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20. Oktober 2016 469 Luxuswohnen in der Elbphilharmonie PENT- HOUSE MONUMENTE DER VERSCHMUTZUNG JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE Das Querformat für Architekten

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Page 1: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

20 Oktober 2016

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Luxuswohnen in der

Elbphilharmonie

PENT-

HOUSEMONUMENTE DER VERSCHMUTZUNGJORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

Das Querformat fuumlr Architekten

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Titel The Ethics of Dust at Westminster Hall von Jorge Otero-

Pailos 2016 Foto Marcus J Leith Oben Ethics of Dust

Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San

Fransico Foto Jorge Otero-Pailos

6 Monumente der Verschmutzung Jorge Otero-Pailos und die experimentelle Denkmalpflege

15 Experimental Preservation und Tabula Plena Zwei Buumlcher zeigen dass Denkmalpflege mehr ist als Sanierungspraxis

Von Luise Rellensmann und Jens Casper

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Denkmalpflege ist nicht selten ein sproumldes Geschaumlft doch was wenn sie experimentell betrieben wird Jorge Otero-Pailos sammelt Staub im Dogenpalast oder bei Louis Vuitton und dekonstruiert damit unsere Wirklichkeit Ein Gespraumlch

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Diese Ausgabe wurde ermoumlglicht durch

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Hermann Parzinger hat recht auch wenn die Idee schon aumllter ist Immer wieder aumlu-szligert sich der Praumlsident der Stiftung Preuszligischer Kulturbesitz im Berliner Tagesspiegel zu stadtkulturellen Themen und waumlhrend ihm das angedachte Flussbad an seiner Museumsinsel nicht zusagt ist zumindest seiner juumlngsten Idee etwas abzugewin-nen Die Bauakademie von der bis heute nur eine Fototapete samt Beispielecke zu sehen ist solle als zentrales Architekturmuseum wiederauferstehen Was zugleich eine schoumlne Gelegenheit waumlre sich dem Thema Rekonstruktion ohne jene ideologischen Beschraumlnkungen anzunaumlhern wie sie den Schlossneubau bestimmen sb

DIENSTAG

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Gemaumllde von Eduard Gaertner 1868wwwtagesspiegelde

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Am Fuszlige eines elsaumlssischen Huumlgels mit Burgruine zieht eine leuchtend rote moderne Festung alle Aufmerksamkeit auf sich die Kindertagesstaumltte in Buhl realisiert nach Plaumlnen von Dominique Coulon aus Straszligburg Ihre erdbeer-farbene Huumllle mit weiteren Flaumlchen in zartem Flieder und Roseacute sowie einer Freiflaumlche in Pink die an Himbeereis denken laumlsst bricht die strenge Kubatur der Kita aus kantigen Quadern Ihre zentrale Spielhalle wiederum ist strikt geometrisch komponiert ndash aber gleich-falls in Bonbonfarben mit Linoleum gestaltet Zur Ruhe kommen die Kinder beim Essen Basteln oder Schlafen in weiszlig und hellgrau gestalteten Gruppen-raumlumen

wwwbaunetzwissendeBoden

HIMBEER ERDBEER FLIEDER OBJEKT IM BAUNETZ WISSEN

Volkwin Marg wurde gerade 80 Jah-re alt und gmp selbst gibt es seit uumlber 50 Jahren Grund genug also fuumlr eine Ausstellung aber nicht wie uumlblich als Selbstpraumlsentation sondern im Spiegel der Kritik Fuumlnfzig Bauwerke einerseits durch den Fotografen Marcus Bredt dokumentiert und andererseits durch verschriftlichte Positionen aus Zeitun-gen sowie Fachzeitschriften interpre-tiert Der stete Wandel des Architektur-diskurses in den letzten fuumlnfzig Jahren wird dadurch anhand des Werks eines einzigen Buumlros nachvollziehbar Parallel zu Ausstellung in Muumlnchen erscheint auch ein gleichnamiges Buch Noch bis zum 11 November in der Architekturga-lerie Muumlnchen

wwwarchitekturgalerie-muenchende

DIE KUNST DER RICHTIGEN DISTANZ GMP IN MUumlNCHEN

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Harmonische Form dezente Farben

Gira E3

Das neue Schalterprogramm Gira E3 vereint runde Formen-sprache seidenmatte und glaumlnzende Oberfl aumlchen in neun dezenten Farbtoumlnen Aus der Kombination von Traumlgerrahmen und Einsaumltzen in den Farben Anthrazit oder Reinweiszlig glaumln-zend und den farbigen Deck -rahmen ergibt sich eine varian-tenreiche Designvielfalt Gira E3 ist die ideale Wahl fuumlr harmonisch abgestimmte Einrichtungskonzepte Mehr als 300 Funktionen aus dem Gira System 55 bieten houmlchsten Komfort Sicherheit und Wirt-schaftlichkeit fuumlr alle Anfor -derungen der modernen Gebaumludetechnik Auszeichnungen Iconic Awards 2016 Winner Kategorie Product Building Technologies

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MONUMENTE DER VERSCHMUTZUNG JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE The

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VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Schoumlner Schmutz Ein riesiger leuchtender Vorhang tauchte von Juli bis Ende August die Londoner Westminster Hall je nach Tageszeit in ein weiszlig- bis gelbgoldenes Licht Tatsaumlchlich ist das auf den ersten Blick geheimnis-voll schimmernde Objekt eine Art gigantisches Putztuch aus Latex eine zu Gummi gewordene klebrige Fluumlssigkeit die saumlmtliche Staubablagerungen der vergangenen zwei Jahrhunderte am aumlltesten Teil des Palace of West-minster in sich einschlieszligt Dem experimentellen Denkmalpfleger Jorge Otero-Pailos geht es dabei jedoch nicht um die Vergangenheit sondern um die Zukunft

MONUMENTE DER VER-SCHMUTZUNGJORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

Jorge Otero-Pailos Foto Columbia University

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den soeben bei Lars Mueller erschienenen Publikationen bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperi-mental Preservationldquo die er gemeinsam mit dem Norweger Erik Langdalen und der Schwedin Thordis Arrhenius herausgegeben hat verwischt er die Grenzen von Kunst Architektur Denkmalpflege und Stadtplanung und versammelt experimentelle Pro-jekte zur Erhaltung von kulturell aufgeladenen Objekten Luise Rellensmann und Jens Casper trafen ihn in London zum Gespraumlch

Die Patina der fast 1000 Jahre alten Steinmauer1 ist Teil des Werkzyklus bdquoThe Ethics of Dustldquo von Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos mit dem er sich begrifflich an einen Text des britischen Kunsthistorikers John Ruskin (1819ndash1900) anlehnt Seit 2002 lehrt der 1971 in Madrid geborene Spanier Historic Preservation an der Columbia University in New York In seinem in London ausgestellten Werk sieht er einen Abdruck der Erdatmosphaumlre und ihrer Verschmutzung die er als groumlszligtes Monument der Menschheit beschreibt In anderen Arbeiten setzt er sich mit Geruchs-aspekten von Architektur (bdquoAn Olfactory Reconstruction of the Philipp Johnson Glass Houseldquo 2008) und auf detektivische Art und Weise mit dem kontroversen Thema der Rekonstruktion auseinander Mit seinen experimentellen Ansaumltzen eroumlffnete er neue Dimensionen in der Denkmalpflege und hinterfragt damit gaumlngige Vorstellungen In

Linke Seite Westminster Hall on Fire Gemaumllde von George B Campion 1834 Abbildung copy Parliamentary Art Col-lection WOA 1669 Rechte Seite The Ethics of Dust at Westminster Hall von Jorge Otero-Pailos 2016 An Artangel commission Foto Marcus J Leith

1 Die Entstehung der Westminster Hall geht auf das spaumlte 11 Jahrhundert zuruumlck an diesem Ort der Rechtsprechung tagten die wichtigsten Gerichte des Landes Staatsprozesse und Kroumlnungsbankette fanden hier statt sowie das silberne goldene und diamantene Thronjubilaumlum von Koumlnigin Elisabeth II

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Im Rahmen der Manifesta 7 nahm Otero-Pailos 2008 einen rund zehn mal elf Meter groszligen Staubabdruck einer Wand in einem 1937 von Mussolini in Bozen errichteten Aluminiumwerk

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gelernt dass Fundamente nicht der eigentliche Ursprung der Architektur sind und dass sie eher hinterfragt als konstruiert werden sollten Ich bin also ein praktizierender Architekt aber ich mache auf eine Art Architektur fuumlr die ich keine Fundamente in der Erde vergraben muss

Ist Staub fuumlr Sie Architektur John Ruskin hat den sich auf Gebaumluden ansam-melnden Staub als Zeitablagerungen in geologischen Zeitspannen verstanden Zu seiner Zeit brauchte es Jahrhunderte bis Kirchen durch Staubablagerung verdun-kelten aber durch die industrielle Revolution die er miterlebte aumlnderte sich das rasant Was sich da ploumltzlich ablagerte war nicht mehr bloszlig Staub sondern Ruszlig Im 19 Jahrhundert gab es groszlige Diskussionen daruumlber ob man Gebaumlude reinigen sollte oder nicht2 ob der Staub Teil der Architektur ist oder nicht Und diese Frage bewegt uns noch immer Ist die Verschmutzung3 die wir selbst produzieren Teil unserer Kul-tur oder ist sie das nicht

Sie sind Architekt Kuumlnstler und Denkmalpfleger Gibt es ein Schluumlsselerlebnis aus dem sich Ihr Interesse an der Denkmalpflege erklaumlrt Im Nachhinein ist es immer schwer so etwas festzulegen aber es gibt eine Reihe von gluumlcklichen Um-staumlnden die dazu gefuumlhrt haben Einer davon ist dass meine Eltern ndash ein Ingenieur und eine Informatikerin ndash als Touristen immerzu Denkmaumller und Ruinen besichtigen wollten Das hat mich schon als Kind fasziniert Waumlhrend meines Architekturstudi-ums an der Cornell University haben mich unter anderem die Texas Rangers eine Gruppe ungewoumlhnlicher Modernisten um Colin Rowe stark beeinflusst Es wurde beispielsweise die Frage diskutiert wie man in historischen Kontexten entwerfen kann Oder wie sich die Arbeit von Architekten wertschaumltzen laumlsst die nicht zeitgenoumlssisch modernistisch sind Gebaumlude sind zugleich auch mein Zugang zur Geschichte Man kann von historischen Gebaumluden immer etwas lernen das fuumlr die Gegenwart von Bedeutung ist

Sind Sie auch als praktizierender Architekt taumltig Das kommt darauf an wie man bdquoArchitekturpraxisldquo definiert Ich wuumlrde sagen Ja Von Jacques Derrida habe ich

Ethics of Dust Installation im Maison de Famille Louis Vuitton in Asniegraveres-sur-Seine Fotos Jorge Otero-Pailos

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Sie sprechen synonym von Staub und Verschmutzung Staub und Verschmut-zung sind nicht das Gleiche aber es sind verwandte Begriffe Der britischen Sozial-anthropologin Mary Douglas zufolge hat Verschmutzung keinen Platz in unserer Kultur Verschmutzung laumlsst sich ganz unterschiedlich definieren in jedem Fall ist sie tradi-tionell aus der Kultur-Sphaumlre ausgeschlossen Wir sind aber heute an einem interes-santen Punkt angelangt Verschmutzung findet sich uumlberall weltweit wir koumlnnen sie nicht mehr einfach ignorieren und ausblenden

Ihre Installation in der Westminster Hall ist der sechste Teil einer seit 2008 entshystandenen Serie von Arbeiten Unter anderem nahmen Sie einen Staubabdruck vom Dogenpalast in Venedig und bei Louis Vuitton ndash wie entstand die Idee

dazu bdquoThe Ethics of Dustldquo hat sich uumlber die Jahre entwickelt Der Ausgangspunkt war die Reinigung von Denkmaumllern mit Latex einer neuen Methode aus der Steinres-taurierung Ich konnte im abgenommenen Staub sehr viel entdecken etwa seinen Ur-sprung und sein Alter Bei der Arbeit in einer Silbermine im spanischen Cartago Nova lieszlig sich durch den Staubabdruck der Untergang des Roumlmischen Reiches zeitlich nachvollziehen Heute sehe ich in der Arbeit einen Abdruck der Erdatmosphaumlre sie visualisiert ihre Materialitaumlt und Geschichte Im Zeitalter des Anthropozaumlns ist die Ver-schmutzung der Atmosphaumlre fuumlr mich das groumlszligte und langlebigste Monument das wir je schaffen werden auch wenn es unbeabsichtigt entsteht und es niemand je schaffen wollte Die Verschmutzung unserer Atmosphaumlre ist von planetarischem Ausmaszlig Sie wird alle Bunker und Hochhaumluser die je gebaut wurden uumlberleben und in geologi-

2 1877 gruumlndete sich ua unter Beteiligung von Wil-liam Morris in England die Society for the Protection of Ancient Buildings (SPAB) auch als bdquoAnti-Scrapeldquo bekannt da sie sich gegen die damals praktizierte Runderneuerung historischer Bauten in der Tradition Violet Le Ducs und fuumlr eine unverfaumllschende Denk-malpflege aussprach die bauliche Zeitablagerungen einer lupenreinen Stilreinheit vorzog

3 Im Original Pollution

Ethics of Dust Abdruck der inneren Struktur einer Nachbildung der Trajanssaumlule im Victoria amp Albert Museum in London Fotos Jorge Otero-Pailos

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

4 Im Original Experimental Preservation

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

wwwarchcolumbiaeduwwwoteropailoscom

diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

wwwlars-mueller-publisherscom

Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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LUXUS IM NEBEL

Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 2: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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Titel The Ethics of Dust at Westminster Hall von Jorge Otero-

Pailos 2016 Foto Marcus J Leith Oben Ethics of Dust

Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San

Fransico Foto Jorge Otero-Pailos

6 Monumente der Verschmutzung Jorge Otero-Pailos und die experimentelle Denkmalpflege

15 Experimental Preservation und Tabula Plena Zwei Buumlcher zeigen dass Denkmalpflege mehr ist als Sanierungspraxis

Von Luise Rellensmann und Jens Casper

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Denkmalpflege ist nicht selten ein sproumldes Geschaumlft doch was wenn sie experimentell betrieben wird Jorge Otero-Pailos sammelt Staub im Dogenpalast oder bei Louis Vuitton und dekonstruiert damit unsere Wirklichkeit Ein Gespraumlch

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19 Bild der Woche

3 Architekturwoche

4 News

Diese Ausgabe wurde ermoumlglicht durch

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Hermann Parzinger hat recht auch wenn die Idee schon aumllter ist Immer wieder aumlu-szligert sich der Praumlsident der Stiftung Preuszligischer Kulturbesitz im Berliner Tagesspiegel zu stadtkulturellen Themen und waumlhrend ihm das angedachte Flussbad an seiner Museumsinsel nicht zusagt ist zumindest seiner juumlngsten Idee etwas abzugewin-nen Die Bauakademie von der bis heute nur eine Fototapete samt Beispielecke zu sehen ist solle als zentrales Architekturmuseum wiederauferstehen Was zugleich eine schoumlne Gelegenheit waumlre sich dem Thema Rekonstruktion ohne jene ideologischen Beschraumlnkungen anzunaumlhern wie sie den Schlossneubau bestimmen sb

DIENSTAG

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Gemaumllde von Eduard Gaertner 1868wwwtagesspiegelde

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Am Fuszlige eines elsaumlssischen Huumlgels mit Burgruine zieht eine leuchtend rote moderne Festung alle Aufmerksamkeit auf sich die Kindertagesstaumltte in Buhl realisiert nach Plaumlnen von Dominique Coulon aus Straszligburg Ihre erdbeer-farbene Huumllle mit weiteren Flaumlchen in zartem Flieder und Roseacute sowie einer Freiflaumlche in Pink die an Himbeereis denken laumlsst bricht die strenge Kubatur der Kita aus kantigen Quadern Ihre zentrale Spielhalle wiederum ist strikt geometrisch komponiert ndash aber gleich-falls in Bonbonfarben mit Linoleum gestaltet Zur Ruhe kommen die Kinder beim Essen Basteln oder Schlafen in weiszlig und hellgrau gestalteten Gruppen-raumlumen

wwwbaunetzwissendeBoden

HIMBEER ERDBEER FLIEDER OBJEKT IM BAUNETZ WISSEN

Volkwin Marg wurde gerade 80 Jah-re alt und gmp selbst gibt es seit uumlber 50 Jahren Grund genug also fuumlr eine Ausstellung aber nicht wie uumlblich als Selbstpraumlsentation sondern im Spiegel der Kritik Fuumlnfzig Bauwerke einerseits durch den Fotografen Marcus Bredt dokumentiert und andererseits durch verschriftlichte Positionen aus Zeitun-gen sowie Fachzeitschriften interpre-tiert Der stete Wandel des Architektur-diskurses in den letzten fuumlnfzig Jahren wird dadurch anhand des Werks eines einzigen Buumlros nachvollziehbar Parallel zu Ausstellung in Muumlnchen erscheint auch ein gleichnamiges Buch Noch bis zum 11 November in der Architekturga-lerie Muumlnchen

wwwarchitekturgalerie-muenchende

DIE KUNST DER RICHTIGEN DISTANZ GMP IN MUumlNCHEN

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Harmonische Form dezente Farben

Gira E3

Das neue Schalterprogramm Gira E3 vereint runde Formen-sprache seidenmatte und glaumlnzende Oberfl aumlchen in neun dezenten Farbtoumlnen Aus der Kombination von Traumlgerrahmen und Einsaumltzen in den Farben Anthrazit oder Reinweiszlig glaumln-zend und den farbigen Deck -rahmen ergibt sich eine varian-tenreiche Designvielfalt Gira E3 ist die ideale Wahl fuumlr harmonisch abgestimmte Einrichtungskonzepte Mehr als 300 Funktionen aus dem Gira System 55 bieten houmlchsten Komfort Sicherheit und Wirt-schaftlichkeit fuumlr alle Anfor -derungen der modernen Gebaumludetechnik Auszeichnungen Iconic Awards 2016 Winner Kategorie Product Building Technologies

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MONUMENTE DER VERSCHMUTZUNG JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE The

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VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Schoumlner Schmutz Ein riesiger leuchtender Vorhang tauchte von Juli bis Ende August die Londoner Westminster Hall je nach Tageszeit in ein weiszlig- bis gelbgoldenes Licht Tatsaumlchlich ist das auf den ersten Blick geheimnis-voll schimmernde Objekt eine Art gigantisches Putztuch aus Latex eine zu Gummi gewordene klebrige Fluumlssigkeit die saumlmtliche Staubablagerungen der vergangenen zwei Jahrhunderte am aumlltesten Teil des Palace of West-minster in sich einschlieszligt Dem experimentellen Denkmalpfleger Jorge Otero-Pailos geht es dabei jedoch nicht um die Vergangenheit sondern um die Zukunft

MONUMENTE DER VER-SCHMUTZUNGJORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

Jorge Otero-Pailos Foto Columbia University

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den soeben bei Lars Mueller erschienenen Publikationen bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperi-mental Preservationldquo die er gemeinsam mit dem Norweger Erik Langdalen und der Schwedin Thordis Arrhenius herausgegeben hat verwischt er die Grenzen von Kunst Architektur Denkmalpflege und Stadtplanung und versammelt experimentelle Pro-jekte zur Erhaltung von kulturell aufgeladenen Objekten Luise Rellensmann und Jens Casper trafen ihn in London zum Gespraumlch

Die Patina der fast 1000 Jahre alten Steinmauer1 ist Teil des Werkzyklus bdquoThe Ethics of Dustldquo von Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos mit dem er sich begrifflich an einen Text des britischen Kunsthistorikers John Ruskin (1819ndash1900) anlehnt Seit 2002 lehrt der 1971 in Madrid geborene Spanier Historic Preservation an der Columbia University in New York In seinem in London ausgestellten Werk sieht er einen Abdruck der Erdatmosphaumlre und ihrer Verschmutzung die er als groumlszligtes Monument der Menschheit beschreibt In anderen Arbeiten setzt er sich mit Geruchs-aspekten von Architektur (bdquoAn Olfactory Reconstruction of the Philipp Johnson Glass Houseldquo 2008) und auf detektivische Art und Weise mit dem kontroversen Thema der Rekonstruktion auseinander Mit seinen experimentellen Ansaumltzen eroumlffnete er neue Dimensionen in der Denkmalpflege und hinterfragt damit gaumlngige Vorstellungen In

Linke Seite Westminster Hall on Fire Gemaumllde von George B Campion 1834 Abbildung copy Parliamentary Art Col-lection WOA 1669 Rechte Seite The Ethics of Dust at Westminster Hall von Jorge Otero-Pailos 2016 An Artangel commission Foto Marcus J Leith

1 Die Entstehung der Westminster Hall geht auf das spaumlte 11 Jahrhundert zuruumlck an diesem Ort der Rechtsprechung tagten die wichtigsten Gerichte des Landes Staatsprozesse und Kroumlnungsbankette fanden hier statt sowie das silberne goldene und diamantene Thronjubilaumlum von Koumlnigin Elisabeth II

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Im Rahmen der Manifesta 7 nahm Otero-Pailos 2008 einen rund zehn mal elf Meter groszligen Staubabdruck einer Wand in einem 1937 von Mussolini in Bozen errichteten Aluminiumwerk

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gelernt dass Fundamente nicht der eigentliche Ursprung der Architektur sind und dass sie eher hinterfragt als konstruiert werden sollten Ich bin also ein praktizierender Architekt aber ich mache auf eine Art Architektur fuumlr die ich keine Fundamente in der Erde vergraben muss

Ist Staub fuumlr Sie Architektur John Ruskin hat den sich auf Gebaumluden ansam-melnden Staub als Zeitablagerungen in geologischen Zeitspannen verstanden Zu seiner Zeit brauchte es Jahrhunderte bis Kirchen durch Staubablagerung verdun-kelten aber durch die industrielle Revolution die er miterlebte aumlnderte sich das rasant Was sich da ploumltzlich ablagerte war nicht mehr bloszlig Staub sondern Ruszlig Im 19 Jahrhundert gab es groszlige Diskussionen daruumlber ob man Gebaumlude reinigen sollte oder nicht2 ob der Staub Teil der Architektur ist oder nicht Und diese Frage bewegt uns noch immer Ist die Verschmutzung3 die wir selbst produzieren Teil unserer Kul-tur oder ist sie das nicht

Sie sind Architekt Kuumlnstler und Denkmalpfleger Gibt es ein Schluumlsselerlebnis aus dem sich Ihr Interesse an der Denkmalpflege erklaumlrt Im Nachhinein ist es immer schwer so etwas festzulegen aber es gibt eine Reihe von gluumlcklichen Um-staumlnden die dazu gefuumlhrt haben Einer davon ist dass meine Eltern ndash ein Ingenieur und eine Informatikerin ndash als Touristen immerzu Denkmaumller und Ruinen besichtigen wollten Das hat mich schon als Kind fasziniert Waumlhrend meines Architekturstudi-ums an der Cornell University haben mich unter anderem die Texas Rangers eine Gruppe ungewoumlhnlicher Modernisten um Colin Rowe stark beeinflusst Es wurde beispielsweise die Frage diskutiert wie man in historischen Kontexten entwerfen kann Oder wie sich die Arbeit von Architekten wertschaumltzen laumlsst die nicht zeitgenoumlssisch modernistisch sind Gebaumlude sind zugleich auch mein Zugang zur Geschichte Man kann von historischen Gebaumluden immer etwas lernen das fuumlr die Gegenwart von Bedeutung ist

Sind Sie auch als praktizierender Architekt taumltig Das kommt darauf an wie man bdquoArchitekturpraxisldquo definiert Ich wuumlrde sagen Ja Von Jacques Derrida habe ich

Ethics of Dust Installation im Maison de Famille Louis Vuitton in Asniegraveres-sur-Seine Fotos Jorge Otero-Pailos

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Sie sprechen synonym von Staub und Verschmutzung Staub und Verschmut-zung sind nicht das Gleiche aber es sind verwandte Begriffe Der britischen Sozial-anthropologin Mary Douglas zufolge hat Verschmutzung keinen Platz in unserer Kultur Verschmutzung laumlsst sich ganz unterschiedlich definieren in jedem Fall ist sie tradi-tionell aus der Kultur-Sphaumlre ausgeschlossen Wir sind aber heute an einem interes-santen Punkt angelangt Verschmutzung findet sich uumlberall weltweit wir koumlnnen sie nicht mehr einfach ignorieren und ausblenden

Ihre Installation in der Westminster Hall ist der sechste Teil einer seit 2008 entshystandenen Serie von Arbeiten Unter anderem nahmen Sie einen Staubabdruck vom Dogenpalast in Venedig und bei Louis Vuitton ndash wie entstand die Idee

dazu bdquoThe Ethics of Dustldquo hat sich uumlber die Jahre entwickelt Der Ausgangspunkt war die Reinigung von Denkmaumllern mit Latex einer neuen Methode aus der Steinres-taurierung Ich konnte im abgenommenen Staub sehr viel entdecken etwa seinen Ur-sprung und sein Alter Bei der Arbeit in einer Silbermine im spanischen Cartago Nova lieszlig sich durch den Staubabdruck der Untergang des Roumlmischen Reiches zeitlich nachvollziehen Heute sehe ich in der Arbeit einen Abdruck der Erdatmosphaumlre sie visualisiert ihre Materialitaumlt und Geschichte Im Zeitalter des Anthropozaumlns ist die Ver-schmutzung der Atmosphaumlre fuumlr mich das groumlszligte und langlebigste Monument das wir je schaffen werden auch wenn es unbeabsichtigt entsteht und es niemand je schaffen wollte Die Verschmutzung unserer Atmosphaumlre ist von planetarischem Ausmaszlig Sie wird alle Bunker und Hochhaumluser die je gebaut wurden uumlberleben und in geologi-

2 1877 gruumlndete sich ua unter Beteiligung von Wil-liam Morris in England die Society for the Protection of Ancient Buildings (SPAB) auch als bdquoAnti-Scrapeldquo bekannt da sie sich gegen die damals praktizierte Runderneuerung historischer Bauten in der Tradition Violet Le Ducs und fuumlr eine unverfaumllschende Denk-malpflege aussprach die bauliche Zeitablagerungen einer lupenreinen Stilreinheit vorzog

3 Im Original Pollution

Ethics of Dust Abdruck der inneren Struktur einer Nachbildung der Trajanssaumlule im Victoria amp Albert Museum in London Fotos Jorge Otero-Pailos

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

4 Im Original Experimental Preservation

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

wwwarchcolumbiaeduwwwoteropailoscom

diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

wwwlars-mueller-publisherscom

Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 3: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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Hermann Parzinger hat recht auch wenn die Idee schon aumllter ist Immer wieder aumlu-szligert sich der Praumlsident der Stiftung Preuszligischer Kulturbesitz im Berliner Tagesspiegel zu stadtkulturellen Themen und waumlhrend ihm das angedachte Flussbad an seiner Museumsinsel nicht zusagt ist zumindest seiner juumlngsten Idee etwas abzugewin-nen Die Bauakademie von der bis heute nur eine Fototapete samt Beispielecke zu sehen ist solle als zentrales Architekturmuseum wiederauferstehen Was zugleich eine schoumlne Gelegenheit waumlre sich dem Thema Rekonstruktion ohne jene ideologischen Beschraumlnkungen anzunaumlhern wie sie den Schlossneubau bestimmen sb

DIENSTAG

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Gemaumllde von Eduard Gaertner 1868wwwtagesspiegelde

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Am Fuszlige eines elsaumlssischen Huumlgels mit Burgruine zieht eine leuchtend rote moderne Festung alle Aufmerksamkeit auf sich die Kindertagesstaumltte in Buhl realisiert nach Plaumlnen von Dominique Coulon aus Straszligburg Ihre erdbeer-farbene Huumllle mit weiteren Flaumlchen in zartem Flieder und Roseacute sowie einer Freiflaumlche in Pink die an Himbeereis denken laumlsst bricht die strenge Kubatur der Kita aus kantigen Quadern Ihre zentrale Spielhalle wiederum ist strikt geometrisch komponiert ndash aber gleich-falls in Bonbonfarben mit Linoleum gestaltet Zur Ruhe kommen die Kinder beim Essen Basteln oder Schlafen in weiszlig und hellgrau gestalteten Gruppen-raumlumen

wwwbaunetzwissendeBoden

HIMBEER ERDBEER FLIEDER OBJEKT IM BAUNETZ WISSEN

Volkwin Marg wurde gerade 80 Jah-re alt und gmp selbst gibt es seit uumlber 50 Jahren Grund genug also fuumlr eine Ausstellung aber nicht wie uumlblich als Selbstpraumlsentation sondern im Spiegel der Kritik Fuumlnfzig Bauwerke einerseits durch den Fotografen Marcus Bredt dokumentiert und andererseits durch verschriftlichte Positionen aus Zeitun-gen sowie Fachzeitschriften interpre-tiert Der stete Wandel des Architektur-diskurses in den letzten fuumlnfzig Jahren wird dadurch anhand des Werks eines einzigen Buumlros nachvollziehbar Parallel zu Ausstellung in Muumlnchen erscheint auch ein gleichnamiges Buch Noch bis zum 11 November in der Architekturga-lerie Muumlnchen

wwwarchitekturgalerie-muenchende

DIE KUNST DER RICHTIGEN DISTANZ GMP IN MUumlNCHEN

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MONUMENTE DER VERSCHMUTZUNG JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE The

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VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Schoumlner Schmutz Ein riesiger leuchtender Vorhang tauchte von Juli bis Ende August die Londoner Westminster Hall je nach Tageszeit in ein weiszlig- bis gelbgoldenes Licht Tatsaumlchlich ist das auf den ersten Blick geheimnis-voll schimmernde Objekt eine Art gigantisches Putztuch aus Latex eine zu Gummi gewordene klebrige Fluumlssigkeit die saumlmtliche Staubablagerungen der vergangenen zwei Jahrhunderte am aumlltesten Teil des Palace of West-minster in sich einschlieszligt Dem experimentellen Denkmalpfleger Jorge Otero-Pailos geht es dabei jedoch nicht um die Vergangenheit sondern um die Zukunft

MONUMENTE DER VER-SCHMUTZUNGJORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

Jorge Otero-Pailos Foto Columbia University

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den soeben bei Lars Mueller erschienenen Publikationen bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperi-mental Preservationldquo die er gemeinsam mit dem Norweger Erik Langdalen und der Schwedin Thordis Arrhenius herausgegeben hat verwischt er die Grenzen von Kunst Architektur Denkmalpflege und Stadtplanung und versammelt experimentelle Pro-jekte zur Erhaltung von kulturell aufgeladenen Objekten Luise Rellensmann und Jens Casper trafen ihn in London zum Gespraumlch

Die Patina der fast 1000 Jahre alten Steinmauer1 ist Teil des Werkzyklus bdquoThe Ethics of Dustldquo von Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos mit dem er sich begrifflich an einen Text des britischen Kunsthistorikers John Ruskin (1819ndash1900) anlehnt Seit 2002 lehrt der 1971 in Madrid geborene Spanier Historic Preservation an der Columbia University in New York In seinem in London ausgestellten Werk sieht er einen Abdruck der Erdatmosphaumlre und ihrer Verschmutzung die er als groumlszligtes Monument der Menschheit beschreibt In anderen Arbeiten setzt er sich mit Geruchs-aspekten von Architektur (bdquoAn Olfactory Reconstruction of the Philipp Johnson Glass Houseldquo 2008) und auf detektivische Art und Weise mit dem kontroversen Thema der Rekonstruktion auseinander Mit seinen experimentellen Ansaumltzen eroumlffnete er neue Dimensionen in der Denkmalpflege und hinterfragt damit gaumlngige Vorstellungen In

Linke Seite Westminster Hall on Fire Gemaumllde von George B Campion 1834 Abbildung copy Parliamentary Art Col-lection WOA 1669 Rechte Seite The Ethics of Dust at Westminster Hall von Jorge Otero-Pailos 2016 An Artangel commission Foto Marcus J Leith

1 Die Entstehung der Westminster Hall geht auf das spaumlte 11 Jahrhundert zuruumlck an diesem Ort der Rechtsprechung tagten die wichtigsten Gerichte des Landes Staatsprozesse und Kroumlnungsbankette fanden hier statt sowie das silberne goldene und diamantene Thronjubilaumlum von Koumlnigin Elisabeth II

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Im Rahmen der Manifesta 7 nahm Otero-Pailos 2008 einen rund zehn mal elf Meter groszligen Staubabdruck einer Wand in einem 1937 von Mussolini in Bozen errichteten Aluminiumwerk

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gelernt dass Fundamente nicht der eigentliche Ursprung der Architektur sind und dass sie eher hinterfragt als konstruiert werden sollten Ich bin also ein praktizierender Architekt aber ich mache auf eine Art Architektur fuumlr die ich keine Fundamente in der Erde vergraben muss

Ist Staub fuumlr Sie Architektur John Ruskin hat den sich auf Gebaumluden ansam-melnden Staub als Zeitablagerungen in geologischen Zeitspannen verstanden Zu seiner Zeit brauchte es Jahrhunderte bis Kirchen durch Staubablagerung verdun-kelten aber durch die industrielle Revolution die er miterlebte aumlnderte sich das rasant Was sich da ploumltzlich ablagerte war nicht mehr bloszlig Staub sondern Ruszlig Im 19 Jahrhundert gab es groszlige Diskussionen daruumlber ob man Gebaumlude reinigen sollte oder nicht2 ob der Staub Teil der Architektur ist oder nicht Und diese Frage bewegt uns noch immer Ist die Verschmutzung3 die wir selbst produzieren Teil unserer Kul-tur oder ist sie das nicht

Sie sind Architekt Kuumlnstler und Denkmalpfleger Gibt es ein Schluumlsselerlebnis aus dem sich Ihr Interesse an der Denkmalpflege erklaumlrt Im Nachhinein ist es immer schwer so etwas festzulegen aber es gibt eine Reihe von gluumlcklichen Um-staumlnden die dazu gefuumlhrt haben Einer davon ist dass meine Eltern ndash ein Ingenieur und eine Informatikerin ndash als Touristen immerzu Denkmaumller und Ruinen besichtigen wollten Das hat mich schon als Kind fasziniert Waumlhrend meines Architekturstudi-ums an der Cornell University haben mich unter anderem die Texas Rangers eine Gruppe ungewoumlhnlicher Modernisten um Colin Rowe stark beeinflusst Es wurde beispielsweise die Frage diskutiert wie man in historischen Kontexten entwerfen kann Oder wie sich die Arbeit von Architekten wertschaumltzen laumlsst die nicht zeitgenoumlssisch modernistisch sind Gebaumlude sind zugleich auch mein Zugang zur Geschichte Man kann von historischen Gebaumluden immer etwas lernen das fuumlr die Gegenwart von Bedeutung ist

Sind Sie auch als praktizierender Architekt taumltig Das kommt darauf an wie man bdquoArchitekturpraxisldquo definiert Ich wuumlrde sagen Ja Von Jacques Derrida habe ich

Ethics of Dust Installation im Maison de Famille Louis Vuitton in Asniegraveres-sur-Seine Fotos Jorge Otero-Pailos

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Sie sprechen synonym von Staub und Verschmutzung Staub und Verschmut-zung sind nicht das Gleiche aber es sind verwandte Begriffe Der britischen Sozial-anthropologin Mary Douglas zufolge hat Verschmutzung keinen Platz in unserer Kultur Verschmutzung laumlsst sich ganz unterschiedlich definieren in jedem Fall ist sie tradi-tionell aus der Kultur-Sphaumlre ausgeschlossen Wir sind aber heute an einem interes-santen Punkt angelangt Verschmutzung findet sich uumlberall weltweit wir koumlnnen sie nicht mehr einfach ignorieren und ausblenden

Ihre Installation in der Westminster Hall ist der sechste Teil einer seit 2008 entshystandenen Serie von Arbeiten Unter anderem nahmen Sie einen Staubabdruck vom Dogenpalast in Venedig und bei Louis Vuitton ndash wie entstand die Idee

dazu bdquoThe Ethics of Dustldquo hat sich uumlber die Jahre entwickelt Der Ausgangspunkt war die Reinigung von Denkmaumllern mit Latex einer neuen Methode aus der Steinres-taurierung Ich konnte im abgenommenen Staub sehr viel entdecken etwa seinen Ur-sprung und sein Alter Bei der Arbeit in einer Silbermine im spanischen Cartago Nova lieszlig sich durch den Staubabdruck der Untergang des Roumlmischen Reiches zeitlich nachvollziehen Heute sehe ich in der Arbeit einen Abdruck der Erdatmosphaumlre sie visualisiert ihre Materialitaumlt und Geschichte Im Zeitalter des Anthropozaumlns ist die Ver-schmutzung der Atmosphaumlre fuumlr mich das groumlszligte und langlebigste Monument das wir je schaffen werden auch wenn es unbeabsichtigt entsteht und es niemand je schaffen wollte Die Verschmutzung unserer Atmosphaumlre ist von planetarischem Ausmaszlig Sie wird alle Bunker und Hochhaumluser die je gebaut wurden uumlberleben und in geologi-

2 1877 gruumlndete sich ua unter Beteiligung von Wil-liam Morris in England die Society for the Protection of Ancient Buildings (SPAB) auch als bdquoAnti-Scrapeldquo bekannt da sie sich gegen die damals praktizierte Runderneuerung historischer Bauten in der Tradition Violet Le Ducs und fuumlr eine unverfaumllschende Denk-malpflege aussprach die bauliche Zeitablagerungen einer lupenreinen Stilreinheit vorzog

3 Im Original Pollution

Ethics of Dust Abdruck der inneren Struktur einer Nachbildung der Trajanssaumlule im Victoria amp Albert Museum in London Fotos Jorge Otero-Pailos

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

4 Im Original Experimental Preservation

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

wwwarchcolumbiaeduwwwoteropailoscom

diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

wwwlars-mueller-publisherscom

Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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Page 4: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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Am Fuszlige eines elsaumlssischen Huumlgels mit Burgruine zieht eine leuchtend rote moderne Festung alle Aufmerksamkeit auf sich die Kindertagesstaumltte in Buhl realisiert nach Plaumlnen von Dominique Coulon aus Straszligburg Ihre erdbeer-farbene Huumllle mit weiteren Flaumlchen in zartem Flieder und Roseacute sowie einer Freiflaumlche in Pink die an Himbeereis denken laumlsst bricht die strenge Kubatur der Kita aus kantigen Quadern Ihre zentrale Spielhalle wiederum ist strikt geometrisch komponiert ndash aber gleich-falls in Bonbonfarben mit Linoleum gestaltet Zur Ruhe kommen die Kinder beim Essen Basteln oder Schlafen in weiszlig und hellgrau gestalteten Gruppen-raumlumen

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HIMBEER ERDBEER FLIEDER OBJEKT IM BAUNETZ WISSEN

Volkwin Marg wurde gerade 80 Jah-re alt und gmp selbst gibt es seit uumlber 50 Jahren Grund genug also fuumlr eine Ausstellung aber nicht wie uumlblich als Selbstpraumlsentation sondern im Spiegel der Kritik Fuumlnfzig Bauwerke einerseits durch den Fotografen Marcus Bredt dokumentiert und andererseits durch verschriftlichte Positionen aus Zeitun-gen sowie Fachzeitschriften interpre-tiert Der stete Wandel des Architektur-diskurses in den letzten fuumlnfzig Jahren wird dadurch anhand des Werks eines einzigen Buumlros nachvollziehbar Parallel zu Ausstellung in Muumlnchen erscheint auch ein gleichnamiges Buch Noch bis zum 11 November in der Architekturga-lerie Muumlnchen

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DIE KUNST DER RICHTIGEN DISTANZ GMP IN MUumlNCHEN

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Harmonische Form dezente Farben

Gira E3

Das neue Schalterprogramm Gira E3 vereint runde Formen-sprache seidenmatte und glaumlnzende Oberfl aumlchen in neun dezenten Farbtoumlnen Aus der Kombination von Traumlgerrahmen und Einsaumltzen in den Farben Anthrazit oder Reinweiszlig glaumln-zend und den farbigen Deck -rahmen ergibt sich eine varian-tenreiche Designvielfalt Gira E3 ist die ideale Wahl fuumlr harmonisch abgestimmte Einrichtungskonzepte Mehr als 300 Funktionen aus dem Gira System 55 bieten houmlchsten Komfort Sicherheit und Wirt-schaftlichkeit fuumlr alle Anfor -derungen der modernen Gebaumludetechnik Auszeichnungen Iconic Awards 2016 Winner Kategorie Product Building Technologies

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MONUMENTE DER VERSCHMUTZUNG JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE The

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VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Schoumlner Schmutz Ein riesiger leuchtender Vorhang tauchte von Juli bis Ende August die Londoner Westminster Hall je nach Tageszeit in ein weiszlig- bis gelbgoldenes Licht Tatsaumlchlich ist das auf den ersten Blick geheimnis-voll schimmernde Objekt eine Art gigantisches Putztuch aus Latex eine zu Gummi gewordene klebrige Fluumlssigkeit die saumlmtliche Staubablagerungen der vergangenen zwei Jahrhunderte am aumlltesten Teil des Palace of West-minster in sich einschlieszligt Dem experimentellen Denkmalpfleger Jorge Otero-Pailos geht es dabei jedoch nicht um die Vergangenheit sondern um die Zukunft

MONUMENTE DER VER-SCHMUTZUNGJORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

Jorge Otero-Pailos Foto Columbia University

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den soeben bei Lars Mueller erschienenen Publikationen bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperi-mental Preservationldquo die er gemeinsam mit dem Norweger Erik Langdalen und der Schwedin Thordis Arrhenius herausgegeben hat verwischt er die Grenzen von Kunst Architektur Denkmalpflege und Stadtplanung und versammelt experimentelle Pro-jekte zur Erhaltung von kulturell aufgeladenen Objekten Luise Rellensmann und Jens Casper trafen ihn in London zum Gespraumlch

Die Patina der fast 1000 Jahre alten Steinmauer1 ist Teil des Werkzyklus bdquoThe Ethics of Dustldquo von Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos mit dem er sich begrifflich an einen Text des britischen Kunsthistorikers John Ruskin (1819ndash1900) anlehnt Seit 2002 lehrt der 1971 in Madrid geborene Spanier Historic Preservation an der Columbia University in New York In seinem in London ausgestellten Werk sieht er einen Abdruck der Erdatmosphaumlre und ihrer Verschmutzung die er als groumlszligtes Monument der Menschheit beschreibt In anderen Arbeiten setzt er sich mit Geruchs-aspekten von Architektur (bdquoAn Olfactory Reconstruction of the Philipp Johnson Glass Houseldquo 2008) und auf detektivische Art und Weise mit dem kontroversen Thema der Rekonstruktion auseinander Mit seinen experimentellen Ansaumltzen eroumlffnete er neue Dimensionen in der Denkmalpflege und hinterfragt damit gaumlngige Vorstellungen In

Linke Seite Westminster Hall on Fire Gemaumllde von George B Campion 1834 Abbildung copy Parliamentary Art Col-lection WOA 1669 Rechte Seite The Ethics of Dust at Westminster Hall von Jorge Otero-Pailos 2016 An Artangel commission Foto Marcus J Leith

1 Die Entstehung der Westminster Hall geht auf das spaumlte 11 Jahrhundert zuruumlck an diesem Ort der Rechtsprechung tagten die wichtigsten Gerichte des Landes Staatsprozesse und Kroumlnungsbankette fanden hier statt sowie das silberne goldene und diamantene Thronjubilaumlum von Koumlnigin Elisabeth II

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Im Rahmen der Manifesta 7 nahm Otero-Pailos 2008 einen rund zehn mal elf Meter groszligen Staubabdruck einer Wand in einem 1937 von Mussolini in Bozen errichteten Aluminiumwerk

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gelernt dass Fundamente nicht der eigentliche Ursprung der Architektur sind und dass sie eher hinterfragt als konstruiert werden sollten Ich bin also ein praktizierender Architekt aber ich mache auf eine Art Architektur fuumlr die ich keine Fundamente in der Erde vergraben muss

Ist Staub fuumlr Sie Architektur John Ruskin hat den sich auf Gebaumluden ansam-melnden Staub als Zeitablagerungen in geologischen Zeitspannen verstanden Zu seiner Zeit brauchte es Jahrhunderte bis Kirchen durch Staubablagerung verdun-kelten aber durch die industrielle Revolution die er miterlebte aumlnderte sich das rasant Was sich da ploumltzlich ablagerte war nicht mehr bloszlig Staub sondern Ruszlig Im 19 Jahrhundert gab es groszlige Diskussionen daruumlber ob man Gebaumlude reinigen sollte oder nicht2 ob der Staub Teil der Architektur ist oder nicht Und diese Frage bewegt uns noch immer Ist die Verschmutzung3 die wir selbst produzieren Teil unserer Kul-tur oder ist sie das nicht

Sie sind Architekt Kuumlnstler und Denkmalpfleger Gibt es ein Schluumlsselerlebnis aus dem sich Ihr Interesse an der Denkmalpflege erklaumlrt Im Nachhinein ist es immer schwer so etwas festzulegen aber es gibt eine Reihe von gluumlcklichen Um-staumlnden die dazu gefuumlhrt haben Einer davon ist dass meine Eltern ndash ein Ingenieur und eine Informatikerin ndash als Touristen immerzu Denkmaumller und Ruinen besichtigen wollten Das hat mich schon als Kind fasziniert Waumlhrend meines Architekturstudi-ums an der Cornell University haben mich unter anderem die Texas Rangers eine Gruppe ungewoumlhnlicher Modernisten um Colin Rowe stark beeinflusst Es wurde beispielsweise die Frage diskutiert wie man in historischen Kontexten entwerfen kann Oder wie sich die Arbeit von Architekten wertschaumltzen laumlsst die nicht zeitgenoumlssisch modernistisch sind Gebaumlude sind zugleich auch mein Zugang zur Geschichte Man kann von historischen Gebaumluden immer etwas lernen das fuumlr die Gegenwart von Bedeutung ist

Sind Sie auch als praktizierender Architekt taumltig Das kommt darauf an wie man bdquoArchitekturpraxisldquo definiert Ich wuumlrde sagen Ja Von Jacques Derrida habe ich

Ethics of Dust Installation im Maison de Famille Louis Vuitton in Asniegraveres-sur-Seine Fotos Jorge Otero-Pailos

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Sie sprechen synonym von Staub und Verschmutzung Staub und Verschmut-zung sind nicht das Gleiche aber es sind verwandte Begriffe Der britischen Sozial-anthropologin Mary Douglas zufolge hat Verschmutzung keinen Platz in unserer Kultur Verschmutzung laumlsst sich ganz unterschiedlich definieren in jedem Fall ist sie tradi-tionell aus der Kultur-Sphaumlre ausgeschlossen Wir sind aber heute an einem interes-santen Punkt angelangt Verschmutzung findet sich uumlberall weltweit wir koumlnnen sie nicht mehr einfach ignorieren und ausblenden

Ihre Installation in der Westminster Hall ist der sechste Teil einer seit 2008 entshystandenen Serie von Arbeiten Unter anderem nahmen Sie einen Staubabdruck vom Dogenpalast in Venedig und bei Louis Vuitton ndash wie entstand die Idee

dazu bdquoThe Ethics of Dustldquo hat sich uumlber die Jahre entwickelt Der Ausgangspunkt war die Reinigung von Denkmaumllern mit Latex einer neuen Methode aus der Steinres-taurierung Ich konnte im abgenommenen Staub sehr viel entdecken etwa seinen Ur-sprung und sein Alter Bei der Arbeit in einer Silbermine im spanischen Cartago Nova lieszlig sich durch den Staubabdruck der Untergang des Roumlmischen Reiches zeitlich nachvollziehen Heute sehe ich in der Arbeit einen Abdruck der Erdatmosphaumlre sie visualisiert ihre Materialitaumlt und Geschichte Im Zeitalter des Anthropozaumlns ist die Ver-schmutzung der Atmosphaumlre fuumlr mich das groumlszligte und langlebigste Monument das wir je schaffen werden auch wenn es unbeabsichtigt entsteht und es niemand je schaffen wollte Die Verschmutzung unserer Atmosphaumlre ist von planetarischem Ausmaszlig Sie wird alle Bunker und Hochhaumluser die je gebaut wurden uumlberleben und in geologi-

2 1877 gruumlndete sich ua unter Beteiligung von Wil-liam Morris in England die Society for the Protection of Ancient Buildings (SPAB) auch als bdquoAnti-Scrapeldquo bekannt da sie sich gegen die damals praktizierte Runderneuerung historischer Bauten in der Tradition Violet Le Ducs und fuumlr eine unverfaumllschende Denk-malpflege aussprach die bauliche Zeitablagerungen einer lupenreinen Stilreinheit vorzog

3 Im Original Pollution

Ethics of Dust Abdruck der inneren Struktur einer Nachbildung der Trajanssaumlule im Victoria amp Albert Museum in London Fotos Jorge Otero-Pailos

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

4 Im Original Experimental Preservation

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

wwwarchcolumbiaeduwwwoteropailoscom

diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

wwwlars-mueller-publisherscom

Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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LUXUS IM NEBEL

Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 5: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Schoumlner Schmutz Ein riesiger leuchtender Vorhang tauchte von Juli bis Ende August die Londoner Westminster Hall je nach Tageszeit in ein weiszlig- bis gelbgoldenes Licht Tatsaumlchlich ist das auf den ersten Blick geheimnis-voll schimmernde Objekt eine Art gigantisches Putztuch aus Latex eine zu Gummi gewordene klebrige Fluumlssigkeit die saumlmtliche Staubablagerungen der vergangenen zwei Jahrhunderte am aumlltesten Teil des Palace of West-minster in sich einschlieszligt Dem experimentellen Denkmalpfleger Jorge Otero-Pailos geht es dabei jedoch nicht um die Vergangenheit sondern um die Zukunft

MONUMENTE DER VER-SCHMUTZUNGJORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

Jorge Otero-Pailos Foto Columbia University

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den soeben bei Lars Mueller erschienenen Publikationen bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperi-mental Preservationldquo die er gemeinsam mit dem Norweger Erik Langdalen und der Schwedin Thordis Arrhenius herausgegeben hat verwischt er die Grenzen von Kunst Architektur Denkmalpflege und Stadtplanung und versammelt experimentelle Pro-jekte zur Erhaltung von kulturell aufgeladenen Objekten Luise Rellensmann und Jens Casper trafen ihn in London zum Gespraumlch

Die Patina der fast 1000 Jahre alten Steinmauer1 ist Teil des Werkzyklus bdquoThe Ethics of Dustldquo von Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos mit dem er sich begrifflich an einen Text des britischen Kunsthistorikers John Ruskin (1819ndash1900) anlehnt Seit 2002 lehrt der 1971 in Madrid geborene Spanier Historic Preservation an der Columbia University in New York In seinem in London ausgestellten Werk sieht er einen Abdruck der Erdatmosphaumlre und ihrer Verschmutzung die er als groumlszligtes Monument der Menschheit beschreibt In anderen Arbeiten setzt er sich mit Geruchs-aspekten von Architektur (bdquoAn Olfactory Reconstruction of the Philipp Johnson Glass Houseldquo 2008) und auf detektivische Art und Weise mit dem kontroversen Thema der Rekonstruktion auseinander Mit seinen experimentellen Ansaumltzen eroumlffnete er neue Dimensionen in der Denkmalpflege und hinterfragt damit gaumlngige Vorstellungen In

Linke Seite Westminster Hall on Fire Gemaumllde von George B Campion 1834 Abbildung copy Parliamentary Art Col-lection WOA 1669 Rechte Seite The Ethics of Dust at Westminster Hall von Jorge Otero-Pailos 2016 An Artangel commission Foto Marcus J Leith

1 Die Entstehung der Westminster Hall geht auf das spaumlte 11 Jahrhundert zuruumlck an diesem Ort der Rechtsprechung tagten die wichtigsten Gerichte des Landes Staatsprozesse und Kroumlnungsbankette fanden hier statt sowie das silberne goldene und diamantene Thronjubilaumlum von Koumlnigin Elisabeth II

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Im Rahmen der Manifesta 7 nahm Otero-Pailos 2008 einen rund zehn mal elf Meter groszligen Staubabdruck einer Wand in einem 1937 von Mussolini in Bozen errichteten Aluminiumwerk

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gelernt dass Fundamente nicht der eigentliche Ursprung der Architektur sind und dass sie eher hinterfragt als konstruiert werden sollten Ich bin also ein praktizierender Architekt aber ich mache auf eine Art Architektur fuumlr die ich keine Fundamente in der Erde vergraben muss

Ist Staub fuumlr Sie Architektur John Ruskin hat den sich auf Gebaumluden ansam-melnden Staub als Zeitablagerungen in geologischen Zeitspannen verstanden Zu seiner Zeit brauchte es Jahrhunderte bis Kirchen durch Staubablagerung verdun-kelten aber durch die industrielle Revolution die er miterlebte aumlnderte sich das rasant Was sich da ploumltzlich ablagerte war nicht mehr bloszlig Staub sondern Ruszlig Im 19 Jahrhundert gab es groszlige Diskussionen daruumlber ob man Gebaumlude reinigen sollte oder nicht2 ob der Staub Teil der Architektur ist oder nicht Und diese Frage bewegt uns noch immer Ist die Verschmutzung3 die wir selbst produzieren Teil unserer Kul-tur oder ist sie das nicht

Sie sind Architekt Kuumlnstler und Denkmalpfleger Gibt es ein Schluumlsselerlebnis aus dem sich Ihr Interesse an der Denkmalpflege erklaumlrt Im Nachhinein ist es immer schwer so etwas festzulegen aber es gibt eine Reihe von gluumlcklichen Um-staumlnden die dazu gefuumlhrt haben Einer davon ist dass meine Eltern ndash ein Ingenieur und eine Informatikerin ndash als Touristen immerzu Denkmaumller und Ruinen besichtigen wollten Das hat mich schon als Kind fasziniert Waumlhrend meines Architekturstudi-ums an der Cornell University haben mich unter anderem die Texas Rangers eine Gruppe ungewoumlhnlicher Modernisten um Colin Rowe stark beeinflusst Es wurde beispielsweise die Frage diskutiert wie man in historischen Kontexten entwerfen kann Oder wie sich die Arbeit von Architekten wertschaumltzen laumlsst die nicht zeitgenoumlssisch modernistisch sind Gebaumlude sind zugleich auch mein Zugang zur Geschichte Man kann von historischen Gebaumluden immer etwas lernen das fuumlr die Gegenwart von Bedeutung ist

Sind Sie auch als praktizierender Architekt taumltig Das kommt darauf an wie man bdquoArchitekturpraxisldquo definiert Ich wuumlrde sagen Ja Von Jacques Derrida habe ich

Ethics of Dust Installation im Maison de Famille Louis Vuitton in Asniegraveres-sur-Seine Fotos Jorge Otero-Pailos

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Sie sprechen synonym von Staub und Verschmutzung Staub und Verschmut-zung sind nicht das Gleiche aber es sind verwandte Begriffe Der britischen Sozial-anthropologin Mary Douglas zufolge hat Verschmutzung keinen Platz in unserer Kultur Verschmutzung laumlsst sich ganz unterschiedlich definieren in jedem Fall ist sie tradi-tionell aus der Kultur-Sphaumlre ausgeschlossen Wir sind aber heute an einem interes-santen Punkt angelangt Verschmutzung findet sich uumlberall weltweit wir koumlnnen sie nicht mehr einfach ignorieren und ausblenden

Ihre Installation in der Westminster Hall ist der sechste Teil einer seit 2008 entshystandenen Serie von Arbeiten Unter anderem nahmen Sie einen Staubabdruck vom Dogenpalast in Venedig und bei Louis Vuitton ndash wie entstand die Idee

dazu bdquoThe Ethics of Dustldquo hat sich uumlber die Jahre entwickelt Der Ausgangspunkt war die Reinigung von Denkmaumllern mit Latex einer neuen Methode aus der Steinres-taurierung Ich konnte im abgenommenen Staub sehr viel entdecken etwa seinen Ur-sprung und sein Alter Bei der Arbeit in einer Silbermine im spanischen Cartago Nova lieszlig sich durch den Staubabdruck der Untergang des Roumlmischen Reiches zeitlich nachvollziehen Heute sehe ich in der Arbeit einen Abdruck der Erdatmosphaumlre sie visualisiert ihre Materialitaumlt und Geschichte Im Zeitalter des Anthropozaumlns ist die Ver-schmutzung der Atmosphaumlre fuumlr mich das groumlszligte und langlebigste Monument das wir je schaffen werden auch wenn es unbeabsichtigt entsteht und es niemand je schaffen wollte Die Verschmutzung unserer Atmosphaumlre ist von planetarischem Ausmaszlig Sie wird alle Bunker und Hochhaumluser die je gebaut wurden uumlberleben und in geologi-

2 1877 gruumlndete sich ua unter Beteiligung von Wil-liam Morris in England die Society for the Protection of Ancient Buildings (SPAB) auch als bdquoAnti-Scrapeldquo bekannt da sie sich gegen die damals praktizierte Runderneuerung historischer Bauten in der Tradition Violet Le Ducs und fuumlr eine unverfaumllschende Denk-malpflege aussprach die bauliche Zeitablagerungen einer lupenreinen Stilreinheit vorzog

3 Im Original Pollution

Ethics of Dust Abdruck der inneren Struktur einer Nachbildung der Trajanssaumlule im Victoria amp Albert Museum in London Fotos Jorge Otero-Pailos

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

4 Im Original Experimental Preservation

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

wwwarchcolumbiaeduwwwoteropailoscom

diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

wwwlars-mueller-publisherscom

Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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LUXUS IM NEBEL

Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 6: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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MONUMENTE DER VERSCHMUTZUNG JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE The

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VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Schoumlner Schmutz Ein riesiger leuchtender Vorhang tauchte von Juli bis Ende August die Londoner Westminster Hall je nach Tageszeit in ein weiszlig- bis gelbgoldenes Licht Tatsaumlchlich ist das auf den ersten Blick geheimnis-voll schimmernde Objekt eine Art gigantisches Putztuch aus Latex eine zu Gummi gewordene klebrige Fluumlssigkeit die saumlmtliche Staubablagerungen der vergangenen zwei Jahrhunderte am aumlltesten Teil des Palace of West-minster in sich einschlieszligt Dem experimentellen Denkmalpfleger Jorge Otero-Pailos geht es dabei jedoch nicht um die Vergangenheit sondern um die Zukunft

MONUMENTE DER VER-SCHMUTZUNGJORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

Jorge Otero-Pailos Foto Columbia University

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Die Patina der fast 1000 Jahre alten Steinmauer1 ist Teil des Werkzyklus bdquoThe Ethics of Dustldquo von Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos mit dem er sich begrifflich an einen Text des britischen Kunsthistorikers John Ruskin (1819ndash1900) anlehnt Seit 2002 lehrt der 1971 in Madrid geborene Spanier Historic Preservation an der Columbia University in New York In seinem in London ausgestellten Werk sieht er einen Abdruck der Erdatmosphaumlre und ihrer Verschmutzung die er als groumlszligtes Monument der Menschheit beschreibt In anderen Arbeiten setzt er sich mit Geruchs-aspekten von Architektur (bdquoAn Olfactory Reconstruction of the Philipp Johnson Glass Houseldquo 2008) und auf detektivische Art und Weise mit dem kontroversen Thema der Rekonstruktion auseinander Mit seinen experimentellen Ansaumltzen eroumlffnete er neue Dimensionen in der Denkmalpflege und hinterfragt damit gaumlngige Vorstellungen In

Linke Seite Westminster Hall on Fire Gemaumllde von George B Campion 1834 Abbildung copy Parliamentary Art Col-lection WOA 1669 Rechte Seite The Ethics of Dust at Westminster Hall von Jorge Otero-Pailos 2016 An Artangel commission Foto Marcus J Leith

1 Die Entstehung der Westminster Hall geht auf das spaumlte 11 Jahrhundert zuruumlck an diesem Ort der Rechtsprechung tagten die wichtigsten Gerichte des Landes Staatsprozesse und Kroumlnungsbankette fanden hier statt sowie das silberne goldene und diamantene Thronjubilaumlum von Koumlnigin Elisabeth II

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gelernt dass Fundamente nicht der eigentliche Ursprung der Architektur sind und dass sie eher hinterfragt als konstruiert werden sollten Ich bin also ein praktizierender Architekt aber ich mache auf eine Art Architektur fuumlr die ich keine Fundamente in der Erde vergraben muss

Ist Staub fuumlr Sie Architektur John Ruskin hat den sich auf Gebaumluden ansam-melnden Staub als Zeitablagerungen in geologischen Zeitspannen verstanden Zu seiner Zeit brauchte es Jahrhunderte bis Kirchen durch Staubablagerung verdun-kelten aber durch die industrielle Revolution die er miterlebte aumlnderte sich das rasant Was sich da ploumltzlich ablagerte war nicht mehr bloszlig Staub sondern Ruszlig Im 19 Jahrhundert gab es groszlige Diskussionen daruumlber ob man Gebaumlude reinigen sollte oder nicht2 ob der Staub Teil der Architektur ist oder nicht Und diese Frage bewegt uns noch immer Ist die Verschmutzung3 die wir selbst produzieren Teil unserer Kul-tur oder ist sie das nicht

Sie sind Architekt Kuumlnstler und Denkmalpfleger Gibt es ein Schluumlsselerlebnis aus dem sich Ihr Interesse an der Denkmalpflege erklaumlrt Im Nachhinein ist es immer schwer so etwas festzulegen aber es gibt eine Reihe von gluumlcklichen Um-staumlnden die dazu gefuumlhrt haben Einer davon ist dass meine Eltern ndash ein Ingenieur und eine Informatikerin ndash als Touristen immerzu Denkmaumller und Ruinen besichtigen wollten Das hat mich schon als Kind fasziniert Waumlhrend meines Architekturstudi-ums an der Cornell University haben mich unter anderem die Texas Rangers eine Gruppe ungewoumlhnlicher Modernisten um Colin Rowe stark beeinflusst Es wurde beispielsweise die Frage diskutiert wie man in historischen Kontexten entwerfen kann Oder wie sich die Arbeit von Architekten wertschaumltzen laumlsst die nicht zeitgenoumlssisch modernistisch sind Gebaumlude sind zugleich auch mein Zugang zur Geschichte Man kann von historischen Gebaumluden immer etwas lernen das fuumlr die Gegenwart von Bedeutung ist

Sind Sie auch als praktizierender Architekt taumltig Das kommt darauf an wie man bdquoArchitekturpraxisldquo definiert Ich wuumlrde sagen Ja Von Jacques Derrida habe ich

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Sie sprechen synonym von Staub und Verschmutzung Staub und Verschmut-zung sind nicht das Gleiche aber es sind verwandte Begriffe Der britischen Sozial-anthropologin Mary Douglas zufolge hat Verschmutzung keinen Platz in unserer Kultur Verschmutzung laumlsst sich ganz unterschiedlich definieren in jedem Fall ist sie tradi-tionell aus der Kultur-Sphaumlre ausgeschlossen Wir sind aber heute an einem interes-santen Punkt angelangt Verschmutzung findet sich uumlberall weltweit wir koumlnnen sie nicht mehr einfach ignorieren und ausblenden

Ihre Installation in der Westminster Hall ist der sechste Teil einer seit 2008 entshystandenen Serie von Arbeiten Unter anderem nahmen Sie einen Staubabdruck vom Dogenpalast in Venedig und bei Louis Vuitton ndash wie entstand die Idee

dazu bdquoThe Ethics of Dustldquo hat sich uumlber die Jahre entwickelt Der Ausgangspunkt war die Reinigung von Denkmaumllern mit Latex einer neuen Methode aus der Steinres-taurierung Ich konnte im abgenommenen Staub sehr viel entdecken etwa seinen Ur-sprung und sein Alter Bei der Arbeit in einer Silbermine im spanischen Cartago Nova lieszlig sich durch den Staubabdruck der Untergang des Roumlmischen Reiches zeitlich nachvollziehen Heute sehe ich in der Arbeit einen Abdruck der Erdatmosphaumlre sie visualisiert ihre Materialitaumlt und Geschichte Im Zeitalter des Anthropozaumlns ist die Ver-schmutzung der Atmosphaumlre fuumlr mich das groumlszligte und langlebigste Monument das wir je schaffen werden auch wenn es unbeabsichtigt entsteht und es niemand je schaffen wollte Die Verschmutzung unserer Atmosphaumlre ist von planetarischem Ausmaszlig Sie wird alle Bunker und Hochhaumluser die je gebaut wurden uumlberleben und in geologi-

2 1877 gruumlndete sich ua unter Beteiligung von Wil-liam Morris in England die Society for the Protection of Ancient Buildings (SPAB) auch als bdquoAnti-Scrapeldquo bekannt da sie sich gegen die damals praktizierte Runderneuerung historischer Bauten in der Tradition Violet Le Ducs und fuumlr eine unverfaumllschende Denk-malpflege aussprach die bauliche Zeitablagerungen einer lupenreinen Stilreinheit vorzog

3 Im Original Pollution

Ethics of Dust Abdruck der inneren Struktur einer Nachbildung der Trajanssaumlule im Victoria amp Albert Museum in London Fotos Jorge Otero-Pailos

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

wwwarchcolumbiaeduwwwoteropailoscom

diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

wwwlars-mueller-publisherscom

Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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LUXUS IM NEBEL

Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 7: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Schoumlner Schmutz Ein riesiger leuchtender Vorhang tauchte von Juli bis Ende August die Londoner Westminster Hall je nach Tageszeit in ein weiszlig- bis gelbgoldenes Licht Tatsaumlchlich ist das auf den ersten Blick geheimnis-voll schimmernde Objekt eine Art gigantisches Putztuch aus Latex eine zu Gummi gewordene klebrige Fluumlssigkeit die saumlmtliche Staubablagerungen der vergangenen zwei Jahrhunderte am aumlltesten Teil des Palace of West-minster in sich einschlieszligt Dem experimentellen Denkmalpfleger Jorge Otero-Pailos geht es dabei jedoch nicht um die Vergangenheit sondern um die Zukunft

MONUMENTE DER VER-SCHMUTZUNGJORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

Jorge Otero-Pailos Foto Columbia University

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den soeben bei Lars Mueller erschienenen Publikationen bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperi-mental Preservationldquo die er gemeinsam mit dem Norweger Erik Langdalen und der Schwedin Thordis Arrhenius herausgegeben hat verwischt er die Grenzen von Kunst Architektur Denkmalpflege und Stadtplanung und versammelt experimentelle Pro-jekte zur Erhaltung von kulturell aufgeladenen Objekten Luise Rellensmann und Jens Casper trafen ihn in London zum Gespraumlch

Die Patina der fast 1000 Jahre alten Steinmauer1 ist Teil des Werkzyklus bdquoThe Ethics of Dustldquo von Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos mit dem er sich begrifflich an einen Text des britischen Kunsthistorikers John Ruskin (1819ndash1900) anlehnt Seit 2002 lehrt der 1971 in Madrid geborene Spanier Historic Preservation an der Columbia University in New York In seinem in London ausgestellten Werk sieht er einen Abdruck der Erdatmosphaumlre und ihrer Verschmutzung die er als groumlszligtes Monument der Menschheit beschreibt In anderen Arbeiten setzt er sich mit Geruchs-aspekten von Architektur (bdquoAn Olfactory Reconstruction of the Philipp Johnson Glass Houseldquo 2008) und auf detektivische Art und Weise mit dem kontroversen Thema der Rekonstruktion auseinander Mit seinen experimentellen Ansaumltzen eroumlffnete er neue Dimensionen in der Denkmalpflege und hinterfragt damit gaumlngige Vorstellungen In

Linke Seite Westminster Hall on Fire Gemaumllde von George B Campion 1834 Abbildung copy Parliamentary Art Col-lection WOA 1669 Rechte Seite The Ethics of Dust at Westminster Hall von Jorge Otero-Pailos 2016 An Artangel commission Foto Marcus J Leith

1 Die Entstehung der Westminster Hall geht auf das spaumlte 11 Jahrhundert zuruumlck an diesem Ort der Rechtsprechung tagten die wichtigsten Gerichte des Landes Staatsprozesse und Kroumlnungsbankette fanden hier statt sowie das silberne goldene und diamantene Thronjubilaumlum von Koumlnigin Elisabeth II

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Im Rahmen der Manifesta 7 nahm Otero-Pailos 2008 einen rund zehn mal elf Meter groszligen Staubabdruck einer Wand in einem 1937 von Mussolini in Bozen errichteten Aluminiumwerk

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gelernt dass Fundamente nicht der eigentliche Ursprung der Architektur sind und dass sie eher hinterfragt als konstruiert werden sollten Ich bin also ein praktizierender Architekt aber ich mache auf eine Art Architektur fuumlr die ich keine Fundamente in der Erde vergraben muss

Ist Staub fuumlr Sie Architektur John Ruskin hat den sich auf Gebaumluden ansam-melnden Staub als Zeitablagerungen in geologischen Zeitspannen verstanden Zu seiner Zeit brauchte es Jahrhunderte bis Kirchen durch Staubablagerung verdun-kelten aber durch die industrielle Revolution die er miterlebte aumlnderte sich das rasant Was sich da ploumltzlich ablagerte war nicht mehr bloszlig Staub sondern Ruszlig Im 19 Jahrhundert gab es groszlige Diskussionen daruumlber ob man Gebaumlude reinigen sollte oder nicht2 ob der Staub Teil der Architektur ist oder nicht Und diese Frage bewegt uns noch immer Ist die Verschmutzung3 die wir selbst produzieren Teil unserer Kul-tur oder ist sie das nicht

Sie sind Architekt Kuumlnstler und Denkmalpfleger Gibt es ein Schluumlsselerlebnis aus dem sich Ihr Interesse an der Denkmalpflege erklaumlrt Im Nachhinein ist es immer schwer so etwas festzulegen aber es gibt eine Reihe von gluumlcklichen Um-staumlnden die dazu gefuumlhrt haben Einer davon ist dass meine Eltern ndash ein Ingenieur und eine Informatikerin ndash als Touristen immerzu Denkmaumller und Ruinen besichtigen wollten Das hat mich schon als Kind fasziniert Waumlhrend meines Architekturstudi-ums an der Cornell University haben mich unter anderem die Texas Rangers eine Gruppe ungewoumlhnlicher Modernisten um Colin Rowe stark beeinflusst Es wurde beispielsweise die Frage diskutiert wie man in historischen Kontexten entwerfen kann Oder wie sich die Arbeit von Architekten wertschaumltzen laumlsst die nicht zeitgenoumlssisch modernistisch sind Gebaumlude sind zugleich auch mein Zugang zur Geschichte Man kann von historischen Gebaumluden immer etwas lernen das fuumlr die Gegenwart von Bedeutung ist

Sind Sie auch als praktizierender Architekt taumltig Das kommt darauf an wie man bdquoArchitekturpraxisldquo definiert Ich wuumlrde sagen Ja Von Jacques Derrida habe ich

Ethics of Dust Installation im Maison de Famille Louis Vuitton in Asniegraveres-sur-Seine Fotos Jorge Otero-Pailos

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Sie sprechen synonym von Staub und Verschmutzung Staub und Verschmut-zung sind nicht das Gleiche aber es sind verwandte Begriffe Der britischen Sozial-anthropologin Mary Douglas zufolge hat Verschmutzung keinen Platz in unserer Kultur Verschmutzung laumlsst sich ganz unterschiedlich definieren in jedem Fall ist sie tradi-tionell aus der Kultur-Sphaumlre ausgeschlossen Wir sind aber heute an einem interes-santen Punkt angelangt Verschmutzung findet sich uumlberall weltweit wir koumlnnen sie nicht mehr einfach ignorieren und ausblenden

Ihre Installation in der Westminster Hall ist der sechste Teil einer seit 2008 entshystandenen Serie von Arbeiten Unter anderem nahmen Sie einen Staubabdruck vom Dogenpalast in Venedig und bei Louis Vuitton ndash wie entstand die Idee

dazu bdquoThe Ethics of Dustldquo hat sich uumlber die Jahre entwickelt Der Ausgangspunkt war die Reinigung von Denkmaumllern mit Latex einer neuen Methode aus der Steinres-taurierung Ich konnte im abgenommenen Staub sehr viel entdecken etwa seinen Ur-sprung und sein Alter Bei der Arbeit in einer Silbermine im spanischen Cartago Nova lieszlig sich durch den Staubabdruck der Untergang des Roumlmischen Reiches zeitlich nachvollziehen Heute sehe ich in der Arbeit einen Abdruck der Erdatmosphaumlre sie visualisiert ihre Materialitaumlt und Geschichte Im Zeitalter des Anthropozaumlns ist die Ver-schmutzung der Atmosphaumlre fuumlr mich das groumlszligte und langlebigste Monument das wir je schaffen werden auch wenn es unbeabsichtigt entsteht und es niemand je schaffen wollte Die Verschmutzung unserer Atmosphaumlre ist von planetarischem Ausmaszlig Sie wird alle Bunker und Hochhaumluser die je gebaut wurden uumlberleben und in geologi-

2 1877 gruumlndete sich ua unter Beteiligung von Wil-liam Morris in England die Society for the Protection of Ancient Buildings (SPAB) auch als bdquoAnti-Scrapeldquo bekannt da sie sich gegen die damals praktizierte Runderneuerung historischer Bauten in der Tradition Violet Le Ducs und fuumlr eine unverfaumllschende Denk-malpflege aussprach die bauliche Zeitablagerungen einer lupenreinen Stilreinheit vorzog

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Ethics of Dust Abdruck der inneren Struktur einer Nachbildung der Trajanssaumlule im Victoria amp Albert Museum in London Fotos Jorge Otero-Pailos

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

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diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

wwwlars-mueller-publisherscom

Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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LUXUS IM NEBEL

Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 8: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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den soeben bei Lars Mueller erschienenen Publikationen bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperi-mental Preservationldquo die er gemeinsam mit dem Norweger Erik Langdalen und der Schwedin Thordis Arrhenius herausgegeben hat verwischt er die Grenzen von Kunst Architektur Denkmalpflege und Stadtplanung und versammelt experimentelle Pro-jekte zur Erhaltung von kulturell aufgeladenen Objekten Luise Rellensmann und Jens Casper trafen ihn in London zum Gespraumlch

Die Patina der fast 1000 Jahre alten Steinmauer1 ist Teil des Werkzyklus bdquoThe Ethics of Dustldquo von Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos mit dem er sich begrifflich an einen Text des britischen Kunsthistorikers John Ruskin (1819ndash1900) anlehnt Seit 2002 lehrt der 1971 in Madrid geborene Spanier Historic Preservation an der Columbia University in New York In seinem in London ausgestellten Werk sieht er einen Abdruck der Erdatmosphaumlre und ihrer Verschmutzung die er als groumlszligtes Monument der Menschheit beschreibt In anderen Arbeiten setzt er sich mit Geruchs-aspekten von Architektur (bdquoAn Olfactory Reconstruction of the Philipp Johnson Glass Houseldquo 2008) und auf detektivische Art und Weise mit dem kontroversen Thema der Rekonstruktion auseinander Mit seinen experimentellen Ansaumltzen eroumlffnete er neue Dimensionen in der Denkmalpflege und hinterfragt damit gaumlngige Vorstellungen In

Linke Seite Westminster Hall on Fire Gemaumllde von George B Campion 1834 Abbildung copy Parliamentary Art Col-lection WOA 1669 Rechte Seite The Ethics of Dust at Westminster Hall von Jorge Otero-Pailos 2016 An Artangel commission Foto Marcus J Leith

1 Die Entstehung der Westminster Hall geht auf das spaumlte 11 Jahrhundert zuruumlck an diesem Ort der Rechtsprechung tagten die wichtigsten Gerichte des Landes Staatsprozesse und Kroumlnungsbankette fanden hier statt sowie das silberne goldene und diamantene Thronjubilaumlum von Koumlnigin Elisabeth II

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Im Rahmen der Manifesta 7 nahm Otero-Pailos 2008 einen rund zehn mal elf Meter groszligen Staubabdruck einer Wand in einem 1937 von Mussolini in Bozen errichteten Aluminiumwerk

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gelernt dass Fundamente nicht der eigentliche Ursprung der Architektur sind und dass sie eher hinterfragt als konstruiert werden sollten Ich bin also ein praktizierender Architekt aber ich mache auf eine Art Architektur fuumlr die ich keine Fundamente in der Erde vergraben muss

Ist Staub fuumlr Sie Architektur John Ruskin hat den sich auf Gebaumluden ansam-melnden Staub als Zeitablagerungen in geologischen Zeitspannen verstanden Zu seiner Zeit brauchte es Jahrhunderte bis Kirchen durch Staubablagerung verdun-kelten aber durch die industrielle Revolution die er miterlebte aumlnderte sich das rasant Was sich da ploumltzlich ablagerte war nicht mehr bloszlig Staub sondern Ruszlig Im 19 Jahrhundert gab es groszlige Diskussionen daruumlber ob man Gebaumlude reinigen sollte oder nicht2 ob der Staub Teil der Architektur ist oder nicht Und diese Frage bewegt uns noch immer Ist die Verschmutzung3 die wir selbst produzieren Teil unserer Kul-tur oder ist sie das nicht

Sie sind Architekt Kuumlnstler und Denkmalpfleger Gibt es ein Schluumlsselerlebnis aus dem sich Ihr Interesse an der Denkmalpflege erklaumlrt Im Nachhinein ist es immer schwer so etwas festzulegen aber es gibt eine Reihe von gluumlcklichen Um-staumlnden die dazu gefuumlhrt haben Einer davon ist dass meine Eltern ndash ein Ingenieur und eine Informatikerin ndash als Touristen immerzu Denkmaumller und Ruinen besichtigen wollten Das hat mich schon als Kind fasziniert Waumlhrend meines Architekturstudi-ums an der Cornell University haben mich unter anderem die Texas Rangers eine Gruppe ungewoumlhnlicher Modernisten um Colin Rowe stark beeinflusst Es wurde beispielsweise die Frage diskutiert wie man in historischen Kontexten entwerfen kann Oder wie sich die Arbeit von Architekten wertschaumltzen laumlsst die nicht zeitgenoumlssisch modernistisch sind Gebaumlude sind zugleich auch mein Zugang zur Geschichte Man kann von historischen Gebaumluden immer etwas lernen das fuumlr die Gegenwart von Bedeutung ist

Sind Sie auch als praktizierender Architekt taumltig Das kommt darauf an wie man bdquoArchitekturpraxisldquo definiert Ich wuumlrde sagen Ja Von Jacques Derrida habe ich

Ethics of Dust Installation im Maison de Famille Louis Vuitton in Asniegraveres-sur-Seine Fotos Jorge Otero-Pailos

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Sie sprechen synonym von Staub und Verschmutzung Staub und Verschmut-zung sind nicht das Gleiche aber es sind verwandte Begriffe Der britischen Sozial-anthropologin Mary Douglas zufolge hat Verschmutzung keinen Platz in unserer Kultur Verschmutzung laumlsst sich ganz unterschiedlich definieren in jedem Fall ist sie tradi-tionell aus der Kultur-Sphaumlre ausgeschlossen Wir sind aber heute an einem interes-santen Punkt angelangt Verschmutzung findet sich uumlberall weltweit wir koumlnnen sie nicht mehr einfach ignorieren und ausblenden

Ihre Installation in der Westminster Hall ist der sechste Teil einer seit 2008 entshystandenen Serie von Arbeiten Unter anderem nahmen Sie einen Staubabdruck vom Dogenpalast in Venedig und bei Louis Vuitton ndash wie entstand die Idee

dazu bdquoThe Ethics of Dustldquo hat sich uumlber die Jahre entwickelt Der Ausgangspunkt war die Reinigung von Denkmaumllern mit Latex einer neuen Methode aus der Steinres-taurierung Ich konnte im abgenommenen Staub sehr viel entdecken etwa seinen Ur-sprung und sein Alter Bei der Arbeit in einer Silbermine im spanischen Cartago Nova lieszlig sich durch den Staubabdruck der Untergang des Roumlmischen Reiches zeitlich nachvollziehen Heute sehe ich in der Arbeit einen Abdruck der Erdatmosphaumlre sie visualisiert ihre Materialitaumlt und Geschichte Im Zeitalter des Anthropozaumlns ist die Ver-schmutzung der Atmosphaumlre fuumlr mich das groumlszligte und langlebigste Monument das wir je schaffen werden auch wenn es unbeabsichtigt entsteht und es niemand je schaffen wollte Die Verschmutzung unserer Atmosphaumlre ist von planetarischem Ausmaszlig Sie wird alle Bunker und Hochhaumluser die je gebaut wurden uumlberleben und in geologi-

2 1877 gruumlndete sich ua unter Beteiligung von Wil-liam Morris in England die Society for the Protection of Ancient Buildings (SPAB) auch als bdquoAnti-Scrapeldquo bekannt da sie sich gegen die damals praktizierte Runderneuerung historischer Bauten in der Tradition Violet Le Ducs und fuumlr eine unverfaumllschende Denk-malpflege aussprach die bauliche Zeitablagerungen einer lupenreinen Stilreinheit vorzog

3 Im Original Pollution

Ethics of Dust Abdruck der inneren Struktur einer Nachbildung der Trajanssaumlule im Victoria amp Albert Museum in London Fotos Jorge Otero-Pailos

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

4 Im Original Experimental Preservation

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

wwwarchcolumbiaeduwwwoteropailoscom

diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

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Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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LUXUS IM NEBEL

Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 9: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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Im Rahmen der Manifesta 7 nahm Otero-Pailos 2008 einen rund zehn mal elf Meter groszligen Staubabdruck einer Wand in einem 1937 von Mussolini in Bozen errichteten Aluminiumwerk

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gelernt dass Fundamente nicht der eigentliche Ursprung der Architektur sind und dass sie eher hinterfragt als konstruiert werden sollten Ich bin also ein praktizierender Architekt aber ich mache auf eine Art Architektur fuumlr die ich keine Fundamente in der Erde vergraben muss

Ist Staub fuumlr Sie Architektur John Ruskin hat den sich auf Gebaumluden ansam-melnden Staub als Zeitablagerungen in geologischen Zeitspannen verstanden Zu seiner Zeit brauchte es Jahrhunderte bis Kirchen durch Staubablagerung verdun-kelten aber durch die industrielle Revolution die er miterlebte aumlnderte sich das rasant Was sich da ploumltzlich ablagerte war nicht mehr bloszlig Staub sondern Ruszlig Im 19 Jahrhundert gab es groszlige Diskussionen daruumlber ob man Gebaumlude reinigen sollte oder nicht2 ob der Staub Teil der Architektur ist oder nicht Und diese Frage bewegt uns noch immer Ist die Verschmutzung3 die wir selbst produzieren Teil unserer Kul-tur oder ist sie das nicht

Sie sind Architekt Kuumlnstler und Denkmalpfleger Gibt es ein Schluumlsselerlebnis aus dem sich Ihr Interesse an der Denkmalpflege erklaumlrt Im Nachhinein ist es immer schwer so etwas festzulegen aber es gibt eine Reihe von gluumlcklichen Um-staumlnden die dazu gefuumlhrt haben Einer davon ist dass meine Eltern ndash ein Ingenieur und eine Informatikerin ndash als Touristen immerzu Denkmaumller und Ruinen besichtigen wollten Das hat mich schon als Kind fasziniert Waumlhrend meines Architekturstudi-ums an der Cornell University haben mich unter anderem die Texas Rangers eine Gruppe ungewoumlhnlicher Modernisten um Colin Rowe stark beeinflusst Es wurde beispielsweise die Frage diskutiert wie man in historischen Kontexten entwerfen kann Oder wie sich die Arbeit von Architekten wertschaumltzen laumlsst die nicht zeitgenoumlssisch modernistisch sind Gebaumlude sind zugleich auch mein Zugang zur Geschichte Man kann von historischen Gebaumluden immer etwas lernen das fuumlr die Gegenwart von Bedeutung ist

Sind Sie auch als praktizierender Architekt taumltig Das kommt darauf an wie man bdquoArchitekturpraxisldquo definiert Ich wuumlrde sagen Ja Von Jacques Derrida habe ich

Ethics of Dust Installation im Maison de Famille Louis Vuitton in Asniegraveres-sur-Seine Fotos Jorge Otero-Pailos

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Sie sprechen synonym von Staub und Verschmutzung Staub und Verschmut-zung sind nicht das Gleiche aber es sind verwandte Begriffe Der britischen Sozial-anthropologin Mary Douglas zufolge hat Verschmutzung keinen Platz in unserer Kultur Verschmutzung laumlsst sich ganz unterschiedlich definieren in jedem Fall ist sie tradi-tionell aus der Kultur-Sphaumlre ausgeschlossen Wir sind aber heute an einem interes-santen Punkt angelangt Verschmutzung findet sich uumlberall weltweit wir koumlnnen sie nicht mehr einfach ignorieren und ausblenden

Ihre Installation in der Westminster Hall ist der sechste Teil einer seit 2008 entshystandenen Serie von Arbeiten Unter anderem nahmen Sie einen Staubabdruck vom Dogenpalast in Venedig und bei Louis Vuitton ndash wie entstand die Idee

dazu bdquoThe Ethics of Dustldquo hat sich uumlber die Jahre entwickelt Der Ausgangspunkt war die Reinigung von Denkmaumllern mit Latex einer neuen Methode aus der Steinres-taurierung Ich konnte im abgenommenen Staub sehr viel entdecken etwa seinen Ur-sprung und sein Alter Bei der Arbeit in einer Silbermine im spanischen Cartago Nova lieszlig sich durch den Staubabdruck der Untergang des Roumlmischen Reiches zeitlich nachvollziehen Heute sehe ich in der Arbeit einen Abdruck der Erdatmosphaumlre sie visualisiert ihre Materialitaumlt und Geschichte Im Zeitalter des Anthropozaumlns ist die Ver-schmutzung der Atmosphaumlre fuumlr mich das groumlszligte und langlebigste Monument das wir je schaffen werden auch wenn es unbeabsichtigt entsteht und es niemand je schaffen wollte Die Verschmutzung unserer Atmosphaumlre ist von planetarischem Ausmaszlig Sie wird alle Bunker und Hochhaumluser die je gebaut wurden uumlberleben und in geologi-

2 1877 gruumlndete sich ua unter Beteiligung von Wil-liam Morris in England die Society for the Protection of Ancient Buildings (SPAB) auch als bdquoAnti-Scrapeldquo bekannt da sie sich gegen die damals praktizierte Runderneuerung historischer Bauten in der Tradition Violet Le Ducs und fuumlr eine unverfaumllschende Denk-malpflege aussprach die bauliche Zeitablagerungen einer lupenreinen Stilreinheit vorzog

3 Im Original Pollution

Ethics of Dust Abdruck der inneren Struktur einer Nachbildung der Trajanssaumlule im Victoria amp Albert Museum in London Fotos Jorge Otero-Pailos

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

4 Im Original Experimental Preservation

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

wwwarchcolumbiaeduwwwoteropailoscom

diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

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Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

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gelernt dass Fundamente nicht der eigentliche Ursprung der Architektur sind und dass sie eher hinterfragt als konstruiert werden sollten Ich bin also ein praktizierender Architekt aber ich mache auf eine Art Architektur fuumlr die ich keine Fundamente in der Erde vergraben muss

Ist Staub fuumlr Sie Architektur John Ruskin hat den sich auf Gebaumluden ansam-melnden Staub als Zeitablagerungen in geologischen Zeitspannen verstanden Zu seiner Zeit brauchte es Jahrhunderte bis Kirchen durch Staubablagerung verdun-kelten aber durch die industrielle Revolution die er miterlebte aumlnderte sich das rasant Was sich da ploumltzlich ablagerte war nicht mehr bloszlig Staub sondern Ruszlig Im 19 Jahrhundert gab es groszlige Diskussionen daruumlber ob man Gebaumlude reinigen sollte oder nicht2 ob der Staub Teil der Architektur ist oder nicht Und diese Frage bewegt uns noch immer Ist die Verschmutzung3 die wir selbst produzieren Teil unserer Kul-tur oder ist sie das nicht

Sie sind Architekt Kuumlnstler und Denkmalpfleger Gibt es ein Schluumlsselerlebnis aus dem sich Ihr Interesse an der Denkmalpflege erklaumlrt Im Nachhinein ist es immer schwer so etwas festzulegen aber es gibt eine Reihe von gluumlcklichen Um-staumlnden die dazu gefuumlhrt haben Einer davon ist dass meine Eltern ndash ein Ingenieur und eine Informatikerin ndash als Touristen immerzu Denkmaumller und Ruinen besichtigen wollten Das hat mich schon als Kind fasziniert Waumlhrend meines Architekturstudi-ums an der Cornell University haben mich unter anderem die Texas Rangers eine Gruppe ungewoumlhnlicher Modernisten um Colin Rowe stark beeinflusst Es wurde beispielsweise die Frage diskutiert wie man in historischen Kontexten entwerfen kann Oder wie sich die Arbeit von Architekten wertschaumltzen laumlsst die nicht zeitgenoumlssisch modernistisch sind Gebaumlude sind zugleich auch mein Zugang zur Geschichte Man kann von historischen Gebaumluden immer etwas lernen das fuumlr die Gegenwart von Bedeutung ist

Sind Sie auch als praktizierender Architekt taumltig Das kommt darauf an wie man bdquoArchitekturpraxisldquo definiert Ich wuumlrde sagen Ja Von Jacques Derrida habe ich

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Sie sprechen synonym von Staub und Verschmutzung Staub und Verschmut-zung sind nicht das Gleiche aber es sind verwandte Begriffe Der britischen Sozial-anthropologin Mary Douglas zufolge hat Verschmutzung keinen Platz in unserer Kultur Verschmutzung laumlsst sich ganz unterschiedlich definieren in jedem Fall ist sie tradi-tionell aus der Kultur-Sphaumlre ausgeschlossen Wir sind aber heute an einem interes-santen Punkt angelangt Verschmutzung findet sich uumlberall weltweit wir koumlnnen sie nicht mehr einfach ignorieren und ausblenden

Ihre Installation in der Westminster Hall ist der sechste Teil einer seit 2008 entshystandenen Serie von Arbeiten Unter anderem nahmen Sie einen Staubabdruck vom Dogenpalast in Venedig und bei Louis Vuitton ndash wie entstand die Idee

dazu bdquoThe Ethics of Dustldquo hat sich uumlber die Jahre entwickelt Der Ausgangspunkt war die Reinigung von Denkmaumllern mit Latex einer neuen Methode aus der Steinres-taurierung Ich konnte im abgenommenen Staub sehr viel entdecken etwa seinen Ur-sprung und sein Alter Bei der Arbeit in einer Silbermine im spanischen Cartago Nova lieszlig sich durch den Staubabdruck der Untergang des Roumlmischen Reiches zeitlich nachvollziehen Heute sehe ich in der Arbeit einen Abdruck der Erdatmosphaumlre sie visualisiert ihre Materialitaumlt und Geschichte Im Zeitalter des Anthropozaumlns ist die Ver-schmutzung der Atmosphaumlre fuumlr mich das groumlszligte und langlebigste Monument das wir je schaffen werden auch wenn es unbeabsichtigt entsteht und es niemand je schaffen wollte Die Verschmutzung unserer Atmosphaumlre ist von planetarischem Ausmaszlig Sie wird alle Bunker und Hochhaumluser die je gebaut wurden uumlberleben und in geologi-

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3 Im Original Pollution

Ethics of Dust Abdruck der inneren Struktur einer Nachbildung der Trajanssaumlule im Victoria amp Albert Museum in London Fotos Jorge Otero-Pailos

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

4 Im Original Experimental Preservation

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

wwwarchcolumbiaeduwwwoteropailoscom

diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

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Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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LUXUS IM NEBEL

Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 11: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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Sie sprechen synonym von Staub und Verschmutzung Staub und Verschmut-zung sind nicht das Gleiche aber es sind verwandte Begriffe Der britischen Sozial-anthropologin Mary Douglas zufolge hat Verschmutzung keinen Platz in unserer Kultur Verschmutzung laumlsst sich ganz unterschiedlich definieren in jedem Fall ist sie tradi-tionell aus der Kultur-Sphaumlre ausgeschlossen Wir sind aber heute an einem interes-santen Punkt angelangt Verschmutzung findet sich uumlberall weltweit wir koumlnnen sie nicht mehr einfach ignorieren und ausblenden

Ihre Installation in der Westminster Hall ist der sechste Teil einer seit 2008 entshystandenen Serie von Arbeiten Unter anderem nahmen Sie einen Staubabdruck vom Dogenpalast in Venedig und bei Louis Vuitton ndash wie entstand die Idee

dazu bdquoThe Ethics of Dustldquo hat sich uumlber die Jahre entwickelt Der Ausgangspunkt war die Reinigung von Denkmaumllern mit Latex einer neuen Methode aus der Steinres-taurierung Ich konnte im abgenommenen Staub sehr viel entdecken etwa seinen Ur-sprung und sein Alter Bei der Arbeit in einer Silbermine im spanischen Cartago Nova lieszlig sich durch den Staubabdruck der Untergang des Roumlmischen Reiches zeitlich nachvollziehen Heute sehe ich in der Arbeit einen Abdruck der Erdatmosphaumlre sie visualisiert ihre Materialitaumlt und Geschichte Im Zeitalter des Anthropozaumlns ist die Ver-schmutzung der Atmosphaumlre fuumlr mich das groumlszligte und langlebigste Monument das wir je schaffen werden auch wenn es unbeabsichtigt entsteht und es niemand je schaffen wollte Die Verschmutzung unserer Atmosphaumlre ist von planetarischem Ausmaszlig Sie wird alle Bunker und Hochhaumluser die je gebaut wurden uumlberleben und in geologi-

2 1877 gruumlndete sich ua unter Beteiligung von Wil-liam Morris in England die Society for the Protection of Ancient Buildings (SPAB) auch als bdquoAnti-Scrapeldquo bekannt da sie sich gegen die damals praktizierte Runderneuerung historischer Bauten in der Tradition Violet Le Ducs und fuumlr eine unverfaumllschende Denk-malpflege aussprach die bauliche Zeitablagerungen einer lupenreinen Stilreinheit vorzog

3 Im Original Pollution

Ethics of Dust Abdruck der inneren Struktur einer Nachbildung der Trajanssaumlule im Victoria amp Albert Museum in London Fotos Jorge Otero-Pailos

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

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diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

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Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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LUXUS IM NEBEL

Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 12: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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Wie haben Sie den Geruch des Glass House hergestellt Fuumlr das Projekt habe ich mit dem Parfuumlmeur Rosendo Mateu zusammengearbeitet Eigentlich war es eine ganz einfache Sache Wir haben die Oberflaumlchen aller Materialien des Hauses in ihrer Quantitaumlt aufgenommen und die durchschnittliche Temperatur berechnet Da gab es etwa einen bestimmten Anteil Stahl einen bestimmten Anteil von Leder usw das alles haben wir in synthetische Fluumlssigkeiten uumlbersetzt Wir haben den Duft allerdings etwas optimiert da fehlte noch ein bisschen Geruch von frischem Putz Es war eben ein kuumlnstlerisches Projekt

Also in gewisser Weise der Versuch einer Rekonstruktion was ja in Denkmalshypflege und Architektur ein kontrovers diskutiertes Thema ist Ich habe mich in mehreren Projekten an einer Rekonstruktion versucht also versucht etwas moumlglichst originalgetreu wiederherzustellen Und jedes Mal habe ich festgestellt dass es einfach

schen Zeitspannen gedacht als Ablagerung in Eis Sediment und Gestein weltweit und fuumlr alle Tage praumlsent sein

2008 haben sie den Geruch von Philipp Johnsons Glass House rekonstruiert Welche Idee steckte dahinter Geruch ist wichtig oft stimulieren oder aktivieren Geruumlche beim Menschen bestimmte Erinnerungen Unsere Erlebnisse haumlngen immer mit Projektionen und Wahrnehmungen zusammen und Geruumlche oder auch Temperatur sind wichtige Aspekte unserer Kultur die schwer kontrollierbar und schwer messbar sind Die Geruchsindustrie ist ein Riesengeschaumlft uumlber die verbauten Materialien beeinflusst sie auch wesentlich die Architektur und wir als Architekten haben keine Ahnung davon Wir haben uns an die Vorstellung gewoumlhnt dass Haumluser nicht riechen sollten Das ist etwa das Gleiche als wuumlrde man sagen Architektur duumlrfe nur in schwarz-weiszlig und ohne Menschen fotografiert werden Jeder der schon mal auf einer Baustelle war weiszlig wie Architektur riecht aber wir kontrollieren diesen Geruch nicht Warum wird das nicht an den Architekturschulen gelehrt

Linke Seite Abdruck einer Wand im Dogenpalast in Bezug auf John Ruskin Venedig Biennale 2009 Foto Jorge Otero-Pailos rechte Seite Kritische Rekonstruktion als Forschung 2014 rekonstruierte Otero-Pailos die Fotografie bdquoBullet Through Appleldquo von Harold Edgerton Dabei benutzte er dasselbe Equipment wie Edgerton das selbe Gewehr dieselbe Kamera denselben Blitz usw und stellte bei der Betrachtung der ballistischen Spuren auf der Gewehrkugel fest dass Edgerton seine Fotografie spiegelverkehrt belichtet hatte ein Umstand der bislang kunsthistorisch unbekannt warFoto Space-Time 19642014 von Jorge Otero-Pailos

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

4 Im Original Experimental Preservation

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

wwwarchcolumbiaeduwwwoteropailoscom

diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

wwwlars-mueller-publisherscom

Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 13: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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auch einen ganzen Stadtteil und dann treten sie in einen Dialog mit der Gesellschaft Wir glauben dass dieses Objekt von groszliger Bedeutung fuumlr unsere Kultur ist sagen sie dann und warten auf eine Antwort Und manchmal lautet diese Antwort schlicht Nein

Denkmalpflege ist damit ein kreativer Akt Eine Auswahl zu treffen also zu bestimmen was schuumltzenswert sein koumlnnte und was nicht ist kreativ Das Interessante ist der kontinuierliche Dialog und Diskurs daruumlber was wir als Gesell-schaft fuumlr bedeutend und erhaltenswert halten

Wie unterrichten Sie diese Haltung Oft verstehen wir Denkmale als etwas das vor unserer Zeit entstanden ist und um dessen Erhalt wir uns sorgen sollen Ich vermittele den Studenten dass kulturelles Erbe etwas ist das man macht das man aktiv herstellt und dass es ohne ihr Machen kein kulturelles Erbe kein Denkmal gibt Studioarbeit ist der richtige Weg das zu lehren Die Studierenden werden dazu angehalten immer wieder Vorschlaumlge und Angebote zu formulieren was aus ihrer Sicht von kultureller Bedeutung sein koumlnnte und das wird dann im Studio hinterfragt und

unmoumlglich ist Es gibt hinsichtlich der Genauigkeit immer diesen einen Punkt uumlber den man nicht hinauskommt aber man lernt jedes Mal dazu Ich habe beispielsweise ein beruumlhmtes Foto von Harold Edgerton von 1964 rekonstruiert das eine Patronenkugel zeigt die durch einen Apfel geschossen wird Dabei fiel mir auf dass die feinen Riefen auf der Patrone auf meinem Foto in die falsche Richtung zeigten obwohl ich das gleiche Gewehr wie Edgerton benutzt hatte Es stellte sich heraus dass er das Negativ einfach spiegelverkehrt gedruckt hatte

Was ist bdquoExperimentelle Denkmalpshyflege4ldquo Experimentelle Denkmalpflege ist ein Weg die Wirklichkeit zu testen immer wieder Vorschlaumlge zu machen um ausloten zu koumlnnen was wir als Gesellschaft als kulturell bedeutend verstehen Inzwischen verfolgen eine Reihe von Kuumlnstlern Architekten Ingenieuren Kuratoren und Histori-kern auszligerhalb der institutionalisierten Praxis eine experimentelle Denkmalpflege Hierbei werden Objekte oder auch Situationen als erhaltenswert erachtet die nicht jedermann als kulturell bedeu-tend einstufen wuumlrde wie eben Staub das Innere eines Bunkers oder die Temperaturen innerhalb eines Gebaumludes oder jener der Atmosphaumlre Und sie alle bringen ihre eigenen Methoden Sicht-weisen und Faumlhigkeiten mitGrundsaumltzlich so denke ich besteht die Arbeit der Denkmalpfleger in der Selektion Sie waumlhlen einen Gegenstand aus eine alte Ufermauer oder

Diese und naumlchste Seite Ethics of Dust Installation 2016 im Yerba Buena Center for the Arts in San Fransico Fotos Jorge Otero-Pailos

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

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diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

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Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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LUXUS IM NEBEL

Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 14: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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Der Architekt Kuumlnstler und Theoretiker Jorge Otero-Pailos wurde 1971 in Ma-drid geboren und lehrt heute an der Columbia University in New York Historic Preservation Seine Arbeiten sind unter anderem schon im Victoria amp Albert Museum in London und im Maison de Famille Louis Vuitton in Paris zu sehen

wwwarchcolumbiaeduwwwoteropailoscom

diskutiert Wenn wir uns uumlber Kulturobjekte streiten dann streiten wir daruumlber was diese Objekte in der Zukunft bedeuten koumlnnen Wir streiten nicht uumlber die Vergangen-heit wir streiten uumlber die Zukunft Wir koumlnnen nicht die Vergangenheit wir koumlnnen nur die Zukunft veraumlndern

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

wwwlars-mueller-publisherscom

Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 15: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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DENKMALPFLEGE ALS EXPERIMENT ZWEI BUumlCHER ZEIGEN DASS DENKMALPFLEGE MEHR IST ALS SANIERUNGSPRAXIS

VON LUISE RELLENSMANN UND JENS CASPER

Aumlltere Herren in Tweed-Sakkos die vehement fuumlr die Bewahrung von historischen Stadtbildern und gegen jede Art von Veraumlnderung eintreten sie sind vor allem im deutschsprachigen Raum das gaumlngige Bild eines Denkmalpflegers Die Methoden und Werte der Denkmalpflege scheinen auf einer Reihe universell guumlltiger Strategien zu beruhen die vor mehr als 50 Jahren in der Charta von Venedig festgeschrieben wurden Allein die Begriffe bdquoDenkmalpflegeldquo und bdquoDenkmalschutzldquo implizieren dass Denkmale Objekte sind die es in ihrem Status schon immer gibt und um die man sich lediglich kuumlmmern muss indem man sie moumlglichst originalgetreu erhaumllt ndash fuumlr Experi-mente ist da kein Raum

Dass Denkmalpflege mehr ist als kunsthistorisch belegte Sanierungspraxis zeigen jetzt zwei bei Lars Muumlller Publishers erschienene Publikationen bdquoTabula Plena Forms of Urban Preservationldquo und bdquoExperimental Preservationldquo Waumlhrend sich das erste

Oben Palast des Zweifels 2005 Nachdenken uumlber eine alternative Zukunft Lars Rambergs Installation setzte 2005 der seit der Wiedervereinigung beinahe taumlglich gefuumlhrten Debatte uumlber die Zukunft des Palastes ein Denkmal Foto copy Lars Oslash Ramberg Unten Wiederaufbau des Neuen Museums von David Chipperfield Architects Foto copy Joumlrg von Bruchhausen

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

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Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 16: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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Buch mit der Denkmalpflege im staumldtebaulichen Kontext und Fragen nach Vermittlung und Lehre befasst verfolgt das zweite einen objektbezogenen Ansatz mit Fokus auf eine kuumlnstlerisch-kuratorische Debatte und Praxis Beide Buumlcher gehoumlren zusammen und ergaumlnzen sich gegenseitig Die vier Herausgeber und Autoren sind ausgebildete Architekten und Hochschullehrer in Architektur und Denkmalpflege an der Columbia University (GSAPP) und der Oslo School of Architecture and Design (AHO) Sie sind angetreten die Grenzen Methoden und Werte der Denkmalpflege unter dem Schlag-wort bdquoExperimental Preservationldquo neu zu beschreiben und auszuloten Im Rahmen einer langjaumlhrigen Kooperation haben der Spanier Jorge OteroshyPailos der Norweger Erik Langdalen die Schwedin Thordis Arrhenius und die Amerikanerin Bryony Roberts selbst gemeinsam eine Vielzahl von Denkmalpflege-Projekten abseits der uumlblichen Praxis initiiert und realisiert Diese Projekte sind auch Gegenstand der in den Buumlchern gefuumlhrten Diskussion

Ausgangspunkt fuumlr das urbanistisch gepraumlgte bdquoTabula Plenaldquo ist ein gemeinsames Entwurfsprojekt der GSAPP und AHO zum Regierungsviertel in Oslo Dieses war bei den Attentaten von Anders Breivik im Juli 2011 schwer beschaumldigt worden Es folgten Planungen die vorsahen einen wesentlichen Teil der beschaumldigten Gebaumlude abzureiszligen und damit mdash beabsichtigt oder nicht mdash einen Teil der Erinnerung an eines der bittersten Ereignisse der norwegischen Geschichte auszuloumlschen Anlass genug in den Entwurfsstudios Alternativkonzepte erarbeiten zu lassen Die Resultate aus den Studios nehmen dabei nur einen Bruchteil der Publikation ein Vielmehr versammelt bdquoTabula Plenaldquo zahlreiche Essays verschiedener Autoren sowie Interviews und Diskus-sionsrunden in denen neue Wege der staumldtebaulichen Denkmalpflege abgesteckt werden sollen Waumlhrend sich klassische Denkmalpflege-Publikationen oft auf das Dis-kutieren historischer Wiederaufbaubeispiele beschraumlnken werden hier fallstudienartig Arbeiten von Lina Bo Bardi Superstudio Yona Friedman oder OMA herangezogen um alternative staumldtebaulich-denkmalpflegerische Herangehensweisen zu skizzieren

Welche Botschaft aber steckt hinter dem Titel des Buches Tabula Plena bezeich-net buchstaumlblich die volle Tafel und ist damit ein Gegenmodell zur Tabula Rasa dem leeren staumldtebaulichen Feld der Moderne Herausgeberin Bryony Roberts nutzt den Begriff um jene komplexen staumldtebaulichen Situationen zu beschreiben fuumlr die weder die moderne Gedankenwelt noch die organisierte Denkmalpflege mit ihrer ex-pertengesteuerten Planungspraxis adaumlquate Methoden zur Verfuumlgung gestellt haben

Sie vergleicht die volle Tafel mit der Momentaufnahme eines Spieltischs waumlhrend einer Partie auf dem die Spielsteine von vergangenen Aktionen und Spielstrategien zeugen oder auf dem Objekte zur Neuanordnung auffordern Eine schon laumlngst sich entwickelnde Situation also in die man jederzeit einsteigen kann (und muss) ohne zunaumlchst wieder alles auf Null zu stellen oder in einen vermeintlichen Originalzustand zuruumlckzuversetzen

Hier knuumlpft auch die Idee der Experimentellen Denkmalpflege an die die alleinige Deutungshoheit der regulaumlren Denkmalpflege uumlber das was als kulturell bedeutsam gilt hinterfragt Im Mittelpunkt des knapp 200 Seiten starken Buches bdquoExperimental Preservationldquo stehen eine Reihe von anregenden und gut zu lesenden Diskussions-runden die die Herausgeber 2014 und 2015 mit Kuumlnstlern Kuratoren und Architek-ten gefuumlhrt haben Mit dabei waren etwa der Athener Architekt und Installationskuumlnst-ler Andreas Angelidakis der Fotografie-Restaurator Simon Fleury vom Victoria amp Albert Museum in London die bosnische Kuumlnstlerin Azra Aksamija oder Architekt Tobias Houmlnig vom Berliner Buumlro Brandlhuber+ Sie sind die experimentellen Denk-malpfleger die ihre eigenen Projekte Methoden und Ambitionen in die Diskussion ein-bringen und die berichten wie und warum sie Objekte oder Dinge als erhaltenswert auswaumlhlen die im traditionellen Rahmen kaum Aufmerksamkeit bekommen wuumlrden Ihre tendenziell subjektive Auswahl behauptet dabei nicht fuumlr eine offizielle Kultur zu stehen ihnen geht es bei ihren Projekten eher um eine gesellschaftlich-kulturelle Reaktion

Das Buch wird von drei Essays der Herausgeber strukturiert in denen der Stand der Diskussion zusammengefasst wird Geeicht wird letztere an der Sammlung architekto-nischer und kuumlnstlerischer Arbeiten der Gespraumlchsteilnehmer Deren experimenteller Charakter ist nicht immer nachvollziehbar Alexander Schwarz stellt die Projekte von Chipperfield Architects fuumlr das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel und fuumlr die Neue Nationalgalerie vor ndash Arbeiten also die auf Grundlage klassischer denkmal-pflegerischer Grundsaumltze und in engster Zusammenarbeit mit der institutionalisierten Denkmalpflege erarbeitet wurden oder werden

Anschaulicher sind etwa Edward Snowdens zerstoumlrter Laptop der als zeit-geschichtlich bedeutsames Objekt in die Sammlung des Victoria amp Albert Museum aufgenommen wurde oder Arno Brandlhubers Antivilla die eben auch die kulturelle

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

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Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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LUXUS IM NEBEL

Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

Page 17: MONUMENTE DER E T-media.baunetz.de/baunetzwoche/get-pdf.php?pdf=/dl/...20. Oktober 2016 469 VERSCHMUTZUNG monie MONUMENTE DER E T-JORGE OTERO-PAILOS UND DIE EXPERIMENTELLE DENKMALPFLEGE

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Experimental PreservationJorge Otero-Pailos Erik Fenstad Langdalen ThordisArrhenius (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016192 Seiten Englisch30 Euro

Tabula Plena Forms of Urban PreservationBryony Roberts (Hrsg)Lars Muumlller Publishers 2016256 Seiten Englisch40 Euro

wwwlars-mueller-publisherscom

Bedeutung von Raumtemperaturkonzepten hinterfragt Zu den spannenden Beispielen zaumlhlt auszligerdem die Arbeit des tuumlrkischen Kuumlnstlers Tayfun Serttaş der in seiner Instal-lation bdquoCemetery of Architectsldquo auf den nationalistisch motivierten Abriss von Bauten westlicher Urheber im Istanbuler Stadtviertel Beyoğlu aufmerksam macht

Dass Deutschland der Tuumlrkei im Umgang mit einer unangenehmen Vergangenheit kaum nachsteht zeigte Lars Rambergs Installation bdquoZweifelldquo an der Dachkante des Palastes der Republik mit der der Norweger einen Diskurs um verloren gegangene und zukuumlnftige Identitaumlten anstoszligen wollte Dies geschah allerdings durchaus im Sinne der etablierten Denkmalpflege die sich mit ihrem Wunsch nach einer Unter-schutzstellung des Gebaumludes allerdings nicht durchsetzen konnte Bis Ende 2008 war der Palast verschwunden heute steht dort ein neues Schloss

bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo sind ein Blick in die Zukunft der Denk-malpflege Sie beschreiben eine kritische kreative Praxis die kuumlnstlerisch radikal und provokant sein kann die kulturelles Erbe in einem immerwaumlhrenden transdisziplinaumlren

Verhandlungsprozess aktiv gestaltet und die in jedem Falle schoumlpferisch ist Die in bdquoExperimental Preservationldquo versammelten Projekte sind Beispiele fuumlr eine Bewahrung auszligerhalb der Institutionen Der Titel mag implizieren dass es sich dabei nicht um bdquorichtigeldquo Denkmalpflege handelt Dabei gibt es auf internationaler Ebene schon lange lesenswerte Denkmalpflege-Manifeste die explizit die Beteiligung Aneignung und Weitergabe von kulturellem Erbe durch jedermann einfordern Dazu zaumlhlen die Aus-tralische Charta von Burra von 1979 oder die von Deutschland nicht ratifizierte Faro Convention die Rahmenkonvention uumlber den Wert des Kulturerbes fuumlr die Gesell-schaft des Europarates von 2005

Gut es gibt sie wirklich die aumllteren Herren in Tweedsakkos Aber nicht nur Denk-malpflege ist aufregend und bdquoTabula Plenaldquo und bdquoExperimental Preservationldquo liefern neuen Stoff fuumlr die Auseinandersetzung mit ihr

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LUXUS IM NEBEL

Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

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Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect

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Noch Immobilienpoesie oder schon Kunst Was nach einer Arbeit von Philippe Rahm aussieht ist tatsaumlchlich der Entwurf eines Penthouse-Badezimmers von Bruumlckner Archi-tekten Der Ort der zugehoumlrigen Luxus-Wohnung ist mit der fast fertiggestellten Elbphilharmonie spektakulaumlr und auch die Umsetzung verspricht Wunder Von Lasern und modernster 3D-Technologie bis hin zu Robotern kommt alles zum Einsatz was den Planungs- und Bauprozess bdquorevolutionieren und optimierenldquo kann Und der sanfte Schleier uumlber dem Waschbecken Wahrscheinlich etwas Nebel der ja zu dieser Jahrszeit schon mal uumlber der Elbe wabert Kein Wunder dass das Projekt morgen in Muumlnchen vorgestellt wird sb Bild Schotten Hansen Bruumlckner Architekten Rendeffect