normalisierung im altenheim -...
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Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main
Fachbereich 04 - Erziehungswissenschaften
Normalisierung im Altenheim
Wie kann man das Normalisierungsprinzip
auf die Arbeit mit alten Menschen übertragen?
Hausarbeit zum Vordiplom
eingereicht bei
Dr. Günter Burkart
vorgelegt von
Susanne Angela Dettmers
Diplom- Pädagogik, 4. Semester
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung Seite 3
2. Das Normalisierungsprinzip Seite 5
2.1 Eine Definition Seite 5
2.2 Niels Erik Bank- Mikkelsen Seite 6
2.3 Bengt Nirje Seite 7
2.4 Wolf Wolfensberger Seite 9
2.5 Kritiken am Normalisierungsprinzip Seite 12
2.6 Implementation des Normalisierungsprinzips Seite 13
2.7 Normalisierung und Mitarbeiter Seite 15
2.8 Exkurs: Nirjes Normalisierungsforderungen im Praxisfeld Seite 17
3. Die Übertragung des Normalisierungsprinzips
auf die Arbeit im Altenheim Seite 20
3.1 ATL und Normalisierung Seite 21
3.2 Bengt Nirjes Forderungen übertragen auf die Arbeit im Altenheim Seite 25
3.3 Wolf Wolfensbergers Valorisation der sozialen Rolle im Altenheim Seite 28
3.4 Implementation des Normalisierungsprinzips im Altenheim Seite 31
3.5 Die Mitarbeiter im Altenheim Seite 32
3.6 Forderungen für die Arbeit im Altenheim Seite 33
4. Schlusswort Seite 36
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
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1. Einleitung
Für meiner Hausarbeit zum Vordiplom habe ich das Thema „Normalisierung im
Altenheim: Wie kann man das Normalisierungsprinzip auf die Arbeit im Altenheim
übertragen?“ gewählt.
Ich habe während meiner Schulzeit etwa drei Jahre als Aushilfskraft in einem Alten-
und Pflegeheim gearbeitet. Eingesetzt war ich sowohl im Pflegebereich, als auch in der
Wohnbereichsküche. Im Rahmen meines Pädagogikstudiums habe ich mein
Einführungspraktikum in einem Wohnverbund für geistig behinderte Erwachsene
absolviert. Bei diesen Tätigkeiten sind mir viele Unterschiede zwischen den
Einrichtungen bezüglich der Aufgabenbereiche und der Ziele aufgefallen.
Die Arbeit im Alten- und Pflegeheim ist hauptsächlich von pflegerischen Tätigkeiten
bestimmt. Diese bestimmen den Tagesablauf. Den Bewohnern eines Alten- und
Pflegeheims wird beispielsweise Hilfe bei der Hygiene oder der Nahrungsaufnahme
gegeben, die Aufgabenbereiche richten sich nach dem Konzept der „Aktivitäten des
täglichen Lebens“ (ATL).
Im Wohnverbund für geistig behinderte Erwachsene spielen hingegen pflegerische
Aufgaben eine untergeordnete Rolle. Assistenz und Begleitung im Alltag der Menschen
lautet dort die Aufgabe. Bei der Begleitung der Bewohner im Alltag wird darauf
geachtet, dass sie „ein Leben so normal wie möglich“ führen können. Selbstständigkeit
und Selbstbestimmung sind Ziele in der pädagogischen Arbeit mit behinderten
Menschen. Beispielsweise werden die Bewohner beim Einkaufen, beim Kochen oder
beim Wäsche waschen unterstützt. Die Arbeit mit behinderten Menschen wird stark
vom Normalisierungsprinzip beeinflusst.
Ziel meiner Arbeit ist es, herauszufinden, ob das Normalisierungsprinzip auch auf die
Arbeit im Altenheim übertragbar ist, und wie das Leben im Altenheim dann aussehen
könnte.
Dazu werde ich im zweiten Kapitel die Theorie des Normalisierungsprinzips vorstellen.
Einleitend möchte ich eine Definition des Normalisierungsprinzips von Walter Thimm
zitieren und erläutern. Die Entwicklung des Normalisierungsgedankens werde ich
anhand der Arbeiten von Niels Erik Bank- Mikkelsen, Bengt Nirje und Wolf
Wolfensberger beschreiben. Dann werde ich Kritikpunkte am Normalisierungsprinzip
vorstellen und kommentieren. Es folgen Gedanken zur Implementation des
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Normalisierungsprinzips, Folgen für den Mitarbeiterbereich und anschließend werde ich
exemplarisch vorstellen, wie das Normalisierungsprinzip in einem Wohnverbund für
geistig behinderte Erwachsene umgesetzt wird.
Im dritten Kapitel gehe ich auf die theoretische und praktische Übertragung des
Normalisierungsprinzips auf die Arbeit im Altenheim ein. Ich werde mit einem eigenen
Vergleich der „Aktivitäten des täglichen Lebens“ (ATL) mit dem
Normalisierungsprinzip beginnen, um die momentan unterschiedliche Zielsetzungen in
der Arbeit mit alten oder behinderten Menschen aufzuzeigen. Daraufhin folgt eine
Übertragung der Forderungen Bengt Nirjes auf die Lebensbedingungen im Altenheim
und Überlegungen zur von Wolf Wolfensberger geforderten Aufwertung der sozialen
Rolle. Anschließend werde ich Forderungen für den Mitarbeiterbereich vorstellen und
die Umsetzung des Normalisierungsgedankens in verschiedenen typischen Situationen
bei der Arbeit im Altenheim darstellen.
Im Schlusswort werde ich meine Erkenntnisse zusammenfassen und das
Normalisierungsprinzip und die Umsetzungsmöglichkeiten auf die Arbeit im Altenheim
bewerten.
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2. Das Normalisierungsprinzip
Bei dem Normalisierungsprinzip handelt es sich um ein Konzept, welches das Ziel hat,
den geistig behinderten Menschen „ein Leben so normal wie möglich“ führen zu lassen.
Dazu gehört: Wie die anderen zu leben, mit den anderen zusammen zu leben und von
den anderen akzeptiert zu werden (vgl. Labre�ge�re 1986, S.63f).
Es basiert hauptsächlich auf der Arbeit von drei Personen: Niels Erik Bank- Mikkelsen,
Bengt Nirje und Wolf Wolfensberger (vgl. Thimm 1985, S. 5). In Deutschland hat
hauptsächlich Walter Thimm zur Verbreitung des Normalisierungsgedankens
beigetragen, deshalb beziehe ich mich in meiner Hausarbeit verstärkt auf seine Werke.
2.1 Eine Definition
„Normalisierung als Leitvorstellung für das sozialpolitische, sozialadministrative,
soziale und pädagogische Handeln und als Zielvorstellung für das System der Hilfen für
Menschen mit Behinderungen besagt: Mitbürgerinnen und Mitbürger mit geistigen oder
körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen sollen ein Leben führen können, das
dem ihrer nichtbeeinträchtigten Mitbürgerinnen/ Mitbürger entspricht. In aller Kürze:
ein Leben so normal wie möglich. Dieses ist am ehesten erreichbar, wenn die dabei
eingesetzten Mittel so normal wie möglich sind“ (Thimm 1995, S. 1).
Diese Definition beinhaltet mehrere Aspekte. Zum einen ist Normalisierung eine
Leitvorstellung, ein übergeordnetes Leitbild, an denen sich Mitarbeiter aus den
verschiedensten Bereichen orientieren sollen. Zum anderen ist Normalisierung eine
Zielvorstellung, ein übergeordnetes Ziel, das für behinderte Menschen erreicht werden
soll. Und das Ziel lautet: „ein Leben so normal wie möglich“ zu führen, das bedeutet in
normalen Lebensbedingungen zu leben. Die Mittel, die zu diesem Ziel führen sollen,
sollten ebenfalls „so normal wie möglich“ sein, sich also am Normalisierungsgedanken
orientieren.
Nun möchte ich die Entwicklung dieses Gedankens beschreiben:
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2.2 Niels Erik Bank- Mikkelsen
Der Däne Niels Erik Bank- Mikkelsen ist Jurist und war 1959 Sekretär des
Sozialministeriums in Dänemark. Er bereitete das „Gesetz über die Fürsorge für geistig
Behinderte und andere besonders Schwachbegabte“ (Lov om forsorgen for aendssvage
og andre saerlig svagtbegavede“ Nr. 192 vom 5. Juni 1959) vor. Die Ziele dieses
Gesetzes lassen sich in wie folgt zusammenfassen: „Letting the mentally retarded obtain
an existence as close to normal as possible“ (Bank- Mikkelsen zitiert nach Thimm 1985,
S. 5). Die inhaltliche Übersetzung lautet: „Dem geistig Behinderten ein weitgehend
normales Leben ermöglichen“. Bank- Mikkelsen ging dabei auf die Initiativen des 1952
gegründeten Elternverbands geistig behinderter Kinder ein. Er wurde, nachdem das
Gesetz in Kraft getreten ist, zum Leiter der dänischen Fürsorge für geistig Behinderte
im Socialstyrelsen Kopenhagen (vgl. Thimm 1985, S. 5).
Bank- Mikkelsen geht als Jurist davon aus, dass geistige behinderte Menschen an erster
Stelle Mitmenschen sind, Mitmenschen mit einer Behinderung. Auf Grund der im
Grundgesetz festgeschriebenen Gleichberechtigung sollten geistig behinderte Menschen
folglich die gleichen Rechte wie ihre Mitbürger haben (vgl. Ericsson 1986, S.33).
Dieser Gedanke und das darauf folgende oben genannte Gesetz sind der Ursprung des
Normalisierungsgedankens.
Um den geistig behinderten Menschen „ein Leben so normal wie möglich“ zu
ermöglichen, müssen die Lebensbedingungen dieser Menschen normalisiert werden.
Dieses soll vor allem in den drei Lebensbereichen „Wohnen“, „Arbeiten“ und „Freizeit“
geschehen. Bank- Mikkelsen betont immer wieder, dass Normalisierung als Ziel zu
betrachten sei, während Integration ein Mittel auf dem Weg zum Ziel sei. Zudem ist ihm
wichtig, dass mit Normalisierung nicht gemeint sei, den geistig behinderten Menschen
zu normalisieren. Es geht bei dem Normalisierungsgedanken um die Normalisierung der
Lebensbedingungen für geistig behinderte Menschen (vgl. Thimm 1985, S. 6).
Auf die normative Frage, was überhaupt normale Lebensbedingungen seien, antwortet
Bank- Mikkelsen man solle diese Menschen ebenso behandeln, wie man selbst
behandelt werden wollte und man sollte ihnen solche Lebensbedingungen geben, die
sonst auch herrschten. Diese einfache Formulierung des Normalisierungsprinzips
überzeugte auch Laien, was die Reformen im Umgang mit geistig behinderten
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Menschen erleichterte, so dass das „Klinikmodell“ und die „Idee des Beschützens“
überwunden werden konnten (vgl. Thimm 1985, S. 7).
2.3 Bengt Nirje
Der Schwede Bengt Nirje versuchte als erster, zehn Jahre nach dem Dänischen
Fürsorgegesetz, den Normalisierungsgedanken zu systematisieren. Nirje ist Psychologe
und war 1969 Direktor des schwedischen „Reichsverbandes für entwicklungsgehemmte
Kinder“ (vgl. Thimm 1985, S. 7).
Laut Nirje sollte sich Normalisierung in Einrichtungen für behinderte Menschen auf die
folgenden acht Bereiche beziehen (vgl. Thimm1995, S.19f):
1. Normaler Tagesrhythmus: Der Tagesablauf sollte dem der nicht behinderten
Menschen ähnlich sein. Die Schlafenszeiten, das Aufstehen, die Mahlzeiten, der
Wechsel von Arbeit und Freizeit, sowie alle anderen alltäglichen Abläufe sollten
so normal wie möglich sein. Dabei spielt Selbstbestimmung eine große Rolle,
um sich als kompetenter Mensch zu erleben.
2. Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit: Genau, wie bei anderen Menschen
auch, sollten die Bereiche Wohnen, Arbeit und Freizeit räumlich voneinander
getrennt sein. Diese Milieuwechsel sind wichtig, damit sich auch der behinderte
Mensch in verschiedenen sozialen Rollen erleben kann (als Bewohner, als
Arbeitnehmer, als Freund). Zudem werden durch diese Trennung mehr
Kontaktmöglichkeiten geboten, so dass der behinderte Mensch viele
unterschiedliche Erfahrungen mit seinen Mitmenschen sammeln kann.
3. Normaler Jahresrhythmus: Wenn man die Lebensbedingungen behinderter
Menschen normalisieren möchte, sind die Bereiche Urlaub und Ausflüge, sowie
Besuche und Familienfeiern nicht außen vor zu lassen. Deshalb sollte man auch
den behinderten Menschen die Möglichkeit bieten, sich von der Arbeit zu
erholen und Urlaub zu machen und neue Länder kennen zu lernen. Und genau,
wie alle nicht behinderten Menschen andere besuchen, Besuch empfangen oder
Feste feiern, so sollte auch den behinderten Menschen dieses Recht zugestanden
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werden. Zudem sollten sie bei der Umsetzung die Hilfe bekommen, die sie
benötigen.
4. Normaler Lebensablauf: Aus behinderten Kindern werden behinderte
Jugendliche und aus ihnen behinderte Erwachsene. Je nach Alter haben diese
Menschen ebenso wie nicht behinderte Menschen spezifische Bedürfnisse. In
unserer Gesellschaft ist es „normal“ als Kind zu Hause in der Familie zu wohnen
und als Erwachsener sich von dieser abzulösen und auszuziehen. Ebenso ist es
normal als Kind in den Kindergarten und später in die Schule zu gehen und als
Erwachsener einer Arbeit nachzukommen (vgl. Thimm 1985, S. 6). Diese
Lebensbedingungen sollten auch behinderten Mitmenschen ermöglicht werden
und dazu ist Integration in die Gesellschaft nötig.
5. Respektierung der Bedürfnisse geistig Behinderter als normal: Behinderte
Menschen sind Experten in eigener Sache. Jeder Mensch hat eigene Wünsche
und Bedürfnisse und diese sollten nicht nur akzeptiert, sondern bei der Planung
und Gestaltung des Lebens zentral miteinbezogen werden. Selbstbestimmung
kann nur durch Entscheidungsmöglichkeiten erreicht werden. Insofern sollte
jeder Mensch die Freiheit besitzen, über sein Leben entscheiden zu dürfen.
6. Angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern: Behinderte Menschen sind
in erster Linie Mädchen und Jungen, bzw. Frauen und Männer. Sie haben
Bedürfnisse zu (anders-) geschlechtlichen Kontakten und diese sind zu
respektieren. Dazu ist eine sichere Privatsphäre wichtig: Ein eigenes Zimmer,
das abgeschlossen werden kann und die Gewissheit, dass kein Mitarbeiter mit
dem Generalschlüssel doch die Tür öffnet.
7. Normaler wirtschaftlicher Standard: Der finanzielle Standard wird durch die
Sozialpolitik festgelegt. Eine angemessene Bezahlung für ihre Arbeit und
Selbstbestimmung auch in der Verwaltung des Geldes sind anzustrebende Ziele.
8. Normale Standards der alltäglichen Wohn- und Lebensbedingungen: Die
Wohnbedingungen nehmen einen großen Stellenwert im Leben eines jeden
Menschen ein. Nach dem Normalisierungsprinzip sollten auch die
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Wohnbedingungen der behinderten Menschen an die Bedingungen, die für nicht
behinderte Menschen gelten, angepasst sein. Große Anstalten, die abgelegen
liegen und den Charakter einer sogenannten „totalen Institution“ haben, sind bei
der Umsetzung des Normalisierungsprinzips eher kontraproduktiv, da sie die
Persönlichkeitsentwicklung bezüglich der sozialen Kompetenzen nicht fördern
(vgl. Thimm, 1986, S. 107). Der Begriff der „totalen Institution“ wurde von
Goffman eingeführt und trifft zu, wenn der soziale Verkehr zur Außenwelt und
die Individualität der Bewohner einer Einrichtung eingeschränkt werden (vgl.
Glöss/ Hoos 1987, S. 78ff).
Diese Forderungen an das alltägliche Leben werde ich später auf das Leben im
Altenheim übertragen.
2.3 Wolf Wolfensberger
Wolf Wolfensberger ist nach dem Zweiten Weltkrieg als Jugendlicher aus Deutschland
in die USA emigriert. Er wurde Psychologe und arbeitete in mehreren Einrichtungen für
psychisch kranke und geistig behinderte Menschen (vgl. Thimm 1985, S. 8).
Wolfensberger definiert das Normalisierungsprinzip neu, wobei er es um zwei Aspekte
erweitert. Erstens hält er das Normalisierungsprinzip für alle Menschen bzw. Gruppen,
die von der Gesellschaft abgewertet werden, anwendbar, nicht nur für behinderte
Menschen. Zweitens versucht er das Normalisierungsprinzip in gesellschaftliche
Zusammenhänge einzubinden (vgl. Thimm 1985, S. 9). Deshalb lautet im Jahr 1972
seine Definition von Normalisierung: „Anwendung von Mitteln, die der kulturellen
Norm soweit wie möglich entsprechen, mit dem Ziel, persönliche Verhaltensweisen und
Merkmale zu entwickeln bzw. zu erhalten, die den kulturellen Normen soweit wie
möglich entsprechen“ (Thimm 1985, S. 9).
Diese Definition könnte dahingehend missverstanden werden, dass Normalisierung
lediglich bedeutet, dass sich die behinderten Menschen den gängigen Normen anpassen
müssen. Jedoch ist Wolfensberger wichtig, dass Bedingungen geschaffen werden, die
den behinderten Menschen eine Entwicklung von kulturellen Normen ermöglichen. Um
weiteren Missverständnissen und Vorwürfen vorzubeugen, legte Wolfensberger im Jahr
1980 eine erneute Definition der Normalisierung vor, deren Kurzfassung
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folgendermaßen lautet: „Die Anwendung von kulturell geachteten Mitteln mit dem Ziel,
Menschen zu befähigen, ein kulturell geachtetes Leben zu leben“ (Thimm 1985, S. 9f).
Laut Wolfensbergers Theorie gibt es drei Stadien der Normalisierung: Normalisierung
der Hilfen, Normalisierung des sozialen Ansehens und der Handlungskompetenz und
Normalisierung der Lebensbedingungen. Diese Stadien beeinflussen sich gegenseitig
(vgl. Thimm 1985, S.10).
Normalisierung der Hilfen � Normalisierung der Lebensbedingungen
� �
Normalisierung des sozialen Ansehens und der Handlungskompetenz
(Abb. 1, vgl. Spiegel 1999, S. 80)
Bei der Normalisierung handelt es sich nach Wolfensberger um einen spiralförmigen
Prozess: Unnormale Lebensbedingungen verhindern die Entwicklung von sozialen
Kompetenzen und dieses führt zu einem negativen sozialen Ansehen. Normalisierte
Lebensbedingungen hingegen fördern jedoch die sozialen Kompetenzen und das soziale
Ansehen. Somit kann es im nächsten Schritt zu einer neuen Stufe der Normalisierung
der Lebensbedingungen kommen. Ziel dieses Prozesses ist die physische und soziale
Integration (vgl. Thimm 1985, S. 10). An dieser Stelle unterscheidet sich Wolfensberger
von Bank- Mikkelsen. Wolfensberger sieht die Integration als Endpunkt der
Normalisierung an, für Bank- Mikkelsen ist Integration, wie bereits schon erwähnt, ein
Mittel auf dem Weg zum Ziel.
Für Wolfensberger sind die Dimensionen „Kompetenz“ und „soziales Ansehen“ von
großer Bedeutung und er kritisiert, dass Bank- Mikkelsen und Nirje diese Aspekte in
ihren Normalisierungskonzepten vernachlässigen (vgl. Thimm 1985, S. 10). Im Jahre
1980 benennt Wolfensberger diese Dimensionen um in „Interaktionsdimension“ und
„Interpretationsdimension“ (vgl. Thimm 1985, S. 11). Damit ist gemeint, dass sich
Normalisierung auf die zwischenmenschlichen Handlungen, aber auch auf die
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öffentliche Präsentation bezieht. Diese Dimensionen werden auf drei Handlungsebenen
übertragen.
Handlungsebenen � Interaktionsdimension Interpretationsdimension
Personale Ebene z.B. soziale Fähigkeiten der
Person
z.B. nicht abwertende
Anrede der Person
Ebene intermediärer
Systeme
z.B. Normalisierung der
Einrichtungen
z.B. Bezeichnungen der
Einrichtungen
Ebene gesellschaftlicher
Systeme
z.B. Gleichberechtigung z.B. Aufwertung der
sozialen Rolle
(Abb. 2, vgl. Thimm 1995, S. 28)
Bei der ersten Handlungsebene handelt es sich um die personale Ebene, die sich auf die
behinderte Person selbst bezieht. Die zweite Handlungsebene ist die Ebene
intermediärer Systeme, damit sind soziale Instanzen wie die Familie und
Behinderteneinrichtungen gemeint. Die dritte Ebene bezieht sich auf gesellschaftliche
Systeme, so zum Beispiel das Schulsystem oder die sozialpolitische Gesetzgebung (vgl.
Thimm 1985, S.12 und Thimm 1995, S. 28ff). Es lässt sich erkennen, dass sich
Normalisierung auf völlig unterschiedlichen Ebenen durchsetzbar ist. Durch diese
abstrakte Darstellung könnte meine Übertragung des Normalisierungsprinzips auf die
Arbeit im Altenheim erleichtert werden. Ich gehe auf diesen Aspekt im Kapitel 3.3
näher ein.
Im Jahre 1973 entwickelte Wolfensberger mit einer Studentin (Glenn) ein Programm
namens „Program analysis of service systems“ kurz PASS, welches den
Normalisierungsgrad der sozialen Dienste misst. Dieses geschieht mit Hilfe von
Kriterien, die das Ziel der Integration messen sollen. Zehn Jahre später 1983 entwickelte
Wolfensberger mit einer Mitarbeiterin (Thomas) eine kürzere Fassung dieses
Programms, welches sich „Program Analysis of Service Systems Implementation of
Normalization“ kurz PASSING nennt. Dieses Programm bezieht sich nur noch auf
Kriterien zur Aufwertung der sozialen Rolle der benachteiligten Personen (vgl.
Wolfensberger 1986, S.45).
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Zu dieser Zeit gab Wolfensberger den Normalisierungsbegriff ganz auf, weil ihm immer
wieder vorgeworfen wurde, er wolle diskriminierte Menschen manipulieren. Deshalb
ersetzte er ihn durch den Ausdruck „Valorisation der sozialen Rolle“. Dieser Ausdruck
kommt aus Frankreich, wo er „im Kontext sozialer Dienstleistungen gebraucht [wird],
und zwar im Sinne der aktiven Zuordnung eines Wertes zu einer Person“ (Thimm 1985, S.
13). Im Bezug zur Normalisierung bedeutet die Zuordnung positiver Werte zu
behinderten Menschen, dass diese wie ihre Mitmenschen respektiert und behandelt
werden. Eine Zuordnung negativer Werte würde den kindlichen Umgang mit
behinderten Menschen verstärken, was jedoch im Sinne der Normalisierung zu
vermeiden wäre.
2.4 Kritiken am Normalisierungsprinzip
Am Normalisierungsprinzip werden unterschiedliche Aspekte von verschiedenen
Personen kritisiert. Ich möchte diese Kritikpunkte im Folgenden vorstellen und sie
danach kommentieren.
Den Vertreten des Normalisierungsprinzips könnte vorgeworfen werden, dass
behinderte Menschen „normal gemacht“ werden sollen. Bank- Mikkelsen und Nirje
haben demgegenüber jedoch immer wieder betont, dass dieses nicht mit Normalisierung
gemeint sei (vgl. Thimm 1985, S. 14). Normalisierung bezieht sich auf die
Lebensbedingungen, die für behinderte Menschen normalisiert, das heißt den
Lebensbedingungen nicht behinderter Menschen ähnlich gemacht werden sollen, da
behinderte Menschen die gleichen Rechte wie nicht behinderte Menschen haben. Diese
sind seit 1994 im Grundgesetz mit dem sogenannten Benachteiligungsverbot
festgehalten: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ (Art. 3,
Abs. 3, GG).
Außerdem könnte an dem Normalisierungsprinzip kritisiert werden, dass unsere
Lebensbedingungen als normatives Ziel angesehen werden (vgl. Thimm 1985, S.14).
Normalisierung bezieht sich jedoch immer auf die Lebensbedingungen innerhalb eines
Kulturkreises (vgl. Thimm 1986, S.230). Es sollen natürlich nicht alle gesellschaftlichen
Lebensbedingungen, ohne sie kritisch zu hinterfragen, als Vorbild übernommen werden.
Jedoch gibt es viele Bedingungen im Leben behinderter Menschen, die
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verbesserungswürdig erscheinen. Deshalb sollten behinderten Menschen dieselben
Rechte wie nicht behinderten Menschen zugestanden werden (vgl. Thimm 1985, S. 15).
Zudem wir kritisiert, dass bei der Normalisierung die Schwer- und Schwerstbehinderten
als „Rest“ zurückbleiben (vgl. Gaedt 1987, S. 39). Diese Kritik weist Thimm zurück.
Auch schwer- und schwerstbehinderte Menschen sollten bei der Umsetzung des
Normalisierungsprinzips berücksichtigt werden.
Christian Gaedt, der Leiter der Neuerkeröder Anstalten, befürwortet das sogenannte
„Ortschaftskonzept“, in dem behinderte Menschen in Dorfgemeinschaften
zusammenleben (vgl. Gaedt 1987, S. 49). Nur in einem gemeinsamen Dorf könnten sich
die Bewohner als kompetent und selbstständig erleben (vgl. Gaedt 1987, S. 57f). Es
stellt sich die Frage, ob im Normalisierungsprinzip Selbstständigkeit oder Integration
stärker gewichtet werden sollte.
2.5 Implementation des Normalisierungsprinzips
Bei der interkulturellen Übertragbarkeit eines Reformkonzeptes, welches das
Normalisierungsprinzip für die Behindertenpädagogik ist, hat sich der aus dem
englischsprachigen Raum stammende Begriff der „Implementation“ eingebürgert. Auf
die Frage, ob das Normalisierungsprinzip auch auf andere Kulturkreise übertragbar sei,
gibt es keine eindeutige Antwort. Bei der Implementation nach Nordamerika durch
Wolfensberger, fand eine völlige Neuformulierung statt. Es geht Wolfensberger, im
Gegensatz zu Bank- Mikkelsen und Nirje, nicht primär um die Normalisierung der
Lebensbedingungen behinderter Menschen, sondern um die positive Bewertung
behinderter Menschen und somit eine Aufwertung ihrer sozialen Rolle (vgl. von Ferber
1986, S. 81).
Flynn und Nitsch haben im Jahr 1980 eine internationale Studie zur Implementation des
Normalisierungsprinzips durchgeführt. Sie unterscheiden sechs Stadien der
Implementation, die meisten Länder sind nicht über die ersten drei Stadien hinaus
gelangt. Die sechs Stadien werden aufgeteilt; drei Stadien befinden sich in der
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praktischen Phase, die anderen drei gehören der theoretischen Phase an (vgl. von Ferber
1986, S. 81f).
Theoretische Phase Praktische Phase
Normgenese � Institutionalisierung
� �
Normdiffusion Flächendeckende Ausbreitung � �
Rechtliche Verankerung � Modellversuche
(Abb. 3, vgl. von Ferber, 1986)
Bei den ersten drei Phasen, der theoretischen Umsetzung, geht es darum, den
Normalisierungsgedanken als soziale Norm durchzusetzen. Die Verbindlichkeit dieser
sozialen Norm vollzieht sich nacheinander und stufenweise in drei verschiedenen
Personenkreisen. Bei dem ersten Kreis handelt es sich um Wissenschaftler. Ihre
Aufgabe ist die Formulierung der Norm, bei diesem Vorgang spricht man auch von
„Normgenese“ (vgl. von Ferber 1986, S. 82).
In Dänemark war Bank- Mikkelsen derjenige, der eine neue soziale Norm forderte. Er
stellte fest, dass behinderte Menschen die gleichen Rechte wie nicht behinderte
Menschen haben, und deshalb auch in möglichst ähnlichen Lebensbedingungen leben
dürfen sollten. Hierbei handelte es sich um ein so genanntes Antidogma, welches das zu
der Zeit vorherrschende Dogma, behinderte Menschen seien anders und sollten deshalb
anders leben, ablösen sollte.
Bei dem zweiten Personenkreis handelt es sich um die reformorientierten Praktiker, also
die Menschen, die mit behinderten Menschen arbeiten, ihre Arbeit verbessern wollen
und ihre Entscheidungen nach dieser neuen sozialen Norm ausrichten. Dieser Vorgang
heißt „Normdiffusion“ (vgl. von Ferber 1986, S. 82), weil sich der
Normalisierungsgedanke in diesem Stadium ausbreitet.
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Der letzte Personenkreis ist für die intensivste Durchsetzung der sozialen Norm
zuständig. Es handelt sich um die gesetzgebenden Instanzen. Ihre Aufgabe ist die
rechtliche Verankerung der Norm (vgl. von Ferber 1986, S. 83).
In der praktischen Phase geht es um die Verwirklichung der sozialen Norm. Dieses
geschieht ebenfalls in drei Stadien. Das erste Stadium ist die Erprobung der praktischen
Umsetzung der sozialen Norm in Modellversuchen. Das zweite Stadium betrifft die
flächendeckende Ausbreitung, damit die soziale Norm in vielen Einrichtungen
verwirklicht wird. Das dritte und letzte Stadium umfasst die Institutionalisierung, die
soziale Norm wird zum Ziel der Institutionen (vgl. von Ferber 1986, S. 83f).
Diese Stadien zur Übertragung des Normalisierungsprinzips auf andere Kulturkreise
könnten den Stadien der Übertragung auf die Arbeit im Altenheim ähnlich sein, auf
diesen Aspekt gehe ich in Kapitel 3.4 ein.
2.7 Normalisierung und Mitarbeiter
Die Umsetzung des Normalisierungsgedankens in der Arbeit mit behinderten Menschen
ist von der Handlungsorientierung der Mitarbeiter abhängig. Handlungsorientierung
wird dabei als ein „Spannungsgefüge von Institutionen, Kollegen, Klienten und den
pädagogischen Konzepten“ (Thimm 1985, S. 139) verstanden. Wenn die Mitarbeiter das
Normalisierungsprinzip nicht als Leitbild anerkennen und umsetzen, so kann es nicht
verwirklicht werden. Doch müssen den Mitarbeitern auch normalisierungsnahe
Arbeitsbedingungen zur Umsetzung des Normalisierungsgedankens zur Verfügung
stehen. Der Entscheidungsspielraum der Mitarbeiter ist Voraussetzung für die
Förderung der Selbstbestimmung der Klienten. Als normalisierungsnah
beziehungsweise normalisierungsfern werden unterschiedliche Kriterien zum
Entscheidungsspielraum der Mitarbeiter eingestuft (vgl. Thimm 1985, S. 146).
Ein normalisierungsnaher Entscheidungsspielraum beinhaltet, dass die Mitarbeiter
klientenbezogene Entscheidungen mit beeinflussen können. Sie sollen zum Beispiel an
Entscheidungssituationen beteiligt werden, und die Entscheidungen sollten im Team
nach dem Mehrheitsprinzip demokratisch getroffen werden. Ebenso sollten die Klienten
selbst sowie ihre Angehörigen miteinbezogen werden, nur so kann Selbstbestimmung
erreicht werden (vgl. Thimm 1985, S. 146).
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Zudem spielt die pädagogisch- therapeutische Orientierung eine wichtige Rolle. Im
Umgang mit den Klienten sollte die Förderung des Klienten eine sehr wichtige Stellung
einnehmen, dazu zählen das Erlernen von sozialen Fähigkeiten, Kulturtechniken und
selbstständigem Wohnen. Als normalisierungsnah wird ebenfalls eingestuft, wenn die
Mitarbeiter mit den Klienten zusammen ihre Mahlzeiten einnehmen und sich nicht
absondern. Außerdem sollten Mitarbeiter ihre Aufgabe im Unterstützen und nicht im
Korrigieren sehen. Zum Selbstbestimmungsaspekt gehört, dass die Klienten in alle sie
persönlich betreffenden Entscheidungen miteinbezogen werden und dass ihre
Beteiligung auch im institutionellen Rahmen geschieht, wozu eine gewählte,
stimmberechtigte Behindertenvertretung nötig wäre (vgl. Thimm 1985, S. 146f).
Auch das Bild vom Klienten ist entscheidend bei der Handlungsorientierung der
Mitarbeiter. Sie sollten wie vom Normalisierungsgedanken gefordert, als Mitbürger
angesehen werden und dürfen nicht stigmatisiert werden (vgl. Thimm 1985, S. 147).
Die Klienten sollten dem Alter entsprechend angesprochen und nicht als „Patient“
bezeichnet werden, weil dieser Begriff eher mit einer medizinisch- pflegerischen
Versorgung gekoppelt ist (vgl. Thimm 1985, S. 165). Ich vermute, dass sich das
Sprachverhalten und Handlungsorientierung gegenseitig beeinflussen.
Ein weiterer Aspekt einer normalisierungsnahen Orientierung bezieht sich auf die
„Ausschleusung“ der Klienten als prospektives Ziel. Eine Versorgung behinderter
Menschen wird tendenziell abgelehnt, Selbstständigkeit und Selbstbestimmung
hingegen sollen gefördert werden (vgl. Thimm 1985, S. 169). Dieses Ziel ist eng mit
dem Normalisierungsprinzip verknüpft, da die Lebensbedingungen der behinderten
Menschen, denen der nicht behinderten Menschen angepasst werden sollen und es in
unserer Gesellschaft als „normal“ gilt, etwa zu Beginn der Volljährigkeit auszuziehen.
Eine normalisierungsnahe Handlungsorientierung zeichnet sich dadurch aus, dass
Mitarbeiter das Ziel verfolgen, Entwicklungen zu fördern. Selbstständigkeit und
Eigenverantwortlichkeit sind Hauptziele bei der pädagogischen Betreuung (vgl. Thimm
1995, S. 15).
Normalisierungsferne zeichnet sich dadurch aus, dass mit einem defektorientierten,
medizinischem Modell gearbeitet wird. Hier geht es mehr um die Versorgung der
„Patienten“, als um Förderung und Selbstbestimmung (vgl. Thimm 1995, S. 15).
Als normalisierungsfern werden Strukturen in Einrichtungen bezeichnet, in denen der
Mitarbeiter nicht oder kaum an Entscheidungen beteiligt wird, da diese hauptsächlich
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auf der Leitungsebene gefällt werden und er lediglich darüber informiert wird. Ebenso
normalisierungsfern ist es, wenn Klienten nicht an Entscheidungen, die ihr Leben
betreffen beteiligt werden (vgl. Thimm 1985, S. 147).
Eine normalisierungsferne Orientierung der Mitarbeiter äußert sich dadurch, dass Pflege
und Aufbewahrung der behinderten Menschen als Aufgaben angesehen werden und am
medizinischen Modell festgehalten wird. Außerdem ist es normalisierungsfern, wenn
Mahlzeiten zwischen Klienten und Mitarbeitern getrennt eingenommen werden und sich
die Bildung der Klienten auf die Förderung praktischer Techniken wie lesen, anziehen,
waschen etc. beschränken (vgl. Thimm 1985, S. 147).
Durch das Festhalten am medizinischen Modell kommt es dazu, dass Mitarbeiter
meinen, Psychopharmaka seinen unbedingt für die Betreuung geistig behinderter
Menschen notwendig, was ebenfalls als normalisierungsfern anzusehen ist, weil aus
Mitbürgern Patienten gemacht werden. Ebenfalls zeigt sich eine normalisierungsferne
Einstellung dadurch, dass das selbstständige Wohnen nicht oder erst ab ca. 30 Jahren als
Ziel formuliert wird (vgl. Thimm 1985, S. 148).
2.8 Exkurs: Nirjes Normalisierungsforderungen im Praxisfeld
Im Rahmen meiner Vordiplomarbeit ist es mir nicht möglich zu untersuchen, ob das
Normalisierungsprinzip heute, etwa 45 Jahre nach seiner Entstehung, flächendeckend in
Deutschland verbreitet ist. Deshalb möchte ich im Folgenden beschreiben, welche
Erfahrungen ich bezüglich des Normalisierungsprinzips während meines Praktikums in
einem Wohnverbund für geistig behinderte Erwachsene gesammelt habe. Der
Wohnverbund besteht aus einem Wohnheim, einer Trainingswohnung, einer
Außenwohngruppe und dem Betreutem Wohnen. Zur Verdeutlichung möchte ich an
dieser Stelle die Verwirklichung des Normalisierungsprinzips in diesem Wohnverbund
an Hand der von Nirje geforderten acht Lebensbereiche untersuchen, weil ich der
Meinung bin, dass diese eine gute Struktur zu der Umsetzung des
Normalisierungsprinzips in der Praxis sind.
1. Normaler Tagesrhythmus: Die Bewohnerinnen und Bewohner sind morgens zu
üblichen Zeiten aufgestanden, haben gefrühstückt und sind zur Arbeit in einer
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Werkstätte für behinderte Menschen gefahren. Einige von ihnen waren in der
Lage selbstständig die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen.
2. Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit: Wie bereits beschrieben, haben die
Arbeitnehmer ihr Heim morgens verlassen, sind zur Arbeit gefahren und abends
wiedergekommen. Freizeitangebote wie Veranstaltung einer Disko oder
Brunchen wurden im Wohnheim angeboten, waren aber außerdem öffentlich.
Zudem wurden außerhalb des Heimes von anderen Trägern Kochkurse,
Kräuterlehrgänge, Diskos oder Sommerfeste veranstaltet, welche von
interessierten Bewohnerinnen und Bewohnern zum Teil mit Assistenz besucht
werden konnten.
3. Normaler Jahresrhythmus: Jeder Bewohnerin und jedem Bewohner wird die
Möglichkeit eröffnet, mindestens einmal im Jahr zu vereisen. Dieses geschieht
in kleinen Gruppen von denen das Reiseziel selbst gewählt wird. Alljährliche
Feste wie Weihnachten, Ostern, Geburtstage etc. werden gefeiert und es besteht
die Möglichkeit den hauseigenen Saal für größere private Feste wie Geburtstage
oder Hochzeitfeiern zu mieten.
4. Normaler Lebensablauf: Der Wohnverbund ist für geistig behinderte Menschen
ab 18 Jahren geöffnet. Er bietet jungen Erwachsenen die Möglichkeit sich von
den Eltern zu lösen und auszuziehen. Selbstständigkeit kann in der
Trainingswohnung geübt werden und bei vorhandenen Kompetenzen kann in
das Betreute Wohnen gewechselt werden. Das bedeutet, dass mit Unterstützung
in einer eigenen Wohnung gelebt werden kann. Aber auch im Heim wird auf
Selbstständigkeit und Selbstbestimmung viel Wert gelegt. Die Bewohner
erledigen kleinere Dienste wie Tischdecken, sie beziehen ihr Bett selbst oder
kochen zusammen.
5. Respektierung der Bedürfnisse geistig Behinderter als normal: Jeder Mensch ist
individuell und hat eigene Bedürfnisse. Die Bewohner haben im Wohnheim
einen Bezugsbetreuer, der ihnen bei der Umsetzung ihrer Wünsche und zudem
bei Problemen zur Seite steht, sie respektiert und bei der Lösung hilft.
19
6. Angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern: Die Wohngruppen sind
nicht nach Geschlechtern getrennt. Jede Bewohnerin und jeder Bewohner hat
sein eigenes abschließbares Zimmer, das eine Privatsphäre gewährleisten soll.
Bei einem Paar, das im Heim lebt, wurde sogar die Wand zwischen den
Zimmern entfernt, damit sie zusammen leben können. Ein anderes Paar aus dem
Betreuten Wohnen plante während meiner Praktikumzeit seine Hochzeit.
7. Normaler wirtschaftlicher Standard: In einer Werkstätte für behinderte
Menschen verdient man nicht soviel wie auf dem ersten Arbeitsmarkt, sondern
lediglich etwa 150 Euro. In diesem Bereich ist das Normalisierungsprinzip noch
nicht umgesetzt. Die Arbeitnehmer sind aber sozialversichert und haben
Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Der Wohnheimplatz wird bei den
meisten Bewohnern von dem überörtlichen Sozialhilfeträger finanziert.
8. Normale Standards der alltäglichen Wohn- und Lebensbedingungen: Im
Wohnheim waren moderne Möbel, jeder konnte zudem sein Zimmer individuell
gestalten. Jedoch besaß nicht jede Bewohnerin und jeder Bewohner einen
eigenen Fernseher, was wahrscheinlich mit den finanziellen Gegebenheiten
zusammenhängt. Das Wohnheim selbst war gut in dem Stadtteil integriert, es
bestanden verschiedene Möglichkeiten zum Einkaufen und eine gute Anbindung
an die öffentlichen Verkehrsmittel.
Zusammenfassend kann man sagen, dass im Wohnverbund das Normalisierungsprinzip
schon erfolgreich durchgeführt wird. Der Normalisierungsgedanke war bei allen
Entscheidungen und Tätigkeiten der Mitarbeiter vorzufinden. Leider bestehen noch
Mängel bei den finanziellen Bedingungen, um die Lebensbedingungen der behinderten
Menschen an die der nicht behinderten Menschen anzupassen und ihnen somit gleiche
Rechte zu ermöglichen.
20
3. Die Übertragung des Normalisierungsprinzips auf die Arbeit im
Altenheim
In diesem Kapitel möchte ich das im zweiten Kapitel vorgestellte
Normalisierungsprinzip auf die Arbeit mit alten Menschen im Altenheim übertragen. Es
muss bei diesem Thema beachtet werden, dass ich mich auf alte Menschen beziehe, die
Hilfe im Alltag brauchen. Dies ist aber statistisch betrachtet nur eine geringe Gruppe der
alten Menschen und ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass alle alten Menschen
Hilfe benötigen (vgl. Wahl 1991, S. 30).
Ich bin der Meinung, dass alte Menschen, die jedoch Hilfe benötigen, nicht auf Grund
von Krankheiten, Demenz oder altersbedingten Schwächen ihr Recht auf normale
Lebensbedingungen verlieren dürfen. Deshalb finde ich, dass das
Normalisierungsprinzip nicht nur auf die Lebensbedingungen behinderter Menschen
anwendbar ist, sondern auch auf die Lebensbedingungen alternder Menschen, die im
Heim leben. Ich beziehe mich in dieser Arbeit auf die Arbeit im Altenheim und darauf,
wie diese aus meiner Sicht verändert werden müsste, um dem Normalisierungsprinzip
gerecht zu werden. Deshalb gehe ich nicht auf ambulante Dienste ein, obwohl diese
wahrscheinlich eher das Wohnen in normalen Lebensbedingungen außerhalb von
Pflegeheimen ermöglichen.
Die Arbeit in den Altenheimen hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark verbessert.
Die in Erfahrungsberichten beschriebenen unwürdigen Verhältnisse (siehe hierzu
Alteninitiativen 1989 und auch Göschel/ Lucke 1990) wurden weitgehend abgeschafft,
menschenwürdige Lebensbedingungen geschaffen. In vielen Heimen wird eine sehr
bedeutsame und hervorragende Arbeit geleistet! Ich möchte diese Arbeit auf gar keinen
Fall abwerten, aber ich möchte Ziele für die weitere Entwicklung der Arbeit in
Altenheimen vorstellen. Ich bin mir bewusst, dass diese Ziele momentan schwer
umzusetzen sind. Eine bedeutsame Grenze der Umsetzung des Normalisierungsprinzips
auf die Arbeit im Altenheim scheint die finanzielle Situation der Pflegekassen und die
daraus resultierenden zu eng berechneten Personalschlüssel zu sein. Jedoch möchte ich
mit den Forderungen des Normalisierungsprinzips den weiteren Entwicklungen in den
Altenheimen eine Richtung zeigen, die die Lebensbedingungen in Altenheimen
verbessern könnten.
21
Im Folgenden spreche ich von „dem Bewohner“. Ich verwende diese Form, um den
Text flüssiger lesen zu können. Natürlich beziehen sich alle Aussagen auch auf „die
Bewohnerin“. Zudem ist der Begriff „der Bewohner“ weniger stigmatisierend, als der
Begriff „der Pflegebedürftige“, welcher eine defizitorientierte Sicht vermitteln würde.
3.1 ATL und Normalisierung
Das Konzept der „Aktivitäten des täglichen Lebens“ (ATL) beinhaltet die
verschiedenen Grundbedürfnisse der Menschen. Es basiert auf den Pflegemodellen von
Virginia Henderson und Nancy Roper und wurde in Deutschland durch Juliane Juchli
bekannt (vgl. http://www.pflegen-online.de).
Die Aufgabe der Pflege ist es, in den Bereichen, die der Mensch nicht mehr alleine
regeln kann, zu helfen. Die Leistungen der Pflegeversicherung orientieren sich an
diesem Konzept (vgl. SGB XI § 14 Abs. 4; http://www.medizinfo.de).
Ich stelle nun die von Nancy Roper erfassten 12 Bedürfnisse vor (vgl.
http://www.altenpflegeschueler.de) und erkläre ihre Bedeutung für den Menschen:
1. Für eine sichere Umgebung sorgen: Damit ist gemeint, dass der alte Mensch
seine Umwelt und seine Mitmenschen kennt und sich in dieser Umgebung sicher
fühlen kann. Für die Arbeit im Altenheim bedeutet dies, dass besonders
demenzkranke Menschen in diesem Bereich Hilfe und Unterstützung zur
Orientierung benötigen.
2. Kommunikation: Die verbale und nonverbale Kommunikation dient den
Menschen zum Austausch von Meinungen, Wünschen, Emotionen oder
Bedürfnissen. Bei Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr
sprechen, könnte nonverbale Kommunikation (Mimik, Gestik) eine bedeutsame
Rolle einnehmen.
22
3. Atmen: Der bei der Atmung aufgenommene Sauerstoff ist überlebenswichtig.
Wenn Menschen Probleme bei der Atmung haben, ist es Aufgabe der Pflege,
diesen Menschen bei der Atmung zu unterstützen. Dieses kann beispielsweise
durch eine angenehme Sitzposition oder durch die Zugabe von Sauerstoff
geschehen.
4. Essen und Trinken: Die Aufnahme von Energie mittels Getränke und Nahrung
ist ebenfalls überlebenswichtig. Personen, die nicht mehr essen oder trinken
können, werden zum Beispiel mit Hilfe einer Sonde ernährt. Personen, die nicht
alleine essen oder trinken können, wird die Nahrung angereicht.
Zudem ist auch die sinnliche und soziale Dimension der Mahlzeiten nicht zu
unterschätzen. Die Mahlzeiten können eine Strukturhilfe im Alltag sein und
bieten Möglichkeiten zu Gesprächen mit den anderen Bewohnern.
5. Ausscheiden: Der Mensch nimmt Nahrung auf, zieht alle für ihn verwertbaren
Nährstoffe heraus und scheidet das, was er nicht benötigt, wieder aus. Bei
diesem Vorgang kann es zu Störungen kommen, zum Beispiel zur
Altersinkontinenz, auf die pflegerisch geantwortet werden muss.
6. Sich sauber halten: Hygiene ist wichtig, um Krankheiten vorzubeugen und sich
wohl zu fühlen. Zur Hygiene gehören unter anderem die Bereiche Waschen,
Duschen, Baden und ein regelmäßiger Kleidungswechsel. Sollte ein Bewohner
diese Bereiche nicht mehr alleine bewältigen, ist es Aufgabe der Pflege ihn zu
unterstützen.
7. Körpertemperatur regeln: Dieses geschieht durch die Aufnahme von Nahrung
und durch die Auswahl an die Außentemperatur angepasste Kleidung. Auch in
diesen Bereichen können Pflegekräfte beraten und unterstützen.
8. Sich bewegen: Bewegung ist einerseits wichtig, um sich fortzubewegen und
Orte aufzusuchen, andererseits ist Bewegung für den gesamten Kreislauf wichtig
und kann helfen, Übergewicht vorzubeugen oder abzubauen. Bewohner, deren
Mobilität eingeschränkt ist, kann durch tägliche Übungen zum Wiederaufbau
23
ihrer Mobilität verholfen werden. Aber auch technische Hilfsmittel, wie
elektronisch angetriebene Rollstühle können zum Erhalt der Mobilität beitragen.
9. Arbeiten und spielen: Arbeiten ist wichtig, um sich als Mensch zu fühlen, der
gebraucht wird und dessen Tun einen Sinn hat. Da die Bewohner eines
Altenheimes nicht mehr erwerbstätig sind, könnten mit dem Personal
gemeinsam neue Aufgabenbereiche gesucht werden. Mit Spielen ist
beispielsweise die Freizeitgestaltung, die Erholung und Muße gemeint, welche
ebenfalls mit Hilfe des Personals angeregt werden können.
10. Sich als Mann oder Frau fühlen: Jedes Geschlecht hat seine eigene Rolle, seine
eigene Art sich zu kleiden und sich zu präsentieren. Diese Rolle ist ein großes
Stück Identität und diese sollte selbstverständlich auch im Alter bewahrt werden.
11. Schlafen: Jeder Mensch hat ein individuelles Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf.
Diese Zeit dient zur Erholung und zur Regeneration des Körpers und der
Energien. Variablen, die dieses Bedürfnis beeinflussen, sind unter anderem das
Alter, die Gewohnheiten, die Aktivitäten am Tag oder die
Medikamenteneinnahme. Den Bewohnern sollte deshalb immer eine
Rückzugsmöglichkeit angeboten werden.
12. Sterben: Jedes Lebewesen wird nach seiner Lebenszeit sterben. Die
Lebenserwartung der Menschen ist in den vergangenen Jahrhunderten rapide
gestiegen, dennoch lässt sich der Tod nur hinauszögern, nicht aufhalten. Was
nach dem Tod kommt, ist eine Glaubensfrage. Niemand sollte alleine sterben,
deshalb ist eine Sterbebegleitung sehr wichtig.
Nun möchte ich diese 12 Aktivitäten des täglichen Lebens, also die Aufgabenbereiche
der Pflege, falls ein Mensch mit ihnen Schwierigkeiten hat, mit den acht Forderungen
zur Normalisierung von Nirje vergleichen, weil ich der Meinung bin, dass diese die
praktische Umsetzung des Normalisierungsprinzips sehr gut darstellen. Es ist auffällig,
dass man die 12 ATL und die acht Forderungen von Nirje jeweils in Kategorien
aufteilen kann.
24
Bei den ATL handelt sich um Körperfunktionen (Atmen, Essen und Trinken,
Ausscheiden, Körpertemperatur regeln, Schlafen, Sterben). Die zweite Kategorie
beinhaltet soziale Funktionen (für eine sichere Umgebung sorgen, kommunizieren, sich
sauber halten und kleiden, sich bewegen, arbeiten und spielen, sich als Mann oder Frau
fühlen).
Die Forderungen von Nirje würde ich in zwei andere Kategorien unterteilen, zum einen
die sozialen Bereichen (normaler Tagesrhythmus, normaler Jahresrhythmus, normaler
Lebensablauf, Respektierung der Bedürfnisse alter Menschen als normal, angemessene
Kontakte zwischen den Geschlechtern) und zum anderen die Bereiche, die die
Lebensumgebung beschreiben (Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit, normaler
wirtschaftlicher Standard, normale Standards der alltäglichen Wohn- und
Lebensbedingungen).
Nach dieser Einteilung wird deutlich, dass das Normalisierungsprinzip keine Aussagen
zu den Körperfunktionen macht. Dieses könnte damit zusammenhängen, dass
Körperfunktionen als selbstverständlich angesehen werden. Zudem fällt auf, dass die
ATL keine Aussagen zur Lebensumgebung machen, außer dass sie sicher sein soll. Dies
kann man darauf zurückzuführen, dass sich das Normalisierungsprinzip mit den
Lebensbedingungen beschäftigt, die ATL jedoch Aktivitäten des täglichen Lebens sind.
Beide Konzepte beinhalten soziale Aspekte, die miteinander vergleichbar sind. Der
Aspekt „Arbeiten und Spielen“ (ATL) ist zum Beispiel dem Aspekt „Trennung von
Wohnen, Arbeit und Freizeit“ (Normalisierung) ähnlich, jedoch beinhaltet er lediglich,
dass es Arbeits- und Ruhephasen geben sollte, nicht, dass diese räumlich voneinander
getrennt sein sollten. Milieuwechsel werden jedoch in den ATL durch den Aspekt „Sich
bewegen“ angestrebt. „Sich als Mann oder Frau fühlen“ (ATL) ist vergleichbar mit
„angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern“ (Normalisierung), wobei der
Ausdruck aus den Normalisierungsforderungen deutlicher ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Normalisierungsprinzip keine Aussagen zu
den Körperfunktionen macht und die ATL die Umstände der Lebensumgebung nicht
erfasst. Wenn das Normalisierungsprinzip als Leitbild für die Arbeit im Altenheim
angestrebt wird, könnte man beide Konzepte kombinieren, um eine optimale Betreuung
zu erreichen und Pflege und Pädagogik miteinander zu kombinieren.
25
3.2 Bengt Nirjes Forderungen übertragen auf die Arbeit im Altenheim
Nirjes Forderungen zur Umsetzung des Normalisierungsprinzips lassen sich etwas
umgewandelt auf das Leben und die Arbeit im Altenheim übertragen, um dort die
Lebensbedingungen zu normalisierten.
1. Normaler Tagesrhythmus: Zu einem normalem Tagesrhythmus gehört, dass
selbst bestimmt werden kann, wann man aufstehen oder zu Bett gehen möchte,
oder wann man einen Mahlzeit zu sich nehmen möchte. Bezogen auf die Arbeit
im Altenheim bedeutet dies, dass die Arbeitszeiten des Personals den
Schlafgewohnheiten der Bewohner angepasst werden müssen, und dass die
Möglichkeit besteht, Mahlzeiten flexibel einzunehmen.
2. Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit: Die Bewohner des Altenheims
arbeiten nicht mehr. Sie haben sich ihren Ruhestand verdient und der
Freizeitbereich gewinnt an Bedeutung, um das Leben sinnvoll zu gestalten.
Freizeit ist eine Zeit, in der Bedürfnisse entfaltet werden können und in der
Gestaltungsmöglichkeiten bestehen. Der Freizeitsoziologe Opaschowski
unterscheidet in acht Bedürfnisse, denen in der Freizeit nachgekommen werden
kann (vgl. Schmitz, 1999, S. 290):
• Rekreation = Erholung,
• Kompensation = Ausgleich
• Edukation = Lernen
• Kontemplation = Selbstbesinnung
• Kommunikation = soziale Kontakte
• Integration = Gemeinschaft
• Partizipation = Beteiligung
• Enkulturation = kreative Entfaltung
Für die Arbeit im Altenheim bedeutet dieser Aspekt, dass die Gestaltung der
Freizeit aktiv unterstützt werden sollte. Werden Freizeitangebote im Altenheim
selbst angeboten, so ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Nirje fordert aber
26
eine Trennung der Bereiche Wohnen und Freizeit, deshalb sollten auch
Angebote außerhalb des Heimes organisiert oder unterstützt werden und somit
eine Integration der im Altenheim lebenden Menschen fördern. Wenn zudem
Selbstbestimmung fördern möchte, ist zu beachten, dass respektiert wird, wenn
Bewohner auch mal nichts tun möchten.
3. Normaler Jahresrhythmus: Zu einem normalem Jahrsrhythmus gehören Feste
und Jahreszeiten, die gemeinsam gestaltet werden können. Doch auch Urlaub ist
ein wichtiger Aspekt. Leider gibt es kaum Angebote für Senioren, doch
Tagesausflüge könnten auch vom Altenheim aus organisiert und angeboten
werden, damit die Bewohner andere Umgebungen kennen lernen, sich auf etwas
freuen und neue Erfahrungen machen können.
4. Normaler Lebensablauf: Die Bewohner eines Altenheims sind erwachsene
Menschen und sie sollten deshalb auch immer als solche respektiert und
anerkannt werden. Dazu gehört, dass sie gesiezt werden, außer wenn sie den
Mitarbeitern von sich aus das „du“ anbieten.
Normale Lebensbedingungen waren für die meisten weiblichen Bewohner durch
Hausarbeit gekennzeichnet. Durch die Möglichkeit auch im Heim zum Beispiel
in einer Wohnbereichsküche oder mit der Wäsche zu helfen, kann ein Stück weit
„Alltagsnormalität“ geschaffen werden. Diese kann dazu beitragen, dass sich die
Bewohnerinnen als kompetent erleben und sie werden in den Tagesablauf mit
eingebunden. Bei männlichen Bewohnern ist eventuell das Helfen im Garten
eine sinnvolle und erfüllende Tagesaufgabe. Dabei muss beachtet werden, dass
jede Bewohnerin und jeder Bewohner eine andere Alltagsnormalität kennt, auf
diese Vorstellungen sollten die Mitarbeiter eingehen (vgl. Müller/ Seidl 2003,
S.35ff).
Alltagsnormalität kann demenziell erkrankten Menschen auch emotionale
Sicherheit bieten. Wenn Bewohner zum Beispiel in der Küche helfen und
Kartoffeln schälen, dann üben sie Handlungsmuster in einem
sicherheitsgebenden Milieu aus. Stress- und Überforderungssymptome wie
Angst und Aggressionen können dadurch minimiert werden (vgl. Müller/ Seidl
2003, S. 40).
27
5. Respektierung der Bedürfnisse alter Menschen als normal: Die Bedürfnisse alter
Menschen unterscheiden sich von den Bedürfnissen junger Menschen. Wenn
alte Menschen Hilfe beim Aufstehen, Waschen oder beim Toilettengang
benötigen, sollte diese Hilfe ihnen selbstverständlich gegeben werden, ohne sie
wegen ihrer Hilfsbedürftigkeit abzuwerten. Zudem ist es wichtig, keine „erlernte
Hilflosigkeit“ entstehen zu lassen. Dieser Begriff wurde 1975 von einem
amerikanischen Psychologen namens Martin Seligmann eingeführt. Es handelt
sich hierbei um eine Rollenübernahme der Bewohner eines Heimes, welche zu
Kompetenzverlusten führen kann und sie dadurch unselbstständiger macht.
Wenn der Bewohner die Rollen des dem zu Helfenden einnimmt und die
Pflegekraft ihm übermäßig hilft, also auch bei den Dingen, die er noch sehr gut
alleine kann, dann integriert der Bewohner diese Rolleneinteilung in sein
Selbstbild und wird erst dadurch unselbstständig (vgl. Wahl 1991, S. 100ff).
6. Angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern: Auch alte Menschen
haben das Recht auf Kontakte zwischen den Geschlechtern. Ihnen sollte eine
Privatsphäre gegeben werden, die nur durch ein abschließbares Einzelzimmer
gewährleistet werden kann. Kontakte sollten respektiert und nicht belächelt
werden. Zudem sollte den Bewohnern ermöglicht werden, auch über Nacht in
ihrem Zimmer Besuch zu haben oder außerhalb des Heimes zu übernachten (vgl.
Damm 1999, S. 253).
Wohnbezirksnahe Standorte von Altenheimen würden die Beibehaltung
bisheriger Sozialkontakte erleichtern und einer sozialen Isolation
entgegenwirken (vgl. Dennebaum/ Rückert 1987, S. 177).
7. Normaler wirtschaftlicher Standard: Der Altenheimplatz wird zum Teil von der
Pflegeversicherung und zum anderem Teil entweder von der Rente und dem
Ersparten der Bewohner, oder von der Sozialhilfe finanziert. Ist letzteres der
Fall, so erhalten die Bewohner ein monatliches „Taschengeld“ von 80 Euro.
Jedoch haben diese Menschen ihr Leben lang durchschnittlich mehr zur
Verfügung gehabt. Es kommt also zu Abstrichen im finanziellen Bereich, nur
weil sie alt sind und Hilfe benötigen. Dieses widerspricht dem
Normalisierungsprinzip, weil es sich hierbei um „unnormale“
Lebensbedingungen handelt. Außerdem schürt es die Angst alter Menschen und
28
deren Familien vor einen Heimeintritt, weil sie den Status eines Sozialhilfe- und
Taschengeldempfänger nicht besitzen möchten. (vgl. Klie 1987, S. 50).
Gesetzesänderungen zu Gunsten der Bewohner würden die Lebensbedingungen
verbessern. Dies könnte so aussehen, dass zum Beispiel die Pflegekasse den
vollständigen Heimplatz finanziert.
8. Normale Standards der alltäglichen Wohn- und Lebensbedingungen: Meistens
ist ein Altenheim mit funktionellen Möbeln ausgestattet. Zur Umsetzung des
Normalisierungsprinzips in Altenheimen würde jedoch beitragen, wenn die
Bewohner ihre eigenen Möbel zur individuellen Gestaltung ihres Zimmers
mitbringen dürften, und nur in wirklichen Bedarfsfällen sollte auf ein Pflegebett
und einem Pflegenachtschrank bestanden werden. Zudem sollten die
Wohnbereiche nicht krankenhausähnlich und rein funktionell ausgestattet sein.
Sitzecken und kleine Wohnzimmereinheiten könnten das Wohlbefinden der
Bewohner sicherlich fördern und zur Kommunikation beitragen.
3.3 Wolf Wolfensbergers Valorisation der sozialen Rolle
Wolf Wolfensberger bezieht das Normalisierungsprinzip auf alle von der Gesellschaft
abgewerteten Gruppen, somit auch auf alte Menschen. Zudem gestaltet Wolfensberger
einen Bezug des Normalisierungsprinzips zu gesellschaftlichen
Erklärungszusammenhängen.
Wolfensbergers Einteilung der Normalisierung in drei Stadien (Normalisierung der
Hilfen, Normalisierung des sozialen Ansehens und der Handlungskompetenz und
Normalisierung der Lebensbedingungen) und der spiralförmige Zusammenhang dieser
Stadien lassen sich auf die Arbeit mit alten Menschen übertragen.
Normalisierung der Hilfen für alte Menschen, die im Altenheim leben, bedeutet, dass
diese in einem Heim leben, das eher einer Wohnung und weniger einem Krankenhaus
ähnelt. Dies kann zu einem anderen Umgang mit den Bewohnern führen. Wenn die
Bewohner und Bewohnerinnen nicht wie Patienten, sondern wie Bewohner ihres
Heimes behandelt werden, wenn sie nicht durch ihre Hilfsbedürftigkeit abgewertet
werden und wenn ihre Selbstbestimmung und Selbstständigkeit erhalten und gefördert
werden, so steigt das soziale Ansehen und die Handlungskompetenz der Bewohner.
29
Selbstbestimmung und Selbstständigkeit beeinflussen wiederum die
Lebensbedingungen der Bewohner und Bewohnerinnen.
Wolfensberger unterscheidet die Normalisierung in zwei Dimensionen, der
Interaktionsdimension und der Interpretationsdimension. Normalisierung bezieht sich
zunächst auf die Interaktionen der alten Menschen untereinander (personale Ebene), mit
dem Personal und mit den Angehörigen, Bekannten und Freunden (Ebene intermediärer
Systeme) und mit der Öffentlichkeit (gesellschaftliche Systeme). Die zweite Dimension
bezieht sich auf die Präsentation, alleine (personale Ebene), vor anderen (Ebene
intermediärer Systeme) und außerhalb des Heimes in der öffentlichen Gesellschaft
(Ebene gesellschaftlicher Systeme).
Die Interaktion auf der personalen Ebene, zwischen Bewohnern und Bewohnerinnen
untereinander sollten nicht dem Zufall überlassen werden. Wenn Bewohner einsam
sind, sollte ihnen geholfen werden soziale Kontakte zu anderen aufzubauen. Die
Mitarbeiter kennen die Bewohner, sie könnten bei ähnlichen Interessen vermitteln und
Gelegenheiten zum Kennenlernen organisieren.
Die Interaktionen auf der Ebene intermediärer Systeme, beispielhaft zwischen
Mitarbeitern und Bewohnern, sollten respektvoll gestaltet sein. Bewohner dürfen nicht
bevormundet und wie Kinder behandelt werden; sie sind erwachsene Menschen, die die
Dienstleistung der Hilfe im Alltag in Anspruch nehmen. Ihre Selbstbestimmung sollte
nicht untergraben werden. Ein anderes Beispiel wären Interaktionen zwischen
Bewohnern und ihren Besuchern (Familie, Bekannte, Freunde). Diesen Interaktionen
muss Zeit und Raum gegeben werden. Das Heim muss sich für Besucher öffnen und
Räumlichkeiten zum Besuchen bereitstellen. Des Weiteren darf der Tag der Bewohner
nicht durch Besucherzeiten eingeschränkt werden. Es sollte selbstverständlich sein, dass
Bewohner auch zur Mittagszeit oder erst am späten Abend Besuch empfangen dürfen
(vgl. Damm 1999, S.287).
Interaktionen mit der Öffentlichkeit sollten gefördert werden, damit sich der Bewohner
nicht im Eigenleben des Heimes „verschanzt“ und sich nicht von der Außenwelt
abgrenzt. Dazu wäre es wünschenswert, wenn Freizeitangebote nicht nur innerhalb des
Heimes bereitgestellt, sondern auch nach außerhalb verlagert werden. Aber auch
alltägliche Dinge wie ein Besuch beim Arzt, beim Frisör, Einkäufe im Supermarkt oder
Gänge zur Bank, sollten nicht vom Heim aus durch interne Regelungen ersetzt werden.
30
Mir ist sehr wohl bewusst, dass es nicht allen Bewohnern möglich ist, das Heim
selbstständig zu verlassen. Solchen Bewohnern sollte Personal zur Assistenz
bereitgestellt werden. Schwerstpflegebedürftigen Bewohnern sollte, auch wenn sie nicht
sitzen können, täglich mindestens ein Milieuwechsel ermöglicht werden. Damit ist nicht
gemeint, dass kein Arzt oder Frisör mehr in das Heim kommen sollte, um dort zu
arbeiten. Jedoch sollte berücksichtigt werden, dass, wenn das Normalisierungsprinzip
umgesetzt werden soll und den Bewohner normale Lebensbedingungen ermöglicht
werden sollen, auch an die Integration der Bewohner in die Öffentlichkeit gedacht
werden muss.
Die Interpretationsdimension ist ebenfalls auf die drei verschiedenen Handlungsebenen
zu übertragen. Auf der personalen Ebene geht es um die Selbstpräsentation der
Bewohner und um ihre Privatsphäre. Das Pflegepersonal dringt immer wieder in diese
Privatsphäre ein. Respekt vor der Intimsphäre der Bewohner ist an dieser Stelle
angebracht, um ihn nicht zu verletzen und ihm das Gefühl des „Ausgeliefertseins“ zu
vermitteln. Zur Selbstpräsentation der Bewohner gehört, dass sie ihr eigenes Zimmer so
gestalten, wie sie es bevorzugen, und sich selbst ebenfalls so kleiden, wie sie es
möchten. Diese Bedürfnisse sollten vom Personal gefördert werden. Doppelzimmer
oder eine Kleidungsauswahl durch das Personal wirken sich eher
normalisierungshemmend aus.
Auf der Ebene intermediärer System ist zu beachten, dass nicht abwertend über die
Bewohner unter den Mitarbeitern oder vor Angehörigen gesprochen werden darf. Wenn
Bewohner zudem öfter als andere Bewohner Hilfe brauchen, oder auf Grund ihrer
Demenz unhöflich mit dem Personal sprechen, so darf dieses Verhalten in keiner Weise
sanktioniert werden. Die Bewohner und Bewohnerinnen sollten in ihrer Persönlichkeit,
mit ihren Eigenarten und mit ihrer Bedürftigkeit respektiert werden. Auch die
Präsentation der Bewohner vor Besuchern ist wichtig bei der positiven Bewertung ihrer
sozialen Rolle. Riesige Lätzchen, die die Bewohner auch nach den Mahlzeiten noch
tragen, oder ein kindlicher Umgang mit ihnen, tragen eher zu einer Abwertung des
Images der Bewohner bei.
Auf der Ebene gesellschaftlicher Systeme sollten Altenheime mit keinen kindlichen
Namen benannt werden, um die Souveränität der Bewohner nicht nach außen hin zu
untergraben. Der Name der Einrichtung sollte die Funktion der Einrichtung
wiedergeben, so wie Krankenhäuser oder Schulen auch (vgl. Thimm 1995, S. 31).
31
Außerdem spielt die Präsentation des Heimes nach außen eine große Rolle. Wenn sich
das Heim für Außenstehende öffnet, beispielsweise durch einen „Tag der offenen Tür“
oder durch die Bereitstellung heiminterner Räume (Bibliothek, großer Saal, Cafeteria
etc.) und freundlich mit Besuchern umgeht, so ist dieses fördernd für eine positive
Darstellung der Bewohner, eine Chance soziale Kontakte zu knüpfen und ein Schritt um
Angehörigen, Freunden und Bekannten einen Besuch im Heim zu erleichtern, in dem
ihnen die Scheu vor dem Heim genommen wird. Heime, die über sich informieren,
Kritik zur Qualitätsverbesserung nutzen und kein Eigenleben abgegrenzt von ihrer
Wohnumgebung führen, präsentieren sich positiv in ihrer Umgebung (vgl. Dennebaum/
Rückert 1987, S. 179).
Durch die Normalisierung der Handlungsebenen auf der Interaktions- und auf der
Interpretationsebene wird eine positive Bewertung der sozialen Rollen (Valorisation)
der Menschen, die in diesem Heim leben, gefördert und normalisierte
Lebensbedingungen geschaffen.
3.4 Implementation des Normalisierungsprinzips
Die sechs Stadien der interkulturellen Übertragung des Normalisierungsprinzips nach
Flynn und Nitsch, könnten bei der theoretischen Übertragung auf die Arbeit im
Altenheim hilfreich sein. Deshalb verwende ich sie an dieser Stelle, um eine mögliche
Entwicklung in der Arbeit mit alten Menschen zu beschreiben.
Das erste Stadium nennt sich „Normgenese“. Es handelt sich um die Formulierung einer
neuen Norm. In Bezug auf die Arbeit mit alten Menschen könnte diese lauten, dass
Menschen, die im Altenheim leben, ein Leben so normal wie möglich führen sollen.
Dieses sollte ein Leitbild für alle Mitarbeiter werden. Alle Entscheidungen sollten sich
nach diesem Ziel ausrichten.
Das zweite Stadium heißt „Normdiffusion“. Hierbei handelt es sich um die Verbreitung
dieser neuen sozialen Norm bezogen auf das Leben im Altenheim durch mehrere
Praktiker, die ihre Praxis verändern und verbessern wollen.
Das dritte Stadium umfasst die rechtliche Verankerung des Normalisierungsprinzips für
die Arbeit im Altenheim. Dies könnte in Heimverträgen und auf der Seite der
Pflegeversicherung durch den Gesetzgeber geschehen.
32
Nach dieser theoretischen Phase folgt die praktische Phase, die konkrete Umsetzung des
Normalisierungsprinzips. Hier lautet das erste Stadium „Erprobung der neuen sozialen
Norm in Modellversuchen“. In dieser Phase wird das Normalisierungsprinzip in dieser
Phase zum Leitbild in einigen Einrichtungen. Alle Entscheidungen und Handlungen
orientieren sich an dem Normalisierungsgedanken. Das Leben der Bewohner verändert
sich, die Lebensbedingungen werden den Lebensbedingungen außerhalb eines Heimes
angeglichen.
Sollten diese Modellversuche positive Resonanz von Bewohnern, Angehörigen und
Mitarbeitern erhalten, so folgt das nächste Stadium, die „flächendeckende Ausbreitung“.
Das Normalisierungsprinzip könnte in vielen Heimen verschiedener Träger zum
Leitbild werden und in dem dritten Stadium namens „Institutionalisierung“ wird es zum
festen Bestandteil der Institution, zum Beispiel im Konzept.
3.5 Die Mitarbeiter im Altenheim
Die Zielvorstellungen der Bundesregierung für ambulante und stationäre Dienste
beinhalten, dass sie die körperlichen, geistig- seelischen und sozialen Grundbedürfnisse
der Klienten befriedigen. Ein weiteres Ziel soll sein, dass sie die Selbstständigkeit der
Klienten fördern und erhalten, dass die Lebenskontinuität nach Möglichkeiten erhalten
bleibt und dass die alten Menschen zu selbstständigem Handeln befähigt werden sollen
(vgl. Dennebaum/ Rückert 1987, S. 170).
Diese Zielvorstellungen beinhalten wichtige Aspekte des Normalisierungsgedankens.
Die Grundbedürfnisse der Bewohner sollten akzeptiert und befriedigt werden, so fordert
es auch Nirje. Selbstständigkeit bedeutet, Handlungen selbst auszuführen und somit
Abbauprozessen entgegenzuwirken. Selbstbestimmung bedeutet, über Handlungen
entscheiden zu können. Beide Dimensionen beeinflussen sich gegenseitig (vgl. Dreblow
1999, S. 153). Durch Selbstbestimmung und Selbstständigkeit können die Bewohner
ihre Lebensbedingungen selbst mitbeeinflussten und normalisieren. Zudem wäre eine
Kombination der Konzepte „Normalisierung“ und „ATL“ für eine optimale Betreuung
der Bewohner wichtig. Nur so könnte der Normalisierungsgedanke im Altenheim
umgesetzt werden.
Jedoch sind die Mitarbeiter, ihre Arbeitsbedingungen und ihre Einstellungen am
wichtigsten für diese Umsetzung. Wenn die Mitarbeiter das Leitbild, den Bewohnern
33
„ein Leben so normal wie möglich“ zu gestatten, nicht anerkennen, dann ist eine
unüberwindbare Grenze des Normalisierungsprinzips erreicht. Normalisierungsnahe
und normalisierungsferne Arbeitsbedingungen habe ich im Kapitel 2.7 dargestellt.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Mitbestimmung bei Entscheidungen, das Bild
vom Klienten, Selbstbestimmung und Selbstbestimmung wichtige Aspekte der
Handlungsorientierungen der Mitarbeiter sind. Wenn die Bewohner also nicht als
Patienten, sonder als Bewohner des Hauses angesehen werden, dann wird der Umgang
mit ihnen und die Austauschprozesse zwischen Bewohner und Mitarbeiter
wahrscheinlich normalisierungsnah verlaufen. Zudem sollten die Bewohner nicht als
passive Hilfeempfänger, sondern als aktive Dienstleistungsnehmer gesehen und
behandelt werden (vgl. Osbahr 2000, S. 19).
Für die Umsetzung des Normalisierungsprinzips ist es wichtig, dass die Mitarbeiter die
Forderungen und Ziele der Normalisierung kennen und anerkennen. Man könnte dies
eventuell durch eine Versammlung erreichen, in der die Grundidee vorgestellt wird.
Wichtig ist, deutlich zu machen, dass nicht ihre Arbeit kritisieren oder schlecht geredet
werden soll, sondern dass man Verbesserungsvorschläge einbringen möchte um die
Arbeit und das Leben im Altenheim zu verbessern. Kleinere Arbeitsgruppen, zum
Beispiel in Form von regelmäßigen Qualitätszirkeln, könnten selbstständig über die
Umsetzung einzelner Forderungen nachdenken und ihre Ergebnisse bei einer nächsten
Versammlung vorstellen. So würde das Normalisierungsprinzip nicht auf die
Mitarbeiter „übergestülpt“, sie würden es mitgestalten. Dieser Prozess selbst wäre dann
schon ein Anfang der Normalisierung, weil Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse mit
einbezogen werden würden. Für die Auszubildenden wäre es wünschenswert, wenn sie
das Normalisierungsprinzip schon in der Altenpflegeschule kennen lernen und dort
kritisch über die Umsetzung diskutieren können.
Nur wenn Mitarbeiter Normalisierung der Lebensbedingungen als übergeordnetes Ziel
ansehen und ihre Entscheidungen an diesem Ziel ausrichten, kann Normalisierung
funktionieren.
3.6 Forderungen für die Arbeit im Altenheim
In diesem Kapitel stelle ich mir die Frage, wie eine praktische Umsetzung des
Normalisierungsprinzips in einem Altenheim aussehen müsste. Normalisierte
34
Lebensbedingungen werde ich an Hand für die Arbeit im Altenheim typischen
Situationen vorstellen. Bei Interaktionen zwischen Bewohnern und Personal handelt es
sich immer um Aushandlungsprozesse. Deshalb möchte ich vorstellen, wie diese
Aushandlungsprozesse aussehen sollten, wenn das Normalisierungsprinzip als Leitbild
von den Mitarbeitern umgesetzt wird. Abhängigkeit und Normalität sollen dann in
Balance gehalten werden (vgl. Wendeler 1992, S. 141f).
1. Das Aufstehen und das zu Bett gehen: Den Bewohnern sollte die Möglichkeit
zur Mitbestimmung gegeben werden. Es handelt sich wie oben schon erwähnt
bei allen Interaktionen zwischen Pflegepersonal und Bewohnern um
Aushandlungsprozesse. Beide Parteien haben unterschiedliche Interessen: Der
Bewohner möchte selbst bestimmen, wann er aufsteht oder zu Bett geht, er
kennt seine Bedürfnisse am besten. Die Pflegekräfte haben die Aufgabe, dass
allen Bewohnern morgens beim Aufstehen und abends beim zu Bett gehen so
weit wie nötig geholfen wird. Durch Angleichung der Dienstpläne an die
gewünschten Aufsteh- und zu Bett geh- Zeiten wäre eine für beide Seiten
zufriedenstellende Lösung zu erreichen.
2. Pflegesituationen: Beim Waschen sollte darauf geachtet werde, dass dem
Bewohner nichts abgenommen wird, was er noch kann, weil die Nichtnutzung
von Kompetenzen zum Kompetenzverlust führen kann (vgl. Wahl 1991, S.142).
Im Interesse des Bewohners läge größtmögliche Selbstständigkeit, doch
Pflegekräfte arbeiten auf Grund der knappen Personalschlüssel unter Zeitdruck.
Um schneller zu arbeiten, nehmen sie Bewohnern auch leicht durchzuführende
Arbeiten ab. Ein besserer Personalschlüssel würde zur Erhaltung der
Selbstständigkeit der Bewohner beitragen. Dieses ist auf Grund der schlechten
finanziellen Lage der Pflegekassen schwer zu verwirklichen.
3. Die Kleidungsauswahl: Die Bewohner haben das Interesse sich so zu kleiden,
wie sie es sich wünschen. Die Kleidungsauswahl gehört zur Selbstbestimmung
und Selbstpräsentation. Da die Pflegekräfte wie oben schon erwähnt unter
Zeitdruck arbeiten, bleibt ihnen oft nicht die Zeit, gemeinsam mit den Bewohner
zu schauen, was er gerne anziehen möchte, die Kleider werden oft schon am
Abend zuvor vom Spätdienst hinausgelegt, um morgens Zeit zu sparen. Mit
35
einem besseren Personalschlüssel könnte den Bewohnern ermöglicht werden,
selbst und wenn nötig mit Hilfe die Kleidungsauswahl zu treffen.
4. Mahlzeiten: Die Bewohner ziehen aus unterschiedlichen Lebensgewohnheiten in
ein Altenheim ein. Jeder Bewohner hat seinen eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus
und gewohnte Essenszeiten. Um den Bewohnern ein Stück Alltagsnormalität zu
erhalten, wäre es sinnvoll, wenn die Mahlzeiten flexibel eingenommen werden
könnten. Einige Bewohner essen lieber abends warm, andere haben bestimmte
Vorlieben was die Auswahl oder die Getränke betrifft. Mit einem besseren
Personalschlüssel sowohl in der Großküche, als auch auf den Wohnbereichen
könnten individuelle Wünsche besser verwirklicht werden. Aber auch das schon
vorhandene Personal sollte auf Vorlieben, auch wenn sie ungewöhnlich sind,
eingehen und diese respektieren und somit helfen, ein Stück Identität des
Bewohners zu bewahren.
36
4. Schlusswort
Ich habe in meiner Hausarbeit anfangs die Entwicklung und die Inhalte des
Normalisierungsprinzips vorgestellt. Dieses Prinzip hat durch seinen nahen Praxisbezug
in den skandinavischen Ländern, aber auch in den USA und in Deutschland zu einer
verbesserten Arbeit mit behinderten Menschen geführt.
Jedoch wird das Normalisierungsprinzip, wie ich im Kapitel 2.4 dargestellt habe, von
verschieden Seiten kritisiert. Es wurde die Frage aufgeworfen, in welcher Weise mit
dem Normalisierungsprinzip „normale“ Lebensbedingungen geschaffen werden können.
Christian Geadt ist der Meinung, dass ein eigener Ort für behinderte Menschen ihnen
die Möglichkeit gibt, sich kompetent zu erleben.
Ich bin aber der Meinung, dass diese Separation der behinderten Menschen in eine
„Schonwelt“, ihnen das Recht auf die „gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft“ (SGB IX § 1 Abs. 1) nimmt! Integration bietet behinderten Menschen
Chancen Erfahrungen zu sammeln, Menschen kennen zu lernen, Kontakte zu knüpfen,
und sich als selbstwirksam und als Teil einer Gesellschaft zu erleben. Integration
verbessert das Selbstwertgefühl (vgl. Krebs 1986, S. 141). Deshalb empfinde ich es als
falsch, behinderte Menschen in einer eigenen abgegrenzten Welt leben zu lassen.
Ich habe diese Arbeit geschrieben, um mögliche Entwicklungswege für die Arbeit im
Altenheim aufzuzeigen. Einige meiner Vorschläge werden bereits in der Praxis
umgesetzt, andere finden ihre Grenze in der Finanzierbarkeit. Es gibt jedoch auch
Vorschläge, die sich ohne einen höheren finanziellen Aufwand umsetzbar wären. Dazu
gehört beispielsweise die Handlungsorientierung der Mitarbeiter.
Das Bild von alten Menschen prägt den Umgang mit ihnen. Wenn man sich bewusst
macht, was diese Menschen alles schon in ihrem Leben erlebt haben, kann man einige
Reaktionen besser verstehen und respektieren. Mitarbeiter und Angehörige sollten
immer vor Augen haben, dass es sich bei diesen Menschen um Erwachsene handelt,
auch wenn diese sich manchmal sehr kindlich benehmen. Zudem sollte auf Reaktionen,
die auf die Demenz oder Alzheimerkrankheit zurückzuführen sind, überlegt geantwortet
werden. Ich bin der Meinung, dass nie vergessen werden sollte, dass man sehr
wahrscheinlich selber einmal alt sein wird und dann eventuell auch Hilfe von anderen
37
braucht. Wenn man so mit alten Menschen umgeht, wie man später selbst behandelt
werden möchte, dann ist es selbstverständlich, nach dem Normalisierungsprinzip zu
handeln.
38
Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
Abs. Absatz
Aufl. Auflage
et. al. Et alii „und andere“
f. folgende (Seite)
ff. folgende (Seiten)
Hrsg. Herausgeber
S. Seite
SGB Sozialgesetzbuch
vgl. vergleiche
z.B. zum Beispiel
§ Paragraph
39
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Internetquellen:
http://www.altenpflegeschueler.de/sonstige/nancy-ropers.php��������������
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