musikalische begabung und ihre diagnostik - testzentrale.de · l melody discrimination test ......
TRANSCRIPT
D a n i e l M ü l l e n s i e f e n
G o l d s m i t h s , U n i v e r s i t y o f L o n d o n
H o c h s c h u l e f ü r M u s i k , T h e a t e r u n d M e d i e n , H a n n o v e r
Musikalische Begabung und ihre Diagnostik
Wie erkennt und testet man musikalische Begabung?
1. Screening von musikalischen begabten Kindern in einer Schulklasse
2. Musikalitätstest mit Top 5% der Klasse => Hoher Testwert ó musikalische Begabung
1. Screening musikalischer Begabung (MHBT, Heller & Perleth, 2003)
Einteilen der Schüler in Top5, Top10, >Top10 anhand neun musikalischer Fähigkeiten
2. Musikalitätstest
Nach Altersstufe: 5-8 Jahre: Primary Measures of Musical Audiation (Gordon, 1979): Unterscheidung von 40 Melodie- und Rhythmuspaaren; Testdauer: 25min 10-18 Jahre: Musical Aptitude Profile (Gordon, 1965, 1995), 7 subtests zu tonalen und rhythmischen Fähigkeiten sowie musikalischer Sensibilität; Unterscheidungs- und Präferenzaufgaben. Testdauer: 3,5 Stunden
Auswertung Testwerte anhand von Altersnormen
Probleme, Probleme, Probleme
Probleme: Screening Checkliste
� Merkmale durch Lehrer oft nicht einschätzbar
� Sehr grobe Einschätzungskala, relativ zur Klasse
� Kein zugrundeliegendes
Konzept von Musikalität
Probleme: Musikalitätstest (Gordon)
� Ganzheitleiches Musikalitätskonzept (Audiation), aber reduktionistische Testaufgaben und Stimuli
� Fokus auf isolierte
Fähigkeiten relevant für westliche Kunstmusik
� Validität, Reliabilität
zweifelhaft � Kein testbares Modell von
musikalischer Begabung
Probleme traditioneller Ansatz
� Testen von
Kompetenzen, aber Rückschluss auf Begabung
� Musikrelevante Vorerfahrung und Aktivitäten werden nicht berücksichtigt
Hochbegabungsmodell (Heller & Perleth, 2007, 2017)
Grundsätzliche Fragen
Begabung wozu? - Musik (nach)spielen - Komponieren - Arrangieren/Produzieren - Auswählen - Bewerten/(Be-)Schreiben - Unterrichten Begabungsmessung - Wozu? - Selektion für Musikunterrricht – Jeki? - Verlust wichtiger kultureller Beiträge für die Gesellschaft –
Übersättigung des Musikmarktes?
Warum beschäftigt man sich mit der Messung von Musikalität?
Dauer klassischer Instrumentalunterricht = Indikator für Musikalität?
Bedeutsame musikalische Unterschiede zwischen Nicht-Musikern
Viele Facetten musikalischer Expertise und Fähigkeiten
Verbindung von Selbstauskunftsfragebogen und ‘objektiver’ Testbatterie
Definition Musical Sophistication (Musikalische Erfahrenheit)
� Musical Sophistication (Müllensiefen et al., 2014): ¡ Psychometrisches Konstruct, das musikalische Fertigkeiten,
Expertise und Leistungen in unterschiedlichen Facetten erfasst und auf verschiedenen Skalen messbar macht.
� Annahmen: ¡ Facetten musikalischer Erfahrenheit können sich durch aktiven
Umgang mit Musik verschiedenster Arten entwickeln. ¡ Individuen unterscheiden sich im Niveau musikalischer
Erfahrenheit auf unterschiedlichen Facetten. ¡ Hohes Niveau von musikalischer Erfahrenheit ist
gekennzeichnet durch ÷ Häufigkeit, mit denen musikalische Fertigkeit ausgeübt wird ÷ Größere Leichtigkeit, Genauigkeit oder Effekt bei der Ausübung ÷ Größeres und differenzierteres Repertoire an musikalischen
Verhaltensmustern bei der Ausübung
Der BBC How Musical Are You? Test (2011)
Der BBC How Musical Are You? Test
� Implementiert von BBC Lab UK und durch das BBC
Netzwerk 2011 verbreitet � 148,037 Teilnehmer � Dauer: ~25 Minuten � Fragebogen zu musikalischem Hintergrund, Verhalten
und Fähigkeiten � Vier ‘objektive’ Wahrnehmungs- und Produktionstests � Sozio-demographische Daten und Postleitzahlen � Referenzierung zum 2011 Annual Survey of Earnings
(National Office of Statistics and Ordnance Survey)
Struktur des Gold-MSI Selbstauskunftsfragebogens: 5 Subskalen + 1 allgemeiner Faktor
Aktiver Umgang
Wahrnehmungs- fähigkeiten
Musikalisches Training
Gesangs- fähigkeiten
Emotionen
Allgemeine Musikalische Erfahrenheit
Die Gold-MSI Hörtests
l Melody discrimination test (http://concerto4tests.gold-msi.org/?wid=9&tid=12) l Beat Perception test (http://concerto4tests.gold-msi.org/?wid=2&tid=9) l Sound Similarity: l (Beat tapping test) l (Singing intonation perception test) l (Musical emotion recognition test) l (Singing production test) l (Musical imagery test) l (Stylistic learning test) l (Writing about music test) l (Rhythm tests) l …
Prinzipien der Testkonstruktion
¡ Testen ‘höherer’ musikalischer Fertigkeiten, die relevant für echte musikalische Umgangsweisen sind ¡ Kein formales musikalisches Wissen vorausgesetzt ¡ Stilistisch offen ¡ Verwendung echter Musik, wo möglich ¡ Objektiv und automatisch auswertbar (‘besser vs. schlechter’) ¡ Testergebnisse über Altersgruppen vergleichbar ¡ Kurz und auf individuelles Niveau adaptierend (item response theory, automatic item generation)
Kartierung musikalischer Erfahrenheit
Korrelationen mit dem Einkommen
Musical Training ~ Annual Income (r = .31)
Active Engagement ~ Annual Income (r = .01)
Individuelle Differenzen musikalischer Erfahrenheit sind messbar und korrelieren
mit wichtigen sozio-demographischen Variablen
Ergebnis BBC-Studie
Aber wo kommen musikalische Fähigkeiten eigentlich her?
=> Keine publizierten Studien zur muskalischen Entwicklung im
Jugendalter
Geplante Langzeitstudie
� Messung der Entwicklung musikalischer Fähigkeiten, Intelligenz und sozialer Kompetenzen in Längsschnittstudie über 7 Jahre hinweg => Wie entwickeln sich musikalische Fähigkeiten?
=> Wer wird ernsthaft Musik machen? (und wer wird wieder aufhören?)
=> Kann man Folgeeffekte von musikalischer Betätigung auf Intelligenz, soziale Fähigkeiten und Schulleistungen feststellen? (Vergleich mit Sport und anderen Freizeitaktivitäten)
Langzeitstudie
� Tests in weiterführenden Schulen in UK und D � Online-Tests in Computerklassen unter
Anleitung � Umfassende Testbatterie (Gold-MSI + weitere
Tests)
Langzeitstudie: Erhebungswelle 1 (Müllensiefen et al., 2015)
� Queen Anne’s school, Reading � 312 Mädchen, 10 bis 18 Jahre � Dauer: ~ 60 Minuten � Fokus auf Selbstkonzepten für
Intelligenz und Musikalität � Ziele:
¡ Proof-of-concept ¡ Identifizierung von Zusammenhängen der
verschiedenen Fähigkeiten
Verwendete Tests
Cognitive: � Non-verbal Intelligence
Musical Listening: � Melodic Memory � Beat Perception � Sound Similarity � Musical Preferences
Musical background (self-report): � Goldsmiths Musical
Sophistication Index � Concurrent musical activities
Self-theories and self-concept: � Social self-concept � Academic self-concept � Theory of Intelligence � Theory of Musicality Personality: � Big 5 inventory (TIPI) � Social Desirability Scale Academic performance: � Academic achievement (5 subject
categories) � Academic effort Parents: � Musical home questionnaire
Analyse: Netzwerkmodel partieller Korrelationen mit dem PC-Algorithmus (Spirtes et al., 2000)
1, Age; 2, Intelligence; 3, Melodic Memory; 4, Beat Perception; 5, Sound Similarity Perception; 6, Concurrent Musical Activities; 7, Musical Training; 8, Musical Goals; 9, Theory of Musicality; 10, Academic Goals; 11, Theory of Intelligence; 12, Extraversion; 13, Agreeableness; 14, Conscientiousness; 15, Emotional Stability; 16, Openness; 17, Academic Achievement; 18, Academic Self-Concept; 19, Social Self-Concept.
Wichtigste Ergebnisse
� Intelligenz mit musikalischen Fähigkeiten verbunden
� Intelligenz mit Schulleistung verbunden
� Kette von musikalischen Fähigkeiten über Selbstkonzepte zu Gewissenhaftigkeit und Schulleistung
1, Age; 2, Intelligence; 3, Melodic Memory; 4, Beat Perception; 5, Sound Similarity Perception; 6, Concurrent Musical Activities; 7, Musical Training; 8, Musical Goals; 9, Theory of Musicality; 10, Academic Goals; 11, Theory of Intelligence; 12, Extraversion; 13, Agreeableness; 14, Conscientiousness; 15, Emotional Stability; 16, Openness; 17, Academic Achievement; 18, Academic Self-Concept; 19, Social Self-Concept.
Nächste Schritte
• Start der Langzeitstudie in D 2017 • Anschluss weiterer Schulen • Vergleich musikalischer Aktivität mit Sport und
Theateraktivitäten
Diagnostik musikalischer Begabung aus der Perspektive des Gold-MSI
Ansatz zur Begabungsdiagnostik
Musikalische Begabung ~ Effiziente Umsetzung von musikalischem Input in musikalische Leistungen
=> Ein musikalisch Begabter erzielt bei selbem Input (Stunden Musikunterricht, autodiaktisches Lernen, konzentriertes Hören etc.) bessere musikalische Leistungen
Leistung = Begabung + Training + Begabung x Training
Voraussetzung: Musikalisches Training und Leistung sind zusammen messbar
Identifizierung von Begabung (1): Erfahrungsabhängige Testnormen
� Erstellen musikalischer Testnormen in Abhängigkeit von Alter und relevanter Vorerfahrung (musikalisches Training, aktiver Umgang)
� Begabung = Leistung – Training
Musikalisches Training M
usik
alis
che
Leis
tung
Abweichung ~ Begabung
Identifizierung von Begabung (2): Musikalische Wachstumskurven
� Schätzen musikalischer Wachstumskoeffizienten anhand Langzeitdaten
� Begabung = Δ Leistung / Δ Training
Musikalisches Training
Mus
ikal
isch
e Le
istu
ng
Identifizierung von Begabung (3): Lernen neuer musikalischer Strukturen im Labor
� Effizienz beim Lernen
artifizieller Musikgrammatik
� Effizienz beim Lernen
Vogelgesänge zu unterscheiden
� Begabung = Δ Unterscheidungsleistung / # Trainingsbeispiele
Identifizierung von Begabung (4): Random effects parameter in mixed effects model
Voraussetzung wiederholte Leistungsmessung: � Daten aus Langzeitstudie � Daten aus Lernexperiment
Leistungi,j = β0 + β1(Trainingi,j) + (b0i + b1i(Trainingi,j) + εi,j) � i = Personen � j = Trainingseinheiten � b0i = random intercept effect (i.e. wie stark unterschieden sich Personen zu
Beginn) � b1i = random slope effect (i.e. wie stark unterscheiden sich
Entwicklungsverläufe) � Möglich: Cov(b0i , b1i) Begabung = b0i und b1i , d.h. Abweichungen vom mittleren Leistungs-niveau und mittlerem Trainingseffekt
�
Gibt’s einen Haken?
� Messfehler bei Leistungstests und Selbstauskunftsfragebögen,
besonders in Extrembereichen
� Für musikalische Hochbegabung und Höchstleistungen gelten u.U. andere Gesetze als für individuelle Differenzen im Normalbereich
� Zusammenhang zw. Leistung und Training könnte für verschiedene musikalische Fähigkeiten unterschiedlich sein (Begabung wozu?)
⇒ Musikalität vielleicht kein einheitliches Konzept?
Begabungsmessung - Wozu?
Individuum Beschäftigung mit Domaine ermöglichen, in der
Fähigkeiten kreativ angewandt und beständig weiterentwickelt werden können
D a n i e l M ü l l e n s i e f e n
G o l d s m i t h s , U n i v e r s i t y o f L o n d o n
H o c h s c h u l e f ü r M u s i k , T h e a t e r u n d M e d i e n , H a n n o v e r
Musikalische Begabung und ihre Diagnostik