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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universitt Freiburg

VOLKER SCHUPP

Rtsel

Originalbeitrag erschienen in: Kleine literarische Formen in Einzeldarstellungen. Stuttgart: Reclam, 2002, S. 191-210

RtselVon Volker Schupp

Das Rtsel zu definieren bedeutet, ber eine Kleinform, die seit der Antike im schriftlichen und mndlichen Gebrauch, und in fremden Kulturkreisen vorkommt, spezifische Aussagen zu machen: Was bei anderen Gattungen nur schwer mglich, vielfach sicher unmglich ist, kann beim Rtsel gelingen, wenn es in seiner kommunikativen Situation erfasst wird. Das Rtsel ist wohl das einzige literarische Gebilde, das zu seiner Existenz nicht nur der uerung des Erfinders, Dichters, Rtselstellers bedarf, sondern der verbalen Antwort des Kommunikationspartners, des Rtsellsers. Das zeigt sich an den unvollstndig berlieferten Gebilden, bei denen es nicht immer sicher ist, ob Rtsel vorliegen oder andere Kleinformen. Sobald eine Lsung gegeben

wird, die Paarsequenz vollstndig ist, herrscht Einmtigkeitber die Gattungsform. Durch die verbale Reaktion einer Lsung kann das Rtsel also von anderen einfachen Formen abgegrenzt werden. Freilich verlangen auch andere eine Reaktion des Rezipienten. Aber sie ist unterschiedlich. Das Rtsel verlangt1 Im Folgenden, wo es um die Rtsel der deutschen Literatur und der angrenzenden lateinischen geht, die aus Raumgrnden nicht zitiert werden knnen, wird als Korpus das Deutsche Rtselbuch, hrsg. von Volker Schupp, Stuttgart: Reclam, 1972, zugrundegelegt. Theoretische uerungen der historischen Rtseltheorie werden der Krze halber meist dem Nachwort entnommen. Seit 1972 erschienene Literatur enthalten die folgenden Anmerkungen und die Bibliographie. Vieldeutige oder absichtlich verhllende Ausdrucksweise, die in der antiken Frhzeit mit den spteren Gattungsbezeichnungen (ainigma, griphos usw.) bezeichnet wird, bleibt hier auer Betracht. Erstmals definiert Aristoteles eine dem Rtsel geme Aussageweise (ohne Lsungszwang): Dinge, die faktisch unmglich miteinander zu verknpfen sind, Kap. 22 in: Poetik, bers. von Olof Gigon, Stuttgart 1961, S. 61. Er bringt aber dann ein auch in unserem Sinn korrektes Beispiel (Schupp, Deutsches Rtselbuch, S. 251,5).

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die Lsung, das lyrische Gedicht die Einstimmung, der Merkvers das durch Nachsagen entstehende Behalten eines Wortlautes. Das kann in den explizit partnerbezogenen Sprachhandlungen przisiert werden. Man nehme etwa im Bereich des Numinosen, dem das Rtsel oft zugeordnet wurde, den Zauberspruch zum Vergleich. Auch er wird gewhnlich zwischen zwei Partnern vollzogen, auch er will eine Reaktion das gebrochene Bein soll geheilt werden , aber der Geheilte braucht nichts zu sagen, und whrend das gestellte Rtsel durch die Lsung verstanden, aufgehellt wird, tendiert der Zauberspruch dazu, im magischen Dunkel zu verbleiben. Die Verwandtschaft des Rtsels zum Witz zeigt sich darin, dass auch der Witzerzhler eine Reaktion des Hrers erwartet, nmlich (analog zur Lsung) das Lachen, das anzeigt, dass der Witz verstanden wurde. Ohne dieses Lachen ist der Witz tot, ist er kein Witz, auch wenn der \Witzerzhler den Witz zu erklren versucht. Auch das Rtsel kann witzige Elemente enthalten, deren erheiterndes Erkennen das Lsungswort anzeigt. Sehr nahe sind sich Rtsel und Epigramm. Man kann das Epigramm lesen und seine berschrift dem Partner als Lsung zunchst vorenthalten. Das umgekehrte, vom Lsungswort her gelesene Rtsel verliert seine dialogische Spannung, der Leser richtet sein Augenmerk auf die Art der Verschlsselung, den Code, der oft in sich widersprchlich ist. Rtsel ist eine Frage, die eine Antwort heischt.2, aber es kann eine komplexe poetische Frage sein, die auf der Oberflche eine Frageform nicht erkennen lsst, eine Fragehandlung,3, und die Antwort wird durch die Frage gewhnlich verschlsselt mitgeliefert, nicht als textexternes2 Andre Jolles, Einfache Formen. Legende, Sage, Mythe, Rtsel, Spruch, Kasus, Meniorabile, Mrchen, Witz, Darmstadt '1958 (11930), S. 129. 3 Tomas Tomasek, Das deutsche Rtsel im Mittelalter, Tbimgen 1994, S. 49, nach D. Wunderlich. Die Textsorte des Rtsels wird von Tomasek schlielich als ungeregelte Prfungsfrage definiert (S. 53).

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Vorwissen erfragt. Wenn man an dem eingefhrten Wort Geistesbeschftigung4 festhalten will, muss man sagen, dass es sich beim Rtsel um eine agonale Geistesbeschftigung handelt.' Eine ungleiche Hhe wird ausgeglichen, der schrge Waagbalken wird durch die uerung des Lsungswortes wieder in die Waagrechte gebracht, was dann vom Rtselsteller besttigt wird. Aus dem Gesagten ergeben sich Grenz- und Problemflle, die den Kern der Rtsel-berlieferung wenig tangieren. Ihre Analyse hilft aber, diesen besser zu erkennen. Bei der Scherzfrge etwa soll die Antwort nicht erraten, sondern vom Fragesteller als witzige Pointe selbst gegeben werden. Ein frag. Welcher dreck reden kann. Antwort: Der kw [Kuh] dreck, so er von seiner mutter feldt, spricht er: schlap schlap.6 Die alten Bezeichnungen fr Rtsel ntzen wenig fr die Gattungsdiskussion. Sie knnen als Wnschelrute dienen, um Komplexe aufzufinden, in denen auch Rtsel (im modernen gattungstheoretischen Sinne) berliefert sind, reichen aber weder aus, diese zu bestimmen, noch ber das Alter -von Rtseln Aussagen zu rnachen. Hierin gleichen sie den brigen mittelalterlichen Begriffen, die man gern fr Gattungsbezeichnungen verwenden mchte, die dazu aber allenfalls nach einer neueren, modernen Festlegung taugen. Beim Rtsel ist die weitere Bedeutung solcher Bezeichnungen ganz offensichtlich die ltere/ Das gilt fr alle Wrter,4 Ebda. 5 Zur Begrndung Schupp (s. Anm. 1), S. 385 I.; Wettstreit (certamen) schon bei Symphosius, siehe: The Fnigmas of Symphosius, hrsg. von Raymond Theo.dore Ohl, Philadelphia 1928, S. 30 (Praefatio V. 11). 6 Aus dem Straburger Rtselbuch: Schupp (s. Anm. 1) S. 13, 59 und 287; vgl. 4291.; Tomas Tomasek, Scherzfragen Bemerkungen zur Entwicklung einer Textsorte, in: Kleinstformen der Literatur, hrsg. von Walter Haug und Burkhart Wachinger, 'Tbingen 199-1, S. 216 - 234. 7 Deutsches Wrterbuch, Bd. 14, Sp. 196: ,alles, was dem geiste dunkel erscheint und ihn zum nachdenken und zum streben darber klar zu werden, auffordert; vgl. Tomasek (s. Anm. 3) S.92I.

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die mit Rtsel zusammenhngen: and. ratissa, ratussa, ratiska, mhd. ratische, raetesche, frhnhd. raetersch u. . 8 aenigma,ebnsowifrdlatchenquivfr also quaestio, proposmo, conjectura. In der Rhetorik steht aenigma mit obscuritas in der allegoria in Konkurrenz. 9 LuthersRzladnuhocetsFrmgnber der oberdeutschen Form Rtersch zum Durchbruch verholfen'', was nichts ber die Verbreitung des Gegenstandes sagt. Nach der Art der Codierung und Verschlsselung der Rtselbotschaft auf der Inhalts- und Ausdrucksseite der Sprache, auch auf der Schrift- und sogar Bildebene, werden die Rtsel-Typen unterschieden. Je nachdem, ob die Bedeutung des Wortes bzw. die Eigenschaften des Gegenstandes oder die Reprsentation der Schrift durch die Codierung betroffen sind, spricht man von Sinn-, Wort-, Silben-, Buchstaben- und Bilderrtseln (letztere, Rebus, bleiben hier auer Betracht"). Codierungen auf den verschiedenen, Ebenen kommen allerdings oft vermischt vor. Manche Codierungsverfahren werden durch Bezeichnungen vorgege8 Ebd., S. 194; Mathilde Hain, Rtsel, Stuttgart 1966 (Sammlung Metzler, 53), S. 4. Zu mittelalterlichen Bezeichnungen auch Freimut Lser, Rtsel lsen. Zum Singl- -Rumelant-Rtselstreit, in: Wolfram-Studien 15 (1998) S. 245-275, hier S. 245f. 9 Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik: eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Stuttgart '1990, 899. Schon Donatus ordnet wie spter Beda aenigma unter allegoria ein. Andrew Gallowav, The Rhetoric of Riddling in Late-Medieval England: T he Oxford Riddles, the >Seereturn philosophorum., and the Riddles in >Piers PlowmanHerz