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HSR, Peter Bolliger, D:\Birdlife ZVS\FBK 2014\Exkursionen\E07 Ausserberg\Skript_Sonnige Halden.doc 1 Inhalt Sonnige Halden am Lötschberg .................................................................................................................... 1 Eine Geologische Zeitreise ........................................................................................................................... 6 Die Walliser Felsensteppe ............................................................................................................................ 8 Geschichte und Baukultur Ausserbergs ...................................................................................................... 10 Sonnige Halden am Lötschberg Auszüge aus: Stebler F. G, 1901: Das Oberwallis unserer Ahnen Die Bewässerung (Die Vespertaler Sonnenhalden) Das Klima des Wallis, besonders dasjenige des mittlern Rhonetals und der angrenzenden Berggemeinden, charakterisiert sich durch grosse Trockenheit. Das Gebiet liegt im Regenschatten hoher, vergletscherter Gebirge. Zudem ist der gesamte Berghang stark nach Süden geneigt und erfährt vor allem im Sommer eine hohe Sonneneinstrahlung und eine starke Erwärmung. Mit Niederschlägen von unter 600 Millimetern pro Jahr gehören diese Hänge zu den trockensten Gebieten der Schweiz. Sowohl die Menge als auch die Ver- teilung der Niederschläge ergeben – zusammen mit den stark schwankenden Temperaturen – die kontinen- tale Ausprägung des Klimas. Im Sommer vergehen oft Wochen, ja Monate bis ein nennenswerter Regen niederfällt; alles droht zu ver- trocknen. Kein Wunder, wenn das fromme Walliser Volk in solchen Fällen sein Gebet zu Himmel erhebt und den Allmächtigen um Regen anfleht. In der Not werden grosse Bittgänge zu den Heiligen veranstaltet. So wallfahrteten am 24. Juni 1921 die vier Gemeinden Birchen, Zeneggen, Törbel und Emd zu St. Anton in den Törbler Alben, um Regen zu erflehen und zugleich gegen den „Viehbresten“ (Maul- und Klauen- seuche) zu beten, der in der Nachbarschaft grassierte. Ein Monat später, am 25. Juli, wurde die Wallfahrt wiederholt. Alles, was gehen konnte – über tausend Personen -, nahm an der Prozession teil. Wenn man bedenkt, dass der Weg, den die entferntesten Pilger zurücklegen mussten, 6 bis 8 Stunden beträgt, so muss man das Gottvertrauen der frommen Menschen bewundern. Die Sonne scheint im Sommer fast senkrecht auf die nach Süden geneigten Hänge und trocknet das ohne- hin trockene Erdreich vollends aus. Kommt ein leichter Regen, so fliesst das Wasser oberflächlich ab und kommt den Pflanzen kaum zugute. Um von dem Boden einen Ertrag zu erzielen, ist man auf die künstliche Bewässerung angewiesen. Wo nicht gewässert werden kann, ist das Land fast ertraglos. Wird der Boden dagegen bewässert, so entsteht sofort eine reiche Vegetation. Das ganze Leben der Natur dreht sich des- halb um das scheinbar kraftlose Element – das Wasser. „Ohne Wasser kein Heu, ohne Heu kein Vieh, ohne Vieh kein Fleisch, keine Milch, keine Butter, kein Käse, kein Geld. “ Der Dünger wirkt wenig oder nicht, wenn nicht gewässert wird. Das an den sonnigen Hängen unter dem Einfluss der Bewässerung

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HSR, Peter Bolliger, D:\Birdlife ZVS\FBK 2014\Exkursionen\E07 Ausserberg\Skript_Sonnige Halden.doc 1

Inhalt Sonnige Halden am Lötschberg .................................................................................................................... 1

Eine Geologische Zeitreise ........................................................................................................................... 6

Die Walliser Felsensteppe ............................................................................................................................ 8

Geschichte und Baukultur Ausserbergs ...................................................................................................... 10

Sonnige Halden am Lötschberg Auszüge aus: Stebler F. G, 1901: Das Oberwallis unserer Ahnen

Die Bewässerung (Die Vespertaler Sonnenhalden)

Das Klima des Wallis, besonders dasjenige des mittlern Rhonetals und der angrenzenden Berggemeinden,

charakterisiert sich durch grosse Trockenheit. Das Gebiet liegt im Regenschatten hoher, vergletscherter

Gebirge. Zudem ist der gesamte Berghang stark nach Süden geneigt und erfährt vor allem im Sommer eine

hohe Sonneneinstrahlung und eine starke Erwärmung. Mit Niederschlägen von unter 600 Millimetern pro

Jahr gehören diese Hänge zu den trockensten Gebieten der Schweiz. Sowohl die Menge als auch die Ver-

teilung der Niederschläge ergeben – zusammen mit den stark schwankenden Temperaturen – die kontinen-

tale Ausprägung des Klimas.

Im Sommer vergehen oft Wochen, ja Monate bis ein nennenswerter Regen niederfällt; alles droht zu ver-

trocknen. Kein Wunder, wenn das fromme Walliser Volk in solchen Fällen sein Gebet zu Himmel erhebt

und den Allmächtigen um Regen anfleht. In der Not werden grosse Bittgänge zu den Heiligen veranstaltet.

So wallfahrteten am 24. Juni 1921 die vier Gemeinden Birchen, Zeneggen, Törbel und Emd zu St. Anton

in den Törbler Alben, um Regen zu erflehen und zugleich gegen den „Viehbresten“ (Maul- und Klauen-

seuche) zu beten, der in der Nachbarschaft grassierte. Ein Monat später, am 25. Juli, wurde die Wallfahrt

wiederholt. Alles, was gehen konnte – über tausend Personen -, nahm an der Prozession teil. Wenn man

bedenkt, dass der Weg, den die entferntesten Pilger zurücklegen mussten, 6 bis 8 Stunden beträgt, so muss

man das Gottvertrauen der frommen Menschen bewundern.

Die Sonne scheint im Sommer fast senkrecht auf die nach Süden geneigten Hänge und trocknet das ohne-

hin trockene Erdreich vollends aus. Kommt ein leichter Regen, so fliesst das Wasser oberflächlich ab und

kommt den Pflanzen kaum zugute. Um von dem Boden einen Ertrag zu erzielen, ist man auf die künstliche

Bewässerung angewiesen. Wo nicht gewässert werden kann, ist das Land fast ertraglos. Wird der Boden

dagegen bewässert, so entsteht sofort eine reiche Vegetation. Das ganze Leben der Natur dreht sich des-

halb um das scheinbar kraftlose Element – das Wasser. „Ohne Wasser kein Heu, ohne Heu kein Vieh,

ohne Vieh kein Fleisch, keine Milch, keine Butter, kein Käse, kein Geld. “ Der Dünger wirkt wenig oder

nicht, wenn nicht gewässert wird. Das an den sonnigen Hängen unter dem Einfluss der Bewässerung

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erzeugte Futter ist sehr nährstoffreich. Man sieht die herrlichsten Wiesenbestände mit dem besten aller

Futtergräser, dem goldig glänzenden Goldhafergras, als Hauptbestandteil, untermischt mit Klee aller Art.

Man berechnet die Fläche künstlich bewässerten Bodens im Wallis auf 400 Quadratkilometer entspre-

chend 40,000 ha oder über 100,000 Jucharten. Das Wasser wird meist weit oben im Gebirge, oft direkt

vom Gletscher stundenweit hergeleitet. Das Gletscherwasser ist am geschätztesten, weil es viel feinen,

aufgeschlossenen Schlamm enthält, der den Boden nicht nur befeuchtet, sondern zugleich befruchtet.

Infolge des Schlammgehaltes ist das Gletscherwasser milchigweiss, es ist die „Milch der Gletscher“. Was-

ser aus dem Gebiet des Urgebirges ist nährstoffreicher, als solches aus Kalk und besser als Schneewasser.

Wasserleitungen

Die Wasserleitungen, „Wasserleiten“ oder „Wasserfuhren“, französisch „Bisses“ (von bief, Bachbett),

werden im Oberwallis auch Suonen oder Sienen genannt, abstammen von „Sühne“. In alter Zeit, als die

Bürger zur Instandstellung der Leitungen zusammenkamen, wurden daselbst zugleich auch die Gemeinde-

angelegenheiten erledigt und Gericht gehalten. So entstand das Wort „Suon“, „Siene“ und bedeutet den

Ort der Sühne oder der Sühnenverhandlung.

Jede Leitung hat ihren Namen. Häufig trifft man die Bezeichnung „Die Neue“, die „Niwe“, das „Ni-

werch“, Namen, die zugleich auf das hohe Alter der Bewässerung hinweisen, denn diese „Neuen“ sind

stellenweise schon 500 und mehr Jahre alt und vor dieser bestand und bestehen heute noch ältere Leitun-

gen, die „alten Suonen“, die man an vielen Orten findet.

Einige Leitungen seien schon „von den Heiden“, d.h. von den Römern, als diese unser Land besiedelt

hatten, gebaut worden; so das „Heidenwasser“, das vom Gamsengletscher im Hintergrund des Nanztals

über den Bergrücken hinter dem Gebüdem führt und das obere Gelände von Visperterminen befruchtet.

Manche Leitungen werden den Sarazenen zugeschrieben, die im achten Jahrhundert in das Land drangen

und sich im zehnten Jahrhundert hier festsetzten. In der Geschichte werden die Wasserleitungen im elften

Jahrhundert zuerst genannt. In Ausserberg existiert eine Urkunde aus dem Jahre 1311, wonach bei der

Reparatur einer Leitung aus dem Bietschtal auf einmal zwölf Männer verunglückt sind; das Geschlecht der

Jakober sei bei diesem Anlasse ganz zugrunde gegangen. Man liess deshalb diese Leitung eingehen und

baute das „Niwerch“. Reste der verlassenen Leitung sind aber heute noch vorhanden.

Die Länge der Leitungen beträgt oft viele Stunden. Die Augstbordwasserleitung („die Niwe“) und das

Ginanzwasser haben je fünf Stunden Länge; der Bisse de Sxon ist 26 km lang, der Bisse des Audannes 23

km, die obere Riederin in Staldenried 22 km usf. Leitungen von 10-20 km gibt es viele. Durch die lange

Leitung an der Sonne erwärmt sich das kalte Gebirgswasser und wirkt dann günstiger auf die Vegetation

als kaltes.

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Alle grossen Wasserleitungen zusammen haben im Wallis nach Rauchenstein eine Länge von 1750 km;

man geht aber nicht zu hoch, wenn man 2000 km annimmt, da in der genannten Aufstellung viele Ge-

meinden die ein ausgedehntes Wasserleitungsnetz besitzen, fehlen.

An den Wasserleitungen (Sonnige Halden am Lötschberg)

Als der Heiland mit Petrus die Welt bereiste, kam er auch in die Alpen, wo der Meister alle Kranken ge-

sund machte. Hinter der Hand fragte Petrus das Volk, welchen Wunsch sie noch hätten, damit er den

Herrn in ihrem Namen um dessen Erfüllung bitten könne. Die Leute hätten nun gerne in den Tälern, statt

der Gletscher, Felder und Wiesen gehabt und taten es dem Jünger zu wissen. Dieser lief zum Meister und

trug ihm die Bitte vor - und der Bitte folgte die Tat. Wo früher Schnee und Eis war, dehnten sich herrli-

che Felder aus, auf denen der Herr üppige Pflanzen spriessen liess. Weil die kühlen Firne verschwunden

waren, wurde es aber viel heisser in Berg und Tal, und die Gräser auf den Matten wurden rot und dürr

unter den Strahlen der Sonne. Da sollte der Meister nun wieder helfen. Bevor er weiter zog, fragte er das

Volk, ob sie noch eine Bitte hätten. Dieses teilte ihm die neue Plage mit und bat um Hülfe. Der Herr

sprach: “Die Sache ist sehr einfach, das Land muss gewässert werden. Soll ich es tun, oder wollt ihr es

tun?“ Alle sagten: „Herr, du hast bis anhin weise an uns getan, walte und schalte du auch weiter!“ Nur der

Walliser blieb stumm und kam nicht aus dem Sinnen und Wägen. Hinter des Herrn Rücken schlich Petrus

zu den Wallisern, tupfte ihnen auf die Schultern und sprach: „Lasst nur getrost den Herrn walten, er meint

es gut mit euch und wird euch nicht stiefmütterlich behandeln, denn er ist ja sozusagen ein Walliser!“

„Was, ein Walliser ist er? Nein, da dem so ist, wässern wir selbst.“ Seit dieser Zeit wässert in der übrigen

Schweiz der Heiland, im Wallis aber wässern die Walliser selbst. So schreibt Adr. Weger in den Walliser

Sagen.

Der „Chänilzug“ in Ausserberg

Nach der hl. Messe versammelten sich die Chänil-Mannen auf dem Dorfplatze. Jeder nahm seine 6-8

Seilringe quer über die Schulter und in ruhigem gleichmässigem Schritt gings zum Dorf hinaus bergan,

hinten nach die Backträger mit getrocknetem Fleisch, „Spis“ und Wein. Hoch droben im Walde lag der

Chänil, ein gewaltiger, ausgehöhlter, grüner Baumstamm. Nach kurzer Stärkung stellten sich die Männer

um denselben herum auf, nahmen ihre Hüte herunter und beteten laut. Nun wird der Chänil am hinteren

Ende mit dem riesigen Seil festgebunden. Aber da heisst es auf einmal: Wer geht an die „Widen?“ Einen

Moment lang tiefes Schweigen! Einer schaut den anderen an, aber nur 2-3 Sekunden, dann treten zwei

beherzte junge Männer vor und rufen: „Wir wagen es!“ Jetzt werden zwei gewaltige, aus Birkenstämm-

chen oder Weiden gewundene, seilartige Ruten mit Eisenkeilen („Guntla“) am vorderen Ende des Chänils

befestigt und der Chänilzug setzt sich in Bewegung. Voraus die beiden Männer an den Widen, sie geben

dem Chänil die Richtung; hinten am Seil die übrige Mannschaft. Das Seil um einen Baumstrunk geschlun-

gen, lassen diese den schweren Stamm langsam, ruckweise, die steilen, steinigen Halden niedergleiten.

Unter dem Druck des Chänils und durch die Reibungen des Seiles lösen sich oft Steine und andere Gegen-

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stände los und sausen dicht an den beiden Vordermännern vorbei. Alle ihre Sinne aufs Äusserste ge-

spannt, weichen diese bald rechts, bald links aus, bald auch ducken sie sich plötzlich zur Erde nieder.

Neben dieser schrecklichen Gefahr wissen die beiden ganz genau, dass ihr Leben nur von der Vorsicht

und Kraft derer am Seil abhängt. Würden diese auch nur einen Augenblick ihre Hände vergessen und

käme der Chänil schnell ins Rutschen, keine Kraft mehr hielte ihn zurück und im nächsten Augenblick

lägen die beiden mit dem Chänil zerschmettert in der Tiefe. So rücken sie, beständig den doppelten Tod

vor Augen, vorwärts bis auf die letzte Felswand. Diese fällt zirka 120 Meter senkrecht ab; in ihr soll der

Chänil gelegt werden. Nun werden die Widen abgenommen und an ihrer Stelle zwei lange Seile befestigt.

Bald schwebt der Koloss frei in der Luft und sinkt langsam, langsam zur Leitung nieder. Dort finden wir

auf einem winzigen Felsenvorsprung, an der Bruchstelle der Suone, vier Mann fast wie zu einem einzigen

verwachsen, mit langen Holzhaken bewaffnet, unentwegt in die Höhe spähend. Da auf einmal schwebt der

Chänil gerade über ihnen. Acht Arme langen mit den „Holzkrapfen“ nach ihm und ziehen ihn mit Aufbie-

tung aller Kraft mit den Seilen am vorderen Ende zur Leitung, während das hintere Ende am grossen Seil

auf die gegenüberliegende Bruchstelle niedersinkt. Aber noch ehe das geschieht, klemmt sich das grosse

Seil fast mitten in der Felswand fest. Oben und unten erschallen Schreckensrufe. Im ersten Augenblick

weiss niemand Rat. Wieder tritt einer von den todesmutigen jungen Männern, die vorher an den Widen

waren vor, steckt einen „Zapin“ mit grossem, glattem Stiel in seinen Gurt und gleitet freihändig, Griff um

Griff, am Seile nieder. Mit der linken Hand sich am Seile festhaltend, die Füsse gegen die Felswand ge-

stemmt, stösst er mit der Rechten in gewaltigem Stoss den glatten, eschenen Stiel zwischen Seil und Fels-

wand, gerade da, wo sich das Seil festgeklemmt. Nun geht die Arbeit ruhig weiter und bald liegt der

Chänil fest unten in der Leitung. Und wieder stehen die Mannen unten neben dem Chänil, streichen den

Schweiss von der Stirne, nehmen ihre Hüte herunter und beten. Am Morgen war es ein Bittgebet, jetzt ist

es ein Dankgebet. Bald rauscht das Gletscherwasser wieder durch die Leitung und noch während die mu-

tigen Männer drinnen in Chummerschbrand ihr Abendbrot nehmen, verkündet draussen der Wasserham-

mer der lauschenden Gemeinde, dass der schwierigste Chänilzug glücklich gelungen.

„Während ich dies schreibe - es ist der 30. Januar 1914 – widerhallen von den Felswänden des Baltschie-

dertales gewaltige Dynamitsalven, bis in mein Arbeitszimmer deutlich vernehmbar. Sie kommen vom

„leidu Eggi in Chummerschbrand“, wo man soeben die Wassserleitung tief in den Felsen eingesprengt“.

Innert einem Jahr werden alle gefährlichen Stellen aus dem Neuwerch verschwinden, wie sie an der Mittla

und Undra verschwunden sind, und nach einem Menschenalter wird es dann von dem Chänilzug der Aus-

serberger wohl auch heissen: „Die Sage erzählt es: “

Jahresarbeiten und Wanderleben

Die Sonnenhalder suchen ihren Erwerb fast ausschliesslich im Betriebe der Landwirtschaft. Viele jüngere

Männer haben zwar beim Bau der Lötschbergbahn einen Nebenverdienst gefunden, und auch seither ist

eine Unzahl kräftiger, intelligenter Leute als Bahnwärter oder Streckenarbeiter bei der Bahnverwaltung

verblieben. Immerhin bilden diese die Ausnahme. In den Talgemeinden nehmen einzelne wenige Personen

Arbeit in den benachbarten Fabriken oder ähnlichen Gewerben. Die grossen elektrochemischen Fabriken,

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die in neuerer Zeit überall im Rhonetal entstanden sind, bringen viel Geld ins Land. Sie tragen jedoch

nicht zur Verschönerung der Landschaft und zur Verbesserung der Gesundheit der Gegend bei. Wenn man

vom Bergeshang in das Tal hinunterschaut, so ist oft das ganze Rhonetal in eine zusammenhängende

Rauch- oder Dunstwolke eingehüllt, die den Fabrikschloten entströmt. Trotz alledem bietet die Landwirt-

schaft den Haupterwerb. Im Schweisse seinen Angesichts muss der Bauer sein Brot essen! Dies trifft im

wahren Sinne des Wortes bei den Bergbauern zu. Bei fast allen Gemeinden ist der landwirtschaftlich be-

nützte Boden auf einen grossen Teil des Berges zerstreut, oft in Entfernungen von einer Stunde und mehr.

Die Bewohner sind deshalb fast während des ganzen Sommers auf der Wanderung. Sehen wir uns z. B.

die Jahresarbeiten eines Bauern von Ausserberg an! Schon im Februar oder Anfang März beginnen die

Rebarbeiten in St. German (Schneiden, Düngen, Umgraben). Hernach werden oben die „Langsiarbeiten“

besorgt: Vorbereitung des Landes zur Saat des Sommergetreides, der Bohnen, Erbsen und Kartoffeln. Die

Suonen (Wasserleitungen) im Baltschiedertal müssen in Ordnung gestellt werden, damit die Bewässerung

rechtzeitig begonnen werden kann. Das Vieh wird auf die Wiesen getrieben und muss gehütet werden.

Von April an gibt das Wässern beständig Arbeit, Tag und Nacht. Wenn eine Suone ausbricht, so müssen

die Männer oft mitten in der Nacht weit ins Baltschiedertal hinein zu der Wasserleitung. Anfang bis Mitte

Juni wird das Vieh auf die Alp getrieben; während des ganzen Sommers bleibt die Hausfrau mit den Kin-

dern oder eine erwachsene Tochter auf der Alp zur Besorgung der Tiere und zur Verwertung der Milch.

Im Juni beginnt das Mähen der Wiesen. Wenn das letzte Heu geschnitten ist, so beginnt die Emdernte. Mit

der Heuernte fängt zugleich auch das Schneiden des Roggens an.

Während der strengen Arbeiten im Frühjahr, Sommer und Herbst findet man über Tag wenig Leute im

Dorfe, alles ist anderswo beschäftigt – auf den Äckern, Wiesen, beim Wässern, auf der Alp, in den Reben.

Das Dorf ist wie ausgestorben. Im August wird auf der Alp das Wintergetreide bestellt und im Herbstmo-

nat auch weiter unten. Die Kartoffeln werden geerntet, das Laub der Bäume wird gesammelt („Fäschen“).

Im Sommer sind die Männer von 4-5 früh bis nachts halb 10 Uhr an der Arbeit - 15 stündige Arbeitszeit!

Der „Wimmet“ oder die „Wimmde“ (Weinernte) findet Mitte Winmonat statt. Nach der Weinernte begin-

nen die Winterarbeiten: Streuesammeln (im Wald), Holzen, Dreschen, Mistausfahren (mit Schlitten),

Schutt abräumen, Mauern ausbessern, Stauden reuten.

Das Volk, wie es leibt und lebt.

Die Leute an den sonnigen Halden sind zähe, von Wind und Wetter, Sonne und Arbeit abgehärtete Natu-

ren. Sie sind zäher und weniger den Krankheiten ausgesetzt, als die Bewohner am jenseitigen Talhange –

am Schattenberg von Birchen und Unterbäch – denn die direkt einfallenden Sonnenstrahlen stärken die

Lebenskraft. Wie bereits erwähnt, waren ehedem sowohl die „Sonnenberger“, wie die „Schattenberger“ in

Raron kirchgenössig. Die Verstorbenen der beiden Talseiten mussten in St. German beerdigt werden. Es

soll sich nun gezeigt haben, dass die Leichen von der Sonnenseite in der Erde viel langsamer verwesten,

als diejenigen vom Schattenberg. Die grössere Wiederstandsfähigkeit kommt also noch im Grabe zu Aus-

drucke.

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Eine Geologische Zeitreise Auszüge aus Maselli D., 1990: Die Lötschberg Südrampe

Von abgeflachtem Festland, Lagunen und Ozeanen

Die Lötschberg – Südrampe befindet sich am Südwestrand des Aarmassivs. Der Name kommt vom lang-

samen Ansteigen der Lötschbergbahn gleich einer Rampe. Das Massiv umfasst den riesigen Gesteinsso-

ckel, der von Visp bis ins Bündnerland reicht und vorwiegend aus Granit und Gneis besteht. Dieses kris-

talline Urgestein erhielt seine Beschaffenheit vor mehr als 300 Millionen Jahren. Aufgrund langandauern-

der Erosionsvorgänge ergab sich ein riesiges abgeflachtes Gebiet. Vor rund 240 Millionen Jahren begann

das Meer diese flachen Gegenden zu überfluten. Als Folge davon lagerten sich Sedimentschichten über

das Kristallin des kontinentalen Sockels ab. Teile dieser Sedimente, welche zum Helvetikum gezählt wer-

den, sind heute in Ausserberg neben dem kristallinen Sockel des Aarmassivs vorzufinden.

Die ersten Sedimente, die sich während der Trias am Meeresboden ablagerten, lassen auf ein wenig tiefes

Meer schliessen. In Ausserberg sind aus jener Zeit vor allem Dolomite aufgeschlossen, was für lagunenar-

tige Zustände charakteristisch ist. Während des Juras im Lias und Dogger nahm der Charakter eines ei-

gentlichen Meeres zu und es lagerte sich dunkler Mergel ab. Der Tonanteil des Mergels und der Anteil an

Sandstein deuten auf die Nähe zu einem aufgetauchten Gebirge hin. Beim Übergang vom Lias zum Dog-

ger kam es gar zu einer reinen Tonablagerung, dem Aalenien. Erst im oberen Jura, dem Malm, kam es zu

reinen Kalkablagerungen. Diese sind hell, hart und brüchig.

Im Verlauf der Alpenfaltung erfuhren sowohl diese abgelagerten Schichten, wie auch der kristalline So-

ckel komplizierte und äusserst enge Faltungen. Lagen die Sedimentschichten bei ihrer Entstehung hori-

zontal, sind sie heute stark zum Rhonetal hin geneigt. Durch die nachfolgenden Erosionsvorgänge ent-

stand ein Hang, der durch den gefalteten Grenzbereich zwischen dem Kristallin und den Sedimentschich-

ten hindurchführt, was zu einem recht komplexen geologischen Mosaik geführt hat. Diese Situation hat

den Erbauern der Lötschberg-Bahn einiges Kopfzerbrechen verursacht.

Doch damit nicht genug. Moränenablagerungen der Gletscher aus dem oberen Rhonetal, welche häufig

reich an Granit und Gneis sind, erschweren den Überblick zusätzlich! Auch heute noch werden Granit-

und Gneisblöcke an Gehängeschuttkegeln zu Tale befördert und weiter unten am Hang inmitten von

Kalkgestein und Mergeln abgelagert.

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Unterwegs auf dem Höhenweg, immer tiefer in die Vergangenheit

Dem Wanderweg von Hohtenn nach Ausserberg folgend durchschreiten wir nun sukzessive von West

nach Ost diese verschiedenen abgelagerten Sedimentschichten und gelangen in immer ältere Sedimente

bis zum granitischen Grundgebirge. (Siehe Geologische Karte). Von der Station Hohtenn bis zum Joligra-

ben beherrscht der graublau getönte Malmkalk (weisser Jura) den Untergrund. Er ist hell und besitzt hie

und da Kalzitaugen und –adern. Der Malmkalk lässt sich vielerorts in schönen Platten abtragen. Diese

wurden früher zum Decken der typischen Walliser Steindächer verwendet.

Nach der Überquerung des von Grauerlenwald begleiteten Jolibaches beginnt ein Abschnitt, der vom

Dogger geprägt ist. An vielen Stellen entlang des Wanderweges verdecken jedoch Moränenablagerungen

aus der letzten Eiszeit den geologischen Untergrund, so dass dieser nicht immer leicht ausgemacht werden

kann. Es fällt auf, dass die meisten Siedlungen mit ihren Äckern, Wiesen und Weiden auf solchen Ablage-

rungen liegen. Der Grund dafür ist klar: die Entstehung der Böden als Folge der Wechselwirkung zwi-

schen chemischen Verwitterungsprozessen, Klima und Pflanzen verlief dort rascher, so dass an diesen

Stellen, die zudem häufig flacher sind, die besten landwirtschaftlichen Bedingungen geschaffen wurden.

Abgesehen von einer kleinen Moränenablagerung östlich der Raststätte bei der Rarnerchumma, wo viel

kristallines Gestein enthalten ist, treten auf der Westseite sehr brüchige Schiefer aus der Aalenienstufe

hervor. Diese sind auf der Ostseite etwas kompakter.

Noch vor dem Ausgang des Bietschtals löst der Lias den Dogger ab. Von der Raststätte Riedgarto, mit

den Steintischen und –bänken, bis zum Sefistei besteht der Untergrund aus diesen Lias-Sandkalken, wobei

der Weg an diversen Bergsturz- und Gehängeschuttstellen mit Kristallin vorbeiführt.

Der Übergang zur Trias vollzieht sich auf der Ostseite des Maachigrabens. Im steilen Aufstieg nach der

Bisse findet auch gleich ein erster Wechsel zum Kristallin statt, noch herrscht aber der Dolomit vor. Ge-

hängeschutt und Moränenablagerungen überdecken auch hier grossflächig das Muttergestein.

Der Wechsel vom kalkhaltigen zum sauren Gestein vollzieht sich rund um Ausserberg.. Dies widerspiegelt

sich auch in der Pflanzendecke, wo nunmehr auch einige wenige Arten hinzukommen, die sauren Boden

bevorzugen. Im Gegensatz dazu verschwinden jedoch einige typische Kalkzeigerarten, was gesamthaft

betrachtet zu einer Abnahme der Artenzahl führt.

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Die Walliser Felsensteppe Auszüge aus Frey, H., 1934: Die Walliser Felsensteppe

Das schweizerische Spanien

Je näher wir gegen Martigny vordringen, um so häufiger werden die Zeugnisse der xerothermen Natur von

Mittelwallis, und plötzlich erschliesst sich uns „wie eine Vision aus einer fernen Welt... das eigentliche,

riesige Quellbecken der Rhone, das Tal schlechthin (Vallesia, Wallis, Valais), und der bisher beengte

Blick ergeht sich ostwärts... in schwindende Fernen, über denen still und gross das gewaltige Bietschhorn,

die Hochwarte des Landes, thront“. Von der Besonderheit und dem unvergänglichen Reize dieses Talstü-

ckes zeugen viele Schilderungen begeisterter Naturforscher, und schon Albrecht von Haller hat zutreffend

vom „schweizerischen Spanien“ gesprochen. Die Walliser Felsensteppe ist zur Hauptsache auf das tro-

ckenwarme Mittelwallis beschränkt.

Der Heidnischbiel bei Raron

Kurz bevor man mit der Lötschbergbahn, von der Station Hohtenn herkommend, auf kühnem Viadukt das

enge, wilde Bietschtal überquert, erblickt man tief unten am Fuss der sonnigen Halden die malerisch ge-

drängten Häuser des Dorfes Raron. In geringer Entfernung davon steht auf felsigem Hügel die alte, präch-

tige Kirche, an deren Südseite der Dichter Rainer Maria Rilke zur letzten Ruhe gebettet liegt. Knapp einen

halben Kilometer östlich des Kirchhügels erhebt sich ein zweiter, höherer Hügel: der Heidnischbiel. Die-

ser Name bedeutet Heidenhügel, und man hat hier zahlreiche Heidengräber aufgedeckt. Der 778 m hohe

Heidnisschbiel erhebt sich 135 m über die an seinem Südfusse dahinfliessende Rhone. Er besitzt die Ge-

stalt eines länglichen Rückens, welcher nach allen Seiten ziemlich steil, oft als schroffe Felswand, abfällt.

Gleich wie der Mont d’Orge bei Sitten steigt er nicht als eine ringsum isolierte Insel unmittelbar aus dem

Talboden auf, sondern lehnt sich vielmehr wie ein Balkon an die steilen Lötschberghalden an. Trotzdem

ist er der vollen Heftigkeit des Talwindes preisgegeben. Der Sattel, durch den der Heidnischbiel von den

Lötschberghalden getrennt ist, liegt gute hundert Meter über dem Talboden. Hier zieht der Saumpfad von

Raron nach St. German und Ausserberg durch.

Der Heidnischbiel befindet sich in einer schmalen Zone von Jurakalk, welche hier den grossen und zu-

sammenhängenden kristallinen Massen des Aarmassives vorgelagert ist. Nicht nur an den schroff abfal-

lenden Flanken, sondern stellenweise auch auf der flach gewölbten Gipfelkuppe tritt der felsige Unter-

grund nackt zutage. Hier ist er mitunter glatt geschliffen und schön poliert und zeugt dadurch von der

einstigen grossen Vergletscherung des Rhonetales.

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Ungefähr in der Höhe des oben erwähnten Sattels wird der Heidnischbiel teilweise von einem Wasserka-

nal umgürtet, welcher im Sommer die darunter liegenden Futterwiesen bewässern muss. An den steilen

Lötschberghalden, besonders bei Ausserberg und Eggerberg, laufen wenigstens drei grosse Wasserfuhren

(im welschen Kantonsteil „Bisses“ genannt) stockwerkartig übereinander. Da sie von einem fortlaufendem

Saume frischgrünen Buschwerkes begleitet sind, erkennt man ihren Lauf ohne grosse Mühe schon von

ferne. Unterhalb der Kanäle breiten sich dank des befruchtenden Wassers grüne Wiesen, steile Aecker-

chen, ja in der klimatisch bevorzugten und im Windschatten des Heidnischbiel gelegenen Mulde von St.

German sogar noch zusammenhängende Reberge aus. Oberhalb der Kanäle dagegen vermag an den tro-

ckenen, sonnigen Hängen nur genügsame Felsensteppe zu gedeihen und den dürftigen Untergrund mit

einer lockeren Narbe zu bekleiden. Wir erkennen hier aufs deutlichste die grundlegende und entscheiden-

de Bedeutung des Wassers für das Sein oder Nichtsein der Felsensteppe. Wo auch immer das Wasser

ungehinderten Zutritt hat, verwandelt sich die Felsensteppe ziemlich rasch in eine grüne saftige Futterwie-

se. Der Gipfel des Heidnischbiel entzieht sich jedoch der Wirkung des Wassers und bietet der Felsenstep-

pe Gelegenheit zu schöner Entfaltung.

Lebensformen von Pflanzenarten

Der Frühlingsaspekt der Walliser Felsensteppe ist durch eine grosse Zahl ephemerer Therophyten ausge-

zeichnet. Sobald die ersten Frühjahrsregen fallen, spriessen aus dem befeuchteten Boden Scharen winziger

Pflänzchen aus Samen hervor. Sie wachsen im Laufe weniger Wochen heran, blühen und fruchten sehr

rasch und verschwinden wieder aus der Gesellschaft. Gams gibt eine lange Liste dieser „Steppenliliputa-

ner“.

Die Frühlingsephemeren schmücken den sonst durch grössere oder kleinere Lücken ausgezeichneten Fel-

sensteppenboden im März und April mit den zierlichsten Miniaturgärtchen. Im Gegensatz zu den ausdau-

erndern Felsensteppepflanzen, welche sich fast ausnahmslos durch xeromorphen Bau auszeichnen (tief-

gründige Wurzeln, gedrängter Wuchs in Polstern und Horsten, dichtes Haarkleid, unterirdische Reserve-

organe, sukkulente Blätter, mechanische Versteifung von Stengel und Blatt usw.), sind die Frühlings-

ephemeren überaus zart und vergänglich gebaut. Immerhin besitzen auch sie Einrichtungen, welche ihnen

zum Schutze gereichen können. So zeichnen sich Saxifraga tridactylites und Holosteum umbellatum durch

ein klebriges Drüsenkleid, Alyssum alyssoides, Arabidopsis thaliana, Myosotis micrantha durch Behaa-

rung aus. Die Blättchen sind jedoch meistens hinfällig, der Stengel gebrechlich, das Wurzelwerk ober-

flächlich und selten über die Tiefe der ersten fünf cm hinausreichend.

Die Therophyten zeigen eine erstaunliche Plastizität. Sie passen sich in Wuchsform und Gedeihen genau

den Lebensbedingungen an. So findet man an günstigen Standorten üppige, reichverzweigte Pflanzen, an

ungünstigen Standorten dagegen Zwergexemplare von oft nur 1-2 cm Höhe. Dazwischen gibt es alle Ue-

bergänge, und man kann an diesen Pflänzchen wie an einem empfindlichen Messinstrument die Gunst

oder Ungunst eines Standortes direkt ablesen.

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Geschichte und Baukultur Ausserbergs Quelle: Anderegg, Klaus (1983): Ausserberg. Dorf und Weiler. Der alte Baubestand. Verlag Gemeinde Ausserberg VS.

Geschichtliche Streiflichter

Die heutigen Flurnamen im Oberwallis und in Ausserberg sind fast alle germanischen Ursprungs und

stammen vermutlich von den im 8. und 9. Jahrhundert eingewanderten Alemannen. Um das Jahr 1000

herrschte im Wallis ein Klimaoptimum, in dem die Kulturlandgrenze und damit auch die Bevölkerungs-

zahl anstieg. Die Alemannen schlugen ausgedehnte Rodungen um ihre Einzelhöfe, die sich mit den wach-

senden Sippen zu Dörfern und Weilern auswuchsen. Als sich das Klima um 1450 wieder verschlechterte,

vermochte die kleinere Kulturlandfläche bei gleich bleibender Produktionsmethode die Bevölkerung nicht

mehr zu ernähren. Dieser Klimasturz wird als einer der Gründe für die einsetzenden Walserwanderungen

angesehen.

Im grossen Ganzen blieb die Bevölkerung im Wallis zwischen 1400 und 1700 relativ konstant, mit dem

knappen Boden als limitierendem Faktor. Erreichte die Bevölkerungszahl eine kritische Grenze, suchte

man Ventile wie etwa den Solddienst oder, im Gefolge der Gegenreformation, das Zölibat für den gemei-

nen Bürger. Dazwischen forderte auch die Pest im ausgehenden Mittelalter immer wieder ihren Tribut;

einmal überlebten nur zwei Personen eine Epidemie in Ausserberg.

Im 19. Jhd. stieg die Bevölkerung im Wallis um 90% an, eine Entwicklung, die umso spürbarer wurde, als

in der Bundesversammlung von 1848 die Reisläuferei verboten wurde. Die Gründe für das massive

Wachstum der Walliser Bevölkerung sind nicht schlüssig: Die geringere Kindersterblichkeit und die Ein-

führung der Kartoffel mögen einen Anteil daran gehabt haben. Trotzdem fanden nicht alle Familien ein

Auskommen, viele wanderten nach Argentinien aus. Dadurch erhöhte sich die Einwohnerzahl Ausserbergs

in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur geringfügig von 415 auf 430 Köpfe.

Die grünen Wiesen und Weiden in Ausserberg sind eine eher neue Erscheinung. Bis etwa 1850 wurde

mehrheitlich Ackerbau betrieben. Die neuen Strassen, auf denen günstig produziertes Getreide aus dem

Flachland importiert wurde, stellten die Rentabilität dieser Produkte in Frage. Da es immer mehr Arbei-

terbauern gab, entstanden zunehmend Sozialbrachen, d.h. ehemalige Ackerbauflächen wurden zu Wiesen

und Weiden für die weniger aufwändige Schafzucht.

Der Bau der Lötschbergbahn, die 1913 eröffnet wurde, brachte eine Schwemme von Gastarbeitern ins

Dorf, zeitweise lebten fast 1’100 Personen in Ausserberg. Die feste Wohnbevölkerung blieb aber weiter-

hin konstant: Die Abwanderung an die industriellen Arbeitsplätze im Tal wurde durch die Strassenverbin-

dung kompensiert, die Ausserberg zum Wohnstandort machte.

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Baukultur

Der Walliser Hof besteht aus monofunktionalen Einheiten, die im Verbund mit den Gebäuden anderer

Familien die typischen Weiler ergeben. Die napoleonische Realteilung führte dazu, dass die einzelnen

Grundstücke einer Familie oft beträchtlich auseinanderlagen, dazwischen lagen einige Höhenmeter. Um

nicht Zeit und Energie mit Transporten zu verschwenden, wurden über die ganze Flur verteilt mehrere

Wohngebäude, Maiensässen, Stallscheunen, Stadel und Speicher erbaut. Das Mehr an Gebäuden zwang

zu einfach realisierbaren Bauten. Die historischen Bauten Ausserbergs sind Blockhäuser aus sog. ge-

strickten Balken. Gebäudeteile aus verputzten Bruchsteinen kamen nur für die Gebäudesockel in Frage,

manchmal auch für die Hinter- bzw. Feuerhäuser, die ausserdem oft in den Hang gebaut waren.

Wohnhäuser

Im frühen Mittelalter erstellte man im Wallis meist zweiräumige Wohnbauten auf gemauerten Sockeln, die

aus einem Wohnraum im Vorderhaus und einer Kochstelle im oftmals gemauerten Hinterhaus bestanden.

Bald setzte sich auch der Bau eines eigenen Schlafstockes in Form eines Kniestocks durch. Ende des

Mittelalters begann sich die Bevölkerung im Trogdorf und den nahegelegenen Weilern zu konzentrieren.

Das Stockwerkeigentum entstand, fortan wurden zwei Wohneinheiten übereinander gebaut. Auf diesem

Weg konnte der Bodenverbrauch klein gehalten werden.

Da die Blockbauweise einfach horizontal und vertikal

erweiterbar ist, findet man in Ausserberg heute kaum ein

historisches Haus, das nicht umfangreich erweitert wurde,

etwa um Kammerteile und Aufstockungen. Die architek-

tonischen Formen wurden durch die Jahrhunderte unver-

ändert reproduziert, lediglich die Zierkonsolen an den

Fenstern variieren.

Stallscheunen

Da der Besitz des einzelnen Bauern über einen weiten

Raum verstreut lag, rechnete es sich nicht, das Heu in

einem zentralen Heuspeicher zu lagern. Deswegen wur-

den verstreut über die Flur Stallscheunen gebaut. Im

Obergeschoss lagerte das Heu des nahegelegenen Wies-

landes, der ebenerdige Stall beherbergte das Vieh, das

winters von Stallscheune zu Stallscheune geführt und

dort wochenweise gefüttert wurde.

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Stadel

Ein Stadel ist ein gestelzter Getreidespeicher mit einem

Dreschplatz im Mittelteil. Wie der Speicher steht er auf

Stelzen mit markanten runden Steinplatten, um den

Mäusen den Zugang zu verunmöglichen. In ihm wurden

Korngarben gelagert und gedroschen. Innerhalb der

Wohnsiedlungen wurde der Raum unter dem Stadel oft

ausgebaut und als Keller oder zur Kleinviehhaltung

genutzt.

Speicher

Der Speicher als Schatzkammer der Bauern ist leicht

mit einem Stadel zu verwechseln, da auch hier Stelzen

und Mäuseplatten die Vorräte gegen Mäuse und andere

Nager schützen sollen. Speicher unterscheiden sich in

zweierlei Hinsicht von Stadeln: Einerseits verfügen sie

nicht über Dreschplätze, andererseits liegen sie immer

innerhalb der Dauerwohnsiedlungen und sind im Ge-

gensatz zu den anderen Lagergebäuden oft verziert und

geschmückt.