phnom e no logie

16
DIE “PHÄNOMENOLOGIE DES GEISTES“ VON GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL UND DER MARXISMUS Ich möchte in meinem Vortrag Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Hegels “Phänomenologie des Geistes“ und der “Kritik der politischen Ökonomie“ von Karl Marx darstellen – und zwar anhand der Beziehung von Theorie und Praxis (I.), Einzelnem und Allgemeinem und Erscheinung und Wesen (II.) sowie Subjekt und Objekt (III.). I. Hegel und Marx gehen anfangs davon aus, dass nicht Theorie Praxis, sondern dass Praxis Theorie schafft. Für beide sind Kategorien Handlungen, die durch millionenfache Wiederholungen im menschlichen Bewusstsein den Charakter von Axiomen angenommen haben. Ihre Produzenten wiederum handeln in einem geschichtlich vermittelten (Handlungs-)Rahmen, der ihr Denken und Tun vorstrukturiert. Diesen Rahmen konstituieren sie aber selbst mit, auch wenn sich darüber nicht bewusst sind. Auch die in dem Rahmen enthaltenen Kategorien, die unmittelbar als praxisunabhängig und unveränderlich erscheinen, werden als Produkte menschlichen Handelns entlarvt und dementsprechend im Zustand realer und potentieller Veränderung gezeigt. 1 Der Praxisbegriff erfährt also im Gegensatz zur üblichen Vorstellung (die sich auch in der Philosophiegeschichte niederschlägt) eine bedeutende Erweiterungen: Wirklichkeit erscheint nicht mechanistisch vom menschlichen Denken abgekoppelt, sondern letzteres wird als deren unentbehrlicher, konstitutiver Bestandteil herausgearbeitet. Dabei werden vorrationale Erkenntnisformen wie Unmittelbarkeit und unbewusstes Handeln 2 nicht vom Erkenntnisprozess getrennt, sondern gehen diesem voraus und werden als dessen 1 Vgl. John O´Neil, Kritik und Erinnerung, Frankfurt/M., S.29 u. 35f 2 Vgl. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1988, S.24 u. 28 1

Upload: saygin

Post on 05-Dec-2015

9 views

Category:

Documents


2 download

DESCRIPTION

Hegel

TRANSCRIPT

Page 1: Phnom e No Logie

DIE “PHÄNOMENOLOGIE DES GEISTES“ VON GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL UND

DER MARXISMUS

Ich möchte in meinem Vortrag Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Hegels “Phänomenologie des

Geistes“ und der “Kritik der politischen Ökonomie“ von Karl Marx darstellen – und zwar anhand der

Beziehung von Theorie und Praxis (I.), Einzelnem und Allgemeinem und Erscheinung und Wesen (II.)

sowie Subjekt und Objekt (III.).

I.

Hegel und Marx gehen anfangs davon aus, dass nicht Theorie Praxis, sondern dass Praxis Theorie

schafft. Für beide sind Kategorien Handlungen, die durch millionenfache Wiederholungen im

menschlichen Bewusstsein den Charakter von Axiomen angenommen haben. Ihre Produzenten

wiederum handeln in einem geschichtlich vermittelten (Handlungs-)Rahmen, der ihr Denken und Tun

vorstrukturiert. Diesen Rahmen konstituieren sie aber selbst mit, auch wenn sich darüber nicht

bewusst sind. Auch die in dem Rahmen enthaltenen Kategorien, die unmittelbar als praxisunabhängig

und unveränderlich erscheinen, werden als Produkte menschlichen Handelns entlarvt und

dementsprechend im Zustand realer und potentieller Veränderung gezeigt.1 Der Praxisbegriff erfährt

also im Gegensatz zur üblichen Vorstellung (die sich auch in der Philosophiegeschichte niederschlägt)

eine bedeutende Erweiterungen: Wirklichkeit erscheint nicht mechanistisch vom menschlichen

Denken abgekoppelt, sondern letzteres wird als deren unentbehrlicher, konstitutiver Bestandteil

herausgearbeitet. Dabei werden vorrationale Erkenntnisformen wie Unmittelbarkeit und unbewusstes

Handeln2 nicht vom Erkenntnisprozess getrennt, sondern gehen diesem voraus und werden als dessen

Bestandteile zentral aufgenommen.3 „Sie wissen es nicht, aber sie tun es“4 – dieses Prinzip gilt bei

Hegel vor allem für die “Phänomenologie des Geistes“.5 Hier vollzieht der Geist die Erfahrungen, die

er in der menschlichen Gattungsgeschichte gemacht hat (anhand der Genese von bestimmten

Bewusstseinstypen) zeitlich abgekürzt und philosophisch konzentriert noch einmal nach und macht

sich damit seine unerkannte Struktur bewusst.6 Und das Prinzip gilt ebenso für die Marxsche Analyse

der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Die Menschen produzieren zwar auf molekularer Ebene ihre

Waren zwar planvoll-koordiniert für den Markt, der Gesamtprozess jedoch verläuft planlos und

chaotisch (und gehorcht dennoch einer unerkannten Ordnung: dem Wertgesetz).7 Doch zeigen sich im

Bezug auf Theorie und Praxis bei beiden Denkern auch Unterschiede. Hegel erkennt den Vorrang der

1 Vgl. John O´Neil, Kritik und Erinnerung, Frankfurt/M., S.29 u. 35f

2 Vgl. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1988, S.24 u. 28

3 Vgl. edb., S.21, vgl. auch: Otto Morf, Geschichte und Dialektik in der politischen Ökonomie, Frankfurt/M., S. 40f u. 79

4 MEW 23, S. 79

5 Vgl. G. W. F. Hegel, S. 261ff und Georg Lukàcs, Der junge Hegel, Berlin 1954, S. 550ff

6 Vgl. G. W. F. Hegel, S. 22ff

7 Vgl. John O´Neil, S. 40f

1

Page 2: Phnom e No Logie

Praxis vor der Theorie letztendlich nur bedingt an: Er kommt zu dem Schluß, dass die (endliche)

Praxis Mängel hat, die erst im absoluten Wissen ( also in der Theorie) aufgehoben werden. Marx

hingegen arbeitet systematische und methodische Klarheit als Vorbedingung einer gelungenen Praxis

(als tätig eingreifendes Denken) heraus.

II.

Hegel wie Marx enthüllen den geschichtlichen Charakter von Kategorien und Verhältnissen, die

vermeintlich unmittelbar gegeben sind. Sie tun dies, indem sie beide das scheinbar unvermittelt

Gegebene und Objektive, als Gewordenes, als Teil eines umfassenderen, von Subjekten produzierten

Ganzen darstellen – mit den beiden Denkern eigenen Akzentuierungen.8 Dadurch wird nicht nur

dargelegt, wie ein Verhältnis entsteht, sondern zugleich auch, dass es veränderbar ist und auch durch

seine innere Widersprüchlichkeit auch zu einer Veränderung hintreibt. Hegel und Marx fassen damit

grundsätzlich das Sein einer „gewordenen Form“ nicht nur positiv, als etwas Bestehendes, sondern

auch negativ, im Übergang zu einer bestimmten anderen Form Befindliches, also als etwas

Vergängliches auf. Für Hegel wie Marx ist diese Darstellung des Gegenstands im Rahmen seiner

Entwicklung also gleichbedeutend mit seiner Kritik.

Während das „einfache Bewusstsein“ bei Hegel und die bürgerlichen Ökonomen bei Marx von

gegebenen Prämissen ausgehen, die nicht mehr eigens untersucht werden, versuchen die beiden

Dialektiker, den Produziertheits-Charakter genau dieser Prämissen aufzuzeigen. Dazu werden die in

Erscheinung tretenden Teile wie auch das wesentliche Ganze in eine Kreislaufbewegung gebracht:

Das Einfache wird erklärt, indem man auf das Zusammengesetzte, das Komplexe expliziert, indem

man auf das Einfache zurückgreift. Ein im Begründungszusammenhang stehendes Einzelnes ist

gleichfalls ein Allgemeines. Beide Kategorien sind also nicht statisch getrennt, sondern Pole eines

Wechselwirkungsverhältnisses. Gleichfalls ist das jeweils auftretende gesellschaftliche Allgemeine ein

mit Widersprüchen behaftetes geschichtliches Besonderes.

Dabei wird das in Kategorien Geronnene als vorläufiges Resultat einer Lösung innerer Widersprüche

begriffen, die aber nur temporär ist.9 Die Dynamik dieser Widersprüche weist bald über die einfachen

Kategorien hinaus und in einer aufsteigenden Metamorphosenbewegung werden sich diese sowohl mit

Inhalt anreichern als auch allgemeiner. Auf jeder Stufe dieses Prozesses legen Hegel10 und Marx dar,

dass die jeweiligen Kategorien sowohl adäquat wie auch inadäquat sind. Die darin vorwärtsweisenden

Momente wie die Mängel und Beschränktheiten werden aufgezeigt. Mit jeder Befriedung des

8 Vgl. Reinhard Meiners, Methodenprobleme bei Marx und ihr Bezug auf Hegel, München 1980, S.183f und Georg Lukács,

S. 420

9 Vgl. G. W. F. Hegel, S.25

10 Vgl. ebd., S.18

2

Page 3: Phnom e No Logie

Widerspruchverhältnisses werden auch die Gründe für ihr erneutes Aufbrechen gegeben und damit

neue Formen des Widerspruchverhältnisses neu gesetzt: Die abstrakten Kategorien bedingen die

konkreten und die konkreten führen die abstrakten weiter. Diese verbinden sich zu einem einheitlichen

Ganzen, das anhand der in ihm selbst waltenden Widersprüche weiter entwickelt und konkretisiert

werden kann und in dem dennoch die vorangegangenen Resultate auf jeder komplexen Stufe

vorhanden sind.11 Nur durch die systematisch-logische Darstellung der einzelnen, scheinbar fixen

Kategorien im Zusammenhang ihrer Vermitteltheit, verschwindet der Schleier des unmittelbar und

ewig Gegebenen. 12

Hegel wie Marx geben am Anfang ihrer Darstellung keine Definition, die analog zur Mathematik13

eine starre Wesenheit beschreibt,14 sondern analysieren eine Ausgangsform, deren weiterer Verlauf die

widersprüchliche Momente das Wesen in der Entwicklung zeigt.15 Beide bringen in ihren

Ausführungen nicht einzelne Bilder dar, nach deren Struktur sich der Rest zu bequemen habe, sondern

präsentieren sozusagen den ganzen Film: Ihre Bilder gehen selber in andere Bilder über, der

Gegenstand wird im Fluss seiner Bewegung präsentiert.

Nehmen wir den Aufbau der “Phänomenologie des Geistes“: In der Rekonstruktion der notwendigen

Konstruktionsetappen des Geistes wird jede Gestalt des Bewusstseins auf ihren

Konstruktionscharakter hinterfragt und der jeweilige Wissensanspruch gezwungen, über sich selbst

dialektisch Auskunft zu geben.16 Dieser Weg des werdenden Wissens ist als ein ununterbrochenes

adäquater werdendes Erkennen des Gegenstandes und als Sich –Selbst-Fassen des Geistes zu

bewerten, das mit der Bewusstwerdung der Schranke im jeweiligen Erkenntnismodus als auch mit

ihrer Aufhebung einhergeht. Für Hegel gibt es keinen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen

endlichem Erkennen und der Erkenntnis des Absoluten.17 Im Gegenteil, alle Stufen des Erkennens sind

miteinander vermittelt.18 Diese strukturelle Beschaffenheit der objektiven Realität wird durch die

philosophische Reflexion freigelegt. Diese Grundlagen werden durch (geistige) Tätigkeit produziert

verstanden. Die erscheinende Wirklichkeit wird also nicht mehr als unhintergehbar angesehen,

sondern auf ihre Ursachen hin untersucht. Bei dieser Untersuchung verändert sich nicht nur das Bild

11 Vgl. Georg Lukács, S.326

12 Vgl. Hans Heinz Holz, Einheit und Widerspruch. Problemgeschichte der Dialektik der Neuzeit, Bd. 1, Stuttgart und

Weimar 1997, S.17

13 Vgl. G. W. F. Hegel, S.31ff

14 Vgl. Elmar Treptow, Theorie und Praxis bei Hegel und den Junghegelianern,

www.philosophie.uni-muenchen.de/fakultaet/lehreinheiten/philosophie_1/personen/e_ treptow /veroeffentlichungen/

habilarbeit.pdf, S.11

15 Vgl. Jindrich Zeleny, Die Wissenschaftslogik im >Kapital<, Frankfurt u. Wien 1969, S.55f

16 Vgl. G. W. F. Hegel, , S. 20ff und Georg Lukács, S. 535ff und 542ff

17 Vgl. Hegel, S.15

18 Vgl. ebd. S.16

3

Page 4: Phnom e No Logie

der scheinbaren Wirklichkeit, sondern auch das Erkennen selbst. Denn es begreift, dass die

Objektivität bereits durch den Geist vermittelt ist.

In der Phänomenologie stellt Hegel die notwendigen Durchgangsstationen des endlichen zum

absoluten Bewusstsein dar. Er legt dar, wie der Geist sich spiralförmig zu sich selbst bewegt und sich

dabei selbst verändert. Dementsprechend gehört dem Geist nicht nur das Resultat an sondern auch der

Weg dorthin: „Der Weg zur Wissenschaft ist selbst schon Wissenschaft.“19 Bei Hegel kommt es also

zu einer notwendigen Negation des natürlichen Wissens durch den „sich selbst vollbringenden

Skeptizismus“20, der mit der Sprengung der Beschränktheit der alten Bewusstseinsform und der

Darlegung der darin enthaltenen Widersprüche eine neue Gestalt des Wissens hervorbringt und somit

ein positives Resultat zeitigt.21 Dabei zeitigen falsche Prämissen auch falsche Schlüsse: Das

inadäquate Bewusstsein verrennt sich immer wieder in Sackgassen, diese Aporien liefern aber die

Mittel, mit welchen sie zu beheben sind.22

Ähnlich geht auch Karl Marx bei der Darstellung des verselbständigten Selbstverwertungsprozesses

des Kapitals vor. Er steigt von der abstraktesten und einfachsten Kategorie Ware aufgrund der

Darstellung der Verlaufsform des Widerspruchsverhältnisses von Gebrauchswert und Wert

stufenweise zu immer konkreteren Kategorien wie Geld, Kapital, Arbeitskraft, Mehrwert etc auf.

Diese basieren aber auf den allgemeineren und sind mit Notwendigkeit aus ihnen abgeleitet worden.

Analog zu Hegel sieht Marx die Mängel der Analyse, wie er sie z.B. in der klassischen bürgerlichen

Ökonomie findet, darin, dass hier keine vollständige Vermittlung der Formen stattfindet.

Die bürgerlichen Ökonomen kommen nicht zu den wesentlichen Formbestimmungen, und diese Fehler

wiederholen sich bei der anschließenden Synthese: falsch erarbeitete Ausgangspunkte zeitigen falsche

Resultate. Es kommt zu keiner genetischen Entwicklung des Gegenstandes, weil bestimmte Prämissen

und Voraussetzungen nicht weiter aufgelöst und reflektiert, sondern einfach hingenommen werden.

Anstatt die Erscheinungen aus den Wesensbestimmungen abzuleiten, werden ihre Kategorien mehr

oder minder empirisch gefasst und anschließend in ein ihnen äußerliches Verhältnis gebracht:

Erscheinungsphänomene werden somit für das Wesentliche gehalten.

Marx bringt hingegen die abstrakten Kategorien in einen genetisch-logischen

Entwicklungszusammenhang. Diesen ordnet er aber einer konkret zeitlichen Situation zu.

III.

19 Vgl. ebd. S. 68

20 Vgl. ebd. S. 61

21 Vgl. ebd. S. 44

22 Vgl. ebd. S. 66f

4

Page 5: Phnom e No Logie

Eine weiterer Bereich, an dem sich sowohl zentrale Übereinstimmungen als auch Unterschiede zu

Hegel und Marx zeigen, ist das Problem der Entfremdung.23 Bei beiden kommt es unter bestimmten

Bedingungen zu einer Verkehrung der menschlicher Verhältnisse (der in Prämissen und Kategorien

der jeweiligen Bewusstseinsgestalten geronnen Handlungs- und Reflexionsstrukturen des in Natur und

Geschichte vergegenständlichten Geistes bei Hegel, der ökonomischen Kategorien und sozialen

Beziehungen bei Marx), von Subjekt und Objekt: Die Protagonisten dieser Verhältnisse beziehen sich

über von ihnen selbst produzierte Dinge, die scheinbar einen unabhängigen Charakter haben, auf sich

selbst als Fremdes.24 Die Hauptintention von Hegel und Marx ist nun zu zeigen, dass dies Fremde und

Objektive von den Subjekten selbst konstituiert wurde.

In Hegels “Phänomenologie des Geistes“ ist weder das Wesen des Menschen unmittelbar gegeben,

noch ist er unmittelbar frei, sondern der Mensch muss sich die Freiheit in einem langwierigen

Selbstwerdungsprozess erst abringen. Der Geist (also präzise gesprochen nicht der, sondern ein

reflektierendes Subjekt als „Bewusstsein“, „Geist“, „Ich“) erstreitet die Freiheit, indem er sich

praktisch und theoretisch mit der Umwelt und mit sich selbst auseinandersetzt und dabei mehr und

mehr den Subjekt-Objekt-Gegensatz auflöst: Das scheinbar Objektive und Selbständige ist der

jeweilige Stand der Unfreiheit des Geistes, der diese Schranken noch nicht als seine eigenen

Konstitutionsmomente erkannt hat. Diese Reise mit ihren vorläufigen Stationen verläuft auf drei

Ebenen: Im Modus des subjektiven (als individuelles und gegenständliches Wissen), objektiven

23 Elmar Treptow, Die Entfremdungstheorie bei Karl Marx (unter besonderer Berücksichtigung des Spätwerks), München

1978, S. 47f: „Die Keimzelle und Elementarform der Entfremdung – die zu entwickelnde widersprüchliche Einheit – ist für

Hegel: der Geist als Ding oder das Ding als Moment des Geistes (das “Gedankending“, “das Ding ist ich“), für Marx: die

Gesellschaft als Ding oder das Ding als Moment der Gesellschaft (das “Wertding“, das “gesellschaftliche Ding“). Die

“Phänomenologie des Geistes“ handelt nicht von Dingen, sondern von allgemein geistigen Beziehungen, die an Dinge

gebunden sind und als Dinge erscheinen. Die Politökonomie handelt nicht von Dingen, sondern von besonderen

gesellschaftlichen Beziehungen, die an Dinge gebunden sind und als Dinge erscheinen. Die Entwicklung der Keimzelle und

Elementarform führt auf beiden Wegen weg vom qualitativ bestimmten, sinnlich gewissen Ding, das unwesentlich wird, zum

unsinnlichen Allgemeinen. Auf der einen Seite aber bleibt das “Ich als allgemeines“, auf der anderen Seite der “allgemeine

Wert“, der sich verwertet. Auf der einen Seite wird ein unbestimmt abstrakt allgemeines zu einem bestimmt konkret

Allgemeinen, zu einem sich selbst bestimmenden Allgemeinen. Hiermit soll zugleich verdeutlicht werden, dass das “Kapital“

direkt nicht mit der Hegelschen “Logik“, sondern mit der “Phänomenologie des Geistes“ zu konfrontieren ist. Die

Universalität der Kategorien der Hegelschen “Logik“ widerstreitet der Besonderheit der Kategorien der kapitalistischen

Gesellschaft und entspricht vielmehr der Allgemeinheit der Struktur jeder Arbeit, wie Marx` Bezugnahme im “Kapital“ zeigt

(MEW 23, S.195). Wenn Marx andererseits davon spricht, dass ihm „in der Methode des Bearbeitens“ das Durchblättern der

Hegelschen Logik „einen großen Dienst geleistet“ habe (MEW 29, S. 260), so unter dem Aspekt, dass die Idee auch auf

dieser Ebene – abgesehen von der hier prätendierten an und fürsichseienden absoluten Subjekt-Objekt-Einheit – als

stufenweise sich selbst bestimmend und vermittels ihrer dialektischen Selbstunterscheidung (Sein, Nichts, Werden usw.) zu

sich kommend dargestellt wird, was der Darstellung der dialektischen Selbstbestimmung des Kapitals entspricht.“

24 Henri Lefebre, Probleme des Marxismus heute, Frankfurt/M. 1965, S.30

5

Page 6: Phnom e No Logie

(gesellschaftliches Wissen in den einzelnen Epochen) und absoluten Geistes (Bewusstsein der Einheit

von subjektivem und objektivem Bewusstsein). In der stufenweise Erkenntnis über den

Konstitutionscharakter von Natur und Geschichte wird die Entfremdung durch Aufhebung der

Vergegenständlichung Schritt für Schritt zurückgenommen und am Ende, im Rahmen der unendlichen

Theorie, die absolute Vermitteltheit von Subjekt und Objekt in einem sich selbst bestimmendes

Allgemeinen begriffen, das im Laufe Entwicklung an Subjektcharakter gewinnt. Dabei erkennt der

Geist im Laufe der Reise zu sich selbst, dass nicht nur die Geschichte, sondern auch die Natur Geist

sind, nämlich Komponenten des entäußerten absoluten Geistes, die in ihn zurückgenommen werden

können.25 Bei Hegel ist somit am Endpunkt seiner Ausführungen, im absoluten Geist, der nun mit der

Erkenntnis seiner wesentlichen Struktur wieder bei sich selbst anlangt ist, der Höhepunkt

menschlicher Selbstbestimmung erreicht.26 Logisch geordnet stellt sich die Unmittelbarkeit neu her

und die Darstellung fängt in der “Wissenschaft der Logik“ systematisch neu geordnet mit dem „Sein“

wieder von vorn an.27

Bei Hegel besteht also die Entfremdung darin, dass sich der absolute Geist in Natur und Geschichte

entäußert, aber über das Begreifen dieser Vergegenständlichung als Erkenntnis seiner eigenen Struktur

wieder bei sich angelangt. Gerade dies kritisiert Marx an Hegel: Die absolute Subjekt-Objekt-Einheit

im absoluten Wissen, in welchem die Gegebenheit der Außenwelt aufgehoben wird. Bei Marx kann

die Objektivität des Gegebenen in Gestalt der Natur nicht wieder in ein Subjekt zurückgenommen

werden. Außerdem bemängelt Marx, dass Hegel in seiner idealistischen Darstellung der Entfremdung

nicht zu ihren realen Gründen vorstößt, sondern diese nur im Bewusstseinsprozess anerkennt, als

verschiedenen Etappen und Schranken des Geistes im Laufe seiner Selbstwerdung.28 Marx hingegen

kennzeichnet die Entfremdung als Subjekt-Objekt-Umkehr von Mensch und Arbeitsprodukt, für die

eine entfremdete Produktionsform Vorbedingung ist, also die isolierte Produktion von

Privatproduzenten, deren Güter nicht von vornherein gesellschaftlich sind, weil sie sich als Waren und

Geld erst über den Händewechsel im Markt realisieren müssen.

Die “Kritik der politischen Ökonomie“ ist eine genaue Analyse und radikale Kritik der zunehmenden

Verselbständigungstendenzen der kapitalistischen Ökonomie. Wenn Marx hier ein historisches

Subjekt beschreibt, dann das selbstbezügliche Kapitalverhältnis und nicht die Arbeiter- oder

Kapitalistenklasse, die sich beide ersterem unterzuordnen haben. Dabei ist das sich zunehmend selbst

bestimmende Kapitalverhältnis ein identisches Subjekt-Objekt in dem Sinne, dass es sich zwar aus der

Gesamtheit der Handlungen auf dem Markt konstituiert, aber unabhängig vom individuellen Willen ist

25 Bei Marx hingegen bleibt die Natur als Grundvoraussetzung menschlichen Tuns unaufhebbar.

26 Vgl. Georg Lukács, S. 444f

27 Vgl. Hegel, S. 524 u. 528ff, Hans Heinz Holz, Einheit und Widerspruch. Problemgeschichte der Dialektik der Neuzeit, Bd.

3, Stuttgart u. Weimar 1997, S.9 u. 25, Georg Lukács, S. 504, 509, 541ff

28 Vgl. Karl Marx/Friedrich Engels, Die heilige Familie, Berlin 1953, S. 75f, 637, Jindrich Zeleny, S. 203f

6

Page 7: Phnom e No Logie

und sich die Individuen zunehmend unterordnet. Gleichwohl wird dieses Kapitalverhältnis von Marx

als eine soziale Beziehung, die an Dinge gebunden ist und als Ding erscheint, aber wesentlich

produziert und Ausdruck eines bestimmten Verhältnisses ist, dechiffriert: In allen menschlichen

Gesellschaften werden Güter produziert. Aber Marx hebt hervor, dass nur in den

Gesellschaftsformationen, in denen der Privataustausch der Produkte vorherrschend ist, die konkret-

nützliche Arbeit der Wertform untergeordnet wird, wobei die Verausgabung abstrakt menschlicher

Arbeit in zeitlich messbaren Einheiten der Maßstab ist. In der unkoordinierten Vermittlung der Waren

über Markt und Konkurrenz gewinnen die Waren und ihre Herstellungs- und

Verwertungsbedingungen – also Dinge und dingliche Beziehungen - eine zunehmende

Schicksalsmacht über die Menschen.29 Der eigentümliche Anteil der Menschen daran wird von den

unpersönlichen Verwertungsbewegungen verdeckt. Die menschlichen Beziehziehungen werden

versachlicht, sachliche Beziehungen gewinnen ein Eigenleben. Dies hat zur Folge, dass die

gesellschaftlichen Verhältnisse in der bürgerlichen Gesellschaft so erscheinen, als wären sie gar nicht

gesellschaftlich und die damit zusammenhängende Versachlichungen der menschlichen Beziehungen

naturgegeben.30 Diese Ontologisierung gesellschaftlicher Beziehungen nimmt nach Marxens

Darstellung der dialektische Selbstbewegung der Warenform zu.31 Sie geht im “Kapital“ von der Ware

zum Geld über das Kapital zum Zins und letztendlich zur Grundrente, bei welcher der Anteil

menschlicher Arbeit vollkommen ausgelöscht ist. Die gesellschaftlichen Eigenschaften von Dingen in

bestimmten historischen Verhältnisse sind hier voll und ganz zu Verhältnissen des Bodens

vernaturalisiert. Gleichzeitig nimmt im Fortgang der Entwicklung des Kapitalverhältnisses, welches

sich als automatisches Subjekt zunehmend sämtliche gesellschaftlichen Beziehungen unterordnet, für

die eigentlichen Subjekte dieses Prozesses, die Menschen, die Unfreiheit und die Fetischisierung ihrer

Beziehungen zu.32 Die von Menschen erzeugten gesellschaftlichen Verhältnisse erscheinen als

Selbständiges und die Menschen mit ihren Bedürfnissen als Anhängsel. Diese wachsende Subsumtion

des Menschen unter die von ihm selbst geschaffenen Strukturen und Produkte begreift Marx als

stufenweisen Zunahme der Entfremdung.33 – Gleichwohl produziert diese Entfremdung für Marx auch

das Rüstzeug für ihre Überwindung, da die bürgerliche Konkurrenzwirtschaft fortwährend

menschliche Arbeitskraft durch Technologie ersetzt und eine koordinierte Form der gesellschaftlichen

Produktion und Reproduktion objektiv möglich und für die Lohnabhängigen geboten macht.

29 Vgl. MEW 25, S. 826

30 Vgl. Moishe Postone, Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft, Freiburg 2003, S. 392

31 Vgl. Helmut Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapitalbergriffes bei Karl Marx,Frankfurt u. Wien 1970 S. 90

32 Vgl. Elmar Treptow, Die Entfremdungstheorie bei Karl Marx (unter besonderer Berücksichtigung des Spätwerks), S. 88

33 Vgl. ebd. S.108

7

Page 8: Phnom e No Logie

Mit der Wertbeziehung entsteht eine Herrschaft neuen Typs34: Diese erscheint in naturalisierter Form,

da sie nicht direkt, persönlich und subjektiv ausgeübt wird und selbst den Nutznießer beherrscht.35

Dieses Verhältnis wird wiederum durch das Ineinssetzen von Arbeit als notwendige Vorbedingung

jeden gesellschaftlichen Seins und abstrakter Arbeit als Vermittlungsinstanz in der besonderen

Warenwirtschaft verschleiert und somit das Prinzip der abstrakten Arbeit ontologisiert.36 Dabei

produziert die in diesem Verhältnis dominante Form von Arbeit eben nicht nur die Ware, Lohn und

Profit, sondern das Verhältnis, dass diese Beziehungen erst generiert, ständig mit. Somit spielt sich die

Marxsche Analyse der verselbständigten Warenbewegung auf zwei Ebenen37 statt: Sie handelt nicht

nur von den ökonomische Kategorien, sondern zeigt diese als verfestigte und verdinglichte

menschliche Beziehungen auf, bringt also diese Kategorien wesenhaft auf ihre Erzeuger (und ihre

Klassenbeziehungen) zurück. Die zunehmende Verselbständigung des Wertschöpfungsprozesses und

deren dingliche Kategorien wie z. B. Ware, Geld, Kapital werden als Signum einer bestimmten

gesellschaftlichen und historischen Konstellation enttarnt.38 Denn die Verkehrung von Mensch und

Sache, liegt zwar daran, dass die Sachen die Vermittlung zwischen den Menschen herstellen, ist aber

nicht in den Sachen begründet, sondern in den besonderen Verhältnissen, in denen die abstrakte Arbeit

das gesellschaftliche Zentrum bildet und als Tausch von Dingen erscheint und in bestimmten

gesellschaftlichen Umständen, die diese Beziehung erst ermöglichen.39

Nach Marx werden aber nicht nur die sozialen Beziehungen der Menschen durch die gesellschaftliche

Warenform atomisiert und verkehrt, sondern auch ihr Bewusstsein: Während mit dem Grad der

gesellschaftlichen Funktionsteilung die Abhängigkeit der gesellschaftlichen Individuen wächst und

sich die Rationalität in Teilbereichen extrem steigert, nimmt mit wachsenden Konkurrenzdruck die

Unvorsehbarkeit des Zusammenspiels dieser Handlungen und somit die Irrationalität

gesamtgesellschaftlich zu.40 Es dominiert der Eindruck wachsender sozialer Isolation und

Machtlosigkeit, die durch Anpassung an die spätkapitalistische Realität perpetuiert und (scheinbar)

kompensiert wird. Die wachsende Fremdbestimmung erscheint also nicht automatisch als das, was sie

ist, sondern sogar eher als ihr Gegenteil, als wachsende Selbstbestimmung. Pausenlos werden die

Interessen der Menschen dem Interesse der Kapitalverwertung untergeordnet und diese

Sonderinteressen zur Norm erklärt.41 Paradoxe Folge dieser verkehrten Welt ist, dass die

34 Vgl. Moishe Postone, S. 331

35 Vgl. ebd., S. 127ff

36 Vgl. MEW 23, S.86

37 John O`Neil,S.112f

38 Vgl. Moishe Postone, S. 215

39 Vgl. Dieter Wolf: Der dialektische Widerspruch im Kapital. Ein Beitrag zur Marxschen Werttheorie, Hamburg 2002, S.

73f

40 Vgl. Robert Kurz, Die Welt als Wille und Design. Postmoderne, Lifestyle-Linke und die Ästhetisierung der Krise, Berlin

1999, S. 151

41 Vgl. Hans Heinz Holz, Niederlage und Zukunft des Sozialismus, Essen 1992, S.35

8

Page 9: Phnom e No Logie

Unterordnung unter diese Verhältnisse den Charakter von Selbstbestimmung (im Sinne der bewussten

Unterordnung von Naturgesetzen) erscheint: Einerseits nehmen nach Marx die Kategorien des

gesellschaftlichen Austauschs, je fetischisierter und verdinglichter sie sind, immer mehr einen quasi-

natürlichen Charakter an und wirken immer leichter auf die Formen des Alltagsbewusstseins ein.

Andererseits werden die Menschen mit ihren Wünschen und Bedürfnissen auch real immer mehr zu

Variablen des Wirtschaftswachstums gemacht, was zur Folge hat, dass – falls die Individuen diese

Strukturen und Mechanismen internalisieren - das private mit dem öffentlichen Interesse scheinbar

völlig verschmilzt.42 Die Menschen werden zu „Charaktermasken“43, welche die völlige Subordination

individueller Freiheit unter die sachliche Macht des Kapitals mindestens solange als höchsten

Ausdruck persönlicher Freiheit feiern bis der Gerichtsvollzieher an die Tür klopft. Hier geraten wir in

eigentümliche Nähe zu Hegels philosophischen Idealismus, der gleichfalls die wachsende

Unterordnung unter sein identisches Subjekt-Objekt als Prozeß wachsender Selbstbestimmung der

Menschen fasst.44 Gleichwohl ist für Marx, wie wir gesehen haben, im Gegensatz zu Hegel das

Sichselbst-Erfassen seines identischen Subjekt-Objekts, des Kapitals, nicht der Höhepunkt, sondern

der Tiefpunkt menschlicher Selbstbestimmung. Er ist gerade nicht ewig, sondern historisch.45 Und die

freie Bewegung seiner Substanz – der Arbeit - würde gerade nicht die Realisation der Totalität,

sondern deren Abschaffung bedeuten.46

Diese Abschaffung kann aber selbst wieder das Produkt der Potenzen sein, die aus der Entfremdung

hervorwachsen. Denn diese forciert einerseits die Entwicklung der Produktivkräfte (und ermöglicht

somit die Emanzipation der menschliche Gattung auf materieller Basis) und ruft anderseits selbst

Krisen hervor in denen gesellschaftliche Konflikte positiv eskalieren können. Die Krisen sind nicht

eindeutig negativ, sondern auch potentiell positiv: Sie verweisen in entfremdeter Form auf das

Wirklichwerden menschlicher Potenzen, die erst die Möglichkeit hervorbringen, den

gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozess zu kontrollieren.

Würde dies geschehen, könnten wir in einer weiteren Analogie zu Hegel von einer Wiederherstellung

des aus einem Entfremdungsprozess neu gewonnen, Unmittelbaren sprechen.47 In der asiatischen

Produktionsweise und in der Familienagrikultur48 herrscht die unmittelbare Einheit von Produzenten

42 Hanfried Müller, In Ost und West gegen den deutschen Imperialismus IN: topos 2, Demokratie, San Abbondio 1993, S.117

43 Vgl. MEW 23, S.16 u. 85ff

44 Vgl. Vgl. Helmut Reichelt, S. 79f

45 Vgl. Moishe Postone, S. 243

46 Dennoch sind für beide Denker die Entfremdungsphänomene in der menschlichen Geschichte, die für Hegel aufgehoben

werden und nach Marx potentiell aufhebbar sind.

47 Vgl. Reinhard Meiners, S. 314

48 MEW 26.3. S.414: „Die ursprüngliche Einheit zwischen Arbeiter und Arbeitsbedingungen (...) hat zwei Hauptformen: das

asiatische Gemeinwesen (ursprünglicher Kommunismus) und die kleine Familienagrikultur. (...). Beide Formen sind

Kinderformen und gleich wenig geeignet, die Arbeit als gesellschaftliche Arbeit und die Produktivkraft der gesellschaftlichen

9

Page 10: Phnom e No Logie

und Produktionsmitteln. Diese Einheit wurde in der Epoche des Kapitalismus zerbrochen. Doch es

entwickeln sich aus der entfremdeten kapitalistischen Produktionsweise selbst die Mittel, um diese

Trennung wiederaufzuheben49 und die Einheit nun nach einem gesellschaftlichen Plan auf höherer

Ebene50 wiederherzustellen.

Arbeit zu entwickeln. Daher die Notwendigkeit der Trennung, der Zerreißung, des Gegensatzes zwischen Arbeit und

Eigentum (womit zu verstehen Eigentum an den Produktionsbedingungen).“

49 Vgl. MEW 25, S.269, MEW 26.1., S.157

50 MEW 26.3. S.414f:„Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene

Negation. Es ist Negation der Negation. Diese stellt nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber das individuelle

Eigentum auf Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und

der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmitteln.“

10