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Prof. Dr. Wolfgang März Winter 2016 Vorlesung: Öffentliches Wirtschaftsrecht A. Programm, Ort und Zeit Die Vorlesung „Öffentliches Wirtschaftsrecht“ (2 SWS) ist Teil der öffentlich-rechtlichen Speziali- sierung im Bachelorstudiengang „LL.B. Good Governance – Wirtschaft, Gesellschaft, Recht“. Sie wird als Baustein des Jahresmoduls „Vertiefung im Öffentlichen Recht“ im 7. Fachsemester ange- boten und durch die Vorlesung „Europäisches Wirtschaftsrecht“ (2 SWS) ergänzt, die von Frau Prof. Bäumler angeboten wird. Meine Vorlesung behandelt das deutsche Wirtschaftsrecht aus verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Perspektive (s.u.). Nicht behandelt werden Fragen der staatlichen Regulierung und Privatisierung sowie der Infra- strukturverwaltung (Netzwirtschaften). Sie sind Gegenstand der ebenfalls zu diesem Modul gehö- renden Vorlesung „Regulierungsverwaltung und Infrastrukturrecht“ (2 SWS), die im Sommer 2017 angeboten wird. Termin und Ort: Mittwoch, 9.00 – 11.00 Uhr c.t.; Campus Ulmenstr., Haus 1, SR 023 B. Vorlesungsgliederung I. Das öffentliche Unternehmensrecht / Wirtschaftsrecht als Gegenstand des Rechts § 1 Das öffentliche Wirtschaftsrecht als Rechtsgebiet; Grundgesetz und Wirtschaftsordnung § 2 Staat und Eigenwirtschaft: die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand § 3 Organisation und rechtliche Ordnung der Wirtschaftsverwaltung II. Klassische Wirtschaftsverwaltung und neue Aufgabenfelder § 4 Der Staat als Nachfrager am Markt: das öffentliche Auftragswesen/Vergaberecht § 5 Der Staat als Wirtschaftslenker und Wirtschaftsförderer: das Subventionsrecht § 6 Das Gewerberecht (mit Ladenöffnungsrecht) § 7 Das Gaststättenrecht § 8 Das Handwerksrecht

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Page 1: Vorlesung: Öffentliches Wirtschaftsrecht–ffWiR/Skript ÖffWirtR... · schaftsformen des 21. Jahrhunderts längst nicht mehr zu erfassen vermögen. – ÖffWiR und kleine und mittlere

Prof. Dr. Wolfgang März Winter 2016

Vorlesung: Öffentliches Wirtschaftsrecht

A. Programm, Ort und Zeit

Die Vorlesung „Öffentliches Wirtschaftsrecht“ (2 SWS) ist Teil der öffentlich-rechtlichen Speziali-sierung im Bachelorstudiengang „LL.B. Good Governance – Wirtschaft, Gesellschaft, Recht“. Siewird als Baustein des Jahresmoduls „Vertiefung im Öffentlichen Recht“ im 7. Fachsemester ange-boten und durch die Vorlesung „Europäisches Wirtschaftsrecht“ (2 SWS) ergänzt, die von FrauProf. Bäumler angeboten wird. Meine Vorlesung behandelt das deutsche Wirtschaftsrecht ausverfassungs- und verwaltungsrechtlicher Perspektive (s.u.).

Nicht behandelt werden Fragen der staatlichen Regulierung und Privatisierung sowie der Infra-strukturverwaltung (Netzwirtschaften). Sie sind Gegenstand der ebenfalls zu diesem Modul gehö-renden Vorlesung „Regulierungsverwaltung und Infrastrukturrecht“ (2 SWS), die im Sommer2017 angeboten wird.

– Termin und Ort: Mittwoch, 9.00 – 11.00 Uhr c.t.; Campus Ulmenstr., Haus 1, SR 023

B. Vorlesungsgliederung

I. Das öffentliche Unternehmensrecht / Wirtschaftsrecht als Gegenstand des Rechts

§ 1 Das öffentliche Wirtschaftsrecht als Rechtsgebiet; Grundgesetz und Wirtschaftsordnung

§ 2 Staat und Eigenwirtschaft: die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand

§ 3 Organisation und rechtliche Ordnung der Wirtschaftsverwaltung

II. Klassische Wirtschaftsverwaltung und neue Aufgabenfelder

§ 4 Der Staat als Nachfrager am Markt: das öffentliche Auftragswesen/Vergaberecht

§ 5 Der Staat als Wirtschaftslenker und Wirtschaftsförderer: das Subventionsrecht

§ 6 Das Gewerberecht (mit Ladenöffnungsrecht)

§ 7 Das Gaststättenrecht

§ 8 Das Handwerksrecht

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C. Grundausstattung zur Veranstaltung

Als Mindestausstattung für die Vorlesung benötigen Sie eine Textsammlung und ein Lehrbuch:

– Gesetzessammlungen zum öffentlichen Wirtschaftsrecht:• unverzichtbar „NomosGesetze Öffentliches Recht“; noch besser Stober (Hg.), Wichtige Geset-

ze für Wirtschaftsverwaltung und die Öffentliche Wirtschaft, 282016• für § 4: das GWB, Vierter Teil, §§ 97–184 (NomosGesetze Zivilrecht, auch in Stober [s.o.]); zur

Vertiefung: Vergaberecht – VgR (mit VgV, SektVO, KonzVgV, VOB, VOL und Landesrecht),182016 (Beck-Texte im dtv)

– Lehr- bzw. Lernbücher zum öffentlichen Wirtschaftsrecht (7 =Empfehlung):• Frotscher/Kramer, Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 62013 7• Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 42015 7• Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 42014 7• R. Schmidt/Wollenschläger (Hg.), Kompendium öffentliches Wirtschaftsrecht, 42016 7• Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 182014; Stober/Eisenmenger, Besonderes

Wirtschaftsverwaltungsrecht, 162016• Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 42016• s.a. den Beitrag von Huber, in: Schoch (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 152013, Kap. 3

– Zum Nachschlagen von Details:• Ehlers/Fehling/Pünder (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. I: Öffentliches Wirtschafts-

recht, 32012• Rittner/Dreher, Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht, 32008• R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht. Allgemeiner Teil, 1990; 22017; ders. (Hg.), Öffent-

liches Wirtschaftsrecht. Besonderer Teil 1, 1995; Besonderer Teil 2, 1996 (weitgehend ver-altet)

– Fälle und Lösungen zum öffentlichen Wirtschaftsrecht:• Glaser/Klement, Öffentliches Wirtschaftsrecht mit Regulierungsrecht, 2009• Oberrath, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 32009• Schöbener/Jahn, Fälle zum öffentlichen Wirtschaftsrecht, 22009

– In diesem Arbeitspapier finden Sie in den jeweiligen Abschnitten (§§ 1–8) weitere Hinweise zuRechtsprechung und Literatur.

– Spezielle Fachzeitschriften zum öffentlichen Wirtschaftsrecht (U = in Bibliothek vorhanden):– Gewerbearchiv – GewArch. U (auch –> Juris)– Infrastrukturrecht – IR U– Neue Zeitschrift für Bau- und Vergaberecht – NZBau (–> beck-online)– Recht der Energiewirtschaft – RdE U– Vergaberecht – VergR (am LS Prof. März vhd.)– Wettbewerb in Recht und Praxis – WRP U (auch –> www.wiso.net.de) – Wirtschaft und Verwaltung – WuV (Beilage zum Gewerbearchiv) U (auch –> Juris)– Wirtschaft und Wettbewerb – WuW (–> www.wiso-net.de) – Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht – ZfBR (–> beck-online)– Zeitschrift für neues Energierecht – ZNER U (auch –> www.wiso-net.de)

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Arbeitsblatt zu § 1

Das öffentliche Wirtschaftsrecht als Rechtsgebiet;Grundgesetz und Wirtschaftsordnung

A. Übersicht: I. Das öffentliche Wirtschaftsrecht als Rechtsgebiet

II. Grundgesetz und Wirtschaftsordnung (die „Wirtschaftsverfassung“)

B. Literatur:

Frotscher, §§ 1–2, 4–6; Schliesky, S. 1–107; Schmidt, ÖffWiR AT, §§ 1–4; Ruthig/Storr,§§ 1–2; Schmidt/Wollenschläger, § 2; Stober, AllgWiVerwR, § 1–5, 17–23

zum Öffentlichen Wirtschaftsrecht

– Fehling, Perspektiven des öffentlichen Wirtschaftsrechts, JZ 2016, 540 ff.

– Walther, Die Mehrdeutigkeit des Rechtsbegriffs „wirtschaftlich“, BayVBl. 2004, 167 ff.

zur Wirtschaftsverfassung

– Leisner, Freiheitliche Wirtschaftsverfassung aus Grundrechten – oder Grundrechtsrelati-vierung durch soziale Verfassungssystematik?, in: Bauer (Hg.), Wirtschaft im offenen Ver-fassungsstaat. FS für Reiner Schmidt, 2006, S. 363 ff.

– Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsverfassung, WM 2009, 1869 ff.; ders., Wirtschafts-verfassung in der Wirtschaftsordnung des Grundgesetzes, in: FS Peter Selmer, 2003,S. 459 ff.

– Schmidt, Staatliche Verantwortung für die Wirtschaft, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStRIII (21996), § 83; dito, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR IV (32006), § 92

– Schünemann, „Wirtschaftspolitische Neutralität“ des Grundgesetzes?, in: Kluth u.a. (Hg.),Wirtschaft – Verwaltung – Recht. FS für Rolf Stober, 2008, S. 147 ff.

– Seyfarth, Die Wirtschaftsordnung unter dem Grundgesetz, in: Albers u.a. (Hg.), Beobach-ten – Entscheiden – Gestalten. Symposion für Dieter Grimm, 2000, S. 239 ff.

– Sodan, Vorrang der Privatheit als Prinzip der Wirtschaftsverfassung, DÖV 2000, 361 ff.

– Waechter, Ist eine Wirtschaftsverfassung heute nützlich?, JZ 2016, 533 ff.

zur sozialen Marktwirtschaft

– Müller-Volbehr, Das Soziale in der Marktwirtschaft, JZ 1982, 132 ff.

– Papier, Soziale Marktwirtschaft – ein Begriff ohne verfassungsrechtliche Relevanz?, in:Nörr/Starbatty (Hg.), Soll und Haben – 50 Jahre Soziale Marktwirtschaft, 1999, S. 95 ff.

– Rupp, Die Soziale Marktwirtschaft in ihrer Verfassungsbedeutung, in: Isensee/Kirchhof,HStR IX (1997), § 203

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C. Das Thema in Stichworten:

I. Besonderheiten des Öffentlichen Wirtschaftsrechts

– Zur Begrifflichkeit: Öffentliches Wirtschaftsrecht meint „Öffentliches Recht der [kleinen undmittleren] Unternehmen“, früher „Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungs-recht“ genannt, allerdings ohne das Thema des § 4). Es handelt sich um eine typisch deut-sche Rechtsmaterie, die weder mit ausländischen Rechtssystematiken noch mit dem Unions-recht nahtlos zur Deckung zu bringen ist.

– Zur Positionsbestimmung: ÖffWiR ist keine geschlossene oder gar kodifizierte Materie, son-dern leidet unter einer starken, aus Traditionen beruhenden Rechtszersplitterung; allenfallsdie Grundfunktionen sind identisch, nämlich Ordnung und Planung/Steuerung/Förderungprivatwirtschaftlicher Betätigung.

– Definitionsversuch: ÖffWiR = Summe aller rechtlichen Regeln, die für die Wirtschaft bzw.das Wirtschaften bedeutsam sind und Sonderrecht des Staates darstellen. Wegen letztererVoraussetzung zählt etwa das Wettbewerbsrecht (UWG, GWB) nicht zum ÖffWiR, wenn-gleich es den Staat beim privatrechtlich geformten Auftreten am Markt als Teilnehmer undWettbewerber bindet. Wirtschaft/Wirtschaften bedeutet dabei a) funktionsbezogen die Pro-duktion und Verteilung von Waren und Dienstleistungen, b) institutionsbezogen die gesamteTätigkeit von Unternehmen (zivilrechtliche Definition –> § 14 BGB), c) tätigkeitsbezogen dieVersorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Als erster Anhaltspunkt für „Wirtschaft“ magArt. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG herhalten, wenngleich die dort genannten Ausprägungen die Wirt-schaftsformen des 21. Jahrhunderts längst nicht mehr zu erfassen vermögen.

– ÖffWiR und kleine und mittlere Unternehmen (KMU): Der landesspezifische Bezug zu die-sem Unternehmensspektrum wird dadurch deutlich, daß die einzelnen Themen vor allem fürsolche Unternehmen eine wichtige Rolle spielen; Gewerbe, Handwerk etc. wird in erster Li-nie von kleineren Wirtschaftseinheiten betrieben, nicht von Industrieunternehmen. Dabeikann für KMU die Abgrenzung des Unionsrechts herhalten (Zahlen etwas modifiziert):• Kleinstunternehmen < 10 Beschäftigte oder < 2 Mio. EUR Umsatz• Kleinunternehmen < 50 Beschäftigte oder <10 Mio. EUR Umsatz• Mittlere Unternehmen < 250 Beschäftigte oder 50 Mio. EUR Umsatz

II. Grundgesetz und Wirtschaftsordnung (die „Wirtschaftsverfassung“)

– formal: Summe aller Verfassungsnormen, die ökonomischen Gehalt aufweisen und die Wirt-schaftstätigkeit ordnen, lenken, fördern oder sonst ausgestalten wollen (wenn letzteres dazuzählt, notwendig also auch Arbeitsverfassung, Sozialverfassung und Steuerverfassung ein-bezogen); im einzelnen• Grundrechte mit besonderem Bezug zu wirtschaftlichen Tätigkeiten/Gegenständen =

„Wirtschaftsgrundrechte“• Verfassungsgrundsätze mit besonderem Bezug … (z.B. Rechtsstaatsprinzip [Vertrauens-

schutz], Demokratieprinzip [demokratische Legitimation der wirtschaftlichen Selbstver-waltung], Sozialstaatsprinzip [als Rechtfertigung der Einschränkung von Wirtschafts-grundrechten)

• Kompetenzordnung mit besonderem Bezug …

– materiell: Festschreibung und Gewährleistung eines bestimmten Wirtschaftssystems (i.S.v.Grundverhältnis zwischen Staat und privater Wirtschaftstätigkeit), d.h. Absicherung ökono-mischer (Freiheits-)Modelle, an die der Staat – und auch die Unternehmen – von Verfas-sungs wegen gebunden sind = materieller Ordnungsrahmen für jede ökonomische Tätigkeit.• Im Grundgesetz allenfalls mittelbar ersichtlich, und zwar in Art. 109 Abs. 2 „gesamtwirt-

schaftliches Gleichgewicht“ i.V.m. § 1 StabG; Ausdruck der Vorstellung des (Verfassungs-)Gesetzgebers, der Staat habe die Fähigkeit zur ökonomischen Globalsteuerung nach JohnM. Keynes; heute wohl kaum mehr geglaubt. Zielvorgaben im „magischen Viereck“ dabeiim einzelnen: gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht = (im Rahmen der marktwirtschaftli-

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chen Ordnung) Stabilität des Preisniveaus (–> nunmehr auch Art. 88 Satz 2 GG) + hoherBeschäftigungsstand + außenwirtschaftliches Gleichgewicht [Außenhandelsbilanz] + an-gemessenes Wirtschaftswachstum. Ähnlich, aber ergänzt um Umweltschutz und sozialenFortschritt, Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV als Teilziel der Europäischen Union.

– Darüber hinaus Absicherung eines bestimmten Wirtschaftssystems/-modells im Grundge-setz? In der Staatsrechtslehre der frühen Bundesrepublik häufig vertreten, daß Grundgesetzein bestimmtes geschlossenes Konzept „soziale Marktwirtschaft“ absichert, und zwar nachden Maßstäben der ordoliberalen Wirtschaftstheorie (Prinzip des freien Wettbewerbs amMarkt und des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln). Etwa vertreten von HansCarl Nipperdey (BAG-Präsident) und modifiziert von Ernst Rudolf Huber („Garantie dergemischten Wirtschaftsverfassung“). Verfassungsrechtliche Absicherung dabei über Art. 2Abs. 1 GG als zentralem Wirtschaftsgrundrecht (nicht Art. 12 oder 14!) und dem Sozialstaats-prinzip als marktkonformem Regulativ; Art. 2 Abs. 1 GG sollte so auch eine institutionelleGarantie der sozialen Marktwirtschaft beinhalten. Eingriffe des Staates waren demnach nurerlaubt, wenn marktkonform, also zur Beseitigung von Mißständen, nicht aber zur flächen-deckenden Steuerung des Marktes. Schon wegen Art. 14 <–> 15 GG nicht nachvollziehbar.

– Überdies Konsequenz dieser Lehre: wirtschaftstheoretisches Modell wird zur Verfassungs-norm und damit abhängig von einer nichtjuristischen Interpretationsmethode. Ansatz wurdevom BVerfG bereits 1954 im Investitionshilfe-Urteil (E 4, 7 ff.) zurückgewiesen:• wirtschaftspolitische Neutralität i.S.v. Offenheit des Grundgesetzes gegenüber bestimm-

ten ökonomischen Marktmodellen und wirtschaftswissenschaftlichen Theorien. Demzufol-ge irrelevant für das Verfassungs- und Grundrechtsverständnis:

• Einfügen einer gesetzlichen Regelung in die vorhandene Marktordnung?• Marktkonformität staatlicher Interventionen?• Übereinstimmung staatlicher Maßnahmen mit ökonomischen Lehrmeinungen?• Förderung von Gruppeninteressen durch staatliche Wirtschaftspolitik?• fehlende Wettbewerbsneutralität von Wirtschaftsgesetzen?• Aber: volle allgemeine Bindung des Wirtschaftsgesetzgebers an die Grundrechte, d.h. In-

tegration der „Wirtschaftsverfassung“ in das allgemeine Verfassungssystem und -denken=> keine eigenständigen „Subverfassungen“ im Grundgesetz. Art. 1 Abs. 3 GG bedeutetauch hier: Jeder Markteingriff ist rechtfertigungsbedürftig, benötigt also mindestens einvernünftiges Ziel des Gesetzgebers und die Beachtung des Übermaßverbots.

– In Verbindung mit späteren Entscheidungen: allgemeiner Verfassungsgrundsatz des Vor-rangs freier wirtschaftlicher Marktbetätigung, der allerdings nicht mehr auf Art. 2 Abs. 1 GGgestützt wird, sondern in Art. 12 und 14 GG residiert (dort engere Einschränkungsmöglich-keiten). Diese beiden Wirtschaftsgrundrechte – und andere Grundrechte – stehen dabei un-verbunden nebeneinander und bilden kein wirtschaftsverfassungsrechtliches System, schongar nicht eine institutionelle Garantie der sozialen Marktwirtschaft. Daher immer grund-rechtliche Einzelfallbetrachtung erforderlich.

– Im Vordergrund der wirtschaftsrelevanten Aussagen der Verfassung stehen somit die Grund-rechte, daneben das Rechtsstaatsprinzip, das Sozialstaatsprinzip und das Prinzip demokrati-scher Legitimation allen Staatshandelns. Daneben haben eine besondere Bedeutung die Ge-setzgebungs- und Verwaltungskompetenzen nach dem VII. und VIII. Abschnitt des Grundge-setzes, und einige andere Vorschriften aus dem Bereich der Finanzverfassung, etwa derschon erwähnte Art. 109 GG. Da Grundrechte bereits bekannt, hier nur einige Besonderhei-ten aus wirtschaftsverfassungsrechtlicher Sicht.

– Grundrechte grundsätzlich als Abwehrrechte gegen staatliche Reglementierung und Steue-rung des Marktgeschehens wirksam (bürgerlich-liberales Verständnis); institutionelle Ge-währleistung ökonomierelevanter „Ordnungen“ allenfalls bei Art. 9 Abs. 3 GG (Koalitions-freiheit mit Tarifautonomie), daneben eventuell „allgemeine Wirtschaftsfreiheit“ i.S.v. wirt-schaftserheblicher Handlungsfreiheit, vornehmlich über Art. 12 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG,wobei diese Grundrechte als objektives Recht die abwehrrechtliche Komponente verstärken,eventuell auch korrigieren (z.B. Verbraucherschutz als Ausdruck staatlicher Schutzpflicht;vgl. aber Schwarz, Verbraucherschutz in der Falle, VuR 2013, 123 ff.).

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– Zentral für wirtschaftliche Betätigung daher Art. 12 GG, der über Art. 19 Abs. 3 GG auch füralle Personen- und Kapitalgesellschaften (GmbH, AG) Schutz gewährt, ebenso für nicht-rechtsfähige Personenvereinigungen, soweit sie sich am Markt betätigen (OHG, GbR). Be-kanntlich weiter Schutzbereich des „Berufs“, der hinsichtlich wirtschaftlicher Betätigunghäufig als „Gewerbefreiheit“, „Unternehmerfreiheit“, „Wettbewerbsfreiheit“ o.ä. bezeichnetwird (ohne dabei besondere Konturen zu erreichen).

– Dabei gelegentlich Problem der Abgrenzung verschiedener Tätigkeiten = „Berufe“ gegenein-ander => gesetzliche Regelungen können bei strengem Verständnis dann entweder (noch)Ausübungsregelungen oder (schon) berufswahlbezogene Zugangsschranken zu einem „ande-ren“ Beruf darstellen (Lebensmittelhändler – Fischhändler; Spediteur im Güternahverkehr –Spediteur im Güterfernverkehr; selbständige – unselbständige Tätigkeit, z.B. freiberuflichtätiger Arzt – Krankenhausarzt). Früher in der Rspr. häufige Bezugnahme auf „Berufsbil-der“, d.h. rechtlich festgelegte Typisierungen eines bestimmten Berufs mit der Folge, daßdem Grundrechtsträger dann nur der Zugang zu genau diesem Beruf ermöglicht wird undatypische Erscheinungsformen ausgeschlossen sind = kein Berufs(er)findungsrecht des Be-rufstätigen (z.B. Friseur, der in einem Ladengeschäft für Kundschaft tätig ist, gegenübereinem Friseur, der keinen Laden hat und auch dort nicht arbeitet, sondern seine Dienstlei-stung ausschließlich beim Kunden zuhause anbietet und vornimmt, etwa in Krankenhäusernoder Altenheimen; wäre sicher kein anderer Beruf!). Aber (BVerfGE 9, 39 [48], 9, 73 [78]):Handel mit loser Milch sei ein anderer Beruf als Handel mit verpackten Lebensmitteln (zw.).Heute zu Recht deutliche Zurückhaltung der Rspr., was Befugnis des Gesetzgebers zur Be-rufsbildprägung betrifft; zudem soll nunmehr bereits die gesetzliche Fixierung von Berufs-bildern (Tätigkeitsfeldern mit festgelegten Aktionsmöglichkeiten) einen Eingriff in denSchutzbereich darstellen und an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden werden (i.e.Wieland, in: Dreier [Hg.], Grundgesetz, Bd. I, 32013, Art. 12 Rn. 37 ff.).

– Erstreckung von Eingriffen auf gesetzliche Vorschriften mit nur berufsregelnder Tendenz,ohne daß gezielt eine solche Tätigkeit reglementiert werden soll; z.B. Verbot des Besitzesbestimmter Güter (Artenschutz), Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung fremderSteuern, Verzerrung des Wettbewerbs durch Subventionen. Kein Eingriff hingegen bei„marktkonformem“ staatlichem Verhalten, etwa Herstellung/Förderung von Wettbewerb(Zulassung von Marktkonkurrenten), oder bei staatlichem Aufklären über marktrelevanteDaten (Informationspolitik [BVerfG], eventuell auch Warentests [a.A. BVerwG]).

– Recht des Gesetzgebers zur Regelung (nicht nur Beschränkung) der Berufsausübung ausvernünftigen Gründen des Gemeinwohls); insoweit kein Unterschied zur allgemeinen Dog-matik des Art. 12 GG. Daher zulässig etwa Festlegung von Arbeitszeiten im Betrieb, Pflichtzur Vorratshaltung wichtiger Produkte in Krisenzeiten, Kennzeichnungspflicht von Waren.

– Recht des Gesetzgebers zur Regelung des Zugangs zum Beruf durch subjektive Kriterien;insoweit kein Unterschied zur allgemeinen Dogmatik des Art. 12 GG. Daher zulässig etwaFestlegung von Ausbildungsvoraussetzungen und berufsbezogenen Fähigkeiten und Kennt-nissen, Altersgrenzen zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Berufsausübung (auch zur„generationenbezogenen Marktregulierung“?), soweit wichtige Gemeinschaftsgüter geschütztwerden sollen, z.B. Schutz des Verbrauchers oder „Erhaltung eines gesunden und leistungs-fähigen Handwerkerstandes“ (problematisch).

– Recht des Gesetzgebers zur Regelung des Zugangs zum Beruf durch objektive Kriterien;insoweit kein Unterschied zur allgemeinen Dogmatik des Art. 12 GG. Daher nur ausnahms-weise zulässig etwa Festlegung von Bedarfszahlen (z.B.: 1 Allgemeinarzt auf 1.500 Einwoh-ner), Nachweis eines Bedürfnisses für den Beruf oder Kontingentierung (z.B. im Güterver-kehr). Schon wegen der Grundfreiheiten des Unionsrechts sind wesentliche Teile der älterenRspr. überholt, z.B. Beschränkungen zum Erhalt der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähig-keit der Deutschen Bahn gegenüber Gütertransport auf der Straße.

– An zweiter Stelle der Wirtschaftsgrundrechte steht die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG,der von der Rspr. ein überragender Stellenwert für die wirtschaftliche Betätigung zuerkannt

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wird, sowohl durch Sicherung eines Freiheitsraums für ökonomisches Handeln als auchdurch die (vorgelagerte) privatrechtliche Zuordnung vermögenswerter Rechte („Eigentum“).

– Schutzbereich aus dieser Sicht:• alle vermögenswerten Rechte, die der Gesetzgeber definiert und anerkennt; nicht nur

Sacheigentum, sondern auch Forderungen, Geschäftsanteile, Urheberrechte, Markenrech-te, aber auch Aktien, Anteilseigentum an Gesellschaften usw.

• nicht: „Vermögen“ als Bilanzsumme aller Aktiva und Passiva, ebensowenig Wertgarantiefür die einzelnen vermögenswerten Rechte unter Marktbedingungen. Daher auch nichtSchutz des Geldwerts der Währung gegen Inflation (–> Lepsius, JZ 2002, 313 ff.). Daherauch problematisch, ob Steuerlast Eingriff darstellt (–> Wernsmann, NJW 2006, 1169 ff.)

• nicht: größtmöglicher wirtschaftlicher Vorteil aus der Nutzung vermögenswerter Rechte• Problem beim Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. Die ein Unter-

nehmen bildende Sach- und Rechtsgesamtheit, wie sie sich bei wirtschaftlicher Betrach-tungsweise darstellt und auch faktische Gegebenheiten einbezieht, ist kein eigenesSchutzgut des Art. 14 GG; es fehlt an einem gesonderten, vom Gesetzgeber inhalts-bestimmten vermögenswerten Recht, das jenseits der einzelnen Bestandteile anerkannt istund den wirtschaftlichen Mehrwert des Unternehmens auffängt. Rein funktionelle Einheitgenügt daher nicht (zur Abgrenzung gegenüber Art. 12 GG –> Lerche, FS Reiner Schmidt,2006, S. 377 ff.).

– Regelungsbefugnis des Gesetzgebers aus wirtschaftsrechtlicher Sicht:• Inhalts- und Schrankenbestimmung (Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG) = generelle und

abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten vor dem Hintergrund der Sozialbindungder Eigentumsgarantie und der Nähe zur Sicherung der persönlichen Freiheit des Recht-strägers => geringerer Schutz von „nur“ gesellschaftsrechtlich vermitteltem, entpersön-lichtem Eigentum (Anteilseigentum)

• Enteignung (Art. 14 Abs. 2 und 3 GG) = gezielter staatlicher Zugriff auf einzelne vermö-genswerte Rechte zum Entzug dieser Rechtsposition zwecks anderer Nutzung (Entzugi.S.v. Vernichtung genügt nicht). Wohl der Allgemeinheit soll dabei (sehr str. und proble-matisch) im Wege privatnütziger Enteignung auch die Sicherung von Arbeitsplätzen, viel-leicht sogar die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur oder die Förderung einesWirtschaftsstandsorts sein können (z.B. Landesmessegesetz B-W); sicher der Fall undzulässig bei Einrichtungen notwendiger Infrastruktur (z.B. Strom-, Wasserversorgung).Dann allerdings wichtig: Sicherstellung dauerhafter Bindung des privaten Unternehmersan die allgemeinen Interessen jenseits der Marktmechanismen (Gewinnerzielung).

– Weitere wirtschaftlich bedeutsame Grundrechte:• Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, Art. 9 Abs. 1 und 3 GG; Schutz der Förderung der

Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände,und zwar mit unmittelbarer Drittwirkung für und gegen Private. Grundrecht enthält so-wohl Individualgrundrecht als auch direkten Schutz kollektiver Koalitionsfreiheit (jenseitsArt. 19 Abs. 3 GG), vor allem zur Förderung und Durchsetzung von Tarifautonomie.

• Wohnungsgrundrecht, Art. 13 GG; sachlicher Schutzbereich schließt nach BVerfG auchalle Büro-, Geschäfts- und Betriebsräume ein (nicht überzeugend; vgl. Hermes, in: Dreier,a.a.O., Art. 13 Rn. 23 ff.), die Schranken des Art. 13 Abs. 2 und 7 GG sollen allerdingsnicht einschlägig sein, soweit gesetzlich behördliche Besichtigungs- und Kontrollrechtevorgesehen sind. In diesen Fällen nur Schranken nach dem Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG(Verhältnismäßigkeit) anwendbar (sehr zw.).

• Allgemeine wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, vor allem in Gestalt von" Vertragsfreiheit (Abschluß- und Gestaltungsfreiheit)" Unternehmensfreiheit (Dispositions-, Initiativfreiheit); eigentlich Teil von Art. 12 GG!" Wettbewerbsfreiheit; eigentlich Teil von Art. 12 GG!Hierbei unklar, warum nicht im Kontext der jeweiligen „Grundfreiheit“ geschützt, etwa beiBerufstätigkeit oder bei Nutzung von Eigentum etc.

– Zur wirtschaftlich relevanten Kompetenzordnung –> vor allem (z.T. mit Art. 72 Abs. 2 GG)Art. 74 Abs. 1 Nr. 11–20, 24 GG, außerdem Art. 73 I Nr. 4–7, 9, 11 GG

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Arbeitsblatt zu § 2

Staat und Eigenwirtschaft: die wirtschaftlicheBetätigung der öffentlichen Hand

A. Übersicht: I. Zur Problemstellung: das Auftreten des Staates am Markt, seine Zweckeund Wirkungen (mit Abgrenzung zur Daseinsvorsorge)

II. Organisation wirtschaftlicher Betätigung: das öffentliche Unternehmen

III. Zulässigkeit und Grenzen eigenwirtschaftlicher Betätigung (Verfassung,Haushalts- und Kommunalrecht, Wettbewerbsrecht)

IV. Zum Rechtsschutz gegen staatliche und kommunale Marktkonkurrenz

B. Rechtsgrundlagen (–> Vorl. Europäisches Wirtschaftsrecht):

– zur wirtschaftlichen Betätigung des Staates allgemein:• Kompetenzvorschriften, z.B. Art. 30 GG („staatliche Aufgaben“), 110 Abs. 1 GG („Bundes-

betriebe“), Art. 134, 135 GG (Vermögenszuordnung) (Bedeutung i.e. streitig)• Wirtschaftsgrundrechte der privaten Konkurrenten (Art. 2 Abs.1, 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG)• § 7 BHO/LHO – Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der staatlichen Haushalts-

führung, Verpflichtung zur Kosten- und Leistungsrechnung (nur Innenrecht)• § 65 BHO/§§ 65, 65a LHO – Voraussetzungen für eine unmittelbare oder mittelbare Be-

teiligung des Bundes bzw. des Landes an privatrechtlichen Unternehmen (nur Innenrecht)

– zur wirtschaftlichen Betätigung des Staates aus Wettbewerbssicht• Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) i.d.F. d. Bek. vom 3.3.2010 (BGBl. I

S. 254), zuletzt geändert durch Art. 6 Gesetz vom 1.10.2013 (BGBl. I S. 3714)• Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.d.F. d. Bek. vom 26.6.2013, zuletzt

geändert durch Art. 2 Abs. 78 Gesetz vom 7.8.2013 (BGBl. I S. 3154)

– zur wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen (in Mecklenburg-Vorpommern)• §§ 68 ff. KV M-V; dazu Schwartz, NordÖR 2011, 421 ff.; Schütz, in: Schütz/Classen (Hg.),

Landesrecht M-V, 32014, § 5 Rn. 305 ff.

C. Literatur:

Frotscher, § 3; Ruthig/Storr, § 8; Schliesky, S. 148–171; Schmidt, ÖffWiR AT, § 11;Schmidt/Wollenschläger, § 6; Stober, AllgWiVerwR, §§ 24, 33 I; Rittner/Dreher, § 11

– zur erwerbswirtschaftlichen Betätigung allgemein

• Cremer, Gewinnstreben als öffentliche Unternehmen legitimierender Zweck: die Antwort des Grundgesetzes,DÖV 2003, 921 ff.

• Ehlers, Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand in der Bunderepublik Deutschland, JZ 1990,1089 ff.

• Gusy, Die wirtschaftliche Betätigung des Staates, JA 1995, 166 ff., 253 ff.

• Huber, Die unternehmerische Betätigung der öffentlichen Hand: ein verwaltungsrechtliches Phänomen vor derNeubewertung, FS Badura, 2004, 897 ff.

• Lindner, Zur grundrechtsdogmatischen Struktur der Wettbewerbsfreiheit, DÖV 2003, 185 ff.

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• Pieroth/Hartmann, Grundrechtsschutz gegen wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, DVBl. 2002,421 ff.

• Ronellenfitsch, Wirtschaftliche Betätigung des Staates, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR III (21996), § 84; dito, in:Isensee/Kirchhof (Hg.), HStR IV (32006), § 98

• Scharpf, Von „Ressourcennutzungen“ und „Annextätigkeiten“, DÖV 2006, 23 ff.

• Schneider, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Steuerungsakteur, DVBl. 2000, 1250 ff.

– zur erwerbswirtschaftlichen Betätigung anhand des Wettbewerbsrechts

• Brohm, Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand und Wettbewerb, NJW 1994, 281 ff.

• Diefenbach, § 1 UWG als Schranke wirtschaftlicher Betätigung der Kommunen, WuV 2003, 99 ff.

• Fuchs, Zivilrechtliche Sanktionen gegen gesetzwidrigen Wettbewerb durch die öffentliche Hand?, FS Brohm,2002, 275 ff.

• Gröning, Kommunalrechtliche Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden und Drittschutz auf demordentlichen Rechtsweg, WRP 2002, 17 ff.

• Tomerius, Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen zwischen Gemeindewirtschafts- und Wettbewerbsrecht,LKV 2000, 41 ff.

– zur erwerbswirtschaftlichen Betätigung anhand des Kommunalwirtschaftrechts

• Berg, Die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen – kommunale Selbstverwaltung und Wettbewerb, WuV2000, 141 ff.

• Broß, Ausgewählte Probleme des Wettbewerbs der öffentlichen Hand, VerwArch. 97 (1996), 731 ff.

• Ehlers, Rechtsprobleme der Kommunalwirtschaft. DVBl. 1998, 497 ff.

• Franzius, Die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen, JURA 2009, 677 ff.

• Grawert, Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft, FS Blümel, 1999, S. 119 ff.

• Hösch, Öffentlicher Zweck und wirtschaftliche Betätigung von Kommunen, DÖV 2000, 393 ff.

• Mann, Die drittschützende Wirkung der kommunalrechtlichen Subsidiaritätsregelungen unter Berücksichtigungaktueller Fallbeispiele aus der Rechtsprechung, DVBl. 2009, 817 ff.

• Ruffert, Grundlagen und Maßstäbe einer wirkungsvollen Aufsicht über die kommunale wirtschaftliche Betäti-gung, VerwArch. 92 (2001), 27 ff.

• Scharpf, Die wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden zwischen Grundrechtsrelevanz und kommunalem Selbst-verwaltungsrecht, GewArch. 2005, 1 ff.

• Schmidt-Aßmann, Verfassungsschranken der Kommunalwirtschaft, FS Ulmer, 2003, S. 1015 ff.

– zur Konkurrentenklage privater Wettbewerber gegen die öffentliche Hand

• Diefenbach, Zur Konkurrentenklage gegen unzulässige kommunale Wirtschaftstätigkeit, WuV 2003, 115 ff.

• Faßbender, Rechtsschutz privater Konkurrenten gegen kommunale Wirtschaftsbetätigung, DÖV 2005, 89 ff.

• Ipsen, Rechtsschutz gegen kommunale Wirtschaftstätigkeit, ZHR 170 (2006), 422 ff.

• Suerbaum, Durchbruch oder Phyrrussieg? Neues zum Schutz Privater vor der Kommunalwirtschaft, Die Ver-waltung 40 (2007), 29 ff.

• Wieland, Konkurrentenschutz in der neueren Rechtsprechung zum Wirtschaftsverwaltungsrecht, Die Verwal-tung 32 (1999), 217 ff.; ders., Konkurrentenschutz gegen kommunale Wirtschaftsbetätigung, Die Verwaltung 36(2003), 225 ff.

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D. Rechtsprechung:

– Verfassungs- und Verwaltungsgerichte

• VerfGH Rheinland-Pfalz, DVBl. 2000, 992 ff. m. Anm. Henneke, ebd. S. 997 ff.; s.a. Ruffert,NVwZ 2000, 763 ff.; Neutz, ZG 2000, 279 ff.; Schliesky, JA 2001, 110 ff. (wirtschaftlicheBetätigung im Rahmen der Daseinsvorsorge zählt zum verfassungsgeschützten kommuna-len Aufgabenbereich, nicht aber erwerbswirtschaftlich-fiskalische Betätigung. Allerdingsist eine gemeinderechtliche Subsidiaritätsklausel [vgl. § 68 Abs. 1 Nr. 3 KV M-V a.F.] mitder kommunalen Selbstverwaltungsgarantie vereinbar; legt diese Klausel den Vorrangprivater Wirtschaftstätigkeit fest [nicht in M-V], hat die Norm sogar drittschützende Wir-kung zugunsten der privaten Wettbewerber der Gemeinde)

• BVerwG, NJW 1995, 2938 ff. m. Anm. Erdemir, JA 1996, 927 ff.; Selmer, JuS 1995, 1136 f.(Grundrechte eines privaten Wettbewerbers schützen nicht vor dem Auftreten des Staatesoder von Gemeinden als Konkurrenten am Markt, solange die private Betätigung durchdie öffentliche Konkurrenz nicht unmöglich gemacht oder unzumutbar eingeschränkt wirdoder eine Monopolstellung erlangt wird)

• OVG Münster, NVwZ 2003, 1520 ff. m. Anm. Schliesky, DVBl. 2004, 138 f.; s.a. Antweiler,NVwZ 2003, 1466 ff. (kommunalrechtliche Vorschriften zur Zulässigkeit wirtschaftlicherUnternehmen haben für private Wettbewerber vor Ort drittschützenden Charakter; gegenkommunalen Wettbewerb kann der Private mittels Unterlassungsklage vorgehen. Dabeisind allerdings erwerbswirtschaftliche Hilfs- und Nebengeschäfte der Gemeinde zulässig,wenn sie sich im Rahmen der Daseinsvorsorge bewegen). Anders wiederum OVG Münster,NVwZ-RR 2005, 738 ff. m. Anm. Frenz, GewArch. 2006, 100 ff. (kein Drittschutz für pri-vate Konkurrenz gegen kostengünstige Erfüllung kommunaler Pflichtaufgaben [hier: Ab-fallentsorgung]). –> Neufassung der §§ 107 ff. GemO NRW (2007); dazu nunmehr OVGMünster, NVwZ 2008, 1031 m. Anm. Ennuschat, ebd., S. 966; s.a. Dünchheim/Schöne,DVBl. 2009, 146 ff.

• OVG Lüneburg, NdsVBl. 2009, 21 ff. m. Anm. Roling, ebd., S. 10 ff. und Freese, ebd., S. 192ff. (die verschärfende Neufassung der Vorschriften über kommunale Wirtschaftstätigkeitdurch den Landesgesetzgeber muß nicht zwingend zur Annahme drittschützender Wir-kung führen)

– Zivilgerichte

• OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1470 ff. (kommunaler Nachhilfeunterricht für Schülerkann gegen das drittschützende kommunale Wirtschaftsrecht verstoßen und deshalb einenVerstoß gegen § 1 UWG [a.F.] darstellen)

• OLG Hamm, NJW 1998, 3504 ff. „Gelsengrün“ m. Anm. Müller, JZ 1998, 578 ff.; Schliesky,JA 1998, 930 ff. (Wettbewerb des kommunalen Grünflächenamts außerhalb der drittschüt-zenden kommunalwirtschaftlichen Vorschriften verstößt gegen § 1 UWG [a.F.] und kannvom privaten Konkurrenten untersagt werden)

• OLG Karlsruhe, NVwZ 2001, 712 ff. m. Anm. Stehlin, ebd. S. 645 ff. (erwerbswirtschaftli-che Betätigung der Gemeinde kann nur dann vom privaten Wettbewerber mit § 1 UWG[a.F.] abgewehrt werden, wenn das Kommunalwirtschaftsrecht drittschützende Wirkungentfaltet; für Baden-Württemberg verneint; hierzu Els, VBlBW 2006, 420 ff.)

• BGHZ 150, 343 ff. „Elektroarbeiten“ = JZ 2003, 315 ff. m. Anm. Ehlers, ebd. S. 318 ff.; s.a.Meyer, NVwZ 2002, 1075 ff.; Warneke, JuS 2003, 958 ff. (Verstöße gegen das Kommunal-wirtschaftsrecht sind nicht zugleich sittenwidrig i.S.d. Wettbewerbsrechts und könnendaher nicht über § 1 UWG [a.F.] angegriffen werden. Das Wettbewerbsrecht regelt nichtden Zugang der Kommunen zum Markt, sondern das Verhalten der Wettbewerber amMarkt; es bezweckt auch nicht den Erhalt bestimmter Marktstrukturen). – Fortsetzung in

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BGH, NJW 2003, 586 ff. „Altautoverwertung“ (Verstöße gegen kommunalwirtschaftlicheSchranken der Betätigung am Markt begründen keinen Anspruch der privaten Wettbe-werber aus § 1 UWG [a.F.]; das Kommunalwirtschaftsrecht ist auch kein Schutzgesetzi.S.v. § 823 Abs.1 BGB)

• BGH, NJW 1998, 3778 ff.; NJW 2003, 752 ff.; NJW 2003, 2684 ff. „Schilderpräger“ (Ver-mietung von Verkaufsräumen in einer Kfz-Zulassungsstelle kann Mißbrauch einer markt-beherrschenden Stellung durch die kommunale Verwaltung sein und einen Verstoß gegendas Kartellrecht bewirken (§§ 20 Abs. 1, 26 Abs. 2 GWB)

E. Das Thema in Stichworten:

I. Problemstellung

– Darf Staat selbst erwerbswirtschaftlich tätig werden, also am Markt für jedermann Güterund Dienstleistungen anbieten, die in gleicher Form auch von privaten Unternehmen ange-boten werden (können)? Falls ja, welcher Rahmen setzt das öffentliche Wirtschaftsrecht sol-chem Verhalten?

– Dabei grundsätzlich Unterscheidung erforderlich zwischen erwerbswirtschaftlicher Betäti-gung => Gewinnerzielung in Form des Privatrechts und wirtschaftlicher Betätigung => Lei-stungserbringung zur Daseinsvorsorge in Form des Verwaltungsprivatrechts; nur bei letzte-rer ausdrücklicher öffentlicher Zweck erkennbar, bei dessen Verfolgung Gewinnerzielungentweder nicht erstrebt („Zuschußgeschäft“) oder leistungsbedingt nicht erreichbar wird;Abgrenzungskriterium ist daher Einnahmeerzielung als Hauptzweck oder als Nebenfolge.Allerdings: Beide Formen der Betätigung der öffentlichen Hand am Markt können zusam-menhängen oder ineinander übergehen, z.B. bei Randnutzungen bzw. „Beigeschäften“. Je-doch: Gegenstand des öffentlichen Wirtschaftsrecht ist allein die staatliche und kommunaleErwerbswirtschaft.

II. Formen erwerbswirtschaftlicher Betätigung

– Grundsatz: immer nur in privatrechtlicher Handlungsform möglich; Staat darf kein Sonder-recht in Anspruch nehmen

– Organisationseinheit: öffentliches Unternehmen als Sammelbegriff aller Einrichtungen derErwerbswirtschaft (–> Art. 106 AEUV, Transparenz-RL); Voraussetzung hierfür• verselbständigte Einheit <—> Amt/Behörde, nicht notwendig rechtsfähig!• wirtschaftliches Verhalten, jedenfalls im Schwerpunkt; Abgrenzung zu kulturelen und

sozialen Einrichtungen• Träger muß öffentliche Hand = Fiskus sein, entweder allein oder zusammen mit privaten

Eigentümern => gemischtwirtschaftliche Unternehmen, aber nur wenn beherrschenderstaatlicher Einfluß vorliegt (Beteiligung, Satzung etc.)

– Organisationsformen öffentlicher Unternehmen:• nach öffentlichem Recht

" Eigenbetrieb, organisatorisch und haushaltsrechtlich verselbständigtes Sondervermögen" rechtsfähige Anstalt, z.B. Sparkasse, Landesbank

• nach Zivilrecht: Eigengesellschaft" Personengesellschaft, GmbH" Kapitalgesellschaft, AG (dabei staatliche Steuerung [Demokratieprinzip] problematisch)

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III. Zulässigkeit und Grenzen erwerbswirtschaftlicher Betätigung (nach deutschem Recht)

1. Grundgesetz

– Wirtschaftsverfassung? keine generelle Aussage, aber:• ausdrückliche Zulassung bestimmter gewinnorientierter Wirtschaftstätigkeit des Bundes,

z.B. in Art. 87 f. und Art. 87e GG• Anerkennung der Existenz von erwerbswirtschaftlichen Einrichtungen bzw. Betätigungs-

feldern in Art. 110 Abs. 1 GG („Bundesbetriebe“, „Sondervermögen“)• Anerkennung von Bundesvermögen und Landesvermögen in Art. 134, 135 GG –> Annex-

kompetenz zur Nutzung und Pflege• Anerkennung der Zulässigkeit von Gemeinwirtschaft in Art. 15 GGDaher: kein generelles verfassungsrechtliches Verbot öffentlicher Unternehmen

– Finanzverfassung? Steuerstaat und Abgabenstaat erzwingen kein Verbot wirtschaftlicherBetätigung, solange Vorrang der Finanzverfassung beachtet wird

– Kompetenzregelungen im Bundesstaat, Art. 30 GG als Sperre erwerbswirtschaftlicher Be-tätigung zu Lasten des Bundes? Str., ob Vorschrift auf solches Handeln anwendbar ist

– Grundrechte als Schranken erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit? Dabei zunächst Differenzie-rung/klarstellende Wiederholung allgemeiner Grundsätze erforderlich:• Grundrechtsfähigkeit öffentlicher Unternehmen (Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG)?

–> Art. 19 Abs. 3 GG „soweit … zustehen kann“" staatliche Einrichtungen können nicht Grundrechtsträger sein, da Art. 1 Abs. 3 GG" Grundrechte wollen private Freiheit schützen, nicht aber staatliche Betätigung" bei öffentlichen Unternehmen regelmäßig keine grundrechtstypische Gefährdungslage" Besonderheit bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen (Unternehmen / Eigentümer)

• Grundrechtsverpflichtung öffentlicher Unternehmen nach Art. 1 Abs. 3 GG? „Verwaltung“ist in allen Handlungsformen erfaßt, also auch privatrechtlich gebunden => umfassendeFiskalgeltung der Grundrechte. Problematisch allerdings bei gemischtwirtschaftlichenUnternehmen; wenn (wie z.B. bei Art. 87f Abs. 2 GG) privatwirtschaftliche Tätigkeit vor-geschrieben, keine Grundrechtsverpflichtung aus Art. 1 Abs. 3 GG, sondern wie anderePrivate zur Achtung von Grundrechten Dritter im Rahmen der Drittwirkungslehre (staat-liche Schutzpflicht) verpflichtet

• Grundrechtsschutz Privater gegen staatliche Erwerbswirtschaft, abhängig vom einschlägi-gen Grundrecht; Art. 12 Abs. 1 GG als Grundlage der Wettbewerbsfreiheit (–> Grzeszick,in: Isensee/Kirchhof [Hg.], HStR IV, 32006, § 78 Rn. 9 ff.); Schutz allerdings umstritten:# BVerwG/Lit.: kein Schutz von Umsatz-/Gewinnerwartungen, auch kein Schutz gegeneine marktimmanente Verschärfung des Wettbewerbs durch Hinzutreten staatlicher Kon-kurrenz –> Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG nicht betroffen, außer wenn ruinöserWettbewerb oder Verdrängungswettbewerb mit unlauteren Mitteln stattfindet# Lit.: staatliches Auftreten am Markt ist nicht systemimmanent, weil nicht Freiheits-betätigung, keine grundrechtlich geschützte Erwerbstätigkeit –> jeder Wettbewerb durchöffentliche Unternehmen ist an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Eingriff allerdings nur, wennprivater Wettbewerber auf einem konkreten Markt in seiner Entfaltung nachweislichdurch das öffentliche Unternehmen behindert – und nicht nur belästigt – wird. Problema-tisch, solange nicht auf einen staatlichen Lenkungszweck oder auf marktinkonforme Mit-tel abgestellt wird. Falls Eingriff nachweisbar, gesetzliche Ermächtigung erforderlich, dieu.U. im Haushaltsrecht (§ 65 BHO) liegen kann.

2. Einfaches Recht

– Haushaltsrecht? Beschränkte Ermächtigung zum erwerbswirtschaftlichen Handeln aus § 65BHO/ §§ 65, 65a LHO; aber: keine Schutznorm zugunsten der privaten Wettbewerber, daherkeine Klagebefugnis aus staatlichem Haushaltsrecht

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– Staatliches Sonder-Wirtschaftsrecht? Nur auf kommunaler Ebene vorhanden –> §§ 68 ff. KV• Art. 28 Abs. 2 GG schützt zwar Leistungen der Daseinsvorsorge, nicht aber erwerbswirt-

schaftliches Handeln der Gemeinden; dies hindert Gesetzgeber indes nicht, solches ein-fachrechtlich zuzulassen, wie in § 68 KV geschehen

• „Wirtschaftliche Betätigung“ = jede Tätigkeit, die auch von einem Privaten mit Gewinner-zielungsabsicht betrieben werden kann (in M-V auch im Bereich der Daseinsvorsorge)

• KV unterscheidet mit Folgen für Organisationsform" wirtschaftliche Unternehmen, § 68 Abs. 1 Satz 1 KV" Einrichtungen („nicht-wirtschaftliche“ Unternehmen), § 68 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 KV

• dreifache Schranke für Errichtung eines wirtschaftlichen Unternehmens in § 68 Abs. 2KV; dabei Problem, ob Subsidiaritätsklausel in Nr. 3 Schutznorm zugunsten privaterWettbewerber ist, die dann im Verwaltungsprozeß für Prüfung der Einhaltung durch dasöffentliche Unternehmen herangezogen werden kann. Nach überwiegender Meinung (inM-V sogar unangefochten) nicht der Fall, da nur reflexhafte Wirkung für alle Konkurren-ten, Schutz der Norm zielt ausschließlich auf Gemeinden selbst gegen Überforderung

– Wettbewerbsrecht? Grundsätzlich Einordnung der erwerbswirtschaftlichen Betätigung in diemarktwirtschaftlichen Regularien –> Wettbewerbsordnung, daher Anwendbarkeit von UWGund GWB• § 1 UWG (alt) –> Verstoß gegen gute Sitten erforderlich; soll bereits bei Wettbewerb nach

einem Rechtsverstoß der Fall sein, da rechtsmißbräuchliches Verhalten immer wettbe-werbswidrig ist –> Verstoß gegen §§ 68 ff. KV reicht aus; a.A. zu Recht BGH: einerseitserfaßt UWG nur das Verhalten im Wettbewerb, nicht den Zugang zum Wettbewerb, ande-rerseits kann UWG nicht die fehlende Schutznormqualität der KV-Vorschriften als Auf-fangordnung ersetzen.

• §§ 3, 4 Nr. 11 UWG (neu) –> Unlautere Wettbewerbshandlung liegt insbesondere dannvor, wenn Wettbewerber einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu be-stimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer Marktverhalten zu regeln. Bislang unklar,ob dies im Fall des Kommunalwirtschaftsrechts der Fall ist (noch keine Judikatur dazu).

IV. Rechtsschutz gegen staatliche und kommunale Marktkonkurrenz

– Abhängig von Rechtsregime, auf welches Klage gestützt wird:• bei Berufung auf Grundrechte bzw. auf Kommunalwirtschaftsrecht (abhängig von der

konkreten Ausgestaltung in den Ländern) –> Unterlassungsklage vor dem Verwaltungs-gericht (Problem der Klagebefugnis)

• bei Berufung auf allgemeines Wettbewerbsrecht –> Unterlassungsklage vor dem Zivilge-richt

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Arbeitsblatt zu § 3

Organisation und rechtliche Ordnungder Wirtschaftsverwaltung

A. Übersicht: I. Organisation und Handlungsformen der Wirtschaftsverwaltung

II. Funktionelle Selbstverwaltung im Bereich der Wirtschaft

B. Rechtsgrundlagen:

– Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18.12.1956 (BGBl. I S. 920), zuletzt geändert durch Art. 17 Gesetz vom 25.7.2013 (BGBl. I S. 2749)(Errichtung von Industrie- und Handelskammern); s.a. Industrie- und Handelskammerngesetz – IHKG– M-V

– §§ 90 ff. Handwerksordnung (Errichtung von Handwerkskammern)

– §§ 60 ff., 175 ff. BRAO (Errichtung von Rechtsanwaltskammern auf der Ebene der OLG-Be-zirke und der Bundesrechtsanwaltskammer als gemeinsamer Dacheinrichtung)

– §§ 73 ff., 85 ff. Steuerberatungsgesetz (Errichtung von Steuerberaterkammern auf der Ebeneder OFD-Bezirke und der Bundessteuerberaterkammer als gemeinsamer Dacheinrichtung)

– (Landes-)Gesetze zur Errichtung von Kammern im Bereich der freien Berufe, z.B.• §§ 1–30 Heilberufsgesetz M-V (Errichtung von Kammern – Körperschaften des ö.R. – für Ärzte, Zahnärzte, Tier-

ärzte und Apotheker, nicht aber für andere Heilberufe, etwa für Psychotherapeuten [so z.B. Schleswig-Holstein]oder Pflegekräfte [so z.B. in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, vielleicht demnächst auch in M-V); aber:die Bundesärztekammer (ebenso die Bundesapothekerkammer usw.) ist keine Körperschaft des öffentlichenRechts, sondern als Arbeitsgemeinschaft der Landesärztekammern ein privatrechtlicher Verein

• §§ 11 ff. Architektengesetz M-V (Errichtung einer Landesarchitektenkammer)

– Gesetze, in denen Selbstverwaltungseinrichtungen mit staatlichen Verwaltungsaufgabenbetraut werden, z.B. § 46 KrWG, § 32 Umwelt-Audit-Gesetz (EMAS-Register)

– Selbstbeschränkungsvereinbarungen zwischen Staat und Wirtschaft, z.B.• Freiwillige Selbstbeschränkungsvereinbarungen der Verbände der Unterhaltungsautomatenwirtschaft über die

Bauart und Aufstellung von Unterhaltungsautomaten mit Geldgewinnen (1990), abgedruckt in BT-Drs. 11/6224;dazu v. Ebner, GewArch. 1990, 343 ff.

• Freiwillige Selbstverpflichtungserklärung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.(GDV) zur Verwendung prädiktiver Gentests (2001), VersR 2002, 35

• Kodex der Mitglieder des Vereins „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V.“ vom 16.2.2004,BAnz. 2004, Nr. 76, S. 8732; dazu Balzer/Dieners, NJW 2004, 908 f.

• Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung und dem DeutschenHotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) vom 1.3.2005, betr. den Nichtraucherschutz in Schank- und Speise-wirtschaften (vgl. BVerfGE 121, 317 [324 u.ö.])

• Freiwillige Selbstverpflichtung nach § 11 Abs. 2 ARegV der deutschen Verteilungsnetzbetreiber für ein verbindli-ches Verfahren zur Beschaffung von Energie zur Deckung von Verlusten gemäß § 22 Abs. 1 1. Alt. EnWG, § 10Abs. 1 StromNZV; dazu BGH, ZNER 2012, 392 ff.)

C. Rechtsprechung:

– zur funktionellen Selbstverwaltung und zum Kammerrecht

• BVerwGE 106, 64 ff. und NVwZ 1999, 870 ff.; BVerfGE 107, 59 ff. „Lippe-Wasserverband/Emscher-Genossenschaft“; dazu Becker, DÖV 2004, 910 ff.; Hanebeck, DÖV 2004, 901 ff.;Häußermann, JA 2004, 22 ff.; Jestaedt, JuS 2004, 649 ff.; Musil, DÖV 2004, 116 ff.; Unruh,JZ 2003, 1061 ff. (demokratische Legitimation funktioneller Selbstverwaltung)

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• BVerfGE 111, 191 ff. „Notarkasse München“ (verfassungsrechtliche Grenzen der Delega-tion von Rechtsetzungsbefugnissen auf Einrichtungen funktioneller Selbstverwaltung)

• BVerfGE 15, 235 ff.; BVerwGE 107, 169 ff. (dazu Jahn, JuS 2000, 129 ff.); BVerfG, NVwZ2002, 335 ff. (dazu Jahn, GewArch. 2002, 98 ff.; Karsten, NJ 2002, 405 f.; Kluth, NVwZ2002, 298 ff.) – Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft in der IHK mit Art. 2 Abs. 1 GG;ebenso z.B. VG Trier, GewArch. 2010, 246 f.

• BayVGH, GewArch. 2000, 60 ff. und 2001, 236 f.; BVerwGE 112, 69 ff. (dazu Jahn, Gew-Arch. 2001, 146 ff.; Leisner, BayVBl. 2002, 609 ff.) – Aufgaben von Industrie- und Handels-kammern, hier Beteiligung an einer Flugplatz-Betriebsgesellschaft

• BVerwGE 137, 171 ff.; dazu Eisenmenger, GewArch. 2010, 403 ff.; Hövelberndt, DÖV 2011,628 ff.; Jahn, ThürVBl. 2010, 268 ff.; Kluth, GewArch. 2012, 424 ff.; Möllering, GewArch.2011, 56 ff.; Siebert/Batterman, GewArch. 2012, 59 ff.; Waldhoff, JuS 2011, 670 ff.; VGHKassel, GewArch. 2009, 158 ff. m. Anm. Selmer, JuS 2009, 852 ff. (Unzulässigkeit politi-scher Äußerungen und Forderungen der IHK für Gegenstände, die keine Belange der ge-werblichen Wirtschaft berühren, d.h. keine nachvollziehbaren Auswirkungen auf sie haben[z.B. Einführung einer Ganztagesbetreuung in Schulen, Professionalisierung des Manage-ments in Universitäten]). S. aber VG Berlin, GewArch. 2015, 123 ff. (kein Anspruch deseinzelnen Kammermitglieds auf Unterlassung bestimmter Äußerungen einer IHK)

• OVG Münster, GewArch. 2004, 255 ff.; BVerwGE 120, 255 ff. m. Anm. Rickert, GewArch.2004, 369 f. (kein gesetzlicher Anspruch des Vollversammlungsmitglieds einer IHK aufEinsicht in Rechnungsprüfungsvorgänge)

• OVG Schleswig, GewArch. 2004, 428 m. Anm. Jahn, ebd. S. 410 f. (Kammerzugehörigkeitund Beitragspflicht einer freiberuflichen GmbH)

• SächsOVG, SächsVBl. 2008, 191 ff. (Pflichtmitgliedschaft einer Rechtsanwaltsgesellschaftin der IHK)

• BVerwG, GewArch. 2007, 478 f. (nach OVG Münster, GewArch. 2007, 113 ff.) (Auskunfts-anspruch nach Informationsrecht steht neben den spezifischen Rechten aus Kammerrecht)

• BVerwG, DVBl. 2010, 708 ff. mit Anm. Reus; s.a. Volino, GewArch 2010, 72 ff.; Bulla, Gew-Arch. 2013, 145 ff. (die einfachgesetzlich gewährleistete Selbstverwaltung der IHK hindertdie Rechnungshöfe grundsätzlich nicht an einer Prüfung der Haushalts- und Wirtschafts-führung der Kammern)

• BGH, GewArch. 2015, 64 f. (kein materielles Prüfungsrecht des Präsidenten einer Rechts-anwaltskammer für formal zulässigen Antrag zur Aufnahme in die Tagesordnung; dazuBulla, Quod licet Iovi?, GewArch 2015, 62 ff. Ebenso VG Regensburg, GewArch. 2015, 75ff. für nicht erkennbar rechtsmißbräuchliche Anträge (Steuerberaterkammer)

D. Literatur:

Frotscher, §§ 20 f.; Ruthig/Storr, § 2 IV; Schliesky, S. 125 ff., 141 ff.; Schmidt, ÖffWiR AT,§§ 9 f.; Schmidt/Wollenschläger, § 4; Stober, AllgWiVerwR, §§ 25–44; Rittner/Dreher, § 6Rn. 53 ff., § 7 Rn. 21 ff.

– zum Wirtschaftsordnungsrecht• Brüning, Steht das alte Rechtsinstitut der Beleihung vor einer neuen Zukunft? , SächsVBl. 1998, 201 ff.• Burgi, Der Beliehene – ein Klassiker im modernen Verwaltungsrecht, in: FS Maurer, 2001, S. 581 ff.• Di Fabio, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft – Grenzgänger zwischen Freiheit und Zwang, JZ 1997, 969 ff.• Schmidt, Gesetzliche Regelung der Rechtsverhältnisse der Beliehenen, ZG 17 (2002), 353 ff.• Schmidt am Busch, Die Beleihung: ein Rechtsinstitut im Wandel, DÖV 2007, 533 ff.• Schmidt-Aßmann, Der Beitrag des öffentlichen Wirtschaftrechts zur verwaltungsrechtlichen Systembildung, in:

Bauer u.a. (Hg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht (FS Reiner Schmidt), 2002, S. 15 ff.

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• Schwill, Die Grenzen der Delegation staatlicher Aufgaben an berufsständische Selbstverwaltungskörperschaften,NdsVBl. 2004, 91 ff.

• Steiner, Neues vom Beliehenen, in: Bauer (Hg.), Wirtschaft im offenen Verfassungsstaat. FS für Reiner Schmidt,2006, S. 293 ff.

• Weiß, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, DVBl.2002, 1167 ff.

– zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie• in Mecklenburg-Vorpommern: Gesetz zur verwaltungsrechtlichen Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie

und zur Umsetzung von Bundesgesetzen in das Landesrecht von mecklenburg-Vorpommern vom 2.12.2009,GVBl. 2009 S. 666; s.a. Wilke, Europäische Dienstleistungsrichtlinie: Einheitliche Ansprechpartner in Bremen,Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, NordÖR 2010, 97 f.

• Broscheit, Die Vollständigkeit der Antragsunterlagen als Maßstab für den Beginn der Fiktionsfrist nach § 42aAbs. 2 S. 2 VwVfG, GewArch. 2015, 209 ff.

• Calliess/Korte, Die Dienstleistungsrichtlinie und ihre Umsetzung in Deutschland, EuR 2009, Beiheft 2, S. 65 ff.• Cremer, Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in Deutschland – Verfassungsrechtliche Grenzen für die In-

stallierung der Kammern als Einheitliche Ansprechpartner, EuZW 2008, 655 ff.• Eisenmenger, Das Öffentliche Wirtschaftsrecht im Umbruch: Drei Jahre Dienstleistungsrichtlinie in Deutsch-

land, NVwZ 2010, 337 ff.• Kluth, Die Genehmigungsfiktion des § 42a VwVfG – Verfahrensrechtliche und prozessuale Probleme, JuS 2011,

1078 ff.• Krajewski, Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie an Genehmigungsverfahren und ihre Umsetzung im

deutschen Recht, NVwZ 2009, 929 ff.• Lemor/Haake, Ausgesuchte Rechtsfragen der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, EuZW 2009, 65 ff.

– zum Kammerrecht• Blanke, Zur Verbandskompetenz und Staatsaufsicht anläßlich der Verortung des „Einheitlichen Ansprechpart-

ners“ bei den Wirtschaftskammern, WuV 2008, 191 ff. (zur Umsetzung der DLR)• Gornig, Pflichtmitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer. Verfassungsrechtliche und europarechtliche

Aspekte, WuV 1998, 157 ff.• Hahn, Verwaltungsstreitverfahren zwischen Kammern und ihren Mitgliedern, WuV 2004, 178 ff.• Heyne, Beratung als Handlungsmöglichkeit der Kammeraufsicht, GewArch. 2016, 279 ff.• Jahn, Die Novelle des Rechts der Industrie- und Handelskammern zum 1. Januar 2008, ThürVBl. 2008, 169 ff.• Jahn, Interne Willensbildungsprozesse in wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörperschaften am Beispiel der

Industrie- und Handelskammern, WuV 2004, 133 ff.• Knemeyer, Wettbewerbsrelevante Dienstleistungen der Industrie- und Handelskammern – Zulässigkeit und

Grenzen, WuV 2001, 1 ff.• Laubinger, Zum Anspruch der Mitglieder von Zwangsverbänden auf Einhaltung des gesetzlich zugewiesenen

Aufgabenbereichs, VerwArch. 74 (1983), 175 ff.• Löwer, Verfassungsdogmatische Grundprobleme der Pflichtmitgliedschaft in IKHen, GewArch. 2000, 89 ff.• Möllering, Übertragung von Aufgaben der Wirtschaftsverwaltung auf die Industrie- und Handelskammern, WuV

2006, 261 ff.• Rickert, Öffentlichkeit und Informationspflichten in den Industrie- und Handelskammern, WuV 2004, 153 ff.• Rosenkranz, Einführung in das Recht der Industrie- und Handelskammern, JURA 2009, 597 ff.• Schöbener, Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten im Kammerrecht, GewArch. 2008, 329 ff.• Wiemers, Rechtsberatung durch die Wirtschaftskammern, GewArch. 2016, 185 ff.

E. Das Thema in Stichworten:

I. Problemstellung

– Gibt es Besonderheiten in der Organisation der Wirtschaftsverwaltung und ihrer rechtlichenOrdnung gegenüber dem Instrumentarium des Allgemeinen Verwaltungsrechts?• Nein, soweit die allgemeinen Organisationsformen der Verwaltung und ihre Inanspruch-

nahme durch Bund und Länder gemeint sind; die Vorgaben des Grundgesetzes (Art. 30, 83ff.) finden uneingeschränkt Anwendung.

• Ja, weil hier herkömmlich neben der staatlichen „Fremd“verwaltung auch eine breiterKreis von Einrichtungen funktioneller „Selbst“verwaltung existieren, in denen die betroffe-nen Wirtschaftsträger ihre Angelegenheiten autonom gestalten können und dabei nureiner Rechtsaufsicht der staatlichen Fremdverwaltung unterliegen –> Kammerwesen;

• ja, weil bestimmte Handlungsformen des Verwaltungsrechts im wirtschaftsrechtlichenKontext einen besonderen Stellenwert genießen bzw. Modifizierungen erfahren, um ihrenZweck erfüllen zu können.

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II. Verfassungsrechtlicher Rahmen der Wirtschaftsverwaltungsorganisation

– Art. 83 GG => Verwaltungskompetenz grundsätzlich bei den Ländern (–> Fachgesetze; Aus-führungsgesetze und -verordnungen zu Bundegesetzen; Landesorganisationsgesetz M-V),außer Grundgesetz bestimmt oder läßt anderes zugunsten des Bundes zu

– „bestimmt“ = obligatorische Bundesverwaltung, zwingend immer vorhanden• Bundesbank (und EZB), Art. 88 GG• Ministerialverwaltung, z.B. Wirtschafts-, Finanz-, Verkehrs- und Innenministerium• Eisenbahnverwaltung, Art. 87e Abs. 1, 2 GG –> EBA• Post und Telekommunkation, Art. 87f Abs. 3 GG –> BNetzagentur• Luftverkehr, Art. 87d Abs. 1 GG –> LuftBA, BAFlugsicherung

– „läßt zu“ = fakultative Bundesverwaltung, kann vom Bund bedarfsweise eingerichtet werdenund verdrängt damit Länder(verwaltung) => „Einfallstor“ in Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG für• Bundesoberbehörden als aus dem Ministerium ausgegliederte, organisatorisch verselb-

ständigte Verwaltungsbehörden mit Zuständigkeit für das gesamte Bundesgebiet; letzte-res ist zwingend, d.h. BOB muß Verwaltungsaufgabe ohne Unterbau wahrnehmen können(ausgenommen etwa „Außenstellen“, str). Falls nicht der Fall, Errichtung nach Art. 87Abs. 43 Satz 2 GG ausnahmsweise unter den dort genannten Voraussetzungen möglich

• bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten als unselbständige Teile der Ministeri-alverwaltung, dito.

III. Besonderheiten der Handlungsformen des Wirtschaftsverwaltungsrechts

– Alle bekannten Handlungsformen finden Anwendung: Gesetz, Verordnung, Satzung (vorallem bei Selbstverwaltung), Verwaltungsvertrag, Realhandeln, Kooperation im vorrecht-lichen Raum

– 1. Verwaltungsakt, § 35 Satz 1 und 2 VwVfG: als Einzelfallentscheidung (z.B. Gewerbeer-laubnis, Gaststättengenehmigung, Untersagungsverfügung) und als Allgemeinverfügung(z.B. Typengenehmigung, Bauartzulassung, Genehmigung gentechnisch veränderter Lebens-mittel); dabei• sachbezogene Genehmigung für Anlage oder Produkt = dingliche Erlaubnis, unabhängig

vom Betreiber/Hersteller, wirkt für/gegen den Rechtsnachfolger• personenbezogene Genehmigung (bei Zuverlässigkeit, Sachkunde, Leistungsfähigkeit), z.B.

Meisterbrief, Sachverständigenzulassung, Reisegewerbekarte• raumbezogene Genehmigung = Kombination aus sach- und personenbezogener Erlaubnis,

z.B. GaststättenkonzessionHinweis: Genehmigung (nach Antrag) ist grundsätzlich als begünstigender VA zu sehen,auch wenn belastende Nebenbestimmungen beigefügt werden. Problem allerdings, wenn vonGenehmigung kein Gebrauch gemacht wird oder genehmigtes Handeln eingestellt wird, ob-wohl gesetzliche Betriebspflicht besteht (z.B. Personenbeförderung, Eisenbahnverbindung,Luftverkehr [Flugstrecke, Flughafen], Rettungsdienst). In diesen Fällen Lösung von der Ge-nehmigung seitens des Betreibers durch einseitigen Verzicht (–> § 43 Abs. 2 VwVfG „aufanderer Weise“) oder durch Entlassung aus der Genehmigung (–> § 49 Abs. 2 VwVfG, istgrundrechtsgeboten teleologisch zu reduzieren)Wichtig: Die Umsetzung der EG-Dienstleistungsrichtlinie hat verwaltungsorganisatorischdie Einführung einer „Einheitlichen Stelle“ gebracht, deren Verwaltungsverfahren nunmehrin §§ 71a ff. VwVfG geregelt ist (dazu Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1 ff. sowie die einschlägi-gen Kommentare zum VwVfG); außerdem wurden mit den §§ 8a ff. Regelungen über die eu-ropäische Verwaltungszusammenarbeit in das VwVfG eingefügt (dazu Schmitz/Prell, NVwZ2009, 1121 ff.). Informativ hierzu der von Hartmut Bauer u.a. herausgegebene Sammelband:Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie: Herausforderung für die Kommunen (KWI-Schrif-ten, H. 3), 2010 (http://www.uni-potsdam.de/u/kwi/publikationen/kwi-schriften.html).

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– 2. Verwaltungsvertrag, § 54 VwVfG• Gegenstand (Leistung der Behörde) muß sonderrechtlich geregelt sein, um öffentlich-

rechtliche Vertragsqualität zu erreichen; dabei• häufig koordinationsrechtlicher Vertrag zwischen Wirtschaftsverwaltung und Unterneh-

mer möglich (im VwVfG nur rudimentär ausgestaltet); immer dann der Fall, wenn beikonkreter Betrachtung hinsichtlich des Vertragsgegenstandes keine Über-/Unterordnungder Beteiligten besteht, z.B. bei entgeltlicher Übernahme staatlicher Pflichten durch Pri-vate (Abfallwirtschaft, Rettungsdienst, Tierkörperbeseitigung).

– 3. neben einseitiger Steuerung der Wirtschaft Kooperation mit Regierung/Verwaltung (nicht:mit Gesetzgeber) im vorrechtlichen Raum durch „Selbstverpflichtung“ der Wirtschaft (dazui.e. Michael, Rechtsetzende Gewalt im kooperierenden Verfassungsstaat, 2002, S. 229 ff.)• vor allem im Umweltrecht üblich (dort sogar im Gesetz ausdrücklich angesprochen, etwa

in § 25 KrW-/AbfG), z.B. Abfallwirtschaft, Nichtverwendung bestimmter schädlicher Stoffebei der Produktion, Nichteinleitung aufwendig zu beseitigender Stoffe in das Abwasserusw.; s.a. „Atomkonsens“ zur Beendigung der friedlichen Nutzung der Kernenergie

• im Wirtschaftsverwaltungsrecht vor allem im Bereich des Gewerberechts (Bauart undAufstellung von Spielautomaten), des Gaststättenrechts (Nichtraucherschutz, –> Schmidtam Busch, GewArch. 2009, 377 ff.), des Produktrechts (Arzneimittel-Kodex) oder des Ver-sicherungsrechts (Gentest„verbot“ oder Beamtentarife für Versicherungsverträge).

• Grundgedanken dabei: Freiwilligkeit (i.S.v. Fehlen von Rechtszwang) nach staatlichemAnstoß, regelmäßig zur Abwendung (weiter reichender) gesetzlicher Regelungen

• Vor und Nachteile: autonome Steuerung der Wirtschaft –> größere Flexibilität und Akzep-tanz; Zeit- und Kostenersparnis für staatliche Rechtsetzung (oder doch konsentierte Vor-stufe zur Gesetzgebung [„Atomkonsens“]); kann aus staatlicher (Auf-)Sicht zu Durchset-zungsdefiziten und geringerem Regelungsniveau führen, außerdem Problem der Erfas-sung/Einbeziehung aller Betroffenen durch Verbandsentscheidung („Außenseiter“ und„Trittbrettfahrer“).

• Verfassungsrechtliche Probleme: Sicherung des Gemeinwohlbezugs gegenüber Betroffen-enpartizipation; Gefahr des „Ausverkaufs“ staatlicher Steuerungskompetenzen; kein Prä-judizieren des Gesetzgebers zulässig; keine Beeinträchtigung von Rechten nicht beteiligterDritter zulässig, außerdem Gefahr des Unterschreitens grundrechtlich gebotenen Schutz-niveaus

• Handlungsformen der Selbstverpflichtung? Verwaltungsvertrag, wenn Wirtschaftsver-waltung formal beteiligt (keine „Selbst“verpflichtung!); aber problematisch, falls auf pri-vater Seite nicht alle Betreiber beteiligt, sondern nur Verband gebunden wird („Vertrag zuLasten Dritter“? Zustimmungserfordernis aller Verbandsmitglieder?). Daher regelmäßigkein Vertrag, sondern einseitige politisch bindende Vereinbarung der Wirtschaft mit staat-lichen Stellen gewollt.

IV. Beteiligung Privater an der staatlichen Wirtschaftsverwaltung

– Generelles Problem: Wahrnehmung der staatlichen Verantwortung zur Unparteilichkeit derunter Beteiligung Privater zustandegekommenen Entscheidung; regelmäßig nur durchRechts- und Fachaufsicht sicherzustellen. Außerdem demokratische Legitimation beachtlich.Formen der Beteiligung i.e.:

– 1. Beteiligung an Aufgabe durch• Eigenüberwachung des Wirtschaftsunternehmens –> Gesetzesvorbehalt und unmittelba-

rer Betriebsbezug der Überwachungsmaßnahmen (i.S.e. „Eigensicherung“)• Indienstnahme Privater durch Pflicht zur Bestellung besonderer Beauftragter auf Ge-

schäftsleitungsebene (und Benennung der konkreten Person gegenüber der Behörde) i.S.v.betriebseigenem Risikomanagement (z.B. Immissionsschutzbeauftragter, Datenschutz-beauftragter, Betriebsbeauftragte für Gewässerschutz) –> Gesetzesvorbehalt; außerdemohne Übertragung besonderer Hoheitsrechte nur insoweit zulässig, als die betriebsinter-nen Maßnahmen des Beauftragten sich im Rahmen des unternehmerischen Direktions-rechts bewegen.

• Verwaltungshelfer = Werkzeug zur unselbständigen hilfsweisen Erledigung hoheitlicherAufgaben ohne rechtliche Beziehung nach außen (z.B. Einschaltung einer privaten Bank

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bei der Abwicklung von Subventionen im Zweistufenverhältnis) –> Gesetz oder Vertrag; dakeine Beeinträchtigung der Rechte des Privaten, kein Gesetzesvorbehalt

– 2. Beteiligung an Befugnis durch Übertragung außenwirksamer Kompetenzen an Beliehene• im Wirtschaftsverwaltungsrecht „Breitband-Institut“ moderner Verwaltung; z.B. Toll Col-

lect als Mauteintreiber nach Autobahnmautgesetz; Errichtung von Anlagen zur Endlage-rung radioaktiver Abfälle (§ 9a Abs. 4 AtG); „Klassiker“ sind der TÜV und der Bezirks-schonsteinfeger, aber auch der Flugzeugführer.

• Beleihung bewirkt keine verwaltungsorganisatorische Eingliederung in den Behörden-apparat; regelmäßig behält Beliehener auch seine anderweitigen grundrechtsgeschütztenunternehmerischen/beruflichen Aufgaben.

• Gründe für B.: Staatsentlastung, Ersparnis für Haushalte, Mobilisierung vorhandenerSachverstands; nicht: Nähe zur Sache, bessere Beherrschung der abzuwehrenden Gefahr

• Def.: Beliehener = Privater, der mit der hoheitlichen Wahrnehmung bestimmter (fremder)Verwaltungsaufgaben betraut wird und befugt ist, diese Aufgaben im eigenen Namen nachaußen in Handlungsformen des Verwaltungsrechts (VA) wahrzunehmen => keine Auf-gabenprivatisierung, aber „Teil“privatisierung der Organisation

• Status: natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts oder natürliche Personin einer juristischen Person des Privatrechts (TÜV-Ingenieur)

• Voraussetzungen der Beleihung:" organisatorisch-institutioneller Gesetzesvorbehalt (Demokratieprinzip)" grundrechtlicher Gesetzesvorbehalt, da Eingriffsbefugnisse gegenüber privaten Dritten" Maßstab für Beleihungsgesetze: Art. 33 Abs. 4 GG – Hoheitsvorbehalt (qualitativ)" dient der Sicherung von Neutralität, Zuverlässigkeit, Gemeinwohlbindung" Schwergewicht hoheitlicher Aufgaben muß beim Staat bleiben" daher z.B. keine Eingriffe in Berufswahlfreiheit zulässig (Betriebsstillegung)

• Rechtsfolgen der Beleihung:" Erfüllungsverantwortung der Verwaltung bleibt erhalten –> volle Aufsichtspflicht" Beliehener ist funktional vollziehende Gewalt i.S.v. Art. 1 Abs. 3 GG" Beliehener kann daher selbst funktional nicht Grundrechtsträger sein" somit kein Schutz gegen Aufsichtsmaßnahmen" kein Schutz gegen Beendigung der Beleihung" kein Schutz gegen Konkurrenz durch Zulassung weiterer Beliehener" eventuell aber (Vertrauens-)Schutz gegen vermögenswerte Einbußen (bei Investitionen)" Amtshaftung => Beliehener ist als „jemand“ haftungsrechtlicher Beamter" Haftender ist dabei die Anvertrauenskörperschaft (Bund/Land)" Beliehener ist im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß „Behörde“

– 3. Beteiligung an der Organisation der Verwaltung (i.S.v. Eingliederung) durch• Kondominialverwaltung = Schaffung einzelner Organe mit privater Besetzung und binden-

den (andernfalls nur Beratung) Mitgestaltungsbefugnissen in und gegenüber der jeweili-gen Einrichtung, z.B. Hochschulrat nach LHG

• funktionale Selbstverwaltung, dazu unten V.

– 4. Beteiligung am Entscheidungsverfahren der Verwaltung durch• sachverständige Beratung; regelmäßig (aber im Einzelfall, z.B. Sachverständigenrat zur

Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung; Rat von Sachverständigen fürUmweltfragen) nicht durch Gesetz festgelegt, sondern zumeist ad hoc durch privatrecht-liche Beauftragung bewirkt

• Zuarbeit Privater, z.B. durch Projektmanagement im Städtebaurecht (§ 10 VwVfG)

V. Funktionelle Selbstverwaltung im Bereich der Wirtschaft

– Besonderheit der Selbstverwaltung: mittelbare Staatsverwaltung, d.h. die staatlichen Ver-waltungsaufgaben werden nicht durch eigene Behörden wahrgenommen, die in den hier-archischen Aufbau integriert sind und ihre Spitze in der Ministerialebene finden, sondernrechtlich selbständigen Organisationen zur eigenverantwortlichen Erledigung übertragen –>in Form von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen. Grundbedingung hierfür:

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• Errichtung durch staatlichen Hoheitsakt (grundsätzlich Gesetzesvorbehalt, wenn Zwangs-mitgliedschaft vorgesehen),

• Rechtsfähigkeit der Einrichtung (Zurechnungssubjekt von Rechten und Pflichten),• Mitgliedschaft als bestimmendes Element (Mitglieder müssen bestimmenden Einfluß auf

die Gestaltung der Angelegenheiten haben),• eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung (Partizipation der Betroffenen oder mit der Auf-

gabe Betrauten).

– Funktionelle Selbstverwaltung (d.h. nicht auf Gebiet [wie kommunale Selbstverwaltung]bezogen) setzt demnach voraus:• öffentlich-rechtliche organisierte Körperschaft• zur Erledigung öffentlicher Verwaltungsaufgaben• für bestimmte private Wirtschaftszweige• auf Grund eines Gesetzes• unter staatlicher Aufsicht.Daher nicht bei privaten Wirtschaftsverbänden (Arbeitgeber/-nehmer, Branchenverband)Zweck: Entlastung der staatlichen Wirtschaftsverwaltung + Beteiligung der Betroffenen ander Erledigung der sie betreffenden staatlichen Aufgaben + administrative Nutzung privatenSachverstands und individueller Sachnähe („Kooperationsprinzip“). Daneben auch denkbar:Organisation von Solidargemeinschaften, institutionelle Absicherung grundrechtlich gebote-ner Staatsdistanz, Instrument der Verwaltungsdezentralisation.Merke: Keine geschlossene Typologie der Aufgaben, auch keine Beschränkung auf nur eigene(Selbst-)Verwaltungsaufgaben; wie bei kommunaler Selbstverwaltung auch hier Delegationstaatlicher Verwaltungsaufgaben (durch Gesetz) zulässig

– Klassische Unterscheidung der funktionellen Wirtschafts-Selbstverwaltung in• wirtschaftliche Selbstverwaltung (Industrie- und Handel, Handwerk, Landwirtschaft)• berufsständische Selbstverwaltung der „freien“ Berufe (Ärzte, Architekten, Notare, Rechts-

anwälte, Patentanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, aber auch freie Heilberufe wiePsychologen, Psychiater, Heilpraktiker, ambulante Pflegedienste etc. denkbar)

Aber: traditionelle Unterscheidung der freien Berufe vom Gewerbe heute nicht mehr trag-fähig und in der Lebenswirklichkeit bis zur Unkenntlichkeit abgeschliffen (Steuerberatungs-GmbH oder – bislang nicht zulässig – GmbH aus Rechtsanwalt, Notar, Patentanwalt, Steuer-berater und Wirtschaftsprüfer).Daneben weitere Erscheinungsformen funktioneller Selbstverwaltung:• grundrechtsgetragene Selbstverwaltung (Hochschulen, Studierendenschaften, öff.-rechtl. Rundfunkanstalten)• Realkörperschaften (Wasserverbände, Waldwirtschaftsgenossenschaften, Forstbetriebsverbände, Jagdgenossen-

schaften, Entsorgungsverbände)• soziale Selbstverwaltung (Sozialversicherungsträger, Bundesagentur für Arbeit, Kassenärztliche Vereinigungen,

Versorgungswerke der freien Berufe, Studentenwerke)

– Allgemeine verfassungsrechtliche Anforderungen an die Gründung von Trägern funktionellerSelbstverwaltung• Gesetzgebungskompetenz für Aufgabenbereich (Art. 70 ff. GG) und Verwaltungskompe-

tenz für Errichtung der Körperschaft (Art. 83 ff. GG)• Beachtung der nach Art. 33 Abs. 4 GG nur begrenzt zulässigen Übertragung hoheitlicher

Befugnisse (z.B. Eingriffsbefugnisse wie Begründung der Zwangsmitgliedschaft, Beitrags-verpflichtung, Maßnahmen der Wirtschaftsaufsicht gegenüber Mitgliedern)

• Durchsetzung von Staatlichkeit und Gemeinwohlbindung funktioneller Selbstverwaltung– Demokratieprinzip – durch Bestimmungsrechte staatlicher Organe und Rechtsaufsicht(i.e. BVerwGE 106, 64 ff. und NVwZ 1999, 870 ff.; dazu Dederer, NVwZ 2000, 403 ff.; Britz, VerwArch. 91 (2000),418 ff.; Unruh, VerwArch. 92 (2001), 531 ff.; BVerfGE 107, 59 ff.; dazu Hanebeck, DÖV 2004, 901 ff.; Häußer-mann, JA 2004, 22 ff.; Jestaedt, JuS 2004, 649 ff.; Musil, DÖV 2004, 116 ff.; Unruh, JZ 2003, 1061 ff.)

– grundrechtliche Einordnung der funktionellen Selbstverwaltung in Gestalt von Kammern:• Kammern sind selbst „vollziehende Gewalt“ i.S.v. Art. 1 Abs. 3 GG und können daher

– Konfusionsargument – Grundrechte weder gegenüber ihren Mitgliedern noch gegenüberDritten in Anspruch nehmen;

• die Mitglieder können sich gegenüber ihren Kammern hingegen auf (vor allem Wirt-schafts-) Grundrechte berufen.

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• Dabei grundrechtliches Problem der Mitgliedschaft in Kammern, da Aufgabe i.S.v. Betrof-fenenpartizipation regelmäßig nur unter Einbeziehung aller betroffenen Wirtschaftsträgerwahrgenommen werden kann –> Zwangsmitgliedschaft durch „Verkammerung“ mit derFolge einer Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen (=> Gesetzesvorbehalt). Verfas-sungsmäßigkeit einer Verkammerung soll nach BVerfG (s.o.) anhand von Art. 2 Abs. 1 GGbestimmt werden, nicht aber anhand von Art. 9 Abs. 1 GG (da nur „private“ negative undpositive Vereinigungsfreiheit geschützt wird), auch nicht anhand von Art. 12 Abs. 1 GG(da Kammerzugehörigkeit nur eine Folge der Berufsausübung und [wie Steuerpflicht]keine berufsregelnde Tendenz aufweisen soll). Dabei zwar legitime öffentliche Aufgabeerforderlich. aber bereits dann gegeben, wenn an der Erfüllung der Aufgabe durch Selbst-verwaltung ein gesteigertes öffentliches Interesse besteht, das durch die staatliche Ver-waltung selbst nicht sachgerecht wahrgenommen werden kann. Verhältnismäßigkeit al-lenfalls im Bereich der Höhe der Beitragspflicht erheblich; Tatsache, daß konkretes Mit-glied keinen Nutzen durch Kammerleistungen hat, nicht erheblich. Vgl. zum ganzen an-hand einer Psychotherapeutenkammer Ortmann, NordÖR 2003, 473 ff.

• Aufgabenfestlegung für Kammern allein durch Gesetz zulässig, das damit die verfassungs-rechtliche Legitimität der Aufgaben der Körperschaft umreißt => nur diese dürfen von derKammer wahrgenommen und mit Beiträgen der Mitglieder finanziert werden; Pflichtmit-glied hat demzufolge einen verfassungsgeschützten und verwaltungsgerichtlich durchsetz-baren Anspruch darauf, daß Kammer sich an ihren gesetzlich festgelegten Aufgabenbe-reich hält. Art. 2 Abs. 1 GG enthält also ein subjektives öffentliches Recht auf Abwehr vonKammertätigkeit außerhalb des gesetzlichen Wirkungskreises. Zudem: die gesetzlich de-finierten Aufgaben verbieten ein allgemeinpolitisches Mandat der Kammern; auch dies istklagebewehrt.

– Aufgaben funktioneller wirtschaftlicher Selbstverwaltung anhand der IHK• Mitgliedschaft (§ 1 IHKG): alle Gewerbetreibenden, sofern sie kein Handwerk ausüben

(–> s.u. § 8, dann Handwerkskammer) oder eine landwirtschaftliche Genossenschaft be-treiben (dann Landwirtschaftskammer).

• Organisation: Vollversammlung der Mitglieder –> Wahl des Präsidiums und Bestellungdes Hauptgeschäftsführers (–> Diefenbach, GewArch. 2006, 313 ff.)

• Aufgaben der IHK (§ 1 IHKG) (im Rahmen der Selbstverwaltung, d.h. nicht staatlicherAufgaben): Wahrnehmung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen ihrer Mitglieder,Förderung der gewerblichen Wirtschaft, Unterstützung staatlicher Behörden in der Wirt-schaftsverwaltung, Ausgleich unterschiedlicher Interessen der einzelnen Gewerbetreiben-den. Dabei auch zahlreiche Servicefunktionen, z.B. Erstellung von Gutachten für Gerichte,um Handelsbräuche (§ 346 HGB) oder Verkehrssitten festzustellen oder Zweifelsfälle imMarkenrecht zu klären, aber auch Förderung und Durchführung kaufmännischer undgewerblicher Berufs(aus)bildung. Nicht dazu gehört die Wahrnehmung sozialpolitischerund arbeitsrechtlicher Interessen der Mitglieder.

• Aufgaben der IHK im übertragenen (staatlichen) Wirkungskreis (vgl. § 1 IV IHKG): Be-stellung und Vereidigung gewerblicher Sachverständiger, Registrierung von Betrieben imRahmen des Ökoaudit; nunmehr auch Registrierung und Überwachung von Versiche-rungsvermittlern nach §§ 11a, 34d, 34e GewO (Gesetz zur Neuregelung des Versicherungs-vermittlungsrechts vom 19.12.2006, BGBl. I S. 3232; s.a. Kluth/Rieger, EuZW 2005, 486ff.); jedenfalls zeitweise in Planung sogar Führung des Handelsregisters anstelle der Amts-gerichte.

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Arbeitsblatt zu § 4

Der Staat als Nachfrager am Markt:das öffentliche Auftragswesen / Vergaberecht

A. Übersicht: I. Der Staat als Nachfrager am Markt: Gegenstand, Funktion und Begriffdes Vergaberechts; seine historische Entwicklung

II. Zur Einordnung des Rechts der öffentlichen Auftragsvergabe, seineRechtsquellen im nationalem Recht und im Unionsrecht (zum EU-Verga-berecht –> Vorl. Europäisches Wirtschaftsrecht)

III. Das klassische System der Auftragsvergabe in Deutschland: Rechts-grundlagen, Inhalt und Verfahren; Rechtsschutz

IV. Das System der Auftragsvergabe nach Unionsrecht und GWB: Rechts-grundlagen, Inhalt und Verfahren; Rechtsschutz

B. Rechtsgrundlagen:

– im Unionsrecht – Materielle Vergaberichtlinien• früher: Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordi-

nierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. L134/114 ff. („Basis-RL“); zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 2009/81/EG vom 13.7.2009, ABl. Nr. 216/76[Koordinierungs-RL]; jetzt Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG, Abl. L 94/65 [Vergabe-RL]

• früher: Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierungder Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie derPostdienste, ABl. L 134/1 ff. („Sektoren-RL“); zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 1177/2009 vom 30.11.2009,ABl. L 314/64 [Sektorenkoordinierungs-RL]; jetzt Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und desRates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Ener-gie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG, Abl. L 94/243[Sektorenvergabe-RL]

• Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung derVerfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung undSicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG, ABl. L 216/76 [Verteidigungskoor-dinierungs-RL]; dazu Hermann/Polster, NVwZ 2010, 341 ff.; Höfler/Petersen, EuZW 2011, 336 ff. – Umgesetztdurch Gesetz zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit vom 7.12.2011(BGBl. I S. 2570); dazu Roth/Lamm, NZBau 2012, 609 ff.; Voll, NVwZ 2013, 120 ff. Ergänzend hierzu die Verga-beverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) vom 12.7.2012; dazu Scherer-Leydecker,NZBau 2012, 533 ff.

• Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessions-vergabe, Abl. L 94/1 [Konzessionsvergabe-RL]

• Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öf-fentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, vom 23.6.2006, ABl. C179/2 ff. (dazu Köster, ZfBR 2007, 127 ff.; Lutz, WuW 2006, 890 ff.); die von Deutschland hiergegen erhobene Kla-ge wurde vom EuG als unzulässig zurückgewiesen (Urteil vom 20.5.2010 – T-258/06).

– im Unionsrecht – Rechtsmittelrichtlinien• Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989, ABl. L 395/33 vom 30. Dezember 1989; zuletzt geän-

dert durch RL 2007/66/EG vom 11.12.2007, ABl. L 335/31 [Überwachungs-RL]• Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992, ABl. L 76/14 vom 23. März 1992; zuletzt geändert durch

RL 2007/66/EG vom 11.12.2007, ABl. L 335/31 [Sektorenüberwachungs-RL]• Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007, ABl. L 335/31 vom

20. Dezember 2007 (Rechtsmittel-Änderungs-RL); dazu Costa-Zahn/Lutz, NZBau 2008, 22 ff.; Schwab/Seidel,VergabeR 2007, 699 ff.

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– im deutschen Recht• Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG), dort:

§ 30 Öffentliche Ausschreibung. Dem Abschluß von Verträgen über Lieferungen und Leistungen muß eine öffent-liche Ausschreibung vorausgehen, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahmerechtfertigen.

• Bundeshaushaltsordnung (BHO) bzw. Landeshaushaltsordnung (LHO) M-V, dort:§ 55 Öffentliche Ausschreibung. (1) Dem Abschluß von Verträgen über Lieferungen und Leistungen muß eineöffentliche Ausschreibung vorausgehen, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eineAusnahme rechtfertigen. (2) Beim Abschluß von Verträgen ist nach einheitlichen Richtlinien zu verfahren.

• Gemeindehaushaltsverordnung-Doppik (GemHVO-Doppik) M-V, dort:§ 21 Vergabe von Aufträgen. Der Vergabe von Aufträgen muß eine Ausschreibung vorausgehen, sofern nicht dieNatur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen. Die allgemeinen Vergaberichtliniender VOB/VOL sowie die dazu ergangenen Landesrichtlinien sind anzuwenden. Für das öffentliche Auftragswesengilt im Übrigen das Vergabegesetz Mecklenburg-Vorpommern in seiner jeweiligen Fassung.

• Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.d.F. d. Bek. vom 26. Juni 2013 (BGBl.I S. 1750), zuletzt geändert durch Art. 1 VergaberechtsmodernisierungsG vom 17. Februar 2016 (BGBl. I S. 203; dort: Teil 4. Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen(§§ 97–184)

• Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV) vom12. April 2016 (BGBl. I S. 624) –> Synopse von Schaller, ZfBR 2016, Beilagen zu Heft 4und 5; s.a. Höfler/Bert, NJW 2000, 3310 ff.; Otting, NVwZ 2001, 775 ff.; Schröder, NVwZ2002, 1440 ff.; Just/Sailer, NVwZ 2010, 937 ff.

• Verordnung über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Bereich des Verkehrs, derTrinkwasserversorgung und der Energieversorgung (Sektorenverordnung – SektVO)vom 12. April 2016, BGBl. I S. 624, 657) –> Opitz, VergabeR 2009, 689 ff.; Rosenkötter/Plantiko, NZBau 2010, 78 ff.

• Verordnung über die Vergabe von Konzessionen (Konzessionsvergabeverordnung –KonzVgV) vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624, 683) –> Goldbrunner, VergabeR 2016, 365ff.

• Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit zur Umsetzung derRichtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 überdie Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienst-leistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung derRichtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG (Vergabeverordnung Verteidigung und Si-cherheit – VSVgV) vom 12.7.2012 (BGBl. I S. 1509), zuletzt geändert durch Art. 5 Verga-berechtsmodernisierungsverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624)

• VOB/A – Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen. Teil A: Allgemeine Bestim-mungen für die Vergabe von Bauleistungen, Ausgabe 2016 vom 7.1.2016 (BAnz. Amtl. Teilvom 19.1.2016)

• VOL/A – Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen. Teil A: Allgemeine Bestimmun-gen für die Vergabe von Leistungen, Ausgabe 2009 vom 20.11.2009 (BAnz. Nr. 196a)

• Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge in Mecklenburg-Vorpommern (Vergabege-setz M-V – VgG M-V) vom 7.7.2011 (GVOBl. S. 411); zuletzt geändert durch Gesetz vom21.12.2015 (GVOBl. S. 587)

• Gesetz über die Nachprüfung öffentlicher Auftragsvergaben in Mecklenburg-Vorpommern(Vergabenachprüfungsgesetz – VgNG M-V) vom 28.6.1999 (GVOBl. S. 396, ber. S. 432)

C. Rechtsprechung:

– zum Vergabeunionsrecht (vgl. Gabriel/Schulz, EWS 2010, 503 ff.; 2011, 449 ff.; 2012, 497 ff.)• EuGH vom 28.10.1999 – C-81/98 „Alcatel“; dazu Jaeger, EWS 2000, 124 ff.; Martin-Ehlers,

EuZW 2000, 101 f. (Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Zuschlag und Vertrags-schluß nach EG-Recht; Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dem unterlegenen Bieter vordem Vertragsschluß ein Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen)

• EuGH vom 18.11.1999 – C-107/98 „Teckal“; dazu Wagner, EuZW 2000, 250 f. (Auftrags-vergabe unterfällt als „In-house-Geschäft“ nicht dem EU-Vergaberecht, wenn der [staatli-che oder gemischt-wirtschaftliche] Auftragnehmer der vollen rechtlichen Kontrolle desAuftraggebers unterliegt und ihm gegenüber keine eigene Entscheidungsgewalt besitzt) –>

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EuGH vom 11.1.2005 (s.u.); EuGH vom 11.5.2006 – C-340/04 „Carbotermo“; dazu Steinfeld,EuZW 2006, 378 ff.

• EuGH vom 17.9.2002 – C-513/99 „Concordia Bus Finland“; dazu Bultmann, ZfBR 2004,134 ff. (Berücksichtigung ökologischer Kriterien bei Auftragsvergabe nach EU-Recht zu-lässig, aber Vergütung entsprechender Mehrkosten kann u.U. Beihilfe darstellen)

• EuGH vom 4.12.2003 – C-448/01 „EVN und Wienstrom“; dazu Steinfeld, EuZW 2004, 76 ff.(Zulässigkeit auch nicht-wirtschaftlicher Kriterien im Rahmen des Zuschlags, soweit siemit dem Gegenstand des Auftrags zusammenhängen)

• EuGH vom 9.9.2004 – C-125/03 „Lüdinghausen“; dazu Bitterich, EWS 2005, 162 ff. (Ver-tragsverletzung des Mitgliedstaates besteht auch dann fort, wenn entgegen den Vergabe-richtlinien Aufträge ausgeschrieben und vergeben werden und der Vertragsschluß vomKonkurrenten nicht mehr mit Primärrechtsschutz angegriffen werden kann)

• EuGH vom 11.1.2005 – C-26/03 „Stadt Halle“; dazu Hausmann/Bultmann, NVwZ 2005,377 ff.; Kalbe, EWS 2005, 116 ff. (Auftragsvergabe an gemischt-wirtschaftliches Unterneh-men ist grundsätzlich kein „In-house-Geschäft“, außer der staatliche Auftraggeber hatüber das Unternehmen „Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle“); s.a. EuGH vom19.6.2014 – C 574/12 „Centro Hospitalar“ (Inhouse-Tatbestand soll voraussetzen, daß alleGesellschafter öffentliche Auftraggeber sind; Gemeinnützigkeit reicht hierfür nicht aus)

• EuGH vom 18.7.2007 – C-503/04 „Kommission ./. Deutschland“; dazu Gundel, JA 2007, 910ff. (kein mitgliedschaftsrechtlicher Bestandsschutz für [gemeinschafts]vergaberechtswidri-ge Aufträge)

• EuGH vom 13.11.2007 – C-507/03 „Kommission ./. Irland“ („An Post“); dazu Bitterich,EuZW 2008, 14 ff. (de-facto-Vergabe eines Dienstleistungsauftrags an inländisches Unter-nehmen ist in der Regel gemeinschaftsrechtswidrig, erfordert aber den Nachweis einesgrenzüberschreitenden Interesses an diesem Auftrag

• EuGH vom 13.12.2007 – C-337/06 „Bayerischer Rundfunk ./. GEWA“; dazu Antweiler,EuZW 2008, 189 ff.; Degenhart, JZ 2008, 568 ff. (ö.-r. Rundfunkanstalten sind außerhalbder Programmtätigkeit öffentliche Auftraggeber und an das EU-Vergaberecht gebunden)

• EuGH vom 3.4.2008 – C-346/06 „Rüffert ./. Niedersachsen“; dazu Becker, JZ 2008, 891 ff.;Bungenberg, EuR 2008, 397 ff.; Gundel, JA 2008, 750 ff.; Klumpp, NJW 2008, 3473 ff.;Streinz, JuS 2008, 823 ff. (Unvereinbarkeit gesetzlicher Tariftreuebindungen mit Dienst-leistungsfreiheit und Entsende-Richtlinie)

• EuGH vom 15.5.2008 – C-147/06 und 148/06 (gemeinschaftsrechtliche Grenzen eines un-geprüften Ausschlusses ungewöhnlicher niedriger Angebote im Vergabeverfahren)

• EuGH vom 19.6.2008 – C-454/06 „Pressetext“; dazu Niestedt, NJW 2008, 3321 ff.; Krohn,NZBau 2008, 619 ff. (Änderungen eines Auftrags nach Vergabe sind als ausschreibungs-pflichtige Neuvergabe zu qualifizieren, wenn sie wesentlich andere Merkmale enthaltenals der ursprüngliche Auftrag, z.B. Erweiterung auf zuvor nicht enthaltene Dienstleistun-gen oder erhebliche Änderungen im wirtschaftlichen Gleichgewicht des Vertrags)

• EuGH vom 9.6.2009 – C-480/06 „Kommission ./. Deutschland“ = „Hamburger Stadtreini-gung“ / „Rugenberger Damm“; dazu Brüning, DVBl. 2009, 1539 ff.; Pielow, EuZW 2009,531 f.; Struve, EuZW 2009, 805 ff.; Veldboer/Eckert, DÖV 2009, 859 ff. (interkommunaleKooperation durch Besorgungsvertrag dann vergabebefreit, wenn damit eine öffentlicheAufgabe erfüllt und ein angemessenes Entgelt vereinbart wird und keine Beherrschungdes beauftragten kommunalen Unternehmens durch den Auftraggeber vorliegt)

• EuGH vom 10.9.2009 – C-573/07 „Sea“ [Fortsetzung von „Teckal“, s.o.] (in-house-Geschäftdann vergabebefreit, wenn volle rechtliche Kontrolle bei AG darin besteht, daß sowohl aufderen strategische Ziele als auch auf deren wichtige Entscheidungen ausschlaggebenderEinfluß ausgeübt werden kann)

• EuGH vom 25.3.2010 – C-451/08 „Helmut Müller“ (Grundstücksveräußerung mit Bauver-pflichtung des Erwerbers ist – entgegen OLG Düsseldorf, NZBau 2007, 530 ff. „Ahlhorn“ –kein „Bauauftrag“ und daher nicht vergabepflichtig)

• EuGH vom 10.5.2012 – C-368/10 „Kommission ./. Niederlande“; dazu Siegel, EuZW 2012,599 f. (Vergaberecht ist grundsätzlich offen für auftragsfremde umweltbezogene und sozia-le Aspekte, vorausgesetzt ihre inhaltlichen Anforderungen werden transparent und klarformuliert und sind von den Auftragnehmern erfüllbar)

• EuGH vom 29.12.2012 – C-182/11 u.a. „Econord“; dazu Hausmann, NVwZ 2013, 760 ff.;Hertwig, NZBau 2013, 278 ff.; Knauff, EuZW 2013, 112 f. (die Übertragung einer kommu-

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nalen Aufgabe durch mehrere Gemeinden auf eine gemeinsam betriebene und gesteuerteGesellschaft fällt als horizontale „in house“-Vergabe nicht unter das EU-Vergaberecht)

• EuGH vom 19.12.2011 – C-159/11 „Lecce“; dazu Hertwig, NZBau 2013, 278 ff.; Schrotz/Ahlhaus, NVwZ 2013, 712 f. (Vergabe eines Forschungsauftrags durch eine staatliche Stel-le an eine Universität soll unter das EU-Vergaberecht fallen); s.a. Geitel, NVwZ 2013,765 ff.); s.a. EuGH vom 8.5.2014 – C 15/13 „Datenlotsen Informationssysteme“ (die Verga-be eines Dienstleistungsauftrags durch eine Universität an die HIS GmbH unterfällt man-gels Kontrollverhältnis zwischen Land und HIS dem Unionsrecht und muß ausgeschriebenwerden)

• EuGH vom 13.7.2013 – C-386/11 „Piepenbrock“; dazu Brakalova, EuZW 2013, 593 f.;Schrotz/Raddatz, NVwZ 2013, 933 f. (die Übertragung einer auf Kreisebene anfallendenAufgabe [hier: Büroreinigung] auf eine kreisangehörige Gemeinde fällt als vertikale „inhouse“-Vergabe dann grundsätzlich unter das EU-Vergaberecht, wenn es sich um einerechtlich auch von Privaten zu erbringende Dienstleistung handelt)

• EuGH vom 12.9.2013 – C 526/11 „Ärztekammer“ (Landesärztekammer ist kein öffentlicherAuftraggeber i.S.d. Vergabe-Unionsrechts); dazu Hamann, EuZW 2013, 862 f.; SchulteWestenberg, NVwZ 2014, 61 f.; s.a. Pielow/Booz, GewArch. 2015, 12 ff.

• EuGH vom 17.11.2015 – C 115/14 „RegioPost“ (die landesgesetzliche Verpflichtung zurZahlung eines Mindestlohns an die Beschäftigten eines Auftragnehmers oder Subunter-nehmers ist mit Unionsrecht vereinbar); dazu Bonitz, NZBau 2016, 418 ff.; Byok, RIW2016, 146 ff.; Frenz, DVBl 2016, 50 ff.; Germelmann, EWS 2016, 69 ff.; Schnieders, NVwZ2016, 216 ff.; Siegel, EuZW 2016, 101 ff.

• EuGH vom 2.6.2016 – C-410/14 „Falk Pharma“ (die Beschaffung von Arzneimitteln durchdie gesetzlichen Krankenkassen im Wege einer Rahmenvereinbarung, bei der jeder Anbie-ter zugelassen wird, der die Medikamente zu einem bestimmten vorher festgesetzten Preisanbietet, ist kein öffentlicher Auftrag und unterfällt deshalb nicht dem europäischen Ver-gaberecht)

– zum haushaltsrechtlichen („kleinen“) Vergaberecht• BVerfGE 116, 135 ff. –> Niestedt/Hölzl, NJW 2006, 3680 ff.; Pietzcker, ZfBR 2007, 131 ff.;

Sauer/Hollands, NZBau 2006, 763 ff.; Siegel, DÖV 2007, 237 ff. (Rechtsschutzrestriktio-nen im „kleinen Vergaberecht“ genügen trotz Bindung der Verwaltung an Art. 3 Abs. 1 GGdem Anspruch auf privatrechtliche Justizgewährung nach Art. 20 Abs. 3 GG); ebenso nun-mehr – für das „große Vergaberecht“ – BVerfG (K), NVwZ 2009, 835 ff.

• BVerfGE 116, 202 ff. –> Pietzcker, ebd.; Sachs, JuS 2007, 575 ff. (gesetzliche Tariftreue-regelungen berühren Art. 9 Abs. 3 GG nicht und sind mit Art. 12 GG vereinbar)

• OVG Koblenz, DVBl. 2005, 988 f. (–> Ruthig, NZBau 2005, 497 ff.); OVG Münster, NVwZ-RR 2006, 233, 842 f.; OVG Bautzen, SächsVBl. 2006, 269 (–> Braun, ebd. S. 249 ff.): Ver-waltungsrechtsweg für Überprüfung der Auftragsvergabe eröffnet; a.A. OVG Berlin-Bran-denburg, DVBl. 2006, 1250 ff. m. Anm. Rennert; dazu Dabringhausen, Krist/Kutscher,Losch und Irmer, VergabeR 2006, 462 ff., 823 ff., 299 ff., 159 ff. und 308 ff.; VGH Mann-hein, VBlBW 2007, 147 f. – Nunmehr BVerwGE 129, 9 ff. (–> Antweiler, NWVBl. 2007, 285ff.; Burgi, NVwZ 2007, 737 ff.; Ennuschat/Ulrich, NJW 2007, 2224 ff.; Gundel, JA 2008,288 ff.; Hufen, JuS 2007, 958 ff.): Verwaltungsrechtsweg im „kleinen Vergaberecht“ nichteröffnet

• OLG Düsseldorf, DÖV 1981, 537 ff. m. Anm. Pietzcker „Fernmeldetürme“ (Gebot derGleichbehandlung aller Anbieter, unabhängig von der privatrechtlichen Handlungsform;Vergabe wichtiger Aufträge nur durch öffentliche Ausschreibung zulässig)

• BGHZ 139, 259 ff.; dazu Byok, WuW 2000, 718 ff.; Noch, JZ 1999, 256 ff. (Bieter hat beieiner ohne hinreichende Gründe erfolgten Aufhebung des Vergabeverfahrens Anspruchauf Ersatz der mit der Teilnahme verbundenen Aufwendungen [„negatives Interesse“],wenn er bei Vergabe den Zuschlag erhalten hätte; Anspruch auf Ersatz des entgangenenGewinns [„positives Interesse“] hat er nur, wenn Auftrag tatsächlich erteilt worden ist)

• VG Neustadt/Weinstraße, VergabeR 2006, 78 ff. (kein Informationsanspruch des unterle-genen Bieters im „kleinen“ Vergaberecht aus § 13 VgV oder Vergabe- und Vertragsordun-gen

• EuGH vom 18.12.2014 – C-470/13, EWS 2015, 44 ff.; EuGH vom 22.10.2015 – C-425/14 –,NVwZ 2016, 297 ff. (Unterschwellenaufträge unterfallen zwar nicht dem europäischenVergaberecht, sind aber an die Vorgaben des Primärrechts gebunden (st. Rspr.)

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– zum GWB-Vergaberecht• BVerfG, NVwZ 2004, 1224 ff. (verfassungsrechtliches Gebot der Einräumung vergabe-

rechtlichen Primärrechtsschutzes gegen rechtswidrige Entscheidung der Vergabestellen,da nach der Erteilung des Zuschlags an den Konkurrenten nur noch Sekundärrechtsschutzzulässig ist (§ 114 II 1 GWB); Verletzung des Anspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG auf tatsäch-lich wirksame gerichtliche Kontrolle einer Vergabeentscheidung, wenn bereits wegen un-klarer Ausschreibungsunterlagen die Chancengleichheit der Bewerber beeinträchtigt wur-de, das Gericht aber über diesen Sachverhalt hinaus nach § 107 II GWB noch Darlegungendarüber fordert, daß sich die Zuschlagschancen gerade des betroffenen Bewerbers durchdie Rechtsverstöße besonders beeinträchtigt wurden)

• BGHZ 146, 202 ff. = JZ 2001, 927 ff. m. Anm. Burgi (nach Auftragserteilung an den erfolg-reichen Bieter kann die Vergabekammer nicht mehr angerufen werden)

• BGHZ 148, 55 = DVBl. 2001, 1607 ff.; dazu Röhl, JuS 2002, 1053 ff. (kein GWB-Auftrag,sondern „In-house-Geschäft“, wenn öffentlicher Auftraggeber alleiniger Inhaber des Auf-tragnehmers ist, er über diesen Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt und derBeauftragte im wesentlichen für den Auftraggeber tätig wird)

• BGHZ 158, 43 = NJW 2004, 2092 ff. (Verfassungs- und Rechtmäßigkeit von § 13 Vergabe-VO, wonach ein Vertrag, der vor Ablauf von 14 Tagen seit der Information über die Nicht-berücksichtigung eines Bieters abgeschlossen wird, nichtig ist)

• BGH, NVwZ 2005, 845 ff. (Nichtigkeit des Vertrags nach § 13 VgV nur, wenn unterlegenerBieter in seinen Informationsrechten verletzt ist und Nachprüfungsverfahren anstrengt)

• BayObLG, NVwZ 2005, 117 ff. m. Anm. Byok, ebd. S. 53 ff. „AOK Bayern“ (staatlichesKrankenversicherungsunternehmen ist kein öffentlicher Auftraggeber i.S.d. §§ 97 ff. GWB,da funktionelle Selbstverwaltung)

• VG Koblenz, ZfBR 2005, 104 ff.; OVG Koblenz, ZfBR 2005, 590 ff. (für Klagen gegen eineVergabeentscheidung außerhalb des GWB [hier: Rüstungsauftrag, vgl. § 100 Abs. 2] ist derVerwaltungsrechtsweg eröffnet; dazu Hollands/Sauer, DÖV 2006, 55 ff. A.A. VG Potsdam,VergabeR 2006, 83 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, VergabeR 2006, 85 ff. (keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit). S.a. OVG Münster, VergabeR 2006, 86 ff. (Verwaltungsrechtswegfür Anspruch eines Bieters gegen Gemeinde, auf beherrschte GmbH einzuwirken)

• BSG, NJW 2008, 3238 ff. „Arzneimittel-Rabattverträge“ und NZS 2010, 204 ff. „Hilfsmit-telversorgung“ (gegen Entscheidungen [= Verwaltungsakte] der Vergabekammern wegenArzneimittel-Rabattverträgen bzw. Hilfsmittelverträgen zwischen Anbietern und gesetzli-chen Krankenkassen ist der besondere Verwaltungsrechtsweg zu den Sozialgerichten– und nicht zu den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte – eröffnet); dagegen OLG Düs-seldorf vom 30.4.2008 – VII-Verg 4/08 (gesetzliche Alleinzuständigkeit der Oberlandesge-richte) –> Vorlage zum BGH

• BGHZ 179, 84 ff. „Rettungsdienst“; dazu Berger/Tönnemann, VergabeR 2009, 129 ff.;Jahn, NdsVBl. 2010, 33 ff.; Wenzel, LKV 2009, 298 ff. (Beauftragung Privater mit derDurchführung des Rettungsdienstes ist bei Erreichung des Schwellenwerts öffentlicherAuftrag gem. GWB und daher ausschreibungspflichtig); s.a. EuGH vom 29.4.2010– C-160/08 (Gemeinschaftsrecht gebietet zumindest Bekanntgabe des Ergebnisses derZuschlagserteilung)

D. Literatur:

Ruthig/Storr, § 10; Schliesky, S. 171 ff.; Schmidt/Wollenschläger, § 7; Stober, AllgWiVerwR,§ 37; Rittner/Dreher, § 30; zur Entwicklung des Vergaberechts berichten Byok, NJW 2001,2295 ff.; 2004, 198 ff.; 2006, 2076 ff.; 2008, 559 ff.; 2009, 644 ff.; 2010, 817 ff.; 2011, 975 ff.;2012, 1124 ff.; 2013, 1488 ff.; 2014, 1492 ff.; 2015, 1490 ff.; NJW 2016, 1494 ff. Bungenberg,WuW 2007, 351 ff., 1103 ff.; 2008, 796 ff.; 2009, 503 ff., 1149 ff.; 2010, 890 ff., 1242 ff.; 2011,832 ff.; Bungenberg/Arndt, WuW 2012, 571 ff.; 2013, 251 ff.; 2014, 42 ff.; Bungen-berg/Schelhaas, WuW 2016, 227 ff. – Zum Unionsrecht Prieß, Handbuch des europäischenVergaberechts, 32005 (z.T. veraltet); Egger, Europäisches Vergaberecht, 2008; s.a. die Be-richte von Neun/Otting, EuZW 2011, 456 ff.; 2012, 566 ff.; 2013, 529 ff.; 2014, 535 ff.; 2015,453 ff.; 2016, 486 ff.

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– zum Recht der öffentlichen Auftragsvergabe allgemein:• Alexander, Öffentliche Auftragsvergabe und unlauterer Wettbewerb, WuW 2004, 700 ff.• Burgi, Die Zukunft des Vergaberechts, NZBau 2009, 609 ff.• Dörr, Das deutsche Vergaberecht unter dem Einfluß von Art. 19 Abs. 4 GG, DÖV 2001, 1014 ff.• Eggers/Malmendier, Strukturierte Bieterverfahren der öffentlichen Hand, NJW 2003, 780 ff.• Grzeszick, Vergaberecht zwischen Markt und Gemeinwohl, DÖV 2003, 649 ff.• Koenig/Haratsch, Grundzüge des deutschen und europäischen Vergaberechts, NJW 2003, 2637 ff.• Lux, Einführung in das Vergaberecht, JuS 2006, 969 ff.• Malmendir, Vergaberecht, quo vadis?, DVBl. 2000, 963 ff.• Pietzcker, Grenzen des Vergaberechts, NVwZ 2007, 1225 ff.• Pünder, Zu den Vorgaben des grundgesetzlichen Gleichheitssatzes für die Vergabe öffentlicher Aufträge, Verw-

Arch. 95 (2004), 38 ff.• Roebling, Das Vergaberecht im Wandel – eine Einführung, JURA 2000, 453 ff.• Thieme/Correll, Deutsches Vergaberecht zwischen nationaler Tradition und europäischen Integration, DVBl.

1999, 884 ff.

– zum haushaltsrechtlichen Modell (anwendbar bei Aufträgen unterhalb der EU-Schwellen-werte [zuletzt VO (EU) Nr. 1251/2011 der Kommission vom 30.11.2011, ABl. L 319/43]):• Binder, Effektiver Rechtsschutz und neues Vergaberecht – Überlegungen zur Verfassungsmäßigkeit der Differen-

zierung nach Schwellenwerten in §§ 97 ff. GWB, ZZP 113 (2000), 195 ff.• Bittrich, Rechtsschutz bei Verletzung aus dem EG-Vertrag abgeleiteter „Grundanforderungen“ an die Vergabe

öffentlicher Aufträge, NVwZ 2007, 890 ff.• Dicks, Nochmals: Primärrechtsschutz bei Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte, VergabeR 2012, 531 ff.• Druschel, Rechtswegfragen am Beispiel des Vergaberechts, JA 2008, 514 ff.• Hermes, Gleichheit durch Verfahren bei der staatlichen Auftragsvergabe, JZ 1997, 909 ff.• Hösch, Die Nachprüfung von Vergabeentscheidungen der öffentlichen Hand, BayVBl. 1997, 193 ff.• Huber, Der Rechtsschutz des Bieters im öffentlichen Auftragswesen unterhalb der sog. Schwellenwerte, JZ 2000,

877 ff.• Koch, Probleme administrativer Außenrechtserzeugung am Beispiel der Verdingungsordnungen, VerwArch. 91

(2000), 354 ff.• Pietzcker, Rechtsbindungen der Vergabe öffentlicher Aufträge, AöR 107 (1982), 61 ff.• Schnieders, Die kleine Vergabe, DVBl. 2007, 287 ff.• Storr, Fehlerfolgenlehre im Vergaberecht, SächsVBl. 2008, 60 ff.• Wollenschläger, Das EU-Vergaberegime für Aufträge unterhalb der Schwellenwerte, NVwZ 2007, 388 ff.

– zum Vergabe-Unionsrecht (bis 2014):• Brenner, Die Einwirkungen der EG-Vergaberichtlinien auf die Struktur der Auftragsvergabe in Deutschland, FS

Kriele, 1997, S. 1431 ff.• Frenz, Grundrechte und Vergaberecht, EuZW 2006, 748 ff.• Heiß, Allgemeines EU-Vergaberecht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Binnen-

marktweite Grundanforderungen an staatliche Eigenerbringung und an nicht EU-Sekundärrecht unterfallendeAufträge sowie Plattform für künftiges Spezialrecht, VerwArch 103 (2012), 421 ff.

• Huber, Die Europäisierung des öffentlichen Auftragswesens in Deutschland, FS Schiedermair, 2001, S. 765 ff.• Knauff, Die Reform des europäischen Vergaberechts, EuZW 2004, 141 ff.• Mader, Das neue EG-Vergaberecht, EuZW 2004, 425 ff.• Prieß/Hausmann, Der deutsche Vergaberechtsschutz im europäischen Vergleich, EuR 1999, 203 ff.• Schneider, EG-Vergaberecht zwischen Ökonomisierung und umweltpolitischer Instrumentalisierung, DVBl.

2003, 1186 ff.• Schwarze, Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, EuZW 2000, 133 ff.• Stumpf, Der Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie 2004/18/EG im Lichte der Rechtsprechung des EuGH,

EWS 2009, 65 ff.

– zum neuen Vergabe-Unionsrecht (ab 2015):• Bungenberg, Das primäre Binnenmarktrecht der öffentlichen Auftragsvergabe, in: Müller-Graff (Hg.), Enzyklopä-

die Europarecht, Bd. 4: Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, 2015, § 16 (neueste Gesamtdarstellung)• Dreher/Hoffmann/Kling, Das sekundäre Binnenmarktrecht der öffentlichen Auftragsvergabe, in: Müller-Graff

(Hg.), Enzyklopädie Europarecht, Bd. 4: Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, 2015, § 17 (neueste Gesamtdar-stellung)

• Gröning, Die neue Richtlinie für die öffentliche Auftragsvergabe – ein Überblick, VergabeR 2014, 339 ff.• Knauff/Bedenhausen, Die neue Richtlinie über die Konzessionsvergabe, NZBau 2014, 395 ff.• Müller, Die neuen Vergaberichtlinien – Besteht eine rechtliche oder faktische Vorwirkung der Richtlinien vor

Ablauf der Frist zur Umsetzung durch die Mitgliedstaaten?, ZfBR 2014, 347 ff.• Neun/Ottig, Die EU-Vergaberechtsreform, EuZW 2014, 446 ff.• Opitz, Was bringt die neue Sektorenvergaberichtlinie?, VergabeR 2014, 369 ff.• Prieß/Stein, Die neue EU-Sektorenrichtlinie, VergabeR 2014, 323 ff.• Prieß/Stein, Die neue EU-Konzessionsvergaberichtlinie, VergabeR 2014, 499 ff.

– zum Vergaberecht nach GWB (allgemein):• Ackermann, Die Haftung des Auftraggebers bei Vergabeverstößen, ZHR 164 (2000), 394 ff.• Egidy, Das GWB-Vergaberecht nach der Novelle 2009: Flexibel, europarechtskonform und endlich von Dauer?,

DÖV 2009, 835 ff.• Gabriel, Die Vergaberechtsreform 2009 und die Neufassung des vierten Teils des GWB, NJW 2009, 2011 ff.

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• Heinemann, Fehlerfolgen im Vergabeverfahren, VerwArch 103 (2012), 87 ff.• Huber, Der Schutz des Bieters im öffentlichen Auftragswesen unterhalb der sog. Schwellenwerte, JZ 2000, 877 ff.• Kramer/André, Grundzüge des vergaberechtlichen Rechtsschutzes, JuS 2009, 906 ff.• Kühling, Das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe nach der GWB-Reform 2009, JURA 2009, 835 ff.• Martin-Ehlers, Die Novellierung des deutschen Vergaberechts, EuR 1998, 648 ff.• Pache, Der Staat als Kunde – System und Defizite des neuen deutschen Vergaberechts, DVBl. 2001, 1781 ff.• Pietzcker, Die neue Gestalt des Vergaberechts, ZHR 162 (1998), 427 ff.• Schwarze, Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, EuZW 2000, 133 ff.• Thieme/Correll, Deutsches Vergaberecht zwischen nationaler Tradition und europäischer Integration, DVBl.

1999, 884 ff.• Weyd, Die Konzessionsvergabe, JURA 2009, 448 ff. (Examensklausur)

– zur GWB-Reform 2015:• Bergmann, Das Vergabemodernisierungsgesetz und die Vergabemodernisierungsverordnung, VBlBW 2016,

221 ff.• Burgi, Vergaberecht. Systematische Darstellung für Praxis und Ausbildung, 2016 (FB)• Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, 62016 (FB)• Knauff, Strukturfragen des neuen Vergaberechts, NZBau 2016, 195 ff.• Krönke, Das neue Vergaberecht aus verwaltungsrechtlicher Perspektive, NVwZ 2016, 568 ff.• Siegel, Das Haushaltsvergaberecht – Systematisierung eines verkannten Rechtsgebiets, VerwArch. 107 (2016),

1 ff.

– zum Rechtsschutz im GWB-Vergaberecht:• Germelmann, Die Vergabekammern im System des vergaberechtlichen Rechtsschutzes, DÖV 2013, 50 ff.• Knauff/Streit, Die Reform des EU-Vergaberechtsschutzes, EuZW 2009, 37 ff.• Kramer/André, Grundzüge des vergaberechtlichen Rechtsschutzes, JuS 2009, 906 ff.

– zu aktuellen Problemen des Vergaberechts („vergabefremde“ Zwecke):• Cremer, Ökologische Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und EG-Beihilferecht, ZUR 2003, 265 ff.• Fischer, Vergabefremde Zwecke im öffentlichen Auftragswesen: Zulässigkeit nach Europäischem Gemeinschafts-

recht, EuZW 2004, 492 ff.• Fischer/Barth, Europäisches Vergaberecht und Umweltschutz, NVwZ 2002, 1184 ff.• Heintzen, Vergabefremde Zwecke im Vergaberecht, ZHR 165 (2001), 62 ff.• P.M. Huber, Das öffentliche Auftragswesen als Beschaffungsvorgang oder Instrument der Wirtschaftslenkung

und der Sozialgestaltung?, ThürVBl. 2000, 193 ff.• Keßler/Ölcüm, Die Berücksichtigung sozialer Belange im Recht der öffentlichen Auftragsvergabe, EWS 2004,

337 ff.• Meißner, Landesvergabegesetze – Besonderheiten, Innovationen, Schwierigkeiten, ZfBR 2013, 20 ff.• Meißner, Landesvergabegesetze und (k)ein Ende, ZfBR 2014, 453 ff.• Neßler, Politische Auftragsvergabe durch den Staat?, DÖV 2000, 145 ff.• Odendahl, Die Berücksichtigung vergabefremder Kriterien im öffentlichen Auftragswesen, EuZW 2004, 647 ff.

E. Das Thema in Stichworten:

I. Gegenstand, Begriff und Funktion des Vergaberechts

– Öffentliche Auftragsvergabe (ö.A.) = Deckung des staatlichen Bedarfs an Waren und Dienst-leistungen, auf verschiedene Weise möglich: Eigenproduktion, zwangsweise Beschaffungdurch Hoheitsakt (Enteignung) oder Auftreten als Nachfrager am Markt; nur letzteres mitö.A. gemeint. Hierfür eigenes (Sonder-)Recht der Verwaltung nicht zwingend erforderlich, damarktkonformes zivilrechtliches Instrumentarium (BGB) zur Verfügung steht. Allerdings:bei staatlicher Auftragsvergabe keine Privatautonomie der staatlichen Beschaffungsstellen;u.U. je nach Marktsegment starke Nachfragemacht (z.B. Straßenbau) oder Einkaufsmonopol(z.B. Rüstungsindustrie); möglicherweise geringe Preistransparenz; vor allem aber Gefahrvon „Hoflieferantentum“, da Auftragnehmer infolge früherer Kontakte als „bekannt undbewährt“ vorzugsweise bedient wird; auch Gefahr unzulässiger Einflußnahmen auf die Auf-tragsvergabe seitens der Anbieter (Bestechung, Submissionsbetrug) bzw. der zuständigenAmtsträger (Bestechlichkeit, Korruption –> Einrichtung eines bundesweiten Korruptions-registers für unzuverlässige Unternehmen sinnvoll, aber bislang nicht realisiert).

– Daher seit etwa 80 Jahren Entwicklung eines eigenen Rechtsgebiets der ö.A. = Vergaberecht= staatliches Beschaffungswesen zur Regelung der sachbeschaffungsrelevanten Rechtsver-hältnisse zwischen Staat (Verwaltung) und privaten Anbietern

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– Funktionen des Vergaberechts:• Verhinderung einer Flucht des staatlichen Nachfragers in das „autonome“ Privatrecht,

verbunden mit der Abwehr einer marktbeherrschenden Stellung• Markttransparenz durch formalisierte Veröffentlichung der staatlichen Nachfrage und

Aufforderung zum chancengleichen Einreichen von Angeboten über Waren und Dienst-leistungen => fairer Wettbewerb der Anbieter um den Auftrag mit Vergabe zu den wirt-schaftlichsten Bedingungen

• Verhindern unzulässiger Einflußnahmen auf den Beschaffungsvorgang durch formalisierteVerfahren

• Darüber hinaus aber auch weitere Ziele der Auftragsvergabe möglich, z.B. Förderung wirt-schafts- oder sozialpolitisch erwünschten Verhaltens (Bevorzugung mittelständischer Be-triebe oder ostdeutscher Anbieter; überdurchschnittliche Ausbildung von Lehrlingen, Be-schäftigung von Frauen oder von Behinderten usw.), oder Sanktionierung unerwünschtenVerhaltens (keine Zahlung von Tariflöhnen, Beschäftigung ausländischer Subunterneh-mer).

– Def.: Vergaberecht = Summe aller (internationalen, supranationalen und nationalen) Vor-schriften und Regeln, die dem Staat, seinen Behörden und Einrichtungen ein bestimmtesVerhalten bei der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen vorschreiben.

– Historische Entwicklung: Begrifflichkeit „Vergaberecht“ suggeriert, daß Staat etwas „zuvergeben“ hat (Aufträge); ist historisch in allen europäischen Staaten gleichermaßen erklär-bar (Lizitation, Submission)

II. Rechtsquellen des Vergaberechts –> Folien mit Vergleich Unionsrecht / nationales Recht

III. Das „klassische“ System der Auftragsvergabe in Deutschland: die haushaltsrechtliche Lösung

– ö.A. als privatrechtliches Hilfsgeschäft der Verwaltung mit fiskalischer Fixierung (Haus-haltsrecht –> wirtschaftliche und sparsame Verwendung der Mittel –> Ausschreibung mitBieterwettbewerb und festgelegten Regeln in Vergabe- und Vertragsordnungen als „Allge-meinen Einkaufsbedingungen“; Haushaltszentriertheit läßt grundsätzlich Schutznormcha-rakter der einschlägigen Vorschriften für den Bieter nicht zu, sondern verfolgt nur begrenzteRegelungszwecke:• Prinzip Wirtschaftlichkeit• Gebot der Bändigung staatlicher Nachfragemacht• Privatrechtsprinzip• Wettbewerbs- und Transparenzprinzip• Prinzip langfristiger Wirtschaftlichkeit• Prinzip dezentraler Beschaffung –> differenzierte Verantwortlichkeit für Auftragsvergabe• Konsensprinzip (z.B. bei Erarbeitung der „AGB“ in Vergabe- und Vertragsausschüssen• vorgelagert und dominierend: Haushaltsrechtsprinzip => Regeln als Binnenrecht

– Zur Typologie der einzelnen Auftragsarten und Regelwerke –> Folien

– Das Verfahren der Auftragsvergabe nach den Vergabe- und Vertragsordnungen• Das wettbewerbsrechtliche Modell im GWB und seine Eckpunkte (Schutzgesetz zugunsten

des Vergabewettbewerbs; sachlicher Anwendungsbereich nach Unionsrecht [Gegenstandund Schwellenwerte] –> Zweiteilung des Vergaberechts; Einräumung subjektiver Rechtealler Bieter auf Beachtung der Verfahrensvorschriften; Eröffnung primären Rechtsschut-zes der Unterlegenen gegen die Vergabestelle in zwei Instanzen [Vergabekammern in derVerwaltung und Vergabesenate bei den OLGen]; eindeutige, beweiserleichternde Zuerken-nung von Ansprüchen auf Schadensersatz bei echter Chance auf Zuschlagserteilung)

– Der Verfahrens-Rechtsschutz der Anbieter und ihre Ansprüche im einzelnen• Anspruch auf Einhaltung bieterschützender Verfahrensbestimmungen, § 97 Abs. 7 GWB• effektiver Rechtsschutz durch Nachprüfungsverfahren bei Vergabekammern der Verwal-

tung, deren Entscheidungen der Überprüfung durch Vergabesenate beim OLG unterliegen

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• Ausschließlichkeit dieses Rechtswegs nach § 156 Abs. 2 und 3 GWB, soweit nicht auf An-sprüche sekundären Rechtsschutzes (Schadensersatz) bezogen

• Ausschluß des Rechtsschutzes, wenn Vergabeverfahren durch Vertragsschluß abgeschlos-sen ist –> Zustellung eines vom unterlegenen Bieter fristgerecht erhobenen und nichtoffensichtlich unbegründeten Nachprüfungsantrags hindert Vergabestelle, den Zuschlagzu erteilen (andernfalls –> fristbedingte Unwirksamkeit nach § 135 GWB) => Informa-tionspflicht des Auftraggebers gegenüber allen unterlegenen Bietern mit Begründung derNichtberücksichtigung gem. § 134 GWB spätestens 15 Tage vor Vertragsschluß (andern-falls –> fristbedingte Unwirksamkeit nach § 135 GWB)

• Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer ist besonderes Verwaltungsverfahren mitBeschleunigungs- und Untersuchungsgrundsatz, auf das ergänzend zum GWB (§§ 155 ff.)das VwVfG Anwendung finden kann

• Gegen Entscheidung der Vergabekammer steht dem im Nachprüfungsverfahren unterlege-nen Bieter innerhalb von zwei Wochen die „sofortige Beschwerde“ nach §§ 171, 172 GWBoffen –> Suspensiveffekt für Vergabeverfahren, allerdings nach § 173 Abs. 1 Satz 2 GWBauf zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist beschränkt; bis dahin muß entwederEntscheidung in der Sache oder Verlängerung der aufschiebenden Wirkung durch Gerichtergangen sein, um den Vertragsschluß zu verhindern. Demgegenüber nach § 176 GWBauch Antrag des Auftraggebers auf Gestattung des Zuschlags trotz anhängigen Verfahrensmöglich, dem unter bestimmten Voraussetzungen stattzugeben ist.

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Arbeitsblatt zu § 5

Der Staat als Wirtschaftslenker undWirtschaftsförderer: das Subventionsrecht

A. Übersicht: I. Das Subventionsrecht zwischen nationalem Recht und EU-Recht

II. Voraussetzungen und Handlungsformen der Subventionsvergabe

III. Abwicklung, Rückabwicklung und Rechtsschutz im Subventionsrecht

B. Rechtsgrundlagen:

– im Unionsrecht (–> Vorl. Europäisches Wirtschaftsrecht)

• Art. 107–109 AEUV „Staatliche Beihilfen“; dort (in nicht gelungener Systematik) zum einen Regelungen über diewettbewerbsrechtliche Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit von nationalen Beihilfen, zum anderen Vorschriftenüber das Verfahren bei der Vergabe solcher Beihilfen: Unterrichtungspflicht der Mitgliedstaaten vor jeder be-absichtigen Einführung oder Umgestaltung einer Beihilfe, Informations-, Beanstandungs- und Untersagungs-recht der Kommission, Anrufung des EuGH bei Mißachtung der mitgliedstaatlichen Pflichten. –Außerdem in Art. 109 AEUV Befugnis zum Erlaß von Durchführungsverordnungen:

• Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweiseder Europäischen Union auf De-Minimis-Beihilfen vom 18.12.2013 (ABl. L 352/1)

• Verordnung (EG) Nr. 994/98 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise derEuropäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen vom 7.5.1998 (ABl. L 142/1), zuletzt geändertdurch VO (EU) Nr. 733/2013 vom 22.7.2013 (ABl. L 204/11)

• Verordnung (EU) Nr. 651/2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit demBinnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Unionvom 17.6.2014 (ABl. L 187/1)

• Wichtig außerdem Verordnung (EU) Nr. 2015/1588 des Rates über die Anwendung der Artikel 107 und 108 desVertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen vom13. Juli 2015 (ABl. L 248/1); ergänzend hierzu die Verordnung (EU) Nr. 2015/1589 des Rates über besondereVorschriften für die Anwendung von Artikel 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom13. Juli 2015 (ABl. L 248/9)

– im nationalen Recht

• HGrG § 14, BHO/LHO §§ 23, 44 (Zuwendungen haushaltsrechtlich nur zulässig, wennerhebliches Interesse am verfolgten Zweck besteht und hierzu eine Nachprüfung erfolgt)

• StGB § 264 Subventionsbetrug; dazu• Gesetz gegen mißbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen (Subventionsgesetz –

SubvG) vom 29. Juli 1976 (BGBl. I S. 2034, 2037) (enthält strafrechtlich relevante Verhal-tenspflichten des Subventionsnehmers, u.a. Informations- und Offenbarungspflichten ge-genüber der Behörde, Pflicht zur Herausgabe zweckverfehlender Subventionsvorteile)

• Gesetz gegen mißbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen des Landes Mecklen-burg-Vorpommern (SubvG M-V) vom 12. Juli 1995, GVBl. S. 330 (überträgt die o.a. Rege-lungen des SubvG auf Zuwendungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern)

• Fördergesetze, die für einzelne Wirtschaftszweige Voraussetzungen für eine Zuwendungregeln und dem Subventionsnehmer Ansprüche einräumen, z.B. Gesetz über Maßnahmenzur Förderung des deutschen Films i.d.F. d. Bek. vom 24.8.2004, BGBl. I S. 2277; s.a. (oh-ne Anspruchsbegründung) Gesetz zur Mittelstandsförderung in Mecklenburg-Vorpommern(Mittelstandsförderungsgesetz – MFG M-V) vom 22. Oktober 2013, GVOBl. S. 606

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C. Rechtsprechung (ohne Unionsrecht):

– BGHZ 155, 166 ff. = NJW 2003, 2451 ff. (zweistufige Subventionsvergabe mit Zuschuß ver-mittelnder Bank auf Grund von Verwaltungsprivatrecht; Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 1GG – Willkürverbot – bei der Rückforderung der Zuwendung durch die Bank, nicht aber der§§ 48, 49 VwVfG; grundsätzlich keine Berufung des Subventionsempfängers auf Entreiche-rung [§ 818 Abs. 3 BGB] gegenüber der den Zuschuß zurückfordernden Bank)

– BGH, JZ 2007, 415 ff. m. Anm. Stober (die Grundsätze des Widerrufs einer Zuwendung nach§ 49 Abs. 3 VwVfG finden auch auf Realförderung Anwendung [hier: verbilligter Verkaufeines Grundstücks]; die Zuwendung kann daher auch bei vertragswidrigem Verhalten desEmpfängers nicht zurückgefordert werden, soweit keine Zweckverfehlung eingetreten ist)

– BVerwGE 106, 328 ff. (zuvor BVerwG, NVwZ 1995, 703 ff.; dann EuGH, EuZW 1997, 276 ff.)„Alcan“ (Vorrang des Unionsrechts erzwingt massive Reduktion der Rechtssicherheit undVertrauen schützenden VwVfG-Vorschriften zur Aufhebung von Verwaltungsakten); zurAlcan-Rspr. des EuGH die Konkretisierung in EuGH vom 5.10.2006 – C-232/05 „Kommission./. Frankreich“, EuZW 2007, 56 ff. m. Anm. Rosenfeld (Anwendungsvorrang des Unionsrechtsläßt Berufung auf einer Rückforderung entgegenstehende Gründe des nationalen Rechts nurim Rahmen „absoluter Unmöglichkeit“ zu; die Rückforderung hat nach den Verfahren desMitgliedstaats unverzüglich zu erfolgen, um so eine sofortige und tatsächliche Vollstreckungder Kommissionsentscheidung zu ermöglichen)

– ThürOVG, ThürVBl. 2004, 241 ff.; BVerwG, NVwZ 2003, 1384 f. (Subvention eines Bewerbersentgegen der sonst durchgängig ablehnenden Zuwendungspraxis ist wegen Verstoßes gegenArt. 3 Abs. 1 GG rechtswidrig –> Rücknahme nach § 48 VwVfG); dazu Selmer, JuS 2004, 85 f.

– BVerwG, DVBl. 2003, 139 ff. (dazu Sachs, JuS 2003, 411 ff.); OVG Münster, NWVBl. 2002,239 ff. (dazu Wernsmann, JuS 2002, 959 ff.); VG Düsseldorf, NWVBl. 1999, 66 f. (dazu Oldi-ges, NVwZ 2001, 280 [286 f.]) „Meistergründungsprämie“ (geschlechtsspezifische Differenzie-rung bei Subventionsempfängern u.U. mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG vereinbar)

– BVerwGE 118, 379 ff. (Anspruch auf Subvention kann ausnahmsweise auch ohne ausgewie-sene Haushaltsmittel bestehen, wenn Versagung auf Grundrechtsverstoß beruht – hier:Art. 3 Abs. 1 GG – und dieser nur durch Gewährung der Zuwendung beseitigt werden kann)

– BVerwG, NVwZ-RR 2004, 413 ff. (die Rückforderung einer Zuwendung soll auch dann imWege des Widerrufs nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwVfG zulässig sein, wenn die vom Sub-ventionsnehmer mißachtete Auflage in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag enthalten ist)

– BVerwG, NJW 2006, 536 ff.; dazu Seibel, JA 2006, 580 f.; Waldhoff, JuS 2006, 763 f. (beizweistufig vergebener Subvention [Bewilligungsbescheid + nachfolgender privatrechtlicherDarlehensvertrag] kann die Rückforderung des Darlehens wegen Unwirksamkeit des Bewil-ligungsbescheids nicht nach § 49a VwVfG geltend gemacht werden –> Leistungsklage gegenSubventionsempfänger!)

– OVG Berlin (e.R.), DVBl. 2003, 1333 ff. (Anspruch auf Anschlußförderung bei bereits langjäh-rig gewährter Zuwendung soll wegen Vertrauensschutzes auch bei extremer Haushaltsnotla-ge fortbestehen); dazu Pietzcker, DVBl. 2003, 1339 ff.; Schwarz, JZ 2004, 79 ff.; anders nun-mehr OVG Berlin, JZ 2005, 672 ff. m. Anm. Möllers; ebenso BVerwG, NVwZ 2006, 1184 ff.(Subventionsprogramm kann ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG aus sachlichen Gründenjederzeit geändert oder abgebrochen werden, auch wenn dadurch eine erhebliche Belastungdes Subventionsempfängers bewirkt wird)

– OVG Münster, NVwZ-RR 2003, 803 ff. (Widerruf eines Subventionsbescheids nach § 49Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG wegen Zweckverfehlung, bei fehlendem Nachweis der zweckent-sprechenden Verwendung der Mittel trägt Subventionsempfänger Beweislast; bei Zweck-verfehlung kann Ermessen regelmäßig nur im Sinn der Rückforderung betätigt werden)

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– OVG Magdeburg, NVwZ-RR 2004, 465 ff. (für Rechtmäßigkeit einer Zuwendung ist allein dieHandhabung von Verwaltungsvorschriften durch die zuständige Behörde maßgeblich, nichtaber die Verwaltungsvorschrift selbst); s.a. VGH Mannheim, DVBl. 2009, 1255 ff. (irrtümli-che Abweichung nachgeordneter Behörden von einer veröffentlichten Verwaltungsvorschriftist rechtlich nur dann relevant, wenn dies von der übergeordneten Behörde, welche die Ver-waltungsvorschrift verantwortet, gedeckt oder bewußt geduldet wird)

– VGH Mannheim, NVwZ 2001, 1428 ff. und NJW 2004, 624 f.; dazu Hufen, JuS 2004, 549 f.;OVG Berlin vom 25.6.2004 – 20 A 116.04 (kein Anspruch [hier: einer kirchlichen Sozialein-richtung, eines Theaters bzw. eines Orchesters] auf Subvention aus Grundrechten [hier:Förderpflicht aus Staatskirchenrecht bzw. Kunstfreiheit] bzw. vorangegangener Förderung)

– OVG Magdeburg, NVwZ 2001, 214 f. (Unzulässigkeit einer Subventionsrückforderung gegen-über Bank des Zuwendungsempfängers, die Zuschuß nach offener Abtretung erhalten hat)

– OVG Lüneburg, NordÖR 2002, 266 ff. (Unzulässigkeit einer in Verwaltungsvorschriften fest-gelegten Beschränkung der Zahl von Subventionsempfängern, wenn Gesetz Zuwendungen analle Einrichtungen vorsieht)

– OLG Naumburg, NVwZ 2001, 354 f. m. Anm. Leinenbach, LKV 2001, 450 ff. (Vermutung derAnwendung einer öffentlich-rechtlichen Handlungsform bei Zahlung eines verlorenen Zu-schusses – und dessen Rückforderung –, auch wenn der Zuschuß im Rahmen eines Grund-stückskaufvertrages gewährt wurde –> für Rückforderung Verwaltungsrechtsweg gegeben)

– OVG Berlin-Brandenburg, EuZW 2006, 91 ff.; dazu Arhold, ebd. S. 94 ff.; Hildebrandt/Castil-lon, NVwZ 2006, 298 ff.; Vögler, NVwZ 2007, 284 ff. (der Anspruch auf [Rück-]Erstattungeiner privatrechtlich vereinbarten, aber gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfe soll öffentlich-rechtlicher Natur sein und durch VA geltend gemacht werden können [sehr zw.]; a.A. zuRecht VG Berlin, EuZW 2005, 659 ff.)

– OVG Greifswald, NordÖR 2007, 197 ff. (Zeitpunkt der Wirksamkeit des Widerrufs eines Zu-wendungsbescheids und Rückforderung der Subvention)

– BVerwG, NVwZ 2010, 643 ff. (Subvention kann bei Vorliegen eines sachlichen Grundes auchvorläufig und unter Vorbehalt der Nachprüfung bewilligt und ausgezahlt werden; die spätereendgültige Regelung ist dann nicht an die §§ 48, 49 VwVfG gebunden)

– BVerwGE 138, 322 ff.; dazu von Donat, EuZW 2011, 274 ff.; Heinrich, DVBl. 2011, 557 ff.;Martin-Ehlers, EuZW 2011, 583 ff.; Soltész, EuR 2012, 60 ff. (der Konkurrent kann von derBehörde die Rückforderung einer an den Wettbewerber unionsrechtswidrig geleisteten Bei-hilfe verlangen, wenn er zuvor die Gewähr der Zuwendung an den Wettbewerber verwal-tungsgerichtlich angefochten hat)

– BVerwG, NVwZ-RR 2012, 628 ff.; s.a. OVG Weimar, DVBl. 2011, 242 ff. (ein an die Hausbankdes antragstellenden Subventionsempfängers gerichtetes Angebot einer staatlichen Förder-bank, ein zinsverbilligtes Darlehen zur Weiterreichung an den Subventionsempfänger zugewähren, stellt gegenüber dem Antragsteller einen begünstigenden Verwaltungsakt dar,dessen Vorteile bei Verstoß gegen Unionsrecht gem. § 48 VwVfG zurückgefordert werdenvom Empfänger können)

D. Literatur:

Frotscher, Rn. 475 ff.; Schliesky, S. 114 ff.; Haverkate, in: Schmidt, ÖffWiR BT/1, § 4; Rut-hig/Storr, § 9; Schmidt/Wollenschläger, § 8; Stober, AllgWiVerwR, § 31, BesWiVerwR, §§ 54f. – S.a. in den gängigen Hand- und Lehrbüchern: Kämmerer, Subventionen, in: Isensee/Kirchhof, HStR V3, 2007, § 124; Maurer, Allg. VerwR, 182011, § 11 Rn. 38a ff., § 17; Arndt/Fetzer, in: Steiner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 82006, Rn. VI 160 ff.; Huber, in:Schoch (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 152013, Rn. III 231 ff.

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– zum Unionsrecht

• Bulla, Erste Hilfe für Beihilfen. Eine Einführung in das EU-Beihilfeverbot und seine Spielräume, GewArch.2015, 247 ff., 279 ff.

• Kilb, Subventionskontrolle durch Beihilferecht – eine Übersicht, JuS 2003, 1072 ff.

• Leisner, Das europarechtliche Beihilfenverbot in Art. 87 I EG – Rechtfertigung für einen Subventionsabbau inDeutschland?, EuZW 2006, 648 ff.

• Mähring, Grundzüge des EG-Beihilferechts, JuS 2003, 448 ff.

• Frhr. von Palombini, Wirtschaftsförderung durch Garantien der öffentlichen Hand, ThürVBl. 2001, 97 ff.

• Suerbaum, Die Europäisierung des nationalen Verwaltungsverfahrensrechts am Beispiel der Rückabwicklunggemeinschaftsrechtswidriger staatlicher Beihilfen, VerwArch. 91 (2000), 169 ff.

– zum deutschen Subventionsrecht

• Bleckmann, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes. Zur Funktion des Haushaltsplans imSubventionsrecht, DVBl. 2004, 333 ff.

• Dorf, Rückabwicklung echter und unechter zweistufiger Rechtsverhältnisse, NVwZ 2008,375 ff.

• Ebeling/Tellenbröker, Subventionsrecht als Verwaltungsrecht, JuS 2014, 217 ff.

• Ehlers, Rechtsprobleme der Rückforderung von Subventionen, GewArch. 1999, 305 ff.

• Ehlers, Rechtsfragen des Subventionsrechts, DVBl. 2014, 1 ff.

• Gellermann, Verwaltungsvertragliche Subventionsverhältnisse im Spannungsfeld zwi-schen Beihilfekontrolle und Verwaltungsverfahrensrecht, DVBl. 2003, 481 ff.

• Gusy, Subventionsrecht, JA 1991, 286 ff., 327 ff.

• Hellriegel, Vertrauensschutz im Zuwendungsrecht, NVwZ 2009, 571 ff.

• Kese/Linse, Ordnungs- und wirtschaftspolitische Probleme der Wirtschaftsförderung aufkommunaler, nationaler und europäischer Ebene, JA 2004, 698 ff.

• Kramer u.a., Die Zweistufentheorie im Verwaltungsrecht oder: Die immer noch bedeut-same Frage nach dem Ob und Wie, JA 2011, 810 ff.

• Mayer, Der Zuwendungszweck in seiner zweifachen Ausprägung, DÖV 2016, 555 ff.

• Müller-Grune, Rückforderung staatlicher Zuwendungen – Bedingung, Rücknhme undErmessen, ThürVBl. 2016, 157 ff.

• Papier, Rechtsformen der Subventionierung und deren Bedeutung für die Rückabwick-lung, ZHR 152 (1988), 493 ff.

• Sellnick, Die rechtliche Zulässigkeit von Subventionen im Lichte nationalen und europäi-schen Rechts, ThürVBl. 2000, 173 ff.

• Weißenberger, Die Zweistufentheorie im Wirtschaftsverwaltungsrecht, GewArch. 2009,417 ff., 465 ff.

• Wild, Grundrechtseingriff durch Unterlassen staatlicher Leistungen?, DÖV 2004, 366 ff.

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E. Das Thema in Stichworten:

I. Das Subventionsrecht in der nationalen, supranationalen und internationalen Rechtsordnung

– Thema dieser Veranstaltung ist allein die Subventionsvergabe aus Sicht der deutschenRechtsordnung; s.a aber• Schutz der Wettbewerbsfreiheit im Unionsrecht, Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 EUV, konkretisiert

im Beihilferegime der Art. 107 ff. AEUV• Schutz der zwischenstaatlichen Wettbewerbsfreiheit und des freien Welthandels im Wirt-

schaftsvölkerrecht (Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 102014, § 10) => WTO-Subventionskodex 1994 –> Vorl. Internationales Wirtschaftsrecht

– Subventionsvergabe im Wirtschaftsverwaltungsrecht betrifft geldwerte Leistungsgewährung,umfaßt nicht Förderung durch Belastungsverschonung, v.a. im Steuerrecht; diese folgt ande-ren Regeln, in erster Linie wegen Grundsatzes der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG)strikter Gesetzesvorbehalt –> Maurer, Allg. VerwR, 182011, § 6 Rn. 13 ff.

II. Gegenstand, Voraussetzungen und Handlungsformen der Subventionsvergabe

– Subventionsbegriff im Wirtschaftsverwaltungsrecht (abzugrenzen gegen strafrechtlichenS.begriff in § 264 Nr. 7 StGB, aber auch gegen gemeinschaftsrechtlichen Beihilfebegriff):• finanzielle Zuwendungen oder Gewährung geldwerter Vorteile• durch den Staat und ihm zugeordnete Verwaltungsträger (z.B. Beliehene)• an Private (nicht: an öffentliche Unternehmen, anders bei Art. 106 AEUV)• zur Förderung eines im öffentlichen Interesse liegenden Zwecks• ohne (volle) marktmäßige Gegenleistung.

– Demgegenüber Beihilfebegriff der Art. 107 ff. AEUV• staatliche Leistung durch Zuwendung oder Belastungsverminderung• gleich welcher Form (also auch öffentlicher Auftrag mit Vorzugsbehandlung des Anbieters)• mit Belastung öffentlicher Haushalte (nicht: durch Umverteilung am Markt), die nicht

zeitgleich erfolgen muß (daher auch bei Bürgschaft, die erst später fällig gestellt wird),• die freiwillig erbracht wird (also nicht bei Zwangsbeiträgen),• ohne adäquate Gegenleistung erfolgt (Voraussetzung der Einseitigkeit; nicht der Fall,

wenn Staat für Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen [z.B. ÖPNV] Ausgleichs-leistungen gewährt) und

• die Begünstigung eines Unternehmens zur Folge hat, gleichgültig ob dieses privat, staat-lich oder gemischtwirtschaftlich ist (Vergleich vorher – nachher).

– Arten und Mittel der Subventionsvergabe:• Zuschüsse, Prämien, Zulagen, Zinsverbilligungen• Darlehen, wenn unter den marktüblichen Konditionen vergeben, etwa wegen niedrigeren

Zinssatzes oder besserer Rückzahlungsmodalitäten• Bürgschaft (für sich genommen bereits ein Wettbewerbsvorteil, gleichgültig ob am Markt

zu gleichen Konditionen erhältlich)• Garantie• Realförderung, d.h. verbilligte oder kostenlose Sachleistungen (etwa billiges Grundstück

für Gewerbebetrieb; Bevorzugung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, wenn Preis überMarktangemessenheit)

– Rechtsgrundlagen der Subventionsvergabe:• Fachgesetze mit Auftrag an die Verwaltung zur Förderung, eventuell i.V.m. Anspruch des

S.nehmers• gesetzesfreie Verwaltung = Haushaltsplan mit abstrakter Festlegung des Förderzwecks

und -volumens i.V.m. konkretisierenden Verwaltungsvorschriften; dabei regelmäßig Er-messen der S.verwaltung, ob Zuwendung vergeben wird

– Verfassungsrechtliche Vorgaben der Subventionsvergabe I: Kompetenzordnung

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• bei gesetzlich festgelegten Subventionen: Art. 70 ff. GG, insb. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG(Recht der Wirtschaft[sförderung]), aber auch (bei Steuervergünstigungen) Art. 105 GG

• bei Haushaltssubventionierung: Verwaltungskompetenz nach Art. 83 ff. GG, Gesetzge-bungszuständigkeit nicht ausreichend; insb. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG (z.B. bei Steinkohle-subventionierung). Problematisch daher Bundessubventionen für ForschungsförderungPrivater, Unterstützung von Verbraucherzentralen, Mittelstandsförderung usw.

– Verfassungsrechtliche Vorgaben der Subventionsvergabe II: Gesetzesvorbehalt (sehr str.)• Rechtsprechung: allgemeine parlamentarische Entscheidung zugunsten der Subventions-

vergabe erforderlich; kann erfolgen durch Fachgesetz (mit Haushalts[plan]gesetz) oderdurch Haushalts[plan]gesetz allein. Letzteres allerdings nicht ausreichend, wenn Beein-trächtigung der Freiheit des S.nehmers jenseits der Zweckbindung bewirkt oder grund-rechtlich besonders geschützter Freiheitsbereich betroffen ist; letzteres der Fall bei lenken-den Zuwendungen im Bereich „staatsneutraler Privatheit“, z.B. Pressesubventionen (VGBerlin, DVBl. 1975, 268 ff.; OVG Berlin, NJW 1975, 1938 ff.; dazu Krebs, DVBl. 1977, 632ff.; Detterbeck, ZUM 1990, 371 ff.) oder Unterstützung religiöser Aufklärungsarbeit vonPrivaten (OVG Münster, DVBl 1990, 999 ff. und NVwZ 1991, 176 ff.; dazu Kästner, NVwZ1992, 9 ff.; BVerwGE 90, 112 ff.; dazu Sachs, JuS 1993, 245 f.; Badura, JZ 1993, 37 ff.).

• Schrifttum (uneinheitlich): z.T. Gesetzesvorbehalt aus Demokratieprinzip i.S.v. Parla-mentsvorbehalt (aber: dann Legitimation durch Haushaltsgesetz ausreichend); z.T. Ge-setzesvorbehalt aus Grundrechtsschutz (Wettbewerbsfreiheit) oder wegen besonderer Sen-sibilität des betroffenen Freiheitsbereichs (z.B. bei Forschungssubventionen oder staatli-cher Kunstförderung). Mindestanforderungen jedenfalls konsentiert: haushaltsrechtlicherGesetzesvorbehalt = Budgetrecht des Parlaments, das alle Ausgaben und damit auch dieVerpflichtungsermächtigungen mit hinreichend bestimmter Zweckbindung umfaßt = Gebotder Zweckbestimmtheit und zudem Programmfunktion mit Kompetenzbegründung für dieSubventionsverwaltung entfaltet (allerdings ohne Außenwirkung zugunsten des S.neh-mers).

– Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Subventionsvergabe III: Rechtsgrundlagen i.e.• Jenseits der haushaltsgesetzlichen Grundlagen Feinsteuerung der Zuwendungen nach

außen erforderlich, zum einen als administrativer Maßstab der Förderung im Einzelfall,zum anderen als Anspruchsgrundlage und Prüfungsmaßstab für den S.nehmer. Wird re-gelmäßig – da aus Haushalt kein Anspruch auf Subvention – in Form ermessenslenkenderVerwaltungsvorschriften vorgenommen = verbindliches Recht der Verwaltung(sspitze) fürdie (nachgeordnete) Verwaltung zur gleichmäßigen Steuerung der S.vergabe nach ein-heitlichen Maßstäben (Schutz von Art. 3 Abs. 1 GG).

• Problem der Außenwirkung gegenüber den S.nehmer in der tradierten Sichtweise: Ver-waltungsvorschrift ist Innenrecht und kann daher nach außen keine subjektiven öffentli-chen Rechte enthalten, aber auch keine bindenden Maßstäbe für den Vollzug der Zuwen-dung; daher gegenüber den S.nehmer beachtlich nur i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG als Selbst-bindung der Verwaltung, auch schon vor der erstmaligen Anwendung der Richtlinien(= antezipierte Verwaltungspraxis). Schwierig, wenn Verwaltung von Anfang anders han-delt als von der Verwaltungsvorschrift vorgegeben => für S.nehmer immer nur Praxisnach außen maßgeblich, d.h. Art. 3 Abs. 1 GG, auch wenn nicht mit Richtlinien vereinbar.

• Daher richtigerweise Feinsteuerung nach außen mit Wirkung zugunsten des S.nehmersdurch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften als Außenrecht: § 40 VwVfG räumt derVerwaltung die – verwaltungsgerichtlich nur beschränkt überprüfbare (§ 114 VwGO) –Kompetenz ein, ihr Ermessen autonom zu betätigen, und zwar mit Wirkung für und gegenden S.nehmer als Adressaten der Richtlinie. Diese Bindung besteht bereits vor der erst-maligen Anwendung, aber immer nur im Rahmen der Ermessensregelung, d.h. nicht inatypischen Fällen; außerdem hat die Verwaltung jederzeit das Recht, ihr Ermessen neu zubetätigen und die Kriterien der Subventionsvergabe im Rahmen der haushaltsrechtlichenZweckbindung zu ändern (auch i.S.e. Nichtvergabe).

• Wegen der besonderen Bedeutung der Subventions(ermessens)richtlinien für S.nehmerbesteht Publikationspflicht für diese Verwaltungsvorschriften jedenfalls gegenüber demAdressatenkreis (von der Rspr. nicht unbestr.).

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– Handlungsformen der Subventionsvergabe:• durch Verwaltungsakt bei Zuwendungen, die sich in einer einmaligen oder wiederkehren-

den Leistung erschöpfen und darüber hinaus keine besondere Abwicklung erfordern; zumSicherstellen der Zweckerreichung Festlegungen im VA und durch Nebenbestimmungen(§ 36 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 VwVfG i.V.m. § 49 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG) erforderlich und zulässig.

• durch Verwaltungsvertrag bei Zuwendungen, die sich in einer einmaligen oder wiederkeh-renden Leistung erschöpfen und darüber hinaus keine besondere Abwicklung erfordern;dabei ist das bezweckte Verhalten des S.nehmers als Gegenleistung i.S.v. § 56 Abs. 1Satz 2 VwVfG festzulegen. Handlungsform wird in der Praxis selten verwendet, da beiLeistungsstörungen Kündigung und Leistungsklage auf Rückzahlung der Zuwendungerforderlich.

• durch privatrechtlichen Vertrag bei Realförderung; dabei ist der Verwendungszweck, dieHöhe der Zuwendung, die Pflicht zur Rückgabe bei Zweckverfehlung etc. im Vertrag fest-zulegen

• durch Verwaltungsakt mit nachgeschaltetem privatrechtlichen Vollzugs-Rechtsgeschäft– zweistufige Subventionsvergabe –, wenn Zuwendungstyp dieses nachgeschaltete pri-vatrechtliche Vollzugsgeschäft erfordert, z.B. bei einer vergünstigten Darlehensvergabedurch eine von der S.verwaltung beauftragte private Bank. Dabei auf der 1. Stufe Ver-waltungsakt mit Entscheidung über das „Ob“ der Zuwendung mit Festlegung der Konditio-nen –> öffentlich-rechtliche Bindung nach außen mit Anfechtbarkeit durch Konkurrenten-klage; auf der 2. Stufe schuldrechtlicher Vertrag nach BGB zur Abwicklung der Zuwen-dung („Wie“) gegenüber den S.nehmer. Zweistufenlehre bedingt aber, daß eine selbständi-ge zweite Stufe in privater Rechtsform existiert; z.T. wird sogar gefordert, daß auf dieserStufe noch autonome Entscheidungen der beiden Vertragspartner (S.nehmer und Bank)möglich sein müssen. Wenn zweistufige Subventionsvergabe, einerseits Problem der Ab-hängigkeit der 2. Stufe von der 1. Stufe (optimal, wenn im BGB-Vertrag und im privat-rechtsgestaltenden VA geregelt), andererseits Problem der Folgen fehlerhafter Zuwen-dungsentscheidung für den Fortbestand der 2. Stufe (entweder Ungültigkeit wegenöffentlich-rechtlicher Wirksamkeitsvoraussetzung, oder Wegfall der Geschäftsgrundlagemit Bereicherungsanspruch oder Kündigungsrecht des privaten Vertragspartners). I.e.dazu Maurer, Allg. VerwR, a.a.O., § 17 Rn. 4 ff.

III. Abwicklung, Rückabwicklung und Rechtsschutz

– Abwicklung regelmäßig unproblematisch, da Subventionsvergabe mit Zuwendungsbescheidund Leistung an S.nehmer (Vollzug) abgeschlossen. Häufig allerdings bei langfristigen Sub-ventionen Aufteilung in einen Grundbescheid über das Ob der Förderung und nachfolgendLeistungsbescheide für die einzelnen zeitlichen Abschnitte. Dabei enthält der Grundbescheideine rechtsichernde Vertrauensgrundlage für die Dauerhaftigkeit der Förderung –> Einstel-lung der bisherigen Förderung erfordert Aufhebung des Grundbescheids nach § 49 VwVfG;Aufhebung für die Zukunft (Dauer der Bewilligung) kann u.U. unverhältnismäßig sein, dannAnspruch auf Weiterförderung auch in solchen Fällen, in denen auf die Grundförderung keinAnspruch bestand.

– Rückabwicklung abhängig von Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Zuwendung, zubeurteilen zum Zeitpunkt des Erlasses des Zuwendungsbescheids (kein „Rechtswidrigwer-den“), und von gewählter Handlungsform der Subventionierung.Bei Rechtswidrigkeit allg. Regeln des § 48 VwVfG –> Erstattungsanspruch nach § 49 VwVfGBei Rechtmäßigkeit Widerruf nach § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG wegen Zweckverfehlung;ist nach der Rspr. auch dann anzuwenden, wenn Zuwendungsbescheid rechtswidrig war(daher keine Prüfung dieser Frage, wenn eindeutig Zweckverfehlung vorliegt). Widerruf alsomöglich, wenn Voraussetzungen der Subvention nach der Bewilligung entfallen sind, etwaweil Auflagen nicht erfüllt wurden oder die Zuwendung zweckwidrig verwendet wurde; Vor-aussetzung hierfür ist in jedem Fall die Festlegung des Zwecks in den Richtlinien und (auchnur durch Verweis hierauf) im Zuwendungsbescheid. Der Widerruf erfolgt nach § 49 Abs. 3Satz 1 VwVfG mit Wirkung auch für die Vergangenheit –> Geld- und Sachleistungen sindrückwirkend zu erstatten. Dabei hat die S.behörde zwar Ermessen; im allgemeinen werdenjedoch die öffentlichen Interessen an der zweckentsprechenden Verwendung von Haushalts-mitteln das private Interesse des S.nehmers am Behaltendürfen der Zuwendung überwiegen

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=> intendiertes Ermessen („soll“) führt regelmäßig zur Reduzierung auf Null, also Verpflich-tung zum Widerruf. Wenn Zuwendungsbescheid wirksam aufgehoben, Erstattungsanspruchder Behörde aus § 49a VwVfG.

– Besonderheiten der Rückabwicklung von Zuwendungen, die aufgrund entgegenstehendenUnionsrechts rechtswidrig sind und deren Bescheide deshalb nach § 48 VwVfG zurückge-nommen werden sollen.• Wann Rechtswidrigkeit des Zuwendungsbescheids i.S.v. gemeinschaftsrechtswidrig?

Denkbar wegen formeller Unionsrechtswidrigkeit, d.h. wegen Verletzung der Meldepflicht,Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV, oder Verletzung der Durchführungssperre, Art. 108 Abs. 3Satz 3 AEUV. Aber: Beides reicht nicht aus, da durch (eventuelle) materielle Konformitätder Beihilfe (Art. 107 Abs. 2 AEUV) diese formellen Fehler „heilbar“ sind, jedenfalls abereine Berufung auf diese nur formelle Unionsrechtswidrigkeit unverhältnismäßig wäre (soEuGH). Daher immer nur materielle Unionsrechtswidrigkeit erheblich. Denkbar insoweitVerstoß gegen die Beihilfefähigkeit der Subvention nach Art. 107 Abs. 2 AEUV oder– häufig – Verstoß gegen die Pflicht zur Genehmigung durch die Kommission, Art. 108Abs. 2 und 3 AEUV. Dieser Verfahrensfehler ist laut EuGH nicht nur ein formeller Fehler,weil Genehmigung Voraussetzung für die Zulässigkeit (Erlaubtheit) der Beihilfe ist unddie Grundlage für eine materielle Ermächtigung der nationalen Organe zum Erlaß einesBewilligungsbescheids enthält. Daher: Fehler führt zur materiellen Unionsrechtswidrig-keit der Beihilfebewilligung und somit (wegen des Vorrangs des Unionsrechts) zugleich zurmateriellen Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids.

• Zulässigkeit der Rücknahme des Bewilligungsbescheids, § 48 Abs. 2–4 VwVfG; grundsätz-lich möglich, aber u.U. mit Hindernissen:(1) Rücknahme kann wegen Vertrauensschutz ausgeschlossen sein; EuGH fordert indesgemeinschaftskonforme Auslegung der Sonderregelungen für begünstigende Verwaltungs-akte: 1. Vereitelungsverbot = Verwirklichung des GemR (Binnenmarkt, Gleichbehandlungin allen MS) darf durch nationales Verfahrensrecht nicht praktisch unmöglich gemachtwerden; 2. Diskriminierungsverbot = nationales Verfahrensrecht muß bei EG-Sachverhal-ten gleichmäßig i.S.v. gemeinschaftsrechtlich gleichmäßig angewendet werden.(2) Rücknahmeermessen der Bewilligungsbehörde könnte fehlerhaft betätigt werden; beifehlgeschlagener („Zweckverfehlung“) Subvention indes (s.o.) Reduzierung des Ermessensauf ein Soll i.S.v. Rücknahme wegen fiskalischer Interessen (Haushaltssparsamkeit undZweckbindung der Mittel) und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Bei Beihilfen i.S.d. AEUVimmer Sicherung der europäischen Wettbewerbsordnung zu beachten (EuGH) –> öffentli-ches Interesse an Rücknahme eine materiell gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfe wirdregelmäßig überwiegen.(3) Rücknahmefrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG könnte abgelaufen sein; beginnt zu laufen,wenn Behörde „Kenntnis … erhält“ = wenn sie ihre Zuständigkeit erkannt und alle für dieRücknahmeentscheidung relevanten Tatsachen vollständig bekannt sind, d.h. relativ spä-ter Zeitpunkt (so erstmals BVerwGE 70, 356 ff.; dazu von Komorowksi, JA 2004, 445 ff.).Aber: gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung der Fristenbestimmung i.S.v. Nichtbeacht-lichkeit erforderlich (EuGH) –> grundsätzlich keine Verwirkung des Rücknahmerechtsi.S.v. § 48 Abs. 4 VwVfG möglich.(4) Anspruch auf (Rück-)Erstattung soll wegen Unionsrechts auch bei vertraglicher Hand-lungsform (sogar bei privatrechtlichen Verträgen) ohne gesetzliche Ermächtigung durcheinseitige Anordnung (VA) zulässig sein (sehr zw.)

– Konkurrentenschutz gegen Subventionierung eines Wettbewerbers• negativ zur Abwehr der fremden Förderung, je nach Handlungsform (bei VA) Anfechtungs-

klage bzw. (bei Vertrag) Feststellungsklage auf Nichtigkeit; Klagebefugnis entweder ausArt. 2 Abs. 1 GG (Wettbewerbsfreiheit) oder aus Art. 107 Abs. 1 AEUV (Schutznorm zu-gunsten der wirtschaftlichen Handlungs- und Wettbewerbsfreiheit des Konkurrenten)

• positiv zur Subventionsvergabe auch an den Kläger, je nach Handlungsform (bei VA) Ver-pflichtungsklage bzw. (bei Vertrag) Leistungsklage; Klagebefugnis aus Art. 3 Abs. 1 GGi.V.m. der Subventionsrichtlinie oder aus der Richtlinie direkt (s.o.)

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Arbeitsblatt zu § 6

Das Gewerberecht (mit Ladenöffnungsrecht)

A. Übersicht: I. Funktion, Gliederung und verfassungsrechtliche Grundlage

II. Der Begriff des Gewerbes und seine Abgrenzungen; die Gewerbefreiheit

III. Die Gewerbearten in einzelnen und ihre Reglementierung

IV. Das Ladenschlußrecht: Strukturen und Zwecke im Überblick

B. Rechtsgrundlagen:

– Gewerbeordnung [21.6.1869/26.7.1900] i.d.F. d. Bek. vom 22.2.1999, zuletzt geändert durchArt. 2 Gesetz vom 6.9.2013 (BGBl. I S. 3556)

– Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit (Spieleverordnung – SpielVO) i.d.F. d. Bek.vom 11.12.1985 (m. spät. Änd.)• Verordnung über den Geschäftsbetrieb der gewerblichen Pfandleiher (Pfandleiherverordnung – PfandlVO) i.d.F.

d. Bek. vom 1.6.1976 (m. spät. Änd.)• Verordnung über das Bewachungsgewerbe (Bewachungsverordnung – BewachVO) i.d.F. d. Bek. vom 10.7.2003

(m. spät. Änd.)• Verordnung über gewerbsmäßige Versteigerungen (Versteigererverordnung – VerstVO) vom 24.4.2003• Verordnung über die Pflichten der Makler, Darlehens- und Anlagenvermittler, Bauträger und Baubetreuer (Mak-

ler- und Bauträgerverordnung – MaBVO) i.d.F. d. Bek. vom 7.11.1990 (m. spät. Änd.)• Verordnung über die Haftpflichtversicherung für Schausteller (Schaustellerhaftpflichtverordnung – SchauHVO)

vom 17.12.1984 (m. spät. Änd.)• Landesverordnung [M-V] über die Regelung von Zuständigkeiten im allgemeinen Gewerberecht – GeWRZust-

VO – vom 21.9.1992 (m. spät. Änd.)• Verordnung [M-V] über die Regelung der Wochenmärkte nach § 67 Abs. 2 der Gewerbeordnung vom 24.9.1992

– Gesetz über den Ladenschluß [1956] i.d.F. d. Bek. vom 2. Juni 2003 (BGBl. I S. 744), zuletztgeändert durch VO vom 31.10.2006 (BGBl. I S. 2407); dazu die Berichte bei Tegebauer, Ge-wArch. 2002, 185 ff.; 2004, 321 ff.; 2007, 49 ff.• Verordnung über den Verkauf bestimmter Waren an Sonn- und Feiertagen vom 21.12.1957 (m. spät. Änd.)Beachte: Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG i.d.F. der Föderalismusreform (BGBl. 2006 I S. 2034) ist das Recht „desLadenschlusses“, „der Spielhallen“, „der Schaustellung von Personen“ und „der Messen, der Ausstellungen und derMärkte“ in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder (Art. 70 GG) übergegangen. Die bisherigen bundesgesetzli-chen Regelungen gelten nach Art. 125a Abs. 1 GG (als partielles Bundesrecht) fort, bis sie jeweils durch Landesrechtersetzt werden. Daher nunmehr:

– Gesetz über die Ladenöffnungszeiten für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Ladenöff-nungsgesetz – LöffG M-V) vom 18. Juni 2007 (GVOBl. S. 226)

C. Rechtsprechung:

– zur Gewerbeordnung• EuGH vom 20.11.2001 – C 268/99 „Aldona Malgorzata Jany“ (Prostitution ist als selbstän-

dige Erwerbstätigkeit von der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit geschützt; so-weit sie in einem Mitgliedstaat bei eigenen Angehörigen hingenommen wird, kann sieAngehörigen eines anderen Mitgliedstaates nicht untersagt werden; einer Ausweisungsteht das Aufenthaltsrecht kraft Unionsrechts entgegen; s.a. VGH Mannheim, NVwZ2000, 1070 ff.; BVerwG, NVwZ 2002, 339 ff. (EuGH-Vorlage) und DÖV 2003, 600; dazuLenze, EuGRZ 2002, 106 ff.; Laskowski, EuR 2003, 473 ff.

• BVerfGE 86, 28 ff.; dazu Jahn, JuS 1993, 643 ff. (Bedürfnisprüfung für die öffentliche Be-stellung von Sachverständigen nach § 36 GewO verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG)

• BVerfG (K), GewArch. 2000, 480 f.; dazu Steib, GewArch. 2001, 57; Hüpers, GewArch.2004, 230 ff. (Handwerksleistungen, die keine feste Betriebsstätte erfordern [z.B. Stein-

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metze, Zimmerer], dürfen im Reisegewerbe angeboten und erbracht werden und erfordernvor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 1 GG nicht zwingend einen Meisterbrief)

• BVerwG, GewArch. 1995, 152 ff. (zuvor OVG Hamburg, GewArch. 1994, 15 ff.); BVerwG,GewArch. 1998, 416 ff. (zuvor OVG Bremen, GewArch. 1997, 290 ff.) „Scientology Church“(wirtschaftliche Betätigung einer Religionsgemeinschaft durch Verkauf von Waren undDienstleistungen – gegenüber ihren Mitgliedern oder Außenstehenden – unterfällt derGewO und ist daher anmeldepflichtig)

• BVerwG, NJW 1977, 772 f.; OVG Schleswig, NVwZ-RR 2002, 837 f. (Vermietung von Pri-vateigentum [Ferienwohnungen und Campingplatz] ist – aber abhängig vom Umfang derTätigkeit – grundsätzlich kein Gewerbe, da Verwaltung eigenen Vermögens)

• VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 702 ff. (kein [Reise-]Gewerbe bei Tupperware-Beraterin)• AG Radolfzell, NVwZ-RR 1998, 233 f. (Betrieb einer gemeinnützigen Einrichtung [hier:

Naturfreundehaus] ist kein Gewerbe, da Gewinnerzielungsabsicht fehlt)• VG Freiburg, GewArch. 2001, 246 f. (Verkaufsausstellung eines Künstlers für von ihm

restaurierte Ikonen ist trotz Art. 5 Abs. 3 GG Gewerbe und daher anmeldepflichtig)• BVerwG, NJW 2008, 1974 f.; OVG Lüneburg, FamRZ 2008, 440 ff. (Berufsbetreuer i.S.v.

§ 1897 Abs. 6 BGB ist Gewerbetreibender und daher anzeigepflichtig)• OVG Münster, GewArch. 2004, 32 ff. (Leistungen im Reisegewerbe müssen nicht sofort,

sondern dürfen auch mit einem gewissen zeitlichen Abstand erbracht werden)• OVG Berlin, GewArch. 2003, 118 f. und CR 2003, 138 f. (dazu Nowak, JA 2003, 642 ff.);

GewArch. 2004, 385 ff. (Internetcafés, die auf ihren PCs Computerspiele bereithalten bzw.Internet-Spiele ermöglichen, benötigen eine Spielhallenerlaubnis nach § 33i GewO)

• VG Würzburg, GewArch. 2003, 336 ff.; BayVGH, GewArch. 2004, 248 ff.; VG Oldenburg,GewArch. 2004, 419 ff. (Richtlinien für die Vergabe von Standplätzen auf einem Volksfestsind so anzuwenden, daß der damit verfolgte Steuerungszweck erreicht wird); s.a. VGHannover, GewArch. 2008, 303 f.; OVG Lüneburg, NordÖR 2008, 231 ff. (Zulässigkeit derAuswahl konkurrierender Bewerber nach anonymer Umfrage unter Marktbeschickern)

• VG Karlsruhe, GewArch. 2004, 417 f.; VG Mainz, GewArch. 2004, 418 f. (Rechtswidrigkeitder Bevorzugung ortsansässiger Schaustellerbetriebe bei einem Volkfest; Auswahlkriteri-um „bekannt und bewährt“ darf neue Bewerber nicht dauerhaft ausschließen)

• OVG Lüneburg, GewArch 2010, 245 f. (der bei der Vergabe von Marktständen nicht be-rücksichtigte Bewerber muß grundsätzlich nicht nur im einstweiligen Rechtsschutzverfah-ren einen Verpflichtungsantrag zu seinen Gunsten stellen, sondern auch eine Anfech-tungsklage gegen die Bevorzugung seines Konkurrenten erheben)

– zum Ladenschlußgesetz• BVerfGE 13, 237 ff. (Festlegung allgemeiner Ladenschlußzeiten dient dem Arbeitszeit-

schutz für Angestellte im Einzelhandel, insb. dem Vorteil eines zusammenhängenden lan-gen Wochenendes, und ist als Berufsregelungsmaßnahme mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar)

• BVerfGE 14, 19 ff. (Verbot des Betriebs von Warenautomaten, die unabhängig von einemEinzelhandelsgeschäft aufgestellt sind, außerhalb der Ladenschlußzeiten verstößt gegenArt. 12 Abs. 1 GG, da unverhältnismäßig)

• BVerfGE 59, 336 ff. (Sondervorschrift für Friseure – lange Samstagsöffnung nur dannzugelassen, wenn am Montagvormittag geschlossen – ist verfassungskonform auszulegen,daß auch Teilnahme an allgemeiner Ladenschlußregelung zulässig ist)

• BVerfGE 104, 357 ff.; dazu Oberrath, JA 2002, 639 ff.; Terhechte, JuS 2002, 551 ff. (Aus-schluß der Apotheken von der Teilnahme an verkaufsoffenen Sonntagen verstößt gegenArt. 12 Abs. 1 GG, da unverhältnismäßig)

• BVerfGE 111, 10 ff.; dazu Webers, GewArch. 2005, 60 ff (eingeschränkte Ladenöffnungs-zeiten an Samstagen und grundsätzliches Verbot der Ladenöffnung an Sonn- und Feierta-gen sind – jedenfalls nach Meinung von vier Richtern, welche die Entscheidung tragen –verfassungsgemäß; a.A. die vier dissentierenden Richter)

• OVG Bremen, NVwZ 2002, 873 ff.; OVG Greifswald, NordÖR 2000, 64 ff. und 66 ff. sowieNVwZ 2000, 945 ff. (Ausnahmeregelungen im LSchlG für Kur- und Erholungsorte sowiefür besondere öffentliche Interessen sind strikt auszulegen und fordern ein nachweisbaresVersorgungsinteresse der Bevölkerung; struktur-, wirtschafts- oder fremdenverkehrspoliti-sche Interessen reichen nicht aus. – Verlängerung von Öffnungszeiten nach § 16 LSchlGsetzt Veranstaltungen mit beträchtlichem Besucherzustrom voraus, der sich schon nichtaus der Öffnung der Geschäfte ergeben darf)

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• BVerwGE 65, 167 ff. „Klett-Passage“ (Vorschriften des LSchlG sind keine Schutznormenzugunsten von Wettbewerbern, die nicht an der ausnahmsweisen Öffnung der Geschäfteteilnehmen können; ebenso OVG Bautzen, SächsVBl. 1999, 70 f. [dazu Rozek, SächsVBl.1999, 149 ff.]. Anders nunmehr OVG Koblenz, DÖV 1998, 694 ff. für konkret betroffeneArbeitnehmer; OVG Bremen, NVwZ 2002, 873 ff. [dazu Schmitz, NVwZ 2002, 822 ff.] fürnachteilig betroffene Unternehmen; OVG Greifswald, NordÖR 2000, 64 ff. für Kirchen-gemeinden im räumlichen Bereich der Sonderöffnungszeiten [dazu de Wall, NVwZ 2000,857 ff. und ZevKR 45 <2000>, 626 ff.]). Zur Antragsbefugnis einer Religionsgemeinschaftim Normenkontrollverfahren SächsOVG, GewArch. 2008, 368 ff.

• BVerfG, JZ 2010, 137 ff. „Berliner Ladenöffnungsgesetz“ (Ladenöffnung an Adventssonn-tagen ist mit Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG/Art. 138 WeimRV unvereinbar; zuläs-sig ist hingegen die Ladenöffnung an bis zu vier Sonn- und Feiertagen im Jahr); dazu Clas-sen, JZ 2010, 144 ff.; Rozek, ArbuR 2010, 148 ff.

• OVG Greifswald, NordÖR 2010, 321 ff. „Bäderverkaufsverordnung“ (Rechtsverordnungmit erweiterten Ladenöffnungszeiten in Kur- und Erholungsorten sowie Ausflugsorten mitbesonders starkem Fremdenverkehr mißachtet das verfassungsgeschützte Sonn- und Fei-ertagsrecht und ist deshalb unwirksam)

• BVerfG (K), GewArch. 2010, 413 f. (gesetzliches Verkaufsverbot für Alkohol an Tankstel-len zwischen 22.00 und 5.00 Uhr verletzt nicht die allgemeine Handlungsfreiheit des Kon-sumenten)

• BVerwGE 141, 385 ff. m. Anm. Bleutge, GewArch. 2012, 205 f. (eine untergesetzlich festge-legte Höchstaltersgrenze für Sachverständige, die keinen besonderen Bezug zu deren kon-kreter Tätigkeit und Leistungsfähigkeit hat, verstößt gegen das AGG und gegen Unions-recht)

• BVerfG vom 14.1.2005 – 1 BvR 931/12, GewArch. 2015, 215 ff. (Land hat Gesetzgebungs-kompetenz für Regelung der Samstagsarbeit in Verkaufsstellen)

• BVerwGE 153, 183 ff. m. Anm. Schunder, NVwZ 2016, 694 (Gewerkschaft hat Klagebefug-nis gegen eine Verordnung zur Ladenöffnung an einem Marktsonntag)

D. Literatur:

Frotscher, §§ 10–14; Ruthig/Storr, § 3; Schliesky, S. 185–221, 241–249; Schmidt, ÖffWiRBT/1, § 1; Schmidt/Wollenschläger, § 9; Stober, BesWiVerwR, §§ 45–46, 50

– zum Gewerberecht• Dietz, Abwägungslinien bei sofort vollziehbaren Gewerbeuntersagungen, GewArch. 2014,

225 ff.• Eifert, „Zuverlässigkeit“ als persönliche Tätigkeitsvoraussetzung im Besonderen Verwal-

tungsrecht, JuS 2004, 565 ff.• Gatawis, Rechtliche Maßnahmen gegen so genannte Drückerkolonnen, GewArch. 2002,

400 ff.• Guckelberger, Einführung in das Gewerberecht, JURA 2007, 598 ff.• Handan, Grundzüge des Gewerberechts, JA 2007, 249 ff.• Heitsch, Der gewerberechtliche Zulassungsanspruch zu Volksfesten, GewArch. 2004,

225 ff.• Höfling/Rixen, Die Landes-Gesetzgebungskompetenzen im Gewerberecht nach der Föde-

ralismusreform, GewArch. 2008, 1 ff.• Jochum, Der praktische Fall – Öffentliches Recht: Erlaubniswiderruf nach allgemeinem

Verwaltungsrecht und gewerberechtliche Untersagungsverfügung wegen Unzuverlässig-keit, JuS 2003, 1101 ff.

• Kniesel, Veranstaltung traditioneller Märkte durch Kommunen, GewArch 2013, 270 ff.• Laubinger/Repkewitz, Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit und ihre Folgen, Verw-

Arch. 89 (1998), 145 ff., 337 ff., 609 ff.• Leisner, Unzuverlässigkeit im Gewerberecht (§ 35 Abs. 1 S. 1 GewO), GewArch. 2008,

225 ff.• Lindner, Zur Drittanfechtungsklage im Gewerberecht, GewArch. 2016, 135 ff.• Scheidler, Kaffeefahrten aus gewerberechtlicher Sicht, GewArch. 2012, 392 ff.

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• Schulze-Werner, Zulässigkeit von Nebenbestimmungen im Bereich der genehmigungs-bedürftigen, stehenden Gewerbe (§§ 30 bis 34c, 36 GewO), GewArch. 2004, 9 ff.

• Tschentscher/Madl, Reisegewerbekartenpflicht und so genannte „Hauspartys“ als moder-ne Form des Direktvertriebs, GewArch. 1996, 448 ff.

• Weber, Zum Verwaltungszwang im Gewerbe- und Gaststättenrecht unter besonderer Be-rücksichtigung des „unmittelbaren Zwangs“, GewArch. 2016, 275 ff.

• Windoffer, Die Vergabe von Standplätzen auf gemeindlichen Märkten und Volksfesten –Bewährte Lösungen bekannter Probleme?, GewArch. 2013, 265 ff.

– zum Ladenschluß-. bzw. Ladenöffnungsrecht (–> Neumann, Ladenschlußrecht, 52008 [teil-weise überholt])• Heckmann, Die Regel als Ausnahme. Zur Geltungsschwäche des Ladenschlußgesetzes, JZ

1999, 1143 ff.• Hufen, Ladenschluß: Zum verfassungsrechtlichen Kern eines politischen Dauerthemas,

NJW 1986, 1291 ff.• Kirste, Flexibilisierung des Ladenschlusses zum Segen des Sonn- und Feiertagsschutzes,

NJW 2001, 790 ff.• Knauff, Sonntagsruhe zwischen Verfassungsgebot und Kommerzialisierung, GewArch.

2016, 217 ff., 272 ff.• Leisner, Ladenöffnungsregelungen an Sonntagen, NVwZ 2014, 921 ff.• Rozek, Vorsprung durch Rechtsbruch? Zur Erosion des Ladenschlußrechts durch soge-

nannte „Fremdenverkehrsregelungen“, NJW 1999, 2921 ff.• Schmitz, Die Ladenöffnung nach der Föderalismusreform, NVwZ 2008, 18 ff.• Stober, Das Ladenschlußgesetz – ein Auslaufmodell?, JZ 1996, 541 ff.• Unterreitmeier, Das verlorene Feigenblatt. Zu den Grenzen verkaufsoffener Sonntage aus

Anlass von Märkten, BayVBl. 2012, 260 ff.• Wallerath, Ladenschluß und Konkurrentenschutz, NJW 2001, 781 ff.

E. Das Thema in Stichworten:

I. Gliederung, Funktion und verfassungsrechtliche Grundlage des Gewerberechts

– Aufbau der GewO als „Grundgesetz“ des Gewerberechts:• Titel I: Allgemeine Bestimmungen; Grundsatz der Gewerbefreiheit, Anwendungsbereich• Titel II: Stehendes Gewerbe; Anzeigepflicht, Publizitätsvorschriften, Genehmigungspflicht

für Gewerbe mit erhöhtem Gefahrenpotential; Untersagungsbefugnis bei Unzuverlässig-keit

• Titel III: Reisegewerbe; Genehmigungspflicht, u.U. nur Anzeigepflicht; Vertriebsverbotefür bestimmte Waren/Leistungen im Reisegewerbe; Ermächtigung zur Versagung der Ge-nehmigung

• Titel IV: Messen, Ausstellungen, Märkte; Regelungen zur Festsetzung solcher Veranstal-tungen, ebenso zur Aufhebung oder Untersagung; Zulässigkeit des Ausschlusses von Teil-nehmern allg. oder einzeln (Verteilungskriterien) (zukünftig Landesrecht)

• Titel VII: Allgemeine arbeitsrechtliche (= zivilrechtliche) Grundsätze für Arbeitnehmer• Regelung der Aufsichtsbehörden und deren Befugnisse; Straf- und Bußgeldvorschriften für

Rechtsverstöße im Rahmen der GewO, Gewerbezentralregister

– Andere gewerberechtliche Vorschriften außerhalb der GewO, zumeist Ausgliederungen ausder GewO, die ursprünglich enthalten waren, aber verselbständigt wurden; im wesentlichen:• Ladenschlußgesetz (zukünftig Landesrecht)• Handwerksordnung (Gewerbesonderrecht)• Gaststättengesetz (Gewerbesonderrecht) (zukünftig Landesrecht)• Personenbeförderungsgesetz• Güterkraftverkehrsgesetz• Bundesimmissionsschutzgesetz

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– Verfassungsrechtliche Grundlage:• Gesetzgebungskompetenz aufgrund Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Kompetenz aber nicht voll-

ständig vom Bund in Anspruch genommen, sondern nach Art. 72 Abs. 1 GG den Ländernüberlassen, vor allem in den Bereichen, wo nicht wirtschaftsverwaltungsrechtliche, son-dern allgemeine sicherheits- und ordnungsrechtliche Aspekte im Vordergrund stehen, z.B.Tanzveranstaltungen (§ 33b), Spielbanken, Lotterien und Wettbüros (§ 33c ff.); Recht derSpielhallen, der Schaustellung von Personen und der Messen, Märkte und Ausstellungennunmehr in die Zuständigkeit der Länder übergegangen

• Art. 12 Abs. 1 GG als Kerngrundrecht der Berufs- und damit Gewerbefreiheit, in GewO alsJedermannrecht und Individual- wie Kollektivrecht ausgestaltet

II. Begriff des Gewerbes und Abgrenzungen; Gewerbefreiheit

– Def. (nicht in GewO): jede erlaubte (= nicht sozial unwertige), auf Dauer angelegte, aufGewinnerzielung gerichtete selbständige Tätigkeit, ausgenommen Urproduktion, freie Beru-fe und Verwaltung eigenen Vermögens; dabei Umfang gleichgültig, auch Nebengewerbe oderMehrfachgewerbe erfaßt, Betriebsräume nicht zwingend erforderlich. Im einzelnen:• erlaubt = nicht rechtlich als solches verboten, d.h. keine Betätigung gegen zwingende ge-

setzliche Bestimmungen (StGB); problematisch etwa bei Prostitution, Schwarzarbeit,Wahrsagerei, Astrologie usw.

• sozial nicht unwertig = (u.U. Konkretisierung des „erlaubt“) nach überwiegender Ansichtzwar nicht ausdrücklich verboten, aber sozialschädlich und strikt abzulehnen, z.B. Tele-fonsex, Laserdrome-Spiele (Kategorie überflüssig, da entweder erlaubt oder nicht erlaubt)

• auf Dauer angelegt = Tätigkeit soll fortgesetzt werden oder dies ist zumindest beabsich-tigt, also gewisse Dauer erforderlich, saisonale Tätigkeit reicht aus; einmalige Tätigkeit istnur dann Gewerbe, wenn Umfang und Größe erheblich

• auf Gewinnerzielung gerichtet = als Beitrag zum Lebensunterhalt gedacht, jedenfalls nachder in Erscheinung tretenden Vorstellung des Betroffenen; Nebenzweck reicht aus; nichtbei Gefälligkeiten oder rein gemeinnütziger Tätigkeit. Gemeinnützigkeit schützt indes beientsprechendem Gesamteindruck des Verhaltens nicht vor Gewerbefähigkeit, z.B. beiScientology Church

• selbständig = im eigenen Namen, auf eigene Rechnung, in persönlicher und sachlicherUnabhängigkeit (Zeiteinteilung, eigene Betriebsstätte, Eigentum an Arbeitsmitteln), wo-bei wiederum Gesamtbild ausschlaggebend sein soll (–> gleiches Problem im Arbeitsrecht)

• nicht: Urproduktion = Gewinnung roher Naturerzeugnisse, z.B. Fischerei, Ackerbau, Vieh-zucht, Weinbau, Jagd, Bergwesen; einschließlich der verkehrsüblichen Be- und Verarbei-tung auf der ersten Stufe, z.B. Verkauf im eigenen Hofladen; einschließlich Vermietungeiniger Fremdenzimmer auf dem Bauernhof

• nicht: freie Berufe = wissenschaftliche, künstlerische oder literarische Tätigkeit höhererArt, oder persönliche Dienstleistung mit höherer Ausbildung

• nicht: Verwaltung eigenen Vermögens als Ausfluß der reinen Nutzung von Eigentum, z.B.Verwaltung des Wertpapierdepots, Hausverwaltung mit Mietwohnungen, Verwaltungeines kleinen Seegrundstücks mit einigen Liegeplätzen für Sonnenhungrige

• außerdem zu beachten: Negativkatalog der eingeschränkten oder ausgeschlossenen An-wendung der GewO in § 6

III. Die Gewerbearten im einzelnen

– grundsätzliche Unterscheidung in Grundform = stehendes Gewerbe (§§ 14 ff.), nur durchallgemeine Negativabgrenzung zu ermitteln, in Sonderform Reisegewerbe (§§ 55 ff.) und inSonderform Marktgewerbe (§§ 64 ff.), die beide von der GewO im einzelnen definiert werden.Dabei unerheblich, ob das jeweilige Gewerbe alleine oder in Kombinationsformen mit ande-ren Gewerben/-arten betrieben wird, ebenso ob das Gewerbe von natürlichen Einzelpersonen,nicht rechtfähigen Vereinigungen oder j.P. des Privatrechts betrieben wird. Auch GmbH, AGusw. sind Gewerbetreibende (nicht aber deren Gesellschafter/Geschäftsführer), nicht aber dieGbR (OVG Lüneburg, GewArch. 2009, 32 f.).

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1. Das stehende Gewerbe (Titel II, §§ 14–52)

– Anzeigepflicht als Primärpflicht des Gewerbetreibenden, § 14 I GewO• von dem, der ein stehendes Gewerbe ausübt, zu beachten, und zwar bei Betriebsbeginn,

-verlegung, Branchenwechsel und Ausdehnung des Gewerbes => behördliche Informationüber Art und Umfang der vorhandenen Gewerbe, um dann ggf. Informationen einholenund Maßnahmen der Gefahrenabwehr und des Verbraucherschutzes treffen zu können

• Folge der Anzeige, § 15 I GewO: Empfangsbescheinigung = „Gewerbeschein“; kein VA,sondern behördliche Wissenserklärung

• Folge der unterbliebenen Anzeige: Aufforderung zur Abgabe der erforderlichen Erklärung(VA), zugleich Bußgeld bis zu 1.000 EUR wegen Owi. nach § 146 II Nr. 1 GewO

– Voraussetzung einer gewerblichen Niederlassung für ein stehendes Gewerbe? War früher in§ 42 GewO grundsätzlich vorgesehen, so daß typischerweise Niederlassung vorhanden seinmußte. Seit 2009 entfallen.

– Ausübung des Gewerbes höchstpersönlich oder Möglichkeit der Stellvertretung, § 45 GewO?Stellvertretung grundsätzlich zulässig, bedarf keiner besonderen Erlaubnis; aber Sondervor-schriften für „gefährliche“ Gewerbe mit erhöhter Bedeutung persönlicher Zuverlässigkeit.Voraussetzung für Stellvertreter: Erfüllen der personenbezogenen Voraussetzungen für dieAusübung des betreffenden Gewerbes, nicht aber der formellen Voraussetzungen für dieseTätigkeit i.S.v. Konzession, Erlaubnis, die nur in der Hand des Vertretenen vorliegen muß.Bei Fehlen oder Wegfall der Voraussetzungen –> § 35 I bzw. VIIa GewO. Besonderheitenbeim Tod des Gewerbetreibenden, § 46 GewO –> Recht zur Fortführung des Betriebs durchStellvertreter auf Rechnung des überlebenden Ehegatten oder der minderjährigen Kin-der(erben) = „Hinterbliebenenprivileg“; dabei auch Recht des Ehegatten, den Betrieb selbst(als „eigener Stellvertreter“) fortzuführen.

– Sonderfälle gewerblicher Betätigung mit Genehmigungspflicht, nicht nur Anzeige => präven-tives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt = „Kontrollerlaubnis“ (abzugrenzen vom Verbot mitBefreiungsvorbehalt nach § 56 I, II GewO), wobei Anspruch auf Erteilung der Genehmigung• Unterscheidung von Sachgenehmigung (z.B. bei Anlagen, § 4 ff. BImSchG) und Personal-

genehmigung (z.B. Makler oder Bauträger [§ 34c GewO] oder Versicherungsvermittler[§§ 34d, 34e GewO]); im Gewerberecht regelmäßig Kombination, z.B. bei § 33a GewO(Abs. 2 Nr. 1: persönliche Zuverlässigkeit, Abs. 2 Nr. 3: räumliche Sicherheit). Folge: Sach-genehmigung geht auf Rechtsnachfolger über, Personalgenehmigung ist vom Nachfolgerneu zu beantragen (Ausnahme z.B. in § 46 GewO, s.o.).

• Folgen des Betreibens ohne Genehmigung –> § 15 II 1 GewO, Behörde kann Fortsetzungdes Betriebs verhindern; Ermessen eingeräumt, weil zunächst nur formelle Illegalität,wenn Genehmigungsfähigkeit vorliegt

– Sanktion bei nicht rechtmäßiger Ausübung eines stehenden Gewerbes: generelle Ermächti-gung der Behörde zur Gewerbeuntersagung, § 35 GewO, die grundrechtlich betrachtet einesubjektive Schranke zur Berufszulassung darstellt und daher nur zum Schutz besonderswichtiger Gemeinschaftsgüter i.V.m. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zugelassen ist• Anwendungsbereich –> § 35 VIII GewO: für jedes stehende Gewerbe, jedoch keine Anwen-

dung bei spezialgesetzlichen Regelungen, die den Bestimmungen der GewO vorgehen,dabei immer konkrete Betrachtung erforderlich (z.B. § 15 GastG, §§ 25, 13 PBefG)

• Voraussetzungen: tatsächliche Ausübung des Gewerbes + Unzuverlässigkeit des Gewerbe-treibenden + Erforderlichkeit der Untersagungsverfügung.

• Unzuverlässig ist, wer nach dem Gesamtbild seines Verhaltens – ein schwerer oder vielekleine Verstöße – keine Gewähr dafür bietet (d.h. nicht erwarten läßt), daß er das von ihmausgeübte Gewerbe – d.h. konkreter Bezug auf das Gewerbe erforderlich – künftig – Pro-gnose muß auf Tatsachen in der Vergangenheit beruhen, die unverändert fortwirken –ordnungsgemäß betreiben wird; z.B. der Fall bei: Begehen von Straftaten und Ordnungs-widrigkeiten mit inhaltlichem und zeitlichem Bezug auf das Gewerbe; mangelnde undnachhaltige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wegen ungeordneter Vermögensverhält-nisse, wenn Bezug zum Gewerbe besteht; erhebliche Steuerrückstände mit negativer Pro-gnose; Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen der Mitarbeiter; Fehlen von un-

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verzichtbaren Fachkenntnissen; herausragende persönliche Mängel, z.B. Trunksucht,Drogenabhängigkeit, Duldung strafbaren Verhaltens von Mitarbeitern im Gewerbebetrieb.

• Erforderlichkeit = Verhältnismäßigkeit der Untersagung; wegen Art. 12 I GG besonders zubeachten, zumal § 35 I GewO eine gebundene Entscheidung ist, also kein Ermessen ein-räumt

• Untersagungsverfahren nach allgemeinen Vorschriften des VwVfG, wenn keine gewerbe-rechtlichen Sonderregelung, z.B. § 29 GewO für Auskunftspflicht des Gewerbetreibendenund Betretungsrechte der Behörde. Merke dabei: § 49 VwVfG wird bei Wiederzulassungim Anwendungsbereich des § 35 VI GewO verdrängt.

• Untersagungsverfügung – ganz oder teilweise – hat Gewerbetreibenden zum Adressaten,also Inhaber des Betriebs/Geschäfts, und kann sich nach § 35 I 2 GewO bei entsprechenderUnzuverlässigkeit auf andere oder alle Gewerbe erstrecken; dabei nach § 35 VI GewOkeine zeitliche Begrenzung zulässig, d.h. „für die Zukunft“. Zulässig ist zugunsten desGewerbetreibenden Stellvertretererlaubnis nach § 35 II GewO, wenn beantragt und in derPerson des Stellvertreters ordnungsgemäße Betriebsführung sichergestellt. Durchsetzungder Untersagungsverfügung durch allgemeine Instrumente der Verwaltungsvollstreckung.

• Da Untersagungsverfügung VA mit Dauerwirkung, Wiedergestattung der Gewerbeaus-übung nach § 35 VI GewO (auf Antrag; wenn Unzuverlässigkeit weggefallen; wenn regel-mäßig Jahresfrist seit der Einstellung des Betriebs abgelaufen)

• Exkurs: Daneben Ermächtigung zur Untersagung nach § 51 GewO; anders als § 35 GewOstrikt anlagenbezogen und nur zur Anwendung überwiegender Nachteile und Gefahren fürdie Allgemeinheit zulässig; findet auf Anlagen nach BImSchG keine Anwendung und hatdaher kaum Anwendungsbereich.

2. Das Reisegewerbe (Titel III, §§ 55–61a)

– Begriff und Arten –> § 55 GewO mit Legaldefinition (seit 14.9.2007 geändert!)• selbständige gewerbsmäßige Tätigkeit (d.h. allein der Geschäftsinhaber unterliegt der

Reisegewerbekartenpflicht, nicht mehr [wie früher] der beim Kunden vor Ort Auftretende)• ohne vorherige Bestellung durch den Kunden• außerhalb der gewerblichen Niederlassung oder ohne eine solche; dabei• Feilbieten von Waren (z.B. Haustürgeschäfte mit Ware, die sofort übergeben wird) oder • Aufsuchen/Ankaufen von Bestellungen (z.B. Werbung für einen Buchclub, Kaffeefahrt mit

Verkaufsvorführung) oder• Anbieten von Leistungen (z.B. Scherenschleifer) oder • Aufsuchen auf Bestellungen (z.B. Fotograf, der von sich aus Veranstaltung besucht und

dort Aufnahmen macht, die er nach der Entwicklung zum späteren Kauf anbietet) oder• Ausübung selbständiger unterhaltender Schaustellertätigkeit (z.B. Bunjee Jumping; nicht:

künstlerische Veranstaltungen)

– Problematisch dabei zumeist:• „ohne vorherige Bestellung“ = keine vorhergehende Terminvereinbarung, kein entspre-

chender vorheriger Kundenwunsch => Initiative muß vom Reisegewerbe ausgehen (dahernicht bei Tupperware- oder Haus-Party)

• „außerhalb oder ohne gewerbliche Niederlassung“ (–> § 42 GewO) = muß nicht vorhandensein, etwa bei mobilen Verkaufswagen oder Ständen, Straßenmusikern usw.

• „gewerbsmäßige Tätigkeit“ –> allgemeine Merkmale des positiven Gewerbebegriffs müs-sen vorliegen (daher kein Reisegewerbe, wenn eigener Gebrauchwagen auf einem Auto-markt verkauft wird, anders wenn vom Händler so betrieben). Dies bewirkt auch, daßkünstlerische Tätigkeiten („Straßenkünstler, „Straßenmusiker“) nicht erfaßt sind; auchTätigkeiten im negativen Gewerbebegriff sollen den Vorschriften des Reisegewerbes nichtunterfallen, z.B. Urproduktion (dann aber § 55a I Nr. 2 GewO unverständlich).

• Merke: Im Reisegewerbe können auch handwerkliche Leistungen ausgeübt werden, etwabei Instandsetzung von Gebäuden; da § 1 I HwO ein stehendes Gewerbe voraussetzt undnur hierfür Regelungen trifft – u.a. Meisterpflicht –, kann Handwerker im Reisegewerbetätig sein, ohne Meisterbrief zu besitzen. Voraussetzung allerdings, daß er ohne vorherigeBestellung arbeitet, d.h. seine Leistung vor Ort ungefragt anbietet. In diesen Fällen str.,ob dann eine sofortige Leistung stattzufinden hat oder es dem Handwerker auch erlaubtist, zuvor vorbereitende Arbeiten durchzuführen, z.B. das erforderliche Material zu be-

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sorgen (früher abgelehnt, Rspr. läßt dies nunmehr zu). Vgl. Schreiner, Reisegewerbe undHandwerk, GewArch. 2015, 233 ff.

– Verbot, bestimmte Waren/Leistungen im Reisegewerbe anzubieten (Verbraucherschutz) –>§ 56, Verbot mit Befreiungsvorbehalt; andererseits sind bestimmte gewerbliche Tätigkeitenvom Reisegewerbe befreit, obwohl definitionsgemäß einbezogen –> §§ 55a, 55b GewO

– Rechtsfolgen einer Tätigkeit im Reisegewerbe:• Genehmigungspflicht, § 55 II GewO –> Reisegewerbekarte (Rk.)• Rk. befreit nicht von der Verpflichtung, andere einschlägige Genehmigungen einzuholen

(keine Konzentrationswirkung), z.B. Sondernutzungserlaubnis nach Straßenrecht• Gewerbetreibender hat Anspruch auf Erteilung der Rk., wenn nicht nach § 56 GewO ver-

botene Tätigkeit und nicht nach § 57 GewO unzuverlässig• Wegen Gefahrenpotential bei einzelnen Reisegewerben (z.B. Fahrgeschäfte, Bunjee Jum-

ping) Verpflichtung zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung –> § 55f GewO• Bei Unzuverlässigkeit Versagung der Reisegewerbekarte nach § 57 GewO (Maßstab § 35

GewO) und Untersagung der Beschäftigung unzuverlässiger Personen nach § 60 GewOmöglich; ein rechtswidrig ausgeübtes Reisegewerbe kann verhindert werden (§ 60 GewO);hierzu Lenski, GewArch. 2008, 388 ff.

3. Das Marktgewerbe (Titel IV, §§ 64–71b)

– Sonderregelung für Veranstaltungen, bei denen eine Vielzahl von Gewerbetreibenden (Anbie-tern, Ausstellern, Teilnehmern) ihre Produkte/Leistungen feilbietet oder vorführt => Privile-gierung gegenüber dem normalen Gewerbe, um Märkte, Messen und Ausstellungen zu er-leichtern –> Grundsatz der „Marktfreiheit“

– Regelung in der GewO, unterscheidet nach den einzelnen Veranstaltungsformen (§§ 64–68)und ordnet eine behördliche Festlegung an (§ 69)• Messe, § 64; grundsätzlich Beschränkung auf gewerbliche Besucher, außer an einzelnen

Tagen; muß das wesentliche Angebot bereithalten• Ausstellung, § 65; für Letztverbraucher allgemein zugelassen, ein nur repräsentatives

Angebot reicht aus• Großmarkt, § 66; nicht für Endverbraucher, als Dauereinrichtung gedacht (z.B. Obst- und

Gemüsegroßmarkt, Fischgroßmarkt)• Wochenmarkt, § 67; Zutritt für jedermann, regelmäßige Wiederkehr erforderlich• Spezialmarkt, § 68 I; Zutritt für jedermann, aber Begrenzung des Angebots auf bestimmte

Warengruppen (z.B. Briefmarken, Schallplatten, Weihnachtsartikel [aber nur solche, an-dernfalls „Jahrmarkt“]; Eintrittsgeld zugelassen

• Jahrmarkt, § 68 II; breites Angebot, kein Eintrittsgeld, mehrmals im Jahr zulässig• Außerdem (außerhalb Marktgewerbe) –> Volksfest, § 60b; Schwerpunkt ist Schaustellerge-

werbe, dort Reisegewerbekartenpflicht für Beschicker!

– Folgen für alle Arten des Marktgewerbes:• Möglichkeit der Festsetzung durch Gewerbeaufsicht auf Antrag eines Veranstalters, § 69

–> VA gegenüber dem (privaten) Veranstalter und em teilnehmenden Gewerbetreibenden,für letzteren allerdings nur mittelbare Begünstigung/Belastung –> nach noch überwiegen-der Meinung keine Klagebefugnis

• Ablehnungsgründe in § 69a GewO• Rechtsfolgen der Festsetzung: Festlegung der Veranstaltung nach Gegenstand, Zeitpunkt,

Öffnungszeiten und Platz, außerdem Marktprivilegien => keine Anzeigepflicht für dieeinzelnen Teilnehmer nach § 14, da Titel II nicht anwendbar; keine Reisegewerbepflicht,da Titel III nicht anwendbar; günstige Sonderregelungen im Ladenschlußrecht (§§ 19, 20LSchlG); günstige Sonderregelungen im AZG und im JArbSchG; Sonderregelung in § 68aGewO verdrängt strengere Vorschriften des GastG.

– Problematisch beim Marktgewerbe Anspruch des Gewerbetreibenden auf Teilnahme im Rah-men der vom Veranstalter nach § 70 II GewO zugelassenen (gruppenspezifischen) Einschrän-kungen; nach § 70 I GewO Anspruch auf Zuweisung eines Platzes/Standes, der aber auf

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Schwierigkeiten und Grenzen stößt, wenn nicht für alle interessierten Teilnehmer ausrei-chend. Für diesen Fall –> § 70 III GewO, erlaubt Ausschluß einzelner Teilnehmer, aber ohneKriterien festzulegen. Daher rechtsstaatliches Auswahlverfahren geboten, das (1) objektivist, also unabhängig von Person des jeweiligen Bewerbers, (2) in seiner Wirkung nicht ein-zelne Teilnehmergruppen diskriminieren darf, und (3) für Bewerber transparent ist. NachRspr. zulässig• Losentscheid• Prioritätsgrundsatz, d.h. nach Eingang der Anmeldung („Windhundverfahren“)• Rollierendes System, d.h. regelmäßiger und systematischer Wechsel der Teilnehmer• „bekannt und bewährt“• Ortsansässigkeit oder lokaler/regionaler Bezug der Angebote• Attraktivität des Angebots des Betreibers für das Publikum.Dabei wichtig:• Anwendung eines einzelnen Kriteriums grundsätzlich nicht zulässig, da zumeist diskrimi-

nierend; auch bei „bekannt und bewährt“ muß Zugang für neue Teilnehmer offengehaltenwerden

• Kriterium muß Zusammenhang mit der konkreten Veranstaltung haben.

– Bei Unzuverlässigkeit eines Teilnehmers (nicht des Veranstalters –> § 69a I Nr. 2 GewO)§ 70a GewO

IV. Das Laden- bzw. Ladenöffnungsschlußrecht: Strukturen und Zwecke im Überblick

– Problem der Rechtsmaterie allgemein: Kompromiß zwischen Unternehmer-, Arbeitnehmer-und Verbraucherinteressen mit aktuell mangelnder Verständlichkeit dieses Instrumentsstaatlicher Wirtschaftslenkung und Gestaltungsfreiheit; herkömmliche Zwecke:• Schutz der Arbeitnehmer in Verkaufsstellen vor überlangen Arbeitszeiten, zugunsten

ausreichender Nachtruhe und eines zusammenhängenden Wochenendes (?)• damit verbunden Wettbewerbsneutralität i.S.v. Schutz gegen Unternehmen, die kein Per-

sonal mit festgelegten Arbeitszeiten haben (Inhaber- und Familienbetriebe) (?)• Sonn- und Feiertagsschutz i.S.v. Freihaltung von Arbeitspflichten, Möglichkeit der Erho-

lung etc. (?)

– Ladenschlußrecht (i.w.S.) gesetzestechnisch nicht einheitlich geregelt, besteht im wesentli-chen aus• LSchlG = früher bundeseinheitliche, nunmehr landesspezifische Regelung der allgemeinen

Ladenschlußzeiten für Verkaufsstellen (–> in M-V: Gesetz zur Neuregelung der Ladenöffnungszeitenvom 18.6.2007, GVBl. S. 226; dazu Verordnung über erweiterte Ladenöffnungszeiten in Kur- und Erholungs-orten, Weltkulturerbestädten sowie in anerkannten Ausflugsorten und Ortsteilen mit besonders starkem Frem-denverkehr [Bäderverkaufsverordnung – BädVerkVO] vom 17.12.2007, GVBl. 2008 S. 6])

• Arbeitszeitgesetz (AZG) = weiterhin bundeseinheitliche Regelung der zulässigen Arbeits-zeit von Arbeitnehmern (dabei Problem der Fortgeltung von § 17 LadSchlG, der eventuellArbeitszeitrecht [des Bundes] ist –> Kämmerer/Thüsing, GewArch 2006, 266 ff.)

• Sonn- und Feiertagsgesetze der Länder = Festlegung der (Sonntage und der) einzelnenFeiertage und damit verbunden Verbote bestimmter Tätigkeiten an diesen Tagen

– Gegenstand und Struktur des LSchlG (als „Auslaufmodell“):• sachlicher Anwendungsbereich: Definition von Verkaufsstellen (§ 1 I) und „Reisebedarf“

(§ 2 II); erstere sehr weit gefaßt, da § 20 auch das gewerbliche Anbieten außerhalb vonVerkaufsstellen erfaßt („fliegende Händler“).

• kompliziertes Prüfprogramm: Verkaufsstelle? Privilegierung wegen Art, wegen Lage, we-gen Ware? M.a.W.: Wo befindet sich die Verkaufsstelle, was soll dort wann konkret an wenverkauft werden?

– Regelung im einzelnen:• Allgemeine Öffnungszeiten – Regelfall – im Umkehrschluß aus den Zeiten der Schließung

zu ermitteln (§ 3): nicht an Sonntagen und Feiertagen (–> Landesrecht); nicht Mo–Fr bis6.00 Uhr morgens und nach 20.00 Uhr abends; nicht am 24.12., wenn Werktag, vor 6.00Uhr und nach 14.00 Uhr

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• Ausnahmen nur für Verkaufsstellen von Bäckereien (werktags nicht vor 5.30 Uhr); aber:bei Ladenschluß anwesende Kunden dürfen noch bedient werden

• Ausnahme für Tankstellen, § 6, aber nur eingeschränktes Sortiment in dieser Zeit zulässig• Ausnahme für Bedürfnisse des Reiseverkehrs an Bahnhöfen, § 8• Ausnahme für Verkauf von Reisebedarf an Reisende auf Flughäfen / Fährhäfen, § 9• Ausnahme in Kur- und Erholungsorten für bestimmte Waren, aber nur für insgesamt

begrenzte bestimmte Zeiten, § 10)• Ausnahme in ländlichen Gebieten, aber nur an Sonntagen, unter bestimmten Umständen

und für eingeschränkte Dauer, § 11• Ausnahme an Sonntagen für bestimmte Waren, § 12• Ausnahme an bestimmten Sonntagen i.V.m. bestimmten Veranstaltungen, zahlenmäßig

beschränkt, § 14• Ausnahme für Apotheken („Notfallversorgung“), § 4, verbunden mit einer Verpflichtung

zur dauernden Bereitschaft zur Öffnung nach Plan• weitere Ausnahmen im öffentlichen Interesse in Einzelfällen, § 23.

– in Mecklenburg-Vorpommern durch Ladenöffnungsgesetz (Landesrecht) stark liberalisiert:• gewerblicher Verkauf an Werktagen (Mo.–Fr.) von 0.00 bis 22.00 Uhr, an Samstagen vom

0.00 bis 22.00 Uhr (viermal im Jahr aus besonderem Anlaß sogar rund um die Uhr) er-laubt

• grundsätzlich kein gewerblicher Verkauf zulässig an Sonntagen und an gesetzlichen Feier-tagen sowie am 24.12. nach 14.00 Uhr, aber:" Ausnahmen (5 Stunden) für bestimmte Waren" generelle Ausnahme bei Tankstellen für Kraftstoffe und „Reisebedarf“" generelle Ausnahme bei Bahnhöfen, Flughäfen und Fährhäfen für „Reisebedarf“" viermal jährlich Ausnahme an einem Sonntag aus besonderem Anlaß" darüber hinaus weitere Ausnahmen für Bäder- und Fremdenverkehrsorte zulässig.

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Arbeitsblatt zu § 7

Das Gaststättenrecht

A. Übersicht: I. Zielsetzung und Anwendungsbereich

II. Die Gaststättenerlaubnis (Voraussetzungen, Versagungsgründe, Inhaltund Nebenbestimmungen, besondere Arten)

III. Ausübung, Überwachung und Untersagung des Gaststättenbetriebs

B. Rechtsgrundlagen:

– Gaststättengesetz i.d.F. d. Bek. vom 20.11.1998 (m. spät. Änd.; zuletzt geändert durchArt. 10 Gesetz vom 7.9.2007 (BGBl. I S. 2246)Beachte: Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG i.d.F. der Föderalismusreform (BGBl. 2006 I S. 2034)ist das „Recht … der Gaststätten“ in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder (Art. 70GG) übergegangen. Die bisherigen bundesgesetzlichen Regelungen gelten nach Art. 125aAbs. 1 GG (als partielles Bundesrecht) fort, bis sie jeweils durch Landesrecht ersetzt werden.Dies ist für M-V noch nicht geschehen.

– Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern• Verordnung (Mecklenburg-Vorpommern) zur Ausführung des Gaststättengesetzes (Gast-VO) vom 17.6.1994

(GVBl. S. 679), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1.8.2006 (GVBl. S. 634)• Beherbergungsstättenverordnung (BstättVO M-V) vom 12.2.2002 (GVBl. S. 119) [Bauordnungsrecht]

C. Rechtsprechung:

• BVerwGE 1, 48 ff.; 1, 269 ff. (Verfassungswidrigkeit einer gaststättenrechtlichen Bedürf-nisprüfung wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG)

• OVG Hamburg, GewArch. 1992, 310 ff. (gaststättenrechtliche Vorschrift, wonach die Tü-ren einer „Klingel-Bar“ während der Geschäftszeiten nicht verschlossen sein dürfen, istrechtmäßig und verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht)

• VGH Mannheim, GewArch. 1994, 31 ff. (bei ausnahmsweiser Verkürzung der Sperrzeitmuß auch die weitere Umgebung der Gaststätte in die Auswirkungen einbezogen werden)

• BVerwGE 82, 189 ff. (besonderer Anlaß i.S.v. § 12 Abs. 1 GastG kann auch vom Betreiberselbst beschaffen werden; Voraussetzung ist allerdings immer, daß die gastronomischeTätigkeit an ein kurzfristiges, nicht häufig auftretendes Ereignis anknüpft, das außerhalbder gastronomischen Tätigkeit liegt [hier: Getränkeausschank bei „Disco-Tanzparty“])

• BVerwGE 80, 259 ff.; 84, 11 ff. (bestandskräftige Baugenehmigung entfaltet im gaststät-tenrechtlichen Genehmigungsverfahren nur Bindungswirkung, soweit es um Rechtsfragengeht, deren Beurteilung in die originäre Zuständigkeit der Bauaufsichtsbehörde fällt)

• BVerwGE 101, 157 ff. (öffentliches Bedürfnis an einer Verkürzung der Sperrzeit nach § 18Abs. 1 Satz 2 GastG beinhaltet auch den Schutz der Anwohner vor nächtlichem Lärmdurch Gäste und deren Verkehrsverhalten; die Vorschrift ist insoweit drittschützend);dazu Winkler, JA 1997, 371 ff.

• VGH München, GewArch. 1996, 163 ff.; BVerwG, GewArch. 1996, 385 f. „Bayerische Bier-gartenverordnung I“ (Begrenzung der von einem Biergarten ausgehenden Lärmimmissionauf die Umgebung kann auch in einer Rechtsverordnung nach § 23 Abs. 1, 2 S. 1 BImSchGgeregelt werden); dazu Jahn, NVwZ 1996, 663 ff. und 1997, 407 ff.; nachfolgendVGH München, GewArch. 1997, 425 ff.; BVerwG, GewArch. 1999, 210 ff. „Bayerische Bier-gartenverordnung II“ (Verordnung ist dann nichtig, wenn sie keine den Lärm betreffendenAnforderungen an die Biergartenbetreiber stellt und das generelle Schutzniveau des § 22BImSchG nur unterschreitet); dazu Vogler, BayVBl. 1998, 53 f.; Jahn, GewArch. 1999, 271ff.; Röthel, JZ 1999, 789 ff.

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• VG Berlin, GewArch. 2001, 128 ff. (Bordell mit Gaststätte zur Anbahnung der Geschäfte[„Café Pssst“] verstößt, weil für sich genommen nicht sittenwidrig, nicht gegen Gaststät-tenrecht und ist daher genehmigungsfähig); dazu Hösch, GewArch. 2001, 112 ff.

• VGH München, GewArch. 2002, 296 ff.; BVerwG, GewArch. 2003, 122 ff. (Betrieb einesSwinger-Clubs mit Möglichkeit zum Sex unter Beobachtung Dritter leistet – wenn für dieAllgemeinheit nicht sichtbar und Jugendschutz gewahrt – noch nicht der UnsittlichkeitVorschub und ist daher mit § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG vereinbar); dazu Pauly, GewArch.2003,151 ff.

• OVG Koblenz, GewArch. 2004, 217 ff. (Veranstaltungen mit einem Lärmpegel jenseits derfestgelegten Immissionsrichtwerte dürfen ausnahmsweise zugelassen werden, vorausge-setzt es handelt sich um sehr seltene Ereignisse und der aus diesem Anlaß veranstalteteLärm ist aus Gründen der Tradition sozialadäquat [hier: Karneval im Rheinland])

• VGH Mannheim, GewArch. 2005, 38 f. (Sperrzeit-VO nach § 18 Abs. 1 Satz 2 GastG mußgenerellen Charakter aufweisen und darf deshalb nicht einen von vornherein beschränk-ten Adressatenkreis haben)

• VGH Mannheim, NVwZ-RR 2006, 180 f. (keine gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit,wenn Wirt den Besuch der Gaststätte durch Angehörige der „rechten Szene“ zuläßt oderfördert)

• BayVGH, NVwZ-RR 2008, 26 ff. „Flatrate-Party“; dazu Scheidler, DÖV 2008, 189 ff. (Zu-lässigkeit einer gaststättenrechtlichen Auflage, in der das Anbieten beliebig vieler alkoho-lischer Getränke zu massiv unterdurchschnittlichen Preisen untersagt wird); Klausur beiSchmehl, JA 2010, 128 ff.

• BVerfGE 121, 317 ff. „Nichtraucherschutz“; dazu Bäcker, DVBl. 2008, 1180 ff.; Gröschner,ZG 2008, 400 ff.; Michael, JZ 2008, 875 ff. (grundrechtliche Schutzpflicht zugunsten derGesundheit von Nichtrauchern erlaubt auch ein vollständiges Rauchverbot in Gaststätten[sehr zw.]; läßt der Gesetzgeber jedoch Ausnahmen vom Rauchverbot zu, müssen sie folge-richtig und in sich stimmig sein und die Grundrechte der betroffenen Gaststättenbetreiber– vor allem mit Einraumbetrieben – berücksichtigen; zu ihnen Zimmermann, NVwZ 2008,705 ff.); zur Zulässigkeit von Lockerungen für Einraumbetriebe und ZeltgastronomieBVerfG (K), NVwZ 2010, 38 ff.; zu Einrichtung von Raucherclubs Ebert, NVwZ 2010, 26 ff.

• BVerfGE 130, 131 ff.; dazu Barczak, NordÖR 2012, 311 ff.; Muckel, JA 2012, 556 ff. (dieZulassung von abgeschlossenen Raucherräumen in Schankwirtschaften, nicht aber inSpeisewirtschaften verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG)

• VG Düsseldorf, NVwZ 2010, 71 f. (Verbot des Ausschanks von Alkohol während eines Bun-desligaspiels)

• VGH Mannheim, GewArch. 2013, 158 ff. m. Anm. Hüpers; OVG Koblenz, GewArch. 2013,209 f.; OVG Lüneburg, NJW 2013, 1252 f. (für die Veröffentlichung festgestellter Hygiene-mängel in Gaststätten auf einer behördlichen Website ist wegen Art. 12 Abs. 1 und Art. 20Abs. 3 GG eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigung erforderlich; § 40 Abs. 1aNr. 2 LFGB entspricht diesen rechtsstaatlichen Vorgaben nicht [str.]); s.a. Schink, DVBl.2011, 253 ff.; Holzner, DVBl. 2012, 17 ff.

• VGH Mannheim, GewArch. 2015, 269 f. (eine genehmigte Imbißwirtschaft in einem Tank-stellenshop unterfällt dem GastG und ist daher nicht an das Alkoholausschankverbot desLandes-LadÖG [BW] gebunden)

D. Literatur:

Frotscher, § 15; Ruthig/Storr, § 4; Schliesky, S. 234 ff.; Czybulka, in: Schmidt, ÖffWiR BT/1,§ 2 Rn. 156 ff.; Schmidt/Wollenschläger, § 11; Stober, BesWiVerwR, § 47

• Beljin, Lärm aus der Gaststätte (Klausurfall), JURA 2004, 56 ff.• Dietz, Nachtschwärmer gegen Nachtschläfer – Sperrzeitverlängerungen im Spiegel der

jüngeren Rechtsprechung, GewArch. 2013, 292 ff., 351 ff.• Dübbers/Jo, Die Deregulierung des Gaststättenrechts, NVwZ 2006, 301 ff.• Glaser, Gaststättenrecht im Wandel: Zwischen föderaler Vielfalt und rechtsstaatlichen

Herausforderungen, GewArch. 2013, 1 ff.• Guckelberger, LKV 2008, 385 ff.

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• Haferkorn, Swingerclubs als aktuelle gaststättenrechtliche Problemstellung, GewArch.2002, 145 ff.

• Korden, Die gaststättenrechtliche Beurteilung sog. „Ballermann-Partys“ oder „Koma-Par-tys“, GewArch. 2000, 11 ff.

• Krugmann, Unzuverlässigkeit und Verhältnismäßigkeit, GewArch. 1995, 398 ff.• Numberger, Probleme des Freizeitlärms, NVwZ 2002, 1064 ff.• Pöltl, Gaststättenerlaubnis für Mensen, GewArch. 2004, 184 ff.• Pöltl, Die gaststättenrechtliche Beurteilung so genannter dark rooms, NVwZ 2004, 831 ff.• Pöltl, Die Sittenwidrigkeit der Prostitution im Gaststättenrecht nach In-Kraft-Treten des

Prostitutionsgesetzes, VBlBW 2003, 181 ff. (vgl. auch Lehmann, NVwZ 2009, 888 ff.)• Schmidt am Busch, Informalen Absprachen als Steuerungsinstrument im Gaststätten-

recht, GewArch. 2009, 377 ff.• Schröder/Führ, Zulässigkeit von „Flatrate“-Parties, NVwZ 2008, 145 ff.• Wehser, Die Berücksichtigung von Lärmimmissionen bei der Zulassung von Gaststätten

(unter Beachtung der Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern), LKV 2008, 59 ff.• Weißenberger, Gaststättenrechtliche Genehmigungsfiktion durch Bundesgesetz?, DÖV

2012, 385 ff.

E. Das Thema in Stichworten:

I. Zielsetzung und Anwendungsbereich

– Sondergewerberecht (ursprünglich in einer Vorschrift der GewO enthalten) mit dem vorran-gigen Ziel der Gefahrenabwehr: Verhinderung von Alkoholmißbrauch (neben und nachrangigzum JuSchG), Schutz der Gäste (vor allem Jugendlicher), Schutz der Beschäftigten, Schutzder Nachbarn

– Anwendungsbereich des GastG: § 1 Gaststättengewerbebetrieb• (1) Gewerbebetrieb im stehenden Gewerbe (grundsätzlich),• (2) Zugänglichkeit des Betriebs• (3) zulässiger, genauer: bestimmter, Bewirtungstyp

– (1) Gewerbebetrieb –> GewO = erlaubte (sozial nicht grundsätzlich schädliche) auf Gewinner-zielung gerichtete, auf Dauer gelegte, selbständig betriebene Tätigkeit (ohne bekannte Aus-nahmen); dabei i.e. zu beachten:• Gewinnerzielungsabsicht auch der Fall, wenn unentgeltlich Speisen und Getränke abge-

geben werden, dies aber der Gewinnung neuer Kunden dient• Gewinnerzielungsabsicht auch der Fall, wenn gemeinnützige Einrichtung gastronomisch

tätig wird, außer wenn Essen und Getränke zum reinen Selbstkostenpreis abgegeben wer-den

• keine Erzielung von Einkünften bei öffentlichen Einrichtungen, z.B. Mensa; allerdingsanders im Fall der Bewirtung Dritter (z.B. bei Publikumsverkehr oder Catering)

• nach § 1 Abs. 1 GastG grundsätzlich nur als stehendes Gewerbe zu betreiben, d.h. mit undvon einer gewerblichen Niederlassung aus (§ 42 GewO). Aber: Gaststättenbetrieb im Rei-segewerbe möglich, wenn Gastronom selbständig tätig ist und für eine begrenzte Dauerder Veranstaltung von einer ortsfesten Betriebsstätte aus Getränke oder zubereitete Spei-sen zum sofortigen Verzehr verabreicht (etwa Catering).

– (2) Betrieb muß allgemein oder bestimmten Personenkreisen zugänglich sein• nicht: Hochzeitsfeier, Privatparty; aber: Straßenfest, Pressefest etc. Auch bei Betrieben

mit Eintrittsgeld (Swingerclub), mit Einlaßkontrolle (Diskothek) oder mit verschlossenerTür und Klingel der Fall

– (3) Zulässiger Bewirtungstyp: Gaststättenbetrieb weist nach § 1 typisierte Bewirtungsartenauf, die einzeln oder gemeinsam auftreten können (aber kein numerus clausus dieser Typen;daher auch atypische Betriebe vom Gesetz erfaßt)• Nr. 1: Schankwirtschaft = Verabreichung von Getränken (heiß/kalt, alkoholisch/nichtalko-

holisch) zum Verzehr an Ort und Stelle, räumlicher Zusammenhang zwischen Abgabeortund Verzehrort erforderlich

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• Nr. 2: Speisewirtschaft = Verabreichung von zubereiteten Speisen (nicht wenn Lebens-mittel ohne besondere Zubereitung eßfertig, z.B. rohes Obst) zum Verzehr an Ort undStelle; liegt auch vor, wenn durch/in Automaten angeboten

• nicht mehr (früher Nr. 3): Beherbergungsbetrieb = Unterkunft mit Schlafgelegenheit(nicht: Vermietung von Zeltplatz oder Stellplatz für Wohnwagen), die nicht auf Dauer-vermietung angelegt ist (z.B. Wohnheim für Studenten/Altenpflegeheim) => kein Gegen-stand des GastG mehr, auch keine Erlaubnispflicht (s.a. § 2 Abs. 2 Nr. 4 GastG)

dabei beachtlich: Ausnahmen vom Anwendungsbereich –> § 25 GastG

II. Die Gaststättenerlaubnis

– Wenn Gaststättengewerbe i.S.v. § 1 GastG –> grundsätzliche Erlaubnispflicht, § 2 GastG,außer wenn davon befreit• nach § 2 Abs. 2 Nr. 1–3 (geringes Gefahrenpotential)• nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 nicht mehr erlaubnispflichtig: Nebengastronomie in Beherbergungs-

unternehmen• §§ 14, 26 –> Landesrecht (ortstypische Gastronomie, z.B. Verabreichung selbsterzeugter

Getränke)• § 60b Abs. 2 i.V.m. § 68a Abs. 1 GewO (Volksfestgastronomie)• § 68a Abs. 1 GewO (Marktgastronomie)aber: auch dann Anordnungen im Umfang von Auflagen zulässig (= VA), § 5 Abs. 2 GastG;aber: auch dann Untersagung des Betriebs wegen Unzuverlässigkeit möglich, § 31 GastG–> § 35 GewO

– Voraussetzungen und Hindernisse der Erlaubniserteilung• Antrag, da mitwirkungsbedürftiger VA (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG –> Rechtswidrigkeit)• Anspruch auf Erlaubnis, soweit kein Grund für Versagung i.S.v. § 4 GastG vorliegt und

(Übermaßverbot!) nicht auf andere Weise Versagungsgrund ausgeräumt werden kann(Auflage, Bedingung, Einschränkung des Erlaubnisumfangs)

• Erlaubnis ist betriebstypgebunden –> § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3, und für bestimmte Räume zuerteilen, § 3 Abs. 1 Satz 1 GastG

• Versagungsgründe zu unterscheiden in: persönliche V. und sachliche V. = grundsätzlichraumbezogen; zugleich relevant für Überwachung (§ 22 GastG), Stilllegung (§ 31 GastGi.V.m. § 15 Abs. 2 GewO) und Rücknahme bzw. Widerruf, § 15 GastG

• Persönliche Versagungsgründe, § 4 I Nr. 1 und 4 GastG: Zuverlässigkeit, analog § 35Abs. 1 GewO zu verstehen, dabei auf das jeweilige Gaststättengewerbe zugeschnitten.Beispiele: „Sittenwidrigkeit“, Unterbindung strafbarer Handlung in den Betriebsräumen;fehlender Unterrichtungsnachweis [Schutz der Gäste vor Gesundheitsgefahren und vorTäuschung und Irreführung], auch für Stellvertreter und Hinterbliebenenprivileg erforder-lich (§§ 9, 10 GastG); gesetzwidrige Beschränkung des Zugang zum Gaststättenbetrieb[aber: kein Kontrahierungszwang]).

• Sachliche Versagungsgründe, § 4 I Nr. 2, 2a, 3 GastG: fehlende Eignung der Räume fürden Betrieb des Gewerbes = Verhältnisse innerhalb des Betriebs; z.B. Lage, Beschaffen-heit, Ausstattung; dabei Anforderungen z.T. aus Fachvorschriften zu entnehmen (Arbeits-schutz, Hygienevorschriften, Brandschutz, Fluchtwege usw.); seit 2002 auch Gebot derBarrierefreiheit für Behinderte, soweit realisierbar und für den Betreiber zumutbar; er-hebliche Nachteile für Umgebung, vor allem hinsichtlich Lärm und Licht = Verhältnisseaußerhalb des Betriebs bzw. vom Betrieb nach außen; z.B. Nachteile (wirtschaftliche oderideelle Einbußen) oder Belästigungen (Einwirkungen auf das Wohlbehagen). Ist im We-sentlichen Immissionsschutz, § 3 Abs. 1 BImSchG, der direkt keine Anwendung findet, daGaststätten keine genehmigungsbedürftigen Anlagen sind –> § 22 Abs. 1 BImSchG. Strei-tig, ob jenseits des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG auch §§ 22 ff. BImSchG anwendbar.

• Zu § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG i.e.: doppelte Schutzrichtung der Norm, (1) schädliche Umwelt-einwirkungen i.S.v. § 3 Abs. 1 BImSchG, (2) sonstige erhebliche Nachteile … für die All-gemeinheit; durch Verweisung auf BImSchG heute Schutznorm für Nachbarschaft = allePersonen, die sich regelmäßig im Wirkungsbereich der Gaststätte aufhalten (Bewohnerdes Betriebsgrundstücks und der Nachbargrundstücke, Arbeitnehmer benachbarter Be-triebe, Personen mit besonderer sachlicher Bindung zum Einwirkungsbereich [z.B. Eigen-

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tum an Nachbargrundstück]); nicht: Schutz der Gäste, der Beschäftigten oder anderernahe stehender Personen.Deshalb: subjektives Abwehrrecht aus § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG für den Nachbarn gegenschädliche Umwelteinwirkungen, nicht aber auch gegen sonstige Nachteile, Gefahren oderBelästigungen für die Allgemeinheit (!)Zurechnung des Lärms der Gäste? Grundsatz: Zufahrts- und Abfahrtsverkehr der Gast-stätte ist dem Betrieb zuzurechnen, bis er in den allgemeinen Straßenverkehr übergeht,ebenso das lautstarke Verhalten der Gäste vor dem Lokal (u.U. Pflicht des Wirts zur Er-mahnung der Gäste, Lärm zu vermeiden)

• Problem, daß zahlreiche Vorschriften für Lärmschutz, Raumbeschaffenheit usw. in ande-ren Fachgesetzen geregelt sind und hierfür besondere Genehmigungsverfahren bestehen.Daher vor allem fraglich Zuordnung von GastG zu BauO (sachbezogene Personalerlaub-nis): Gaststättenerlaubnis entscheidet nur über gewerbespezifische Gesichtspunkte, daherkeine Konzentrationswirkung, keine Bindungswirkung für andere Genehmigungen; Bau-genehmigung wiederum entscheidet nur über planungs- und nutzungsspezifische Gesichts-punkte des Vorhabens, daher keine Konzentrationswirkung, keine Bindungswirkung fürGaststättenerlaubnis. Zudem: Fachrecht sieht keine Reihenfolge der Genehmigungsver-fahren vor, d.h. Gaststättenerlaubnis kann auch vor Bauerlaubnis beantragt und erteiltwerden.Daher materiell-rechtliche Grundsätze für das Rechtsverhältnis der verschiedenen Geneh-migungen:

(1) Baugenehmigung bewirkt nach LBO (§ 72) umfassende Feststellung der Ver-einbarkeit des Vorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Baurechts (Planungs-recht + Ordnungsrecht) => materielle Bindung der Gaststättenbehörde im Bereich derbaulichen Anlage und ihrer Beschaffenheit, soweit sie Gegenstand des Bauordnungsver-fahrens ist (Prüffrage: Hat Regelungsbestand Bezug zum Bauplanungs- bzw. Bau-ordnungsrecht?) BImSchG ist Gegenstand des Bauordnungsverfahrens, daher Bindung imBereich der räumlichen Besonderheiten des Betriebs i.S.v. § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG; aber:keine Bindung im Bereich der bauordnungsfremden Regelungsgegenstände und ihrerrechtlichen Anforderungen (Zuverlässigkeit, gaststättenrechtliche Eignung der Räume,Barrierefreiheit, Fachkundeunterrichtung).

(2) Versagung der Baugenehmigung hat keine materielle Bindung gegenüberGaststättenbehörde => Beurteilung der Rechtslage auch abweichend Problem für Betrei-ber: Wenn Versagung der Baugenehmigung bestandskräftig, entfällt Sachentscheidungs-interesse für Gaststättenerlaubnis –> kein Rechtsschutzbedürfnis für Widerspruch undAnfechtungsklage.

(3) Für Behörde problematisch; Gaststättenbehörde wird deshalb sinnvollerweiseErlaubnis nur aufschiebend bedingt erteilen, bis Baugenehmigung wirksam erteilt ist(§ 36 Abs. 1 VwVfG)

– Ermächtigung der Landesregierung in § 32 GastG, mittels Rechtsverordnung für bis zu fünfJahren weitere Ausnahmen von den Vorschriften der Ausübung des Gaststättengewerbeszuzulassen (Erprobungsklausel)

– Inhalt und Form der Erlaubnis• § 3 Abs. 1 GastG –> für bestimmte Betriebsarten und für bestimmte Räume; Änderungen

bedürfen daher in beiderlei Hinsicht einer neuen Erlaubnis

– Sonderarten der Erlaubnis• vorläufige Erlaubnis (§ 11 GastG), bei Übernahme eines erlaubnispflichtigen Betriebs

durch neuen Betreiber• vorübergehende Erlaubnis (§ 12 GastG) = Gestattung, bei besonderem Anlaß, d.h. einem

zeitlich begrenzten Ereignis von kurzfristiger Dauer, bei dem der gastronomische BetriebAnnex zu einer anderen Veranstaltung ist

• Stellvertretererlaubnis (§ 9 GastG), wenn Betrieb im Namen und für Rechnung des Inha-bers, im übrigen aber selbständig fortgeführt werden soll –> keine Rechtsnachfolge inGaststättenerlaubnis, abgesehen von § 10 GastG!

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– Nebenbestimmungen zur Gaststättenerlaubnis: wie auch sonst (§ 36 Abs. 2 VwVfG)• Befristung –> nur nach Antrag oder §§ 9, 11, 12 GastG• Bedingung –> nur nach § 36 Abs. 1 VwVfG oder § 8 GastG• Auflage (hat größte Bedeutung), kann nach § 5 Abs. 1 GastG jederzeit, d.h. auch nach-

träglich erlassen werden, ist aber abschließende Regelung und schließt § 36 Abs. 1 VwVfGim übrigen aus

• Widerrufsvorbehalt? Wohl unzulässig, da § 15 Abs. 2–4 GastG Widerrufsfälle abschließendfestlegt (str.)

III. Überwachung, Ausübung und Untersagung der Gastgewerbetätigkeit

– Überwachung und Durchsetzung des Gaststättenrechts nach erteilter Erlaubnis• Überwachung durch Gaststättenbehörde –> § 22 GastG, durch Auskunftspflichten des

Betreibers und Nachschaurechte der Behörde; außerdem Sanktion durch Owi., § 28 GastG• Durchsetzung des Gaststättenrechts gegenüber erlaubnisfreien Betrieben –> Verhinde-

rung der Fortführung, § 31 GastG i.V.m. § 15 Abs. 2 GewO; bei Beschäftigung unzuverläs-siger Personen (als milderes Mittel gegenüber Fortführungsverbot) Untersagungsverfü-gung, § 21 GastG

• Durchsetzung des Gaststättenrechts gegenüber erlaubnispflichtigen Betrieben(1) Auflagen, § 5 Abs. 1 GastG(2) Rücknahme bei rechtswidrig erteilter Erlaubnis, § 15 Abs. 1 GastG, wenn

Versagungsgründe vorlagen (Unzuverlässigkeit, die seinerzeit nicht erkannt wurde). Aber:trotz gebundener Entscheidung unverhältnismäßig, wenn Betreiber nunmehr zuverlässig.

(3) Rücknahme bei rechtswidrig erteilter Erlaubnis, § 48 VwVfG, wenn seiner-zeit andere Versagungsgründe bestanden, die heute fortwirken (§ 4 Abs. 1 Nr. 2, 2a, 3, 4GastG) –> Ermessen der Gaststättenbehörde. Merke: § 15 Abs. 1 GastG sperrt § 48 VwVfGim übrigen nicht.

(4) Widerruf der Erlaubnis bei nachträglichem Eintreten (Zeitpunkt der letztenBehördenentscheidung) von Versagungsgründen nach § 15 Abs. 2 – Mußvorschrift – bzw.§ 15 Abs. 3 GastG – Ermessensentscheidung –. Merke: § 15 Abs. 2–3 GastG sperrt § 49VwVfG. Da nicht auf § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GastG Bezug nehmend, in Fällen raumbezoge-ner Defizite nicht anwendbar. Dabei immer Übermaßverbot zu beachten, d.h. in ersterLinie Auflagen zulässig, erst danach Widerruf. Im Fall der Fortführung des Gastgewerbesentgegen bestandskräftiger Aufhebung –> Einstellungsverfügung, § 31 GastG i.V.m. § 15Abs. 2 GewO

– Die Gaststättenerlaubnis und ihr Rechtsrahmen: im Rahmen des GastG, also der gewerbe-rechtlichen Reglementierungen, vor allem zum Schutz der Gäste und der Beschäftigen imBetrieb, ersteres mit besonderem Akzent auf dem Jugendschutz.Dazu gehört („Alkoholmißbrauch“):• § 6 GastG: Zwang zum Ausschenken alkoholfreier Getränke neben alkoholischen Geträn-

ken; dabei mindestens ein nichtalkoholisches Getränk preisgleich mit alkoholischem• § 20 GastG: allgemeines Verbot, Hochprozentiges (auch in Pralinen) in Automaten an-

zubieten, Alkohol an bereits erkennbar Betrunkene zu verabreichen, aber auch den Ver-kauf von Essen oder alkoholfreien Getränken an die Abnahme von Alkohol zu koppeln

• § 19 GastG: Verbot aus besonderem Anlaß, Alkohol auszuschenken (z.B. im Umfeld vonFußballspielen, Demonstrationen usw.)

Andererseits:• Erleichterung für bestimmte im Gaststättenbereich betriebene nebengewerbliche Geschäf-

te, § 7 GastG: Nebenleistungen i.S.v. Zubehörwaren und Essen/Trinken über die Straße.Dabei Abgrenzungsprobleme zum Ladenschlußrecht beachten.

– Allgemeiner Rechtsrahmen von Gaststätten, die nicht „Verkaufsstellen“ i.S.d. LSchlG sind–> Sperrzeitregelung in § 18 I GastG• Länder können durch VO Sperrzeiten festsetzen, d.h. keine Verpflichtung zur Rechtset-

zung, nur Ermächtigung i.S.v. Art. 80 GG• Länder müssen Sperrzeiten allgemein für das gesamte Landesgebiet festsetzen; sie sind

dabei aber nicht an die Regelungen in anderen Ländern gebunden. Daher von Land zuLand unterschiedliche Zeiten.

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• Sperrzeit muß außerdem allgemein für alle Schank- und Speisewirtschaften und für öf-fentliche Vergnügungsstätten (Einrichtungen zur Unterhalten, z.B. Kino, Konzertsaal,Museum, Spielhalle) gelten.

• Länder müssen in der Sperrzeit-VO außerdem festlegen, daß Sperrzeit bei einem öffentli-chen oder bei örtlichen Besonderheiten allgemein oder für einzelne Betriebe verlängert,verkürzt oder aufgehoben werden kann –> Sperrzeit und Ausnahmen = repressives Verbotmit Erlaubnisvorbehalt, daher Verkürzung oder Aufhebung nach herrschender Meinungnur in atypischen Fällen zulässig

• Maßstab daher anhand der Zwecke der Sperrzeitregelung zu beurteilen: Volksgesundheit(Schlaf), Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs, Sicherung der Nachtruhe für Anwohner (ineinzelnen Verordnungen der Länder problematisch)

– Zu den Maßstäben der Sperrzeit-VO (abweichende Regelungen) im einzelnen:• (1) öffentliches Bedürfnis = Bedarfslücke aus der Sicht der Allgemeinheit, nicht des Gast-

stättenbetreibers. Aber: Bei Verlängerung der Sperrzeit zugunsten der Anwohner Problemfür bestimmte Gaststättenbetriebe, wenn dadurch in die typische Betriebsart eingegriffenwird („Diskothek“) => faktisch teilweiser Entzug der Gaststättenerlaubnis, ohne daß Vor-aussetzungen nach Gesetz hierfür vorliegen; unzulässig. Andererseits: bei Verkürzung derSperrzeit Problem für Anwohner wegen Lärmschutz –> (nach Rspr.) darf Sperrzeitverkür-zung nicht zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen, jedenfalls nicht für Betriebsan-wohner

• (2) besondere örtliche Verhältnisse = Umstände der konkreten Örtlichkeit müssen positivfür Verkürzung sprechen, z.B. keine Gefahr von Lärmbelästigung der Anwohner

– Exkurs: Festlegung von Sperrzeiten durch Regelung außerhalb von § 18 Abs. 1 Satz 2 GastG?–> § 23 Abs. 2 BImSchG, Befugnis der Landesregierung (sekundär zu § 23 Abs. 1 BImSchG)zum Erlaß von Verordnungen für den Betrieb nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen i.S.v.§ 3 Abs. 5 BImSchG = ortsfeste Einrichtung, von der schädliche Umwelteinwirkungen i.S.v.§ 3 Abs. 1 BImSchG ausgehen. Gaststätten sind solche Anlagen. Rspr. (BVerwG) hält dieseErmächtigung neben der für Sperrzeitverordnung im Gaststättenrecht anwendbar (zw.) –>VO über Betriebszeiten von Gaststätten also auch auf Grundlage von § 23 Abs. 1, 2 BImSchGzulässig. Aber: dabei inhaltliche Voraussetzung, daß im Einklang mit dem Gesetz stehend;VO dann rechtswidrig und unwirksam, wenn bestimmte Immissionen generell als unschäd-lich festgelegt werden und dadurch das gesetzliche Schutzniveau unterschritten wird (s.o.Rspr. zu Bay. Biergarten-VO)

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Arbeitsblatt zu § 8

Das Handwerksrecht

A. Übersicht: I. Bedeutung, Zielsetzung und Anwendungsbereich der HwO

II. Der Handwerksbetrieb und seine Voraussetzungen

III. Überwachung, Untersagung und Löschung

IV. Die Berufsausbildung im Handwerk

V. Die Organisation des Handwerks in Selbstverwaltung

B. Rechtsgrundlagen:

– Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) i.d.F. d. Bek. vom 24.9.1998(m. spät. Änd., zuletzt durch Art. 19 Gesetz vom 25.7.2013 (BGBl. I S. 2749); vgl. dazu dieBerichte von Czybulka, NVwZ 1991, 230 ff.; 1995, 538 ff., 2003, 164 ff.

– Verordnung über die Festsetzung der Lehrzeitdauer im Handwerk vom 23.11.1960 (m. spät. Änd.)– Verordnung über verwandte Handwerke vom 18.12.1969 (m. spät. Änd.)– Verordnung über die Anerkennung von Prüfungen bei der Eintragung in die Handwerksrolle und bei Ablegung der

Meisterprüfung im Handwerk vom 2.11.1982– Verordnung über die Anerkennung von Prüfungen bei Ablegung des Teils IV der Meisterprüfung im Handwerk vom

26.6.1981 (m. spät. Änd.)– Verordnung über gemeinsame Anforderungen in der Meisterprüfung im Handwerk vom 18.7.2000– Verordnung über das Zulassungs- und Prüfungsverfahren für die Meisterprüfung im Handwerk (Meisterprüfungs-

verfahrensordnung – MPVerfVO) vom 17.12.2001– Verordnung über das Schlichtungswesen nach § 16 der Handwerksordnung vom 22.6.2004– Verordnung über den automatisierten Datenabruf der Handwerkskammern nach § 5a Abs. 2 der Handwerksord-

nung vom 22.6.2004– Verordnung über die für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Ver-

tragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz geltenden Voraussetzungenfür die Ausübung eines zulassungspflichtigen Handwerks vom 20.12.2007 (BGBl. I S. 3075); dazu Stork, GewArch.2008, 177 ff.

– Berufsbildungsgesetz vom 14.8.1969 (mit spät. Änd.)

C. Rechtsprechung:

– zum Unionsrecht im Bereich der Handwerksordnung

• EuGH vom 3.10.2000 – C-58/98 „Josef Corsten“ (Unionsrecht verbietet Erlaubnisvorbehaltfür die Verrichtung handwerklicher Tätigkeiten durch in anderen Mitgliedstaaten ansässi-ge Dienstleistende, der geeignet ist, die freie Dienstleistungserbringung zu verzögern oderzu erschweren; die Eintragung in die Handwerksrolle mag zur Qualitätssicherung erfor-derlich sein, darf aber weder zusätzliche Verwaltungskosten noch die Verpflichtung zurZahlung von Beiträgen an die Handwerkskammer nach sich ziehen); dazu Früh, EuZW2000, 767 f.; Basedow, EuZW 2001, 97; Meyer, GewArch. 2001, 265 ff.; Diefenbach, Gew-Arch. 2001, 305 ff. und 353 ff.; Stork, WuV 2001, 229 ff.

• EuGH vom 11.12.2003 – C-215/01 „Bruno Schnitzer“ (Verpflichtung eines in einem ande-ren Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden zur Eintragung in die deutsche Handwerks-rolle darf die Erbringung der Dienstleistung nicht verzögern, erschweren oder verteuern,wenn die erforderlichen und in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen beruflichen Qua-lifikationen anerkannt werden müssen; auch wenn der Handwerker wiederholt oder mehroder weniger regelmäßig Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbringt, mußer dort nicht über eine eigene Infrastruktur verfügen, von der aus er tätig wird); dazuLottes, EuZW 2004, 112 ff. – Fall bei Korte/Fischer/Jacob, JuS 2005, 147 ff.

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– zur Handwerksordnung

• BVerfGE 11, 310 (322 ff.) (Differenzierung zwischen Gesellen und anderen Arbeitnehmernin der sozialen Selbstverwaltung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG

• BVerfGE 13, 97 ff.; dazu Reuß, DVBl. 1961, 865 ff.; Roellecke, GewArch. 2002, 321 ff. (Gro-ßer Befähigungsnachweis für das Handwerk [„Meisterbrief“] ist mit Art. 12 GG vereinbar;er dient der Erhaltung des Leistungsstandes und der Leistungsfähigkeit des Handwerkssowie der Sicherung des Nachwuchses für die gewerbliche Wirtschaft)

• BVerfGE 15, 235 (239 ff.); 32, 54 (64 ff.) (Pflichtmitgliedschaft von Handwerkern in einerHandwerkskammer rechtfertigt sich [analog zur IHK] aus der Eigenart des Handwerks alssozialer Gruppe und entspricht der Rechtstradition; sie ist mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar)

• BVerfGE 32, 54 (63 ff.) (Einordnung eines bestimmten Handwerks in die Anlage A oder Bder HwO berührt Art. 12 Abs. 1 GG nicht und ist mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar)

• BVerfGE 23, 50 (56 ff.); dazu Palaczek, GewArch. 1968, 111; E 41, 360 (370 ff.); dazu Leib-holz, NJW 1976, 2121 f., und Wuttke, JZ 1977, 90 ff.; E 87, 363 (382 ff.); dazu Sachs, JuS1993, 863 f., und Honig, WRP 1996, 1077 ff. – „Nachtbackverbot“ (Schutz kleiner und mit-telständischer Bäckerei-Handwerksbetriebe gegen industrielle Back-Unternehmen ist mitArt. 12 GG vereinbar)

• BVerfGE 68, 193 (205 ff.); dazu Spilarewicz, JA 1985, 541 ff. (Handwerksinnungen undihre [privatrechtlich organisierte] Dachvereine sind nicht grundrechtsfähig)

• BVerfG (K), NJW 2000, 2736 (zu BGH, NJW 1999, 865 ff.) (wettbewerbsrechtliches Verbotfür [heilberufliches Hilfs-]Angebot eines Augenoptikers, beim Kunden den Augeninnen-druck mit berührungsloser Technik zu messen, ist zum Schutz der Gesundheit des Kundennicht erforderlich und verstößt deshalb gegen Art. 12 Abs. 1 GG)

• BVerfG (K), NVwZ 2001, 187 f.; dazu Jahn, GewArch. 2000, 278 f.; Mirbach, NVwZ 2001,161 ff. (Art. 12 Abs. 1 GG erfordert eine strikt am Grundsatz der Berufswahlfreiheit unddem Übermaßverbot orientierte Auslegung der HwO, vor allem bei der Abgrenzung vonNichthandwerk [z.B. Einzelhandel] und darauf bezogenen handwerklichen Hilfstätigkei-ten, Minderhandwerk und Vollhandwerksbetrieb [§§ 2, 3 HwO])

• BVerfG, GewArch. 2006, 71 ff.; dazu Dürr, GewArch. 2007, 18 ff.; Leisner, GewArch. 2006,393 ff.; Rieger, DÖV 2006, 685 ff. (Verhältnismäßigkeit des Meisterzwangs [„großer Be-fähigungsnachweis“] angesichts der Veränderung der rechtlichen und wirtschaftlichenUmstände heute [2003] zweifelhaft, da eventuell nicht mehr geeignet und zumutbar; dahergroßzügige Auslegung und Handhabung des § 8 HwO verfassungsrechtlich geboten); eben-so nunmehr OVG Münster, GewArch 2008, 310 f.

• BVerfG (K), GewArch. 2007, 206 ff. (<– BayVGH, GewArch. 2006, 34 ff.; VG Würzburg,GewArch. 2005, 259 f.) (Betretungs- und Besichtigungsrecht der Handwerkskammern istmit Art. 13 GG nur dann vereinbar, wenn es ausschließlich dazu in Anspruch genommenwird, eintragungsfähige Betriebe zu überprüfen; allgemeine Kontrollen zur Aufrechter-haltung von Recht und Ordnung im Handwerk, z.B. gegenüber Reisegewerbetreibenden,sind nicht eingeschlossen); dazu Maiwald und Wolff, GewArch. 2007, 208 ff., 231 ff.;Schmitz, GewArch. 2009, 237 ff. – Ebenso nunmehr für den Auskunftsanspruch der Hand-werkskammer VG Hannover, GewArch. 2008, 408 ff.; OVG Münster, GewArch. 2015, 135 f.

• BVerwGE 17, 230 ff.; dazu Menger, VerwArch. 55 (1964), 275 ff.; E 25, 66 ff.; dazu Per-kuhn, BB 1967, 1918 f. (Expreß-Schuhbar [„Mister Minit“ u.ä.] ist kein handwerksmäßigbetriebenes Gewerbe)

• BVerwGE 18, 226 ff. (zur Abgrenzung von Handwerksbetrieb und Industriebetrieb)• BVerwGE 67, 273 ff.; BVerwG, NVwZ 1987, 132 f. (ein handwerklicher Nebenbetrieb [zu

einem Handelsgewerbe] i.S.v. § 2 Nr. 3 und § 3 HwO liegt vor, wenn im Rahmen des Han-delsgewerbes wesentliche Arbeiten eines bestimmten Handwerks vorgenommen werdenund diese fachlich so mit dem Handelsgewerbe verbunden sind, daß sie vom wirtschaftli-chen Standpunkt und Interesse des Kunden her eine sinnvolle Ergänzung zu diesem dar-stellen [z.B. Verkauf industriell gefertigter Normfenster mit Einsetzen beim Kunden bzw.Tankstelle mit Gebrauchtwarenhandel und in diesem Zusammenhang erbrachte Kfz.-Re-paraturleistungen])

• BVerwG, NVwZ-RR 1992, 547 ff. (Einbau industriell vorgefertigter Rolläden beim Kundendurch den Verkäufer muß kein Handwerk i.S.v. § 1 Abs. 2 HwO sein, wenn keine qualifi-zierten Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, sondern eine Anlernzeit von weni-gen Monaten ausreicht); in dieser Richtung auch LG Hof, GewArch. 2008, 311 f., und OLG

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Bamberg, GewArch. 2009, 39 f. (Reifenmontage und Auswuchten); VGH Mannheim, Gew-Arch. 2008, 249 f. (Nagelstudio)

• VGH Mannheim, GewArch. 2004, 21 ff. (Erteilung der Ausnahmebewilligung nach § 8HwO setzt nicht nur eine langjährige Berufserfahrung im angestrebten Handwerk voraus,sondern auch den Nachweis fachtheoretischen, betriebswirtschaftlichen, kaufmännischenund rechtlichen Grundlagenwissens, der u.a. durch eine besondere Eignungsprüfung erfol-gen kann)

• VG Stuttgart, GewArch. 2004, 35 f. (das mehrfache Nichtbestehen der Meisterprüfungstellt keine unzumutbare Belastung i.S.v. § 8 HwO dar und begründet daher keinen Aus-nahmefall i.S.d. Norm)

• BayVGH, GewArch. 2005, 156 f.; VG Ansbach vom 18.8.2004 – AN 4 K 04.00858 – und vom13.1.2005 – AN 4 K 04.01149 – JURIS (auf den nach § 7b HwO geforderten Zeitraum einerinsgesamt sechsjährigen Berufstätigkeit als Geselle sind weder Ausbildungszeiten noch– „illegale“ – Zeiten außerhalb einer regulären Tätigkeit in einem Handwerksbetrieb anre-chenbar [letzteres zw.]; auch müssen die Tätigkeiten in eigenverantwortlicher Entschei-dungsbefugnis im einzelnen nachgewiesen werden)

• VG Köln, GewArch. 2006, 168 ff.; VG Gelsenkirchen, GewArch. 2008, 81 ff. (für Beurtei-lung des beruflichen und schulischen Werdegangs nach § 7b HwO ist eine Gesamtbetrach-tung erforderlich, an die keine zu strengen rechtlichen Maßstäbe zu legen sind); dazu auchZimmermann, GewArch 2008, 334 ff.

• BVerwGE 140, 276 ff.; dazu Bulla, GewArch. 2012, 470 ff.; Grünewald, NVwZ 2012, 736 ff.;Rieger, GewArch. 2012, 477 ff.; Schmitz, GewArch. 202, 42 f.; Selmer, JuS 2012, 666 ff.;Wiemers, NVwZ 2012, 284 ff. (die Abhängigkeit der Ausübung eines zulassungspflichtigenHandwerks [hier: Dachdecker] von der Eintragung in die Handwerksrolle und den Voraus-setzungen hierfür [Meisterprüfung] ist auch unter Berücksichtung der Tatsache, daß EU-Handwerker dieses Handwerk unter erleichterten Bedingungen in Deutschland ausübendürfen, mit Art. 12 Abs. 1 [Berufsfreiheit] und Art. 3 Abs. 1 GG [„Inländerdiskriminie-rung“] vereinbar); ebenso VGH Mannheim, GewArch. 2013, 213 ff.; OVG Koblenz, Gew-Arch. 2013, 126 ff.

• BGH, GewArch. 2013, 407 ff. (Gebot der Meisterpräsenz gebietet für Hörgeräteakustikernicht, daß sie durchgängig in ihrem Geschäft anwesend sind; im Fall ihrer Abwesenheitdürfen Dienstleistungen erbracht werden, die nicht notwendig die Anwesenheit des Mei-sters erfordern; dazu Hüpers, GewArch. 2013, 409 f.; Detterbeck, GewArch. 2014, 147 ff.

• BVerwG, GewArch. 2014, 317 ff. (gesetzliche Eintragungspflicht [d.h. grundsätzlich Mei-sterpflicht] für das Maler- und Lackiererhandwerk stellt keine unverhältnismäßige Be-schränkung der Berufsfreiheit dar, obwohl diese Anforderungen im europäischen Auslandnicht existieren und der deutsche Berufstätige somit „inländerdiskriminiert“ wird)

D. Literatur:

Frotscher, § 16; Ruthig/Storr, § 5; Schliesky, S. 221 ff. (ohne Änderungsgesetze 2003);Schmidt/Wollenschläger, § 10; Stober, BesWiVerwR, § 48

– zur Handwerksordnung allgemein• Günther, Die Unterscheidung zwischen Handwerk und Industrie vor dem Hintergrund der

wirtschaftlichen Entwicklung, GewArch. 2012, 16 ff.• Schwannecke, Der Meisterbrief des Handwerks: ein Qualifikationsinstrument mit Zu-

kunft?, WuV 2003, 193 ff.• Webers, Das Handwerk im Spiegel des Grundgesetzes, WuV 2001, 260 ff.• Müller, Handwerksnovelle von 2003. Was waren die Ergebnisse?, GewArch. 2016, 54 ff.

– zum Verhältnis von Unionsrecht und Handwerksordnung• Gerhardt, Zu neueren Entwicklungen der sogenannten Inländerdiskriminierung im Ge-

werberecht, GewArch. 2000, 372 ff. (dazu kritisch Früh, GewArch. 2001, 58 ff.)• Leisner, Handwerksrecht und Europarecht. Verstößt der Große Befähigungsnachweis

gegen Gemeinschaftsrecht?, GewArch. 1998, 445 ff.• Özfirat-Skubinn, Das Auskunfts- und Nachschaurecht der Handwerkskammern und der

grundrechtliche Anspruch auf Verfahrenstrennung, VBlBW 2011, 178 ff.

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• Schwannecke, System und Fortentwicklung der Anerkennung von Qualifikations- undBefähigungsnachweisen auf europäischer Ebene und seine Ausstrahlung auf das Hand-werk, WuV 2001, 247 ff.

• Winkel, Freizügigkeit und Anerkennung von Befähigungsnachweisen nach EU-Recht,WuV 1998, 83 ff.

– zur Novellierung der Handwerksordnung 2003 und ihren Folgen• Albers, „Inländerdiskriminierung“ am Beispiel des Handwerksrechts, JZ 2008, 708 ff.• Baumeister, Handwerksrechtliche Zulassungspflicht für „gefahrgeneigte“ Minderhandwer-

ke oder Neben- und Hilfsbetriebe?, GewArch. 2007, 310 ff.• Beaucamp, Meister ade – zur Novelle der Handwerksordnung, DVBl. 2004, 1458 ff.• Erdmann, Das System der Ausnahmetatbestände zur Meisterprüfung im Handwerks-

recht, DVBl. 2010, 353 ff.• Honig, Handwerksordnung – quo vadis?, NVwZ 2003, 172 ff.• Kormann/Hüpers, Zweifelsfragen der HwO-Novelle 2004, GewArch. 2004, 353 ff.• Kormann/Hüpers, Inländerdiskriminierung durch Meisterpflicht?, GewArch. 2008, 273 ff.• Kramer, Die Meisterpflicht im Handwerk – Relikt oder Weg in die Zukunft?, GewArch.

2013, 105 ff.• Müller, Die Novellierung der Handwerksordnung 2004, NVwZ 2004, 403 ff.• Müller, Meisterpflicht und Gefahrgeneigtheit, GewArch. 2007, 361 ff.• Schreiner, Reisegewerbe und Handwerk, GewArch. 2015, 233 ff.• Schwannecke/Heck, Die Handwerksordnungsnovelle 2004, GewArch. 2004, 129 ff.• Stober, Anmerkungen zur Reform der Handwerksordnung, GewArch. 2003, 393 ff.• Wiemers/Sonder, Das Handwerksrecht zwischen Liberalisierung und Europäisierung,

DÖV 2011, 104 ff.

E. Das Thema in Stichworten:

I. Bedeutung, Zielsetzung und Anwendungsbereich der HwO

– Spezielles Gewerbe (sonder)recht für das Handwerk; für den in diesen Berufen Tätigen oderdaran Interessierten ebenso bedeutsam wie für die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung.Dabei in erster Linie kleine und mittlere Betriebe im Visier des Gesetzgebers –> Mittelstandund Ein-/Mehrmannbetriebe; kaum großflächig tätige Handwerksunternehmen

– Daher besondere Bedeutung des Handwerksrechts im Rahmen des Gewerberechts (früherTeil der Gewerbeordnung, Titel VI und VI a) –> HwO i.d.F. von 1998, aber mit grundlegen-den Änderungen durch mehrere Gesetze vom 24.12.2003; daneben GewO nachrangig an-wendbar (–> Dürr, GewArch. 2006, 107 ff.), falls erforderlich, z.B. bei gemischten Betriebenoder bei Zugriffen auf den Betriebsleiter wegen persönlicher Eigenschaften

– Im Handwerksrecht erheblicher Wandel nach wirtschaftlicher Bedeutung in den letztenJahren: Selbstvornahme der Dienstleistung durch Heimwerker, Verdrängungswettbewerbzugunsten von Industrie (Standardfertigung mit erleichtertem Einbau) und Handel (Service-leistungen nach Verkauf), auch Verdrängungswettbewerb durch kommunale Dienstleisterund freie Berufe; zudem Konkurrenz durch „EU-Handwerker“ mit Schutz der Grundfreihei-ten

– Zielsetzung des Handwerks im allgemeinen:• anders als im Gewerberecht nicht Schwerpunkt der Gefahrenabwehr und Ordnung der

Wirtschaftstätigkeit (aber: indirekt durch Qualitätssicherung i.S.v. Zulassungskontrollequalifizierter Gewerbetreibender), sondern

• Erhaltung des Leistungsstands und der Leistungsfähigkeit des Handwerks an sich –>Mittelstandsschutz und Qualitätssicherung der Leistung auf kleiner betrieblicher Ebene,außerdem Sicherung des Nachwuchses für die gewerbliche Wirtschaft durch Ausbildungs-leistung des Handwerks

• Ziel der HwO daher: (1) Strukturpolitik, (2) Berufsstands-Schutz, (3) Qualitätssicherungdurch Zugangsbeschränkung, damit indirekt auch Verbraucherschutz; nicht: Zuverlässig-

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keit i.S.v. ordnungsgemäßer Gewerbetätigkeit –> keine Zuverlässigkeitsregelung in HwO,daher Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO als lex-generalis-Ergänzung anwendbar

– Besondere Zielsetzung hat zur Folge, daß HwO im Grundsatz von einer besonderen Zulas-sung zum Beruf ausgeht und diese im Nachweis der Befähigung sieht, das konkrete Hand-werksgewerbe selbständig auszuüben –> Großer Befähigungsnachweis, d.h. (seit 1935) Be-stehen der Meisterprüfung mit Meisterbrief erforderlich; Voraussetzung hierfür wiederum:Gesellenprüfung (früher mit mehrjähriger Berufspraxis) bzw. mehrjährige einschlägige Be-rufstätigkeit

– Daher doppelte Problemstellung dieser Festlegung auf qualitativ besonders anspruchsvolleGewerbeerlaubnis:• 1. Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit für Angehöriger anderer Mitgliedstaaten der

EU, die Befähigungsnachweis nicht besitzen, aber nach dem Recht ihres Mitgliedstaatesden Handwerksberuf legal ausüben können (oben –> BVerfG, GewArch. 2006, 71 ff.)

• 2. nationale Beschränkung der freien Berufstätigkeit für Deutsche –> Art. 12 Abs. 1 GG

– 1. Problem der Niederlassungsfreiheit (wenn dauerhafter Tätigkeitsaufenthalt in Deutsch-land) bzw. (zumeist) der Dienstleistungsfreiheit (wenn – im Sinn aktiver D. – ausländischerHandwerker Dienstleistung in Deutschland erbringen will, Betrieb aber im Mitgliedstaataufrechterhält). Hierbei gilt: • Art. 57 Abs. 2 lit. c) AEUV schließt handwerkliche Tätigkeiten ausdrücklich in den Schutz-

bereich der Dienstleistungsfreiheit ein• Binnenmarktprinzip gestattet Angehörigen eines Mitgliedstaats Handwerkertätigkeit in

Deutschland nach Maßstäben, die im Heimatstaat des Handwerkers gelten. Dort Aus-übung des Handwerkerberufs regelmäßig – ausgenommen Luxemburg – ohne Meister-prüfung o.ä. zulässig. Außerdem verbietet Art. 56 AEUV dem Mitgliedstaat, daß die Ver-richtung handwerklicher Leistungen dadurch erschwert, verzögert oder anderweitig un-möglich gemacht werden darf, daß besondere Erlaubnis eingeholt werden muß oder be-stimmte Registrierungsformen mit besonderem Zeitaufwand oder Kostenaufwand einge-halten werden müssen. Mitgliedstaat darf zwar eine Registrierung verlangen, aber darankeine aufwendigen Verwaltungsverfahren oder Zwangsmitgliedschaften anknüpfen.

• Gegenseitige Anerkennung von Befähigungsnachweisen in Art. 53 AEUV (i.V.m. Art. 62AEUV) –> standardisierte Öffnung des Dienstleistungsmarktes durch mehrere Richtlinien(z.B. RL 89/48/EWG des Rates vom 21.12.1988, ABl. 1989, L 19/16 ff. [zuletzt geändert durch RL 2001/19/EG vom14.5.2001, ABl. L 206/1] über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine minde-stens dreijährige Berufsausbildung abschließen; RL 92/51/EWG vom 18.6.1992, ABl. 1992, L 209/25 ff. [zuletztgeändert durch VO (EG) Nr. 1882/2003 vom 29.9.2003, ABl. L 284/1] über eine zweite allgemeine Regelung zurAnerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG; RL 1999/42/EG desEuropäischen Parlaments und des Rates vom 7.6.1999 über ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungs-nachweise für die unter die Liberalisierungs- und Übergangsrichtlinien fallenden Berufstätigkeiten in Ergän-zung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise, ABl. 1999, L 201/77 ff.)

• Dort Anerkennung eines beruflichen Befähigungsnachweises des jeweiligen Mitgliedstaa-tes oder sechsjährige Berufserfahrung in selbständiger oder leitender Stellung; falls drei-jährige Ausbildung oder fünfjährige Berufspraxis vorausgeht, reicht dreijährige Berufs-erfahrung aus => nationale Pflicht zur Anerkennung von Berufserfahrungen, die in einemanderen Mitgliedstaat erworben worden sind; evtl. Anpassungslehrgang oder Eignungs-prüfung in Deutschland –> § 9 HwO + VO, –> ergänzend § 50a HwO

• insoweit aber Problem für deutsche Handwerker (auch für sie gilt Unionsrecht mit § 9HwO): Anforderungen an großen Befähigungsnachweis = Meisterprüfung weitaus höherals ausländische Qualifikationen (und zudem teuer und zeitaufwendig) –> Inländerdis-kriminierung (umgekehrte Diskriminierung)? –> Albers

• nach Unionsrecht: unerheblich, da nicht Gegenstand des Primärrechts (Art. 56 AEUV),weil nicht auf grenzüberschreitende Sachverhalte angelegt; Mitgliedstaat kann für eigeneAngehörige höhere Anforderungen stellen (allerdings nicht mehr unbestritten)

• nach Grundgesetz, Art. 3 Abs. 1 GG: Willkürverbot, wonach eigene Staatsangehörigeschlechter gestellt werden beim Zugang zum Beruf als Angehörige von EG-Mitgliedstaa-ten. Rspr.: Bindungswirkung nur im Rahmen des eigenen Herrschaftsbereichs, d.h. eigen-ständige nationale Rechtsetzung; daher Rechtfertigung eben durch besondere Bedingun-gen des Unionsrechts gegeben (Art und Gewicht der Differenzierung tragfähig); Schrift-tum: keine Rechtfertigung unterschiedlicher Behandlung anhand der Unionsbürgerschaftbzw. Staatsangehörigkeit erkennbar, daher Diskriminierung unzulässig

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– 2. Neben Art. 3 Abs. 1 GG auch Art. 12 Abs. 1 GG einschlägig, allerdings isoliert auf Recht-fertigung für Berufswahlschranke bezogen (subjektive Zulassungsvoraussetzung)• BVerfG frühzeitig für Verfassungsmäßigkeit des Großen Befähigungsnachweises (E 13, 97

ff.), auch und gerade unter wirtschaftspolitischer und ausbildungsbezogener Zielrichtung;seither freilich erhebliche Änderung der Handwerkstätigkeit, u.a. Ausdifferenzierung derBerufstypik und ihrer Inhalte, außerdem Verschiebung der Schnittstellen zur industriel-len Produktion; zudem durch jüngste Handwerksnovelle 2004 Akzentuierung bzw. Rück-besinnung der tragenden Elemente der Handwerksordnung auf ordnungsrechtliche undgefahrenabwehrrechtliche Aspekte. Daher: BVerfG verschärft nunmehr Kontrolle derVerhältnismäßigkeit handwerklicher Reglementierung und zwingt Verwaltung zu ein-zelfallbezogenem Prüfverfahren zugunsten von Zulassungserleichterungen

– Anwendungsbereich der HwO im einzelnen (bedeutsam für: Meisterzwang, der über Zugangzum Handwerksberuf entscheidet; Zugehörigkeit zur Handwerkskammer mit Zwangsmit-gliedschaft und Beitragspflicht; Mitgliedschaft in der Innungskrankenkasse der Handwerker[freiwillig]) • Verhältnis HwO – GewO, § 1 Abs. 1 Satz 1 HwO: Betrieb als stehendes Gewerbe –> Ge-

werbebegriff mit Niederlassung (§ 42 GewO) Voraussetzung. Aber Handwerkstätigkeitauch im Reisegewerbe zulässig, selbst wenn Betreiber keinen Befähigungsnachweis hat

• Abgrenzungsfragen: auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit?, nicht-gewerbliche, weilfreiberufliche Tätigkeit?, nicht-gewerbliche, weil künstlerische Tätigkeit?

• Betrieb eines Handwerks-Gewerbes: mangels geeigneter Definitionselemente keine Rege-lung im Gesetz => dynamischer Handwerksbegriff mit Katalogregelung der einbezogenenund daher handwerklichen Gewerbetätigkeiten.

• Def.: Handwerksbetrieb liegt vor, wenn das betriebene Gewerbe handwerksfähig und dabeihandwerksmäßig betrieben wird (beachte: ist nicht zwingend Voraussetzung für Zulas-sungsvorschriften, da HwO zwischen zulassungspflichtigem und nichtzulassungspflichti-gem Handwerk unterscheidet)

– Handwerksfähigkeit des Gewerbes, enthält qualitative und quantitative Anforderungen:• qualitativ = welche Tätigkeit? –> Anlage A für zulassungspflichtige Handwerke, nach

Ermächtigung in § 1 Abs. 3 HwO änderungsfähig, allerdings nicht ergänzungsfähig durchVerwaltung. Wer eine dem Berufsbild einer der in Anlage A festgelegten Tätigkeiten (Kri-terium: Gefahrenpotential für Leben oder Gesundheit Dritter) vollständig ausgeübte Tä-tigkeit wahrnimmt, ist Handwerker und daher zulassungspflichtig, d.h. meisterpflichtig

• Abgrenzung zur nicht vollständigen Ausübung eines solchen Handwerks: auch Ausübungwesentlicher Tätigkeiten reicht aus, nicht aber unwesentliche Tätigkeit (Erlernbarkeitinnerhalb eines Zeitraums von weniger als drei Monaten bzw. längere Anlernzeit, abernebensächliche Inhalte, weil unwesentlich, untypisch oder hilfsweise)

• ebenfalls handwerksfähig, aber nicht zulassungspflichtig, sind bestimmte Tätigkeit mitgeringem Gefahrenpotential, die über § 18 HwO entweder zulassungsfrei gestellt sind= kein Meisterzwang –> Anlage B Abschnitt 1 = zulassungsfreies Handwerk, oder zulas-sungsfrei gestellt sind = kein Meisterzwang und darüber hinaus von geringer wirtschaftli-cher Bedeutung –> Anlage B Abschnitt 2 = handwerksähnliches Gewerbe

– Handwerksmäßigkeit des Gewerbes, § 1 Abs. 2 Satz 1 HwO, fordert handwerksmäßigen Be-trieb –> Abgrenzung gegenüber Industriebetrieb: nicht jedes Gewerbe der Anlage A bzw. Berster Abschnitt muß als Handwerk betrieben werden.• Abgrenzung zwischen Handwerk und Industrie nach Gesamtbild und Struktur des kon-

kreten Betriebs, dabei gängige Kriterien: Arbeitsteilung, Kapitaleinsatz, Handarbeit, Be-schäftigungszahl, Betriebsgröße, Ausgestaltung des Inhalts der Tätigkeit, Fertigungsva-riabilität, Arbeitssteuerung durch Kunden, Absatzmarktbegrenzung

• Kriterien daher für Handwerksbetrieb: primär handwerkliche Tätigkeit, kein reiner Ma-schineneinsatz => Handarbeit; hohe Flexibilität und Kreativität, da im Wesentlichen Son-deranfertigung für den einzelnen Kunden => Maßanfertigung; hoher Anteil an Mitarbeit,Kenntnis und Fähigkeiten des Inhabers des Handwerksgewerbes => Meisterpräsenz

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– Formen des Handwerksbetriebs: • als Hauptbetrieb i.S.v. § 1 Abs. 1 HwO, der natürlichen Personen, Personengesellschaften

und juristischen Personen zugänglich ist und auch gewerbliche Betriebe des Staates(Bund/Länder/Gemeinden) einschließt, § 2 Nr. 1 HwO. Dabei können in einem (Haupt-)Betrieb selbstverständlich verschiedene Handwerke nebeneinander ausgeübt werden

• als Nebenbetrieb, § 2 Nr. 2, 3 HwO –> Definition in § 3 Abs. 1 HwO; abgrenzbare Einheit,die nach Aufgabe und Einrichtung eine gewisse Eigenständigkeit hat, also nicht nur un-selbständige Abteilung ist; außerdem muß dienende Funktion zum Hauptbetrieb bestehen–> aus Sicht von außen (Kunde) zweckmäßige Ergänzung und Erweiterung der Leistungendes Hauptbetriebs. Dabei immer Voraussetzung: handwerklicher Betriebsteil hat eigenenZugang zum Markt. Folgen als Nebenbetrieb: selbst Handwerksbetrieb, auch wenn z.B.mit Handelsgewerbe verbunden –> Meisterpflicht, Kammerzwang usw.

• Ausnahme, wenn Nebenbetrieb unerheblich i.S.v. § 3 Abs. 2 HwO (Herausnahme derFeierabend-Handwerker).

• Auch ausgenommen, wenn nur Hilfsbetrieb i.S.v. § 3 Abs. 3 HwO = unselbständige Hand-werksbetriebe, deren Zweck allein die Zuarbeit zum Hauptgewerbe ist („Angebot aus einerHand“) und der keinen eigenen Zugang zum Markt hat oder nur untergeordnete Arbeiten(Serviceleistung) gegenüber dem Kunden erbringt; Folge als Hilfsbetrieb: selbst keinHandwerksbetrieb, daher kein Meisterzwang und keine Kammerzugehörigkeit

II. Der Handwerksbetrieb und seine Voraussetzungen im einzelnen

– Systematik der HwO:• (1) wenn handwerksfähig und handwerksmäßig i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 HwO => § 1 Abs. 1

HwO, Zulassungspflicht durch Gewerbeerlaubnis in Form der Eintragung in die Hand-werksrolle (§ 6 HwO)

• (2) wenn zulassungsfreies handwerksfähiges Gewerbe i.S.v. § 18 Abs. 2 Satz 1 (m. AnlageB 1) => keine Zulassungspflicht, keine Eintragung in Handwerksrolle, aber Anzeigepflicht(§ 18 Abs. 1 Satz 1 HwO)

• (3) wenn handwerksähnliches Gewerbe i.S.v. § 18 Abs. 2 Satz 2 HwO (m. Anlage B 2) =>keine Zulassungspflicht, keine Eintragung in Handwerksrolle, aber Anzeigepflicht (§ 18Abs. 1 Satz 1 HwO)

• (4) wenn Hilfsbetrieb (§ 3 Abs. 3 HwO) oder Minderhandwerk (§ 1 Abs. 2 Satz 2 HwO) =>keine Anwendbarkeit der HwO, daher GewO einschlägig

– (zu 1) § 1 Abs. 1 HwO, Zulassungspflicht i.S.v. Gewerbeerlaubnis durch Eintragung in dieHandwerksrolle = von der Handwerkskammer geführtes Verzeichnis (§ 6 HwO), das als mitöffentlichem Glauben ausgestattetes Register ausgestaltet ist –> Beweisfunktion für undgegen jedermann über die Richtigkeit der dort enthaltenen Tatsachen (§ 7 HwO – Betriebs-leiterprinzip)• Konsequenzen der Eintragung: Mitteilung der Eintragung, § 11 HwO (VA), danach Be-

scheinigung über erfolgte Eintragung an den Handwerker = Handwerkskarte, § 10 Abs. 2HwO (VA); Anspruch auf Einzelauskunft, § 6 Abs. 2 HwO

• Voraussetzung der Eintragung: Großer Befähigungsnachweis durch Meisterprüfung, §§ 45ff. HwO, dabei nachzuweisen (§ 45 Abs. 3 HwO): 1. meisterhafte Verrichtung der wesentli-chen Tätigkeiten des ausgeübten Handwerks, 2. Besitz der erforderlichen fachtheoreti-schen Kenntnisse, 3. Besitz der erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischenund rechtlichen Kenntnisse, 4. Besitz der erforderlichen berufs- und arbeitspädagogischenKenntnisse (–> Ausbildungsqualifikation)

• jeder Prüfungsteil kann einzeln und zeitlich getrennt vor unterschiedlichen Prüfungsaus-schüssen abgelegt werden; er ist jeweils als VA anzusehen und daher einzeln anfechtbar

• Zur Meisterprüfung wird zugelassen: Geselle mit Prüfung, auch in einem anderen Hand-werk, dann aber nur nach maximal dreijähriger Berufstätigkeit; Bewerber mit fachlichgleichwertigen Qualifikationen, wenn anerkannt

• Prüfung erfolgt durch Meisterprüfungsausschüsse, d.h. staatliche Behörden am Sitz derHandwerkskammer => Berechtigung zum Führen des Meistertitels, § 51 HwO; falls wider-rechtlich geführt, Bußgeld nach § 117 HwO. Merke: Führung des Meistertitels nicht durchEintragung in die Handwerksrolle über Ausnahmeregelung zu erwerben, daher dann auchkeine Berechtigung zur Lehrlingsausbildung

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– zwar nach § 7 Abs. 1a HwO grundsätzlich Voraussetzung, daß Eintragung in HandwerksrolleMeisterprüfung voraussetzt; aber daneben Ausnahmen von der konkreten Meisterpflicht(Separationsgrundsatz), dort ebenfalls Eintragung in die Handwerksrolle:• § 7 Abs. 1 HwO, verwandte Handwerke, die dann zusammen im vollen Umfang ausgeübt

werden können• § 7 a HwO, Ausübungsberechtigung, um Erweiterung des Leistungsangebots zu ermögli-

chen, wenn Kenntnisse hierfür nachgewiesen werden• § 7 b HwO (seit 2004), Ausübungsberechtigung für „Altgesellen“• § 8 HwO, klassische Ausnahmebewilligung (infolge –> BVerfG [GewArch. 2006, 71 ff.]

verfassungspraktisch parallele Normalität zum Meisterzwang)• § 9 HwO, Ausnahmebewilligung für EG/EWR-Angehörige (ergänzend zu § 7 Abs. 2a HwO,

dort allgemeine Eintragung) durch höhere Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Hand-werkskammer

– von besonderer Bedeutung dabei die Ausnahmen (2) § 7b HwO und (3) § 8 HwO• (zu 2) besondere Ausübungsberechtigung für bestimmte zulassungspflichtige Handwerke

(Anlage A, aber nicht Nr. 12, 33–37) –> Anspruch der Gesellen auf Handwerkerrollenein-tragung (§ 7 Abs. 7 HwO) unter bestimmten Voraussetzungen. Sinn und Zweck: Anglei-chung an Rechtsstatus der EG-Angehörigen (nach RL) bezweckt, daneben Lockerung desBerufszugangs allgemein –> mittelfristig faktische Beseitigung der Meisterpflicht für dieerfaßten Handwerke möglich

• (zu 3) Ausnahmebewilligung (klassischer Fall) für alle zulassungspflichtigen Handwerke–> Anspruch auf Eintragung in die Handwerksrolle (§ 8 HwO), wenn 1. die zur selbständi-gen Ausübung des jeweiligen Handwerks notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten nach-gewiesen werden (z.B. durch Zusatzkurse im Handwerksberuf, Fachstudium) und 2. der(normale) Weg über eine Meisterprüfung für den Antragsteller eine unzumutbare Bela-stung darstellt oder der Antragsteller bereits eine qualitativ vergleichbare Prüfung be-standen hat (z.B. bei: gesundheitlichen Gründen, körperlicher Beeinträchtigung, fortge-schrittenem Alter, drohender Arbeitslosigkeit wegen Betriebsschließung, nicht: nicht be-standene Meisterprüfung). Dabei beachtlich Zeitpunkt der Antragstellung, nicht Verhaltenin der Vergangenheit

III. Überwachung, Untersagung und Löschung

– Gewerbetreibende, die in die Handwerksrolle eingetragen sind oder eingetragen werden müs-sen –> § 7 HwO, unterliegen der Überwachung durch die Handwerkskammer, § 17 HwO• Auskunftspflicht über Art und Umfang des Betriebs, Zahl der dort beschäftigten Personen,

Prüfungen des Betriebsinhabers und Betriebsleiters und Ausgestaltung des vertraglichenBetriebsleiterverhältnisses; letzteres auf Eignungsvoraussetzungen nach § 1 HwO zurück-zuführen, treffen Betriebsleiter bei größerem Unternehmen, der nach vertraglicher Ein-ordnung bestimmenden Einfluß auf Handwerkstätigkeit im Betrieb nehmen können undaußerdem die ihm übertragenen Leistungen und Aufgaben auch tatsächlich wahrnehmenkönnen muß; problematisch bei Zweigstellen oder Außenniederlassungen größerer Unter-nehmen => u.U. Pflicht zur Bestellung eines jeweils eigenen Handwerks-Betriebsleiters

• Duldungspflicht für Betreten und Überprüfen des Betriebs durch die Beauftragten derHandwerkskammer, § 17 Abs. 2 HwO

– Bei Ausübung des Handwerksbetriebs entgegen den Vorschriften der HwO – zumeist, weilGewerbetreibender zulassungspflichtiges Handwerk betreibt und nicht in die Handwerks-rolle eingetragen ist oder bei größeren Handwerksbetrieben nicht die geforderte Qualifika-tion erfüllt – kann Gewerbeaufsichtsbehörde von Amts wegen oder auf Antrag der Hand-werkskammer Fortsetzung des Betriebs untersagen, § 16 Abs. 3 HwO. Kommt Handwerks-unternehmen dieser (bestandskräftigen) Untersagungsverfügung nicht nach => Schließungs-befugnis, § 16 Abs. 9 HwO

– Löschung des Eintrags in die Handwerksrolle, wenn Voraussetzungen für Eintragung nichtbzw. nicht mehr vorliegen, auf Antrag des Handwerkers oder der IHK oder von Amts wegen;Gründe:

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• wirksame Untersagung des Handwerks• Verlust der Zulassungsvoraussetzungen, z.B. des Meistertitels oder der Ausnahmebewil-

ligung, weil durch Betrug oder Urkundenfälschung erlangt• Verlust der Zulassungsvoraussetzungen bei EG-Handwerkern nach deren Heimatrecht• Handwerker stirbt und kein Fall des § 4 HwO –> Hinterbliebenenprivileg, setzt aber un-

verzügliche Bestellung eines qualifizierten Betriebsleiters vorausLöschungsverfahren in zwei Stufen: (1) Mitteilung der beabsichtigten Löschung, § 13 Abs. 3HwO (VA), (2) Löschung als Realakt, kann nicht angefochten werden, § 13 Abs. 4 => Rückga-be der Handwerkerkarte

IV. Die Berufsausbildung im Handwerk

– grundsätzlich sind in den gewerberechtlichen Vorschriften keine Regelungen über die be-rufliche Ausbildung, Fortbildung und Umschulung enthalten –> Berufsbildungsgesetz(BBiG), das im Kern das Lehrlingsvertragsrecht und die Gesellenprüfung regelt. Aber: We-gen engen Zusammenhangs von HwO (mit Meisterprüfungsregeln, §§ 45 ff.) und Handwerks-ausbildung ist Berufsbildung im Handwerk im Zweiten Teil der HwO geregelt, der nach § 73BBiG lex specialis zur allgemeinen Berufsbildung ist

– Grundsätze hierfür:• für Ausbildung im Handwerk besondere Qualifikationen erforderlich, (1) persönliche und

fachliche Eignung, § 21 HwO –> im zulassungspflichtigen Handwerk grundsätzlich nurMeister oder in die Handwerksrolle Eingetragener; im zulassungsfreien Handwerk oderhandwerksähnlichen Gewerbe ebenfalls Meister, daneben auch Geselle, gleich qualifizier-ter Ingenieur mit praktischer Berufserfahrung oder Fachkundiger nach besonderer Prü-fung (§ 76 BBiG)

• betriebliche Eignung des Handwerks, u.a. Ausstattung und Größe (wegen Zahl der Azubis)

– Inhalte der Ausbildung in Gestalt sog. Berufsbilder in Ausbildungsordnungen (VO) festge-legt, die die einzelnen Ausbildungsberufe definieren, sie inhaltlich strukturieren und dieAusbildungsziele bestimmen, ebenso die Länge der erforderlichen Ausbildung (§ 25 HwO)

– auch Prüfungswesen wird (inhaltsgleich zu den kaufmännischen Ausbildungsberufen) festge-legt, §§ 31 ff. HwO

V. Die Organisation des Handwerks in Selbstverwaltung

– allgemein –> ArbBl. § 3 – Wirtschaftsverwaltung, dort Grundstrukturen der Selbstverwal-tung i.S.v. mittelbarer Staatsverwaltung. Hier nur Besonderheiten im Handwerk: Förderungder Interessen des Handwerks und Vollzug der HwO – neben den Behörden der Gewerbeauf-sicht – auf doppelter Organisationsebene• durch Handwerkskammern, die auf höherer Ebene nicht öffentlich-rechtlich organisiert

sind (Deutscher Handwerkskammertag, e.V.) = Zusammenfassung aller selbständigenHandwerker auf der Ebene höherer Verwaltungsbehörden; vgl. (1) HwK Ostmecklenburg-Vorpommern in Rostock bzw. Neubrandenburg, (2) HwK Westmecklenburg in Schwerin

• durch Handwerksinnungen und ihre regionalen Untergliederungen = Kreishandwerker-schaft, auf Landes- und Bundesebene zusammengefaßt durch Landesinnungsverband undBundesinnungsverband (§§ 79 ff., 85 HwO) –> Zusammenfassung aller Handwerke nachfachlicher Gliederung

– Handwerkskammer: Zwangskörperschaft (§ 90 Abs. 2 HwO) mit Beitragspflicht für selbstän-dige Handwerker, Inhaber handwerksähnlicher Betriebe, Gesellen, andere Arbeitnehmer mitabgeschlossener Berufsausbildung, Lehrlinge dieser Handwerkstreibenden• Aufgaben (§ 91 HwO): Interessenvertretung, vor allem auf Bundesebene gegenüber Ge-

setzgeber, Ordnung nach innen, Wahrnehmung von staatlichen Vollzugs-Verwaltungsauf-gaben (Pflichtaufgaben, § 91 Abs. 1 HwO, bzw. freiwillige Aufgaben, z.B. Rechtsberatung,Steuerberatung, Kammerzeitung)

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– Handwerksinnungen: freiwillige Zusammenschlüsse, § 52 Abs. 1 Satz 1 HwO mit Gebiets-monopol; Innungsbezirk mindestens Landkreis (dort Kreishandwerkerschaft mit fachlicherKonzentration); dazu Dürr, GewArch. 2009, 54 ff.• Aufgaben der Innung (§ 54 HwO): Förderung der gemeinsamen handwerklichen Inter-

essen, insbesondere Regelung und Überwachung der Lehrlingsausbildung, Abnahme vonGesellenprüfungen, Abschluß von Tarifverträgen, Einrichtung von handwerklichen Unter-stützungskassen, Einrichtung von Krankenkassen für Mitglieder und Angehörige, Öffent-lichkeitsarbeit für das jeweilige Handwerk