neurologische frührehabilitation und teilhabe von...
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Neurologische Frührehabilitation und Teilhabe
von Komapatienten
apl. Prof. Andreas Ziegerwww.a-zieger.de
Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik
Ambulatorium für ReHabilitation
CvO Universität Oldenburg
Pflege- & Wundkongress 2015 Bremen
Sektion: Bewegen „An der Abbruchkante des Lebens“ , 7. Mai 2015, 16-18 Uhr
Übersicht
1. Lebendigkeit, Beziehung und bewusstes Sein
2. Koma und Wachkoma - innere Bewegungen und Entwicklung
3. Frührehabilitation - Bewegung und Partizipation von Anfang!
4. Teilhabe als Gebot und übergreifende gemeinschaftliche Bewegung
1. Lebendigkeit, Beziehung und bewusstes Sein„Wir haben ein intuitives Gespür für Lebendigkeit …Lebendig ist, wer in Beziehung zu anderen
Menschen steht und sich berühren lässt …Weil wir nämlich selber lebendig sind und diese
Sorge um die eigene Verletzlichkeit [mit anderen] teilen…
Das Lebendige ist das, was ein Interesse an sich selbst hat, das um sich besorgt ist und dementsprechend reagiert [sich emotional bewegt – Ausdruckszeichen sozialerBeziehungen].“Andreas Weber, in: Die ZEIT Nr. 14., 1. April 2015, 29/30
Alva Noë (2010): Du bist nicht dein Gehirn.Eine radikale Philosophie des Bewusstseins
[--- Kritische Neurowissenschaft ---]
„Das Gehirn hat meiner Meinung nach die Aufgabe, ein dynamisches Interaktionsmuster zwischenGehirn, Körper und Welt zu ermöglichen…
Für das Bewusstsein ist nicht die neuronale Aktivitätan sich von Belang, sondern die neuronale Aktivitätim Kontext eines Lebewesens, das Teil seiner
Umwelt ist und mit ihr interagiert …” (S. 65)
„Bewusstsein ist keine Eigenschaft neuronaler Zustände, sondern das Wechselspiel zwischen Gehirn, Körper und Welt.“ (GuG 10/2014, 47)
„Die Frage nach dem Geist [Bewusstsein] ist die Frage nach dem Leben … (S. 58/59)
• Die Biologie rückt das Lebewesen ins Blickfeld …wo sich Leben entdecken lässt, können wir auch einen Geist ausmachen…
• Sobald wir den Organismus [mit seiner Umwelt] als Einheit betrachten, …gestehen [wir] ihm ein zumindest rudimentäres Bewusstsein zu …
Ob ein Wachkoma-Patient ein Erleben hat, ist u.a. deshalb so schwer einzuschätzen, weil sein Leben gänzlich unterbrochen wurde;gewissermaßen steht für uns sein Lebens selbst infrage...“ (S. 63/64)
„Worum es wirklich geht, ist, wie sich unsere Beziehung zum anderen gestalten sollte ...
Die Liebe und Bindung, die für einen anderen empfunden wird, ist nicht mit einer Kosten-Nutzen-Analyse vereinbar, die für lebensbeendende Maßnahmen sprechen würde wie Stecker oder Nahrungssonde ziehen.“ (S. 50-52)
• Was auf dem Spiel steht, sind der menschliche Anstand und damit letztlich die Menschlichkeit selbst.“ (S. 52)
2. Koma und Wachkoma – [innere] Bewegungen und Entwicklung
„Solange ein Mensch lebt,[- im Koma und Wachkoma -]
ist er mit Wahrnehmungen, innerer Aufmerksamkeit,
emotionalen Bewertungen und [inneren] Bewegungen
mit der Umwelt verbunden.“(Zieger 2015, modifiziert nach Jantzen 1987)
Dimensionen des lebendigen SeinsLaureys et al 2010, Coma Science Group, Lüttich/Liege
Grad der „Wachheit“
Inhalt: Gewahrsein subj. Erleben
Wachkoma-Vollbild
Wachbewusst mit mäßigen bis schweren Beeinträchtigungen
Koma
Wachbewusst mit leichten Beeinträchtigungen
Minimal responsiver / bewusster Zustand Übergang aus frühen Übergangs- und
Remissionsstufen
Zeit
R
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Ausdrucksformen der Vitalität – Arousal System
Hirntod
Remission aus dem Koma/Wachkoma
Hirntodsyndrom: Irreversibel!
Koma (ca. 3 Wo) (Intensivstation)
Wachkoma-Vollbild (AS/ VS/SRW)
Remissionsstadien I-IIMinimales Antwortverhalten (SMB)
Remissionsstadium III-IVConfusional State (HOPS)
Remissionsstadium VErholt, Integration
Akut-medizin
Früh-Reha
Heilung, Besserung, Behinderung, Pflegefall, Teilhabe?
vegetativ
emotional
kognitiv
Gerstenbrand 1967
Koma als Schutzreaktion/Dissoziation
StressTrauma
Schutzreaktion
Autonomes Körperselbst Zentralisation
Geburt
Der Wachkoma-Patient aus beziehungsmedizinischer Perspektive
„Traumatisiert an Leib und Seele“ (Subjekt)
• Antwort auf ein schweresschädigendes Ereignis („Stresstrauma“)
• Zurücknahme auf das autonome Körper-selbst/Schutzhaltung (als Seinsweise)
• Angewiesen auf andere („soziales Gehirn“)
• Spastische Haltung/Selbstaktualisierungen verkörpern das Trauma („Körpersemantik“)
Autonomes Körperselbst -Basale Selbstregulationseinheit (Lurija 1970)
Angeborene Funktionelle Hirnsysteme (Anochin 1978)
IMF Hirnstamm, Pons, Mittelhirn
Zentrales Höhlengrau
Vegetative Kerne
Zwischenhirn…………………...
EMS BasalesVorderhirn
Mandelkern
Ventrales StriatumNcl. accumbens
Schmerzkortex
IMF
EMS
Trevarthen & Aitken 2001
Ausdrucksformen der Vitalität im Wachkoma – Basis-Emotionen
Vitale Grundrhythmen und PulsationenEinatmen
Systole
Anspannen
Schlafen
Stoffaufnahme
Hunger
Lust
Ausatmen
Diastole
Entspannen
Wachen
Stoffabgabe
Sättigung
Unlust
Vegetative Zeitgestalten und „Intelligenz“
Autonomes Körperselbst
Leiblich-vegetative „Intelligenz“
Vitale Grundrhythmen und Pulsationen
Wohlbefinden Unwohlsein
Differenzialsymptomatik „Körpersemantik“
Koma- keine Spontan-
atmung
- Augen bleiben geschlossen
- keine Reaktion auf Schmerzreize
- keine motorischen Reaktionen
Wachkoma„Reaktionslose
Wachheit“(Remission!)
- Spontanatmung
- Augen sind / werden geöffnet
- Schlaf-Wach-Rhythmus
- keine gerichtete, spontane Eigen-aktivität oder Kontaktaufnahme
MinimalbewussterZustand
(Remission!)
- Fixieren, Blick-folgen, Unmut
- Lächeln
- gerichtete Eigenaktivität Ja/Nein-Code
- Befolgen von Antworten
MCS „Minus“
MCS „Plus“
Verhaltensantworten/Symptome (spontan / ereigniskorreliert / auf Anforderung)
Innere („hidden behavior“)Veränderungen auf dem Monitor erkennbar oder techn.
Messbar: - Temperatur - Herzschlag, Herzraten-
varianz- Hautwiderstand (GSR)- Muskeltonus (EMG)- Hirnströme (EEG, cEEG,
SSEP, AEP, MEP, VEP; EKP, P300, M400)
- Aktivierung von Hirnzonen und Funktionellen Hirnsystemen (fMRT, PET, SPECT)
Äußere („overt behavior“)Veränderungen durch äußereBeobachtung erkenn-
/entschlüsselbar:
• Atmung, Herzfrequenz/Puls• Körpertonus: an-/entspannen • Hautfarbe, Schwitzen• Augenöffnen, Fixieren, Blickfolgen• Kauen, Schmatzen (Mund/Lippen)• Mimik: Unmut, Lächeln• Diffuse und gerichtete
Bewegungen: Kopf, Hand, Daumen, Beine etc.
• Stöhnen, Grunzen, Schreien• Lautieren, sprechen
Name: 2 x
wöchentlich
täglich
Skala Expressive Kommunikation und
Selbstaktualisierung (SEKS)*Handzeichen
Datum
Vegetative
Körpersignale
Tonische Körpersignale
Augen
Mimik
Eigenbewegungen
Gesten und Gebärden
Stimme und SpracheSumme (min. 0; max. 38)
Raterhinweis: Merkmal vorhanden = 1, sonst 0
*( vgl. Zieger, 1997; revidiert 1999, 2002; validiert 2002 Uni Greifswald)
Zieger 1997, rev.1999, 2002; validiert durch Engel, Uni Greifswald 2003
Befunde für innere Bewegungen
EMG
HF
Pat. EM, 17 J., GCS 5Time Sequence Plot von HF und EMG
Körperlich-autonome Synchronisation und Phasenkopplung
Erlernte! Reaktionen
Beziehungs-emotionen
Reaktionsstärke
Ereigniskorrelierte „mimische“ Reaktions-potentiale im frontalen EMG unter
dialogischer Intervention bei Pat. SF
Frontales EMG
k
Dialogische Intervention
„Blinzel, wenn Du mich hörst!“
A B AStandardreize
Standardreize
Verdecktes Verhalten, äußerlich nicht sichtbar, aber messbar!
„Beruhigende“ Wirkung von Angehörigenwährend Besuch EEG-Powerspektrum, KA 1997
L front
R front
GCS 5
Ereigniskorrelierte β-Aktivierung unter therapeutischer Intervention und Interaktion EEG-Powerspektrum (K.A. 1997)
L frontal
R frontal
Interventionsereignisse
1 2 3 GCS 7-8
Foto Eigener Name
Eigenes Gesichtim Spiegel
MarklMarkl et al 2013: Brain processing of pain in patients with et al 2013: Brain processing of pain in patients with unresponsive wakefulness syndrome. unresponsive wakefulness syndrome. Brain and Behavior. 3(2): 95-103
Schmerzverarbeitung im UWS– auch Erleben?
Aktivierung kortikaler Sinnesareale!Owen 2003
Vertraute Gesichter
Vertraute Stimmen
gesund Wachkoma
gesund Wachkoma
Bewusstheit/“Wille“ im Wachkoma?
Gesunde
Patientin
Sich vorstellen, Tennis zu spielen
Sich vorstellen, durch die eigene Wohnung zu gehen
PPC
Präcuneus
Owen et al 2006
PPC
Präcuneus
SMA
SMA
Residuales „affektives“ Bewusstsein!(Decety, Kotchoubey, Panksepp, Singer, Zieger)
44 UWS-Patienten (CRS-R, MRT)a. „Emotionales“ Experiment (Schmerzschreie):Antwort: 24 (54,5%) („Pain matrix“)partiell: 20voll: 4
b. „Kognitives“ Experiment (mentales Vorstellen):Antwort: 5 (11,4%)Partiell: 4Voll: 1
Yu et al 2013: Patients with UWS respond to the paincries of other people. Neurology 80,345-352
Frühmobilisation: Vertikalisierung, Sitzen .. aus: Ullrich et al 2010: Intensivpflege und Anästhesie, Thieme, S. 238/244
Warm-up der Beine
Stabiler Bettsitz
Transfer Sitzen im Stuhl
Verbessertes Weaning
Aufrichten im Standing:Kreislauf, Atmung, Belastbarkeit
Körperwahrnehmung Wachheit, Aufmerksamkeit
Sehen, Hören, Fühlen, Erleben
Frühmobilisation und Aufrichten im Rollstuhl:vordere Person: Zuwendung, Haltung, Körper- und Blickkontakt, Mimik, Ansprache, „Resonanz“hintere Person: Kopfhaltung, Stabilität, Körperwahrnehmung, „Rückhalt“
Intensivstation
Signifikante Wirkung von Vertikalisierung auf Arousal/Awareness
Elliott et al 2005
N = 125 VS
7 MCS
49 Jahre (19-71)
Wessex H
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Inju
ryM
atr
ix
TK-/Sekret-/Dysphagie-Management
Interdisziplinäres Konzept• Pflege, Ergotherapie, Logopädie
HNO (VESA), Anästhesie, Radiologie (Video-Fluoroskopie, Rö-Breischluck)
in Kombination mit FOT/F.O.T.T.-Konzept
• Hypersalivation/-sekretion (Robinul®, Botox®)
• Entblockung in Therapie (in Pflege)
• Atemleitung, Stimulation etc.
• Schlucktraining (adäquate Vigilanz, Position!)
und einem Dysphagie-Leitfaden.
„Komastimulation“ (1)
Allgemeine Erfahrungen:• Angereicherte Umgebung
mit sensorischer Regulation (Wood et al 1991)
• Emotionale Ansprache durch nahe Angehörige
• Basale Stimulation in der Pflege (Bienstein 1999)
• Körpernaher Dialogaufbau unter Einbeziehung von Angehörigen mit Aufbau von Ja/Nein-Codes(Zieger 1993, 2005)
• Umsetzung der Philosophie der „Körper-semantik im Wachkoma“ (Zieger 2009)
Körpernahe emotionale/dialogische „Attraktoren“
• Liebevoller Blick
• Lächeln
• Vertraute Stimme
• Atmen, Summen, Singen
• Liebevolle Berührungen, Handauflegen Halten, Streicheln, „Sprechende“ Hände
• „Frühe“ Körperhaltungen/Mitbewegungen:Atmen, Wiegen, Schaukeln, Umarmen Liebkosen Bedeutung von Angehörigen
Spezielle Verfahren:• Medikamentöse Stimulation: L-Dopa etc.• Elektrische Stimulation: N. Medianus,
Hinterstrangbahnen in Höhe C1/C2 etc.• Multisensorische/multimodale Stimulation
(Wahrnehmung und Reagibilität)• Anbahnung von Ja/Nein-Codes u.
Buzzertraining Zieger 2004, 2005
• Bedürfnisorientierte MusiktherapieBöseler 2012
• Tierbesuch Janssen & Zieger 2007
„Komastimulation“ (2)
Körpersemantik im leibnahen Dialog
„Sich öffnen“• Einatmen
• Augen öffnen
• Mund öffnen
• Lippen bewegen
• Körper entspannen
• Erröten, Lächeln
• Kopf hinwenden
„Sich schließen“• Ausatmen
• Augen schließen
• Mund schließen
• Lippen schmal machen
• Körper anspannen
• Erblassen, Unmut
• Kopf abwenden
Erfahrungen von Lebendigsein/essenzieller Lebenswille!
Weitung Engung
„Offenes“ Verhalten - von außen beobachtbar
aus: Haynes 2009
Aufdeckung von kohärenter emotionaler/ mentaler Aktivität = Rudimentäres Bewusstsein, Wille, „essenzielle Autonomie“, Selbstaktualisierung
Terry Schiavo 2005 /USA
Partizipation/Teilhabe von Anfang an!
SozialraumArbeit, Beruf
Patient im BettRollstuhl
Haus
Stationsflur
Zimmer
Station
Garten
Straße
Stadtbesuch
Spaziergang
Terrasse
Gruppenaktivitäten Spiele, Rekreation
Tierbesuch
Cafeteria
Belastungserprobung/Probewohnen
Nachsorge
SozialraumAusbildung Schule
Sozialraum
Familie/WohnenAmb Betreute Wohn-gemeinschaft / 24 Std-Intensivpflege
SozialraumGemeinde/ GesellschaftPflegeheim
Frühstücksraum
Therapeutischer Haus-/Schul-Arbeitsplatzbesuch
Einkaufen, Marktbesuch
!Angehörigenbesuche!
Krankenhausgelände
Rooming-in, bed-sharing
ProbeweiserSchulbesuch
ArbeitserprobgStufw WEingldWfmB
Wie ist das mit dem 3- bzw. 12-Monats-Zeitkriterium?
Estraneo et al.; Neurology; 2010
Patienten, die für mind. 6 Monate
im Wachkoma waren:
Hypoxie-Patienten:
• 20% wieder gut kontaktfähig!
SHT-Patienten:
• 40% wieder gut kontaktfähig!
Dauer bis Kontaktfähigkeit: • 33% 1-2 (-4 Jahre)! modifiziert nach Bender DÄB
14/2015
Estraneo et al 2010:
• N = 13 späte „Wiedererwacher“ (= MCS/SMB)
• 6/13 (ca. 50%°!) erreichten wieder volles Bewusstsein mit funktionellem Objektgebrauch und funktioneller Kommunikation
Welches Behandlungsergebnis ist realistisch nach spätem Wiedererwachen?
nach Bender DÄB 14/2015
Ergebnisse Langzeitzustand der „Wiedererwacher“
• Der höchste FIM-Wert betrug 65/128 Punkten (50% Selbständigkeit)
• Keiner der Patienten war komplett selbständig!
%Verbale Kommunikation
31%
Orale Kost 31%
Ohne TK 46%
Alle o.g. zusammen
17%
Estraneo et al 2014
nach Bender 14/2015
Paradigmawandel?
Prognosis for functional recovery early after injuryis surprisingly positive.
Recovery proceeds for longer intervals thanpreviously appreciated.
Evolving understanding of DOC call forreconsideration of appropriate models for care.
Models of care from the USA and Europe thatattempt to address the needs of patients as well as their caregivers ...
APMR 2013;94:1851-4