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HMD 266 71 Carsta Heger, Ursula Rehle, Christoph Prackwieser Prozessmanagement in Zeiten organisatorischer und technologischer Veränderungen – Erfahrungsbericht eines Versicherers Die Einführung eines grundlegend neuen Ge- schäftsmodells führt zur Änderung von Struk- turen, Prozessen und IT. Die Prozesse dienen als Basis für die Entwicklung der IT-Systeme und auch der neuen Struktur. Zur Standardisierung der Arbeitsweisen in unterschiedlichen Bereichen wurden detaillierte Prozessbeschreibungen im Rahmen der Prozessanalyse erstellt. In solch einem komplexen Projekt ist eine »End-to-End«- Betrachtung besonders wichtig, um die beste- henden Abhängigkeiten und Schnittstellen der einzelnen Teilprojekte in einem Gesamtzusam- menhang zu berücksichtigen. Ebenso hat sich eine frühzeitige Kommunikation der Neuerun- gen als kritischer Erfolgsfaktor erwiesen. Vor allem zur Unterstützung der internen Kommuni- kation muss rechtzeitig ein Change Manage- ment aufgesetzt werden. Mit diesem Projekt wurde deutlich, dass die theoretischen Leitlinien »Struktur folgt Prozessen« und »IT folgt Prozes- sen« in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden können. Inhaltsübersicht 1 Ausgangssituation 2 Struktur folgt Prozessen 2.1 Vorgehen 2.2 Kernerkenntnis 3 IT folgt Prozessen 3.1 Vorgehen 3.2 Kernerkenntnis 4 Arbeitsanweisungen 4.1 Vorgehen 4.2 Kernerkenntnis 5 Fazit 6 Literatur 1 Ausgangssituation Um dem nachhaltigen Kosten- und Wett- bewerbsdruck in der Versicherungsbranche zu begegnen, entwickelten einzelne Versicherer in den letzten Jahren neue Geschäftsmodelle, die insbesondere die Organisation der Betriebs- bereiche nach neuen Ordnungskriterien ge- stalten. In diesem Artikel werden die Erfahrungen in einem Projekt zur Einführung eines solchen neuen Geschäftsmodells in einer Versicherung beschrieben. Der Schwerpunkt der Ausfüh- rungen liegt auf der Fragestellung, welche Rolle das Prozessmanagement bei ausgewählten or- ganisatorischen und technologischen Verände- rungen gespielt hat. Die zentralen Ziele des Projektes lassen sich wie folgt zusammenfassen: Einführung eines neuen Geschäftsmodells für den Privatkunden-Betriebsbereich einer Versicherung. Es sieht die Auslagerung von »einfachen« Prozessen in ein vorgelagertes Servicecenter (Frontoffice) und die Bearbei- tung der »komplexen« Prozesse im bishe- rigen Betriebsbereich (Backoffice) vor. Konzeption und Einführung einer neuen Struktur für das Backoffice unter Berücksich- tigung von Service- und Effizienzaspekten Einführung neuer bzw. Anpassung bestehen- der Technologien sowohl für das Frontoffice als auch für das Backoffice vor dem Hinter- grund der organisatorischen Veränderungen Es wurden folglich nicht nur die Struktur, son- dern auch die Prozesse und die IT für den betrof- fenen Betriebsbereich verändert. Dabei wurde

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Carsta Heger, Ursula Rehle, Christoph Prackwieser

Prozessmanagement in Zeiten organisatorischer und technologischer Veränderungen – Erfahrungsbericht eines Versicherers

Die Einführung eines grundlegend neuen Ge-schäftsmodells führt zur Änderung von Struk-turen, Prozessen und IT. Die Prozesse dienen alsBasis für die Entwicklung der IT-Systeme undauch der neuen Struktur. Zur Standardisierungder Arbeitsweisen in unterschiedlichen Bereichenwurden detaillierte Prozessbeschreibungen imRahmen der Prozessanalyse erstellt. In solcheinem komplexen Projekt ist eine »End-to-End«-Betrachtung besonders wichtig, um die beste-henden Abhängigkeiten und Schnittstellen dereinzelnen Teilprojekte in einem Gesamtzusam-menhang zu berücksichtigen. Ebenso hat sicheine frühzeitige Kommunikation der Neuerun-gen als kritischer Erfolgsfaktor erwiesen. Vorallem zur Unterstützung der internen Kommuni-kation muss rechtzeitig ein Change Manage-ment aufgesetzt werden. Mit diesem Projektwurde deutlich, dass die theoretischen Leitlinien»Struktur folgt Prozessen« und »IT folgt Prozes-sen« in der Praxis erfolgreich umgesetzt werdenkönnen.

Inhaltsübersicht1 Ausgangssituation2 Struktur folgt Prozessen

2.1 Vorgehen2.2 Kernerkenntnis

3 IT folgt Prozessen3.1 Vorgehen3.2 Kernerkenntnis

4 Arbeitsanweisungen4.1 Vorgehen4.2 Kernerkenntnis

5 Fazit6 Literatur

1 Ausgangssituation Um dem nachhaltigen Kosten- und Wett-bewerbsdruck in der Versicherungsbranche zubegegnen, entwickelten einzelne Versicherer inden letzten Jahren neue Geschäftsmodelle, dieinsbesondere die Organisation der Betriebs-bereiche nach neuen Ordnungskriterien ge-stalten.

In diesem Artikel werden die Erfahrungen ineinem Projekt zur Einführung eines solchenneuen Geschäftsmodells in einer Versicherungbeschrieben. Der Schwerpunkt der Ausfüh-rungen liegt auf der Fragestellung, welche Rolledas Prozessmanagement bei ausgewählten or-ganisatorischen und technologischen Verände-rungen gespielt hat.

Die zentralen Ziele des Projektes lassen sichwie folgt zusammenfassen:

! Einführung eines neuen Geschäftsmodellsfür den Privatkunden-Betriebsbereich einerVersicherung. Es sieht die Auslagerung von»einfachen« Prozessen in ein vorgelagertesServicecenter (Frontoffice) und die Bearbei-tung der »komplexen« Prozesse im bishe-rigen Betriebsbereich (Backoffice) vor.

! Konzeption und Einführung einer neuenStruktur für das Backoffice unter Berücksich-tigung von Service- und Effizienzaspekten

! Einführung neuer bzw. Anpassung bestehen-der Technologien sowohl für das Frontofficeals auch für das Backoffice vor dem Hinter-grund der organisatorischen Veränderungen

Es wurden folglich nicht nur die Struktur, son-dern auch die Prozesse und die IT für den betrof-fenen Betriebsbereich verändert. Dabei wurde

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EingangPost

Scannen Indizieren ArchivAuftrags-bildung/ Zielgenaue

Verteilung

Bearbeitungim 1st Level

Bearbeitungim 2nd Level

EingangFax, E-Mail

Druckoutput Ausgang

EingangPost

Scannen Indizieren ArchivAuftrags-bildung/

Registrierung

ZielgenaueVerteilung

Bearbeitungim 1st Level

Bearbeitungim 2nd Level

EingangFax, E-Mail

Druckoutput Ausgang

schnell deutlich, dass diese Themenstellungenaufgrund ihrer hohen Interdependenz undKomplexität nicht isoliert betrachtet werdenkonnten. Die Prozesse stellten in dem Zusam-menhang das zentrale Verbindungsglied zwi-schen den einzelnen Themen dar.

In den Abstimmungsrunden der einzelnenTeilprojekte hat sich vor allem zwischen denProzessen und der IT der in Abbildung 1 darge-stellte Grundprozess als Strukturierungshilfebewährt. Er beschreibt stark vereinfacht denWeg eines Kundenwunsches durch einen Ver-sicherungsbetrieb. Die versicherungsfachlicheBearbeitung im Servicecenter (1st Level) und/oder Backoffice (2nd Level) war hierbei Gegen-stand der Prozessanalyse (siehe Abschnitt 3).

2 Struktur folgt Prozessen

2.1 VorgehenIn einem ersten Schritt ging es zunächst darum,die Frage zu klären, welche Prozesse als »ein-fach« und welche als »komplex« einzustufensind. Dazu wurden die im Betriebsbereich vor-kommenden Prozesse nach einheitlichen Kom-plexitätskriterien – wie z. B. Häufigkeit (Exot bisTagesgeschäft), erforderlicher Bearbeiterskill(allg. Versicherungsfachlichkeit bis Experten-wissen) und technische Besonderheiten – ineiner Prozessliste zusammengefasst und mitFachexperten anhand dieser Kriterien bewer-tet. Auf Basis dieser detaillierten fachlichenEinschätzung wurde dann die Entscheidunggefällt, welche Prozesse im Servicecenter undwelche Prozesse im Backoffice zu bearbeitensind. Hierbei zeichnete sich allerdings keine ein-

deutige und klare Linie zwischen »komplexen«und »einfachen« Prozessen in der Praxis ab. We-sentlicher Maßstab für die Entscheidung wardie Erwartungshaltung von Kunden und Ver-mittlern an die Lösungskompetenz eines Ser-vicecenters, das u. a. als erster Kontaktpunktden Großteil der Telefonie entgegennimmt.Entsprechend sind die im Servicecenter zu bear-beitenden Prozesse weniger als »einfach«, son-dern vielmehr als »Tagesgeschäft« zu charakte-risieren.

Nachdem entschieden war, welche Prozesseim Backoffice bearbeitet werden sollen, galt es,diesen Bereich unter Service- und Effizienzas-pekten neu zu organisieren. Dabei war die bis-herige Organisation dadurch gekennzeichnet,dass die Mitarbeiter im Sinne einer sogenann-ten »Rundumsachbearbeitung« grundsätzlichin einem festgelegten Bestand alle operativenBetriebsprozesse über alle Produkte hinweg zubearbeiten hatten. Durch historisch gewach-sene Ausnahmeregelungen war die Organisati-on über die Zeit vergleichsweise komplex ge-worden und erwies sich für die wachsendeMarktdynamik als zu unflexibel. Darüber hin-aus stieß das Prinzip der Rundumsachbearbei-tung vor dem Hintergrund der zunehmendenGeschwindigkeit in der Entwicklung von neuenProdukten und rechtlichen Bestimmungen anseine Grenzen – die Mitarbeiter waren in wach-sendem Maße bezüglich der an sie gestelltenAnforderungen überlastet.

In Ablösung der Rundumsachbearbeitungund der festen Bestandszuordnung galt für dieneue Organisation der Grundsatz: Strukturfolgt Prozessen. Das heißt, die fachlichen An-

Abb. 1: Grundprozess

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BestandserhaltungGeschäftsvorfälle im Kontext Kündigung … Geschäftsvorfälle im Kontext Zahlungsprobleme …

VersicherungstechnikAusschlüsse, Beitrags-, Laufzeit-, Summenänderungen, Korrekturen,Inkassowechsel, …

VersicherungsfachlichkeitRechtsverhältnisse,Bescheinigungen, Schriftwechsel, Beschwerden, Auskünfte, Leistungs-geschäftsvorfälle, …

Neugeschäft / ProduktpilotierungGeschäftsvorfälle im Kontext Versicherungsbeginn.. (u. a. Antrag, Einschluss, Erhöhung)Pilotierung neuer Produkte …

BestandserhaltungGeschäftsvorfälle im Kontext Kündigung … Geschäftsvorfälle im Kontext Zahlungsprobleme …

VersicherungstechnikAusschlüsse, Beitrags-, Laufzeit-, Summenänderungen, Korrekturen,Inkassowechsel, …

VersicherungsfachlichkeitRechtsverhältnisse,Bescheinigungen, Schriftwechsel, Beschwerden, Auskünfte, Leistungs-geschäftsvorfälle, …

Neugeschäft / ProduktpilotierungGeschäftsvorfälle im Kontext Versicherungsbeginn … (u. a. Antrag, Einschluss, Erhöhung)Pilotierung neuer Produkte …

forderungen aus den Bearbeitungsprozessenstehen in der neuen Struktur im Vordergrund[Gaitanides 1983].

Aufbauend auf der oben erwähnten Pro-zessliste wurde eine Prozesslandkarte erstellt,die als Ausgangsbasis für die Strukturüber-legungen diente. In mehreren Workshops wur-de mit den Gruppenleitern der Bereiche über-legt, welche Prozesse fachlich zusammenpas-sen und für eine Bearbeitung in einer Gruppegebündelt werden sollten. Abbildung 2 zeigt dievier entstandenen Arbeitsgruppen, in denen dieMitarbeiter nur noch einen bestimmten Kom-plex von Prozessen über alle Produkte hinwegbearbeiten müssen. Damit wird die angestrebteTiefenkompetenz gefördert, die nach wie vorerforderlich ist, um die aus Produktvielfalt, ver-sicherungstechnischen und anderen Themenresultierende große fachliche Bandbreite zubewältigen.

Neben der Rundumsachbearbeitung wurdeim Rahmen des Projektes mithilfe eines neuenDokumentenmanagement- und Vorgangssteu-erungssystems die Zuteilung der Vorgänge auf

die Mitarbeiter verändert. Die Zuteilung derVorgänge nach festen Beständen weicht einersogenannten Mengen- und Laststeuerung, beider ein Vorgang je nach fachlichem Anliegenund Auslastung der Arbeitskörbe entsprechendverteilt wird.

2.2 KernerkenntnisEine zentrale Herausforderung für den Aufbauder neuen Organisation bestand darin, die ge-eigneten Kriterien für die Einteilung der Pro-zesse in »einfach« und »komplex« zu finden.Auf der Basis neuer Erkenntnisse aus der detail-lierten Prozessanalyse (siehe auch Abschnitt 3.1)wurde diese Einteilung an manchen Stellen imVerlauf des Projektes sowohl in die eine als auchin die andere Richtung nochmals verändert undauch die Prozesslandkarte entsprechend ange-passt.

Bei den Überlegungen zur neuen Strukturbestand eine Hauptschwierigkeit darin, die Pro-zesse so zu bündeln, dass passende Gruppen-größen gebildet werden konnten. Dabei war dieZuteilung der Prozesse in die eine oder andere

Abb. 2: Prinzip der prozessgetriebenen Struktur

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Gruppe anhand fachlicher Kriterien nicht im-mer eindeutig und wird in der Praxis immerwieder überprüft werden müssen. Es bleibenfachliche »Grauzonen« in der Zuständigkeit fürdie Bearbeitung, für die die Mitarbeiter Hand-lungsanweisungen in Form von Arbeitsanwei-sungen benötigen (siehe Abschnitt 4). Für dieAkzeptanz und erfolgreiche Einführung derneuen Struktur empfiehlt es sich, positiv wir-kende Multiplikatoren frühzeitig in die Ent-scheidungen einzubinden und rechtzeitig dieÄnderungen an die Betroffenen zu kommuni-zieren.

Durch das neue Organisationsmodell müs-sen sich die Mitarbeiter in vielerlei Hinsicht um-stellen: Mit dem Servicecenter wird eine neueOrganisationseinheit und Schnittstelle in denProzessen etabliert sowie das Bearbeitungs-spektrum der Mitarbeiter verringert und dieVorgangssteuerung grundsätzlich verändert.Die Mitarbeiter können sich nicht mehr über ih-ren Bestand identifizieren, dessen Bearbeitungsie früher allein verantwortet haben. Die neueMengen- und Laststeuerung hat zur Folge, dassein Mitarbeiter einen Vorgang, z. B. bei Rückfra-gen beim Kunden, ggf. nicht mehr vom Anfangbis zum Ende bearbeitet, sondern ein andererKollege aus der Gruppe aufgrund seiner gerin-geren Auslastung die Antwort des Kunden zurWeiterbearbeitung zugeteilt bekommt. Vor die-sem Hintergrund kommt der standardisiertenBearbeitung der Prozesse und der einheitlichenDokumentation des Bearbeitungsstandes einebesondere Bedeutung zu.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Pro-zesse zentraler Dreh- und Angelpunkt in denÜberlegungen zur neuen Struktur waren. Da-mit wurde in diesem Projekt der Ansatz »Struk-tur folgt Prozessen« zur gelebten Praxis.

3 IT folgt Prozessen

3.1 VorgehenUm die Einführung der neuen bzw. die An-passung der bestehenden Technologien zu un-

terstützen, wurde eine Prozessanalyse ent-sprechend dem BPMS-Rahmenwerk (BusinessProcess Management System) durchgeführt[Karagiannis 1995]. Bei den neu zu entwickeln-den bzw. anzupassenden IT-Systemen handeltes sich um:

! ein Frontoffice-System für das Servicecenterund

! ein Dokumentenmanagement- und Vor-gangssteuerungssystem, schwerpunktmäßigfür das Backoffice.

Ein zentrales Ziel der Prozessanalyse war es zuüberprüfen, ob die neuen IT-Systeme in der Lagesind, die fachlichen Fälle an den entspre-chenden Stellen ausreichend zu unterstützen.Auch war zu spezifizieren, durch welche Doku-mente und mithilfe welcher Textsysteme dieKorrespondenz durchgeführt wird. Getreu demAnsatz »IT folgt Prozessen« wurden somit neueAnforderungen an die IT im Rahmen der Pro-zessanalyse erhoben, die anschließend bei derEntwicklung der neuen Systeme berücksichtigtwerden konnten.

Die im Zusammenhang mit den Struktur-überlegungen erstellte Prozesslandkarte dienteals Übersicht über die identifizierten Prozesse,zu denen zunächst jeweils der Istprozess er-stellt wurde. Auf dessen Basis wurde ein stan-dardisierter Sollprozess modelliert [Gadatsch2005], der die zukünftige Bearbeitung von Ge-schäftsvorfällen im Servicecenter sowie imBackoffice darstellt. Diese ändert sich im Ver-gleich zu den Istprozessen vor allem infolge

! von Abgabegründen aus dem Servicecenteran das Backoffice, d.h. wegen fachlicher Fälle,die im Servicecenter nicht bearbeitet werden,sondern an das Backoffice abgegeben wer-den sollen,

! der neuen IT-Infrastruktur (sowohl im Ser-vicecenter als auch im Backoffice) und Vertei-lung sowie

! einer abteilungsübergreifenden standardi-sierten Bearbeitung und Verwendung vonIT-Systemen und Dokumenten.

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Neben der fachlichen Bearbeitung wurde beider Prozessanalyse auch auf andere Aspekteeingegangen, wie z. B. verwendete IT-Systemeund eingehende sowie ausgehende Dokumen-te und Briefe. Mit diesen Informationen konn-ten Schwachstellen für die o.g. IT-Systeme ana-lysiert und Anforderungen abgeleitet werden[Grönke 2005].

Die Erhebung und Modellierung der Pro-zesse wurde überwiegend in Workshops mitTeilnehmern unterschiedlicher Unternehmens-einheiten durchgeführt. So konnten Verbesse-rungsvorschläge für die Durchführung der Pro-zesse gemeinsam im Team erarbeitet werden[Becker & Schmidt 2005]. Folgende Rollen wur-den unterschieden:! Fachexperten und Spezialisten

Für die fachliche Prozessbeschreibung wur-den Experten aus der Sachbearbeitung be-fragt, die große Erfahrung bezüglich der Be-arbeitung der jeweiligen Geschäftsvorfälle

mitbrachten. In bestimmten Fällen wurdengezielt Spezialisten in die Prozessbeschrei-bung einbezogen.

! Business-AnalystenUm Aspekte der IT in die Prozesse einzuarbei-ten und zu analysieren, nahmen Business-Analysten an den Workshops teil. Einerseitskonnten so fachliche Anforderungen an dieneue IT-Umgebung durch diese aufgenom-men und in den Entwicklungsprozess ein-gebracht werden. Andererseits erfordertegerade die Beschreibung der zukünftigenSollprozesse ein tiefes Wissen über die Funk-tionalitäten der neuen IT-Systeme.

! Prozessmanagement und -beschreibungDie Prozessbeschreibungen wurden mitdem Geschäftsprozessmanagement-Werk-zeug ADONIS® erstellt (vgl. Abb. 3), das nichtnur die Modellierung der Prozesse, sondernauch diverse Analysen und Auswertungenunterstützt [BOC 2008]. Berater der Firma

Abb. 3: Ausschnitt aus einem Geschäftprozessmodell in ADONIS®

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BOC moderierten die Workshops und mo-dellierten direkt vor Ort die Prozesse inADONIS®. Durch die Projizierung auf Lein-wand konn-ten die Workshopteilnehmer dieModellierung »live« mitverfolgen und ge-stalten. Eine im Vorfeld erstellte Checklistehalf dabei, die Workshops strukturiert durch-zuführen und die Ergebnisse einheitlich zudokumentieren.

3.2 KernerkenntnisStandardisierungen sind vor allem in den zu-künftigen Prozessen des Servicecenters not-wendig, da das neue IT-System für das Front-office einheitliche Prozessabläufe erfordert. ImBackoffice ist solch eine Standardisierung nichtdirekt durch ein IT-System bedingt, sondernvielmehr durch die neue Aufbauorganisation(siehe Abschnitt 2). Hier ist es allerdings ehereine organisatorische Führungsaufgabe, sichvon den bekannten Arbeits- und Verhaltenswei-sen zu lösen, da eine einheitliche Bearbeitungnicht durch ein IT-System »erzwungen« wird.Somit und aufgrund der viel komplexeren Ge-schäftsvorfälle im Backoffice gestaltet sich dieStandardisierung der Abläufe deutlich schwie-riger als im Servicecenter. Sie wird hier eher»schleichend« durch die allmähliche Änderungder Arbeitsweise herbeigeführt.

Ein häufig genanntes Problem bei System-oder Softwareentwicklungen ist die Verstän-digung zwischen Fachleuten und IT. Einerseitsmüssen die IT-Entwickler wissen, was fachlichgewünscht ist, andererseits können fachlicheAnforderungen nur formuliert werden, wenndas neue System grob bekannt ist. Auch hier hatdieses Problem sich als besondere Herausforde-rung dargestellt, da die Systemfunktionen nochnicht endgültig feststanden. Es wirkte sich je-doch positiv aus, dass der durchaus iterativeAnsatz »IT folgt Prozessen« nicht nur theore-tisch verfolgt wurde, sondern mit der Beteili-gung der Business-Analysten an den Prozess-modellierungsworkshops auch in die Praxisumgesetzt wurde.

Es lohnt sich, die Prozesse als Basis zu neh-men und gemeinsam mit IT-Fachleuten zu er-heben, auch wenn der Aufwand etwas höherist. Die modellierten Prozesse stellen eine zen-trale Dokumentation der Informationen darund bieten so eine standardisierte Grundlagefür alle weiteren Schritte. Im Verlauf des Pro-jektes wurde von verschiedenen Arbeitspaketenimmer wieder auf die Prozesse zurückgegriffen,um Antworten zu bestimmten Fragestellungendaraus abzuleiten.

4 Arbeitsanweisungen

4.1 VorgehenAls die Aufbauorganisation, die Prozesse unddie IT-Systeme eingeführt werden konnten,rückte das Thema Schulung und Kommunika-tion im Rahmen des Change Management inden Mittelpunkt.

Die Überlegung, welche Schritte – zusätz-lich zu Schulungen – notwendig sind, um denMitarbeitern das Zusammenspiel der neuenStrukturen, IT-Systeme und Prozesse näher-zubringen, führte zur Erstellung von Arbeits-anweisungen. Aufbauend auf den Prozessenwurden mehrere Arbeitsanweisungen abgelei-tet, die sich zwei Gruppen zuordnen lassen:

! allgemeine Arbeitsanweisungen, die prozess-übergreifend gültig sind, und

! prozessspezifische Arbeitsanweisungen, dienur für bestimmte Prozesse gelten.

In den Arbeitsanweisungen werden Schnitt-stellenthemen betrachtet, die sich aus derneuen Struktur und dem Umgang mit denIT-Systemen ergeben. Es werden beispielswei-se die Abgabe von Geschäftsvorfällen aus demServicecenter an das Backoffice sowie die Zu-sammenarbeit mit internen Dienstleistern ge-regelt.

Um die Neuerungen besser verständlich zumachen, wurden neben anderen Instrumentendes Change Management intuitive Prozess-steckbriefe zur Kommunikation der Vereinheit-

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Prozessname

Gilt für:

NeugeschäftVersicherungsfachlichkeitVersicherungstechnikBestandserhaltung

NeugeschäftVersicherungsfachlichkeitVersicherungstechnikBestandserhaltung

Kurzbeschreibung:Hier steht eine Kurzbeschreibung des Prozessablaufs, z.B. aus der Prozesslandkarte. Sie sollte nur ganz grob den Prozess beschreiben.

Fachliche Prüfungen

Schnitt-stellen

Brief-schreibung

Bearbeitungin anderen Systemen

Bearbeitung im Bestands-system

SonstigesErforderliche Unterlagen

PKPK U-KasseU-KasseP-KasseP-KasseRiesterRiesterFondsFondsFKFK

Anmerkungen zum standardisierten Ablauf in folgenden Bereichen:

Abgabegründe:� …

� …

� …

Abgabegründe:� …

� …

� …

Prozessname

Gilt für:

NeugeschäftVersicherungsfachlichkeitVersicherungstechnikBestandserhaltung

NeugeschäftVersicherungsfachlichkeitVersicherungstechnikBestandserhaltungPKPK U-KasseU-KasseP-KasseP-KasseRiesterRiesterFondsFondsFKFK

Erforderliche Unterlagen:

� …

Reicht Fax / Emailanhang?

Nein

Ja

Unterschriften auf Eingangs-dokument erforderlich?

Original-Eingangsdokument von Scanstelle notwendig?

Original erforderlich?

Reicht Fax / Emailanhang?

Nein

Ja

Unterschriften auf Eingangs-dokument erforderlich?

Original-Eingangsdokument von Scanstelle notwendig?

Original erforderlich?

Fachliche Prüfungen:� …

lichungen verwendet [Doppler & Lauterburg2005].

Diese Steckbriefe sind alle gleich aufgebautund beinhalten neben einer Kurzbeschreibungdes Prozesses die wesentlichen Standardisie-rungen in verschiedenen Bereichen. Abbil-

dung 4 zeigt musterhaft die ersten zwei Seitensolch eines Steckbriefes.

4.2 KernerkenntnisEs hat sich herausgestellt, dass normale Schu-lungen allein nicht ausreichen, um solch kom-

Abb. 4: Beispiel für einen Prozesssteckbrief

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plexe Neuerungen zu vermitteln. Aus organisa-torischen und Zeitgründen wurden separateSchulungen zu den einzelnen Themen durchge-führt. Dadurch, dass sich aber drei Dinge zurgleichen Zeit ändern (Struktur, Prozesse und IT),sind weitere Maßnahmen notwendig, um dieZusammenhänge und Schnittstellen zwischenden einzelnen Bereichen noch besser zu ver-mitteln. Die Arbeitsanweisungen und Prozess-steckbriefe haben sehr gut dazu beigetragen,diese Berührungspunkte transparent zu ma-chen und an die Mitarbeiter zu kommunizieren.

Für den Erfolg der Schulungen sowie dieKommunikation der Arbeitsanweisungen undProzesssteckbriefe in den neuen Gruppen ist eswichtig, sich eine gute Art der Verbreitung die-ser Informationen zu überlegen. Neben einemSchulungstag für die allgemeinen Themen wur-den die Unterlagen im hier beschriebenen Pro-jekt sowohl im bestehenden elektronischenHandbuch zur Verfügung gestellt als auch inden jeweiligen Gruppenbesprechungen vorge-stellt und Fragen dazu beantwortet.

Da das Ziel dieser zusätzlichen Unterlagendarin besteht, den Mitarbeitern in überschau-barer Form und in kurzer Zeit die standardisier-ten Abläufe nahezubringen, eignen sich dieProzessmodelle selbst nicht als Arbeitsanwei-sung. Der Detaillierungsgrad ist dafür zu hoch.Bei Bedarf können sie jedoch genutzt werden,um den gesamten Ablauf im Detail zu betrach-ten (z. B. zur Einführung neuer Mitarbeiter).

5 Fazit Zusammenfassend lassen sich folgende »Les-sons Learned« ableiten:

! In einem Projekt, das sowohl IT, Prozesse undStruktur verändert, ist es ganz besonderswichtig, die Abhängigkeiten und Schnittstel-len der einzelnen Arbeitspakete in einemGesamtzusammenhang zu berücksichtigen(End-to-End-Betrachtung).

! Als ein kritischer Erfolgsfaktor hat sich – we-nig überraschend – auch hier eine frühzeitige

Kommunikation der Neuerungen erwiesen:sowohl intern als auch gegenüber Kundenund Vermittlern. Gerade bei der internenKommunikation ist das rechtzeitige Aufset-zen eines Change Management unabdingbar.

! Es hat sich bewährt, die Prozessbeschreibungsowohl im Ist als auch im Soll vergleichsweisedetailliert zu erstellen. Somit dienen die Pro-zesse als zentrales Informationsmedium fürdie Entwicklung der IT-Systeme, der Struktursowie für Schulungen und Arbeitsanwei-sungen.

! Für die Prozessbeschreibung sollten mindes-tens zwei Fachexperten pro Bereich heran-gezogen werden, damit unterschiedlicheArbeitsweisen berücksichtigt und zu einerstandardisierten Bearbeitung vereinheitlichtwerden.

Mit diesem Projekt wurde deutlich, dass dietheoretischen Leitlinien »Struktur folgt Prozes-sen« und »IT folgt Prozessen« in der Praxis er-folgreich umgesetzt werden können. Die Pro-zesse und das Prozessmanagement haben indiesen technologischen und organisatorischenVeränderungsprozessen eine zentrale Rolle ge-spielt.

6 Literatur

[Becker & Schmidt 2005] Becker, R.; Schmidt, H.:Teamorientierte Geschäftsprozessoptimierung.In: Horváth & Partners (Hrsg.): Prozessmana-gement umsetzen. Schäffer-Poeschel-Verlag,Stuttgart, 2005, S. 107-122.

[BOC 2008] BOC Information Technologies Consul-ting GmbH, www.boc-group.com/de/ADONIS.html/; Zugriff am 19.12.2008.

[Doppler & Lauterburg 2005] Doppler, K.; Lauter-burg, C.: Change Management: Den Unterneh-menswandel gestalten. Campus Verlag, Frank-furt/Main, 2005.

[Gadatsch 2005] Gadatsch, A.: Grundkurs Ge-schäftsprozess-Management. Vieweg, Wiesba-den, 2005.

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[Gaitanides 1983] Gaitanides, M.: Prozeßorganisati-on: Entwicklung, Ansätze und Programme pro-zeßorientierter Organisationgestaltung. Vah-len, München, 1983.

[Grönke 2005] Grönke, K.: Prozesstransformationdurch Restrukturierung. In: Horváth & Partners(Hrsg.): Prozessmanagement umsetzen. Schäf-fer-Poeschel-Verlag, Stuttgart, 2005, S. 87-105.

[Karagiannis 1995] Karagiannis, D.: BPMS: BusinessProcess Management Systems: Concepts, Me-thods and Technology. In: SIGOIS Special Issue,SIGOIS Bulletin, 16/1, August 1995, S. 10-13.

Dipl.-Wirt.-Inf. (FH) Maîtrise MIAGE Carsta HegerMag. Christoph PrackwieserBOC Information Technologies Consulting GmbHVoßstr. 2210117 Berlin{carsta.heger, christoph.prackwieser}@boc-de.comwww.boc-de.com

Dr. Ursula RehleGothaer Versicherungen AGArnoldiplatz 150969 Kö[email protected]