stern 3113

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    NR. 31 25. 7. 2013 € 3,50

    DieTricksderOptikerSinnlose Extras,zu teure Gläser –so zahlen Sie nichtdrauf

    NSADrei Ex-Agentenpacken aus

    KATES SOHNDie Babys des22. Juli – vonAlaska bis Uganda

    SCHICKSAL Der tragischeTod desOlympia-Seglers

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    vielleicht ist es Ihnen auch schon aufge-fallen. In den besten Lagen der Fußgänger-zonen und Einkaufszentren reiht sich oft

    ein Optikerladen an den nächsten. Aber wiekann das funktionieren – die teuren Mietenund die extrem günstigen Angebote, mitdenen vor allem die großen Ketten werben?Nun, viele werden es selbst schon malerlebt haben: Oft verlässt man ein Optiker-geschäft mit einer deutlich teureren Brilleals geplant. Durchschnittlich zahlt jederKunde 400 Euro – nicht gerade wenig Geld.Der Grund: Auf der anderen Seite sitzenPros, die nicht allein auf fachlicheBeratung geschult sind, sondern vor allemauch darauf, uns mehr zu verkaufen, als

    wir eigentlich nötig haben. Und so wie beimOptiker geht es uns leider oft – getrickstwird in Apotheken genauso wie vonSchlüsseldiensten.Die stern -Redaktion hat deshalb beschlos-sen: Wir scha fen Chancengleichheit.In den kommenden Wochen zeigen wirIhnen in der neuen Verbraucherserie„Jetzt mal ehrlich! Der stern -Branchen-check“, mit welchen Tricks versuchtwird, uns zu manipulieren – und wieSie sich clever dagegen schützen können.Im ersten Teil der Serie durchleuchtet stern -Reporterin Silke Gronwald dasGeschäft der Optiker. Ich kann Ihnenversprechen: Nach der Lektüre haben Sieden Durchblick – und Ihre nächsteBrille wird mit Sicherheit für Sie günstiger.Denn: Allein schon wer zeigt, dasser sich auskennt, bekommt meist einendeutlichen Nachlass. Seite 38

    Richtig gut ndet das Ihr herzlich grüßender

    Neue stern- Serie

    In der Hotline vertröstet,beim Preis ge täuscht,

    durch Verträgegefesselt – mit immer

    raffinierteren Trickswerden Verbraucher

    heute hinters Lichtgeführt. In einer sieben-

    teiligen Serie decktder stern die Maschender Geschäftemacher

    auf. Für die ersteFolge hat sich stern -

    Repor terin Silke Gron-wald die verschwiegene

    Branche der Optikervorgenommen

    Durchblicklohnt sich

    EDITORIAL

    Liebe Leserinnen, liebe Leser,

    Hans-Peter Junker

    Stellv. Chefredakteur

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    Wirtschaft

    Energiepolitik Und die Wende ist dochrichtig. Von Rolf-Herbert Peters 68

    Das stern -Gespräch

    Mathias Döpfner Der Springer-Chefzum 200. Geburtstag Richard Wagners 74

    JournalUnterhaltung

    Jean Dujardin Der Star aus „The Artist“ist ein Kumpel- und Frauentyp –und ein begnadeter Komiker 100Im Bett mit ARD-WettermoderatorinClaudia Kleinert 104Reden wir über Nachwuchssorgen.

    Eine Kolumne von Juli Zeh 106Augenblick Wie der Fotograf FabianOefner Unsichtbares ablichtet 110Was macht eigentlich? Marcel Gle fe,der „Held von Utøya“ 126

    Lebensfreude

    Eis-Zeit Zehn Fragen für heiße Tage –alles über die coole Kugel 102Was uns gefällt Schönes und Gutesfür einen poetischen Alltag 107Vorwärts! Das Elektroauto BMW i3 108Leben, wo andere Urlaub machen

    Im belgischen Namur wagte einBrüssler Banker den Neuanfang 120

    Kultur-Tipps

    Was ich sehe Robert Redfordüber den Film „Der dritte Mann“ 112Bestseller Film Mit DVD-Tipp 112Buch Feinsinnige Unterhaltung:Francesca Segals „Die Arglosen“ 114Bestseller Buch 115Musik Der hypnotische Gitarren-Blues des Tuaregs Bombino 116Bestseller Musik 116

    Rubriken

    Echo Die Seite der Leser 8Bilder der Woche 10Sehen und gesehen werden 30Luftblasen, Haderer, Til Mette 29, 36, 73Tetsche, Ein Quantum Trost 118, 119Impressum 97

    52Drama vorm America’s Cup:Einer der besten Segler der Welt stirbt.Die Geschichte einer Tragödie

    86Das Baby ist da!Nicht nur beiden Windsors –was Eltern ausacht Ländernsich für ihr Kindwünschen

    120Urlaubsparadies für Gourmets –

    warum man in Belgien nicht nurPommes probieren sollte

    NR. 31 VOM 25. JULI 2013

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    Service für Leser und AbonnentenFragen an die RedaktionTelefon: 040/37 03 35 42, Telefax: 040/37 03 57 68E-Mail: [email protected] im ArchivTelefon: (Mo.–Fr. 10–12 Uhr): 040/37 03 38 88 Fax: 040/37 03 57 81Bestellung älterer Ausgaben

    Anfragen mit gewünschter Heft nummer an stern -Versand service,20080 Hamburg oder per E-Mail an [email protected]

    Wie nden Sie diesen stern ?Ihre Meinung interessiert uns!stern -Leserbriefredaktion, Brieffach 18, 20444 HamburgTelefax: 040 /37 03 56 27, E-Mail: [email protected] Redaktion behält sich Kürzungen vor. Bitte gebenSie Namen und Anschrift an.

    facebook.com/stern

    LESER SERVICE

    Ihr Blatt kam als Geschenk ansKrankenbett. Wieder mal den stern lesen. Kompliment zu dieser Ausgabe!Spezieller Lesegenuss: „Der Sommermeines Lebens“. Freude herrscht!Marino Koch, Zürich

    Wunderbar unterhaltenstern Nr. 30, „Tage wie diese ...“

    Ich hatte Tränen in den Augenbeim letzten Satz von KaiPaumes Bericht, und ich fühltemich wunderbar unterhaltenmit Immanuel Yorks schönen

    Schilderungen. Will der viel-leicht Schriftsteller werden?So liest sich Sommer!Claudia Recknagel, Altdorf

    Belangloser Aufmacher„Der Sommer meines Lebens“oder: Wie fülle ich ein Sommer-loch?Die Enttäuschung hättenicht größer sein können ob diesesbelanglosen Aufmachers. Wie gut,dass ich weiß, dass Sie auch anderskönnen. So siegt die Vorfreudeüber den Ärger beim Blick in denBrie kasten nächste Woche.Nina Reker, Mettmann

    Beruhigend zu wissenstern Nr. 30, „Nobelpreis für EdwardSnowden!“ – Zwischenruf aus Berlin

    Laut der im selben Heft publizier-ten Erhebung sind 61 Prozentder Deutschen mit dem amerika-nischen Präsidenten, der Snowdenvor Gericht stellen will, zufrieden.Beruhigend zu wissen, dasswenigstens Hans-Ulrich Jörges

    seinen Verstand noch nichtverloren hat.Uwe Tünnermann, Lemgo

    Zeit für einen Wechselstern Nr. 29, „In der Economy gehtimmer der Punk ab“

    Ich sitze seit drei Jahrzehntenfast wöchentlich als Fluggastim Flugzeug und kann die Aussagen einer total gefrustetenFlugbegleiterin nur belächeln. Vielleicht ist es Zeit, den Beruf

    zu wechseln.Lothar Meier, Bremen

    Vier Seiten KlischeekulturDie Welt der Frau Leineweber mitnamenlosen Paxen, notorisch ehe-brechenden Männern und willen-losen Hühnern hat nichts mehrmit der modernen Zivilluftfahrt zu

    tun. Statt über Hektoliter von To-matensaft zu schwadronieren, wäresie besser beraten gewesen, einenEinblick in einen Beruf zu gewäh-ren, der mit steigender Komplexi-tät an Technik und zunehmenden Wissensanforderungen etwa in denBereichen Sicherheit und Psycho-logie den Beschäftigten ein großesMaß an Fertigkeiten abverlangt.Schade, dass Sie vier Seiten für sol-che Klischeekultur opfern.Peter Schmidbauer, Mainz

    Sehr geehrter Herr Wedemeyer,wie gelangen die Daten ins Inter-net, „ohne dass die Internetfunk-tion des TV-Geräts überhaupt be-nutzt wurde“?Karl-Heinz Remscheidt, Essen-Steele

    Sehr geehrter Herr Remscheidt,genau das habe ich mich auch ge-fragt, als ich zum ersten Mal vonder Darmstädter Studie überselbsttätig funkende Smart-TVsgehört habe. Zu ällig besitze ich soeine Datenschleuder. Tatsächlichschicken diese Geräte Daten insInternet, sobald man sie mit dem

    heimischen Netz verbindet. Ohneden Anschluss sind viele Funktio-nen nicht nutzbar; mit meinemGerät etwa kann ich sonst keineSendungen per USB-Festplatteaufnehmen. Bei Anschluss aberreicht das Einschalten, damit dieDinger wie wild funken, selbstwenn die Onlinefunktionennichtausgewählt wurden. Vertrau en istgut, Kontrolle besser: Mein Fern-seher hat jetzt die meiste ZeitInternetverbot.

    Grüße aus dem stern-Büro München,Georg Wedemeyer, Redakteur

    stern Nr. 30/2013: Wirberichtetenüber optimaleVorsorge fürdas Herz undnannten guteKliniken

    Eine vergessene Hervorhebungbrachte das Klinikum Kulmbachvorige Woche um verdientesLob in unserer Bestenliste derHerzkatheter-Krankenhäuser:Es schnitt so gut ab wie dasKlinikum Bayreuth und erreichteüberdurchschnittliche Qualitätin drei von vier Kategorien beieiner hohen Fallzahl von 540.Nahe heran kommt das Kran-kenhaus Martha-Maria in Halle,es behandelte 203 Patienten.Spitzenreiter ist das Evangelisch-Freikirchliche Krankenhaus inBernau. Die Daten der Tabellewaren sämtlich korrekt, allein dierote Einfärbung ging verloren.

    Beitrag überSmart-TVs, dieheimlich Datenverschicken,in stern Nr. 29

    ECHO

    ES STAND IM STERN

    REDE UND ANTWORT

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    F O T O :

    S E A N

    M U R P H Y

    M A S S A C H U S E T T S S T A T E P O L I C E

    R E X F E A T U R E S

    USA

    Bilderkampf Dieser Mann ist auf dem Coverdes amerikanischen „RollingStone“. Auf dem Titelbild guckter verträumt, wie ein Popstar.Allerdings heißt er DschocharZarnajew und ist einer derbeiden Brüder, die beim Boston-Marathon drei Menschen getötetund 264 verletzt haben. Hiersieht man ihn kurz vor seinerVerhaftung im April, die Händevoller Blut. Der Laserstrahleines Scharfschützen istauf seine Stirn gerichtet. DasBild stammt von einem Polizei-fotografen, der wütend warüber den „Rolling Stone“. Erwollte verhindern, dass die Weltnur das Popstar-Bild sieht.Und zeigt den Attentäter hierin seinem bittersten Moment.Das ganze Bild.

    BilderderWoche

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    F O T O :

    M A N D E L N G A N

    A P

    JOR DANIEN

    ZeltstadtElend fast bis zum Horizont,das ist das FlüchtlingslagerZaatari, wenige Kilometer vonder syrischen Grenze entfernt.Die Menschen hier sind vordem Grauen des Bürgerkriegsgeüchtet, wie 1,8 MillionenSyrer. Die „schlimmste Flücht-lingskrise seit Ruanda“ nennendas die UN. Sie sind geohenvor der täglichen Angst umsÜberleben. Und sie nden: einLager mit 140 000 Bewohnern,fünf Quadratkilometer groß.Eine Stadt aus Zelten. Ein Ort,der keine Heimat sein kann.Zaatari bedeutet Sicherheit, aberauch Ungewissheit: Wie gehtes meinen Freunden, meinenVerwandten? Und jeden Tag istda dieser eine Wunsch: dassder Krieg endlich zu Ende geht.

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    F O T O :

    I S S E I K A T O

    R E U T E R S

    JAPAN

    SchleimspurEs gibt Menschen, die ihre Füßein ein Bad mit knabberndenFischen stecken. Und es gibtMenschen, die Schnecken aufihrem Gesicht kriechen lassen.Freiwillig. Um schön zu bleiben.Oder zu werden. Das Sekretder Schnecken soll die Haut jün-ger aussehen lassen. Es sollhelfen, abgestorbene Hautzellen zu entfernen und die Poren zureinigen. In einem Schönheits-sa lon in Tokio kosten fünf Minu-ten Schneckenmassage rund80 Euro. Das nden manche an-gemessen für das Versprechengeschmeidiger, faltenfreierHaut. Nur die Schnecken fragtniemand: Vielleicht würdendie ja lieber draußen im Grünensein? Vielleicht nden Schne-cken die Menschenhaut eklig?

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    F O T O :

    G U S T A U

    N A C A R I N O

    R E U T E R S

    SPANIEN

    GoldsprungEin, zwei, drei Schritte Anlauf,Absprung, und dann drehenund schrauben und wirbeln diebeiden durch den Himmel überBarcelona. Jede Bewegunggleichzeitig, akrobatisch, anmu-tig – und schöner als bei allenanderen. Patrick Hausding undSascha Klein gelangen amWochenende Sprünge für dieEwigkeit. Als erste Deutschesiegten sie bei einer Weltmeis-terschaft im Synchronspringenvom Zehn-Meter-Turm. EineSensation. Und das auf einerder spektakulärsten Anlagender Welt: Vom Stadion aufBarcelonas Hausberg Montjuïcblickt man über die Stadtauf die imposante Baustelleder Sagrada Família. „Wie imTraum“, jubelte Klein später.

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    STERN TREND

    ALLE STERNTRENDS SIND FORSA

    UMFRAGEN IMAUFTRAG DES STERN

    88 %

    86 %

    meinen, dass dieBankmanager

    so weitergemachthaben wie vor

    der Finanzkrise

    können nichterkennen, dassFehlverhalten

    bislang juristischgenügend

    verfolgt wurde

    POLITIK WIRTSCHAFT GESELLSCHAFT W I S S E N S P O RT KULTUR

    Es ist schon komisch mit dieser Finanzkrise. Dadrohen ein paar taumelnde Banken ein ganzesLand, ach was, die ganze Welt in den Abgrund zureißen – und keiner will’s gewesen sein. Da muss

    der Staat viele Milliarden für die Rettung der Geld-häuser hergeben – und ndet keinen, den er dafürzur Rechenschaft ziehen kann. Kein Wunder, dass86 Prozent der Deutschen sagen, das Fehlverhaltender Banker wurde bislang nicht ausreichend verfolgt.Moralisch sind natürlich die gierigen Zocker schuld,

    die nur auf ihren Bonus schauen. Juristisch aber istdie Frage von Schuld und Sühne schwierig. Erst jetzt,

    fünf Jahre nach dem Kollaps, beginnt die Aufarbei-tung der Krise auch vor Gericht. Seit diesem Mittwochwird in Hamburg dem früheren Vorstand der HSHNordbank der Prozess gemacht, sechs Männer, ange-klagt wegen Untreue in besonders schwerem Fall undBilanz älschung. Es ist ein Verfahren von historischerDimension. Im Fokus der ö fentlichen Abrechnungsteht dabei Dirk Jens Nonnenmacher, in Anlehnungan den Bösewicht aus dem James-Bond-Film nur„Dr. No“ genannt. Bei einer Verurteilung drohen

    dem früheren Bankchef bis zu zehn Jahre Ge ängnis.Er selbst freilich hält sich für unschul dig. 2

    Dr. No und seine RichterErstmals seit der Finanzkrise wird deutschen Bankmanagern der Prozess gemacht

    Das deutscheGesicht der Finanz-krise: Dirk JensNonnenmacher,bis 2011 Chef derHSH Nordbank

    WOCHE

    DIESE

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    1 IndienGeht man jetzt schärfer gegenVergewaltiger vor?Ganz langsam wird die Situation für Frauenbesser. Im Dezember gab es Massenproteste,nachdem eine Gruppe von Männern eineFrau so brutal vergewaltigt hatte, dass sie anihren Verletzungen gestorben war. Seitdemhat die Regierung strengere Gesetze be-schlossen, Gewalt gegen Frauen wird nichtmehr totgeschwiegen. Seit Kurzem tragen

    2 FrankreichWarum gibt es im Auslandnoch Schlecker-Filialen?Die Drogeriemarktkette wurdenach ihrer Pleite im Januar 2012zerschlagen. Die Auslandstöchter

    konnten teilweise verkauftwerden. Der französische Lebens-mit telhändler Système U erwarbdie 139 dortigen Schlecker-Filialen.Die österreichischen Geschäftegingen an eine InvestorengruppeTAP 09 rund um Rudolf Haber-leitner. Er wollte die Läden mitneuem Konzept und unter demNamen Dayli weiterführen. Dochder Österreicher scheiterte und

    musste im Juli Insolvenzanmelden.

    Silke Gronwald,stern -Reporterin

    viele Männer, etwa Taxifahrer, einen Buttonam Hemd, auf dem steht: „Ich respektiereFrauen“. Dass sich das Land noch lange nichtverwandelt hat, zeigen Fälle wie jener derMänner auf dem Bild. Sie sollen nachts inein Internat eingebrochen sein und vierMädchen entführt haben, um sie in einem

    Wald zu vergewaltigen. Allerdings,früher wäre so etwas gar nicht erstbekannt geworden.Raphael Geiger, stern- Reporter

    Diese vermummten Männer sollen vier Mädchen entführt und vergewaltigt haben

    Schlecker lebt: Eine Filiale an derCôte d’Azur bietet Sommerartikel an

    DIESE WOCHE

    Kurze Antworten auf aktuelle Fragen

    Die Welt verstehen

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    Unser Denken ist immernoch vom Kalten Krieggeprägt. Zutiefst. Schablo-nenhaft. Denken wir an …na ja, vielleicht nicht Fein-

    de, aber Gegner, zumindestpotenzielle, so ällt uns Russlandein. Anhaltend empören können wiruns über Gerhard Schröders Wortvom „lupenreinen Demokraten“ Wladimir Putin. Vermutlich kennenmehr Deutsche als Russen PussyRiot. Ihr Heldenstatus entsprichtunge ähr dem von Andrej Sacharow,selig. Die Amerikaner dürfen unbe-fristet Atomwa fen in Deutschlandbunkern. Man weiß ja nie …

    Und nun? Nun gerät unser politi-sches Koordinatensystem durchein-ander. Nun wächst in uns die verstö-rende Erkenntnis, dass wir … Geg-ner … im Westen … haben. Freunde,die zumindest keine lupenreinenmehr sind. Freunde, die auch alsGegner erkennbar werden. Die unshalb beschützen und halb bedrohen.Und die uns mit kaltem, stählernemLächeln anblitzen. Arrogant und ab-weisend. Wolkiges versprechen sieuns nun, aber keine Umkehr.

    Eigentlich hätte die Bundesan-waltschaft umgehend Ermittlungen

    gegen Amerikaner und Briten ein-leiten müssen, die unsere gesamteKommunikation abzusaugen ver-

    suchen, um sie zu ltern und zuspeichern. Aber man sammelte inKarlsruhe erst mal Zeitungsartikel,um die verwirrten Gedanken zusortieren und auf die göttliche Handzu warten, die aus den Wolken her-

    abgreift und jene Artikel, weil grobirreführend oder falsch, zerschnip-selt. Ein Ermittlungsverfahren ge-gen den Präsidenten der VereinigtenStaaten, gegen den Premierministerdes Vereinigten Königreichs undgegen deren Abschöpfer – das über-fordert jedes brave Juristenhirn.

    Eigentlich müsste sich der Verfas-sungsschutz gegen die Verfassungs-feinde wenden, die auf unserem Bo-den einen nie da gewesenen Angri fauf unser Grundgesetz zu verant-

    worten haben, gegen das Post- undFernmeldegeheimnis. Doch er steckt mittendrin. Die Gefahr kommt ausder falschen Himmelsrichtung. Dieim Westen, die haben uns dochunsere Verfassung einst spendiert.

    Eigentlich müsste sich der BNDgegen seine Vettern in Washingtonund London wenden, um unserLand, wie es seine Aufgabe ist, vorBedrohung aus dem Ausland zuschützen. Er müsste sie umgekehrtausforschen, um Klarheit zu gewin-nen und dann in Kanzleramt undBundestag vorzutragen. Doch derBND ist nun mal Vetter unter Vet-tern – und dient der Familie.

    Man stelle sich vor, die Russensteckten hinter allem. Die Russenhätten das Internet unter ihre Kon-trolle gebracht. Die Russen hätten,wie die Amerikaner nach 9/11, ge-foltert und rund um den Erdball Ge-

    heimge ängnisse eingerichtet. DieRussen unterhielten ein Guanta-nowsk, in dem Häftlinge rechtsfreiinterniert sind. Die Russen führten,gegen das Völkerrecht, unerklärteDrohnenkriege. Sie könnten keinenKubikmeter Gas mehr verkaufen.

    Aber die Amerikaner? „Unver-brüchliche Verbundenheit“ mit ih-nen hat Angela Merkel eben nochversprochen. Sehr zweifelhaft, obdie USA mit diesem Menschen-rechtsstatus in die EU aufgenom-

    men werden könnten. Und dann: dieBriten. Sie gehören zur EU, zapfenaber schamlos jenes mächtige Glas-faserkabel an, das uns über den Atlantik mit den USA verbindet.Nichts ist unverbrüchlich, und nie-mand ist uns verlässlich nah. DieUmpolung der Welt nach dem Kal-ten Krieg ist weit vorangeschritten.Das haben wir zu begreifen. DerFeind sitzt nicht mehr im Osten. Wirhaben Gegner im Westen. Eins fügtsich zum anderen. Amerikaner ha-ben unsere Wirtschaft ausspioniert. Amerikaner haben, mit faulenHypothekenkrediten, die Welt in dieFinanzkrise gestürzt. Amerikanerund Briten brachten den Fluch desInvestmentbanking über uns undsind Verächter einer Finanztransak-tionssteuer. Amerikanische und bri-tische Hedgefonds wollten den Euroaus der Welt spekulieren.

    Allein, als Deutsche, konnten undkönnen wir dagegen nichts aus-richten. Europa, das muss uns jetztendlich dämmern, ist unsere einzi-

    ge Chance. Europa muss für seineInteressen kämpfen. Mit Verträ-gen. Mit ökonomischem Druck. Miteigener, verschlüsselter Kommuni-kationstechnik. Und zur Not ohnedie Briten. Mögen sie per Referen-dum aus der EU gehen, sie wollenohnehin nur Freihandel.

    Keine Illusionen mehr, bitte. Deramerikanische Präsident ist nichtschon allein deshalb gut, weil er dererste schwarze ist. Aber Ho fnung,bitte. Auf das amerikanische Volk,

    das immer wieder Kraft zur Selbst-korrektur aufgebracht hat. 2

    Eigentlichmüsste sich

    der BNDgegen dieVettern in

    Washingtonund London

    wenden

    Unser Freund,der Gegner

    Man stelle sich bloß vor, die Russen hätten das Internetso unter ihre Kontrolle gebracht wie die Amerikaner.

    Dann begreift man die dramatische Umpolung der Welt

    DIESE WOCHE

    Hans-Ulrich Jörges,Mitglied der stern -Chefredaktion,

    schreibt jede Woche an dieser Stelle

    ZWISCHENRUF AUS BERLIN

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    Verpuffte AttackeDie Angriffe der Opposition wegender NSA-Affäre haben den Regie-rungsparteien Union und FDP bisEnde voriger Woche nicht schadenkönnen. Im Gegenteil: SPD und Grüne büßen beim Wähler Vertrauen ein.Auch wenn Angela Merkel in dieserSache nicht unbedingt geglaubt wird, so halten viele Menschen die persön-lichen Attacken auf sie doch fürüberzogen. Etwa wenn SPD-Kanz-lerkandidat Steinbrück ihr vor wirft,

    sie habe ihren Amtseid gebrochen, Schaden vom deutschen Volk abzu-wenden. Die rot-grüne Offensive verpufft aber auch, weil SPD und Grü-ne in Fragen der inneren Sicherheitwenig Kompetenz ausstrahlen – derUnion wird hier mehr zugetraut. DasGezänk der Parteien führt generelldazu, dass die Politik verdrossen-heit leicht zunimmt. 32 Prozent derDeutschen sind unentschlossen oder wollen nicht zur Wahl gehen, das sind zwei Punkte mehr als in der Vorwo-che. Die Linke mit ihrem Anti-Ameri-

    kanis mus und die Protestpartei derPiraten haben wieder mehr Zulauf. I N F O G R A F I K : A

    N G A B E N I N P R O Z E N T

    . + V E R

    Ä N D E R U N G Z U R V O R W O C H E

    . W E D E R M E R K E L N O C H S T E I N B R

    Ü C K : 2

    2 P R O Z E N T

    1

    .

    Wir Deutschen habenunsere Emotionenunter Kontrolle. Nureinmal im Jahr, in derFerienzeit, dann kochtsie wieder in uns hoch,

    die Wut. Die Benzinpreiswut. DerPreis für ein Barrel Rohöl ist näm-lich, so vermuten wir, an den Beginnder Schulferien gekoppelt. Und wirwerden Opfer der Raubritterburgender Moderne, die sich Raststättennennen. Was also tun, um die

    Urlaubsstimmung zu retten? Kaumeiner muss das besser wis-sen als Peter Meyer, 63,Präsident des ADAC unddamit qua Amt einer derobersten Spritwutbürgerder Nation. Wir tre fen ihnim ADAC-Präsidialbüro inBerlin, Unter den Linden. Wer hier residiert, der re-giert mit in Deutschland.Meyer kommt gerade voneinem Termin mit Ver-

    braucherministerin Ilse Aigner. „Wie man günstig

    tankt?“, fragt er. „Früher konnte ichsagen: Tankt Sonntagabend oderMontagmorgen.“ Damals waren zudiesen Zeiten die Preisbüros nichtbesetzt. Heute wird alles von denKonzernen global gesteuert – undfür Verbraucher unvorhersehbar.Deshalb muss Meyer auch ein wenignachdenken, was er auf die Serviet-te malt. „Tanken Sie nicht, wenn derTank leer ist, sondern wenn es güns-tig ist.“ Wenn Meyer irgendwo E10für 1,499 Euro tanken kann, dann tut

    er das – auch wenn der Tank nur zueinem Drittel leer ist. Under ährt immer Autohöfean, nie Raststätten. Weitere Tipps: kein Premium-Benzin wie V-Power oderUltimate tanken – das seiteuer und bringe kaumetwas. Freie Tankstellensuchen. Ganz einfach. Aber über die Hälfte derDeutschen, erzählt Meyer,würde trotz aller Benzin-

    wut gar nicht auf den Preisachten. 2 Nicolas Büchse

    Der ADAC-Tipp: Immer

    dann tanken,wenn es billig

    ist. Wer zulange wartet,

    hat jedeMenge Ärger

    Wie tanke ich günstig?

    Peter Meyer, 63,Präsident des

    ADAC. Von demGeld, dass er beimTanken spart, lädt

    er seine Frau zumEssen ein

    DIESE WOCHE

    DIE WELT AUF EINE R SERVIETTE

    Manfred Güllner ist Chef desForsa-Instituts in Berlin

    Wenn an diesem SonntagBundestagswahl wäre …

    Wer Kanzler werden sollte …

    STERN RTL WAHLTREND

    CDU/CSU

    Peer Steinbrück

    Angela Merkel

    FDP Grüne Piratenpar teiSonstige

    SPD Die Linke

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    Die meisten Menschen be-kommen im Alter Falten.Einige bekommen Furchenwie von einem Pug gezo-gen. Was unterscheidet dieEinigen von den Meisten?

    Nun, bei Mick Jagger sind es wohl51 Jahre mit den Rolling Stones aufder Bühne, etliche Welttourneen,unzählige durchwachte Nächte, Ge-lage, vermutlich Drogen hier undda, zwei Ehen, Dutzende A ären,sieben Kinder und vier Enkel. Mankann das überleben, man kanndabei sogar richtig alt werden. Am26. Juli wird Jagger 70 Jahre alt. Bei

    ihm wie auch beim BandkollegenKeith Richards haben die Jahre Spu-ren hinterlassen. Da muss man sichnur mal das Bild von einem Konzertim Jahr 1970 anschauen. 43 Jahrespäter beim Glastonbury Festivalim Juni in England dann die glei-chen Posen, die sitzen noch wiefrüher, die Musik auch. Nur dieGesichter sind jetzt verknautscht. Aber was soll’s? Denn es ist dochauch so: Im Alter werden die meis-ten Menschen langweilig und trä-

    ge. Und nur die wenigsten gebennoch Rock-Konzerte. 2

    VO R HE R NA C H HE R

    Eine der wenigenKonstanten in

    Mick Jaggers nunbald 70 Jahre

    währendem Leben:Bandkollege Keith

    Richards (r.)

    Rock’n’Runzel

    DIESE WOCHE

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    F O T O S :

    M I C H A E L O C H S A R C H I V E S

    G E T T Y I M A G E S ;

    I A N

    G A V A N

    G E T T Y I M A G E S

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    Die Spitzelbehörde NSA mitihrem riesigen Daten-staubsauger Prism kommtbekanntlich aus den USA.Doch was weiß der deut-sche Staat über seine Bür-

    ger? Nicht nur Geheimdienste,auch Ermittlungsbehörden lau-schen und lesen immer häugermit, wenn sie einen Verdachthaben. Staatsanwälte haben 2011 in5516 Strafverfahren die Telekom-munikationsüberwachung beiGerichten beantragt. Laut „Welt am

    Sonntag“ ein Anstieg gegenüber2000 um zwei Drittel. Doch jetztkommt juristische Gegenwehrbei der Internetüberwachung ineinem aufsehenerregenden Fall.

    Maria Bögerl, die Frau des Hei-denheimer Sparkassenchefs, wurdeam 12. Mai 2010 entführt. Das Löse-geld von 300 000 Euro, das kompli-ziert gestückelt sein sollte, konntenicht rechtzeitig bescha ft werden,die Übergabe scheiterte. Am 3. Juniwurde die 54-Jährige tot aufgefun-

    den. Die Ermittlungen blieben ohneErfolg. Mitte Oktober 2010 starte-

    ten Staatsanwaltschaft und Polizeidann eine große Lausch- und Späh-operation gegen Bögerls Sohn sowieden Freund ihrer Tochter.

    Acht Monate lang wurden diebeiden überwacht: Telefonate mitrund 150 Personen, sogar Anwältenund psychologischen Betreuern,wurden aufgezeichnet, vorüber-gehend auch Gespräche in den Wohnungen. Zudem forschten dieErmittler sämtliche angeklicktenInternetseiten samt Suchbegri fenaus und analysierten sie. Daten von

    129 000 Webseiten wurden beimFreund der Bögerl-Tochter gesam-melt, die Fahnder hielten fest,wie er nach Ärzten oder Anwältensuchte, sich für Reisen oder andere private Dinge interessierte.

    Der Verdacht: Beide Männer hät-ten sechs Tage vor der Entführungmit den Kidnappern telefoniert,die sich angeblich im Hause Bögerlaufgehalten und die Tat vorbereitethaben sollen. Beides stellte sichspäter als falsch heraus. Diese

    Gespräche, so spekulierten dieErmittler, seien am Morgen des

    Im Mai 2010wurde MariaBögerl entführt

    und ermordet.Der Fall ist bisheute ungeklärt.Bei den Ermitt-lungen wurdenTelefongesprä-che der Familieabgehört undihre Internet-nutzung ausge-forscht

    Auch deutsche Ermittler schießen bei Überwachung von Telefon undInternet übers Ziel hinaus. Das zeigt der Mordfall Maria Bögerl

    Big Brother in Heidenheim

    DIESE WOCHE

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    44 %

    Dass Usain Boltbei seinen100-Meter-

    Läufengedopt war,

    glauben

    Nach dem Radsport wird nun dieLeichtathletik von einem Doping-

    skandal erschüttert. Tyson Gay(USA) und Asafa Powell (Jamaika),zweit- und viertschnellste Läuferder Welt, wurden positiv getestet.Bei den Experten wachsen dieZweifel an Jamaikas SuperstarUsain Bolt, der 2009 in Berlin 100Meter in bislang unübertroffenen9,58 Sekunden lief. Er selbst be-hauptet, sauber zu sein. VieleDeutsche nehmen ihm das nichtab, bei den Sportinteressierten istes sogar jeder Zweite. An diesemFreitag geht Bolt beim Diamond

    League Meeting in London anden Start.

    Usain Bolt

    Noch vor einem Monat habeich für Vincenzo den „Da-vid di Donatello Preis“ inEmpfang genommen. Erwar zu krank, um an derZeremonie teilzunehmen.

    Gleich nach der Feier habe ich ihmdie Statue ans Bett gebracht. Er warein großzügiger Mensch, von einerLiebenswürdigkeit, die brennt. Vonihm lernte ich, dass nur Dilettantenauf Inspiration warten und dassdie anderen die Ärmel au krempelnund anfangen zu arbeiten. Er steck-te eine Hand in die Hosentasche undholte ein Gewitter hervor. Ceramihat mir Syntax und Synthese desDrehbuchs beigebracht. Wenn manein Filmscript schreibt, ist das die

    Geschichte eines Traums, und diemuss man sorg ältig aufschreiben.Diese Präzision haben nur große Vi-sionäre. Cerami war einer, er ö fne-te das Herz und entschlüsselte Rät-sel. Ein kreativer Mystiker, wie allegroßen Ernder von Geschichten.

    1967 begann seine Karriere alsDrehbuchautor für Bellocchio, Ame-lio, Monicelli, Scola und für mich.„Das Leben ist schön“ haben wir ge-meinsam geschrieben, mein erstergroßer Erfolg. Auch „Das Monster“

    und „Pinocchio“ erdachte er fürmich, wir waren ein tolles Tandem.

    Entdeckt hatte ihn FilmemacherPier Paolo Pasolini. Vincenzo kam indie 6. Klasse, und er war sein Lehrer.Der Junge hatte Diphtherie gehabt,gesundete, zog sich aber völligzurück und sprach mit niemandem.Doch als der damals 28-JährigePasolini das Aufsatzthema „EinSonntag in den Bergen“ aufgab, woll-te sich der Junge beweisen. Tags da-rauf las Pasolini dessen Geschichte „Der schreckliche Mann und derSchnee“ vor. Die Klasse klatschte.Und Vincenzo erkannte, was erkonnte und wollte: schreiben. Spä-ter wurde er Regieassistent seinesfrühen Förderers – und Gatte vondessen Cousine Graziella.

    Vincenzo Cerami zu kennen war

    ein Geschenk. Wie sehr habe ich esgeliebt, mit ihm zusammen zu sein.Rugby-Spieler, unschlagbarer Twist-Tänzer, Dichter – er hat mir bei-gebracht, wie man es macht, die Her-zen der Menschen höherschlagen zulassen. Was für ein Glück, deinFreund gewesen zu sein. Für dichmein allerschönstes Lächeln. 2

    Vincenzo CeramiRoberto Benigni über seinen Freund, mit dem er das Dreh-buch für den Oscar-Erfolg „Das Leben ist schön“ schrieb

    Der politisch engagierteRegisseur und Schau-spieler Roberto Benigni,60, wurde 1997 mit der

    Tragikomödie „Das Le-ben ist schön“ berühmt

    Ein großer Er-zähler. Der Dreh-buchautor starb72-jährig in Rom

    Das OriginalBei einem Wahlkampfauf-tritt in Iowa mitihrem Manntrug MichelleObama 2012 dasgleiche Kleiddes britischen Versandhändlers ASOS

    Die Kopie:Huma Abedinin Rot-Weißmit dem NewYorker Bürger-meisterkandi-daten Anthony Weiner

    Normalerweise, so erzählte sie eseinst der „Vogue“, bevorzuge sie jaKleider von Chanel und Prada. Dawar Huma Abedin noch die wich-tigste Mitarbeiterin von HillaryClinton, als diese US-Präsidentin

    werden wollte. Jetzt ist die 36-Jähri-ge die wichtigste Mitarbeiterin ihresMannes Anthony Weiner, der Bür-germeister von New York werdenwill. Weiner, man erinnert sich, war2011 als demokratischer Kongress-abgeordneter zurückgetreten, weiler Fotos von sich an junge Frauengetweetet hatte, die eher durch zuwenig als durch zu viel Kleidungaufgefallen waren (es folgten aller-lei Wortspiele mit „Weiner“ und„Wiener“). Weil es nun darum geht,die Stimmen der ganz normalenLeute wiederzugewinnen, schmissFrau Abedin sich in ein rot-weißkariertes Sommerkleid für 75 Dol-lar. Genau das gleiche trug MichelleObama im Wahlkampf 2012. Ist davielleicht jemand abergläubisch?

    Kleider machenLeute

    DIESE WOCHE

    L E U T E

    NACHRUF

    WAS HALTEN SIE VON?

    STERN TREND

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    www.stern.de/haderer Umfangreiches Archiv mit den Haderer-Cartoons

    Edward Snowden – Spielball der Weltpolitik

    DIESE WOCHE

    H A D E R E R

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    WIRTSCHAFT

    Die TricksSimple Sehhilfen? Von wegen.Brillen sind Lifestyle-Accessoire und Hightech-

    Produkt in einem. Wir zahlen oft irre Preise –auch weil Händler mit unserer Unwissenheit

    Geschäfte machen. Wie können wir unswehren? Der Branchencheck

    WAYFARERREISENDER

    Look: klassisch,elegant, zeitlos

    Unvergessen durch:Audrey Hepburn

    in „Frühstückbei Tiffany“,

    John Belushi und

    Dan Aykroydin „Blues Brothers“

    Von Silke GronwaldIllustrationen: Dieter Braun

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    der Optiker

    Kennen Sie das?Sie zahlen für

    Dinge, die Sie nichtbrauchen. Werden von

    der Werbung getäuscht.In Verträgen gefesselt,

    in Hotlines vertröstet. Haben Sie auchgenug davon, als Kunde ausgetrickstzu werden? Wir haben unsere Reporterlosgeschickt, den Verkaufspros aufdie Schliche zu kommen, etwa Optikern,Apothekern, Biohändlern. Wir zeigen,wie die Geschäfte wirklich funk-tionieren – und welche Maschen Siekennen sollten. Sieben Branchenin sieben Wochen. Eine stern- Serie

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    In Deutschlandgibt es 12 000

    Optiker Mancheleben von einer

    verkauften Brilleam Tag

    NICKELBRILLE

    Look: intellektuell,bescheiden,unauffällig

    Unvergessendurch: Beatles-

    Sänger JohnLennon, Indiens

    NationalheldMahatma Gandhiund, ja, Ex-Ver-

    teidigungsminister Karl-Theodor

    zu Guttenberg

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    Im Schnitt zahlt

    der Kunde 400 Eurofür eine Brille

    CATEYE(KATZENAUGE)

    Look: extravagant,feminin, divenhaft

    Unvergessen durch:Grace Kelly, Fürstin

    von Monaco, unddie Schauspielerin

    Marilyn Monroe

    Etwa alle dreiJahre gönnt ersich ein neues

    Modell

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    WER SIEHT

    BESSER

    Mama, Papa oderdie Kinder? Ein

    spielerischer Testfür zu Hause

    Bf AhM

    U

    j

    g

    s

    Augen auf beimBrillenkaufIn fünf Schritten zum Scharfblick

    1. Sehtest: Zunächst prüft der Optikeranhand von Leuchttafeln, wie gut Siein Nähe und Ferne schauen können.Mithilfe des Phoropters, eines mons-trös anmutenden Apparats mit vielenOkularen, werden Ihre genauen Werteund die dazu passenden Korrektur-gläser bestimmt. Ganz ohne Ihr Zutunerfolgt am Ende die Berechnung derLichtbrechung im Auge. Dazu genügtein kurzer Blick in ein sogenanntesRefraktometer.

    2. Bedarfsanalyse: Benötigen Sieeine spezielle Arbeitsplatzbrille?Soll Ihnen die Brille auch beim Auto-fahren oder nachts helfen? Musssie besonders kratzfest sein? Odergenügt Ihnen eine reine Lesebrille?Von diesen Faktoren hängt ab, wel-ches Glas für Sie ideal ist. Lassen Siesich die Vor- und Nachteile der ver-schiedenen Modelle genau erklären.

    3. Die richtige Fassung: Eine grobeFaustregel lautet: Menschen mit run-dem Gesicht stehen eher eckige Bril-len, Menschen mit kantigem Gesichtsollten runde Fassungen bevorzugen.Manche Optiker bieten auch an, Siemit unterschiedlichen Modellen zufotograeren. Die Aufnahmen könnenSie dann mit nach Hause nehmen undin Ruhe entscheiden. Diesen Servicegibt es aber meist nur auf Nachfrage.

    4. Endkontrolle: Das optische Zen-trum der Gläser muss genau vor IhrerPupillenmitte liegen. Dabei kommt esauf Millimeter an. Diese Zentrierungmuss der Optiker beim Anpassen derfertigen Brille vornehmen.

    5. Belege: Achten Sie darauf, dass Siemit der fertigen Brille auch die exak-ten Unterlagen erhalten. Dazu gehörtder Brillenpass, in dem neben denAngaben über Ihre Sehstärke auchInformationen über die Fassung unddas Ausfertigungsdatum vermerktsind. Bestehen Sie auf Transparenz,und lassen Sie sich den Hersteller unddie exakte Bezeichnung der einge-bauten Gläser schriftlich geben. Diesmachen Optiker nicht automatisch.

    verlieren. Preisschilder kleben Op-tiker deshalb immer nur auf Fas-sungen. Das eigentlich Teure sinddie Gläser, deren Preis noch einmalum das X-fache höher liegen kann. Wie viel genau und wofür genau,das versteht kein Verbraucher. Öf-

    fentlich zugängliche Preislisten zurOrientierung gibt es nicht.

    Markengläser oder Billigware?Stattdessen ist der Kunde gezwun-gen, mühsam von Geschäft zu Ge-schäft zu rennen, nachzufragen undzu vergleichen. Wolfgang Hirt, seitzwölf Jahren vereidigter Sachver-ständiger für das Augenoptiker-Handwerk der Handwerkskammerzu Köln, sagt: „Das Angebot bei Bril-len reicht im übertragenen Sinnevom Porsche mit allen Extras überden VW-Golf in Standardaus-stattung bis hin zur Seifenkiste.Doch der Käufer hat im Vorhineinnicht den Hauch einer Chance zuerkennen, welche Leistung er tat-sächlich bekommt.“ Anders als ein Autokäufer kann er ja noch nichtmal eine Probefahrt machen. Schongar nicht die Qualität der Brille mitbloßem Hingucken beurteilen. Wiekratzfest sind die Gläser? Haben siedie versprochenen Beschichtungen?Stammen sie wirklich vom Marken-

    produzenten? „Der Laie bemerktzunächst kaum einen Unterschied“,sagt der Kölner Experte. Was bleibt,ist blindes Vertrauen. Oder penet-rante Nachfragerei und penibleKontrollen.

    Zu Wolfgang Hirt kommen Kun-den, die sich über den Tisch gezogenfühlen; etwa weil sie befürchten,statt teurer Markengläser nur asia-tische Billigware vor den Augen zuhaben oder statt der versprochenenGleitsichtgläser der neuesten Ge-

    neration nur die minderwertige Variante. Ein Problem, das in Inter-

    netforen immer wieder diskutiertwird. Die großen Marken wie Zeiss,Essilor oder Rodenstock kennzeich-nen ihre Gläser heute mit soge-nannten Mikrogravuren – nahezuunsichtbar für den Laien, aber fürden Fachmann schnell zu identi-zieren. Rodenstock setzt sein Rsogar für jedermann erkennbarvorn aufs Glas.

    Dick und trüb wie ein Flaschen-boden sind die Glasrohlinge aus Asien, wenn sie im Frankfurter Ro-denstock-Werk eintre fen. In diesemZustand kosten sie nur eine Hand-voll Euro. Kaum vorstellbar, dass sichihr Wert 48 Stunden später mehr alsverhundertfacht haben soll, auf biszu 1200 Euro. Natürlich, die Produk-tion ist aufwendig. Die Halbteile, wiesie in der Fachsprache heißen, wer-den in vollautomatischen Schleif-maschinen exakt nach dem Rezept

    des Optikers in Form gebracht. Biszu 1000 Werte, selbst kleinste in-dividuelle Abweichungen im Augekönnen heutzutage in der Herstel-lung berücksichtigt werden.

    Anschließend bekommen dieGläser auf Wunsch nocheinen speziellen Farbton –in echter Handarbeit. Werksleiter Jens Kußat ö f-net die Tür zur Färberei.

    Dort arbeiten Frauen, die den Glä-sern jede nur erdenkliche Nuance ge-ben können. „Bernstein etwa hat dieoptimale Kontrastwirkung auf Grünund ist ideal zum Golfen, DynamicRed bietet die beste Detailauösungund ist deshalb ideal für Jogger undRadfahrer“, erklärt Kußat. Mit demTrocknen der Farbe ist auch die Ein-zelbehandlung beendet. Die Gläserwerden in Gruppen in einem speziel-len Hartlack gebadet, wandern aufdem Förderband weiter in die Be-dampfungsanlage, wo die Entspie-gelung aufgebracht wird, und ab ins

    Päckchen. Pünktlich jeden Abend um19 Uhr kommen die Kurierfahrer undbringen die Gläser noch in derselbenNacht zum Optiker.

    „Wir arbeiten kontinuierlich ander Entwicklung immer neuer, im-mer besserer Gläser und investierenin sie viel Geld“, sagt Produktionslei-ter Kußat. Das ist wahr. Wahr ist aberauch: Das Bundeskartellamt hat imJahr 2010 gegen die fünf führendenHersteller wegen langjähriger ver-botener Preisabsprachen hohe Geld-

    bußen verhängt: Rodenstock, Zeiss,Essilor, Rupp + Hubrach Optik

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    Bye-bye, Brille

    1. Wie funktioniert die Methode?Die Hornhaut des Patienten wird mit-hilfe des Laserstrahls so modelliertund verdünnt, dass sich die Lichtbre-chung im Auge ändert und der Blickwieder scharf wird. Der Eingriff dauertnur Sekunden und ist schmerzfrei.Man unterscheidet zwischen LASIK-und LASEK-Verfahren. Welches dasbessere ist, hängt von individuellenFaktoren wie der Hornhautdicke ab.2. Für wen ist das geeignet? Gelasert werden können, laut Berufs-verband der Augenärzte, Patienten mitKurzsichtigkeit von bis zu –8 Dioptrien,mit Weitsichtigkeit von bis zu +3 Diop-trien und einer Hornhautverkrümmungvon bis zu 5 Dioptrien.

    3. Wie nde ich eine gute Klinik? Entscheidend für den Erfolg ist vorallem die Erfahrung des Arztes.Orientierungshilfe bietet das Prüfsiegel vom TÜV Süd. Unter www.tuev-sued.de gibt es eine Liste mit zertiziertenKliniken für das LASIK-Verfahren.4. Wie hoch sind die Kosten? Im Durchschnitt müssen für dasLasern beider Augen zwischen 2000und 4000 Euro gezahlt werden.Gesetzliche Krankenkassen zahlennichts dazu. Bei Privatversichertenübernehmen einige Kassen die Kostenganz oder zumindest teilweise.

    5. Welche Risiken gibt es? Zahlreiche Patienten klagen übertrockene Augen und Fremdkörper-gefühle nach der OP. Hinzu kommenBlendeffekte in der Nacht. Meistverschwinden diese Beschwerden abernach einigen Wochen. Doch geradebei stark Fehlsichtigen erhöht sichdie Wahrscheinlichkeit von Nebenwir-kungen. Das Risiko für dauerhafteBlendeffekte liegt bei Korrekturenvon –1 bis zu +5 Dioptrien bei 1 zu200 000. Grundsätzlich gilt: Lasernist eine Operation, die medizinisch nicht notwendig ist.

    Die Laser-Korrektur: verlockend,aber nicht ohne Risiko

    4

    GESTELL MITBOTSCHAFTGuido Wester-welle, Jürgen

    Klopp, ChristianWulff mit

    ernst anmutenderHornbrille

    uns gibt es sie gut und günstigzugleich.

    Aber ist es sinnvoll, sich ein indi-viduell gefertigtes und beratungs-intensives Produkt wie die Brilletatsächlich über eine Website zukaufen? Machen wir den Test: Abends nach Feierabend, die Ge-schäfte sind längst geschlossen, sit-zen wir im Polstersessel und durch-stöbern die Seite von Brille24. Statt

    Fernsehen steht heute die Live-3-D- Anprobe auf dem Programm. EinModell anklicken, wenige Sekundenregungslos in die Webcam starren,und schwups, wie von Geisterhandgemalt, erscheint das eigene Antlitzsamt Brillengestell auf dem Bild-schirm. Innerhalb von Minutenlassen sich Dutzende unterschied-licher Modelle ausprobieren. Aller-dings wirkt das Bild, trotz moderns-ter Software, beinahe so, als ob hierein Erstklässler mit einem dicken

    Filzstift Hand angelegt hätte. Undbei jeder schnellen Bewegung ver-

    rutscht das gute Ding, kriegt Schlag-seite, und unser eben noch nettes Antlitz bekommt eine leicht ese Ausstrahlung. Wer unsicher ist, wel-ches Modell zu ihm passt, kann sichStyle-Beratung auf dem virtuellenCatwalk von Brille24 holen. Einfachdas eigene Bild posten, die anderenNutzer vergeben dann zwischennull und fünf Sternen.

    Wie gut sind Internetanbieter?Ist ein passendes Gestell gefunden,sind als Nächstes die Gläser dran.Hierfür müssen die aktuellen Achs-, Zylinder- und Sphärenwerteeingegeben werden. Die Daten ste-hen im Brillenpass, sofern einer daist. Ansonsten heißt es, erst mal abzum Optiker und einen Sehtest ma-chen – bei vielen kostenpichtig.Für die Ermittlung der Pupillendis-tanz hilft Brille24 mit einer Scha-

    blone – Achtung, jetzt wird es ana-log – zum Ausdrucken, Falten undSchneiden. Mit diesem selbst gebas-telten Messinstrument stellen wiruns dann vor einen Spiegel und er-mitteln den Abstand zwischen denbeiden Punkten im Auge – aber bit-te auf den Millimeter genau! Nunnur noch bezahlen: 39,90 Euro plus5 Euro Versandkosten. Eine Wochewarten, und ein Brillenpäckchenliegt im Brie kasten, eingeogen di-rekt aus Hongkong. An der Qualitätgibt es nichts zu meckern, nur derSitz stimmt nicht ganz. Auch dafürmuss wieder der Optiker vor Ort zu-rate gezogen werden, der dies etwasmissmutig und für 10 bis 15 Euro inder Regel macht.

    „Viele klassische Optiker lassenden Kunden in dem Glauben, eineBrille sei ein schwer herstellbaresProdukt“, sagt Brille24-GründerMatthias Hunecke. „Doch in Wahr-heit ist es längst ein Massenpro-dukt. Nur ein Beispiel: Entspiege-lung ist heute in der Produktion

    guter Gläser Standard. Es wäre vielteurer, ein einzelnes Paar auszusor-tieren und nicht zu entspiegeln.Trotzdem wird es dem Kunden alsteures Extra verkauft.“

    Der Umsatz von Brille24 wächstseit Gründung um 50 Prozent undmehr. 2012 verkaufte das Unterneh-men bereits 270 000 Brillen. Ähnlichsteil nach oben geht es beim Kon-kurrenten Mister Spex. An guten Ta-gen verlassen dort bis zu 6000 Päck-chen das Warenlager am Prenzlauer

    Berg in Berlin. Insgesamt hat dieOnlinebranche zwar erst einen

    AVIATORFLIEGER

    Look: sportlich, cool,maskulin

    Unvergessen durch:Tom Cruisein „Top Gun“

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    F O T O S :

    D P A

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    Der Rebell hinkt. In winzigeneckigen Schritten, wie auf-gezogen, tippelt er über denschwarzen Fliesenboden.Ein Bein vor, anderes Beinran. Vor, ran. Vor, ran. Dieses

    Gebrechen will nicht recht passenzur breiten Brust, die droht, seinweißes Hemd zu sprengen, als ereinen halbmeterhohen Aktenstapel

    vom Konferenztisch wuchtet. Es willüberhaupt nicht passen zu dem Fotoim Regal, auf dem ein Asket leicht-füßig und unter drei Stunden dieMarathonziellinie quert. So wie ja ei-niges nicht mehr zusammenpassenwill bei diesem „kleinen Kauder“,dem CDU-Bundestagsabgeordnetenfür den Schwarzwald-Baar-Kreis,dem geachteten Vorsitzenden desRechtsausschusses. Siegfried.

    Müsste er, dieser drahtige Glatz-kopf, der dieser Sommertage die

    ganze CDU in Wallung bringt, müss-te er sich nicht besser schonen? „Achwas“, sagt er nur knapp, „Achilles-sehnenabriss, das wird wieder.“Eigentlich müsste er jeden Tag zurPhysiotherapie. Sagt sein Arzt. Dochwarum sollte er sich schonen, wo ersonst niemanden schont? Nicht sei-nen Kreisverband, der ihn nichtmehr nominiert hat und gegen des-sen Kandidaten er nun in den Wahl-kampf zieht. Nicht die gesamte CDU,die in 45 Jahren immer seine Hei-mat war. Nicht einmal die Familie,den eigenen Bruder, den ein Jahr äl-teren „großen Kauder“, den mächti-gen Chef der CDU/CSU-Bundes-tagsfraktion und engen Vertrautender Kanzlerin. Volker.

    Vom Bruderkrieg im Schwarzwaldist die Rede, von einer menschlichenTragödie, einem Drama zweier Ge-schwister, in dem einer machtlosmit ansehen muss, wie der anderesich ho fnungslos verrennt, bereit,die letzten Brücken einzureißen.

    Kerzengerade sitzt Siegfried Kau-

    der am Konferenztisch seines Bürosunterm Dach einer alten Kaserneam Rande von Villingen. Beide Hän-de auf den Knien. Er will ja reden,sich erklären, nur umstimmen, daskann ihn keiner mehr, da helfe auchkein Druck, erst recht kein Druck.Dieser Mann wirkt entschlossen,ohne Wanken, zu allem bereit. Die-se Entschlossenheit hat etwas Un-heimliches. Und so fragt man:

    Warum tun Sie das Ihrem Bruderan?

    „Ich tue meinem Bruder nichtsBöses an. Politik ist ein hartes Ge-

    schäft. Wir sind beide Pros und

    wissen, damit umzugehen.“Ein paar Tage lang hatte der Älteregeschwiegen, doch dann teilte er indürren Sätzen mit: „Was mein Bru-der Siegfried macht, geht in einerPartei nicht. Das ist der klassischeFall für ein Parteiausschlussverfah-ren. Dies bedaure ich.“ Was blieb ihmanderes übrig. So steht’s in den Sta-tuten der Partei. Niemand, auch keinkleiner Bruder, darf bei der Wahl umein Amt gegen ein von der Parteinominiertes Mitglied antreten.

    Schmerzt es nicht, wenn einen derBruder aus der Partei werfen will?

    „Es gibt keinen Familienbonus.

    Ich habe damit kein Problem. Abge-sehen davon: Er hat nur die Rechts-lage dargelegt.“

    Hat er versucht, Sie umstimmen?„Wir haben die Fronten geklärt.

    Er kennt mich. Wenn ich sage, ichziehe das durch, dann mach ich das.“

    Und wenn er Sie bitten würde?„Das tut er nicht, weil es kein

    sachliches Argument wäre.“„Erzähl’ mir nichts von Bruderlie-

    be / gerade dort gibt’s Seitenhiebe“,hat Siegfried Kauder vor vier Jahren

    zu Volkers Sechzigstem gedichtet.Da stand es schon nicht mehr zum

    Sie sind Brüder, aber Brüder im Geiste sind sie

    nicht. Siegfried und Volker Kauder, CDU, waren niesehr eng. Nun hat sie die Politik vollends entzweit

    Zwei wiePlusund Minus

    „Erzähl’ mirnichts vonBruderliebe/ geradedort gibt’sSeitenhiebe“Siegfried Kauderin einem Gedichtfür seinen Bruder

    Von Jan Rosenkranz; Illustration: Christian Barthold

    POLITIK

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    Besten, auch wenn ihre Beziehung

    nie besonders harmonisch war. Un-nahbar, kühl und nun gar zerrüttet.Über Privates sprechen sie so gut

    wie nie. Von Siegfrieds dritter Hoch-zeit vor zwei Jahren erfuhr Volkernur noch zu ällig. „Hast’ gehört, deinBruder gibt heut’ einen aus“, sagteein CDU-Mann auf einem Partei-abend. „Was gibt’s denn zu feiern?“,fragte Volker.

    Natürlich waren sie immer die„Kauder-Buben“, damals in Singenam Hohentwiel, wo sie als Kinder

    vertriebener Jugoslawien-Deut-scher aufgewachsen sind. Doch

    dicke Freunde waren sie nie. Der

    Vater, Grundschulrektor, saß schonfür die CDU im Kreisrat. Natürlichgingen die Söhne zur Jungen Unionund später zur CDU. Doch währendder Ältere in der Geschäftsstelle Plä-ne schmiedete, pügte der Jüngerelieber 50 Bahnen durchs Freibad.Und wenn der Große den Kleinenzum Plakatmalen brauchte, ließ erihn vom Bademeister ausrufen, bisSiegfried aufs Rad stieg und kam. Während Volker in der Politik Kar-riere machte, verschrieb sich Sieg-

    fried ganz der Juristerei. Gleich seinerster Fall als Anwalt war ein Mord.

    Heute sind sie die einzigen Brü-

    der im Bundestag. Zwei Juristen,ehrgeizig, stramm konservativ,kinderlos, ihre Wahlkreise liegendirekt nebeneinander. Das war es anGemeinsamkeiten, sonst sind sievon grundverschiedenem Wesen.Konziliant und kompromissbereitder eine, Merkels loyaler Mann-schaftsspieler. Stur und unnachgie-big der andere, ein Einzelkämpferwie die meisten Strafverteidiger.

    „Die Mutter hat uns mit Bedacht /in jungen Jahren beigebracht: /

    Klärt, was ihr klären müsst, zuzweit / und tragt nach außen kei-

    Voller Einsatz:Der Bundestags-abgeordneteSiegfried Kauder(l.), 62, kenntbeim Kampf umsPrinzip keineVerwandten.Volker, 63, Frak-tionschef, musses hinnehmen

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    Die Nachricht war ihnen, weit nachMitternacht, von zwei Polizis -ten überbracht worden: Ihr Sohn

    Marcus sei tödlich verunglückt,auf dem Heimweg von der Disco.„Meine Frau hat sofort losge-

    brüllt“, sagt Diethard Schneider, er habeseinen Schmerz immer wieder allein im Wald hinausgeschrien. Das war 1989. —Marcus war gerade mal 20.

    Diethard Schneider hat für namhafteFirmen Vertrieb und Marketing gemacht,sitzt heute noch, mit 71, im Beirat einesBielefelder Unternehmens, an dem er be-teiligt ist. Mit seiner Ehefrau Doris feierter bald goldene Hochzeit. Schneider glaubt,

    „dass es etwas gibt, das eine Dimension hat,die mit unserer irdischen nicht vergleich-

    bar ist“. Und dass sich irgendwann dieFrage stellt: Was hast du in deinem Lebengemacht?

    Darauf will er eine Antwort geben kön-nen. Er erinnerte sich an Marcus’ Tod undwie allein gelassen sie sich damals in ihrerTrauer fühlten. Er wollte helfen, ehrenamt-lich. Schnell stand fest, wohin es ihn zog:in ein Kinderhospiz, in dem unheilbarkranke Jungen und Mädchen ihre letzten Wochen verbringen und man sich auch umGeschwister und Eltern kümmert. „Ich warüberrascht, wie fröhlich diese Kinder sind“,sagt Schneider, „obwohl sie wissen, dass siebald nicht mehr da sein werden.“

    Ein Dutzend dieser Hospize mit bis zu

    16 Plätzen gibt es in Deutschland, dazuetwa 100 ambulante Dienste. Rund 23 000

    Kindern ist – mal mehr, mal weniger –nicht mehr zu helfen. 5000 von ihnen ster-ben Jahr für Jahr. „Wenn Sie eine solche

    Diagnose bekommen“, sagt Schneider,„brauchen Sie Hilfe – und zwar schnell.“Dafür richtet er nun für den Bundesver-

    band Kinderhospiz ein Sorgentelefon ein,das ab 2014 unter einheitlicher Rufnum-mer rund um die Uhr mit ehrenamtlichenPros besetzt sein soll. Die vermittelnsofort Ansprechpartner, das nächste Hos-pizteam, Psychologen, Seelsorger. Mit achtHelferinnen baut er eine Datenbank auf,in der sämtliche dieser Adressen in ganzDeutschland gelistet sind.

    „Wenn unser Sorgentelefon steht“, sagt

    Diethard Schneider, „habe ich auch meine Antwort.“ 2 Werner Mathes

    DiethardSchneider, 71,im KinderhospizBethel, Bielefeld

    EIN B E SOND E RER M E N SC H

    Betreut im schlimmsten FallEr war ein erfolgreicher Manager. Heute setzt Diethard Schneider sein Organisationstalent ein,

    um denen zu helfen, die so Schmerzhaftes erleiden wie er einst selbst: den frühen Verlust eines Kindes

    GESELLSCHAFT

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    F O T O S : P

    . A . ;

    N O A H

    B E R G E R

    A P

    Der Brite Andrew„Bart“ Simpson

    war einer derbesten Segler der

    Welt. Er starbim Wrack des

    Katamarans, mitdem er vor derGolden-Gate-

    Brücke für denAmerica’s Cuptrainiert hatte

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    Der America’s Cup sollte die spektakulärste Show in der Geschichte des Segelns werden.Doch die Bucht von San Francisco erlebte eine der größten Tragödien des Sports. Andrew Simpson

    verlor sein Leben. Und Iain Percy seinen besten Freund

    ABSCHIED UNTER WASSER

    Von Walter Wüllenweber

    SPORT

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    Zum ersten Mal sahen sie sich vorbeinahe 30 Jahren in Southampton,Südengland. Sie waren gerade sie-ben Jahre alt und wollten beim tra-ditionsreichen Weston Sailing Clubdie erste Regatta ihres Lebens se-

    geln. Doch der Wind blies zu heftig. „Wir

    waren die Kleinsten und durften nicht aufs Wasser“, erinnert sich Iain. „Da haben wirden ganzen Tag an der Pier auf dem Bauchgelegen und Lego gespielt. So ng das anmit Bart und mir.“

    Zum letzten Mal sahen sie sich am Nach-mittag des 9. Mai in der Bucht von SanFrancisco, zwei Meter unter Wasser.

    Aus Andrew Simpson, den alle nur Bartnannten, und Iain Percy wurden die bes-ten Freunde. Und die besten Segler. Ihre ge-samte Kindheit und Jugend segelten siezusammen, jedes Wochenende, selbst im

    Winter. „Mit keinem Menschen habe ichso viel Zeit verbracht“, sagt Iain. „Wir konn-

    ten einfach nie au hören, über Segeln zureden. Nie.“ Bald gehörte auch Ben Ainsliezu ihrer Trainingsgruppe des englischenSeglerverbands. Die drei Jungs wuchsengemeinsam auf. Irgendwann zogen Bartund Iain zusammen. „Die Beziehung zwi-schen den beiden war einfach etwas Beson-

    deres“, sagt Ben.Mit ihren ersten, klapprigen Autos fuh-ren sie zu den Regatten in England. Undgewannen. Dann auf den Kontinent. Undgewannen. Zusammen ogen sie um denGlobus. Und gewannen. Iain und Bart wur-den 2008 in Peking Olympiasieger und2012 in London Zweite im Zweimannboot„Star“. Ben holte sich gleich vier Goldme-daillen in den Einmannjollen Finn undLaser, die Queen hat ihn zum Sir ernannt.Die drei Engländer wurden zu den Messis,Ronaldos und Iniestas ihres Sports.

    Aber der America s̓ Cup fehlte noch inihrer Sammlung. Es ist die wertvollste

    Meisterschaft, die ein Segler je gewinnenkann. In diesem Sommer wird sie in derBucht von San Francisco ausgetragen. Benhat beim Cup-Verteidiger Oracle angeheu-ert, Iain und Bart unterschrieben bei demschwedischen Team Artemis. Doch diesmalgibt es keinen Triumph, kein Happy End.

    Die Bucht von San Francisco wird zumSchauplatz einer Tragödie.

    Der Abend davor

    Bart hat alle in sein Haus eingeladen. Sei-ne Frau Leah und die beiden Söhne Fred-die und Hamish sind nach San Franciscogekommen und wollen bis zum Ende desCups bleiben, bis Mitte September. Dasmuss gefeiert werden. Der 36-jährige Bartist Gemütsmensch. Er gilt nicht als derFleißigste beim Training, „aber mit Bart imBoot funktioniert jedes Team“, sagt Iain.

    Die drei Freunde und ein paar Seglerdes Artemis-Rennstalls grillen auf der

    Trainingsfahrt: Ein starrer Flügel treibt den Hightech-Katamaran voran, beschleunigt ihn auf bis zu 80 Stundenkilometer

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    nen bändigen kann. „Wir waren uns immerdarüber im Klaren, auch Bart: Die Bootemachen unheimlichen Spaß – aber sie sindge ährlicher als alles, was wir je unter demHintern hatten“, sagt Iain. Ben Ainslie siehtdas genauso: „Ein kleiner Fehler, und dieKatastrophe ist unvermeidbar. Die AC72

    sind Null-Toleranz-Boote.“Am MorgenBart tri ft eine gute Stunde vor Iain aufdem Gelände des Artemis-Teams ein.Er muss Sonderschichten im Kraftraumschieben, weil er sich mal wieder ein paarPfund zu viel angefuttert hat. „Als ichankam und ihn auf dem Trainingsfahrradschwitzen sah, habe ich ihn hochgenom-men. Wie immer“, sagt Iain.

    „Bart war schon als Kind ein wahnsinni-ges Talent, aber Iain war disziplinierter

    und ehrgeiziger“, erinnert sich Jim Salton-stall, der legendäre Jugendtrainer der

    Schi f mit einem AC72, so die Typenbe-zeichnung des 72 Fuß langen Katamarans.Iain, Ben und Bart müssen das Segelnvöllig neu lernen – und das Fliegen.

    Irgendwann bringt Bart den dreijährigenFreddie ins Bett und auch Hamish, nochkein Jahr alt. Mit strahlendem Gesichtkehrt der Vater zurück auf die Terrasse. Bisspät in den Abend diskutieren die Männer

    darüber, wie man diese faszinierenden undmanchmal auch beängstigenden Maschi-

    Terrasse. Sie reden über dieses ungewohnteGefühl, sich plötzlich wieder wie Segelan-

    änger zu fühlen. Die Nussschalen, mitdenen sie ihre großen Erfolge errangen,waren kleine Einrump boote, jahrzehn-tealte Konstruktionen, auf denen 20 Stun-denkilo meter schon als Höllentempo

    gelten. Jetzt segeln sie auf zwei Rümpfendurch die Bucht, auf 22 Meter langenKatamaranen, die mit bis zu 80 Sachenübers Wasser iegen.

    Sie iegen tatsächlich. Eine Minitrag-äche, so klein wie ein Wasserski, hebtdie sechs Tonnen schweren Giganten beihoher Geschwindigkeit über die Wasser-oberäche. Seit 7000 Jahren bewegen Men-schen Segelschi fe durch das Wasser. Nunverlassen die Boote ihr Element. Der Ame-ricaʼs Cup sieht sich gern als die Formel 1des Segelns. Doch ein Serien-Golf hat mit

    dem Red-Bull-Boliden von Sebastian Vet-tel mehr gemein als ein normales Regatta-

    Sie teilten seit der Kindheit die Leidenschaft fürs Segeln: Iain Percy und Andrew Simpson (l., mit seinem älteren Sohn Freddie)

    Die Boote: gefähr-licher als alles,was sie je unterm

    Hintern hatten

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    GUT ZU WISSEN Spielzeug der Milliardäre

    Der Pokal1851 wurde zumersten Mal um die

    knapp 70 Zentimeterhohe versilberteKanne gesegelt. Damitist der America s̓ Cupdie älteste Sport-trophäe der Welt.

    Der TitelverteidigerDer Milliardär LarryEllison ist der Eigen-tümer des TeamsOracle und Gewinnerdes Rennens 2010.Er darf bestimmen,auf welchen Booten

    die Regatta nunausge tragen wird.Ellison entschied sich

    für 22 Meter langeKatamarane mit einemstarren Flügel. Diemeisten Konkurrentenpassten: zu teuer, zugefährlich.

    Die FarceIm Louis-Vuitton-Cuptreten die Herausfor-derer gegeneinanderan. Nur der Gewinnersegelt im Septemberbeim eigentlichenAmerica s̓ Cup gegen

    Sieger steht eh fest:Larry Ellison. Gegensein Geld und seinenEntwicklungsvor-sprung haben dieanderen Teams ein-fach keine Chance.

    den Verteidiger.Doch von erhofften15 Booten treten nurdrei zum Rennen an,die sich so automa-tisch zum Halbnalequalizieren. Der

    Royal Yacht Association. Durch seineHände gingen sämtliche Spitzensegler ausEngland. Der Ehrgeiz setzte sich durch.2000 wollten Bart und Iain in einem FinnDinghy, einer Einmannjolle, bei den Olym-pischen Spielen in Sydney starten, doch für jedes Land gibt es stets nur einen Platz. Dertalentierte Bart unterlag dem diszipli-nierten Iain. Ihre Freundschaft störtedas nicht. Im Gegenteil. „Bart ist einfach

    nach Sydney mitgefahren und hat dortwochenlang als Sparringspartner mit mirtrainiert. Alles auf eigene Kosten“, erzähltIain. „Den größten Konkurrenten so zuunterstützen, so was macht nur Bart.“

    Iain wurde Olympiasieger. Bei der Sie-gerehrung standen Bart und JugendtrainerJim Saltonstall mit feuchten Augen unterden Zuschauern. „Bart war in dem Momentgenauso stolz und glücklich wie Iain. Min-destens“, erinnert sich der Trainer. Und IainPercy bestand in jedem Interview darauf,die Hälfte seiner Goldmedaille gehöre Bart.

    Iain hat seine halbe Goldmedaille nichtverteidigt. Er wechselte in das Zweimann-boot Star und segelte schließlich mit Bartzusammen und nie wieder gegen ihn.

    Vorbereitungen zum StartDie Teamleitung von Artemis hat be-schlossen, am späten Vormittag zu einerTrainingsfahrt auszulaufen. Die Segelcrewund die Besatzungen der Begleitbootebeginnen mit den Vorbereitungen.

    Genau gegenüber, auf der anderen Seiteder Bucht, macht sich auch Ben Ainsliesegelfertig. Sein Oracle-Team will heuteebenfalls trainieren. Die Oracle-Basis isteine 300 Meter lange Lagerhalle direkt amHafen, außen gammlig, innen staubfrei.Unter schärfster Geheimhaltung werdendie Boote hier entwickelt. Ein Container-dorf in der Halle beherbergt das Gehirn des

    Rennstalls, das Rechenzentrum. 150 hochbezahlte Spezialisten arbeiten in derunscheinbaren Halle: Ingenieure, Compu-terexperten, Strömungstechniker, Boots-bauer – nur die wenigsten sind Segler.

    Auf einer speziellen Rollkonstruktionruht das Heiligtum: das Segel. Die AC72-Renner haben kein herkömmliches Segelaus Tuch, sondern einen starren Flügel, derin Form und Größe einem Jumbojet-Flügel entspricht, aber nur einen Bruchteildavon wiegt. Es ist das e fektivste Segel, dasdie Menschheit je gebaut hat. Um es zusetzen, braucht man 20 Männer und einenausgewachsenen Baukran, der das Unge-tüm auf das Boot wuchtet. „Wir musstenlange rumtüfteln, bis wir eine Methodegefunden hatten, den Flügel unfallfrei mitdem Boot zu verbinden“, sagt Christoph

    Erbelding, der Leiter der Entwicklungsab-teilung beim Team Oracle. Der deutscheIngenieur der Raumfahrttechnik gilt beim America s̓ Cup als Guru für Leichtbau-konstruktionen aus Carbon.

    Auf beiden Seiten der Bucht legen dieSegler ihre Sicherheitskleidung an: Sturz-helm, Schwimmweste und ein massivesTauchermesser am Unterschenkel. SeitKurzem gehört auch eine Mini-Pressluft-asche zur Pichtausrüstung. Sie hat ge-nügend Luft für zehn Atemzüge. Fünfzehn,wenn man sparsam ist.

    Die Fahrt beginntDer Wind hat deutlich zugelegt. BeideTeams überlegen, ob sie nicht besser imHafen bleiben. Doch die Crews sind sichsicher, dass sie die Katamarane auch beidiesem Wind beherrschen.

    Elf Segler gehören zur Besatzung des AC72. Jeder hat seine Position und seine Aufgabe. Iain Percy ist der Skipper des Artemis-Bootes. Sein Platz ist im Heck. Am Handgelenk trägt er ein Display vonder Größe eines Smartphones. Darauf

    werden ihm ständig alle wichtigen Datenangezeigt: Position, Geschwindigkeit,Segeldruck, Windrichtung und -stärke.Iain gibt die Kommandos, doch gesteuertwird der Katamaran von dem AustralierNathan Outteridge. Auch er ist Olympia-sieger und gilt als der Segler mit dembesten Steuergefühl.

    Bart Simpsons Position ist vorn, aufMasthöhe. Er ist für den Trimm der Segelverantwortlich. Sein Gespür für den Windist in Seglerkreisen berühmt. Er kann den Wind lesen. Ständig diskutiert er mit Iain

    über die Taktik. So wie sie es ihr ganzesLeben lang gemacht haben.

    Bei Olympia 2012 in London gewann Simpson Silber – und feierte mit OlympiasiegerBen Ainslie (l.) und Premier David Cameron (r.)

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    Die Kommunikation an Bord ist garnicht so einfach. Bei bis zu 80 Stunden-kilometern kann niemand gegen den Windanschreien. Darum haben alle auf demBoot Kop hörer im Helm. Aber nur fünf derelf Crewmitglieder auch ein Mikrofon.Einschränkungen bei der Mitsprachehaben sich beim Regattasegeln als erfolg-reiche Managementmethode bewährt.

    Das große Glück Vor der ehemaligen Ge ängnisinsel Alca-traz tre fen sich das rote Boot von Artemismit Iain und Bart an Bord und der schwar-ze Katamaran von Oracle, der von Ben Ainslie gesteuert wird. Ein paar Schlägesegeln sie Bug an Bug gegeneinander, einkleines Trainingsmatch.

    Der Wind bläst inzwischen mit beinahesechs Windstärken, doch das bereitet der Artemis-Crew keine Probleme. Scheinbarschwerelos zischen die Segler über dieBucht und zeigen sogar Ben auf dem ande-ren Boot das Heck. „Die Jungs waren echtgut drauf, verdammt“, sagt Ben.

    Endlich läuft die Kiste. Wie Kinder

    brüllen die Kerle der Artemis-Crew ihreGlücksgefühle in den Wind. „Wenn dudieses Boot auf Topspeed bekommst, dasist ein Wahnsinnsgefühl, unvergleichlich“,schwärmt Iain. „Ich konnte Barts Stimmeim Kop hörer hören. Er jubelte.“

    Zum ersten Mal beherrscht Artemis denzickigen Renner. Doch alle an Bord wissen:Dies ist die letzte Ausfahrt mit diesemBoot. Die nächste, verbesserte Version des AC72 ist schon gebaut und unterwegs nachSan Francisco. Der Eigentümer des Arte-mis-Teams, der schwedische Milliardär

    Torbjörn Törnqvist, will den Cup unbe-dingt gewinnen, koste es, was es wolle.

    Schon immer war der Americaʼs Cup einSpielzeug der reichsten Männer ihrerZeit, mit einem ungewöhnlichen Regel-werk. Vereinfacht gesagt: Der Gewinnerdarf nicht nur bestimmen, wo er den Cupverteidigen will, er legt auch die Kon-struktionsmerkmale der Boote fest. Dasist so, als ob beim Fußball der Weltmeis-ter entscheiden könnte: Beim nächstenMal sind die Tore doppelt so groß, und

    Handspiel ist erlaubt.Cup-Verteidiger ist diesmal Larry Elli-son, der Gründer und Chef des Software-konzerns Oracle, der fünftreichste Menschder Welt, geschätztes Vermögen 43 Milliar-den Dollar. Ellisons Entscheidung: Gese-gelt wird auf Katamaranen, 22 Meter lang,mit einem starren, 40 Meter hohen Flügel.Damit hat Ellison noch vor dem Start einenGroßteil seiner Konkurrenten ausge-bremst. Allein die Neuentwicklung deriegenden Katamarane verlangt eine auf-wendige Organisation, die selbst im Mo-

    torsport Maßstäbe setzen würde. Expertenschätzen die Kosten einer Kampagne aufbis zu 300 Millionen Dollar. Die habenselbst einfache Milliardäre nicht so einfach

    üssig. Nur Multimilliardäre und Konzer-ne können da mitspielen. Geplant war der Americaʼs Cup als grandioses Spektakelmit rund 15 Booten vor der Kulisse von SanFrancisco. Nun ist die Zahl der Teilnehmerauf vier zusammengeschmolzen.

    Das letzte ManöverNach dem erfolgreichen Training gibt IainPercy das Kommando, den Hafen anzulau-fen. Die Mannschaft muss nur noch denKatamaran sicher nach Hause segeln. Doch

    diese Hochleistungsmaschine kann mannicht im Feierabendmodus durch dieBucht schaukeln, die kann nur Vollgas.

    Eine winzige Winddrehung, die uner—wartete Welle eines Motorboots, vielleichtist einer aus der Crew einen Sekun den-bruchteil nicht voll konzentriert – beim Segeln lassen sich nie alle Faktoren exaktrekonstruieren. Darum wird die Frageunbeantwortet bleiben: Was genau läuftschief, als Steuermann Nathan Outteridgedas Manöver „Abfallen“ einleitet?

    Bei voller Fahrt ährt der Katamaran eine

    Drehung um über 90 Grad. Der Windkommt jetzt nicht mehr von schräg vorn,

    sondern beinahe von hinten. Das radikale Abfallen ist auf allen Booten ein kritischerMoment. Der Druck im Segel steigt. Wirder nicht unmittelbar in Geschwindigkeitumgesetzt, legt sich das Boot auf die Seite.

    Genau das geschieht. Artemis bekommtplötzlich Schräglage. Mehr als geplant. Wäh-rend sich der eine Rumpf mehrere Stock-werke hoch in die Luft hebt, bohrt sich derandere tief ins Wasser. Den erfahrenen

    Seglern ist klar: Kentern ist unvermeidbar. Alle an Bord sind in ihrem Leben schonHunderte Male gekentert, doch etwas Vergleichbares hat noch niemand erlebt. Wenn bei voller Fahrt ein Rumpf unter Wasser gedrückt wird, hat das eine Brems-wirkung, als würde man gegen eine Wandfahren. Das Boot bleibt augenblicklich ste-hen und überschlägt sich. Der Katamaranverwandelt sich in ein gewaltiges Katapult.Männer werden im hohen Bogen durch dieLuft geschleudert, 10, 20 Meter weit. Gleich-zeitig produziert der riesige Flügel unbarm-

    herzig weiter Vortrieb. Dieser Kraft hält dieKohlefaserkonstruktion nicht stand. Miteinem lauten Knall bricht die Verstrebungzwischen den Rümpfen. Der Katamaranfaltet sich zusammen wie ein Blatt Papier.

    Nicht weit entfernt, am Steuer des Ora-cle-Bootes, beobachtet Ben Ainslie dieKenterung. „Ich wusste gleich: Das ist keinnormaler Unfall, das ist eine Katastrophe.“

    Nach einer Kenterung sammelt sich dieCrew im Wasser und zählt erst mal durch.Das lernt man bei jedem Segelkurs.Diesmal ist alles anders. Mannschaft und Wrackteile sind in einem Umkreis von100 Metern verstreut. Keiner weiß, wo dieanderen sind, alle brüllen durcheinander. Wertvolle Zeit verrinnt.

    Iain taucht auf, spuckt Wasser undfuchtelt mit den Armen. Da spürt er, wieihn jemand am Kragen packt und in einSchlauchboot zieht. Das Rettungsteam istda. Aber wo ist Bart? Iain schnauft und hus-tet noch, da suchen seine Augen bereits die Wasseroberäche nach seinem Freund ab. Wie oft hat er das wohl schon gemacht inall den Jahren. Er sucht unbewusst, es ist einReex. Aber Iain ndet Bart nicht. Alle

    Segler des Teams tragen die einheitlicheCrew-Ausrüstung. Und die Retter auf denBeibooten, von denen immer mehr an derUnfallstelle eintre fen – die auch. Bald sind20 Personen in dem Trümmerfeld, und allesehen fast identisch aus. Niemand weiß, obdie Crew gerettet ist, ob noch jemand ver-misst wird. Iain sucht noch immer nach Bart.Fast zwei Minuten sind schon vergangen.

    Er schaut sich das Wrack an und weiß imselben Augenblick, was passiert sein muss.Barts Position war auf Höhe des Flügels. Alsdas Boot zusammenklappte, muss er zwi-

    schen zwei Trümmerteilen eingeklemmtworden sein. Wenn das stimmt, dann

    Simpson, seine Frau Leah und dieGoldmedaille von Peking

    Wo ist Bart? Er musseingeklemmt sein.Der Flügel – er drücktihn unter Wasser

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    hnte bei der NSA. Dann stiegen sie aus und warnten vor der Allmacht dieses

    aatsfeinde verunglimpft. Heute, sagen sie, sei die Demokratie in Gefahr

    VERDACHT

    William Binney Thomas Drake

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    Gentlemen, zur Vorbereitungdieses Gesprächs haben wir mit-einander telefoniert, E-Mailsausgetauscht. Weiß die NSA, dass

    wir uns heute hier in Marylandtre fen, nur acht Kilometer vonder NSA-Zentrale entfernt?BINNEY: In ihren Computern, denDatenspeichern jedenfalls, steckenInformationen darüber, dass wirmiteinander zu tun haben, auchüber Ort und Zeit. Denn über denKontakt zu mir sind Sie, die Jour-nalistin aus Deutschland, nun aufmeinen Graphen geraten ... Wohin?BINNEY: Ich gehe davon aus,dass ich in gewisser Weise unterBeobachtung der NSA stehe.Meine Kommunikation, meineTelefonate, meine Aktivitätenim Internet ...... also Ihr Leben ...BINNEY ... ja, das werden siewohl sammeln. Meine Aktivitätenliefern den Programmen der NSADatenpunkte, die sich miteinanderverknüpfen können, ähnlicheinem sozialen Netzwerk. Sie las-sen sich wie eine Linie darstellen. Wie der Graph einer mathemati-

    schen Funktion. Dieser kann jeder-zeit abgerufen werden. Und damit,wenn man will, auch Ihre Spuren. WIEBE: Tja. Willkommen bei derNSA.Die NSA, das war einst ein Traum-beruf für Sie. Sie empfanden esals Ehre, dort arbeiten zu dürfen,bei der Technischen Au klärung?BINNEY: Ja, das war es. Ich wurdewährend meines Militärdienstesin den 60er Jahren rekrutiert.Ich hätte eine außergewöhnliche

    mathematische Begabung, hieß es.Ich liebte meine Arbeit. Ein wun-

    derbares Gefühl, wenn ich einenCode geknackt hatte. WIEBE: Es war eine aufregendeZeit. Der Kalte Krieg, all das. Wirkämpften gegen den Kommunis-mus, gegen das Reich des Bösen.Und heute sind wir dabei, selbst zueinem Reich des Bösen zu werden. Welch eine Ironie.DRAKE: Ich kam erst später dazu,in den 80er Jahren. Damals dienteich bei der Luftwa fe, und nacheinigen Tests hieß es, ich sei beson-ders für die Informationsgewin-nung aus verschlüsselten Textengeeignet, für die Kryptoanalyse.Ich lernte Deutsch und etwas

    Russisch, wurde in Großbritannienstationiert. Wir ogen anfangsmit den RC-135 ...... den großen Au klärungsug-zeugen der US-Luftwa fe.DRAKE: Wir hörten die ganze DDRab. Unsere Flugzeuge nannte man„Staubsauger des Himmels“. Alle Aufträge kamen von der NSA.Sie gehörten zu einer Art Elite? WIEBE: Wir wussten jedenfallsviel mehr als viele hochrangigeOfziere.

    BINNEY: Meine Vorgesetztenwaren begierig auf meine Infor-

    mationen. Wenn was los war,warteten alle auf mich. Das warschon ein erhebendes Gefühl.DRAKE: Wir waren ja selbst quasigeheim, durften niemandem sagen,für wen wir arbeiteten. Ofziellarbeiteten wir beim „Bescha fungs-wesen des Bundesstaates Mary-land“. Die Deckadresse kenne ichimmer noch: 9800 Savage Road,

    Fort Meade, Maryland. WIEBE: Wir lebten in einer eige-nen, abgeschlossenen Welt.BINNEY: Aber es ging ja schonimmer um Kontrolle. Ich erinneremich: Die Jungs aus der Sowjet-union-Abteilung sammeltendamals Lenin-Zitate. Über Machtund Kontrolle und so. Manchmalverglichen wir. Das hörte sich beider NSA auch nicht viel anders an. Widerspruch war nie vorgesehen.Die NSA war nie zimperlich,

    wenn es um das Ausspionieren von Bürgern ging. Über Jahr-zehnte liefen Abhöroperationenauch in den USA. Anfang der 70erJahre standen auf einer NSA-Liste auch Mitglieder amerikanischerBürgerrechtsbewegungen.DRAKE: Wir wussten davon. Aberich dachte, es sei Vergangenheit. Eswar uns jedenfalls strikt verboten,die Kommunikation amerikani-scher Staatsbürger ohne Gerichts-beschluss abzuhören. Das war dasErgebnis der Church-Kommission.Die Kommission des demo-kra tischen Senators Frank Church hatte 1975 illegale NSA-Abhör-aktionen untersucht. Sie führtezu neuen Kontrollgesetzen.BINNEY: Schon damals warnteChurch vor den technischen Mög-lichkeiten der NSA, ihrer All-macht. Sie könne die Infrastruk-tur für einen totalitären Staatscha fen, sagte er. Und genau daspassiert jetzt. Nur in ganz ande-ren, bislang unvorstellbaren

    Dimensionen. Mit jeder neuen

    Sie sind, wie Edward Snowden, ein Albtraum für jeden Geheimdienst, jede Regierung.Drei Männer, Whistleblower. Insider, die über die Methoden der NSA auspackten. Siehatten Jahrzehnte beim größten, mächtigsten und bislang wohl geheimsten Geheim-dienst der Welt gearbeitet. Sie bezeichnen sich als Konservative, eher Republikaner. Die

    drei Männer wussten früh von den wohl größten Spähprogrammen der Geschichte. Sie gehörten zu den Architekten jener geheimen Programme, mit denen die NSA heute

    Milliarden Daten erfasst und speichert, in den USA und im Rest der Welt: Telefonate undE-Mails, Facebook, Kreditkartenabrechnungen, Betriebsgeheimnisse, die Kommunikation von Militärs und Regierungen. Dann entschieden sie sich: Die NSA verletzt die Grundrechte von Menschen überall in der Welt. Sie stiegen aus. Den stern trafen sie zum Gespräch in einem schlichten Hotel-Konferenzraum – um sieben Uhr morgens.

    WILLIAM BINNEY, 69, arbeite-te mehr als 30Jahre lang beider NSA. Der

    Mathematikerund TechnischeDirektor galt alseiner der bestenVerschlüsse-lungsexpertendes Geheim-dienstes, hattebis zu 6000 Leu-te unter sich.Durch Diabetesverlor er Fußund Unterschen-kel, sitzt heuteim Rollstuhl

    J. KIRK WIEBE,68, begann alsFachmann fürRussisch bei derNSA, noch heutespricht er fastakzentfrei. VieleJahre arbeiteteer mit WilliamBinney zusam-men an denSpähprogram-men, zuletzt inleitender Funk-

    tion für dieDatenanalyse

    „ICH WOLLTE EIN ABBILDDER WELT SCHAFFEN“

    „DIE USA SIND DABREICH DES BÖSEN Z

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    Enthüllung von Edward Snowden

    wird der Ö fentlichkeit klar, wienah wir am Abgrund stehen. WieChurch damals schon sagte: Wenndie NSA in die falschen Händegerate, dann gebe es keinen Wegmehr zurück.Herr Binney, Sie waren viele Jahrefür die Kommunikation zwischen der NSA und dem Bundesnach-richtendienst (BND) zuständig. Wie entwickelte die sich?BINNEY: Ich war für die technischeSeite zuständig. Meine erste Ko-operation war mit dem dänischenGeheimdienst DDIS. Seit Ende der70er Jahre arbeitete ich dann aucheng mit dem BND zusammen. Inder Bundesrepublik stehen einigeunserer wichtigen Abhörstationen ,unsere „Sammelstellen“.DRAKE: Und heute laufen einigeder wichtigsten internationalenDatenleitungen in Deutschlandzusammen. Was tauschten Sie aus?BINNEY: Informationen natürlich.Deutschland war für uns ofziell

    zwar nur „dritte Partei“. Damitgehörte der BND nicht zu den„Fünf Augen“, dem Geheimdienst-verbund aus dem Zweiten Welt-krieg. Aber der BND ist bis heuteeiner unserer wichtigsten Partner.Erhielt oder erhält der BND vonder NSA Informationen, die erselbst nicht erheben darf – weiler nach deutschem Gesetz nichteinfach deutsche Bürger oderUnternehmen abhören darf?BINNEY: Davon ist auszugehen.

    Vor allem wenn es für die Deut-schen wichtig ist.

    Stellte oder stellt die NSA auch

    Spähprogramme zur Verfügung,Software?BINNEY: Ja, sicher. Woher wissen Sie das?BINNEY: Weil ich seit Anfang der90er Jahre selbst daran beteiligtwar. Wir entwickelten die Pro-gramme zur Datenerhebung, dazuauch Analysemethoden. Dannfragte ich meine Gesprächspartner

    beim BND, ob sie unsere Softwarenutzen wollten. Wir stellten ihnenauch den Quelltext zur Verfü-

    gung ... ... also quasi die Konstruktions-anleitung der Software. WIEBE: Ja. Das alles hielten wir ingeheimen Vereinbarungen fest.Die dafür zuständige Abteilungnannten wir „Außenministerium“.Herr Binney, als TechnischerDirektor waren Sie ab 1997 fürdie technische Seite der NSA-Spähprogramme zuständig, undzwar weltweit. Ihr Rang ent-sprach dem eines Generals. Sie

    erfanden ein Programm namens-Thin Thread, dünner Faden.

    BINNEY: Es begann vor rund 15Jahren, mit den steigenden Daten-mengen durch das Internet. MeinZiel war es, den Datenverkehrder ganzen Welt zu erfassen undzielgerichtet zu analysieren. Wirwollten ein Programm scha fen,das es ermöglichen würde, ein Abbild jedes Nutzers zu erstellen.Also Telefondaten, E-Mails,

    Kreditkartenabrechnungen,Surfen im Web ...BINNEY:... Ja. Es würde auch Orteund Zeiträume mit einbeziehen.Und dafür brauchten wir mög-lichst viele Daten. Je mehr, destobesser. So wollte ich ein Abbildder Welt scha fen.Das klingt, mit Verlaub, nachGrößenwahn.BINNEY: Nein, im Gegenteil. Wir mussten lernen, sozusagenauf der Welle der Daten zu surfen.

    Es galt, Wichtiges von Unwich-tigem zu unterscheiden und dieerfassten Verbindungsdaten ge-zielt für unsere Zwecke zu nutzen,vor allem für die Terrorismus-bekämpfung. Thin Thread warein wunderbares Programm.Nein, eine Horrorvorstellung.Dieses System lädt zum Miss-brauch geradezu ein.BINNEY: Stimmt. Daher hatte ichdieses Programm extra verschlüs-selt. Die Daten von US-Bürgernetwa wurden automatisch anony-misiert. Thin Thread sollte ab August 2001 an 18 Stellen weltweiteingesetzt werden.Teilten Sie auch Thin Thread mitdem BND?BINNEY: Ja, einen Teil davon, dieDatenerfassung. Das war unge ähr1999. Der BND bekam von unsauch den Quellcode.Arbeitete der BND mit ThinThread?BINNEY: Ja. Wie lange?

    BINNEY: Das weiß ich nicht.Thin Thread wurde vom dama-ligen NSA-Direktor MichaelHayden gestoppt, ein anderesProgramm entwickelt. Dochnicht mehr von Ihnen. WIEBE: Man traute uns wohlnicht. Es klingt verrückt, aberunsere Software war mit 3,2 Mil-lionen Dollar wohl zu preiswert.Man gab die Entwicklung einesneuen Programms dann beiPrivatunternehmen in Auftrag.

    Das kostete 1,2 MilliardenDollar – und wurde nach weni-

    THOMASDRAKE, 56,arbeitete wieEdward Snowden jahrelang imAuftrag privaterUnternehmenfür die NSA.Er war ein typi-scher zivilerDienstleister,sein Spezial-gebiet: Ent-schlüsselung.Dann wurde erin die Führungs-ebene der NSAberufen, um dortalte Strukturenzu hinterfragen.Sein ersterArbeitstagwar der 11. Sep-tember 2001

    „WIR WAREN JA SELBSTQUASI GEHEIM“

    Die Führungs-riege der NSAerklärt sichim Juni imCapitol vor demGeheimdienst-ausschuss nachden Enthül-lungen EdwardSnowdens

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    Für Katja Gloger und Fotograf LandonNordeman (r.) nahmen sich die Whistle-blower drei Stunden Zeit, in aller Herr-

    gottsfrühe. Nichts Ungewöhnliches: Beider NSA begann ihre Arbeit um sechs Uhr

    Web, E-Mails sowie Bank- undKreditkartendaten. Stellar Windsammelte das Rohmaterial fürden Überwachungsstaat. Es wurdeab November 2001 bis mindestens2009 eingesetzt.Also auch unter Barack Obama.BINNEY: Vielleicht sogar bis 2011.Ich vermute allerdings, es wirdheute unter anderen Namen fort-

    geführt. Wie viele Daten liegen heute aufden Servern der NSA?BINNEY: Ich gehe davon aus, dassdie NSA mittlerweile 40 bis 50 Bil-lionen Telefonate und E-Mails ausder ganzen Welt speichert. Sowohl Verbindungsdaten als auch Inhalt.Die NSA baut gerade ein gigan-tisches Datenzentrum in Utah, inTennessee entwickelt sie denschnellsten Supercomputer der Welt. Für diese Daten?

    BINNEY: Ein monströser Ort. Ersollte uns endgültig in Angst undSchrecken versetzen. Allein dieNSA-Speicherkapazitäten in Utahsind so groß, dass man dort min-destens 100 Jahre der globalenKommunikation speichern kann.Und das ist nur eine vorsichtigeSchätzung.Die Kommunikation derganzen Welt? Die kann man nichtspeichern.BINNEY: Doch, das kann man.Seien Sie bitte nicht naiv. Die NSAwill alles! Zu jeder Zeit. Für jedenZeitraum. Was Sie sagen, erinnert an Verschwörungstheorien.BINNEY: Die Speicherkapazitätenkönnten schon bald Yottabyteserreichen.Eine 1 mit 24 Nullen. Unmöglich,diese Daten zu bearbeiten.BINNEY: Man braucht keineMenschen mehr dazu. Die Datenwerden gesammelt und gespei-chert, automatisch zueinander in

    Beziehung gesetzt. Dafür könnteman auch Systeme künstlicherIntelligenz einsetzen. Je mehrelektronische Spuren man hinter-lässt, desto schärfer später dasBild. Edward Snowden hat recht,wenn er sagt: Man braucht garnichts Unrechtes zu tun. Manbraucht nur in den Kreis eines Verdächtigen geraten – und wennes durch eine falsch gewählteTelefonnummer war. Mithilfe dergespeicherten Daten kann die NSA

    dann schnell alles in Erfahrungbringen. Für jeden Tag Ihres Le-

    bens. Diese Macht bedroht unsereDemokratie. Nicht nur in Amerika.DRAKE: Die Büchse der Pandorasteht weit o fen. Auch in dem Wei-ßen Haus, in dem Obama heutesitzt. Unter Obama werden nur Whistleblower verfolgt. Nicht die Verantwortlichen. Während Ihre beiden Kollegendie NSA im Oktober 2001 verlie-

    ßen, blieben Sie noch über sechsJahre. Warum?DRAKE: Wir hatten entschieden,dass ich bleibe, solange ich kann.Ich wollte so viel wie möglich überillegale Aktivitäten, Geldver-schwendung und Betrug in Erfah-rung bringen.Sie wurden zum Whistleblowerfür den Kongress, meldeten IhreErkenntnisse dem Generalin-spekteur des Verteidigungsminis-

    teriums. Sie gaben Informationenan eine Journalistin weiter. ImNovember 2007 stürmte das FBIIhr Haus.DRAKE: Im Prinzip wusste ich,dass sie kommen würden. Das FBIhatte bereits die Häuser meinerbeiden Kollegen durchsucht. WIEBE: Wir hatten nach unsererKündigung eine Firma gegründet. Wir boten Lösungen für „big data“-Probleme an, etwa der US-Zoll-behörde. Doch wir bekamen so gutwie keine Aufträge. Niemandwollte mit uns zu tun haben. Heute leben wir von unserer Pension.BINNEY: Zu mir kamen sie imJuli 2007. Zwölf mit Gewehren be-wa fnete FBI-Agenten, ich standunter der Dusche. Einer von ihnen

    richtete seine Wa fe an meinenKopf. Da stand ich, nass, konntemir wenigstens noch ein Hand-tuch umbinden. Die Ermittlungenwegen angeblicher Verschwörungendeten im Nichts. Man wollteuns moralisch zerstören.DRAKE: Mir drohte man, ichwürde den Rest meines Lebens imGe ängnis verbringen. Ich galtals Staatsfeind, wurde angeklagt. Wegen Verstoßes gegen dasSpionagegesetz von 1917.

    DRAKE: Es waren zehn Punkte,mir drohten 35 Jahre Haft. Ich

    wurde fünf Jahre überwacht. Mei-ne Familie zerbrach fast, ich habefünf Kinder. Es war schwierig. Ichhatte irgendwann kein Geld mehrfür einen Anwalt. Selbst Freunderückten von mir ab. Sie glaubten,wenn ich solch schwerer Verbre-chen angeklagt werde, dann müsseich doch etwas Schlimmes getanhaben. Geholfen haben mir in

    dieser Zeit übrigens Journalistenmit ihrer Berichterstattung. Daswar verdammt viel wert.Die Anklage wurde in neun vonzehn Punkten fallen gelassen. Wegen unerlaubter Nutzungeines Dienstcomputers erhieltenSie eine Bewährungsstrafe voneinem Jahr. Heute arbeiten Sie ineinem Computerladen.DRAKE: Ja. Ich muss Geld verdie-nen. Für meine eigentliche Arbeitbin ich wohl verbrannt.

    Würden Sie noch mal zum Whist-leblower?DRAKE: Ich glaube, ich würdees wieder tun. Ich habe den Preisgezahlt. Aber heute bin ich einfreier Mann. Ja, ein freier Mann.Sollte sich Edward Snowden stel-len und in die USA zurückkehren?BINNEY: Ja, vielleicht. Er kanndoch nicht ständig weglaufen. Fürmich ist Snowden ein Held. Erhat die Beweise für das, was wirschon lange wissen. WIEBE: Ich habe dafür gebetet,dass einer wie er kommt. Wir soll-ten ihm dankbar sein für diesen Akt zivilen Ungehorsams. EinGerichtsverfahren gegen ihn wür-de zeigen, wie es um Amerikaheute wirklich bestellt ist. Ob wiretwas gelernt haben oder nicht.BINNEY: Jetzt hat endlich eineernsthafte Debatte begonnen. Wenn ich es recht überlege: Je