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Newsletter der Mustafa Barzani Arbeitsstelle für kurdische Studien Redaktion: Turina Schilling Ausgabe Nr. 1 07/2015 Buchbesprechungen Seyder, Richter, Lölkes Tagungsbericht Turina Schilling Promotionsvorhaben Fabian Richter Gäste der Arbeitsstelle

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Newsletterder Mustafa Barzani Arbeitsstelle für kurdische Studien

Redaktion: Turina Schilling

Ausgabe Nr. 1 07/2015

BuchbesprechungenSeyder, Richter, Lölkes

TagungsberichtTurina Schilling

PromotionsvorhabenFabian Richter

Gäste der Arbeitsstelle

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Newsletter derMustafa Barzani Arbeitsstelle für kurdische Studien

Newsletter Nr. 1

Design und Redaktion Turina Schilling

©2015 by the University of Erfurt

Nordhäuser Straße 6399089 ErfurtGermany

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Inhaltsverzeichnis

EditorialProf. Dr. Ferhad Seyder

BuchbesprechungenProf. Dr. Ferhad Seyder zu Bahithin: The Question of Syria’s Kurds: Reality- History – MythologisationFabian Richter, M.A. zu Flach, Ayboga, Knapp: Revolution in Rojava. Frauenbewegung und Kommunalismus zwischen Krieg und EmbargoJulian Lölkes zu Schmidinger: Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan. Analysen und Stimmen aus Rojava.

Tagungsbericht „Kurdische Studien als Lehrfach“Turina Schilling

PromotionsvorhabenFabian Richter, M.A.Avraz Hussein Tayib Alduski

Gäste der Arbeiststelle Sommersemester 2015

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Editorial

Prof. Dr. Ferhad Seyder

Wir geben fast vier Jahre nach der Gründung der Mustafa Barzani Arbeitsstelle für Kurdi-sche Studien die erste Nummer unseres Newesletter heraus. Die Phase der Gründung und der Festlegung der Schwerpunkte in der Forschung, die angesichts der intensiven Lehre und des Fehlen von Forschungssemestern stiefmütterlich behandelt wurde, kann als ab-geschlossen angesehen werden.

Der Schwerpunkt der Forschung wurde auf die politisch-institutionelle Perspektive der Kurden und der Region des Vorderen Orient festgelegt. Auch die Mehrzahl unserer Dok-toranden forschen in dieser Richtung. Die Lehre an der Arbeitsstelle hat das Spektrum der Themen erweitert. Nach den gewonnen Erkenntnissen bei unserer ersten internationalen Tagung unter dem Titel „Kurdische Studien als Lehrfach“ sind wir der Meinung, dass das Thema Kurden nur im Kontext größerer Fragestellungen sinnvoll ist. Dabei wurde unter anderem berücksichtigt, dass Sozialwissenschaftler sich in den ersten Studiumsstufe nicht sehr spezialisieren sollten.

In der vorliegenden Nummer haben wir die Ergebnisse der Tagung ausführlich dargestellt. Außerdem finden Sie zwei Exposé über die Themen der aktuellen Promotionsvorhaben.

Die Arbeitsstelle hat in den letzten Jahren viele Gäste zu Vorträgen beziehungsweise zu Forschungsaufenthalten eingeladen. In dieser Nummer stellen wir zwei dieser Gäste vor. In den kommenden Monaten wird die Arbeitsstelle weitere Gäste empfangen, die in Erfurt ihre Forschungsarbeiten fortsetzen. Wir streben danach nach den kriegerischen Ereignis-sen im Vorderen Orient einige Kooperationsvereinbrungen mit den dortigen Universitä-ten (im Irak und in der Türkei) zu schließen.

In dieser Nummer präsentieren wir einige neuere Publikationen zu den Konflikten im Vor-deren Orient. Im Fokus steht die Entwicklung im Kurdengebiet Syriens (Rojava). Wir wer-den in jeder Nummer neuere Literatur zu einem Schwerpunkt in Form von Buchbespre-chungen zu präsentieren. In dieser Nummer haben auch unsere studentischen Hilfskräfte Frau Turina Schilling und Herr Julian Lölkes inhaltlich mitgewirkt, außerdem übernahm Frau Schilling die Redaktion des Newsletters.

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Buchbesprechung: Mas’alat akrad suriy. al-waqi‘ al-tarikh al-ustura. Fariq bahithin. The Question of Syria’s Kurds: Reality- History – Mythologisation. A Team of Researchers. Arab Center for Research & Policy Studies. Doha 2013, 191 S. ISBN: 978-9953-0-2541-4

Diese Studie ist beim renomierten Arab Center for Re-search & Policy Center in Doha-Katar erschienen. Seit seiner Gründung wird das Center vom palästinensi-schen Sozialwissenschaftler Azmi Bashara geleitet. Bas-hara war Professor an der Universität Beerzeit (Bir Zait), Mitbegründer der nationaldemokratischen Versamm-lung und saß ab 1996 in der Knesset als Vertreter seiner Partei. Im Jahre 2007 hat er Israel verlassen als Signale deutlich wurden, dass er wegen der „Spionage“ für die libanesisch-schiitische Partei Hisbollah in Haft genom-men werden könnte. Er zog nach Katar, wo er seit 2007 lebt.Bashara ist, auch wenn er lange Mitglied der Kommu-nistischen Partei Israel war, ein bekennender arabischer Nationalist.

Er hat auch die Arbeiten zur vorliegenden Schrift im Zu-sammenhang mit dem Syrer Muhammad Jamal Barut,

ebenfalls ein bekennender arabischer Nationalist, geleitet. Die Autoren gehen gleich in der Einleitung zu ihrem Buch davon aus, dass der Prozess der Integration in den arabischen Städte „natürlich“ verlief und erst nach der Unabhängigkeit der arabischen Staaten gingen die Herrschenden dazu über, ideologische Instrumente zur Integration einzusetzen. Wo diese Instrumente versagten, hat man die Gewalt als Mittel der Erzeugung einer einheitlichen Identität eingesetzt. Da das Kurdenproblem im Verlauf des Arabischen Frühling eine deutliche Relevanz erlangt habe, sollte diese Studie die his-torischen und politischen Dimensionen dieser Frage behandeln.Der syrische Sozialwissenschaftler Barut schreibt einen historischen Umriss über die Kur-den in Syrien. Barut geht in seinem historischen Teil davon aus, dass das Kurdenproblem in Syrien eine Verlängerung, oder gar Projektion des Kurdenproblems in der Türkei sei. Kemal Atatürk sei es gelungen, den Sèvres-Vertrag von 1920, der die Gründung eines kurdischen Staates vorsah, zu zerstören. Der Vertrag von Lausanne von 1923 habe den Vertrag von Sèvres abgelöst. Die Kurdenfrage wurde nach Baruts Auffassung dann zu einer Minderheitenfrage herabgestuft. Ein Teil der Kurden seien dann nach ihrer Rebelli-on von 1925, die von Nursi (sic!) angeführt wurde, nach Syrien geflüchtet und so sei ein Kurdenproblem in Syrien entstanden. Diese Barut’sche Narrative wird von den anderen

Prof. Dr. Ferhad Seyder

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arabischen Nationalisten seit mehr als 80 Jahren verbreitet. Sie ignoriert allerdings die Tatsache, dass ein Land Syrien und seine Grenzen ein Ergebnis des Sykes-Picot-Abkom-mens und die folgenden britisch-französischen Abmachungen beziehungsweise franzö-sisch-türkischen Verträge (1929, 1939) sind.Fakt ist, dass das Gros der kurdischen Bevölkerung Syrien vor der Gründung des Staates in diesem Teil des 1920 entstandene Syrien beheimatet war. Im Süden zwischen der ira-kischen Grenze und der Stadt Kamishli, die Ashiti- und Ali-Stämme, von Kamishli bis zum Ort Amouda (Amude) die Mersini-Stamm, dann die Daqauri, Gabari. In Dirbassiya beginnt die Heimat des Stammes Kikan bis zur Grenzen von Sere Kaniye (ras al-Ain). Von Tal Abiad bis navh Kobani erstreckt sich die Heimat der kurdischen Barzais. In Afrin (türkisch: Kurd-dag) leben die Kurddaghis.Lediglich ein Teil der Führung des Stammes Heverki (die Hajo Aghas) ließen sich nach dem gescheiterten Aufstand der Kurden in Nordkurdistan (Türkisch-Kurdistan) in der Gegend Terbe Sipiye nieder.Später ließen sich einige Tausend Kurden aus schierer sozialer Not in der Provinz Jazira nieder. Sie kamen aus der Gegend Mardin und stammten aus den Stämmen der Omeris. Gleichzeitig ließen sich große christlichen assyrische Gruppen aus Tur Abdin, Mediat und Mardin in derselben Gegend nieder. Auch die arabisch sprechende Bevölkerung aus den Provinzen Mardin und Diyarbakir fanden in der Gegeben al-Jazira eine neue Heimat.Aber nur die Niederlassung der sozialmarginalisierten Kurden, die von Barut als Infiltrat-ranten (al-mutasallilun, S. 29) bezeichnet wird, wird registriert. Die Christen und die ara-bisch sprechenden Migranten scheinen für Barut keine „Infiltration“ zu sein. Barut erwähnt auch den Umstand nicht, dass aus Jordanien und aus dem Irak viele beduinische Araber sich im neuen Staat niedergeliesen. Barut verharmlost in der Tendenz die Arabisierung der von Kurden beheimateten Jazira Region. Zwar erwähnt er die Sondervolkszählung von 1962 und die Ausbürgerung einer großen Zahl von Kurden, aber er ignoriert die soziale Tragweite der Ausgebürgerten. Dass die Ausbürgerung eine Maßnahme war und dass politisch aktive Kurden, deren Familien nachweislich vor der Gründung des Staates Syrien dort beheimatet waren, werden nicht erwähnt. Das gleiche gilt für den arabischen Gürtel entlang der irakisch-türkisch-syrischen Grenzen. Barut muss die Situation der ausgebür-gerten und vertrieben Kurden als ein interessierter syrischer Sozialwissenschaftler erfah-ren haben. Sogar die Zusammenarbeit der kurdischen Oppositionsparteien im Rahmen der „Wiederbelebung der syrischen Zivilgesellschaft“ wird von Barut negativ bewertet. Die Kurden hätten das Ziel verfolgt die Ideologie des arabischen Nationalismus durch die Mitarbeit in den Organisationen der Zivilgesellschaft los zu werden. Der Diskurs der kur-dischen Parteien war, so Barut, selber nationalistisch. Im zweiten Kapitel (S.74-89) beschäftigen sich die Autoren mit den kurdischen Organisa-tionen von der eher türkeioroientierten Khoybun (Selbständigkeit) bis zu den syrisch-kur-dischen Parteien der Gegenwart. Der Maßstab der Bewertung, der von den Autoren ge-braucht wird, ist der Gerad der Identifikation mit Syrien und die Distanz zum Kurdentum. Den Autoren ist anscheinend entfallen, dass die Identifikation mit Syrien alleine deswe-gen scheiterte, weil die arabischen Nationalisten Syrien als künstlich bewerteten und eine panarabische Identifikation propagierten. Die kurdische Identität war m.E. eine Reaktion auf der radikalen arabisch-nationalistischen Identität.Im letzten Kapitel befassen sich die Autoren mit den Kurden als Faktor des syrischen Aufstandes. Sie vertreten die Auffassung, dass die Opposition und das Regime um die Gunsten der Kurden konkurrierten. Das Regime habe, um die Kurden zu gewinnen im Mai 2011 die ausgebürgerten Kurden wieder eingebürgert. Die kurdischen Parteien hätten auf weitere Konzessionen gehofft. Sie wurden aber enttäuscht. Die Opposition sei enttäuscht, wie die Beteiligung der Kurden an die Aktivitäten der Opposition begrenzt blieb. Auch an

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die Annäherungsversuche Baschar al-Assads waren die kurdischen Parteien nicht interes-siert. Die Quintessenz dieser Schilderung kann man mit dem Satz zusammenfassen: Die Kurden hielten eine gewisse Distanz sowohl gegenüber dem Regime als auch gegenüber der Opposition. Die kurdischen Parteien hätten mit der Gründung des Kurdischen Natio-nalrates eine eigene Körperschaft gegründet und die Partei der Demokratischen Einheit als Ableger der PKK sei eher ein Teil der Türkei interessierten PKK. Schließlich habe die KRG (Kurdisch Regional Gouvernement – Irak) durch die Gründung des Hohen Kurdischen Rats den Versuch unternommen zwischen der PYD und der Gruppe der Partien zu erfolgreich zu vermitteln. Die Verfasser stellen fest, dass der kurdische Nationalrat trotz seiner Differenzen mit den syrischen Oppositionsparteien, blieb bei seinen Forderungen eher moderat. Die Lösung der Kurdenfrage wurde mit der Demokratisierung und der Errichtung eines Rechtstaates im Einklang gebracht. Anders als der Kurdische Nationalrat (Bündnis der kurdischen Par-teien) wird die Rolle der PYD (Partei der Demokratischen Einheit) von den Autoren negativ bewertet. Zum einen weil sie faktisch eine Schwesterorganisation der PKK ist und weil sie lange eine Koexistenz mit dem Regime favorisierte. In der Zusammenfassung unter dem Titel „zu einer demokratischen Lösung“ fordern die Autoren, die Kurden sollten ihre Bindungen an die syrische Identität stärken und keine Forderung stellen, die grenzüberschreitend ist. Kurzum: eine Lösung soll im Rahmen eine sdemokratischen Syrien realisiert werden. Dies ist in der Tendenz auch richtig. Voraus-gesetzt, dass die arabischen Nationalisten keine andere Identität stärken als die syrische und Syrien qua Identität, Land und Grenzen nicht zur Disposition stellen. Der arabische Nationalismus und der Islam lassen keinen Raum für eine lokale Identität.

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Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat in Kooperation mit der Kampagne Tatort Kurdistan im Jahr 2015 das Buch »Revolution in Rojava – Frauenbewegung und Kommu-nalismus zwischen Embargo und Krieg« herausgegeben. Hierfür reisten die Autoren Anja Flach, Ercan Ayboğa und Michael Knapp im Mai 2014 für vier Wochen nach Cizi-re im Norden Syriens, einen der drei selbstverwalteten Kantone des kurdischen Rojava. Dabei entstand ein, auf vielen Gesprächen basierendes, Buch über die revoluti-onäre Arbeit und die Ideen einer basisdemokratischen Gesellschaft. Bereits hier möchte ich jedoch vorwegneh-men, dass sich das Buch viel zu unkritisch mit diesem Modell auseinandersetzt. Gerade zu Beginn des Buches wird die Situation in Ro-java dargestellt und die Entwicklung vor Ort aufgezeigt. Die Verfasser versuchen hierbei die Meldungen der „of-fiziellen“ Medien und der innerkurdischen Opposition zu entschärfen, wonach die Machtübernahme in Rojava auf

einem Geheimabkommen zwischen der PYD »Partei der demokratischen Union«, welche eine Schwesterorganisation der PKK »Arbeiterpartei Kurdistan« ist und dem Assad-Regi-me beruhen soll. Im Januar 2014 wurde dann in den drei Kantonen Cicire, Kobani und Afrin die demokrati-sche Autonomie ausgerufen. Anders als in der Theorie von Abdullah Öcalan existiert die Selbstverwaltung in Rojava als ein Konstrukt von Räte- und repräsentativen Strukturen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen verstanden werden. Die Rätestruktur besteht aus dem Volksrat von Westkurdistan, der sich wiederum in vier Untergliederungen, be-ginnend von den Kommunen bis zur Vertretung von ganz Rojava, aufteilt und seine Arbeit in verschiedenen thematischen Kommissionen, ähnlich dem Ausschussprinzip, aufteilt. Bemerkenswert ist, dass hierbei keine kritische Auseinandersetzung mit dem dualen Sys-tem seitens der Autoren besteht. Im Übrigen werden die „Übergangsregierungen“, wel-che zum Zweck der äußeren Handlungsfähigkeit gegründet wurden, von der kurdischen Opposition und von westlichen Staaten als undemokratisch abgelehnt da bisher keine Wahlen durchgeführt wurden. Wie schon im Titel ausgeführt, wird auf die Organisierung und gesellschaftliche Beteili-gung von Frauen ausführlich eingegangen. Dabei wird hier die gesamte Spannweite von

Buchbesprechung:Flach, Anja / Ayboga, Ercan / Knapp, Michael (2015): Revolution in Rojava. Frauenbewegung und Kommu-nalismus zwischen Krieg und Embargo, VSA-Verlag: Hamburg. 350 S. ISBN 978-3-89965-658-9

Fabian Richter, M.A.

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der geschichtlichen bis zur revolutionären Bedeutung der Frauen abgedeckt. Dies ge-schieht, wie vieles, durch persönliche Gespräche.In den letzten Buchabschnitten findet eine Einordnung der Geschehnisse in die geopoli-tische Gesamtlage statt. Im Mittelpunkt stehen natürlich die Interessen und Ausblicke der Türkei und des Iraks im Hinblick auf ein Autonomes West-Kurdistan. Auch wird auf die Verbindungen zwischen kurdischen Oppositionellen und äußeren Akteuren eingegangen, sowie auf den Kampf gegen den Islamischen Staat. »Revolution in Rojava« bietet einen interessanten Überblick über die kurdischen Selbst-verwaltungsstrukturen und viele Informationen über deren Entwicklungsgeschichte in Sy-rien. Allerdings gehen die Autoren zu wenig auf die Grundidee dieser Revolution, also auf die Werke von Abdullah Öcalan ein. Auch eine kritische Auseinandersetzung mit diesem gesellschaftlichen Modell fehlt.

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Herr Schmidinger liefert uns 2014 ein Buch über Kurden in Syrisch-Kurdistan. Das breite Publikum kennt sicherlich die Kurden aus Karl Mays Buch „Durchs wilde Kurdistan“ oder aus den Abendnachrichten. Die Klischees aus Karl Mays Werk sind seit langem überholt (wenn sie über-haupt jemals richtig waren) und in den Nachrichten hört man mehr vom Einschlagen von Bomben oder weinen-den Frauen, als wirklich die Stimmen aus der Region. Der Autor von Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan gibt den Menschen die Stimme wieder, die Sie im Nachrich-tenhype verloren hatten. Aber nicht nur das, in seinem Buch spricht Herr Schmidinger auch die Geschichte, die Kultur und die Sprache der Kurden an.Sehr gut geeignet für Studenten, Interessierte oder Fort-gebildete ist der erste Teil des Buches (Der Lange Kampf um Autonomie): es ist die richtige Mischung zwischen Qualität und Quantität. Man bekommt danach ein gu-tes Bild über den Autonomiekampf der Kurden, deren

Geschichte, aber auch die ethnische Vielfalt der Region. Dies ist recht nützlich um die Wurzeln mancher heutigen Probleme genauer zu verstehen oder nachzuvollziehen. Herr Schmidinger bahnt daher im Laufe dieses ersten Teiles zielstrebig die Bahn zu dem Herz-stück des Buches an: die Interviews mit Lokalpolitikern und anderen Aktivisten des öffent-lichen Lebens in Rojava.Dieses Herzstück ist auch genau das, was dieses Buch so interessant macht. Die Anzahl der Interviews (26 insgesamt) ermöglicht dem Leser, die Meinungen und Gedanken der verschiedenen lokalen Akteure genauer zu kennen oder gar zu entdecken. Für Politik-wissenschaftler ist dieser Part sehr relevant, da sich damit eine grobe Einschätzung der damaligen Situation geben lassen kann. Herr Schmidinger wollte in diesem Buch keine Prognosen äußern, sondern den Stand der Dinge aufzeigen: es ist ihm gelungen, in Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan.

Buchbesprechung:Thomas Schmidinger: Krieg und Revolution in Sy-risch-Kurdistan. Analysen und Stimmen aus Rojava.Mandelbaum, 2014. 261 S.ISBN: 978-3-85476-636-0

Julian Lölkes

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Die Mustafa Barzani Arbeitsstelle für kurdische Studien führte im Dezember 2014 eine Ta-gung durch, welche sich mit der Frage befasste, was die Kurdischen Studien ausmacht und wie sie gelehrt werden sollten. Der Begriff der kurdischen Studien scheint zunächst unpro-blematisch, ist aber noch nicht wissenschaftlich oder institutionell definiert. Die Tagung wollte diesbezüglich darauf aufmerksam machen, dass keiner der in Deutschland ansässi-gen universitären Institutionen und Wissenschaftler bis jetzt versucht hat, den Begriff als ein Lehrfach zu definieren oder ein Curriculum für das Studium der „Kurdischen Studien“ zu erarbeiten. Außerdem war das Ziel des Workshops einen Beitrag für die Entwicklung des Fachbereiches in Deutschland zu leisten, trotz all seiner Probleme. Das Problem der Kurdischen Studien als Lehrfach ist auf mehreren Ebenen beheimatet, weswegen eine einhergehende Befassung unerlässlich ist: sozial, politisch und auch aka-demisch. Die Wichtigkeit der Erarbeitung dieser Frage erklärt sich nicht nur aus der wis-senschaftlichen Sicht, sondern schlicht und ergreifend auch daher, dass es in Deutschland eine große kurdische Minderheit gibt, deren Angehörige auch in das universitäre Leben mit einbezogen werden. Eine Auseinandersetzung mit der Identität oder den Identitä-ten ist bei den Kurden wie bei anderen Gruppen selbstredend. Dies wird aber mangels Informationen und Daten schwer. Andererseits haben sich in der letzten Dekade im Na-hen Osten politische und geostrategische Wandlungen durchzogen, die unter anderem einen Semi-Staat als Kurdistan Regional Gouvernement (KRG) hervorgebracht haben. In Deutschland benötigen wir dringend einen treffenden Überblick zu allen damit verwand-ten Themen. Aus diesen Gründen versammelte die Mustafa Barzani Arbeitsstelle für kurdische Studien Wissenschaftler verschiedener Disziplinen in Erfurt.

Teilnehmer des Workshops waren neben den Vertretern der Arbeitsstelle für Kurdische Studien Hr. Prof. Dr. Ferhad Seyder und Fabian Richter, sowie deren Hilfskräfte, außerdem PD Dr. Gülistan Gürbey, Prof. Dr. Birgit Amann, Prof. Dr. Michael Leezenberg, Dr. Ibrahim Seydo Aydogan, Prof. Dr. Martin van Bruinessen, Arshed Mho, Dr. Khanna Omarkhali und Eva Savelsberg.

Die Inhalte der Tagung reichten von fachspezifischen Themen und Erläuterungen bis hin zu Erzählungen über die eigenen Bemühungen das Thema der Kurden im Allgemeinen als Fach oder innerhalb eines Faches zu etablieren. Ausgangspunkt stellte hier der Modell-versuch der Kurdischen Studien an der Erfurter Universität dar. Prof. Dr. Seyder erläuterte

Tagungsbericht:„Kurdische Studien als Lehrfach“

Turina Schilling

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dessen Ziele, darüber hinaus berichtete er vor allem von den Problemen der Arbeitsstelle, wie beispielsweise der prekären Geldgebersituation. Wichtig schien hier zu Beginn der Tagung die Definition des Unterschieds zwischen Kurdischen Studien und Kurdologie. Zu diesem Thema fand sich schnell einen Konsens darüber, dass die Kurdologie eine eigene Wissenschaft aus der sowjetischen Zeit sei und die Kurdischen Studien dem gegenüber flexibler seien. Sie sind als Area Studies zu sehen und daher könnten sie auch selbststän-dig sein. Dieser Gedanke wurde im Laufe der Veranstaltung immer wieder verneint und mit der Bitte nach Integration als Teilgebiet in unterschiedliche Wissenschaften ersetzt. Es wurde außerdem herausgestellt, dass Geld zwar wichtig sei, vor allem in Bezug auf die Erfurter Arbeitsstelle, aber schlussendlich nur die Basis biete für eine eventuelle Instituti-onalisierung, was wiederum von den Forschern eine große politische Lobbyarbeit fordert. Diese angestrebte Institutionalisierung soll die Kontinuität der Wissensproduktion und der Grundlagenforschung herbei führen. In diesem Zusammenhang sei es auch wieder einfacher, die Kurdischen Studien in andere Fächer, wie die Politologie, die Internationalen Beziehungen, die Geschichte, Anthropologie etc. einzubetten. Ein Interesse für das Thema kann somit geschaffen werden. Die Area Studies verzeichnen in den letzten Jahren insge-samt einen Anstieg an Studierenden, auf diesen Zug müssten die Kurdischen Studien auch aufspringen können. Wichtig schien hier den Teilnehmern auch, dass man kein Orchide-enfach schafft, sondern ein Fach, welches auch in der Praxis Anwendung finden kann und somit eine Zukunft außerhalb der Wissenschaft hat. Das würde folglich bedeuten, dass die Anzahl der Studierenden sich erhöht. Die Kurdischen Studien und das Fach, in dem sie eingebettet werden, sollten wechselwirkend ertragreich sein. Die Forderung nach Einbettung ergibt sich allerdings ebenfalls aus der simplen Tatsache, dass es das Fach bis jetzt noch nicht geschafft hat, allein zu bestehen, maximal in den Sprachwissenschaften – doch selbst hier ist die Zahl der Studierenden und der Promovie-renden sehr gering.

Die Migrationsforschung in Deutschland beispielsweise muss sich naturgemäß mit dem Thema als Beispiel auseinandersetzen. In der Migrationstypisierung können die Kurden als eine Art Paradebeispiel angeführt werden, weil sie über alle möglichen Wege nach Deutschland gekommen sind – legal, illegal, freiwillig oder unfreiwillig. Die verschiedenen Identitäten von Kurden sind hier besonders interessant und können beispielhaft in die Disziplin eingeführt werden. Dies wird jedoch zumeist von Kurden selbst studiert, die an der eigenen Identität basteln. Diese Tatsache ist an sich nichts verwerfliches, wurde aber während der Tagung als ein Problem angesehen, denn hier zeigt sich erneut, dass das Thema nicht in der breiten Masse aufgenommen wird. Jeder, natürlich auch Kurden, ha-ben ein Recht darauf, sich die eigene Identität selbst zu wählen – ob nun für oder gegen das Kurdisch-Sein. Eine Beschäftigung damit auf wissenschaftlicher Ebene wäre somit, wie schon erwähnt, auch als psychisches Moment für die Kurden wichtig.Für die Geschichtswissenschaften, die viel mit Quellen arbeiten muss, ist es nicht unbe-dingt von Nöten kurdische Quellen lesen zu können, weil die Zahl der Forschungen in diese Richtung relativ gering ist und es die Quellen meist entweder in gut übersetzter Form, oder in anderen Sprachen wie Türkisch oder Arabisch gibt. Der Historiker kommt also in seiner Forschung auch ohne Kurdischkenntnisse weit. Insgesamt ist das Thema ebenfalls in der Geschichte des Orients unterrepräsentiert und die Frage nach dem kur-dischen Faktor wird, wenn überhaupt, nur am Rande gestellt. Vielleicht ändert sich dies mit der aktuellen politischen Situation und der Wichtigkeit der Kurden in Westasien. Die Frage der Quellen ist wiederum eine vernachlässigte, da es insgesamt wenig kurdische Quellen gibt. Doch selbst diese wenige könnten die Wissenschaft sehr bereichern. Mit der direkten Quellenarbeit könnten viele Probleme erleichtert werden. Dieses Feld wird

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auch in Angriff genommen, doch zu meist nicht institutionalisiert, sondern von privaten Sponsoren vorangetrieben. Der Quellentransfer, und damit ist auch insgesamt die Ver-netzung gemeint, ist sehr schlecht aufgestellt. Quellen, die der Geschichte oder anderen Disziplinen helfen würden, bleiben zumeist von einem Fach vorenthalten ohne für andere zugänglich gemacht zu werden. Das mögliche zu erreichende Wissen wird damit erheb-lich eingeschränkt. Es braucht also eine bessere Literaturzugänglichkeit und eine intensive Zusammenarbeit aller Disziplinen, die sich im engeren oder weiteren Sinne mit dem The-ma der Kurden auseinandersetzen, um die Wissensproduktion anzukurbeln. Mit diesem Schritt wäre die Erstellung eines Handbuches ein Fernziel. Eine jährliche Erstellung dessen ist vorstellbar.

Die interdisziplinäre Kooperation in der Wissenschaft, ebenso in der Lehre zwischen den Forschern, den Lehrenden und den Studierenden, wie auch zwischen den Institutionen selbst, wurde auf der Tagung immer wieder als essentiell betont für die Zukunft eines (Teil-)Faches der Kurdischen Studien. Neben diesen sehr theoretischen Überlegungen, kamen im Laufe der zwei Workshopta-ge immer wieder noch nicht beantwortete Fragen nach der Umsetzbarkeit auf. Die Su-perdiversität der Kurden auf im Grunde allen Ebenen scheint es schwer zu machen, ein Handbuch herauszugeben oder auch nur eine Zusammenarbeit zu verwirklichen, die den Beteiligten einen wirklichen Einblick ermöglichen können.Ein weiteres Problem ist das allgemein wenig ausgeprägte Interesse an den Kurden und die damit zusammenhängenden Vorurteile, vor allem in Deutschland. Eine Einbettung in ein anderes Fach ist praktikabler, als die Einrichtung eines Orchideenfaches, birgt aber gleichzeitig die Gefahr der Verkürzung der Thematik und ein damit einhergehendes ver-fälschtes Bild bei gleichzeitiger Meinung des Verstehens der Thematik. Aus gesellschaft-licher Sicht ist die Einbeziehung in das universitäre Leben extrem relevant für die Kurden – es ist ein Zeichen für die kurdischen Menschen in Deutschland gesehen und gehört zu werden.

Neben dem Modellversuch in Erfurt waren auch die Kurdischen Studien im kurdischen Teil der Türkei ein Thema. Hier stelle sich das Problem, dass das Thema vor allem in der Türkei stark politisch aufgeladen ist und daher die wirklich wissenschaftliche Forschung zurück stecken müsse. Die Suche nach engagierten Studenten, die sich trauen, über dieses The-ma ihre Dissertation zu schreiben, stelle sich als sehr schwer dar. Das Thema der Jobsuche nach dem exotischen Studium der Kurdischen Studien stellt sich natürlich auch hier – dieses Thema scheint keine Zukunftsperspektive zu haben. Die Suche nach Studierenden gestaltet sich somit insgesamt umso schwerer, je detaillierter das Thema in das Curricu-lum aufgenommen wird. Bei allen theoretischen Überlegungen sollte auch nie vergessen werden, dass das Ziel des Studiums zumeist doch der Einstieg in die Arbeitswelt ist. Und solang es kaum Jobs gibt, die mit einer so spezialisierten Ausbildung besetzt werden kön-nen, wird die Attraktivität des Faches sich nicht steigern lassen. Solange es also keine In-stitutionalisierung gibt, die Arbeitsplätze schaffen kann, solange es keine Geldgeber gibt, ist die Zukunft der kurdischen Studien auf einen kleinen, elitären (wenn auch motivierten) Kreis beschränkt. Dieser kann aufgrund der schlechten finanziellen Lage tendenziell mehr Wiederholungen als tatsächliche neue Erkenntnisse hervorbringen. Ein übergreifendes Netzwerk wäre selbst in dieser prekären Lage eine gute Investition.

Trotz aller Kritik, muss festgehalten werden, dass sich die Dissertationen, die sich mit den Kurden beschäftigen, häufen (1990 waren es 5, 2010 waren es 22). Eine weitere Tendenz, so hieß es immer wieder im Laufe der Tagung, ist, dass die in kurdischen Themen Ausge-

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bildeten nicht bei dem Thema bleiben und ihre Karriere in anderen Gebieten fortsetzen. Zu meist wird außerdem die Aufgabe der Wissensproduktion nicht von den Wissenschaft-lern übernommen, sondern von engagierten und sehr spezialisierten Journalisten – ein Netzwerk zwischen diesen beiden Instanzen müsse noch ausgebaut werden.

Ein weiterer Versuch, der auf der Tagung besonders diskutiert wurde, war das Experiment in den 1990ern, Kurdische Studien als Lehrfach an der Freien Universität Berlin als Vollzeit-studium zu installieren. Diese Idee ging aus einer Studentengruppe hervor. Letztendlich scheiterte das Projekt, doch es zeigt, dass das Interesse besteht, wenn die Möglichkeit für deren Ausbildung gegeben wird. In Anbetracht dieses gescheiterten Versuches, stellt sich die Frage nach Integration oder Selbstbehauptung erneut. Die Kurdischen Studien an der FU fielen schlussendlich Kürzungen zum Opfer – diese wirtschaftspolitische Variable in der Bildung darf bei dem Diskurs nicht vergessen werden. Zeitungen und Vereine haben hier mehr Möglichkeiten, finanziell vorzusorgen und die Projekte am Laufen zu halten, was vielleicht auch die spezialisierten Journalisten erklärt.

Das Projekt der Stiftungsuniversität Mesopotamien in Mardin, Türkei, ist ein weiteres Bei-spiel des Versuches der Einführung von Kurdischen Studien – hier scheint das Haupt-augenmerk auf der kurdischen Identitätsbildung zu liegen. Diese Universität wird privat finanziert und versucht seit einiger Zeit auch staatlich anerkannt zu werden, bisher ohne nennbaren Erfolg. Was dieses Projekt jedoch gut schafft, ist die Vernetzung der Kurden, die sich mit den Kurden wissenschaftlich auseinandersetzen wollen.

Als Fazit zu diesem, aber auch aus anderen Versuchen scheint zu sein, dass eine Einbet-tung in ein Fach mit dem Fernziel, eine eigene Disziplin zu werden, praktikabler ist, als das kurzfristige Denken an eine Institutionalisierung.

Die Tagungsteilnehmer taten sich schwer, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, aber das verdeutlicht anschaulich die Superdiversität des Themas und der möglichen He-rangehensweisen. Als großes Fazit kann aus der Tagung gezogen werden, dass eine Ver-netzung innerhalb aller Institutionen, die sich mit dem Thema auseinander setzen, erfol-gen muss. Diese Kontakte müssen weitergegeben und gepflegt werden, außerdem ist auf allen Ebenen Lobbyarbeit vonnöten, will man die Kurdischen Studien in der einen oder anderen Form langfristig irgendwo ansiedeln lassen.

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Promotionsvorhaben:Konzepte der politischen Autonomie im Blinkwinkel alternativer Theorien der Staatlichkeit

Fabian Richter, M.A.

Die politische Herrschaft ist seit langem mit dem Staat als politisches Objekt verbunden. Das Bild der Staaten wurde dabei durch das europäische Ideal geprägt und globalisierte das Staatsverständnis in der Welt. Zu den grundlegenden Elementen des Staates gehören demnach die Aspekte der Territorialität, Souveränität nach innen und außen, das Gewalt- und Steuermonopol sowie ein Regel setzender Verwaltungsapparat. Dieses sogenannte westfälische Staatsverständnis fasste somit auf der ganzen Welt Fuß, bzw. wurde als das zu präferierende System angesehen. Dieser europäische Export schaffte es eben auch bis nach Afrika und den Nahen Osten. Gerade in der Türkei wurde versucht dieses Modell so gut es geht umzusetzen. Doch vielerorts wurde das System von oben, von der Kolonial-macht, eingesetzt und somit meist die kulturellen oder ethnischen Grenzen außeracht gelassen. Es entstanden, wie auch später in Afrika, Quasi-Staaten. Jene Staaten also, de-nen zwar eine de-jure Anerkennung zukommt, einige de-facto Attribute des Staatenideals jedoch fehlen. Über die Quasi-Staaten schreibt Jackson (1987) etwa, „juridical statehood divorced from the empirical conditions of states now evidently has a place in international law“. Da Quasi-Staaten jene Staaten sind, welche essentielle de-facto Kriterien vermissen lassen, muss man sich auch mit der Theorie zu fragiler Staatlichkeit befassen. Interessant ist hierbei, ab wann ein Staat ein Quasi-Staat ist. Nach Schneckener (2004) muss man zwi-schen, konsolidierten, schwache, versagende und gescheiterte Staaten unterscheiden. Die drei zentralen Staatsfunktionen (Sicherheitsfunktion, Wohlfahrts- und Legitimationsfunk-tion) können jedoch unterschiedlich durch Terrorismus/Gewalt, Kriege und Konflikte im öffentlichen oder privaten Sektor, durch unregulierte transnationale Aktivitäten oder auch durch räumliche Ausbreitungen des Verfallsprozesses, geschädigt werden. Dabei gibt es auch den umgekehrten Fall. Im Falle der States-within-States wird diesen staatsähnlichen Gebilden die juristische Anerkennung verwehrt, obwohl diese States-within-States in den meisten Fällen, alle de-facto Kriterien erfüllen. States-within-States zeichnen sich also über eine innere Souveränität aus, mangeln allerdings an äußerer Souveränität. Dabei ist das besondere eines States-within-State bereits im Namen enthalten. Ein solches, staatsähnli-che Gebilde, kann nur innerhalb eines anerkannten Staates bestehen. Aus dieser Erkennt-nis kann man nun schlussfolgern, dass ein solcher Staat kein konsolidierter sein kann. Der Staat, der einen State-within-State beherbergt, hat durch die bloße Existenz eines State-within-State keine volle Kontrolle der physischen Gewalt über sein völkerrechtlich anerkanntes Territorium. Das Gewaltmonopol, welches zuvor durch die Sicherheitsfunkti-on eines Staates erläutert wurde, ist die nach Schneckener, wichtigste Elementarfunktion eines Staates. Fällt diese weg oder wird diese beschädigt, so kann ein Staat nicht mehr als konsolidiert gelten und fällt somit in die Kategorie der Quasi-Staaten. In dieser Arbeit

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sollen also die Theorien der Quasi-Staaten, der failed States, der State-within-States und der de facto States genauer betrachtet werden. Im Anschluss daran sollen die verschie-denen Konzepte der politischen Autonomie in Kurdistan einem Eingliederungsversuch unterzogen werden. Hierfür sollen die Konzepte der politischen Autonomie nach Öcalan, in Form seiner Radikal Demokratie untersucht werden, aber auch die Form des Föderalis-mus in irakisch Kurdistan. Ein besonderes Augenmerk soll jedoch auf die Radikal Demo-kratie nach Abdullah Öcalan (2012) gelegt werden. Nach eigener Aussage Öcalans, soll diese Radikal Demokratie eben jene Staatlichkeit abschaffen. Doch ob dies auch der Fall ist, oder ob es eine einfache Umbenennung staatlicher Strukturen ist, soll in dieser Arbeit geklärt werden.

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This research examines the prospect of independence for the Kurds in Iraq. It investigates the right to self-determination for the Kurds in Iraq, a country which is becoming a fai-led-State. Governing the State of Iraq was a great challenge since its creation by the great powers without taking into account the politics of different national, ethnic and religious groups living on that territory, in particular the Kurds, who were fighting for their inde-pendence. Throughout the history, the Kurds in Iraq were subjected to various forms of marginalization and suppression by successive central governments in Baghdad including genocide campaigns and the use of chemical weapons. Thus, for the Kurds, Iraq’s conflicts are not only about the political system and the territory of the country; it is rather about the identity of Kurdish nation and the right to self-determination including the establis-hment of a Kurdish State. However, other collided communities, Shiite and Sunni Arabs, show no willingness to recognize such rights for the Kurds - something that makes the coexistence of these peoples within one country more problematic.The conflicts between Iraq’s diverse components define the politics in Iraq. Both the Mo-narchic Iraq and the Republican failed to accommodate its conflicted communities. The recent history of the Kurds was more promising than that of other parts of Iraq. After the Gulf War in 1990-91 which resulted in the establishment of the safe haven, the Kurds were ruling their own de facto state; Kurdistan Region was booming politically, economically and culturally. They have put a giant step forward in state-building process and founded various State and government institutions and achieved great developments. In the post-2003 Iraq, the Kurds agreed to remain as part of Iraq through a federal structure that guarantees their right to self-determination at least internally within Iraq. However, even federalism, a recommended system for countries with ethnic conflicts, could not end the miseries of Iraq’s communities. The unsuccessful policies of the governments in Baghdad have deepened the disintegra-tion of Iraq’s communities. The governments have failed to represent and serve all Iraqis. The deterioration of security and rise of terrorism as well as controlling large areas of Iraq’s territory by a terrorist group (ISIS) since June 2014 all indicate to the failure of the State. The Kurds in Iraq are unwilling to endanger their relatively successful experience of governance in Kurdistan Region by remaining within a failed-State. Therefore, this re-search is going to explore the effective likely way to settle the problem of governance in Iraq and fulfill the aspiration of the Kurds through analyzing the probability of secession and the plausibility of an independent Kurdistan. This includes examining the potentiality of Kurdistan Region for Statehood and underlining the obstacles that the Kurds in Iraq might encounter on their path to independence and aftermath internally, regionally and

Promotionsvorhaben:The Prospect of Independence for the Kurds in Iraq

Avraz Hussein Tayib Alduski

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internationally.The study is deemed to be important because of the geopolitical and strategic position of Kurdistan Region. As it borders Turkey, Iran, Iraq and Syria, the political developments of this region have direct implications on these neighboring countries. Furthermore, Kurdi-stan Region’s huge reserve of natural resources puts the region at the center of attention as energy provider.

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Gäste der Arbeitsstelle

Dr. Sabine Hofmann

Lecturer and ResearcherOtto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients, Freie Universität BerlinSchwerpunkte in Lehre und Forschung sind u.a.

- Konfliktforschung - Regionalisierung und Globalisierung - Inter- und transnationale Politik und Ökonomie

Vortragsthema: „Israel: Neue Reagierung, alte Probleme?“

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Jihan Sindi

Doktorantin der Arbeitsstelle aus Kurdistan

- Recherche in Erfurt für eine Pilotstudie über das Erdöl in Kurdistan - Studie erscheint bald