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Untersuchungen zur Lehre vom Farbensinn. Von Dr. W. Koster Gzn. aus Utrecht. Die Theorieen des Farbcnsinnes yon Young-Helm- holtz, yon Hering und yon Donders lassen es dahin- gestellt, in welchen Theilen oder Elementen der percipiren- den Schicht der Netzhaut die photochemischen Processe, welche die versehiedenen Farbenempfindungen hervorrufcn, sich abspielen. In den letzten Jahren ist von einigen Autoren versucht worden, die sogemmnten Sehsubstanzen ihres theoretisclwn CMrakters zu entkleiden, und sie mit wirklich vorhandenen, miter dem Einflusse des Lichtes sich ver~indernden Stofl~,n in der Retina zu identificiren. Hierbei stiessen diese Au- toren aber auf erhebliche Schwierigkeitcn und nur durch Aufstellung yon neuen Hypothesen und durch eingreifende Aenderungen der erw'~thnten Fm'bentheorieen komlten sie dieser Aufgabe einigernmassen gerecht werden. Um die theoretischen Ansclmuungen zu priifen, wurdc oine Reihe neuer Experimente angestellt; es sind die Wieder- holung und theilweise die Weiterftihrung dieser Versuche, welche reich veranlassen, die genannten neuen Anschauungen einer Kritik zu unterwerfen. Bevor ich aber dazu iibm'- gehe, mSchte ich d'ls Resultat einiger Messungen iib~,r das Vorkommen der StSbchen und Zapfen in der Gegend v. Graefe's Archiv f'tir Ophthalmologie. XLI. 4. 1

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Page 1: Untersuchungen zur Lehre vom Farbensinn

Untersuchungen zur Lehre vom Farbensinn.

Von

Dr. W. K o s t e r Gzn. aus Ut rech t .

Die Theorieen des Farbcnsinnes yon Y o u n g - H e l m - holtz, yon H e r i n g und yon D o n d e r s lassen es dahin- gestellt, in welchen Theilen oder Elementen der percipiren- den Schicht der Netzhaut die photochemischen Processe, welche die versehiedenen Farbenempfindungen hervorrufcn, sich abspielen.

In den letzten Jahren ist von einigen Autoren versucht worden, die sogemmnten Sehsubstanzen ihres theoretisclwn CMrakters zu entkleiden, und sie mit wirklich vorhandenen, miter dem Einflusse des Lichtes sich ver~indernden Stofl~,n in der Retina zu identificiren. Hierbei stiessen diese Au- toren aber auf erhebliche Schwierigkeitcn und nur durch Aufstellung yon neuen Hypothesen und durch eingreifende Aenderungen der erw'~thnten Fm'bentheorieen komlten sie dieser Aufgabe einigernmassen gerecht werden.

Um die theoretischen Ansclmuungen zu priifen, wurdc oine Reihe neuer Experimente angestellt; es sind die Wieder- holung und theilweise die Weiterftihrung dieser Versuche, welche reich veranlassen, die genannten neuen Anschauungen einer Kritik zu unterwerfen. Bevor ich aber dazu iibm'- gehe, mSchte ich d'ls Resultat einiger Messungen iib~,r das Vorkommen der StSbchen und Zapfen in der Gegend

v. Graefe's Archiv f'tir Ophthalmologie. XLI. 4. 1

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2 W. Koster.

tier Fovea centralis mittheilen; woes sich darum handelt~ die Bedeutung des Sehpurpurs und seiner Zersetzungs- producte, sowie die Function der St~bchen und Zapfen zu erforsehen, muss die genaue Kenntniss der centraleu Pal"thie der ~etzhaut die wichtigste Grundlage fiir die Beurtheilung der Yersuchsresultate abgeben.

V o r k o m m e n der S t~bchen u n d Zapfen in der G e g e n d

der F o v e a centralis .

Wiewohl es eine l~ngst bekannte Thatsache ist, dass ill tier centralen Netzhautgrube nur Zapfen vorkommen, so ist, so viel ich gesehen habe, die Ausdelmung dieser st~bchenfreien Zone niema]s gemessen worden. ]3ei den ~'orliegenden Versuchen und Betrachtungen you KSnig und yon K r i e s wurde vorausgesetzt, dass die sti~bchenfreie Zone identisch sei mit der kleinen Grube in der Retina; ungl[icklicherweise stimmen aber die Messuugen fiber die Breite der Netzhautgrube uicht genfigend mit einander iiberein, und besonders die neueren Mittheilungen yon F. D i m m e r weicheu erheblich yon den bis jetzt giiltigen Zahlen ab. Hiernach sehien mir der Versuch unerl~sslich, die Breite der st:~tbcheni}'eien Stelle zu messen, bevor ieh die Resultate meiner Versuche und die darauf gestiitzten kritischen Bemerkungen nfittheilte.

Ich begann die Messungen in dem Laboratorium des HeaTh Professor L e b e r , wobei ich reich der freundlichen RathschlSge dieses Forschers, sowie der liebenswfirdigen Hfilfe des HelTn Oeheimrath Kf ihne zu erfreuen hatte. [ch wurde mir dabei haupts~chlich fiber die zu befolgende Methode der Untersuchung klar, und hatte nachher im Laboratorium des Herrn Professor P a n a s in Paris Ge- legenheit~ einige definitive Messungen auszufiihren; aueh dieser Gelehrte hat Ansprueh auf meinen Dank.

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Untersuchungen zur Lehre vom Farbensinn. 3

Bei seinen Versuchen [iber das Vorkommen des Seh- purpurs in der menschlichen Netzhaut hatte W. Ki ihne bemerkt~ dass die Zapfen und St~behen in der Gegend der M~cub~ lutea ausserordentlich seharf wahrgenommen wer- den konnten, wenu die ganz frische Netzhaut ohne Weiteres yon der Fl~tche angesehen wurde; d~ indessen andere Zwecke verfolgt wurden, blieb keine Zeit fiir die Messung der Verhgltnisse in der Fovea fibrig. Ich benutzte dieselbe Methode i), wobei das Stiickehen Retina, welches die Fovea und die Papilla nervi optici enth~ilt~ in einen hohlgeschliffenen Objecttr~tger gebracht und derart mit einem Deekglas ver- sehen wurde, dass die chorioideale Seite der Retina gegen die Unterflgche desselben angesogen lag, w~hrend wo nSthig etwas GlaskSrper zugefiigt wurde, mn die Luft zu entfernen. Ieh konnte reich yon der Brauehbarkeit dieser Behandlungs- weise fiberzengen; nur muss das Pr~tparat ganz fiiseh sein, denn zwei Stunden nach dem Tode land ich das Bild der (]renzen der Fovea schon zu ~'iel getriibt, um zuverlSssige M~essungen auszuftihren.

]11 der folgenden Tabelle sind die Resultate zusammen- ge£~sst (s. S. J).

Die Retinae, welehe in Fornlol gehSrtet waren~ ergaben uur dann :Bilder, welche die St~tbehen und Zapfen nfit roller Sieherheit yon einander unterscheiden liessen, wenn sie parallel zu ihrer Oberil~ehe in Schnitte zerlegt win'den. Um dies zu ermSglichen, wurde die folgende Methode be- fblgt. In den Objeethalter des Mikrotoms wurde ein Stiick guten Korkes festgesehraubt und seine Oberfl~ehe mit dem Mikrotommesser glatt geschnitten; dann wurde das zu unter- suchende Stiickchen ~qetzhant~ welches die gewShnliche Be- handiung mit Alkohol, Aether und diinnem Celloidin

l) Fiir die ausfiihrlichere Darstellung dieser Messungen siehe: ]~]tude sur les cbnes et les b~,tonnets dans la rdgion de la tbv6a cen- tralis de la r~tine chez l'homme. Arch. d'Ophthalmologie, Juillet 1895.

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Vertiealer Durchmesser der st~behen- freien Zone . . . . . . . .

Horizontaler Dureh messer d. sti~behen- freien Zone . . . . . . . .

Vertiealer Durehmesser der Fovea, die wenig stitbehenffihrende Zone mit inbegriffen . . . . . . . .

Horizontaler Durehmesser der Fovea, die wenig stSbehenfiihrende Zone mit inbegriffen . . . . . . . .

Breite der Fovea, gemessen bis zum Anfang der Kreise yon Sti~behen urn die Zapfen (vertical sowoh] wie horizontal) . . . . . . . . . I,~4 ,,

-~ ca

0,828mm 0,44mm

0,874 ,,

0,552mm

0,44 ,, - -

0 , 7 7 . ,

0 , 8 8 . ,

Bei einem dureh seeundlires Glaukom erbtindeten Auge eines 20ji~hrigen Mi~dehens maass ieh fiir die gTSsste Breite der stabehen- freien Zone 0,901 mm (Hi~rtung in 10% Formol).

durchla.ufen ha tte, w~thrend weleher Zeit es immer flach ausgespannt win:, anf die mit Aether benetzte Fl~che des Korkes gelegt und mit einigen Tropfen dicker Uelloidin- 15sung iibergossen. Die weitere Behandlung wa' dieselbe wie fiir Einbettung anderer Pr~tpan~te, nut wurde der ganze Schlitten des Mikrotoms mit dem Stiick Kork yon dem Apparat enti~rnt, urn das Celloidiu in Alkohol yon 70 °/o zu h~l~en; man kann den Schlitten leicht so hinlegen, class nur das CelMdin in dem Alkohol untergetaucht ist. ~¥urde nachher deer Schlitten wieder an seine Stelle gebracht, so tag (lie Fl~iehe der Schnitffiihrm~g des Messers parallel tier Netzhaut, uudes war mSglieh, Sehnitte zu erhalten, welehe (lie Fovea in ihrer ganzen Ausdehnung dnr~.hsetzten.

Ueberbli&en wir die Zahlen der 3~[essungen, so ergieht sieh, dass eine gewisse Uebereinstimmung besteht zwisehen dan Zahlen der sti~behenfreien Zone des Auges in der ersten

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Unte~:suchungen zur Lehre vom Farbensinn. 5

Columne und denen ffir die Breite der Fovea, einsehliess- lich der wenig stSbchenftihrenden Zone in dem Auge der zweiten Columne; es erscheint mir daraus hervorzugehen, &~ss vielleicht das Vorkommen dieser einzelnelt St~bche~ zwischen den Zapfen individuellen Unterschieden unterhegt. Ich habe als wenig st~tbchenfiilu'ende Zone jenen TheiI berechnet, wo nach meiner Sclfiitzung auf 10--15 Zapfen nur 1 St~ibchen vorkommt; begreiflicher Weise sind also die gezogenen Grenzen hier einigermaasse,~ willkiirlich. Jeden- falls aber scheint es mir berechtigt, fiir die Breite deljenigen Stelle der Netzhaut, wo die Function der Zapfen tiber- wiegend ist. die Z~dfl yon 0,8 mm mlzunehmel~; besonders wenn wir noch in Betracht ziehen, &tss die hier unter- suchten Augen denen des Erwachsenen an Grtisse doeh immer etwas mtchstehen. Ebenso scheint es mir erlaubt, flit die Stelle, wo nut die Fmlction der Zapfen ihre Roll(. spielt, eine iBreite yon 0.5 mm m~zunehmen. Wir k6nnen da gewiss keine grossen Fehler machen, weil alas A uttreten tier Stiibchen zwischen den ZN,fen sehr allmi[hlich anf~ngt..

Aus diesen wenigen Messmlgen, welche ich Gelegen- heit hatte. ~mszuNhren, geht abet weiter hervor, das.~ es nothwendig ist, dieselben itber eine griissel'e Zahl yon Augen auszudehnen.

Von weniger .[nteresse Nr die Fragen, welche mls in den Mgenden Seit~m besctfiiftige,, werden, ist die That- satire, dass in dmjenigen Gegend tier Fovea. weldle ich als st~ibchenfrei bezeichnet habe, vielleicht doch hier oder dort ein solehes Gebilde zu finden war. Ieh beobachtete niilnlieh ganz vereinzelt zwis&en den regehn:~tssig angeord- neten Zapfim zuweilen ein Element, welches der Form nach lebhaft an ein Stiibchen erimwrte und welches gewiss kein Zapfen war, der auf einem anderen Niveau stand, wie sich bei versctfiedener Einstellung des Mikroskopes zeigte. Ich habe abet keine anderen Mittel tmwenden k6nnen, mn die Natur dieser isolirten Gebilde festzustellen. Jedenfalls

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kommen sie aber so sp~rlich vor, iiber die ganze Breite dcr Fovea nur eins oder zwei, dass sie fiir die Untersuehung der Function dieses Theiles der Netzhmlt ohne Weiteres vernaehliissigt werden kSnnen.

Der Ansicht, dass die Ausdehnung der Stiibchen um die ~ovea individuelten Untersehieden unterlie~, ist auch Ki ihne . W~hrend dieser Untersucher bei einer Mitthei- lung 1) , ,Ueber die V e r b r e i t u n g des S e h p u r p u r s im m e n s c h l i e h e n A u g e " angiebt, dass sich St~behen in der Maeula lutea vorf~nden, berichtet er spiiter~ dass bei der Untersuchung ~) yon einigen weiteren Augen sowohl die Maeula wie (lie Fovea frei yon Stiibchen gefunden wurden. Auch lesen wit hier~ dass die Zone der st~bchenfreien Netzhaut, central, bei diesen Augen gewiss zweimal breiter war. ttls bei den ersten zur Untersuchung benutzten.

Vergleiehen wir die Zahlen, welche flit die sti~bchen- ii'eie Stelle gefunden wurden, mit den Resultaten der Messung der Breite der Netzhautgrube~ so ergiebt sich; d~ss die Dimensionen der letzteren viel kleiner sind als die der ersteren. K S l l i k e r ~) land f'~" diese letztere 0,18 bis 0,225mm; M. S e h u l t z e 4) 0,2ram; H e n l e ~) 0,2ram; K u h n t 6) 0,2 mm in horizont~ler Richtung und 0,15 mm in vertiealer; nut W ~ d s w o r t h 7) und D i m m e r s) f~nden grSssere

~) In: Untersuchungen aus dem physiologischen Institut der Universitiit Heidelberg. Bd. I, tteft 2.

~) Weitere Beobachtungen fiber den Sehpurpur des Menschen. Ibid. Bd. I, Heft 2.

s) KSlliker, Gewebelehre, 3. Auflage. ~) M. Schultze, in Stricker's Haudbuch der Lehre you den

Geweben. ~) Henle, Anatomie Bd. 2. 2. Aufl. 6) Kuhnt, Ueber den Bau der Fovea centralis. Sitz.-B. d. Ophth.

Gesellsch. Heidelberg 1881. ~) Wadsworth, The fovea eentralis in man. s) Fr. Dimmer, Beitrage zur Anatomie und Physiologie der

Macula lutea des Menschen. 1894.

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Untersuchungen zur Lehre yore Farbensinn.

Werthe; der Erstere n~mlieh 0,4 bis I ram, je naeh der Tiefe, worin gemessen wurde; der Letztere yon 1,4 bis 2 mm in horizontaler Riehtung bei der Messung yon 5 Augen, indem er als Grenze der Grube die Stelle annahm, wo die Netz- haut anf:dngt diinner zu werden. Diese letzteren Zahlen stimmen besser mit meinen Messungen fiberein; es ist demnach wahrscheinheh, dass die Grenze der Kreise yon St~bchen um die Zapfen ungef~hr mit der Stelle der an- fimgenden Dickennbnabme der Netzhaut zusammenf~llt.

H y p o t h e s e n yon A. KSnig 1) fiber die B e d e u t u n g des Sehpurpurs und des Sehgelbs fiir das Farbensehen.

KSnig ist mit Ebb ingh~us der Ansicht, dass wir in dem Sehpurpur und seinen Zersetzungsprodueten eine der die Grundempfindungen vermittelnden, photoehemiseh ver- ~nderliehen Sehsubstanzen zu erblicken haben. Bekannt- lieh hat E b b i n g h a u s ~) die Hypothese aufgestellt., dass neben dem Sehpurpur, der sowohl in den Zapfen "ds in den St~tbehen vorkommen soil, eine zweite, gr[in gefSrbte Sulo- stanz in der Netzhaut, und zwar nur allein in den Zapfen anwesend sein soll, welehe aber immer unsiehtbar sei, weil ibre Farbe mit dem Purpur eOml)lementhr ist, und beide gemischt also weiss aussehen. Beweise ftir das Vorhanden- sein dieses hypothetisehen Stoffes hat E b b i n g h a u s niebt beibringen kSnnen. Die Zersetzung dee Sehpurpurs resp. Sehgelbs soll die Gelb- und Blauempfindung hervorrufen, (lie Zersetzung (let' griinen Subst,'mz die EmpfiDdung "~on l~oth nnd Griin. KSnig sehliesst sich der Ebb ing-

') Ueber den menschlichen Sehpurpur und seine Bedeutung ftir das Sehen yon Prof. Dr. Arthur K6nig, Sitzungs-Ber. der KSnigl. Preuss. Akad. der Wissenschaften zu Berlin. XXX. Bd., Juni 1894.

~) Ebbinghaus, Zeitschrift fiir Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. Bd. V. 1893.

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haus'schen Hypothese fiber die Roth-Griinsubstanz nicht an, sondern sucht auf anderem Wege die aus dem Fehlea des Sehpurpurs in der Fovea centralis hervorgehenden Sehwierigkeiten zu umgehen. Indem KSnig auf Grund der Helligkeitsvertheilung im farblosen, liehtschwachen Spectrum, und der Intensit:,itsvertheilm~g der Grundempfin- dungen im farbigen Speetrun b im Verband mit den Resul- taten der Yersuche iiber die Absorption in dem Sehpurpur und dem Sehgelb fiir dim Strahlen yon verschiedener Wellenl~inge, zu dem Schlusse kommt, dass die Zersetzuug des Sehpurpurs in Sehgelb nut H e l l i g k e i t s e m p f i n d u n g hervorruft, wNlrend die weitere Ver:~inderung des Sehgelbs die Grundempfindung Blau vermittelt, wird er zu der Folgerung geftihrt, dass der eentrale Theil der Netzhaut hinsichtlich der Liehtempfindliehkeit der Peripherie der- selben nachstehen muss , -und dass die Fovea eentralis b laubl ind sei. Was die erste Annahme anbehmgt, so scheint diese zuzutreffen, obwohl auch hiergegen verschiedene EinMinde zu machen sind. Die centrale Partlfie der Netz- haut wird n~mlich gewShnlich~ wenn wir das Auge far Licht adaptiren wollen, st~irker beleuchtet als die peripheren Theile und es liesse sich daraus erkl:~ren, dass wir einen ganz sehwachen Lichteindruck in der Peripherie friiher wahrnehmen. Ftir reich trifft dies insoweit zu, als ich die centralen Theile lichtempfindlicher machen kann als die peripheren, wenn ieh naeh Aufenthalt im Dunkeln nieht din'oh das helle Fenster zmn Hilnmel blieke, sondern der dunkeln Umrahmung desselben mit dem Blieke entlang gehe; mein Auge erkennt dann die Helligkeit des farblosen Spectrums central friiher als peripher.

Wenn wir das Auge far die Dunkelheit adaptirt haben, so seheint allerdings die Umgebung der Fovea liehtempfind- lieher als die Stelle, welehe zmn Fixiren benutzt wird; yon einer Reihe farblos erseheinender ~'iereekiger Feldehen ver- sehwindet immer dasjenige, welches fixil~ wird, wiihrend die

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iibl~gen sichtbar bleiben oder nm ° dann and wann ver- schwinden. Herr Professor Lebe 1" wies reich darauf hin, &~ss wit auch jetzt mit der Deutung dieser Erseheinung sehr vm'sichtig seia miissten, well es mSglich sein kSnnte, dass nur die schnell eintretende Ermtidung der eentralen Parthie Ursaehe des Verschwindens wiire, w:~ihrend die peri- pheren Feldehelt dutch kleine Bewegungen des Auges um die Sehaehse fortw~hrend ihre Stelle auf der Retina wechseln k,'mnten. Dafiir sprieht gewiss, dass nach Sehliessung des Auges~ oder nach Abschweifung des Blickes und erneuerter Fixirung central immer fiir einen Augenblick eines der Feldehen gesehen werden kann. Doch s&ien mir die Empfindung perii)her gewiss etwas helter, so dass doch immer eine kleine Ueberlegenheit der Peripherie in dieser ICIinsicht zu bestehell scheint.

Dass abet die centrale Parthie der Netzhaut, d. h. iiber die ganze Strecke, wo der Sehpm])ur tbhlt, b l a u b l i n d sein sollte, ist so sehr im "~Viderspruch mit unserer tagt~glichen Erfahrm~g, dass nut die zwingendsten Griinde uns veran- lassen kSnnten, die KSnig'sche Hypothese tiber den vicm'i- irenden Fixirpunkt fiir blaue Objecte anzunehmen. Solche scheinen mir his jetzt nicht vorzuliegen; die Einwiinde yon E w a l d H e r i n g ~) gegen die Versuche, welche Kiinig zum Beweis der centralen Blaublindheit anfiihrt, seheinen mir vSllig zutreffend. Ebensowenig glaube ich, dass der Y o u n g - He 1 m holtz 'schen Theorie des Farbensinnes mit der An- nahme KSnigs , class eine der Grundempfindungen gerade an der Stelle des deutlichsten Sehens ausfStlt,, und also bei allen Farbentiichtigen das System bier zu einem diehroma- tischen, demjenigen tier Roth- und Griinbl{nden :,thnliehen, redueirt wird, besondel~ gedient sein kann. Denn es handelt sieh nieht um eine punktfSrmige Stelle, sondern

') Ueber die angebliehe Blaublindheit der Fovea eentralis, yon Ewald Hering. Bonn 1~94. Areh. f. d. ges. Phys. Bd. 59.

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mn einen ziemlich ausgedehnten Theil der Netzhaut. Nehmen wir nach den oben mitgetheilten Messungen far die st~bchenfreie Stelle eine Breite yon 0,5 mm an, so ent- spricht dies einem Sehwinkel yon 1 ° 54'; die Stelle, wo die Function der Zapfen f i b e r w i e g e n d ist, und wofiir wir eine Breite yon 0~Smm angenommen haben, wiirde einem Sehwinkel yon 303' entsprechen; und wenn wir in Betraeht ziehen, dass nach den Untersuchungen yon K f i h n e selbst diejenigen St~behen, welehe in tier Macula tutea zu ver- zeichnen waren, p u r p u r f r e i gefimden wurden, so mfisste die ganze Stelle der Netzhaut yon 1,84 mm Breite blaublind sein, was mit einem Sehwinkel yon 7 o 2' iibereinstimmen wfirde. Auf einer Ebene in 1 M Distanz yore Auge entsprieht ein Sehwinkel yon 1°55 ' einer kreisfSrmigen Fl~ehe yon • ~3mm Durchmesser; Bin Winkel yon 303 ' einem Dureh- messer yon 53 ram, und ein ~Vinkel yon 7°2 ~ einem Kreis- durchmesser yon 123ram. Solche ausgedehnte centrale farbenblinde, resp. ffir Farben wenig empfindliehe Stellen sind in keinem normalen Auge zu beobachten, und wir kommen iiber diese Thatsache mit keiner neuen Hypothese hinweg.

C,

T h e o r i e y o n J. y o n Kr ie s ~) f iber die Funct ion tier S t ~ b c h e n u n d Z a p f e n der m e n s c h l i c h e n N e t z h a u t .

yon K r i e s ward auf Grund ~on Betraehtungen fiber das farblose hehtschwache Speetrmn und zur Erkl~irung des sogenannten Phfitnomens yon P u r k i n j e zu der Hypothese gefiihrt. ,,dass wir neben dem, peripher dm-ch die Zapfen reprSsentirten trichromatisehen Sehapparat~ einen peripher durch die Stiibchen reprSsentirten, monoehromatischen, nur f~rblose Helligkeitsempfindungen liefernden, besitzen~ welch

1) j. v. Kries, Ueber den Einfluss der Adaptation auf Licht- und Farbenempfindung und fiber die Function der St~bchen. Be- richte der naturf. GeselIsch. zu Freiburg i. Br. 9. Band. Heft 2.

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letzterer ~ls lichtempfindliche Substanz den Sehpurpur ftihrt, uud in seiner Function durch Verbrauch und An- sammlmlg dieses KSrpers beeinflusst wird." Weiter nimmt yon K r i e s an~ dass die St~tbchen, besonders wenn sie durch Dunkeladaptirung purpurreieh sind, schon durch sehr geringes Licht erregt werden, (lass sie aber andererseits auch bei starker Reizung nur die Empfindung eines m~ssig hellen Grau zu liefern vermSgen.

Diese theoretische Annahme, so ganz in Einklang mit den anatomischen Verhiiltnissen der Netzhaut, giebt fiir die beiden mehr genannten Ph~nomene eine ungezwungene Er- kl~rung ab. Sie wird aber, wie yon K r i e s hervorhebt, :ds erste Prtifung die zu bestehen haben, dass sowohl das Purk in je ' sche Ph~nomen, wie die Erscheinungen des liehtsehwachen Spectrums fiir die purpurfl-eie Fovea cen- tralis nicht bestehen diirfen.

yon Kr i e s meint sieh yon der Riehtigkeit dieser (!onsequenz seiuer Theorie iiberzeugt zu haben. Ich glaube abet. dass, wenn man die Versuehsanord,ung etwas ver- 5ndert, der Beweis geliefert werden kann, dass zwisehen den centralen und den angrenzenden peripheren Netzhaut- 1)~,rthien nicht ein qualitativer, sondern hSchstens ein quantita- river Unterschied in Bezug auf Licht- und Farbenempfin- dung nachgewiesen werden kann.

Fiir (lie tblgenden Versuehe wurden nut die Farben des S])ectrunls des diffnsen Tagesliehtes henutzt. Um allc Fehh, rquellen zu vermeiden, wurde die Intensit~tt des Spectrums nieht ge~ndert dutch Verengerung der Spalte des Heliost~ten, sonderu durch Schliessung oder Oeffnung eines Diaphragmas, welches direct hinter der achromatischen Linse, welche auf dem Schirm ein Bild yon der Spalte des Heliostaten entwirft, aufgestellt war. Man iiberzeugt sich leicht, dass bei dieser Anordnung das yon der Spalte ent- worfene Bild sich his zum vSlligen Versehwinden sehr gleichmitssig verdunkelt, indem yon jedem Strahlenkegel,

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den jeder Punkt der Lichtspalte ausschickt, ilamer ein gleichgrosser Theil ausgeschnittell wird. Bekanntlich kann die Methode, das Spectrum dutch Verengerung der Spalte des Heliostaten abzuschwSehen, dadurch Anlass zu fehter- lmfter Wahmehmuug werden, weft das Spectrum factisct~ aus einer unendlich grossen Z-~hl yon Spectra zusammen- gesetzt ist, welche ein wenig gegeneinander verschoben liegen, und jetzt bei VersehmiLlerung der Spalte ein wilt- kiirlicher Theil derselben herausgenommen wird, wodurch die relative Lage der versehiedenen Farben sieh etwas i~ndert. Weiter wurde alles diffuse Tageslicht abgeschlossen~ indem das Lichtbiindel yon der Spalte des Heliostaten dutch ein gesehwgrztes Rohr geleitet wurde, withrend die achromatische IAnse mit ihrem bewegliehen Diaphragnla genau in die Oeffnung desselben passte.

Um das Purkin je ' sehe PhSnomen ftir die J~ovea centralis ztl priifen, wurde die folgende Anordnung getroffen. Das scharfe speetrale Bild der Spalte wurde auf einem Sehirm aus weisser Pappe aufgefangen and in dem Roth und dem Bhm mit Bleistift zwei Stellen m~rkirt, welche bei der grSss- ten Weite des Diaphragmas gleiehe HeIligkeit zu haben schienen. An diesen zwei Stellen wurden in dem Sehirm zwei quadratische Fensterchen eingeschnitten, yon 5 mm Seite, jedoch in der Weise, dass die Pappe auf einer der verticalen Seiten nieht gm~z durehtrennt wurde, sodass zwei kleine Thiirchen in dem Schirm entstanden; diese Thiirchen ~'urden nach hinten geSffnet~ derart, dass sie mit dem Schirm einen Winkel yon et~as mehr als 30 o bildeten, und das spectrale Roth und Blau konnte yon der Seite aus auf diesen kleinen Fl~chen gesehen werden; maa kann das Auge leicht so aufstellen, dass diese beiden Felder, das rothe nnd das blaue, yon gleieher Helligkeit, neben einandel ~ ihr Bild auf der l~etzhaut entwerfen; die ganze Breite dieser Felder ist dann auch ungef~hr 5 ram. Befindet sich das Auge des Beobachters in einer Entfernung yon 0~5 m~

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so f~llt das halb blau, halb roth gef'~rbte Bild im Auge noeh gSnzlieh auf eine Stelle der Retina, welche nur Zapfen fiihl't, denn die Ausdehnung dieser Stelle ist auf 0,5 m pro- jicirt 16,6ram, wenn wir 0,5toni fiir die Breite auf der Retina annehmen. Wird nun die lntensit~t des Spectrllms vermindert, so zeigt sich das P u r k i n j e ' s c h e Ph~nomen genau so schSn wie fiir grosse Felder; das Blau ist viel heller als das Roth und ist noch liingere Zeit zu sehen, wenn dass Roth schon verschwunden ist. Der Versuch gelingt auch noeh, wenn das Auge sich mehr als 0,5m yon den farbigen Feldern entfernt~). Weil bei diesen Ver- suehen das blaue Fe]dchen etwas weiter yore Auge ent- fernt war, als das rothe, waren die Versuehsbedingungen iiberdies noch etwas zu Gunnten der Helligkeit des mit rothem Licht beleuchteten ¥iereekes.

Man kann auch die Fensterchen soweit 5fihen, dass die Lichtbiindel frei dureh die beiden Oeffnungen des Schirmes hindurchtreteu, und sic mittelst einer grosnen, sehwachen Convexlinse nebeneina,.ler auf einem zweiten Schirm vereinigen; auch bei dieser Versuchsanordnung zeigt sich das P u r k i n j e ' s c h e Ph~nomen.

Um zu priifen, ob kleine monochromatisehe Lichter central thrblos gesehen werden kSnnten~ traf ich folgende Versuchseinriehtung. Dan Spectrmn wird aufgefangen auf einem weissen, undurchsichtigen Schirm, in welchem eine vierecldge Oeffnung yon 5 mm Seite ausgesehnitten ist; die- ,~elbe ist mit einem Stiickchen Seidenpapier zugeklebt. Durch Bewegung des Spiegeln des Heliostaten-kann man jede Farbe des Spectrums anf das Fensterchen in dem

l) Die yon v. Kries neuerdings mitgetheilte Thatsache, dass, wenn man sich yon zwei gleich hellen roth- und blaugefiirbten Feldern immer mehr entfernt, die ttelligkeit sich zu Gunsten des rothen Feldos ~ndert, miisste also auf eine andere Weise als durch das Fehlen des Purkinj e'schen Phiinomens ffir die Fovea erklart werden. Zeitschrift flit Psychologie und Physiologie tier Sinnesorgane, Bd. IX pag. 81. 1895.

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Schirm fallen lassen. Das so beleuehtete Viereck wurde yon hinten durch ein 2 m langes, innen geschwgrztes Rohr beobachtet. Bei Anfang des Versuches war das die ttellig- keit regulirende Diaphragma ganz geschlossen; wahrend der Beobachter in der Richtung tier Oeffnung in den Schirm blickte, 5ffnete ein Assistent langsam das Diaphraglna; peripher wurde immer zuerst eine Helligkeit wahrgenommen; central kam die Empfindung sp~iter und verschwand im Anfang sofort wieder. Bei steigender Intensitgt blieb auch im Fixirpunkt ein Viereck siehtbar, und niemals konnte im Anfang die Farbe erkannt werden. Es wurde darauf ge- achtet, immer den Blick wieder abschweifen zu lassen, um Ermiidungserseheinungen auszusehliessen. Bei steigender Intensitgt wurde zuerst die rothe Farbe erkannt; doch muss ich betonen, dass auch, wenn das Feldchen farbig erseheint, die Gesammtempfindung hauptsgchhch Helligkeit ist; die S~ttigung der Farbe ist minimal. Das Gelb erschien l~ngere Zeit als Weiss, wenn Roth und Grfin schon sehr deutlich erkannt wurden.

Bei dieser Anordnung des Versuches ist der Einfluss unserer Ennnerungsbilder auf die Deutung des Wahr- genommenen vSllig ausgeschlossen, was nicht der Fall ist, wenn wir eine bekannte Farbe allm~hlig abschwgchen. Zu erw~thnen ist nur noeh, dass ehe das Feldchen farbig er- schien, der Ton der ttelhgkeit doch etwas versehieden zu sein schien yon der Empfindung in der Peripherie der Netzhaut, indem es bei allen Farben, vielleicht Gelb aus- genommen', sehr schwach an ein schmutziges Griin-Blau erinnelte.

Dass bei meinen Augen kleine monoehromatische Lichter nieht sofort farbig fiber die Schwelle treten, spricht nicht absolut gegen die Annahme yon yon Kr ie s , dass die Stgbchen ein monoehromatisches System darste]len; denn auch das trichromatische System kSnnte bei der ge- ringsten objectiven ttelligkeit zuerst farblose Empfindung

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hervorrufen; man kann mit v. t t e l m h o l t z i) annehmen, dass wir Licht unterscheiden, wenn wit die gesammte vorhandene Liehtmasse yore Dunkel unterscheiden kSnnen, w~hrend wir Farben unterscheiden, wenn die Erregung yon einer :Fasergattung, also yon einer der Grundempfindungen~ ein gewisses Uebergewicht fiber die andere erlangt.

Die Hypothese yon yon Kr ies stfitzt sieh dann aber nur noch auf die grSssere Empfindlichkeit der Netzhaut- peripherie ftir farblose Lichteindriicke. Doch ~uch diese scheint mir nicht mit Gewissheit dafiir zu spreehen. Ieh ilnde n~mlich, dass diese Erseheinung schon zu nahe am Fixirpunkt auftritt, um auf der grSsseren Erregbarkeit der St~ibehen flit schwaehe Lichter beruhen zu kSnnen. Wenn ich in einer Distanz yon 1 m das mittlere yon drei kleinen, sehr schwach mit diffusem Tageslichte beleuehteten Felden b deren Centra 1 em yon einander entfernt sind, fixire, so ver- schwindet dieses bald, wShrend die beiden angrenzenden deutlieh sichtbar bleiben; oder das centrale kann nur momentan wahrgenommen werden, w~hrend die mehr peri- pheren deutlieh als helle Stellen wahrzunehmen sind. Nun fallen die drei Liehtbildchen noch innerlmlb der Grenzen der st~ibchenfreien Fovea, welche~ auf l m projicirt, eine Breite yon 33 mm hat, und es wiirde also daraus hervor- gehen, dass die Ueberlegenheit der l~eripherie fiber das Centrum, was die Erkennung der schw~chsten Helligkeiten anbelangt, auch noch ftir die st~bchenlose und wenig st~b- chenfiihrende Peripherie der Fovea gilt, wenn tiberhaupt die Vertheilung der St~behen keine abweichende ist.

yon Kr ies stiitzt sich noch auf einen ¥ersuch, wo- bei hinter einer blauleuehtenden, im Dunkeln im Kreis geschwungenen Kugel ein kurzes blauleuchtendes Nach- bild herl~uft, welehem ein ffinffaeh l~ngerer, ein wenig gelbl ich l e u c h t e n d e r Sehweif nachfolgt, der zuweilen

~) Helmholtz, Physiologische Optik. 2. Aufl. p. 472.

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durcb einen dunkeln Zwischenraum van ihm getrennt ist, w~hrend bei einem rothleuchtenden Punkte nur eine kurze rothe nachlaufende Linie beobachtet wird. Dieser Versuch scheint mir auch wohl einer anderen Deutung zugi~nglich zu sein, als dureh die Annahme, dass wit in den Stitbchen ein monochromatisches System zu suchen haben. Schon die Erw~hnung~ dass des seeund~re Nachbild gelblich aus- sah, beweist, das hier keine reine monochromatische Er- regung vorlag.

Alles zusammengenommen scheint die ttypothese roll yon Kr i e s , wenn auch nicht ganz mit den Versuchsergeb- nissen in Widerspruch, doch aueh keine Vortheile ftir die Erkli£rung der unverstandenen Erscheinungen der Farben- erregung zu bieten, welehe ihre Annahme wiinschenswerth machen kSnnten.

D. H y p o t h e s e yon It. Parinaud ~) fiber die F u n c t i o n der

S t~bchen u n d Zapfen und des Sehpurpurs .

Unabh~ngig yon yon K r i e s hat P a r i n a u d dieselbe Hypothese aufgestellt ~ e Jener; die St~behen sollen nur farb- lose Helligkeitsempfindung vermitteln, und die Erregung der Zapfeu giebt nach ihm alle Empfindungen, sowohl die des Weiss, als die der Farben. P a r i n a u d ffihrt besonders ~ls Beweis an, dass die Netzhautperipherie dem Centrum fiber- 'legen ist in Bezug ~uf die Wahrnehmung sehw~cher Lichter. In dem Sehpurpur sieht P a r i n a u d eine Subst~,nz, deren photoehemisehe Zersetzung die Empfindung hervorruft; de- neben a ber sollen auch die physikalischen Eigenschaften des Purpurs, besonders die Fluoreseenz~ die Empfindliehkeit der Netzhaut ffir Lieht yon geringer Intensit~t erhShen. Was ich gegen die Theorie yon yon Kr i e s angeffihrt habe;

') H. Parinaud, La scnsibilit6, de l'oeil m~x eouleurs spe('- trales; fonctions des 61~ments r6tiniens et du pourpre visuel. Annalcs d'oculistique CXII. Oct. 1894,

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kann auch hier Anwendung finden. Ich mSchte nur noch- rams hervoflmben, dass die Unterschiede in der Empfind- liehkeit schon innerhalb der purpurfreien Maculagegend auftreten.

E.

Das farblose Spec trum.

Dass bei abnehmender Intensit~t das Spectrum erheb- liche Aenderungen in der Lage und Sgttigung seiner ver- sehiedenen Farben aufweist, w~hrend es bei immer fort- gesetzter Abschwgehung nur noch die Empfindung der farblosen Helligkeit erregt, wurde sehon yon Th. L e b er 1) und yon W. yon B e z o l d 3) mitgetheilt. Auf die Ueber- einstimmung zwisehen der Empfindung des Farbentiiehtigen bei iiusserst geringer objeetiver Helligkeit und der des total Farbenblinden bei gewSlmlicher Beleuchtung wurde yon t t e r i n g 2) hingewiesen; yon H i l l e b r a n d und H e r i n g ~) wurdeu die Erscheinungen des farblosen Spectrums weiter untersucht, und die Theorie der specifischen ttelligkeiten der Farben auf dieser Grundlage "mfgebaut.

t t i l l e b r a n d und H e r i n g stellten ihre Versuche fiber das lichtsehwache Spectrum mittelst des Speetralapparates an und machten dabei die Beobaehtuug, dass~ wenn mit dem einen, nicht geblendeten Auge die Farben im Spectrum noeh eben erkannt werden konnten, mit dem m~deren, w~hrend mehrerer Stunden an die Dunkelheit adaptirten

~) Th. Leber, v. Graefe's Arch. f. Ophthalm. XV. 3. 1869. p. 52--53.

~) W. v. Bezold, Ueber das Gesetz der Farbenmischung und die physiologischen Grundfarben. Poggend. Ann. der Phys. u. Chemic. Bd. 150, p. 237. 1873.

a) E. H e r i n g , Untersuchung eines Total - Farbenblinden. Pfliiger's Arch., S. 563. 1891.

4) Ueber die specifische Helligkeit der Farben. Beitr:,ige zur I)sychologie der Gesichtsempfindungen yon Dr. Franz Hil lehrand, mit ¥orbemerkungen yon EwMd Hering, Sitzungsber. der k. k. hkad. der Wissensch. zu Wien. Math. Naturw. Kh XCV]II. Abth. 3.; Fehr.

v. Graefe's Archly t i l t Ophthalmologie. XLI . ¢.

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Auge dasselbe Spectrum f~rblos gesehen wurde, aber yon grSsserer subjeetiver Helligkeit. Als ich diese Angabe fiir meine Augen naehpriifte, kam ich zu einem einJgermaassen verschiedenen Resultat. Das Spectrum wurde wieder in der frfiher beschriebenen Weise auf einem Sehirm ent- wol~fen. ~Va.r die Intensit~t so welt her~bgesetzt, dass es dem normalen Auge in 1 m Distanz gerade farblos er- schien, so erschien es auch dem w~hrend 0,5~ 1, 2 oder 13 Stunden fiir Dunkel adaptirten Auge f~rblos, ~tber viel heller. Zuweilen meinte Jeh das Roth als Farbe er- kennen zu kSnnen; wenn ich abet das normale Auge zum Vergleich heranzog, war es nieht sicher~ ob fiir dieses nieht auch dann und warm das Roth etwas ~uihituehte. Merk- wiirdigerweise entspraeh der gr5sseren Helligkeit des Dunkel- auges keine grSssere Sehsch[~rfe; in beiden FSllen land ieh

1 fiir die hellste Stelle des farblosen Spectrums nut S ~ .

Der yon H e l m h o l t z t) ~ufgestelIte Satz, dass wir bei gleicher Helligkeit aueh erwarten diirfen, gleich viel sehend zu erkennen, wiirde also unter diesen Verh~ltnissen Meht zutreffen; H e l m h o l t z fiihrt zur Erk]~iru~g der Erschei- nungen bei grossen Helligkeiten ein neues Empfindungs- element, den L ich t sehmerz , ein und bemerkt d~bei, dass die Annahme zur Zeit nicht zu widerlegen w~re, dass dieses andere Empfindungselement auch bei den lfiederen LichtstSrl~en nicht ganz f'ehl% und wenn aueh nicht deut- lich unterscheidb~r, doeh in dem Gesammtausdruek des Auges mitwirke, wovon eine zweckmassige Regulirung der Pupillen- weite abh~ngen kSnne. Unter dieser Annahme wSre die Erscheinung einigermaassen begreif]ich, insoweit Ms die Seh- sch~i.rfe bei schwacher Beleuchtung sehr stark yon der ob- jectiven Lichtmenge bceinfiusst wird; es bleibt aber immer- bin Met" noch Vieles zu untersuchen iibrig.

1) Physiol. Optik, S. 443. 9. Anti.

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Wurde das Spectrum nur so welt verdunkelt, dass die verschiedenen Farben ffir das nieht adaptirte normale Auge noch eben zu erkennen waren, so erschien dem Auge, welches 0,5, 1~ 2 oder 13 Stunden ffir Dunkel adaptirt war, das Spectrmn ebenfalls viel heller~ aber niemals farb- los; im Gegentheil k~men die Farben, wenn auch nicht gesiittigter, mir vM klarer vor. Auch die Herren Professor L e b e r und Professor Kt ihne, welche so freundlich waren, diesen Yersuch mit zu machen, bezeugten, dass yore Farb- loserseheinen des dem nicht adaptirten normalen Auge noch eben einen farbigen Emdruck gebenden Spectrums nicht (he Rede war.

Welche Einfliisse den Unterschied zwischen dem Hi l l eb rand ' s chen und unseren Versuchsergebnissen ver- ursacht haben, kann ich nicht entscheiden; ich glaube abet, mSglichst alle Fehlerquellen ausgeschlossen zu haben.

Nach den hier mitgetheilten Wahmehmungen wiirden also die Farben nur fiber die Schwetle treten, wenn das Licht eine gewisse objective Helligkeit erreieht hat, und wtirde dies yon dem subjecfiven Zustande des Auges weniger abhiingig sein; der Einfluss der Dunkeladal)tation auf die fhrbigen Empfindungen wfirde sich darin geltend machen, dass~ wean einmal die Schwelle iiberschritten ist, die In- tensitgt der Empfindungen schneller steigt in Bezug ~uf die Zunahme der objectiven ttelligkeit als in dem normalen Auge.

Ob auch ftir Weiss eine ~thnhehe Beziehung besteht, davon konnte ieh reich bis jetzt nieht iiberzeugen. In den ersten Minuten nach der Einwirkung des Tagesliehtes ist gewiss eine grSssere objective Intensit~it nothwendig, um die Empfindung der I-Ielligkeit zu erregen, aber man kSnnte dies noeh als ]31endungserscheinung auffassen. Es sei abet bemerkt, dass die sogenannte l~lendung auch im Wesen nichts anderes ist, als herabgesetzte Empfindlichkeit~ mit. oder durch subjective Liehterscheinungen.

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Fiir das Verst~ndniss des farblosen Spectrums ist es yon Interesse, zu wisscn, in wie welt das objective weisse Licht, welches, wie H e l m h o l t z nachgewiessen hat, den Spectral- farben immer noch heigemischt ist~ und welches yon der diffusen Zerstreuung des Lichtes im Prisma herriihrt, an dem Auftreten der Erscheinung Antbeil hat. Es wurden daher nach H e l m h o l t z ' s Ang~ben die verscbiedenen Farben des Spectrums der Reihe n~ch durch ein zweites Prism~t geleitet~ wodurch man nahezu reines monochroma- tisches Licht erhiilt; .~uch jetzt trat bei genfigender Ab- schwSchung das Stadium ein, worin das betreffende Licht nur farblose Empfindung hervorruft. Dieses Resultat war schon im Voraus zu erwarten, weil sowohl das Diffractions- wie das Interferenzspectrum dieselbe Erseheinung aufzeigen.

Abgesehen yon den bier erSrterten Einw~nden gegen die neuen Hypothesen fiber :Farben- und Lichtempfindung giebt es noch manche andere, welche aber theilweise schon bei dem Meinungs~ustausch zwischen t{er ing , KSnig , yon Kr i e s und H i l l e b r a n d hervorgehoben wurden, theil- weise ~ber auch nur dann Werth haben wfirden, wenn sie mit dem Beweismaterial weiterer Versuche belegt werden kSnnten.