rationaler altruismus – eine begründung moralischen engagements

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Rationaler Altruismus – Eine Begründung moralischen Engagements Christoph Lumer Universität Siena E-Mail: [email protected] Homepage: http://www.lumer.info/

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Page 1: Rationaler Altruismus – eine Begründung moralischen Engagements

Rationaler Altruismus –Eine Begründung moralischen

Engagements

Christoph LumerUniversität Siena

E-Mail: [email protected]: http://www.lumer.info/

Page 2: Rationaler Altruismus – eine Begründung moralischen Engagements

1. Einführung: Thema des Vortrags

Gliederung2. Theorie der individuellen, prudentiellen

Rationalität3. Begründung, Inhalt und Forderungen der Moral4. Warum ist es rational, altruistisch zu handeln?5. Fragen und Probleme des aktuellen Effektiven

Altruismus

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2. Eine prudentielle Theorie der praktischen Rationalität

Dimensionen der praktischer Rationalität: 1.Wünschbarkeit, 2. Effizienz, …Theorie der individuellen Wünschbarkeit oder desGuten: wünschbar = in dem und dem Maße gutoder schlecht.

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Subjektivistischer Wertkonstruktivismus

Wünschbarkeit ist immer Wünschbarkeit fürjemanden, für das Wertsubjekt.Die Wünschbarkeit ist über die Wünsche diesesWertsubjekts definiert, insbesondere über dieKriterien hinter diesen Wünschen.Kritik der Nutzentheorie innerhalb der rationalenEntscheidungstheorie: nur kohärentistisch, keineKritik der Präferenzen und Wünsche.

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Der analytisch-synthetische Ansatz der Wünschbarkeitstheorie

1. Kriterien hinter Wünschen ermitteln2. Nur Kriterien für intrinsische Wünsche:Intrinsische Wünsche sind Wünsche, bei denen wir etwas um seinerselbst willen wünschen (oder ablehnen), nicht weil es irgendwelchevon uns geschätzten oder befürchteten Folgen hat.Extrinsische oder instrumentelle Wünsche sind Wünsche, bei denenwir etwas wünschen, weil es, wie wir annehmen, intrinsisch guteoder schlechte Folgen hat.Der analytisch-synthetische Ansatz übernimmt von denWertsubjekten nur die Kriterien für die intrinsischen Wünsche, weildies die entscheidende subjektive Komponente ist, die repräsentiert,worum es uns eigentlich geht, und an der auch die Motivation hängt.

3. Zeitliche Stabilität der Kriterien

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Das intrinsisch Gewünschte und intrinsisch Wünschbare: korrigierter Hedonismus

1. Psychologischer Hedonismus: Die eigenen Leiden undFreuden aller Art, also psychische und physische, sindintrinsisch relevant.2. Keine weiteren intrinsischen Güter: Freundschaft,Wissen, moralisches Handeln, das Wohlergehen anderer.Freundschaft, Wissen und moralisches Handeln dochextrinsisch gewünscht. Intrinsischer Wunsch nachWohlergehen anderer ist nicht stabil.Fazit: (Korrigierter) Hedonismus als rationale Theorie derintrinsischen Wünschbarkeit.

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Moralische Bedeutung des rationalen Hedonismus

Prima facie enttäuschend für Moral: IndividuelleRationalität und Moralität fallen nicht zusammen.Prudentielle Vorsicht gegenüber Moral.Entwarnung: Das Wohlsein anderer kann für unsextrinsisch gut sein.

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3. Rationale Begründung und Inhalt der Moral

Drei Komponenten der Moral:1. moralische Bewertungs- oder Wünschbarkeitsfunktion,2. moralische Normen und Gebote und die zugehörigen

Handlungen,3. über das Gebotene hinausgehende moralisch gute

Handlungen, sogenannte supererogatorische Handlungen.Moralische Normen und Handlungen sind Instrumente zur

Realisierung des moralisch Guten.

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Die moralische Wertfunktion: Prioritarismus

Prioritaristische Bewertung eines Gegenstandes in dreiSchritten:

1. Folgen dieses Gegenstandes für das Wohlsein aller von ihmBetroffenen ermitteln.

2. Prioritaristische Gewichtung der Veränderung:Veränderungen für schlechter Gestellte zählen mehr, um somehr, je schlechter sie gestellt sind.

3. Addition all dieser gewichteten Werte.Kommentar: Im Utilitarismus fehlt Schritt 2; derUtilitarismus setzt die moralische Wünschbarkeit einerWohlseinsveränderung mit der individuellenWünschbarkeit gleich.

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Die prioritaristische moralische Gewichtungsfunktion

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Moralische Gebote

Verbindlichkeit moralischer Pflichten stammt aus sozialenStrafen oder Belohnungen.Moralische Pflichten erwachsen aus moralisch guten sozialgeltenden Normen.Sozial geltende Normen := Handlungsregeln, die einigermaßenallgemein befolgt werden und deren bekanntgewordeneNichtbefolgung meist bestraft wird.Formelle, juristische Normen; informelle Normen: DieSanktionen kann jeder verhängen – vom Stirnerunzeln bis zurLynchjustiz.Normunterstützung: Normen verkünden, erklären, begründen,ihre Einhaltung überwachen, Übertretungen bestrafen.Normunterstützung ist wesentlich für den Bestand von Normenund Feld für moralisches Engagement.

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Progressiver NormenwelfarismusHistorischer Wandel von moralischen Normen; Tendenz zurmoralischen Verbesserung.Moralpolitisches Engagement: Handeln zur Verbesserung desBestandes sozial geltender Normen: Werbung für eine neue Norm;beispielhaftes Vorleben des von der Norm Geforderten;Beeinflussung von Entscheidungsträgern; Verhängung informellerSanktionen.Komponente praktischer Rationalität: Effizienz = gutes Verhältnisvon Aufwand zu Ertrag; mit demselben Aufwand möglichst vielGutes erreichen: dasselbe Gute mit möglichst wenig Aufwanderreichen.Maxime für moralpolitisches Engagement: moralische Effizienz:Versuche, diejenigen neuen moralischen Normen durchzusetzen,die unter den politisch durchsetzbaren Normen moralisch optimalsind.

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Supererogatorische Handlungen

Supererogatorische Handlung := Handlung, die moralischgut, aber nicht moralisch geboten ist, sondern über dasmoralisch Gebotene hinausgeht.Motivation zu supererogatorischem Handeln:Verantwortung für andere, Wunsch, ihnen zu helfen usw.Orientierung für supererogatorisches Handeln: moralischeEffizienz.

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Merkmale des Effektiven Altruismus

1. Ziel, moralisch Gutes zu tun.2. Definition der moralischen Wünschbarkeit oft

utilitaristisch.3. Moralische Wünschbarkeit universalistisch aufgefaßt:

Insbesondere Menschen in der Dritten Welt undempfindungsfähige Tiere sind Benefiziare.

4. Massiver Einsatz für das moralisch Gute.5. Hohe Effizienz.

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Moralische Stellung des Effektiven Altruismus

Handlungsempfehlungen des Effektiven Altruismus sindkeine moralische Pflicht (keine weitgehende Befolgung,keine Sanktionen), sondern supererogatorisches Handeln.Massives und sozial organisiertes supererogatorischesHandeln, das auf einem entsprechenden persönlichen Idealberuht.

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4. Warum ist es rational, altruistisch zu handeln?

Positive Gründe für altruistisches Engagement aus demunmittelbaren Erleben:

Primäre positive Erlebnisgründe:1. Empathische Gefühle verbessern: Mitfreude vermehren, Mitleidverringern.2. Fähigkeit zu und die Kultivierung der Empathie vertieft auchallgemein unsere menschlichen Beziehungen.3. Respekt vor anderen und anderem: Schmerz durch Zerstörungoder Schädigung des Geschätzten verringern; Erleichterung beiRettung.

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Positive Gründe für altruistisches Engagement aus dem unmittelbaren Erleben, Forts.

Sekundäre positive Erlebnisgründe: Setzen beim Subjekt oder der Umgebung dieAdoption einer entsprechenden moralischen Bewertung voraus.1. Die positive moralische Bewertung des eigenen Handelns führt zu positivermoralischer Selbstbewertung.2. Das kontinuierliche vertiefte Engagement für andere verschafft Sinn durchmoralisches Transzendieren des Ichs, dadurch Zufriedenheit.3. Anerkennung durch andere erhöht unmittelbar das Selbstwertgefühl und führtindirekt über die gesteigerte Reputation zu diversen Vorteilen, u.a.Kooperationsvorteilen selten sogar direkten Belohnungen.4. Bei Akzeptanz interner moralischer Pflicht Unruhe und Stachel zuentsprechendem Engagement.

Tertiäre positive Erlebnisgründe: Setzen entsprechende Zielsetzungen voraus:1. Erfahren der eigenen Wirkungsmacht.2. Bestätigung des eigene Organisationstalents, dadurch Zufriedenheit.Rat der Organisationen für positive well-being: Altruistisches Engagementverbessert Stimmung.

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Negative Gründe für altruistisches Engagement: Warum man sich nicht vom altruistischen

Engagement abhalten lassen sollDer Einkommenseinwand: Nullsummenspiel der Geldverteilung.Scheinbare Bestätigung des Nullsummenspieleinwandes durch

Glücksforschung.Kritik: Nicht Wohlsein, Glück gemessen, sondern Zufriedenheit mit

der eigenen Situation oder positive Gesamteinschätzung dereigenen Situation.

Widerlegung des Einwandes: Untersuchung von Kahneman & Deatonzu affektivem Wohlsein: Durchschnittlich ab 75.000 USDJahreseinkommen keine Glückssteigerung mehr.

Erklärung des Plateaus: Einfluß von Luxusgütern auf Glück durchintensive Beschäftigung mit ihnen; das ist begrenzte Ressource,und der materielle Wert des Gutes ist nicht relevant.

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Affektives Glück in Abhängigkeit vom Jahreseinkommen in USD (Kahneman & Deaton 2010)

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Die wichtigsten dispositionellen Glücksgüter (Grom)

1. Selbstwertschätzung als die zentrale Positiverfahrung: Wichtige Komponente derSelbstwertschätzung ist moralische Selbstwertschätzung, insbesondere weil mansich für andere engagiert.

2. Liebes- und Beziehungsfähigkeit: Liebes- und Beziehungsfähigkeit kann überBeziehungen zu Bekannten hinausreichen und sich in prosozialem Verhaltenäußern.

3. Sachorientierung, also die Fähigkeit, sich Dingen und Wirkmöglichkeitenzuzuwenden: Sachorientierung kann man auch für altruistisches Engagementeinsetzen.

4. eine außergewöhnliche Gesundheit durch ihren Beitrag zu einer langenLebensdauer.

5. Sinnfindung durch Selbsttranszendenz: Einbringen der eigenen Person und deseigenen Lebens in einen das Ich übergreifenden und es überdauerndenZusammenhang: Wohl der Gemeinschaft oder Menschheit oder noch allgemeiner:die in einer Moral verkörperten Werte. Dadurch affektive Zufriedenheit.

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5. Fragen und Probleme des aktuellen Effektiven Altruismus1. Universalismus(Benefiziar-)Universalismus := alle Menschen und empfindenden Tiere sindmögliche Benefiziare der Moral.(Abstrakte Begründung des Universalismus funktioniert nicht wegenAbhängigkeit von Empathie.Begründung des Universalismus des Mitgefühls über eine universalistischeIdentität.)Grenzen und Probleme des universalistischen altruistischen Engagements:Kombination von Universalismus und Effizienz führt zu ausschließlichemEngagement für die Allerärmsten in der Dritten Welt. Projekte, die über dieLinderung der allergrößten Not hinausgehen, als ineffizient ausgeschlossen.Dynamik aus luxuriöseren Projekten, die langfristig eine größere Stabilitätsichern können, verhindert.

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2. Earning-to-Give: Berufswahl zugunsten des Effektiven Altruismus

Problem Ausbeutung anderer: Die lukrativsten Jobs beruhen aufAusbeutung und Steigerung der Ungerechtigkeit.Gegen das Argument der Überdeterminierung (wenn ich dasnicht mache, macht es ein anderer).Beruf als Glücksgut: Gute Arbeit und Selbstverwirklichung inder Arbeit eines der wichtigsten Glücksgüter neben persönlichenBeziehungen. Das sollte man nicht leichtfertig verschenken.Berufswahl: Win-win anstreben: Keine Selbstaufopferung.Gegen Tendenz zur moralischen Selbstausbeutung.Soziale Berufe, durchaus eine Option: Kritik derErsetzbarkeitsannahme. Auch im sozialen Bereich ist es wichtig,durch die Art der Ausübung des Berufes sehr viel Besseres zubewirken.

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3. Effizientes altruistisches Engagement ist keine moralische Pflicht; rationale Wichtigkeit der

persönlichen Befriedigung

Altruistisches Engagement ist keine moralische Pflicht.Für eine rationale Person muß der Antrieb zum Altruismus

aus persönlichem Wunsch und Interesse kommen.

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4. Konzentration auf Spenden; mögliches anderes altruistisches Engagement

Effektiver Altruismus ist moralisch gut und sehrlobenswert; ist aber nicht das einzige, was wir tun sollten.Andere Möglichkeiten moralischen Engagements.

• 1. Moralpolitisches Engagement.• 2. Normunterstützung.• 3. Andere Formen supererogatorischer Handlungen: 3.1.

Engagement in Organisationen zur Verbesserung der Welt.3.2. Engagement im lokalen und regionalen Umfeld. 3.3.Engagement im persönlichen Umfeld inklusivetugendhaftes Verhalten.Nichts gegeneinander ausspielen, Entscheidung nachNeigung.

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6. Ein Appell zum Schluß

Der Effektive Altruismus ist eine enorm wichtigemoralische Bewegung, die ein großes Potential zurmoralischen Verbesserung der Welt, zur Verbesserung desWohlseins von Menschen und Tieren hat.Problematische Aspekte gibt es immer; sie müssendiskutiert und gelöst werden – aber auf der Seite desEffektiven Altruismus.Machen Sie mit, aktiv, kritisch und rational!