemeinpolitischer Agitation (gegenden Faschismus, gegen die Repression usw.) ab-zuziehen, noch wird versucht, den Raum zu be-setzen, indem man Agitation ohne konkretenAnsatzpunkt betreibt (gegen den Mangel anWohnraum, die Prekarität usw.), noch uns aufeine Tätigkeit individueller Unterstützung (für»illegale« Immigranten, für Opfer der Repressi-on, für Wohnungslose) zu spezialisieren – eineTätigkeit, die ihren Nutzen hat, aber oft büro-kratisch wird –, noch den Strom jener zu ver-breitern, die nach Seattle, Göteborg, Prag oderGenua fahren, um sich anschließend isoliert undauf sich selbst zurückgeworfen in ihrem All-tagsleben – und mit vielen Schwierigkeiten, inden Kampf einzutreten – wiederzufinden. Ohneauf ihre Betätigung in den politischen Gruppenzu verzichten, denen sie angehören, sehen sich

die Mitglieder des Solidaritätskollektivs doch ineinen konkreten Kampf einbezogen, der einengenau bestimmten sozialen Ansatzpunkt auf-weist und im Lohnverhältnis wurzelt, auchwenn die Entscheidungen der Streikenden, diedie Steuerung des Arbeitskampfs in der Handbehalten, stets respektiert werden. Das vormalsübliche Auftreten als »Avantgarde« wird so ein-fach auf den Kopf gestellt: Die aktiven Mitglie-der haben keine Lehren zu erteilen, aber eineErfahrung anzubieten, die es ihnen erlaubt, sichnützlich zu machen, und – manchmal – Gedan-ken in den gemeinsamen Austausch einzubrin-gen. Dies bedeutet nicht, dass die Beziehungenzu den Streikenden (die, je nach Branche undUnternehmen, unterschiedlich ausfallen) immereinfach wären: Eine gemeinsame Sprache zurVerständigung zu finden, erweist sich mitunterals problematisch, und die Unterschiede in Er-fahrung und (Aus-)Bildungsniveau könnenschwer zu überwindende Barrieren darstellen.

Doch man muss auch zugeben, dass die Tätig-keit des Solidaritätskollektivs unter den Begren-zungen und inneren Widersprüchen gelitten hat,die den verschiedenen Aktivisten-Milieus inseinem Umfeld oder in seinen Reihen innewoh-nen. Ich werde einige davon beispielhaft benen-nen.

● Das Gewicht der Eifersüchteleien und gegen-seitigen Misstrauensmomente zwischen denGewerkschaften, und allgemeiner: die Eigen-logik von Vereinen. Diese Eigenlogik hatmanche dahin gebracht, die Tätigkeit des So-lidaritätskollektivs als die eines gefährlichenKonkurrenten wahrzunehmen, und es mitun-ter auf mehr oder minder heimliche Weise zudiskreditieren.

● Die Schwierigkeit mancher Gewerkschafte-rInnen, die ihre Organisations- und Kampf-

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50) ein ehemaliger Situationist, früherer zeitweiliger Generalsekretär der linken Bauerngewerkschaft Confédérationpaysanne – der er jedoch den Rücken gekehrt hat –, fundamentaler Kritiker der Industriegesellschaft; er wurde im Jahr2001 zusammen mit José Bové zu einer Haftstrafe wegen Zerstörung genmanipulierter Reissetzlinge verurteilt;Anm. d. Ü.

kultur in Wirtschaftsbereichen erworben ha-ben, in denen eine gewisse Kultur der gegen-seitigen Abstimmung mit den Unternehmernvorherrscht (vor allem im öffentlichenDienst), die Erfordernisse von Kämpfen zuverstehen, die in viel unfreundlicheren Sekto-ren entstanden sind, wo die Streikenden sichgegen ihre Isolierung und gegen die Unnach-giebigkeit der Arbeitgeber wehren müssen,indem sie sich so organisieren, dass sie länge-re Zeit durchstehen können. Die Tatsache,dass die Streikenden bei Arcade (dann, wennsie konnten) auf kurzzeitige Ersatzjobszurückgriffen, um widerstehen zu können –in einem Umfeld, in dem die finanzielle Un-terstützung nicht mehr die grundlegendstenBedürfnisse abzudecken vermochte – hat bei-spielsweise innerhalb von SUD Rail zu Auf-fassungen Anlass gegeben, die nicht wirklichgeholfen haben, die Mobilisierung über einenlängeren Zeitraum hinweg aufrecht zu erhal-ten

● Auf einer anderen Ebene: Die Selbstlosigkeitbestimmter Aktivisten-Milieus, die von ei-nem besonders radikalen Lebensgefühl getra-gen werden, geht mitunter mit einem erstaun-lichen Mangel an Einsicht in konkrete Situa-tionen und einem ebensolchem Mangel anFantasie im Rahmen der Konfrontation ein-her. Ich denke im Besonderen an jenen Auf-tritt, den das Kollektiv anlässlich eines öf-fentlichen Zusammentreffens zwischen demFinanzdirektor des ACCOR-Konzerns undseinen Aktionären hatte: Die Möglichkeit,

unseren Gegnern öffentlich durch Diskutie-ren entgegen zu treten, dabei ihre Argumenteauseinander zu nehmen, ist faktisch in sichzusammengefallen und machte einem wirrenund lärmenden Auftreten Platz. Dieses warvon der gleichen Art, wie wir es bei diversenBesetzungen von Arbeitsämtern, Assedic51

oder CAF52 im Laufe der letzten Jahre erlebthaben. Die Idee, dass man gewinnen könne,indem man »Druck macht«, ganz unabhängigvon den wirklichen Kräfteverhältnissen,bringt einen manchmal dahin, die einzigeWaffe aus der Hand zu geben, über die mangegenüber einem ungleich mächtigeren Geg-ner verfügt: die Möglichkeit, dessen Fassadeder Anständigkeit zu beschädigen, indemman dem breiten Publikum die Realität derArbeitsverhältnisse aufzeigt, welche sorgfäl-tig hinter dem Lächeln der Damen und Her-ren, hinter den ganzen schönen Texten undSelbstverpflichtungen verborgen wird. Eingewisser nuancenloser Grundsatz-Radikalis-mus kann sich daher, unter schwierigen Be-dingungen, als eher schädlich denn nutzbrin-gend erweisen, vor allem dann, wenn er dieEinheit unter den StreikteilnehmerInnen ge-fährdet, die wir im Gegenteil wie unserenAugapfel bewahren sollten.

Allgemeiner ausgedrückt, ist der Gedanke er-laubt, dass diejenigen außergewerkschaftlichenKreise, die heutzutage bereit sind, ihre Energieund ihr Aufbegehren für die Kämpfe der amhärtesten ausgebeuteten Lohnabhängigen zur

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51) örtliche Niederlassungen der Arbeitslosengeld-Kasse Unedic, welche – anders als die staatlichen Arbeitsämter – durchdie »Sozialpartner« verwaltet wird. Konkret ist dies die CFDT, die seit Mitte der 90er Jahre eine harte Sparpolitik ex-erzieren; Anm. d. Ü.

52) Caisses d¹allocations familiales, so heißen die Ämter, die das Kindergeld, Wohngeld und diverse Sozialleistungen aus-bezahlen; Anm. d. Ü.

53) Es handelt sich um drei Initiativen, die sich dem Kampf für die an den Rande der Gesellschaft Gedrängten verschrie-ben haben. DAL (Droit au logement; »Recht auf Wohnen«) ist eine kämpferische Wohnrauminitiative, die u.a. allwin-terlich Wohnraumbesetzungen – etwa mit afrikanischen Familien, die auf dem Wohnungsmarkt keine Chance haben –durchführt. Droits devant! – ungefähr »Rechte vorrangig«, aber auch gleichklanglich mit »geradeaus« – ist eine Sam-melbewegung, die verschiedene Initiativen, etwa für Wohnungslose oder »illegalisierte« Immigranten, bündelt. AC!(Agir ensemble contre le chômage; »Gemeinsam handeln gegen die Arbeitslosigkeit«, aber auch gleichklanglich mitassez!; genug!) – ist eine seit 1994 bestehende selbstorganisierte Vereinigung von aktiven Arbeitslosen. Dem BündnisAC! gehören daneben auch einzelne, kämpferische Gewerkschaften und andere Unterstützergruppen an.

Verfügung zu stellen, unter Mängeln leiden, dieauf die – während des zurückliegenden Jahr-zehnts gegebene – Vorherrschaft einer Aktivis-tenkultur, die durch Gruppen wie DAL, Droitsdevant oder AC! geprägt wurde, zurückzu-führen sind.53 Eine Organisationskultur, dieweit davon entfernt ist, Kritikfähigkeit, kollek-tive Einsicht oder die Fähigkeit, gemeinsamüber die und in der Aktion nachzudenken, her-zustellen und lediglich eine gleichförmige undhauptsächlich lärmende Aktionsform verbreitethat, bei der selbsternannte Wortführer – dieglauben, niemandem gegenüber verantwortlichzu sein – im engeren Kreise die politischenStrategien erarbeiten, deren Ausfluss diese Ak-tionen sind. Zwar haben diese Praktiken durch-aus Kritik und Gegenbestrebungen hervorgeru-fen, doch in den meisten Fällen wurde ihnennur ein vager Grundsatz-Radikalismus entge-gen gestellt, welcher sich in einer Kultur der»Ablehnung konkreter Forderungen« ausdrückt– die offenkundig in keinerlei Weise hilfreichist, sobald man auf Gebiet der Arbeitskämpfebetritt.

Das Solidaritätskollektiv ist entstanden, umKämpfen auf Unternehmensebene zu erlauben,aus ihrer Isolierung heraus zu kommen. SeineGründung erklärt sich aus den Unzulänglichkei-ten und Widersprüchen der gewerkschaftlichenArbeit heraus: Ein Vakuum musste ausgefülltwerden, Bedürfnisse verlangten nach einer Ant-wort, welche die Gewerkschaften allein nicht inder Lage waren zu geben. Die Existenz einerStruktur solcher Art an sich hebt die Schwächenund Mängel der Gewerkschaften hervor, ob essich um etablierte oder um radikale Gewerk-schaften handele.

Haben wir die Arbeit für die Gewerk-schaften gemacht? Eines steht fest:Wir haben keine Lösung gefunden,

die es jenen, die einen Kampf führen wollen, er-lauben würde, ohne sie auszukommen. Unsere

Beziehungen zu ihnen sind ambivalent, dennbeim derzeitigen Stand der Dinge sind die Ge-werkschaften die Einzigen, die – in den von denArbeitskämpfen betroffenen Unternehmen – dieFrüchte der getanen Arbeit ernten und neue Bei-tritte oder Aktivisten in Wirtschaftsbereichen,die für sie immer ein schweres Feld waren, an-werben können. Aber wird ihnen das gelingen?

Am Ausgang der Arbeitskämpfe finden sich oftjunge Aktivisten, die mit ihren Branchenge-werkschaften im Konflikt standen (und oft kei-ne eindeutigen Ideen haben). Die Erfahrungen,die wir zusammen gemacht haben, können ih-nen Stoff zum Nachdenken geben. Sicherlichwird ein Sockel an Erfahrungen übrig bleiben,der geeignet ist, eine neue Generation von En-gagierten – aus der konkreten Situation heraus –heranzubilden. Wenn man erst einmal entdeckthat, dass man keinen Anleiter benötigt, um zudenken und zu handeln, wird vieles möglich.Darin liegt wahrscheinlich der fruchtbarste Teildessen, was das Solidaritätskollektiv unternom-men hat.

Mit dem Ende des »Reichs des Bösen«, dem wirim zurückliegenden Jahrzehnt beigewohnt ha-ben, ist so manche Handlungs- und Klassen-kampf-Theorie eingegangen. Neue zu begrün-den oder den Faden älterer, und konkreterer, Er-fahrungen der Arbeiterbewegung wieder aufzu-nehmen, ist zweifellos notwendig, doch Einesbleibt unabdingbar: zu versuchen, in der Praxisneue Wege zu eröffnen, im konkreten Fall zu er-proben, was sich von einem (zu einem Zeit-punkt gegebenen) Kräfteverhältnis zwischenden Klassen und einem Stand der Kämpfe ausmachen lässt. Wahrscheinlich muss man die Er-fahrung, die wir gemacht haben, in dieser Per-spektive sehen.

Gianni Soriano

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No. 1 Kim Moody: »Rank-And-File Internationalism«The TIE-Experience 2 Euro

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Elemente, Ansatzpunkte und Strategien für eineAnti-Konzessionspolitik auf betrieblicher, tariflicher und gesetzlicher Ebene – Vorschläge aus der HBV 5 Euro

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ArbeiterInnenbewegung am Ende des Jahrhunderts« 5 Euro

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