tatortarbeit - polizei
TRANSCRIPT
DIE BEDEUTENDSTEN KRIMINALISTEN VON WIEN (SERIE): EIN SPEZIALIST FÜR „KLAMARÖSE FÄLLE“
PORTRÄT:
Alexander C. Kuska und SinišaJovanović sind als Verbindungs-beamte ausgebildet worden
PI-PORTRÄT:
Die neue Polizeiinspektion (PI)Langobardenstraße ist fast amLand und doch in der Großstadt
D a s M a g a z i n d e r L a n d e s p o l i z e i d i r e k t i o n W i e n J u l i – S e p t e m b e r 2 0 1 8
TATORTARBEIT:
In Wien fand die bisher größteÜbung für die Opferidentifizierungnach „Großschadensfällen“ statt
MICHAEL LEPUSCHITZ:
Vom Inspektorzum General
Foto
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3POLIZEI Juli – September 2018
I N H A LT
INTERN
4 Editorial
MAGAZIN
7 Kameradschaft aus dem Jahr 1968: Wiedersehen
nach 50 Jahren. Der Verein „Puls“ übergibt Defis.
8 Standpunkt der Seelsorge: Stefan Kunrath
9 M E N S C H & I C H : „Schon Zeitung gelesen?“
PORTRÄTS
10 Neuer Landespolizeivizepräsident: Michael
Lepuschitz begann als Inspektor, wurde
Leutnant, Hofrat und jetzt General
16 PI-Porträt: Die Polizistinnen und Polizisten der
PI Langobardenstraße übersiedelten in ein
neues Gebäude – mit doppelt so viel Platz
POLIZEI IN WIEN
22 Kriminalisten der Landeskriminalamts-
Außenstelle Zentrum-Ost stellten 150 Kilo
Suchtgift sicher
26 Verbindungsbeamte: Zwei Wiener Polizisten
absolvierten die Ausbildung zum Verbindungs-
beamten und warten auf ihre Entsendung
30 Großübung: Erstmals wurde in Wien die Iden-
tifizierung von Opfern nach „Großschadens-
ereignissen“ trainiert
34 Beschaffungskriminalität: Im Landeskriminalamt
sind Kriminalisten eigens mit der Bearbeitung
der Drogenbegleitkriminalität beschäftigt
POLIZEIGESCHICHTE
40 Der Wiener Polizist Ernst Karl wurde 1968 wegen
seiner Homosexualität erpresst; er lockte die
Täter in eine Falle und erschoss sie
30 Die erfolgreichsten Kriminalisten Wiens (Teil 3):
Der Polizeijurist Bernhard Pollak war Anfang des
20. Jahrhunderts Spezialist für „klamarose Fälle“
BÜCHER
49 „Falsches Verhalten“
SCHLUSSLICHT
50 Geschichtliches, Stilblüten, Zitate, Impressum
LANDESPOLIZEIDIREKTION:Michael Lepuschitz möchte bewirken, dass Wien nicht nur
sicher ist, sondern auch von den Menschen wieder als eine
der sichersten Städte der Welt wahrgenommen wird
GROSSÜBUNG: Tatort-Kriminalisten,
Gerichtsmediziner und
Zahnärzte („Odontologen“)
unter Beteiligung von
deutschen und Schweizer
Kollegen trainierten die
Identifizierung von Opfern
nach einem fiktiv ange-
nommenen Terroranschlag
auf einen Autobus mit 22
Toten in Wien
Seite
30
Seite
10
PI-PORTRÄT:Als 1996 das „Wachzimmer“ Langobardenstraße eröffnete, lag
es am Stadtrand; jetzt ist es im Zentrum eines Großstadtteils
und „Viktor 5“ ist einer der meistbelasteten Funkwägen Wiens
Seite
16
L
Fotos: Ferdinand Germadnik, Bernhard Elbe (2)
EDITORIAL
Landespolizeidirektion Wien4
Sehr geehrte Leserin,
sehr geehrter Leser!
insatzkräfte riskieren täglich ihre eigene Sicherheit, um die Sicherheit anderer Men-
schen zu gewährleisten. Jede Herausforderung, der sie sich stellen müssen, ist an-
ders und verlangt nach einem flexiblen und vor allem raschen Vorgehen. Deswegen
begrüße ich die Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes, die Anfang Juli 2018 vom Natio-
nalrat beschlossen wurde. Sie ermöglicht es der Polizei, Schaulustige von einem Vorfalls -
ort wegzuweisen, wenn sie Hilfeleistungen behindern oder Fotos von Unfallopfern ma-
chen. Bei Missachtung der polizeilichen Anordnungen kann eine Verwaltungsstrafe von
bis zu 500 Euro verhängt werden. Liegen erschwerende Umstände vor, kann alternativ
auch eine Freiheitsstrafe von bis zu einer Woche bzw. im Wiederholungsfall von bis zu
zwei Wochen verhängt werden. Wofür ich nämlich absolut kein Verständnis habe, ist Sen-
sationslust, die Leben gefährdet.
Medienkompetenz im engeren Sinne wird auch ein Schwerpunkt in der polizeilichen
Grundausbildung sein. Nach einer Testphase wird der Bereich „Social Media“ in den Lehr-
plan der Bildungszentren aufgenommen. Es geht darum, deutlich zu machen, welchen
Einfluss diese Kanäle auf den Arbeitsalltag haben können. Sie bieten Chancen, etwa um
die Bevölkerung in die Gestaltung von Sicherheit einzubinden, erfordern aber auch Ver-
antwortung. Polizistinnen und Polizisten sollten vorsichtig sein beim Teilen von Informa-
tionen in den Netzwerken. Sie sprechen nicht nur als Privatpersonen, sondern immer
auch für die Sicherheitsbehörde – dieser Umstand sollte jeder Einzelnen und jedem Ein-
zelnen bewusst sein.
Einen großen Vorteil haben die sozialen Medien bei der Rekrutierung von neuen Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie bieten die Möglichkeit, die Zielgruppe zu erreichen
und motivierte und engagierte Menschen für den Polizeiberuf zu begeistern. Aber auch
in diesem Bereich bedarf es Ihrer Mitarbeit, liebe Kolleginnen und Kolleginnen. Denn Sie
sind unsere besten Werbeträger und Multiplikatoren für die spannende Vielfalt, die unser
Tagesgeschäft mit sich bringt.
Dr. Gerhard Pürstl
Landespolizeipräsident
E
7POLIZEI Juli – September 2018
MAGAZIN
50 Jahre später: Die Kollegen der Kameradschaft, die im Herbst 1968 in die Wiener Polizei eintraten und als „Vier im Jeep“ fuhren, trafen sich im Kriminalmuseum wieder.
DIE VIER IM JEEP
DIE POLIZEI IN WIENL E B E N R E T T E N M I T P U L S
DEFIS VON „PULS“
„Schnell bei der Hand – schnell am
Herzen. Das Einzige, was man mit De-
fis falsch machen kann, ist, sie nicht zu
verwenden“, sagte Rätin Mag. Ines
Bürger bei der Übernahme von drei
Defis vom Verein „Puls“ auf der Do-
nauinsel. Bei der Wiener Polizei sind
mittlerweile 101 Fahrradpolizistinnen
und -polizisten unterwegs. Acht vom
Verein Puls gespendete Defis sind im-
mer mit dabei und einsatzbereit.
„Die Sicherheit der Wienerinnen
und Wiener liegt mir am Herzen“, sag-
te Landtagsabgeordneter Harry Ko-
pietz, Präsident von „Puls“. Seit Beginn
des Projekts vor vier Jahren überleb-
ten mehr als 500 Menschen durch das
Eingreifen der Polizistinnen und Poli -
zis ten einen plötzlichen Herzstillstand.
Darunter viele junge Menschen.
Bei Notrufen mit Verdacht auf
Herzstillstand, die in der Rettungsleit-
stelle eingehen, wird neben den Ret-
tungskräften die Polizei als Ersthelfe-
rin verständigt. Wenn Polizisten vor
der Rettung vor Ort sind, können sie
bereits effektiv helfen. „Durch die
Ausstattung der Wiener Polizei mit
Defibrillatoren und die Einbindung
der Beamtinnen und Beamten in die
Rettungskette konnte die Überle-
bensrate bei plötzlichem Herztod sig-
nifikant erhöht werden“, betonte Dr.
Mario Krammel, Oberarzt der Berufs-
rettung Wien und geschäftsführender
Präsident von „Puls“.
Infos unter www.puls.atFotos: Harald Seyrl, Verein PULS
Neue Defis für die Fahrradpolizei: Dr. Ma-rio Krammel führt ihre Bedienung vor.Als im Herbst 1968, also vor 50 Jah-
ren, ein neuer Jahrgang in die Polizei-
schule eintrat, wussten die jungen
Männer noch nicht, welche ungewöhn-
liche Aufgabe ihnen in ihrer Polizei-
schulzeit neben der normalen Ausbil-
dung auferlegt werden sollten. Vorerst
unter dem Siegel der Verschwiegenheit
wurde ihnen von der Dienstführung
mitgeteilt, dass sie auserkoren seien, im
darauffolgenden Jahr (1969) als Kom-
parsen bei den großen Jubiläumsfeiern
„100 Jahre Wiener Sicherheitswache“
mitzuwirken. Neben Strafrecht und
Straßenverkehrsordnung wurden his -
torische Uniformen probiert, Helme an-
gepasst, Säbel gegürtet und der
Marschschritt längst vergangener Peri-
oden geübt. Besonders begehrt aber
war der geplante
Auftritt der „Vier im
Jeep“, der damals
noch in starker Erin-
nerung gebliebe-
nen alliierten Mi-
litärstreife, wie man
sie bis zum Staats-
vertrag im Jahre
1955 täglich in den Straßen von Wien
gesehen hatte. Hier war eine authenti-
sche Darstellung natürlich besonders
wichtig, da die Erinnerung an das „Ori-
ginal“ beim Publikum noch deutlich
vorhanden war. Als der große Tag ge-
kommen war und die „Vier im Jeep“
wieder in den Straßen der Stadt er-
schienen, hatte wohl so manch ein Zu-
seher in der Menge das angenehme
Gefühl, dass die ehemals so gefürchte-
ten Militärpolizisten in Wirklichkeit bra-
ve Wiener Polizeischüler waren und die
Zeit der echten „Vier im Jeep“ längst
der Vergangenheit angehörte.
Im Frühling 2018 trafen sich die ehe-
maligen Polizeischüler der Kamerad-
schaft 4/68 nach einem halben Jahr-
hundert im Kriminalmuseum zu einem
umfangreichen
Wien-Programm
wieder. Längst ge-
nießen die älteren
Herrn nach vielen
Dienstjahren ihren-
Ruhestand – ver-
streut über ganz
Österreich.Die „Vier im Jeep“ prägten das Stadtbild.
STANDPUNKT
Landespolizeidirektion Wien8
SEELSORGE
HELFEN IST MEHR,ALS PFLASTER ZUKLEBEN
Seit nunmehr acht Jahren darf ich als
evangelischer Polizeiseelsorger die
Dienststellen im Bereich der Landespoli-
zeidirektion Wien besuchen, nun darf ich
mich auch einmal direkt bei allen jenen
vorstellen, die ich leider noch nicht per-
sönlich kennenlernen durfte.
Einige Berufe habe ich ausprobiert,
bevor ich schließlich bei der Johanniter-
Unfall-Hilfe als Sanitäter landete. Es ist
ein Beruf, der mein soziales Engagement
voll erfüllte, und doch kam ich bald dar-
auf, dass Helfen mehr ist, als „Pflaster zu
kleben“. So begann ich, mich auf dem
zweiten Bildungsweg theologisch auszu-
bilden und wurde nach einiger Zeit Lek-
tor der Evangelischen Kirche A.B.; als Mi-
litärlektor der Miliz war ich dann jahre-
lang dem Militärkommando Wien zuge-
teilt, dort speziell den „RuB-Trupps “der
„AFRDU“ in der ABC-Truppenschule, hat-
te ich doch auch eine fundierte Sanitä-
ter-Ausbildung. Und dieses Thema, der
Mensch in schwierigen Lebenssituatio-
nen, bewegte und bewegt mich immer.
So bin ich auch Gründungsmitglied der
ökumenischen Notfallseelsorge und ha-
be diese zehn Jahre lang, bis zu meinem
Übertritt zur Polizei in Wien, geleitet.
Kirche und Einsatzorganisationenhaben mich mein Leben lang begleitet.
So kam es auch zur Berufung des Ober-
kirchenrates der Evangelischen Kirche
zum Polizeiseelsorger in Wien. Denn or-
ganisatorisch unterstellt bin ich der Kir-
che. Das BMI unterstützt meine vielfälti-
gen Tätigkeiten in vielfacher Form. An-
gestellt bin ich beim BMI aber nicht. Da-
her ist auch die Einhaltung der Schwei-
gepflicht in einer hierachischen Organi-
sationsstruktur kein Problem für mich.
Ich bin auch in keiner Form finanziell ab-
hängig, da Polizeiseelsorge ausschließ-
lich ehrenamtlich durchgeführt wird.
Beruflich bin ich in einer großen Ka-
rosseriebaufirma im Vertrieb tätig, dort
kümmere ich mich besonders um den
barrierefreien Umbau von Kraftfahrzeu-
gen, was wiederum viel soziales Gefühl
und Mitdenken erfordert. Und, wie könn-
te es anders sein, arbeite ich in unserer
Pfarrgemeinde Wien-Floridsdorf im Pres-
pyterium und als Lektor im Prediger-
team mit.
„In Freiheit und Verantwortung“, das
Motto des Reformationsjahres 2017, lässt
mir Freude und Zeit finden für diese un-
terschiedlichsten Tätigkeiten und gerne
lade ich jede und jeden zur Kontaktauf-
nahme ein.
Stefan Kunrath
Evangelischer Landesseelsorger
in Wien
Stellvertretender Bundeskurat Foto: privat
9POLIZEI Juli – September 2018
STANDPUNKT
M E N S C H & I C H
HEUTE SCHONZEITUNG GELE-SEN? WELCHE?
Klein- oder Großformat, Tages-, Wo-
chen- oder Monatszeitung, Qualitätsme-
dium, investigatives Medium, Fachzeit-
schrift? Und was hat man gelesen? Kom-
mentare, Berichte, recherchierte Artikel,
Kolumnen? Politik, Nachrichten, Ratge-
ber, Storys?
Eine große Auswahl gibt es an öster-
reichischen und internationalen Medien.
Gute Zeitungsläden haben eine große
Palette an Medien, nicht zu zählen die
Online-Ausgaben im Internet. Für uns in
Österreich eine Selbstverständlichkeit.
Was hat das mit Menschenrechten zu
tun?
„Pressefreiheit“ ist ein Grund- und
Freiheitsrecht, das wir so selbstverständ-
lich konsumieren – täglich – und doch
reflektieren wir es kaum.
1848 im Zuge der Revolution gegen
Staat und den damaligen Staatskanzler
Fürst Klemens Wenzel Lothar von Metter-
nich war eine wesentliche Forderung das
Bürgerrecht nach einer „freien Presse“.
Medien und Macht. Die Medien wer-
den pointiert als vierte Macht im Staat
bezeichnet. Dass diese „Macht“ der Poli-
tik manchmal ein Dorn im Auge ist, ist
nicht verwunderlich. „Macht“ ist – ver-
antwortungsbewusst gehandhabt – ein
wichtiges Regulativ.
Medien haben in einer demokrati-
schen Gesellschaft Verantwortung. Und
diese Verantwortung zeigt sich im indivi-
duellen Persönlichkeitsschutz, aber vor
allem in der berufsethischen Verpflich-
tung der Öffentlichkeit – und damit dem
Leser und der Leserin – qualitative und
recherchierte Artikel zu liefern, zu hinter-
fragen, aufzuzeigen. Sie haben die Auf-
gabe, den „Mächtigen“ auf die Finger zu
schauen. Das tut manchmal weh, ver-
stört, ärgert – aber das Recht auf freie
Meinungsäußerung ist ein demokratisch
hohes Gut.
1848 sind Menschen für dieses
Grund recht gestorben.
Heute sterben Journalistinnen und
Journalisten in ihrem Job, werden ent-
führt, verhaftet oder werden vermisst.
Heute gibt es Länder, wo Redaktionen
staatlich geschlossen, Medien verboten
und andere Meinungen nicht zugelassen
werden.
Auch wenn es manchmal weh tut, las-
sen wir uns diese „Freiheit“ nicht neh-
men!
Und wenn man sich über einen Be-
richt auch ärgert, sehen wir das Ganze.
Reflektieren wir, was es bedeuten würde,
wenn der Kiosk nur eine staatliche Zei-
tung zu verkaufen hätte.
Übrigens: Was tun Sie denn gerade?
Friedrich Kovar
L
Foto: LPD
Wien
Landespolizeidirektion Wien10
PORTRÄT
us diesem jungen Inspektorkönne noch etwas werden,wenn man ihn nur arbeitenlasse, war eines Tages An-fang der 1980er-Jahre in der
Kronenzeitung über Inspektor MichaelLepuschitz zu lesen. Der junge Beamteaus der Wilhelminenstraße im 16. Be-zirk hatte während der Schulwegsiche-rung einen Streit zwischen zwei Bubengeschlichtet. Einer der Burschen hattebehauptet, der andere hätte ihm dasFahrrad gestohlen. „Ich habe damalsdie Pkws vor dem Schulweg anhaltenund warten lassen müssen“, schildertDr. Michael Lepuschitz. In die Kronen-zeitung schaffte es der junge Inspektor,weil sich unter den Angehaltenen derDienstwagen des Wiener Polizeipräsi-denten Dr. Karl Reidinger und dessenChauffeurs befunden hatte. Der Präsi-dent hatte sich über die Blockade ausden eigenen Reihen natürlich echauf-fiert. „Natürlich“ war auch, dass sichMichael Lepuschitz intern rechtferti-gen musste.„Ins Präsidentenbüro zitiert zu wer-
den, war immer mit einem erhöhten
Pulsschlag verbunden“, erzählt Lepu-schitz. „Das war auch später so, als ichzum Beispiel schon Leiter des Krimi-nalbeamteninspektorats war.“ Auchzum damaligen Polizeipräsidenten Dr.Günther Bögl geholt zu werden, sei mitvermehrtem Adrenalin im Blut ver-bunden gewesen.
Landespolizeivizepräsident. Dr.Michael Lepuschitz ist seit 1. April2018 auf der anderen Seite desSchreibtisches. Gespräche mit Mitar-beitern führt er allerdings in bewusstruhigerer Atmosphäre, zumal schon al-lein der Zigarettenrauch bei ihm fehltund für ein besseres Raumklima sorgt.Lepuschitz begann als Inspektor, wur-de Polizeioffizier, Polizeijurist undwechselte als Vizepolizeipräsidentzurück ins E1-Schema als General.Michael Lepuschitz trat nach der
Matura am 1. Dezember 1979 in dieWiener Polizei ein. Fast gleichzeitig in-skribierte er an der Universität WienJus. Der Polizeiberuf diente ihm der Fi-nanzierung des Studiums. Lepuschitzbezeichnet sich als „begeisterten Wie-
ner“, wenngleich er die ersten 14 Jahreseines Lebens großteils in wechselndenWohnorten verbrachte. Wahlentschei-dend bei der Wohnungssuche der Fa-milie Lepuschitz war die Bahnhofs-nähe. Sein Vater war Eisenbahner. Dasverschlug die Lepuschitz’s unter ande-rem nach Kärnten. Ab der Oberstufeblieb Michael Lepuschitz aber ortsfest
„Mich kann hier
A
Michael Lepuschitz ist seit 1. April 2018 als Landespoli-
zeivizepräsident Nachfolger von Karl Mahrer im Ge-
schäftsbereich A. Er begann als Inspektor im 16. Bezirk
und war zuletzt Stadthauptmann im 10. Bezirk.
Foto: Ferdinand Germadnik
in Wien-Leopoldstadt. Er maturierteam „Neusprachlichen Gymnasium“ inder Zirkusgasse.Nach der Polizeischule wurde In-
spektor Lepuschitz nach Ottakring zu-geteilt. „Das war damals ein hartesPflaster“, erinnert er sich. Es war einPflaster, auf dem er mehrmals auf-schlug. „Ich bin in meinen ersten zwei
Außendienstjahren dreimal verletztworden, meistens bei Wirtshausraufe-reien“, erzählt der Landespolizeivize-präsident. Zudem erlitt er in dieserZeit dreimal bei Verkehrsunfällen imFunkwagen Verletzungen.Michael Lepuschitz absolvierte
während der Polizeischule den erstenStudienabschnitt mit der ersten Staats-
prüfung, den zweiten in seiner Wach-zimmerzeit und den dritten neben demOffizierskurs (damals W1-, heute E1-Kurs) 1984/85 in der damaligen Gen-darmeriezentralschule in Mödling. Eswar ein Kurs mit heute hohem Be-kanntheitsgrad: Unter anderem warenmit Michael Lepuschitz in der Offi-ziersausbildung Anton Leisser, heute
11POLIZEI Juli – September 2018
PORTRÄT
nichts überraschen“
Landespolizeidirektion Wien12
PORTRÄT
POLIZEI: Was wird Ihre Hauptheraus-
forderung in den nächsten Jahren als Lan-
despolizeivizepräsident im Geschäftsbe-
reich A sein?
Dr. Michael Lepuschitz, MA: AlsThema Nummer eins wird uns in dennächsten Jahren die Altersstruktur inder Polizei beschäftigen. Wir habenviel zu viele unterbesetzte Dienststel-len in Wien und die Altersstruktur istin manchen Bereichen nicht in Ord-nung. Wir haben in Kriminaldienst-stellen einen zu hohen Altersschnittund durch die vielen Neuzugänge inden letzten Jahren haben wir zu raschverjüngte Dienststellen. In manchenPolizeiinspektionen sind Kolleginnenund Kollegen mit 25 Jahren für dieBetreuung 22-jähriger Polizeischüle-rinnen und -schüler verantwortlich.Bis 2022 sind wir mit einer großenZahl an Abgängen konfrontiert. Hierdroht uns Know-how verloren zu ge-hen.
Was wird dagegen getan?
Lepuschitz: Es gibt seitens des In-nenministeriums einige Überlegun-gen, den Wissenstransfer sicherzustel-len. Aber leicht wird das nicht. Dasist auch eine Sache der Generationenallgemein. Wir bekommen mit denjungen Kolleginnen und Kollegenenormes Know-how und technischeBegabung in die Organisation herein.Auf der anderen Seite ist in dieserGeneration vielleicht nicht so dasVerständnis vorhanden, beispielswei-se mit abgebrühten Tätern richtigumzugehen. Oder: Wie schaffe ich esin einer Vernehmung, einen Verdäch-tigen in Widersprüche zu bringen?Das kann man nur bis zu einem ge-wissen Grad in Vernehmungssemina-ren lehren.
Werden Sie organisatorisch etwasin der Wiener Polizei verändern?
Lepuschitz: Wenn sich unsere Um-welt verändert, müssen auch wir unsals Polizei verändern. Das ist ein lau-
fender Prozess, der Hand in Handgeht. Wenn wir sehen, dass es kaummehr Banküberfälle gibt, weil sichder Geldverkehr in die virtuelle Weltverlegt, und wenn gleichzeitig dortdie Deliktszahlen steigen, werden wirauch organisatorisch reagieren müs-sen und weniger in die Raubauf-klärung investieren als in dieBekämpfung der Cyber-Kriminalität.
In letzter Zeit war es öfters Thema,die Außenstellen des Landeskriminal-amts zu Schwerpunktdienststellen zumachen.
Lepuschitz: Das halte ich für vor-stellbar. Ich habe einmal ein Konzeptgeschrieben, in dem es darum gegan-gen ist, den Außenstellen Delikts-kompetenz zu geben. Das könnteman umsetzen.
Immer wieder ist die Rede davon,wieder Kriminalbeamtenkurse einzu-führen. Wie stehen Sie dazu?
Lepuschitz: Ich finde es unbedingtnotwendig, wieder eine Kriminalbe-amten-Grundausbildung einzuführenund sie aus der allgemeinen E2a-Aus-bildung herauszulösen. Kriminalpoli-zisten brauchen eine andere Ausbil-dung als dienstführende Beamte, dieFührungsaufgaben in Polizeiinspek-tionen erledigen.Außerdem macht es das aktuelle
Sys tem für das Landeskriminalamtschwer, sein Personal im Voraus zuplanen, wenn man nicht genau weiß,wie viele Kolleginnen und Kollegen
aus dem E2a-Kurs in den Kripo-Be-reich kommen. Wir müssen unsereOrganisation in ihren Kernaufgabenfit machen für die Zukunft. Die Kri-minalpolizei ist einer der Kernberei-che.
Wie geht es mit GEMEINSAM.SI-CHER weiter?
Lepuschitz: Hier gibt es zweiDenk richtungen: die eine, wonach je-de Polizistin und jeder Polizist alsdritte Säule neben Repression undPrävention Community-Policing-Auf-gaben übernehmen sollte, die andere,wonach es spezialisierte Koordinato-rinnen und Koordinatoren sowieGrätzelpo li zis tinnen und -polizistengeben soll. Die erste Variante lässtsich mit dem derzeitigen Personal-stand nicht umsetzen. Daher müssenwir beim bestehende Muster bleiben,mit eigenen Grätzelpolizistinnen und-polizis ten.
Was wollen Sie in fünf Jahren er-reicht haben, wenn Sie sich für eineWiederbestellung bewerben?
Lepuschitz: Wien hat lange Zeitals sicherste Stadt gegolten. DiesenStellenwert hat Wien verloren. Wirhaben zwar rückläufige Krimina-litätszahlen, aber die Menschen emp-finden das nicht mehr. Eines meinererklärten Ziele ist es daher, Wienwieder auf dieses hohe Niveau dergefühlten Sicherheit zurückzuführen.Ein zweites Ziel ist ein persönli-
ches: Wenn ich derzeit in Sitzungenund Besprechungen gehe, habe ichdas Gefühl, dass mir die Kolleginnenund Kollegen einen hohen Vertrau-ensvorschuss entgegenbringen – seies innerhalb der Landespolizeidirek-tion, im Innenministerium, in derStadtverwaltung oder extern. Wennmir in fünf Jahren dieses Vertrauenimmer noch entgegengebracht wird,habe ich irgendetwas richtig gemacht.Das würde mich freuen und das wäreetwas, auf das ich stolz wäre.
„WIEN SOLL WIEDER ALS SICHERSTE STADT WAHRGENOMMEN WERDEN“Landespolizeivizepräsident Michael Lepuschitz möchte die gefühlte Sicherheit der Menschen zurückerobern
Ich finde es notwendig, wieder eine Krimi-
nalbeamten-Grundausbildung einzuführen.
Foto: Ferdinand Germadnik
Stadtpoliziekommandant (SPK) im 11.Bezirk, Karl-Heinz Zeiler, SPK in Wien 2 und 20, Herbert Paschinger,SPK für die Bezirke 4, 5 und 6, KurtKemeter, SPK von Graz, Kurt Hager,Abteilungsleiter im Innenministerium,und Franz Schnabl, später Generalin-spektor, dann Sicherheitschef beiFrank Stronachs Magna und heutestellvertretender Landeshauptmann inNiederösterreich.
Leutnant Lepuschitz. Anfang 1986musterte Michael Lepuschitz als Leut-nant in den 16. Bezirk aus. Wenige Mo-nate später schloss er das Jus-Studiumab. Er blieb vorerst im Offiziersrang,lotete aber schon Möglichkeiten inRichtung Konzeptsdienst aus. „AlsLeutnant mit 27 Jahren war es durch-aus eine Herausforderung, mich beialteingesessenen Wachkommandantenzu behaupten, vor allem weil ich sienoch als eingeteilter Beamter kennen-gelernt habe“, erinnert sich MichaelLepuschitz. Nach zwei Jahren in der„Sicherheitswache-Abteilung Otta-kring“ wurde er in das Generalinspek-torat berufen.Ende 1988 wechselte er in den
„rechtskundigen Dienst“ und wurde Po-lizeijurist. Nach der Einschulungsphaseim 18. und 19. Bezirk wechselte er in diePräsidialabteilung der Bundespolizeidi-rektion Wien, in das Büro für Organisa-tion, Rechtsfragen und Dienst aufsicht.Er war unter anderem für das Verfassenvon Dienstanweisungen zuständig. „Eswar die Zeit, in der wir in der Polizeidi-rektion an insgesamt hundert Projektengleichzeitig gearbeitet haben“, berichtetLepuschitz. Als Organisationsreferenthatte er selbst etwa dreißig davon zuleiten.Mit 1. April 1994 wurde Michael
Lepuschitz Leiter des Kriminalbeam-teninspektorats (KI), zuständig für denWachkörper der Kriminalpolizei. FranzSchnabl wurde wenig später Leiter desGeneralinspektorats (GI) des damali-gen Wachkörpers Sicherheitswache,der uniformierten Polizei in Wien.Für Michael Lepuschitz war die
Ausgangsposition schwierig: „MeineNachteile im Kriminalbeamten-Korpswaren: Ich bin erstens aus der Sicher-heitswache gekommen und war zwei-tens Jurist“, sagt er. Ersteres brachteihm Geringschätzung bei vielen Krimi-nalbeamten ein, weil er nicht aus demKriminalbeamten-Korps gekommenwar, und Juristen galten damals untervielen Kriminalbeamten prinzipiell alsFeindbild.Sein dritter Schwachpunkt war: Er
hatte nicht nur Reformvorhaben um-zusetzen, er hatte auch eigene Ideen.„Ich habe mir damals vorgestellt, es
müsse doch so etwas wie eine Leis -tungskontrolle auch bei Kriminalbe-amten geben können“, erinnert er sich.Er führte „KI-Kontrollen“ ein, analogzu „GI-Kontrollen“, bei denen leitendeBeamte Kripo-Streifen und Kripo-Dienststellen mit Überraschungsbesu-chen beglückten. Mit einem Leistungs -controlling wollte Lepuschitz Ergebni-sorientierung in der Wiener Kriminal-polizei einführen. „Aus Sach- sind auchpersönliche Konfrontationen entstan-den“, erzählt Lepuschitz. Es wurdenLehrjahre, keine Herrenjahre.Im Jahr 2000 promovierte Michael
13POLIZEI Juli – September 2018
PORTRÄT
Michael Lepuschitz: Vom Imspektor zum Leutnant und letztlich zum General.Foto: Ferdinand Germadnik
Lepuschitz zum Dr. jur. und 2002 fielseine Position der ersten Wiener Kri-po-Reform zum Opfer. Er ging aufReisen: Im damals neu entstandenenBundeskriminalamt wandte er sich in-ternationalen Aufgaben zu. Auch Eu-ropol entstand damals. Er war in DenHaag, als die europäische Polizeibehör-de von der Vision zur Mission wurde.Lepuschitz bewarb sich für die Stelledes Vizedirektors von Europol, kamaber nicht zum Zug. Zurück in Wien,hatte er 2003 die Aufgabe, die Bezirks-polizeikommissariate Meidling undHietzing zusammenzuführen zum Poli-zeikommissariat Meidling. Das dauerteetwa sechs bis acht Wochen. Im Okto-ber 2003 wurde er Stadthauptmann inWien Favoriten und kam in stabilereGewässer für die nächsten 15 Berufs-jahre.
Suche nach Herausforderungen.Parallel zu seiner Berufskarriere warMichael Lepuschitz immer wieder aufder Suche nach Herausforderungen.„Ich habe Anfang der 1990er-Jahre im-mer wieder kritisiert, dass Polizisten inden Medien eher unprofessionell auf-getreten sind“, schildert Lepuschitz.„Daraufhin habe ich den Auftrag be-kommen, das zu ändern.“ Lepuschitzließ sich zum Kommunikationstrainer
ausbilden. Das umfasste eine Sprech -technikausbildung, unter anderem beidem damals bekannten Rundfunkspre-cher und Sprachtrainer Viktor Hand-los. Seit dieser Zeit war Michael Lepu-schitz Rhetoriktrainer in diversen Aus-bildungen der Polizei und der Sicher-heitsverwaltung. Ende der 1990er-Jah-re entwickelte er mit Dr. Leo Lauberdas Design für ein eigenes Interview -training für Polizisten. Mitte der2000er-Jahre kam für Lepuschitz dieTätigkeit als Führungskräfteausbildnerhinzu. Lepuschitz wurde Mitglied imTrainerteam der Sicherheitsakademiefür die Trainings „Führen mit Verant-wortung“ vorwiegend für E1- und E2a-Beamte. Sein letztes Training dieserArt führte er im März 2018 mit E2a-Führungskräften in Kefermarkt imSchloss Weinberg.„Neben meiner neuen Funktion als
Landespolizeivizepräsident wird sichdas künftig nicht mehr ausgehen“, sagter. „Diese Trainings haben mir aber fürmeine eigene Führungspraxis viel ge-bracht.“ Abgesehen davon, habe er inder Trainerfunktion zahllose Führungs-kräfte in ganz Österreich kennenge-lernt.Insgesamt deckt er eine breite Pa-
lette im Polizeispektrum ab. „Ich habeden Dienst im Wachzimmer kennenge-
lernt, die Arbeit als leitender und spä-ter als rechtskundiger Beamter, die Ar-beit als Sprecher der Polizeikommissa-riate in Wien und als Leiter des Krimi-nalbeamteninspektorats auch den Kri-minaldienst. So gesehen, kann michhier als Landespolizeivizepräsidentkaum mehr etwas so überraschen, dassich es nicht bewältigen könnte“, sagtLepuschitz.Seit 2005 ist Michael Lepuschitz ne-
ben- und ehrenamtlich Vizepräsidentdes Weißen Rings. Präsident ist derpensionierte Jugendrichter Dr. Udo Je-sionek. „Das ist etwas, in das ich meinHerzblut investiere, weil ich hier dasGefühl habe, dass sofort Hilfe geleistetwird“, sagt Lepuschitz. „Wenn jeman-dem nach einem Bankanschlussraubdurch Lebensmittelgutscheine unmit-telbar geholfen werden kann, ist dasetwas Wunderbares.“ Der Weiße Ringwerde aber auch zunehmend zum Zeit-problem für Lepuschitz in seiner neuenFunktion als Landespolizeivizepräsi-dent. „Zu den vierteljährlichen Vor-standssitzungen schaffe ich es regel-mäßig, zu den Sitzungen des Exekutiv-Komitees aber nur unregelmäßig. Wasmir dort aber besonders gefällt, ist die-ses Miteinander, und zwar für einhöheres Ziel, nämlich Menschen un-mittelbar Hilfe und Unterstützung zugeben.“
Herausforderungen in seiner neuenFunktion sieht er in der Kriminalitäts-bekämpfung und in der Verhinderungvon Terroranschlägen. „Wir sind miteiner permanenten – wenn auch nurabstrakten – Terrorgefahr konfron-tiert“, sagt Lepuschitz. „Wir lernenderzeit sehr viel daraus, wie andere Po-lizeiorganisationen in anderen Län-dern mit Terroranschlägen umgehen.Aber in der Prävention sind uns Gren-zen gesetzt. Wir können nicht dieganze Stadt zupollern.“ Zudem könn-ten sich die Terroristen umstellen, sodass Poller allein keine Wirkung zeig-ten. „Es wird aber trotzdem einer mei-ner Schwerpunkte in der nächstenZeit, mit dem Problem umzugehen.“
Landespolizeidirektion Wien14
PORTRÄT
Parallel zu seiner Berufskarriere war Michael Lepuschitz immer wieder auf derSuche nach Herausforderungen; er absolvierte dafür auch Ausbildungen.
Foto: Ferdinand Germadnik
Landespolizeidirektion Wien16
PI-PORTRÄT
icardo B., 57,war Musikerund in der Dro-genszene derDonaustadt (22.
Bezirk) in Wien kein Un-bekannter. Im Mai 2010fand man seine Leicheneben der Höllenthal-straße im Raxgebiet. DerMann war gefoltert, miss -handelt und ermordetworden. Tödlich war einSeil um den Hals inKombination mit Schlä-gen, durch die ihm unteranderem der Kinnkno-chen zertrümmert wor-den war, was dazu führte,dass er erstickte.„Die Kollegen vom Landeskrimi-
nalamt Niederösterreich haben bei unsermittelt“, erinnert sich AndreasMann, Grätzlpolizist in der Polizeiin-spektion (PI) Langobardenstraße inWien-Donaustadt. „Ich habe mich gutan Ricardo erinnern können, habe ge-wusst, wo er verkehrt , mit wem er un-
terwegs war.“ Andreas Mann kanntedie Lebensgeschichte von Ricardo B.sehr genau. Der Polizist nützte seineVerbindungen zu den Leuten in seinemRayon. Er gab den Kollegen vom LKANÖ die entscheidende Informationüber einen Mann, mit dem Ricardo B.des Öfteren unterwegs war.Andreas Mann erfuhr anfangs einen
Vornamen und eine Per-sonenbeschreibung. Erfand heraus, dass RicardoB. zuletzt mit einemMann gesehen wordenwar, mit dem er etwazehn Jahre zuvor im Ge-fängnis gesessen hatte.Er soll mit diesem Mannin Drogengeschäfte ver-wickelt gewesen sein. ImDezember 2010 schlugendie Beamten des LKAsNÖ zu. Sie verhaftetendrei Männer, die RicardoB. getötet hatten.
Entführung an einerTankstelle. Ricardo B.
war an einer Tankstelle an der Hirsch-stettnerstraße im 22. Bezirk von zweiMännern überwältigt, in ein Auto ge-zerrt und entführt worden. Ein Pan-nenfahrer eines Automobilclubs hattedas beobachtet und die Polizei gerufen.Als die Streife kam, war von den Män-nern keine Spur mehr. Videoauswer-tungen erbrachten kein Ergebnis. Spä-
Im Zentrum am Stadtrand
R
Im März übersiedelten die Beamten der Polizeiinspektion Langobardenstraße 128 auf Hausnummer
174 in eine zeitgemäße Dienststelle. „Viktor 5“ zählt zu den höchstbelasteten Funkwägen der Stadt.
Inspektionskommandant Helmut Kopic: „Unser Funkwagen ‚Viktor5’ zählt heute zu den am meisten belasteten Funkwägen der Stadt.“
Foto: Bernhard Elbe
ter wurde die Leiche Ricardos gefun-den.Die beiden Entführer, ein 27-jähri-
ger Wiener Hobbyboxer und ein 44-jähriger Kleinkrimineller, wurden aus-geforscht. Sie waren vom „Geschäfts-freund“ Ricardo Bs., einem 53-jährigenWiener, angeheuert worden. Dieserhatte das Opfer beschuldigt, ihm10.000 Euro aus gescheiterten Drogen-geschäften zu schulden.Die beiden Angeheuerten hatten
Ricardo B. nach dem Kapern an derTankstelle in Wien 22 in ein Haus beiSchwechat gebracht. Sie wollten dieEntführung nützen, um von der Mutterdes Opfers Geld zu erpressen. AmDachboden des Gebäudes fesselten sieden 57-Jährigen an einer Querstangeund misshandelten ihn, bis er tot war.Danach brachten sie seine Leiche zurHöllenthalstraße und warfen sie übereine Böschung den Berg hinunter. Die
drei Männer wurden im Mai 2011 zuHaftstrafen zwischen zehn und zwan-zig Jahren verurteilt.
Vier Aktenordner. Gruppeninspek-tor Andreas Mann hat in vier Akten-ordnern Berichte über aufsehenerre-gende Amtshandlungen gesammelt, dieer geführt hat. Darin befindet sich dieGeschichte eines Mannes, der seinHaus in die Luft gesprengt hat, ebensowie ein flammender Brief eines notori-
schen Arbeitslosen, der über die Zeiteinen Zahlungsrückstand (inklusiveVerwaltungsstrafen) von 250.000 Schil-ling (ca. 18.000 Euro) angesammelthatte. In dem Schreiben hatte er demStrafamtsleiter erklärt und genau auf-geschlüsselt, wie es zu seiner Finanzmi-
sere gekommen war. Andreas Mannhatte als „Kontaktbeamter“ („KoB“)die Aufgabe, die Räumung der Woh-nung des Klienten umzusetzen.Mann ist der dienstälteste eingeteil-
te Beamte der PI Langobardenstraße.„Wir sind 1996 aus einer Expositur derQuadenstraße – damals in einer Gar-conniere in der Langobardenstraße25 – in das damals neue WachzimmerLangobardenstraße 128 als eigenstän-dige Dienststelle übersiedelt“, schil-
dert Mann. In den ersten zweieinhalbJahren war die Langobardenstraße ein„Fußwachzimmer“, also ohne Funkwa-gen. Zum Rayon gehörten ein paarWohnblöcke und viel Grünfläche. DieInfrastruktur war mit ein, zwei Auto-bussen der Stadt abgedeckt sowie mit
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PI-PORTRÄT
Frisch gesiedelt – von der Langobardenstraße 128 auf 174: Robert Obermayer, Doris Simon, Markus Reiner, AndreasMann, Karl Mayer, Helmut Kopic, Markus Müller, Nicole Hriza.
Zum Rayon haben damals ein paar Wohnblöcke gehört –
und viel Grünfläche.
Foto: Bernhard Elbe
der Straßenbahnlinie 26. „Heute hatunser Einzugsbereich über 37.000 Be-wohner“, schildert PI-KommandantHelmut Kopic. „Unser Funkwagen‚Viktor 5’ zählt zu den am meisten be-lasteten Funkwägen der Stadt. Durchdie U-Bahn-Anbindung durch die U2haben wir eine hohe Fremdbelastung.“Das bedeute, oft werden Anzeigen inder PI Langobardenstraße erstattet,bloß deshalb, weil die Leute hier aus-steigen und hier beispielsweise bemer-ken, dass ihnen die Geldbörse in derU-Bahn gestohlen worden ist.Die Polizeiinspektion ist Anfang
des Jahres aus der Langobardenstraße128 auf Nummer 174 umgezogen, in ei-ne zeitgemäße und den Ansprüchenentsprechende Dienststelle. „Die neueDienststelle ist fast zweimal so großwie die alte“, sagt Chefinspektor KarlMayer, stellvertretender PI-Komman-dant. „Es ist eine Riesenentlastung füruns“, betont er. „In der alten Dienst-stelle hat man sich mitunter um einenArbeitsplatz anstellen müssen. Hier, inder neuen PI, haben wir eigene Ver-nehmungszimmer und eine optimaleAusstattung.“Ein großer Teil des Rayons der PI
Langobardenstraße wird immer nochvon Grünflächen abgedeckt. „Unsere
Kollegen kennen sich hier aber gutaus“, betont Chefinspektor HelmutKopic. „Ortskenntnisse sind wichtig,weil wir es oft mit Abgängigen zu tunhaben, die aus dem Donauspital oderaus dem Geriatriezentrum vermisstwerden.“ Immer wieder wird in Such-aktionen einer der Polizeihubschrau-ber angefordert. „Wenn es dann aberniemanden gibt, der sich unten aus-kennt, nützt der Hubschrauber wenig“,sagt Kopic. Bei den Abgängigen han-delt es sich oft um Demenz-Erkrankte.Vor einiger Zeit verirrte sich eineSchülergruppe in der Lobau. Sie wurdevom Hubschrauber aus gesichtet.
Ungünstige Altersstruktur. Die Al-tersstruktur der Besatzung der PI Lan -go bardenstraße ist nicht unproblema-tisch. „Wir haben rund ein Drittel älte-re Kolleginnen und Kollegen – Grup-peninspektoren – und zwei Drittel jun-ge – die meisten sind noch Inspektorin-nen und Inspektoren, also weniger alssechs Jahre bei der Polizei“, sagt Hel-mut Kopic. „Im Mittelbau sind wirschwach besetzt.“ Das heiße, die Pen-sionswelle in ein paar Jahren könntedie PI Langobardenstraße voll treffen.Systemisiert sind in der Polizeiinspekti-on 60 Planstellen, 35 Beamte stellen
den Ist-Stand, die übrigen sind groß-teils in Spezialdienststellen zugeteilt.Andreas Mann zählt zum Drittel
der älteren Kollegen. Er trat im August1982 in die Polizei ein, wurde im Fe-bruar 1984 in die „Sicherheitswacheab-teilung“ Donaustadt ausgemustert undbegann im Wachzimmer Schüttau -straße, Dienst zu versehen. Danachkam er in das Wachzimmer Wimpffen-gasse; nachdem dieses geschlossen wor-den war, in die Rosenbergstraße undvon dort 1996 in die Langobarden-straße. Helmut Kopic kam 1996 mitihm in das neue Wachzimmer in derLangobardenstraße 128 als ersterWachkommandant. Kopic ist seit 1977bei der Polizei und auch er versah aus-schließlich im 22. Bezirk Dienst: abSeptember 1978 in der Quadenstraße,mit Jänner 1985 musterte er als E2a-Beamter nach Kaisermühlen aus, wur-de 2004 stellvertretender Kommissa-riatswachkommandant, kam 2005 indie PI Rosenbergstraße (die heutigeSonnenallee in der Seestadt Aspern)und wurde 2011 Kommandant in derPI Langobardenstraße.
Der letzte Moped-Polizist Wiens.2010 musste Andreas Mann sein„Steckenpferd“ abgeben: sein Dienst-
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PI-PORTRÄT
Karl Mayer und Helmut Kopic: Die U-Bahn-Station Donauspital an der U2bringt den Polizisten der PI Langobardenstraße einiges an „Fremdbelastung“.
Markus Müller, Andreas Mann sind„GEMEINSAM.SICHER“.
Fotos: Bernhard Elbe
Moped, eine „Piaggio Fly 50“. „Er wardamit der letzte Moped-Polizist vonWien“, sagt Kopic. „Am Schluss hat dieBehörde keine Reparaturen mehr be-zahlt“, erinnert sich Andreas Mann.„Da haben wir sie auf eigene Faust undRechnung selber reparieren lassen.“Das Moped leistete ihm gute Diensteauf Streifenfahrten durch die Lobau.Mann nützte es für Fahrten in Sachen„Kontaktbeamter“. Als solcher war erwie geschaffen für die Initiative „GE-MEINSAM.SICHER“.Hier hält er zum Beispiel viermal
pro Jahr „Sprechstunden“ in einemGasthaus ab. Dabei wird er mit Pro-blemchen und Problemen aller Artkonfrontiert – vom Mistsackerl vor derWohnungstür am Gang über Geruchs-belästigungen durch Katzen und Nach-barschaftskonflikte in sämtlichen Aus-prägungen. Er gibt die Beschwerdenan seine Kolleginnen und Kollegenweiter, wenn es zum Beispiel darumgeht, die Zahl der Streifenfahrten inbestimmten Gebieten aufzustocken.Des Öfteren sind „Sicherheitsbege-
hungen“ in Sozialbauten die Folge der„Sprechstunden“ von Andreas Mann.Er erklärt dabei den Hausparteien, wiesie ihre Wohnungen und Keller vorEinbrechern schützen können und wie
sie ihre Konflikte untereinander in denGriff bekommen könnten.Auch bei der jährlich stattfindenden
Blutspende-Aktion vor der PI Lango-bardenstraße ist Andreas Mann an vor-derster Front mit dabei. Heuer gab esdie Aktion zum 22. Mal. Jedes Jahrwerden etwa 140 Blutspenden entge-gengenommen. „Andreas hat GE-MEINSAM.SICHER schon umgesetzt,bevor die Initiative gestartet wordenist“, sagt Markus Müller, GEMEIN-SAM.SICHER-Koordinator im Stadt-polizeikommando Donaustadt. „Er hatdabei auch immer wieder kriminalpoli-zeiliche Erfolge erzielt.“ Beispielswei-se deckte er vor einiger Zeit ein Lokalauf, in dem mit Scheinehen gehandeltworden war. Insgesamt gibt es in derDonaustadt sieben Grätzlpolizisten.
Kriminaldienst in der PI. Chefin-spektor Karl Mayer führt die drei Kri-minalsachbearbeiter der Polizeiinspek-tion. Sie haben pro Jahr etwa 800 Ak-ten zu bearbeiten. „Diese Amtshand-lungen reichen quer durch das Straf-recht“, sagt Mayer. Ende 2017 bei-spielsweise legten die Gruppeninspek-toren Wolfgang Lukits und GerhardEntrich vier Angestellten eines Gast-wirten das Handwerk, nachdem diese
ihren Arbeitgeber fast ein Jahr lang be-trogen hatten. Sie hatten Speisen undGetränke nicht boniert bzw. das Bonie-ren durch ein „Sofortstorno“ in derKassa verhindert und so in die eigeneTasche gewirtschaftet. Der Gesamt-schaden betrug 110.000 Euro.Lukits und Entrich waren für die
Amtshandlung für den 133er-Awardnominiert. Sie hatten gegen Ende 2017auch vier Männern mehrere Diebstäh-le nachgewiesen, Suchtmittelhandel so-wie Fälschungen. Sie hatten einen Ge-samtschaden von 30.000 Euro verur-sacht.
Brennpunkte. „Wenn uns Brenn-punkte auffallen, versuchen wir, sie imAufkeimen zu bekämpfen“, sagt PI-Kommandant Helmut Kopic. Das giltfür strafrechtliche Erscheinungsfor-men, wie Suchtgiftszenen genauso wiefür ordnungspolizeiliche Angelegen-heiten mitsamt deren Begleiterschei-nungen. In einem Fall hatte AndreasMann einen Suchtgiftbunker in einemBaum in der Lobau entdeckt, nachdemer einen Hinweis von einem Konsu-menten erhalten hatte. Mann und Ko-pic zogen sich Trainingsanzüge an,setzten sich aufs Fahrrad und legtensich in der Nähe des Baumes auf die
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PI-PORTRÄT
PI-Kommandant Helmut Kopic und seine Leute: „Wenn uns Brennpunkte auf-fallen, versuchen wir, sie bereits im Aufkeimen wirkungsvoll zu bekämpfen.“
Andreas Mann: Kontaktbeamter undletzter Mopedpolizist von Wien.
Fotos: Bernhard Elbe
Lauer. Sie stellten fest, dass sich beider Dechantlacke eine Art Suchtgift -szene entwickelt hatte. Fünf Personenwurden in der Folge festgenommen,die Szene bei der Dechantlacke trock-nete aus.
Rave-Partys. 2013 begann sich imBereich der Donauinsel, speziell beider Stadlauer Ostbahn-Brücke, eine„Rave-Szene“ auszubilden. Jugendli-che nützten das Grüne für illegale Par-tys. Sie kamen mit Verstärkern undHochleistungslautsprechern und kon-sumierten reichlich Alkohol und ver-mutlich auch illegale Drogen. Dieganze Gegend war „vermüllt“ mitBier- und Energy-Dosen.
Die Techno-Musik war weithin zuhören. Anrainer beschwerten sich.Wenn Polizisten einschritten, bekamensie nichts Schönes und nichts Gutes zuhören. Suchtgifthunde der Diensthun-deeinheit schlugen in den Fahrzeugenan – Drogen wurden aber keine (mehr)gefunden. Die Anwesenden behaupte-ten, sie würden eine Geburtstagspartyabhalten, das sei nichts Illegales. Sieverlangten von den Polizisten, ihnen
die Gesetzesstellen im Internet zu zei-gen, gegen die sie angeblich verstoßenhätten. Sie kündigten an, sich gegendie Polizisten mit Beschwerden zurWehr zu setzen.In den Jahren darauf veranstaltete
die Polizei vor Beginn der Sommersai-son regelmäßig Schwerpunktaktionen,unter anderem mit Beamten derDiensthundeeinheit. Immer wiederkam es dabei mit etwa 120 Identitäts-feststellungen zu Festnahmen, Anzei-gen und Sicherstellungen. „Damit ha-ben wir die Szene in den Griff bekom-men“, berichtet PI-Kommandant Hel-mut Kopic.Im Sommer selbst kommt es immer
wieder zu Beschwerden auf der Do-
nauinsel wegen sexueller Belästigun-gen, etwa bei und in den Damentoilet-ten. Auf den Parkplätzen werden Frau-en unangenehm angesprochen. Immerwieder werden Männer gesichtet, dieHand an sich anlegen vor badendenFrauen. „Wir versuchen, auch das mitverstärkten Streifen in den Griff zu be-kommen – auch wenn wir zugebenmüssen, dass wir nicht überall seinkönnen“, erläutert Kopic.
Landespolizeidirektion Wien20
PI-PORTRÄT
Die Infrastruktur rund um die PI Langobardenstraße ist dynamisch geworden.
Das Überwachungsgebietder Polizeiinspektion Langobar-
denstraße im 22. Wiener Bezirk
(Donaustadt) liegt zwischen den
Ortskernen Aspern und Stadlau
und erstreckt sich über fast 33
Quadratkilometer, bewohnt von
über 37.000 Menschen. Es gibt die
U-Bahn-Linie U2, neun Buslinien
der Stadt und zwei Postbusse, Re-
gional- und Schnellbahn an der
Ostbahn. Der Straßenverkehr bie-
tet eine Zu- und Abfahrt zur Süd -
osttangente und zur Donauufer-
autobahn und die S2 über den
Verteilerkreis Kaisermühlen.
Der Rayon der PI Langobarden-
straße ist auch selbst Einzugsge-
biet: In der Nachbarschaft der Poli-
zeiinspektion liegt das Donauspi-
tal („SMZ-Ost“), ein Geriatriezen-
trum, ein Dialysezentrum, ein Ärz-
tezentrum, das Reha-Zentrum
Stadlau, Seniorenheime und
Wohngemeinschaften für „betreu-
tes Wohnen“, ein Caritas-Heim
und Tierkliniken. Im Überwa-
chungsgebiet liegen zehn Schu-
len, 13 Kindergärten und zwei be-
treute Jugendtreffpunkte.
Freizeit und kritische Infra-struktur. An der Donau bzw. aufder Donauinsel liegen im Bereich
des 22. Bezirks das „WM-Ruderzen-
trum Neue Donau“ und die „Vien-
na Watersports Arena“. Im Ölhafen
liegt das Tanklager Lobau mit Be-
trieben und Schifffahrt. Auch das
Kraftwerk Donaustadt liegt im Be-
reich der PI Langobardenstraße.
Die Wiener Polizei hält hier regel-
mäßig Übungen zum Schutz kriti-
scher Infrastruktur mit dem Bun-
desheer ab.
Insgesamt hat die Wiener Don-
austadt mehr als 180.000 Bewoh-
ner und eine Fläche von insge-
samt über 102 Quadratkilometern.
RAYONLangobardenstraße
Mit intensiven Kontrollen haben wir
die Szene in den Griff bekommen.
Foto: Bernhard Elbe
Landespolizeidirektion Wien22
FALL
it sichergestellten zehnGramm Kokain imStraßenverkauf hattenKriminalisten in Wien imFrühjahr 2017 begonnen,
eine Rauschgiftbande auszuhebeln. Beieinem Bier in einem Bierlokal in Wien-Ottakring hatte ein verdeckter Ermitt-ler im Mai 2015 fünf Kilo Cannabis-kraut bestellt und vier Tage später er-halten. In einem Haus in Salzburgstellten die Wiener Kriminalbeamtenwenig später fast 80 Kilo Cannabis si-cher. Im Juli 2017 bestellten zwei ver-deckte Ermittler der Polizei bei derBande 100 Kilo Cannabis aus Albanien– und sollten sie bekommen.Das Geschäft über die 100 Kilo
Gras wurde am 2. Juli 2017 in einemSalzburger Hotel unter Dach und Fachgebracht. Zwei Käufer – verdeckte Er-mittler der Poizei – trafen zwei Alba-ner. Als Kaufpreis wurden 250.000 Eu-ro vereinbart. Die Ware sollte inSäcken in einem Pkw geliefert werden.Zum Austausch sollte es am Kunden-parkplatz eines Einkaufszentrumskommen. Am 6. Juli 2017 kam es zu ei-
nem weiteren Treffen, diesmal in derNähe eines Shoppingcenters in Haid.Die Albaner übergaben ihren „Ge-schäftspartnern“ ein Smartphone. Sieselbst hätten ein „Partnerhandy“ miteiner dazu passenden Partnerkarte. Sie
sollten ausschließlich über diese Tele-fone mit ihnen in Kontakt treten. Nachdem Deal sollten die Handys ver-schwinden.
Übergabe. Per WhatsApp wurdeder Übergabezeitpunkt ausgemacht:13. Juli 2017, 15 Uhr, EinkaufszentrumHaid bei Ansfelden in Oberösterreich.Beide Seiten waren pünktlich: die Al-baner und die verdeckten Ermittler.Nachdem die Albaner zu den beidenÖsterreichern ins Auto eingestiegenwaren, entschuldigten sie sich bei ihren„Geschäftspartnern“. Die Lieferungder 100 Kilo Gras sei über Italien ge-kommen. Auf dem Weg nach Öster-reich in Neapel hätten die Lieferanten30 Kilo ausladen müssen. Der Preiswürde sich daher auf rund 160.000 Eu-ro verringern.Die Albaner lotsten die Österrei-
cher von der Rückbank des Wagensaus in einen kleinen Ort bei Ansfelden.Der Wagen, in dem das Geld für denScheinkauf lag, blieb in Haid stehen. Indem kleinen Ort bei Ansfelden war einschwarzer Renault mit italienischen
Aus 10 Gramm wurden 150 Kilo
M
Wiener Kriminalisten gelang es, von einer Sicherstellung von 10 Gramm Kokain zu jeweils einmal 5, 76
und 69 Kilo Cannabis zu kommen, die Drogen sicherzustellen und Drogenhändler einzusperren.
Hausdurchsuchung am Dachboden:76 Kilo Cannabis in 15 Müllsäcken.
Foto: LK
A W
ien
Kennzeichentafeln geparkt. Der Wa-gen der verdeckten Ermittler stelltensich neben das Fahrzeug. Die beidenAlbaner stiegen aus und luden 21 Pa-kete mit insgesamt knapp 70 KiloCannabis in den Wagen ihrer „Ge-schäftspartner“.Einer der beiden nahm wieder auf
der Rückbank des Fahrzeugs der „Ge-schäftspartner“ Platz, der andere fuhrim italienischen Renault davon. DerAlbaner gab bekannt, was weiter ge-plant sei: Vor dem Einkaufszentrum inHaid würden er und einer der Ge-schäftspartner in den Wagen mit demGeld einsteigen – man könne ruhigden gesamten geplanten Kaufpreismitnehmen, also nicht nur den nun-mehr fälligen Preis von rund 160.000Euro, sondern die Summe von 250.000Euro. Danach würden er und einer sei-ner Geschäftspartner in einen nahege-legenen Wald fahren. Dort würde er„in Ruhe“ das Geld zählen und danachwürde man sich trennen.
Zugriff. Zur Umsetzung des Planskam es nicht mehr. Am Parkplatz vordem Einkaufszentrum in Haid schlugein Zugriffsteam des Einsatzkomman-dos Cobra zu. Einer der beiden Alba-ner wurde festgenommen. Er hatte ei-ne Pistole bei sich. Möglicherweise hät-te er seinen „Geschäftspartnern“ da-mit nicht nur den Kaufpreis von
160.000 Euro abgeknöpft, sondern diegesamten mitgebrachten 250.000 Euro.„Zugegeben hat er das natürlichnicht“, berichtet der KriminalbeamteChefinspektor Herbert Windwardervon der Landeskriminalamts-Außen-stelle Zentrum-Ost in Wien, der dieAmtshandlung geleitet hatte. Die fast70 Kilo Cannabiskraut wurden sicher-gestellt.
Der zweite war mit dem italieni-schen Renault wieder in den kleinenOrt bei Ansfelden gefahren und hattedas Fahrzeug dort abgestellt. Er war zuFuß geflüchtet. „Die Kollegen von derObservationsgruppe Linz haben zumGlück die Flugpolizei vorinformiert“,schildert Herbert Windwarder. „DerPolizeihubschrauber war somit binnen
fünf Minuten da.“ Die Suche nach demzweiten Dealer erstreckte sich auf dasGelände um Haid und Ansfelden.„Einer der Kollegen von der Obser-
vation hat gesagt: Was würde ich alsTäter machen, wenn ich den Hub-schrauber höre, von dem ich davonausgehen kann, dass er eine Wärme-bildkamera an Bord hat?“, schildertHerbert Windwarder. Der Observati-
onsbeamte wusste, es gab dort einenBach. Tatsächlich hatte sich der Ver-dächtige in das Bachbett gelegt undwar untergetaucht. Die Polizisten fisch-ten ihn aus dem Wasser. Er war nichtnur klatschnass und unterkühlt, son-dern auch schlammbeschmiert.Zwei Tage nach der Festnahmeakti-
on meldete sich ein 55-jähriger Italie-ner telefonisch bei der Autobahnpoli-zeiinspektion (API) Haid und behaup-tete, jemand habe seinen Renault Me-gane gestohlen. Es handle sich um dasMietfahrzeug, das bei Ansfelden si-chergestellt worden war und in demdie Drogen transportiert worden wa-ren.Bei der Anzeigenaufnahme in der
API behauptete der Italiener, den Wa-gen auf dem Parkplatz eines Möbel-hauses abgestellt zu haben. Als er nach
23POLIZEI Juli – September 2018
FALL
Was würde ich als Täter machen, wenn ich den Hubschrauber höre, von dem
ich davon ausgehen kann, dass er eine Wärmebildkamera an Bord hat?
Aus einer Amtshandlung mit 10 Gramm Kokain wurdenAufgriffe von insgesamt 150 Kilogramm Cannabis.
Zur „Vakuumierung“ des Suchtmittels hatten die Sucht -gifthändler Schraubverschlüsse in die Pakete eingebaut.
Pistole – möglicherweise, um denKaufpreis „zurückzurauben“.Fo
tos: LKA W
ien
einem Bummel zurückkam, war es ver-schwunden. Da es vorerst keine An-haltspunkte gegen den Mann gab, wur-de er auf freien Fuß entlassen. WenigeTage später fand sich ein Bild des 55-Jährigen in einer italienischen Zeitung
unter der Überschrift: „Marijuana nas-costa nel motore dell’ auto“ („Mari-huana versteckt im Automotor“). DerMann und ein Komplize waren in Brin-disi festgenommen worden mit 1,7 KiloGras in ihrem Fahrzeug.
Gras bei Bier bestellt. Dem 100-Ki-lo-Deal war ein „kleinerer“ Kauf vonüber fünf Kilo Cannabis in Wien vor-ausgegangen. Einem verdeckten Er-mittler war es gelungen, in der Al-banergruppe Vertrauen aufzubauen.Bei einem Bier in einem OttakringerBierlokal wurde der Kauf der fünf KiloGras fixiert. Fünf Autostunden von Wien entfernt sollte eine Cannabis-Plantage liegen von unermesslichemAusmaß. Am 19. Mai 2017 legten sichKriminalbeamte der Gruppe Windwar-der in der Hasnerstraße in Wien-Otta-kring auf die Lauer, mit ihnen ein Ob-servationsteam und ein Zugriffsteamdes Einsatzkommandos Cobra.Gegen 16 Uhr gab es Bewegung in
der Sache. Drei Verdächtige waren un-terwegs – unter ihnen der Mann, derden Deal mit zwei verdeckten Ermitt-lern eingefädelt hatte, ohne zu wissen,dass es sich um Polizisten handelte.Drei Männer setzten sich in den Gast-garten eines griechischen Lokals. Vondort aus rief der Kontaktmann den ver-
deckten Ermittler an. Er sagte, er undseine Freunde hätten festgestellt, eskönnte Polizei in der Gegend sein. DerKauf schien Gefahr zu laufen, dass erplatzt.Doch die Männer dürften ihre Be-
denken in den Wind geschlagen haben.Kurz vor 16.30 Uhr verließ einer vonihnen den Griechen und begab sich ineine Seitengasse. Er ging auf einengrauen Hyundai zu, in dem ein Pär-chen saß. Der Mann und die Frau stie-gen aus dem Wagen mit oberöster-reichischen Kennzeichen aus. DerMann öffnete den Kofferraum des Au-tos und übergab dem Abholer aus dem
Griechen ein schwarzes Plastiksackerl.Das junge Paar stieg wieder in denHyundai und fuhr davon. „Nachdemwir schon die beiden Männer in demgriechischen Lokal observieren habenmüssen sowie den Mann mit dem Plas -tiksackerl, war es nicht möglich, demHyundai zu folgen“, erzählt StefanHauser, Kriminalbeamter in Windwar-ders Gruppe.Wenige Minuten später ging der
Abholer der Ware zu dem Fahrzeug inder Hasnerstraße, in dem seine Ge-schäftspartner saßen – die beiden ver-deckten Ermittler. Als er einem von ih-nen den Inhalt des Sackerls präsentier-te – fünf Kilo Gras – kam das Zeichenfür den Zugriff. Der Überbringer wur-de festgenommen, ebenso die beidenMänner im Gastgarten des Griechen.Einer der Verhafteten – der Über-
bringer – hatte in seiner WohnungCannabis in einer „Growbox“ kulti-viert – acht blühende, etwa 1,20 Meterhohe Pflanzen. In einem Wohnzimmer-kasten stellten Polizisten weitere 350Gramm Marihuana sicher.Das Fahrzeug mit oberösterreichi-
schen Kennzeichen, mit dem die fünfKilo Cannabis in den 16. Bezirk ge-bracht worden waren, gehörte einemMann, der sich nur sporadisch inÖsterreich aufhielt. Das Pärchen, das
mit dem Auto unterwegs war, wurdeausgeforscht und in St. Veith/Glan inKärnten festgenommen. Ein weitererBenützer des Fahrzeugs wurde inVöcklabruck verhaftet. Ihm werdenmehrere verschiedene Straftaten zuge-ordnet.
„Therapie statt Strafe“. Zwei derVerhafteten stammten aus einem alba-nischen Clan. Sie stehen im Verdacht,Drahtzieher eines regen Drogenver-kehrs zwischen dem Balkan und Öster-reich zu sein. In Anbetracht dessen,dass sie zum ersten Mal mit Drogen er-wischt worden waren, wurden sie vor
Landespolizeidirektion Wien24
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DATENSCHUTZInformation
Da sie zum ersten Mal mit Drogen erwischt worden waren, wurden sie nach
dem Grundsatz „Therapie statt Strafe“ zu einer Therapie „verurteilt“.
Gericht nach dem Grundsatz „Thera-pie statt Strafe“ zu einer Therapie„verurteilt“. Für die Polizisten ist dasunverständlich. Wer Zugang zu Drogenim Kilobereich hat, sollte nicht als the-rapierbarer Konsument behandelt wer-den.Zu welchen Mengen an Drogen die
beiden Albaner Zugang haben, zeigtedie Sicherstellung von mehr als 76 KiloCannabis in einem Haus in Salzburg.
Verdeckte Ermittler hatten erfahren,dass sich ein „Zufallsbunker“ des alba-nischen Clans in Salzburg an einemWaldrand befinden solle. Drahtzieherwaren wiederum die „zu therapieren-den“ Albaner. Mit Unterstützung vonSalzburger Kollegen wurde erst einHaus in Eugendorf und dann ein Hausin Thalgau ausfindig gemacht. „Ohnedie Kollegen hätten wir das Haus nichtso leicht gefunden“, betont HerbertWindwarder. Beide Häuser gehörteneinem 59-jährigen Wiener, der zumZeitpunkt der angeordneten Haus-durchsuchung am 13. Juni 2017 im Ur-laub im Ausland war. In Eugendorf
schlugen zwar die Suchtmittelhundean, Drogen wurden allerdings keinegefunden. Fündig wurden die Krimina-listen der Gruppe Windwarder im Wo-chenendhaus des Besitzers in Thalgau.Am Dachboden lagerten insgesamtüber 76 Kilo Cannabis in 15 schwarzenMüllsäcken. Die Gras-Päckchen warenprofessionell verpackt. Die Zellophan-Hüllen hatten Absaugventile, über diedie Luft aus den Paketen abgesaugt
werden kann, um das Volumen der Pa-kete zu verringern.
Gefährliches Pflaster. Wenig Ver-ständnis haben Kriminalbeamte nichtnur dafür, dass für Drogenschmugglermit einem Zugang zu Drogen im Hun-dert-Kilo-Bereich der Grundsatz „The-rapie statt Strafe“ zum Tragen kommt.„Immer wieder versuchen Anwälte, ausDrogenverhandlungen mit Groß-Dea-lern einen ,Agent Provocateur’ zustricken“, sagt Chefinspektor HerbertWindwarder. „Ich frage mich, wie je-mand mit einem Zugang zu 76 KiloMarihuana erst von Polizisten zum
Drogenhandel animiert werden muss“,sagt Windwarder.Der mögliche Raub des 250.000-Eu-
ro-Kaufpreises im Wald bei Ansfeldenzeigt, dass Drogendealer auf einer be-stimmten Ebene zu vielem bereit sind.Im Fall der 76-Kilo-Sicherstelltung inThalgau kannte der Täter aus Albaniendie Adresse des vermeintlichen Infor-manten, woraufhin er den mutmaßli-chen Polizeispitzel mit Freunden da-heim „besuchte“ und zur Rede stellte.Der vermeintliche „Verräter“ konnteaber die Männer davon überzeugen,dass ein anderer die Schwachstellewar, und nicht er.„Trotzdem passiert es immer wie-
der, dass unsere Informanten und auchverdeckte Ermittler vor Gericht aussa-gen müssen und damit ihre Identitätpreisgegeben wird“, sagt Windwarder.Idealerweise werden gefährdete Zeu-gen und verdeckte Ermittler nicht imSaal der Hauptverhandlung vernom-men. Ihre Aussagen werden per Videoin den Verhandlungssaal gespielt. Oftwerde gegen diese Regel verstoßen,weil es bei Gericht keine spezialisier-ten Staatsanwälte und Richter gibt, diesich der Gefahren im Suchtgiftmilieubewusst sind.
25POLIZEI Juli – September 2018
FALL
Immer wieder passiert es, dass unsere Informanten und verdeckte Ermittler
vor Gericht aussagen müssen und damit ihre Identität preisgegeben wird
Am Dachboden eines Hauses an einem Waldrand im Bundesland Salzburgfanden die Kriminalisten aus Wien einen „Zufallsbunker“ des Clans.
An einer der Drogenverpackungenfanden sich Mikro-DNA-Spuren.
Fotos: LKA W
ien
Landespolizeidirektion Wien26
VERBINDUNGSBEAMTE
eiche Auslandserfahrungenhaben sie bereits, die beidenWiener Polizisten, die imApril die Ausbildung zumVerbindungsbeamten abge-
schlossen haben. Gemeinsam mit sie-ben weiteren Teilnehmerinnen undTeilnehmern absolvierten sie den Lehr-gang. Sie werden in Zukunft in Län-dern tätig sein, in denen Österreich be-sondere Sicherheitsinteressen verfolgt.Sie werden Ansprechpersonen für dieösterreichischen Behörden in allen Si-cherheitsfragen sein. Derzeit versehen22 Verbindungsbeamte für 29 Destina-tionen ihren Dienst. Ab August kommteine weitere dazu, die einer der beiden„Neuen“ übernimmt: Tunesien.„Für eine neue Destination ausge-
wählt worden zu sein, sehe ich als Pri-vileg“, erklärt AbteilungsinspektorAlexander C. Kuska von der Landes-verkehrsabteilung Wien. Es ist ein Pri-vileg, das mit speziellen Herausforde-rungen verbunden ist: Es gibt noch kei-ne österreichischen Kollegen vor Ort,die ihm Informationen über den Ar-beitsalltag in dem nordafrikanischen
Land zukommen lassen könnten. War-um er Tunesien ungeachtet dessen zuseinen „Wunsch-Destinationen“ zählt,liegt an seinem Interesse für die Magh -reb-Staaten und an seinen Kenntnissenin Französisch, das von rund 60 Pro-zent der Tunesier gesprochen wird.
„Es ist eine Tätigkeit, die einenüberallhin verschlagen kann“, sagtKuska. Er betont, dass er für alle Län-der offen ist, in die er in Zukunft ent -sandt werden soll.Diese Ansicht teilt mit ihm Rat
Mag. Siniša Jovanović vom Büro Orga-nisation, Strategie und Dienstvollzug(A1) der LPD Wien, der mit Kuska ge-meinsam die Ausbildung absolvierthat. Er weiß noch nicht, wohin ihn seinerster Auslandsaufenthalt als Verbin-dungsbeamter führen wird. Wenn esdarum geht, Sprache und Mentalitätder Menschen vor Ort zu kennen,könnte der Westbalkan eine seinerzukünftigen Destinationen sein, da Jo-vanović aus Serbien stammt.Mit zehn Jahren kam Jovanović mit
seiner Familie nach Österreich, mit 16verbrachte er als Austauschschüler einJahr in den USA. „Schon damals habeich mich für internationale Tätigkeiteninteressiert“, erinnert er sich. DieseVorliebe beeinflusste auch die Wahlseines Studiums: Jus mit Spezialisie-rung auf internationalem Recht. Balddarauf verbrachte er wieder mehrere
Neue Polizeiattachés
R
Im April wurden neben anderen zwei Wiener Polizisten in den Pool für Verbindungsbeamte aufge-
nommen. Einer von ihnen wird schon demnächst in einer neuen „Destination“ seinen Dienst versehen.
Kurssprecher Siniša Jovanović� hieltbei der Zeugnisüberreichung die Abschiedsrede im Innenministerium.
Foto: T
homas Cerny
Monate im Ausland, diesmal in einemEU-geförderten Studenten-Austausch-programm in Quebec (Kanada).Den Gedanken, zur Polizei zu ge-
hen, hatte Jovanović zu diesem Zeit-punkt bereits im Hinterkopf, allerdingswar sein Wunsch größer, auch außer-halb Österreichs beruflich aktiv zusein. Er entschied sich, nach dem Stu-dium bei der Volksanwaltschaft zu ar-beiten, wo er als Referent im Ge-schäftsbereich B bei Dr. Gertrude Bri-nek nicht nur für Belange der Gemein-deverwaltung zuständig war, sondernauch für internationale Projekte in Ser-bien und Mazedonien.
Ein logischer Schritt. Ausschlagge-bend für seine Entscheidung, sich danndoch bei der Polizei zu bewerben, wareine Ausschreibung der LPD Wien, diePolizeijuristen suchte. Jovanović mach-te ab 2014 als Verwaltungsstrafreferentim Polizeikommissariat Rudolfsheim-Fünfhaus Dienst, danach als Sicher-heitshauptreferent im Polizeikommis-sariat Meidling. 2016 wechselte er insBüro Organisation, Strategie und
Dienstvollzug. Im Vorjahr ergab sichfür ihn die Möglichkeit, seine beidenberuflichen Leidenschaften zu verei-nen. „Das Attachéwesen war ein logi-scher Schritt“, erklärt Jovanović. „Alsohabe ich die Chance ergriffen.“International tätig zu sein, war auch
für Kuska ein berufliches Ziel. Als jun-ger Polizist macht er ab 1995 in der Po-lizeiinspektion (PI) Van-der-Nüll-Gas-se Dienst; nach der Ausbildung zumdienstführenden Beamten kam er zurmotorisierten Verkehrsgruppe der Ver-kehrsabteilung. „Dort habe ich meineFremdsprachenkenntnisse bei den vie-
len Staatsbesuchen und Konferenzenverstärkt anwenden können“, sagt Kus-ka, der neben Französisch Englischund Spanisch spricht.Ein Basisvokabular auf Serbisch
kam dazu, als Kuska 2004 an der Missi-on der Vereinten Nationen zur Über-gangsverwaltung des Kosovo (UN-MIK) teilnahm – mittlerweile hatte er
die Grundausbildung für Ausland-seinsätze absolviert. Die darauf folgen-den Jahre verbrachte er in Österreich.„Ich habe nicht die Notwendigkeit ver-spürt, gleich wieder ins Ausland zu ge-hen, weil meine Arbeit in der Dienst-stelle sehr interessant war: zweiter EU-Vorsitz, Fußball-EM, Besuche desPaps tes und von Präsident Putin – dieJahre sind wie im Flug vergangen“,stellt Kuska rückblickend fest.2010 zog es ihn doch wieder in die
Ferne. Nach monatelanger Ausbildungund Planung reiste Kuska mit dem ers -ten Kontingent zur EUPOL-Polizei-
mission nach Afghanistan. Bei dem„sehr militärisch aufgezogenen“ Ein-satz diente er gemeinsam mit einigenKollegen, die er schon aus dem Kosovokannte. Der Aufenthalt festigte seinenEntschluss, für die Polizei dauerhaft iminternationalen Umfeld arbeiten zuwollen, was er nun als Verbindungsbe-amter verwirklichen kann.
27POLIZEI Juli – September 2018
VERBINDUNGSBEAMTE
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Verbindungsbeamtenkurses 2018 mit Wiener Beteiligung: Alexander C. Kuska (fünfter von links) und Siniša Jovanović� (dritter von rechts).
Für eine ganz neue Destination ausgewählt worden zu sein,
sehe ich als Privileg.
Foto: T
homas Cerny
Flexible Generalisten. Dasses sich dabei nicht um einelange Dienstreise, sondern umeine komplett andere Tätig-keit handelt, ist Kuska klar.Vor Ort sei man für alle Be-lange zuständig und müsse ins-besondere bei Krisen – vomFlugzeugabsturz bis zum Tsun-ami – flexibel reagieren. Anein „Genera lis ten-Dasein“und hohe Verantwortungdachte auch Jovanović, dersein Bild von der angestrebtenTätigkeit bestätigt fand: „Ichhabe Vorgespräche mit demReferat I/4/a Attachéwesengeführt, weil ich wissen wollte,worauf ich mich einlasse. Mirwurde bestätigt, dass der Be-ruf genauso ist, wie ich ihn mir vorge-stellt habe.“Die beiden neuen Polizeiattachés
sind sich einig darüber, was jemandmitbringen sollte, der sich für einenAusbildungsplatz bewirbt: die Fähig-keit zu selbstständigem Arbeiten,Stressresistenz, hohe Belastbarkeit,Berufserfahrung, im Optimalfall auchim Ausland, und Fremdsprachenkennt-nisse – in Englisch liegt die Latte mitNiveau C1 (zweithöchste Stufe) hoch.Nicht alle Kandidaten erfüllen die Be-dingungen: Für die Ausbildung 2017/18wurden von 30 Bewerbern nur neunzugelassen.In einem mehrstufigen Auswahlver-
fahren testet man die Sprachkenntnis-se der Kandidaten, prüft ihre persönli-che und fachliche Eignung. „Das Ver-fahren ist fordernd – wie sehr, hängtvon den jeweiligen Vorkenntnissenab“, sagt Jovanović, für den das ab -schließende Hearing vor einer Kom-mission die „größte Herausforderung“war. Als aufschlussreich empfand er,wie er selbst in unterschiedlichenStress-Situationen reagierte.
Eine intensive Ausbildung. Die indrei Blöcken zu je drei Wochen organi-sierte Ausbildung bezeichnet Jovanovićals „sehr intensiv und interessant“. Al-
le Zuständigkeitsbereiche des Innen-ministeriums wurden abgedeckt, unteranderem Inhalte des Bundesamts fürVerfassungsschutz und Terrorismus-bekämpfung, des Bundesamts für Kor-ruptionsprävention und Korruptions-bekämpfung, des Bundeskriminalamtsund der Sicherheitsakademie. AuchPsychologie, Pressearbeit und Proto-koll standen auf dem Stundenplan.Überraschend war für Jovanović, dasser trotz seiner Englischkenntnisse aufC2-Niveau (höchste Stufe) etwas dazu-lernen konnte, etwa in Bezug aufSprachnuancen oder länderspezifischeUnterschiede.Die Praxisnähe der Ausbildung
schätzten die beiden aus Wien kom-menden Teilnehmer besonders. Gleichzu Beginn hielten Mitarbeiter des Re-ferats für Attachéwesen Vorträge überdie Aufgaben, die die angehenden Ver-bindungsbeamten in ihren Zielländernerwarten würden. Ein erfahrener Kol-lege, der für eine Arbeitsbesprechungaus Belgrad nach Wien gekommenwar, schilderte seinen Arbeitsalltag inSerbien. Auch die persönlichen Kon-takte, die die Teilnehmer untereinan-der knüpften, sieht Jovanović beizukünftigen Auslandseinsätzen alsnützlich für einen Informationsaus-tausch an.
Nach Abschluss der Ausbil-dung wurden die Teilnehmerin den Pool für Verbindungs-beamte aufgenommen. Sobalddie Destination der Entsen-dung feststeht, folgt eine acht-wöchige Vorbereitungsphaseim Referat At ta ché we sen.Kurz vor der Abreise erhältder Verbindungsbeamte de-taillierte Informationen überdie organisatorischen Prozes-sen mit dem Back-Office inWien und die Arbeitsschwer-punkte im jeweiligen Land. ImFall von Tunesien sind das Mi-gration, Schlepperei, Men-schenhandel, Suchtgift undOrganisierte Kriminalität.
Vereinbarkeit mit der Familie. FürKuska steht mehr als nur die inhaltli-che Vorbereitung auf dem Programm.Da er mit seiner Familie für vier Jahrenach Tunesien übersiedeln wird, mussein erheblicher organisatorischer Auf-wand bewältigt werden. „Für die Ver-einbarkeit mit der Familie gibt es keinPatentrezept. Es ist unklar, ob die Part-nerin im Empfangsstaat einen Arbeits-platz finden wird. Die Kinder werdenaus ihrem gewohnten schulischen undprivaten Umfeld herausgerissen“, gibtKuska zu bedenken.In seiner eigenen Familie waren alle
bereit, diese Herausforderung anzu-nehmen. Als Vorteil sieht er es an, dassseine Frau, die aus Lateinamerikastammt, und die beiden Kinder sehr in-ternational orientiert sind. „Bei uns istdas offene Gespräch Standard; ich ha-be schon früh mit den Kindern überdie Möglichkeit eines Auslandsaufent-halts geredet, da man so etwas als Fa-milie gemeinsam planen muss“, be-schreibt Kuska seine Herangehenswei-se. Seine Kinder, für die bereits einPlatz in einer internationalen Schulereserviert ist, freuen sich schon darauf– und können später im Berufslebeneinmal von ihren Erfahrungen profitie-ren, ist ihr Vater überzeugt.
Rosemarie Pexa
Landespolizeidirektion Wien28
VERBINDUNGSBEAMTE
Alexander C. Kuska wird demnächst nach Tunesien ent -sandt und samt Familie in das afrikanische Land ziehen.
Foto: T
homas Cerny
Landespolizeidirektion Wien30
ÜBUNG
enn es zueinem„Großscha-densereig-nis“ mit ei-
ner größeren Zahl an To-ten kommt, wie etwa ei-nem Flugzeug- oder Zugs-unglück, einer Naturkata-strophe oder einem Ter-roranschlag, dann habenEinsatzkräfte und Ermitt-ler alle Hände voll zu tun.Es gilt, Verletzte zu ret-ten, Ursachen und even-tuell Täter auszuforschenund die Toten zu identifizieren. FürLetzteres sind die Kolleginnen undKollegen des „DVI-Teams“ zuständig.„DVI“ steht für „Disaster-Victim-Identification“ und bedeutet die Iden-tifizierung von Katastrophen- oder An-schlagsopfern. Dabei ist es Aufgabeder DVI-Teams die Menschen, die beiUnglücken, Attentaten und Katastro-phen getötet wurden, rechtswirksam zuidentifizieren.Oft sind die Körper der Toten un-
kenntlich und können nur mit speziel-len Methoden identifiziert werden.„Eine Identifizierung der Opfer istnicht nur für die Klärung des Fallesnotwendig, sondern auch für die Infor-mation der Angehörigen“, sagt OberstWolfgang Kloihofer-Haupt, WienerDVI-Leiter und stellvertretender Lei-ter des Landeskriminalamtes Wien.„Dabei geht es zum einen darum, denAngehörigen Gewissheit zu geben,zum anderen um die Sicherung von
Rechtsfolgen, wie den An-spruch auf Erbschaft, dieAuszahlung von Versiche-rungsleistungen oder Pen-sionen.“ Auch die Bestim-mung des Familienstandeseines Hinterbliebenen unddie damit verbundenenRechtsansprüche sind andie Feststellung des Todeseiner Person geknüpft.
„Vienna 2018“. Erst-mals fand eine DVI-Großübung in Wien statt.„Damit alle Kolleginnen
und Kollegen des DVI-Teams teilneh-men konnten, hat die Übung auf dreiWochen verteilt werden müssen“, be-richtet Kloihofer-Haupt. „Uns warwichtig, einen DVI-Einsatz auch ein-mal in der Bundeshauptstadt zu üben.Aber wenn man eine derartige Übungan einem öffentlichen Ort durchführt,zieht sie viel Aufmerksamkeit auf sich.Es war eine große Herausforderung,einen Ort in Wien zu finden, an demeine ungestörte Übung von solch einer
Opferidentifizierungnach Katastrophen
W
Übung zur „Disaster-Victim-Identification“ (DVI) in Wien: Übungsszenario war ein Bombenanschlag auf
einen Bus mit 22 Todesopfern; 200 Experten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz nahmen teil.
Foto: Bernhard Elbe
„Bombenanschlag auf Autobus“: 200 Experten arbeiteten an 22„Todesopfern“, gespielt von Polizeischülerinnen und -schülern.
Dauer und zusätzlicher Vor- und Nach-bereitungszeit möglich war.“ DasGelände der PolizeisportvereinigungWien sei dafür optimal gewesen.Übungsszenario war ein Bomben -
anschlag auf einen Autobus. Rund 250DVI-Spezialisten aus Österreich,Deutschland und der Schweiz übtenvon 9. bis 27. April 2018 in Wien dieAufarbeitung nach dem simuliertenAttentat mit 22 Todesopfern. Ziel derÜbung war das rasche Ermitteln vonOpferdaten und eine reibungslose Zu-sammenarbeit der verschiedenen Ein-heiten der Polizei und externen Exper-ten.Neben den Kriminalbeamten und
Gerichtsmedizinern nahmen an derÜbung 22 Zahnmediziner (Odontolo-gen) teil, die Mitglieder des öster-reichischen DVI-Teams sind. Sie unter-suchten Zahnschemata von Opfern an-hand von Echtdaten. Bei der Identifi-zierung der Toten werden, soweit mög-lich, Fingerabdrücke, DNA und Zahn-schemata verglichen. Die drei Metho-den sind gleichwertig und ergänzeneinander. Bei der Übung kam die Iden-tifizierungs-Software „Plass-Data“ undeine „Spheron“-Tatort-Kamera zumEinsatz. Die „Spheron“ ist eine Pano -rama-Kamera, die einen Tatort zu 360Grad scannt, über eine Software digita-
lisiert und somit am Computer immerwieder in seinem ursprünglichen Zu-stand virtuell „betretbar“ und unter-suchbar macht.Die Übung „Vienna 2018“ wurde
von Experten aus Großbritannien,Frankreich, Belgien, Deutschland, Slo-wenien und Tschechien beobachtetund wird mit den österreichischenDVI-Leitern evaluiert. Die Erkennt-nisse daraus werden in die Schulungund Weiterbildung einfließen. Zu die-sem Zweck hat auch das Filmteam derBMI-Abteilung I/6 (Social Media) dieÜbung drei Wochen lang begleitet. Ausdem gesammelten Filmmaterial wirdein umfangreiches Schulungsvideo an-gefertigt.
Identifizierungsprozess. Identifizie-ren ist das Wiedererkennen einer Per-son aufgrund unverwechselbarerMerkmale. Der Identifizierungsprozessder DVI gliedert sich in die Bergungs-,Post-Mortem- (nach dem Tod), Ante-Mortem- (vor dem Tod) und die Iden-tifizierungsphase. Unter Post-Mortem-Daten sind alle persönlichen Merkma-le zu verstehen, die bei der gerichtsme-dizinischen, odontologischen (zahn -ärztlichen), daktyloskopischen (Fin-gerabdrücke) und molekularbiologi-schen (DNA) Untersuchung an derLeiche eines Unbekannten festgestelltwerden können. Ante-Mortem-Datensind vor allem Zahnschemata, Rönt-genaufnahmen, Fingerabdrücke, DNAoder Informationen über besonderekörperliche Merkmale. Bei der DVIwerden die Identitätsmerkmale an ei-ner getöteten Person nach dem Todund die Vergleichsdaten zu einer ver-missten Person vor dem Tod ermittelt.Die Aufgabe der DVI-Teams ist es, die-se Spuren zu suchen, zu sichern und füreinen Vergleich bereitzustellen, wobeidie gesicherten Post-Mortem-Datenmit den ermittelten Ante-Mortem-Da-ten auf Übereinstimmungen verglichenwerden.„Tote nach Unglücksfällen, Attenta-
ten und Katastrophen zu identifizie-
Landespolizeidirektion Wien32
ÜBUNG
„Ante-Mortem-Daten“ („vor dem Tod“) werden mit „Post-Mortem-Daten“ abgeglichen (rechts im Bild: Chefinspektor Kurt Herwey, LKA Wien).
Wolfgang Kloihofer-Haupt: Leiter desDVI-Teams der Wiener Polizei.
„Odontologen“ – Zahnärzte – küm-mern sich um Zahnschemata. Fo
tos: Bernhard Elbe
ren, ist eine sehr belastende Arbeit,aber sie ist unbedingt notwendig“, sagtKloihofer-Haupt. „Dabei ist es auchbesonders wichtig, nach internationa-len Standards zu arbeiten.“ Um einenweltweit einheitlichen Standard zurIdentifizierung von Katastrophenop-fern zu ermöglichen, wurde bei Inter-pol ein Disaster-Victim-Identification-Guide erarbeitet. Im österreichischenInnenministerium ist bundesweit einKatastrophenopfer-Identifizierungs-Team eingerichtet, dessen Mitgliedernach den Interpol-Richtlinien bei derOpferidentifizierung arbeiten.
DVI in Österreich. Das österreichi-sche DVI-Team wurde nach den Un-glücksfällen im Tauerntunnel, in Galtürund Kaprun eingerichtet. Zum ersteninternationalen Einsatz kam die öster-reichische DVI-Einheit nach dem Tsu-nami in Südostasien 2004. In enger Zu-sammenarbeit mit den DVI-Teams an-derer Staaten wurden nach diesem Er-eignis fast 5.400 Menschen identifi-ziert, darunter 85 Menschen mit Öster-reichbezug. 2015 hatte das österreichi-sche DVI-Team 71 Tote, die in einemim Burgenland abgestellten Kühltrans-porter aufgefunden worden waren, zuidentifizieren. Mittlerweile gibt es in jedem Lan-
deskriminalamt ausgebildete Spezialis -ten von Tatort- und Fahndungsgrup-pen, die abhängig von der Größe desEreignisses über Anordnung der Ge-neraldirektorin für die öffentliche Si-cherheit des Innenministeriums bun-desweit zusammengezogen werden.Die Organisation und strategischeFührung eines Einsatzes liegt bei derAbteilung für Einsatzangelegenheiten(BMI II/2) im Innenministerium.Dem österreichischen DVI-Team
gehören ca. 250 Spezialisten an, beste-hend aus Kriminalbeamten, Gerichts-medizinern, Odontologen, IT-Spezialis -ten sowie weitere externen Spezialis -ten. Vom Landeskriminalamt Wiengehören dem österreichischen DVI-Team 30 Kolleginnen und Kollegen an.
Maria Rennhofer-Elbe
33POLIZEI Juli – September 2018
ÜBUNG
Landespolizeidirektion Wien40
KRIMINALGESCHICHTE/VOR 50 JAHREN
n der Nacht auf den 16. April 1968fielen in der Garage des Tivoli-Kaufhauses in Wien-MeidlingSchüsse. In der Garage lag ein To-ter, ein zweiter Mann starb auf der
Fahrt ins Krankenhaus. Der 24-jährigeSicherheitswachebeamte Ernst Karlschilderte seinen Kollegen, er hättezwei Einbrecher überrascht; einer da-von hätte eine Faustfeuerwaffe gezo-gen, sodass er in Notwehr schießenhätte müssen. Auch auf den zweitenEinbrecher hätte er in Notwehr ge-schossen.
Einige Kollegen bewunderten denjungen Polizisten: Immerhin hatte ereinen Einbruch verhindert, die beidenEinbrecher gestellt und schneller ge-schossen als die Kriminellen.
Bald stellte sich eine andere Versi-on des Schusswechsels heraus. Nachden Aussagen von zwei Frauen und an-derer Zeugen glaubten die Ermittlerdem Polizisten die Notwehrversionnicht und brachten den Polizisten zumVerhör ins Wiener Sicherheitsbüro.Ungewöhnlich war auch, dass die bei-den Männer mit sieben Nahschüssen in
Körper und Kopf getötet worden wa-ren.
Die Einvernahmen und Ermittlun-gen ergaben einen aufsehenerregendenVerdacht. Der Polizist Ernst Karl hattedie beiden Männer in die Garagegelockt und dort erschossen, weil ervon einem der beiden wegen seinerHomosexualität erpresst und zuStraftaten gezwungen worden war.
Vom Opfer zum Täter. Die tragischeGeschichte des Polizisten, der als Er-pressungsopfer zum Doppelmörderwurde und in der Haft einen brutalenMädchenmörder erwürgte, begann imOktober 1967. Ernst Karl verpasste beieiner Verkehrskontrolle einem Auto -fah rer ein Organmandat. Im Pkw be-fand sich auch der 22-jährige JohannKihsl, ein Krimineller und „Stricher“,der für Geld mit schwulen Männernverkehrte und sie auch erpresste. Ho-mosexualität war damals gesellschaft-lich geächtet und körperliche Liebeunter Männern gerichtlich strafbar.
Zwei Monate später traf Ernst Karlin einem „Schwulenlokal“ zufällig
Kihsl wieder. Dieser drohte dem Poli-zisten, ihn als Homosexuellen „aufflie-gen“ zu lassen und forderte von ihmmehrmals Geld. Zunächst waren es1.000 Schilling; der höchste Betrag war5.000 Schilling; das war damals mehrals der Monatslohn eines Polizisten.Karl machte Schulden und wurde ge-pfändet.
Da er die Geldforderungen seinesErpressers nicht mehr erfüllen konnte,schickte ihn Kihsl zu anderen Homose-xuellen, um Geld zu erpressen. EinWiener Geschäftsmann, der fürchtete,geoutet und bestraft zu werden, über-gab dem Polizisten einen 10.000-Schil-ling-Scheck, den Kihsl einlöste.
Ernst Karl befand sich in einer ver-zweifelten Situation. Wegen Ausweglo-sigkeit schluckte er im Dezember 196720 Schlaftabletten. Er überlebte undbefand sich bis 10. Jänner 1968 in einerpsychiatrischen Klinik. Danach wurdeer von Kihsl weiter erpresst. Der Kri-minelle wollte mit seinem Freund Wal-ter Pöttler in ein Postamt im zwölftenBezirk einbrechen und der Polizistsollte in Uniform Schmiere stehen.
Polizist, Mörder und „Vollstrecker“
I
Vor 50 Jahren erschoss der Wiener Polizist Ernst Karl zwei Kriminelle, die ihn erpresst hatten. Nach sei-
ner Verurteilung erwürgte er in der Justizanstalt Stein einen Mädchenmörder.
Karl lehnte ab und schlug stattdesseneinen Einbruch in ein Auto in der Ti-voli-Garage vor. Dort werde in einerLincoln-Limousine über Nacht eineGeldkasette des Kaufhauses aufbe-wahrt und erst am nächsten Tag zurBank gebracht, erzählte Karl seinemErpresser. Auf dessen Forderung hän-digte ihm der Polizist eine private Pis -tole aus. Kihsl verabredete sich mitPöttler, der ebenfalls über die sexuelleOrientierung Karls informiert war. Ineinem Café besprachen die drei Män-ner die Tatausführung. Drei Tage spä-ter, am Ostermontag, kam Ernst Karlzur Tivoli-Garage und hinterlegte inder Nähe der Einfahrt für die beidenKriminellen einen Zettel mit der Uhr-zeit des geplanten Einbruchs – 1.05Uhr.
Der Polizist trat um ein Uhr wiederden Außendienst an. Er ging in die Ti-voli-Garage, wo Kihsl und Pöttler be-reits den Lincoln suchten. Als sie einGeräusch wahrnahmen, zog Kihsl diePistole, die ihm Karl übergeben hatte,vermutete, dass der Poli-zist nun erscheinen wer-de und fragte in Rich-tung Türe: „Bist du’s?“Ernst Karl rief Kihsl zu,er solle die Pistole weg-geben. Als dieser nichtreagierte, schoss Karl auf ihn. Nach-dem Kihsl zusammengebrochen war,schoss der Polizist zweimal aus kurzerDistanz in den Körper Kihsls. Dannschoss er dreimal auf den unbewaffne-ten Pöttler. Als die Opfer auf dem Bo-den lagen, hob Karl die Pis tole auf, dieKihsl aus der Hand gefallen war, undgab daraus einen Schuss ab. Von denSchüssen aufgeschreckt, kam der Gara-genwärter zum Ort des Geschehens. Erfragte den Polizisten, was passiert sei.Karl erwiderte, er hätte zwei Einbre-cher auf frischer Tat betreten und sie inNotwehr erschossen. Pöttler war soforttot, Kihsl starb im Rettungswagen.
Bei der Befragung im Sicherheits-büro erzählte Ernst Karl eine „Helden-geschichte“: Ihm sei beim Streifen-dienst ein blauer Borgward aufgefal-
len, der mehrmals um einen Gebäude-komplex gekreist sei und in dem sichdrei Männer befunden hätten. Späterhabe er das Auto beim Tivoli-Kaufhausgesehen. Er habe bemerkt, dass das Torzur Tivoli-Garage offen gewesen sei.
Drinnen seien zwei Män-ner gewesen, die sich aneinem Auto zu schaffengemacht hätten. Er habe„Halt, Polizei!“ gerufen.Einer der Männer habeeine Pistole auf ihn ge-
richtet. Daraufhin habe er in Notwehrauf den Mann geschossen. Der Getrof-fene habe daraufhin auf ihn einenSchuss abgegeben, deshalb habe ernoch zweimal auf den Mann gefeuert.Der zweite Mann sei auf ihn zuge-sprungen, deshalb habe er auch auf ihnschießen müssen.
Die Ermittler fanden den Borgwardund eine Stunde später kam die Zulas-sungsbesitzerin mit einer Freundin zurGarage. Sie behauptete, das Auto seiihr gestohlen worden, verwickelte sichaber in Widersprüche. Schließlich ge-stand sie, die beiden Erschossenen ge-kannt und ihnen ihr Fahrzeug für dengeplanten Einbruch geliehen zu haben.Ihre Freundin, die Johann Kihsl schonlänger gekannt hatte, wusste auch, dassder 22-Jährige einen homosexuellenPolizeibeamten „in der Hand“ gehabthatte. Ein Ohrenzeuge der Tat in derTivoli-Garage sagte zudem aus, dassder letzte Schuss beim Schusswechselerst nach einer Pause abgefeuert wor-den sei.
Ernst Karl wurde wegen Verdachtsdes Doppelmords in Untersuchungs-haft genommen. Er bestritt die Tat undbeharrte auf der Notwehrsituation, gababer nach längerem Leugnen zu, diebeiden Kriminellen absichtlich er-schossen zu haben. Er wurde am 15.Dezember 1969 wegen Doppelmordszu 20 Jahren Kerkers verurteilt. AlsMilderungsgrund wurde berücksich-tigt, dass er erpresst worden war. Derverurteilte Ex-Polizist wurde in dieJus tizanstalt Stein gebracht, wo er we-gen Gewaltausbrüchen und psychoti-schen Schüben auffiel.
41POLIZEI Juli – September 2018
KRIMINALGESCHICHTE/VOR 50 JAHREN
Justizanstalt Stein: Hier brachte der Ex-Polizist und Doppelmörder Ernst Karl1974 einen Mithäftling um.
Karl soll in seiner Zelle über Mithäft-linge zu „Gericht“ gesessen sein.
.
Karl sollte bei einem
Einbruch in Uniform
Schmiere stehen
Fotos: Werner Sabitzer
Ein dritter Mord. Am 15. Jänner1974 spielte Ernst Karl in einem Frei-zeitraum der Justizanstalt nach demMittagessen mit dem Mithäftling Jo-hann Rogatsch Schach. Rogatsch hatteam 8. Jänner 1960 eine Studentin ver-gewaltigt, gefoltert und ermordet unddie Leiche zerstückelt. Er war zu le-benslangem Kerker verurteilt wordenund galt in Stein als unangepasst undals Aufrührer.
Während des Schachspiels erwürgteKarl den Mädchenmörder, drückte denAlarmknopf und präsentierte den Ju-stizwachebeamten neuerlich eine Not-wehrsitutation: Er sei von Rogatschangefallen worden, weil er sich gewei-gert hätte, bei einem von Rogatsch ge-planten Ausbruchsversuch mitzuma-chen. Ernst Karl wurde wegen diesemMord vom Landesgericht Krems 1974zu lebenslanger Freiheitsstrafe verur-teilt. Unter den Mithäftlingen verbrei-tete sich das Gerücht, Karl hätte eine„Gerichtsverhandlung“ inszeniert, denMithäftling Rogatsch „zum Tod verur-teilt“ und das Urteil gleich „voll-streckt“.
Auch bei einem anderen Häftling,einem bekannten Wiener Unterweltler,versuchte Ernst Karl eine „Urteilsvoll-streckung“. Mehrere Justizwachebeam-te konnten aber den Mord verhindern.Dem überlebenden Opfer ging das Er-eignis aber so zu Herzen, dass er kör-perlich verfiel und Monate späterSelbstmord verübte.
Qualvoller Tod. Ernst Karl war ineiner Einzelzelle im Hochsicherheits -trakt untergebracht. Auf dem Türschildstand: „Vollzugsende: Der Tod“. Als eram 14. Jänner 2001 seine Zelle verwüs -tete und sich die Nase brach, wurde erauf ein Gurtenbett geschnallt und mitPsychopharmaka ruhig gestellt. Amnächsten Tag in der Früh fanden ihnJustizwachebeamte tot. Bei der ge-richtsmedizinischen Obduktion wurdefestgestellt, dass der verurteilte Mehr-fachmörder an den Folgen eines Darm-verschlusses verstorben war.
Werner Sabitzer
Landespolizeidirektion Wien42
VOR 50 JAHREN
olizeijurist Dr. Bernhard Pol -lak vom Wiener Sicherheits-büro hatte einen besonderenAuftrag bekommen. Aus Itali-en war ein telegraphisches Er-
suchen eingelangt, den ehemaligen rus-sischen Rechtsanwalt Donat Prilukowund seine Begleiterin, die attraktiveGräfin Maria Tarnowska zu verhaften,die Anfang September 1907 in Venedigin ein Mordkomplott verwickelt undnach Wien geflüchtet waren. Die Gräfin war eine außergewöhnli-
che Frau. Ihre Vorfahren stammten ausdem irischen Hochadel, mussten aberim 17. Jahrhundert nach einem Auf-stand emigrieren und ließen sich imrussischen Zarenreich nieder. Als 15-Jährige brannte Maria 1894 mit demjungen Kosakenoffizier Graf WassilTarnowski durch und heiratete ihnheimlich in einem Dorf bei Kiew. DieGräfin hatte eine außergewöhnlicheAnziehungskraft. Viele Männer, denensie begegnete, verliebten sich in sie. IhrSchwager nahm sich aus unglücklicherLiebe das Leben, ihr Mann musste sichmehrmals mit ihren Verehrern duellie-
ren und ein adeliger Großgrundbesit-zer ließ sich als „Liebesbeweis“ vonder Gräfin durch die Hand schießen
und forderte ihren Mann mit gezoge-ner Pistole auf, Maria freizugeben. Einweiterer in Maria verliebter Adeliger,Wladimir von Stahl, überredete diebeiden Kontrahenten, auf ein Duell zuverzichten. Bei der Versöhnungsfeierschoss Graf Tarnowski dem Neben-buhler in den Kopf. Wladimir von Stahlerschoss sich, nachdem ihn die Gräfin
abgewiesen hatte. Ein weiterer Adeli-ger nahm aus unglücklicher Liebe zurGräfin Gift.Nach der Scheidung war Maria Tar-
nowski häufig Gast auf Festen in denMetropolen Europas und die Zahl ih-rer Verehrer wuchs. 1904 wandte siesich an den erfolgreichen MoskauerRechtsanwalt Donat Prilukow. Er be-gann mit ihr ein Liebesverhältnis undbeschenkte sie großzügig. Da sie vonihm immer wieder Geld forderte, nahmder Anwalt Kredite auf und unter-schlug Klientengelder. Er wurde verur-
teilt und aus dem Stand der Rechtsan-wälte ausgeschlossen. Der nächste ein-flussreiche Adelige, der Tarnowska ver-fiel, war der russische Großgrundbesit-zer Graf Paul Kamarowski. Nachdemdessen Frau überraschend gestorbenwar, hielt er um die Hand Marias an.Diese willigte ein, nachdem sich Kama-rowski bereit erklärt hatte, sie zur Uni-
43POLIZEI Juli – September 2018
SERIE: WIENS BERÜHMTE KRIMINALISTEN (3)
Spezialist für „klamarose“ Fälle
P
Der Polizeijurist Dr. Bernhard Pollak vom Wiener Sicherheitsbüro zählte Anfang des 20. Jahrhunderts zu
den erfolgreichsten Konzeptsbeamten der Wiener Polizei.
Die Gräfin hatte eine außergewöhnliche Anziehungskraft. Viele Männer,
denen sie begegnete, verliebten sich in sie.
Der Kriminalist, Hofrat Dr. BernhardPollak starb im Alter von 63 Jahren.
Foto: Werner Sabitzer
versalerbin einzusetzen und eine hoheLebensversicherung zu ihren Gunstenabzuschließen. Auch der Student Niko-laus Naumov und Freund Kamarows-kis verliebte sich in die Gräfin.
Tod in Venedig. Um schneller andas Erbe und an die Lebensversiche-rung zu kommen, forderte Maria Tar-nowska Prilukow auf, Kamarowski zuermorden und besorgte einen Revol-ver. Da Prilukow verzweifelt agierteund drohte, sich selbst umzubringen,brachte die Gräfin den ihr hörigen Stu-denten dazu, Kamarowski zu er-schießen. Er musste ihr schwören, sienicht zu verraten und sich selbst zu tö-ten, sollte er verhaftet werden. Prilu-kow leistete Überzeugungsarbeit undbegleitete den Studenten Anfang Sep-tember 1907 nach Venedig, wo sich Ka-marowski in einer Villa aufhielt. Der
Student fuhr mit einer Gondel zur Vil-la seines Bekannten und schoss fünf-mal auf ihn. Dann flüchtete er nachVerona, wo er festgenommen wurde,ein Geständnis ablegte und die Hinter-gründe des Komplotts offenlegte. Gräfin Tarnowska und Prilukow
fuhren nach der Tat mit dem Zug inverschiedenen Abteilen nach Wien.
Bernhard Pollak und seine Kriminalis -ten stellten fest, dass sich die Adeligebereits vor der Tat mehrmals in Wienaufgehalten hatte.Von Prilukow fand sich aber in der
Kaiserstadt keine Spur. Allerdings be-fand sich die Gräfin vor dem Mord inBegleitung eines Mannes, der sich als„Eduard Zeiler, Rentier in Paris“ in je-
nem Wiener Luxushotel eingetragenhatte, in dem sich auch das spätereMordopfer im August 1907 aufgehaltenhatte.Kamarowski hatte in Wien eine Le-
bensversicherung über eine Summevon einer halben Million Francs abge-schlossen und am 20. August 1907 dieerste Versicherungsrate über 5.000
Francs einbezahlt. Gleichzeitig befandsich der spätere Mörder in Wien.Naumow und „Zeiler“ waren am 2.
September gleichzeitig von Wien nachVenedig gereist. Die Wiener Ermittlerkümmerten sich nun näher um „Zei-ler“. Das Hotel, in das er sich Briefesenden ließ, wurde observiert. Tatsäch-lich konnte „Zeiler“ am 6. September
Landespolizeidirektion Wien44
SERIE: WIENS BERÜHMTE KRIMINALISTEN (3)
Foto: Werner Sabitzer
Das Wiener Sicherheitsbüro war ab 1904 im neuen Polizeiamtsgebäude an der Elisabethpromenade (heute RossauerLände) untergebracht (Gemälde im Wiener Kriminalmuseum).
Der Student musste versprechen, dass er sich umbrächte,
wenn er von der Polizei erwischt würde.
1907 festgenommen werden, als er miteinem Fiaker zu seinem Hotel fuhr. Erwar mit dem Zug aus Venedig gekom-men. Neben „Zeiler“ wurden Gräfin Tar-
nowska und ihr langjähriges Dienst-mädchen vernommen. In den Verhörenim Sicherheitsbüro gab „Zeiler“ nachlängerem Leugnen zu, dass er der ehe-malige Rechtsanwalt Prilukow sei.Wie die Gräfin legte auch er ein
umfangreiches Geständnis ab. Prilu-kow versuchte, sich in seiner Zelle zuerhängen, Mithäftlinge hinderten ihndaran.Noch im September 1907 wurden
die drei Tatverdächtigen nach Venedigausgeliefert, wo sie nach zweieinhalbJahren Untersuchungshaft von einemGeschworenengericht zu Haftstrafenverurteilt wurden. Das Dienstmädchenwurde freigesprochen.
Die „russische Affäre“ war der spek-takulärste Kriminalfall in der Dienst-zeit Pollaks im Wiener Sicherheitsbüro,wo der Jurist im Lauf der Jahre zu ei-nem Spezialisten für „klamarose“, alsoherausragende Fälle geworden war. Bernhard Pollak wurde am 9. Mai
1872 in Wien geboren. Sein VaterHeinrich Pollak war Redakteur undMiteigentümer des „Neuen WienerTagblatts“. Bernhards Bruder Prof. Dr.Rudolf Pollak war k. k. Oberlandesge-richtsrat. Nach dem Jus-Studium undknapp zwei Jahren im Justizdienst tratBernhard Pollak am 23. November1900 in den Konzeptsdienst der Poli-zeidirektion Wien ein und versahDienst im Sicherheitsbüro, im Kom-missariat Josefstadt, im Vereinsbüro
und schließlich wieder im Sicherheits-büro. Anfang 1906 gründete er mit ande-
ren Juristen in Wien die „Österreichi-sche Kriminalistische Vereinigung“,deren Mitglieder sich mit grundlegen-den Fragen des Strafrechts, des Straf-
verfahrens und ähnlicher Bereiche be-fassten. Die Vereinigung war die öster-reichische Landesgruppe der „Interna-tionalen Kriminalisti-schen Vereinigung“, die1888/89 über Initiativedes Straf- und Völker-rechtlers Franz von Lisztgegründet worden war.Präsident der „Öster-reichischen Kriminalistischen Vereini-gung“ war Prof. Dr. Hans Gross, derBegründer der modernen Kriminalis -tik. Pollak war Vorstandsmitglied.1908 wurde Bernhard Pollak in die
Staatspolizeiliche Abteilung versetzt.Nach dem Zerfall der Monarchie
blieb Pollak in der StaatspolizeilichenAbteilung, deren Leitung er 1923 über-nahm. 1927 wurde er Leiter der Staats-polizeilichen Approbationsgruppe.Als Staatspolizeichef galt Pollak als
„treuester Gehilfe“ des Wiener Polizei-präsidenten und Politikers Johann
Schober. Er leitete die Ermittlungennach den schweren Ausschreitungenvom 15. Juli 1927 in Wien, bei denenfast 90 Menschen starben, Hunderteverletzt wurden und der Justizpalast inBrand gesetzt wurde. Bald nach dem Tod des Polizeipräsi-
denten Schober ließ sich Pollak Anfang1933 in den Ruhestand versetzen. Da-nach war er noch einige Zeit in der Di-rektion des Steyrermühl-Verlags tätig.
Vielfach ausgezeichnet. BernhardPollak wurde mit einer Reihe in- undausländischer Ehrenzeichen und Or-den ausgestattet, darunter das Ritter-kreuz des Franz-Josef-Ordens mit derKriegsdekoration und das GoldeneVerdienstkreuz mit der Krone. In derErsten Republik kamen das große Eh-renzeichen für Verdienste um die Re-publik Österreich und das große silber-ne Ehrenzeichen hinzu. Hofrat i. R. Bernhard Pollak starb
am 17. Juli 1935 in Wien an den Folgeneiner schweren Erkrankung. Er hinter-ließ seine Frau Johanna und die Töch-ter Edith und Elisabeth (Lisbeth), die
1932 den PolizeijuristenFranz Rupertsberger hei-ratete, einen MitarbeiterPollaks in der Staatspoli-zei. Weil er im Stände-staat gegen illegale Na-tionalsozialisten ermit-
telte, die extremistische Straftaten ver-übt hatten, wurde Rupertsberger nachder nationalsozialistischen Machtüber-nahme von der Gestapo verhaftet undin das Konzentrationslager Dachau ge-bracht.In der KZ-Haft wurde er so schwer
misshandelt, dass er zeitlebens unterden gesundheitlichen Folgen litt. Nachdem Ende der NS-Diktatur trat er indie Generaldirektion für die öffentli-che Sicherheit ein. Ab 1946 leitete erdie Sicherheitsdirektion Oberöster-reich und 1950 wurde er Polizeidirek-tor in Linz. 1959 kehrte er in das In-nenministerium zurück, wo er Leiterder Gruppe Staatspolizei wurde.
Werner Sabitzer
Landespolizeidirektion Wien46
SERIE: WIENS BERÜHMTE KRIMINALISTEN (3)
Grabstein Bernhard Pollaks auf demWiener Zentralfriedhof.
Der Jurist war im Lauf der Jahre zu einem Spezialisten
für „klamarose“, also herausragende Fälle geworden.
.
Er leitete die Ermitt -
lungen 1927 nach dem
Justizpalastbrand
Foto: Werner Sabitzer
SACHBUCH
TELOMER-EFFEKT
Im Mittel-punkt desBuchs derForsche-rinnenElizabethBlackburn und Elissa
Epel stehen die Enden un-serer Chromosomen, die„Telomere“. Bei jeder Zell-teilung fällt ein Stück derTelomere ab. Das Enzym„Telomerase“ hat die Auf-gabe, die Chromosomen-Enden zu reparieren. WennMenschen sich er näh ren,wie sie es oft tun, fett- undzuckerreich, wenn Men-schen sich zu wenig bewe-gen, dümpelt die Telomera-se dahin und die Telomerewerden immer kürzer. DieHaut wird faltig, derMensch wird dement, Orga-ne schrumpfen.Aufhalten lässt sich die-
ser Prozess nicht. Allerdingsist es möglich, ihn zu brem-sen. Durch ausreichend Be-wegung, fett- und zuckerar-me Ernährung wird die Pro-duktion von Telomerase an-gekurbelt und der Telome-renverschleiß gebremst. DieAutorinnen warnen vor In-ternetangeboten, die ver-sprechen, die Telomerase-Produktion zu stärken. Daskann zu Krebs führen.Blackburn und Epel erläu-tern, was realistischerweisegetan werden kann.
Elizabeth Blackburn,Elissa Epel: „Die Entschlüs-selung des Alterns – derTelomer-Effekt“, MosaikVerlag, München, 2017;www.mosaik-verlag.de
THRILLER
WÖLFE KOMMEN
Diehan-delndenPerso-nen imThriller„DieWölfe
kommen“ rei-chen von einemMann, der in den1970er-Jahren inKansas als Jugend-licher das Haus sei-ner Eltern angezün-det hat, über einenStricherburschen inNew York, der zwei
Jahrzehnte später einendreijährigen Buben entführthat, bis hin zu einer Kellne-rin, die in einem Diner inIndiana arbeitet, und einemEhepaar in Idaho, das einesAbends unerwarteten, gru-seligen Besuch erhält.Auf einer Farm inmitten
der wogenden Weizenfeldervon Kansas nimmt derThriller seinen Anfang.Zwölf Menschen werden indiesem komplex aufgebau-ten Episodenroman Teil der„Meute des Bösen“, wie esder Autor bezeichnet. Siewerden teils verfolgt undteils selbst zum „Raubtier“.Kapitel für Kapitel führtder Autor Jérémy Fel dieLeser in ein angsteinflößen-des Labyrinth einesmenschlichen Albtraums –und es führt von den USAbis nach Europa.
Jérémy Fel: „Die Wölfekommen“ (Thriller), Deut-scher Taschenbuch VerlagPremium, München, 2017,www.dtv.de
49POLIZEI Juli – September 2018
BÜCHER
FACHBUCH
FALSCHES VERHALTEN
Mit der Rationalität menschlicher Entschei-dungen dürfte es nicht weit her sein. In denletzten 30 Jahren rüttelten Forscher immer wieder amGlauben an das logische Denk- und Entscheidungsvermögendes „Homo sapiens“ – bis hin zu Zweifeln daran, ob derMensch überhaupt in der Lage sei, einen freien Willen zuentwickeln. Auch Strafrechtler und Kriminologen diskutie-ren mittlerweile, wie schuldhaft „Straftäter“ handeln könnenund ob schuldhaftes Handeln überhaupt möglich sei.Die Wirtschaftswissenschaften sind der Kriminologie eini-
ge Schritte voraus. Der „Homo oeconomicus“ – der Kosten-und Nutzen abwägende Konsument – scheint widerlegt zusein. Pioniere auf diesem Gebiet waren die WissenschaftlerDaniel Kahneman und Amos Tversky seit den 1970er-Jah-ren. In der „Prospect-Theorie“ beschrieben sie, nach wel-chen Gesichtspunkten Menschen in unsicheren Situationenentscheiden. Das Handeln der Menschen sei beispielsweisevon Verlustangst eher bestimmt als von Gewinnerwartung.2002 bekamen sie für ihre Forschung den Wirtschaftsnobel-preis (Tversky posthum, er war 1996 verstorben). 2017 er-hielt Richard Thaler ebenso den Wirtschaftsnobelpreis. SeineForschungsergebnisse zeigen in dieselbe Richtung wie jenevon Kahneman und Tversky. Richard Thaler gehörte unteranderem als „Verhaltensökonom“ dem Beraterstab von US-Präsidenten Barack Obamas an – mit dem Auftrag, die Be-völkerung „sanft“ zu beeinflussen. Auch andere Regierungenhaben solche „Nudging-Teams“. Thaler ist ein Vertreter derHypothese, dass der Mensch großteils irrational handelt –dass er sich zu seinen Ungunsten verhält („misbehaving“).Dementsprechend hat er die Forschungsergebnisse der letz-ten dreißig Jahre in seinem neuen Buch zusammengefasst.
Richard Thaler: „Misbehaving – was uns die Verhaltensö-konomik über unsere Entscheidungen verrät“, Siedler Verlag,München, 2018; www.randomhouse.de
Foto
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Richard Thaler: Menschen handeln fragwürdig.
Landespolizeidirektion Wien50
IMPRESSUM Herausgeber: Landespolizeidirektion Wien, 1010 Wien, Schottenring 7-9, vertreten durch Dr. Gerhard Pürstl, Mag. Franz Eig-ner, Dr. Michael Lepuschitz, MA. Herausgebervertreter: Gerald Baran, BA, Rudolf Haas, BA, Gerhard Haimeder, BA, Wolfgang Krammer, MA,Werner Matjazic, MA, Mag. Manfred Rein thaler, MA, Mag. Klaus Schachner, MA, Dr. Thomas Schindler, Xenia Zauner, MA. Chefredakteur: Dr.Gerhard Brenner. Redaktionsanschrift: 1010 Wien, Schottenring 7-9, Tel. (01) 31 310-76002, [email protected]. Redak tion: Prof. Fer-dinand Germadnik, MSc, Maria Rennhofer-Elbe, Werner Sabitzer, MSc, Mag. Rosemarie Pexa, Anna Strohdorfer, MA. Weitere Autoren: Frie-drich Kovar, BA, Stefan Kunrath, Christoph Pölzl. Bilder: Bernhard Elbe, Prof. Ferdinand Germadnik, MSc, Gerd Pachauer, Mag. RosemariePexa, Werner Sabitzer, MSc, Alexander Tuma, Gerhard Zehetbauer-Kopic. Medieninhaber (Verleger) und Hersteller: Wilhelm BzochGmbH., Wiener Straße 20, 2104 Spillern, Tel. (02246) 4634, Fax (02246) 4634-690, E-Mail: [email protected]. Anzeigenleitung: Jo-hann Köchelhuber, Tel. (0664) 462 71 34. Herstellungsort und Verlagspostamt: Spillern. Grundlegende Richtung: Informationsmediumfür Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landespolizeidirektion Wien und die am Thema Sicherheit interessierten Bürger. Kommentare
und namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung des Verfassers wieder. Um einen ungestörten Lesefluss zu er-
halten, wird grundsätzlich die männliche Form verwendet und damit auch weibliche Bedeutungen mit umfasst. Der Nachdruck von Inse-
raten ist nicht gestattet; der vollständige oder teilweise Nachdruck von redaktionellen Beiträgen nur mit Zustimmung der Redaktion.
SCHLUSSLICHTSTILBLÜTEN ZITATE
„Frau auf Kreuzfahrt ver-
schwunden – Mann wieder
frei.“
„Rheinische Post“
„Bis heute verkörpert As-
ma al-Assad das sympathi-
sche Gesicht der syrischen
Diktatur.“
„Weekend-Magazin
Vorarlberg“
„Alkoholverbot: Die Räte
schwanken.“
„Freie Presse“
„Bei den Urintrottoirs
fliesst der Urin in ein Blu-
menbeet. Das hilft gegen
den Gestank und macht die
Stadt farbiger.“
Zürcher „Tages-Anzeiger“
„36-jähriger Italiener hat
bereits vor seinem Tod Sui-
zidabsichten geäußert.“
„Neue Zürcher Zeitung“
„Reinrassiger Mischlings-
hund“
„Göppinger Wochenblatt“
„Frau von Baum erschla-
gen – Unwetter richtet zu-
dem Schaden an.“
„Rhein-Zeitung“
„Die Polizistinnen und
Polizisten sollen den Groß-
teil ihrer Dienstzeit dafür
verwenden, sich um Anlie-
gen der Menschen zu küm-
mern.“
BMI-Generalsekretär Peter
Goldgruber in der Fachzeit-
schrift „Öffentliche Sicherheit“
„Die Zehn Gebote Gottes
sind deshalb so klar und ver-
ständlich, weil sie ohne Mit-
wirkung einer Sachverstän-
digenkommission zustande
gekommen sind.“
Charles de Gaulle
„Um das polizeiliche Ins -
titut zum Gedeihen der Ge-
samtheit in regelrechtem
Gang zu erhalten, ist aber
unerlässlich, auch den niede-
ren Beamten dieser Branche
materiell so zu dotieren, dass
er bei bescheidener aber an-
ständiger Lebensweise mit
offenem Auge und lachen-
dem Munde den Verfüh-
rungskünsten des Reich -
thums widerstehen, dass er
so leben kann, wie man es
von ihm fordert.“
Anton Ritter von Le
Monnier, Polizeichef in Wien
von 1870 bis 1873
ANFÄNGE DER POLIZEITELEKOMMUNIKATION
Im Juli 1871 wurde bei der Wiener Polizei eine Telegrafen-
schule eingerichtet. Ein halbes Jahr später wurden zwei Leitun-
gen mit vier Telegrafenstationen aufgebaut. Eine Leitung führte
von der Polizeidirektion „Am Peter“ zum Polizeigefangenenhaus
am Salzgries; die zweite Verbindung bestand zwischen dem
Kommissariat Leopoldstadt und der Sicherheitswachekaserne
in der Körnergasse. 1872 gab es 30 neue Telegrafenstationen
und 1877 bereits 105 Stationen. Verbindungen bestanden zur
Feuerwehrzentrale Am Hof, zu den Bezirksfeuerwachen und zu
den freiwilligen Feuerwehren der Vorortbezirke. Im Jahr 1929
verfügte die Wiener Polizei über 250 Telegrafenstationen.
1882 wurden bei der Wiener Polizei die ersten Telefone in
Betrieb genommen. 1929 bedienten vier Frauen und Männer
die Telefon-Hauszentrale mit 300 Klinkensteckerverbindungen.
Es gab eine weitere Telefonstation für zwei Vermittler sowie 21
kleinere Hauszentralen bei den Bezirkspolizeikommissariaten.
Für die Kommunikation nach außen gab es 274 Amts- und 276
Nebenstellen; für interne Telefonate standen 230 Stationen zur
Verfügung.
Telegrafie in der Polizeidirektion Wien.
SCHLUSSLICHT