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DIE FILES DÜRFEN NUR FÜR DEN EIGENEN GEBRAUCH BENUTZT WERDEN. DAS COPYRIGHT LIEGT BEIM JEWEILIGEN AUTOR.

1

Studienarbeit 2004

Universität Zürich

Psychologisches Institut

Neuropsychologie

Betreuung: Dr.phil. M. Esslen

Informationsverarbeitung im Schlaf

Basil Renz

Seidenstrasse 12

8400 Winterthur

[email protected]

2

1. EINFÜHRUNG .....................................................................................................................3

2. ERSTE STUDIEN ZU GEHIRNPROZESSEN IM SCHLAF .........................................3 3. SCHLAF UND GEHIRNAKTIVITÄT ..............................................................................4

3.1. EINTEILUNG DER SCHLAFSTADIEN ....................................................................................4 3.2. NEUROTRANSMITTER........................................................................................................6 3.3. REGIONALE GEHIRNAKTIVITÄT ........................................................................................6

4. LERNEN UND SCHLAF.....................................................................................................7

4.1. ERSTE ERKENNTNISSE ......................................................................................................7 4.2. DEPRIVATIONSSTUDIEN ....................................................................................................8

5. KONSOLIDATIONSEFFEKTE.........................................................................................9 5.1. DIE VISUELLE DISKRIMINATIONSAUFGABE .......................................................................9 5.2. KONSOLIDATION VON VERSCHIEDENEN GEDÄCHTNISKATEGORIEN ................................10

5.2.1. Wortlisten................................................................................................................10 5.2.2. Räumliche Fähigkeiten ...........................................................................................11 5.2.3. Motorik....................................................................................................................11 5.2.4. Perzeptuelles Sprachverständnis ............................................................................11 5.2.5. Episodisches Wissen ...............................................................................................12

6. KRITISCHE STIMMEN ...................................................................................................12 7. DISKUSSION......................................................................................................................13

8. LITERATURVERZEICHNIS...........................................................................................15

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1. Einführung

Der Schlaf wurde als Forschungsobjekt bis vor 50 Jahren nicht wirklich untersucht, obwohl

wir etwa sieben Stunden pro Tag verschlafen (Dujardin et al., 1989). Das Gehirn ist in dieser

Zeit keineswegs ruhend, sondern gerade während dieser Zeit finden mannigfaltige Prozesse

statt, welche Gedächtnisspuren hinterlassen, die im Wachzustand in Form von zum Teil

bizarren Traumerinnerungen direkt zugänglich sind. Diese Arbeit befasst sich mit den

Gründen für diese unlogischen Träume und in einem zweiten Teil mit der Kontroverse, ob

Schlaf nötig ist, um Gedächtnisinhalte zu konsolidieren. Dies unter anderem am Beispiel einer

bemerkenswerte Studie, die sich mit Texturdiskrimantionsaufgaben befasste und bedeutende

Auswirkungen auf die verschiedenen Theorien bezüglich Gedächtnis und Schlaf hatte.

Anfangs steht jeweils ein kurzer historischer Abriss, gefolgt von neuen Erkenntnissen.

2. Erste Studien zu Gehirnprozessen im Schlaf

Erstaunlicherweise wurden schon vor mehr als 200 Jahren Vermutungen darüber angestellt,

was die Funktion des Schlafs darstellt. David Hartley (1791; zit. nach Allen, 2000) schrieb in

seinem Buch „Observations on Man, his Frame, his Duty, and his Expectations“, die

Gegenassoziationen in unseren Träumen seien

of singular use to us, by interrupting and breaking the course of our associations.

For, if we were always awake, some accidental associations would be cemented by

continuance, as that nothing could afterwards disjoin them, which would be

madness. (http://plato.stanford.edu/archives/win2002/entries/hartley/)

Im Jahr 1900 weckte die Publikation von Freud Traumdeutung das Interesse an Träumen aufs

neue und rund 50 Jahre später wurde der Begriff REM-Schlaf geprägt.

Die Rapid Eye Movement Phase (REM) des Schlafes wurde 1953 von Aserinsky und

Kleiman entdeckt. Sie beobachteten Schlafphasen, während derer sich die Augen schnell und

intensiv bewegten. Dies brachte erstmals Gewissheit, dass das Gehirn während des Schlafs

nicht als Gesamtes gehemmt ist, sondern seine Aktivität zumindest abschnittsweise derjenigen

des Wachzustands nahe kommt. Dies weckte das wissenschaftliche Interesse am Schlaf und

war der Startschuss für zahlreiche Studien, die verschiedene Theorien und Konzepte

bezüglich Schlaf und dessen Funktion entstehen liessen.

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3. Schlaf und Gehirnaktivität

3.1. Einteilung der Schlafstadien

Ein Schema zur Einteilung verschiedener Schlafstadien, das heute zum Standart geworden ist,

lieferten Rechtschaffen und Kales (1968). Sie benutzten das Elektroenzephalogramm (EEG),

das Electo-Oculogram (EOG) and das Electromyogram (EMG) und erkannten

charakteristische Abfolgen von verschiedenen unterscheidbaren Schlafphasen, die in einem

Schlafprofil dargestellt werden können (Abb.1+2):

• Stage 1 sleep ist gekennzeichnet durch ein niederamplitudiges EEG. Theta-Wellen

(4-7 Herz) kommen vor. Die Augen können in diesem Abschnitt langsame rollende

Bewegungen vollführen.

• Im Stage 2 sleep wird das EEG synchronisierter und typische K-Komplexe (eine

kurze, intensive negative Welle gefolgt von einer langsameren positiven Komponente)

und sleep-spindles (kurze rhythmische Cluster von 12-14 Herz) erscheinen.

• In den anschliessenden 2 Schlafstadien, Stage 3 und 4, ist im EEG vor allem delta-

Aktivität zu beobachten. Wegen der grossen Amplituden dieser Wellen, können in

diesen Abschnitten auch im EOG Delta-Wellen beobachtet werden. Die Augen

bewegen sich in diesem Schlafabschnitt jedoch nicht. Häufig ist in der Literatur für

diese Schlafabschnitte zusammenfassend der Begriff Slow-Wave-Sleep (SWS) zu

finden.

• Im REM-Schlaf, dem nächstfolgenden Stadium können intensive Augenbewegungen

beobachtet werden, welche dieser Phase ihren Namen gaben. Zusätzlich kommt es zu

einer markanten Absenkung des EMG-Tonus.

Diese verschiedenen Schlafstadien wiederholen sich während der Nacht im 60 bis 90

Minuten-Rhythmus.

NREM-Schlaf, ein ebenfalls häufig verwendeter Terminus, bezeichnet als Überbegriff alle

Schlafphasen ausser dem REM-Schlaf.

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Abb. 1: Das Schlafprofil einer ganzen Nacht. Schlafzeit: 23.00-6.30 Uhr. Zuunterst ist die

Schlaftreppe abgebildet, welche die Aktivität des Gehirns wiederspiegelt. Darüber das Schlafprofil,

wie es gewöhnlich aufgezeichnet wird. Vier vollständige NREM/REM-Schlafzyklen sind durch

senkrechte Striche abgegrenzt. SWS (Stadium 3 und 4) tritt nur in den ersten zwei Zyklen auf. REM-

Schlaf-Episoden werden in der zweiten Hälfte der Nacht typischerweise länger.

(http://www.unizh.ch/phar/sleep/buch/2-5.htm)

Abb. 2: Die Schlafstadien und ihre EEG-, EOG- und EMG-Charakteristika. Mit zunehmender

Vertiefung des NREM-Schlafes (von Stadium 1 bis Stadium 4) werden die Hirnstromkurven (EEG)

größer und langsamer, wobei die Muskelspannung (EMG) abnimmt. Während des Einschlafens

(Stadium 1) treten langsame, pendelförmige Augenbewegungen auf. Im REM-Schlaf sieht das EEG

ähnlich aus wie im Stadium 1, während das EOG die typischen raschen Augenbewegungen anzeigt.

Die Muskulatur ist, abgesehen von gelegentlichen Zuckungen, vollständig entspannt.

(http://www.unizh.ch/phar/sleep/buch/2-3.htm)

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Eine neuere technische Innovation ist die Nightcap, ein tragbarer Polygraph, der wie eine

Badehaube über den Kopf gezogen wird. Sie wird heute zum Teil für Aktivitätsmessungen

des Gehirns im Schlaf und Wachzustand benutzt, mit dem Vorteil, dass die Probanden

zuhause schlafen und die Nightcap wiederholt tragen können. So können grosse Datenmengen

zusammengetragen werden, die vermehrt auch quantitative Analysen zulassen (Ajilore et al.

1995, Stickgold et al. 2001a, zit. nach Hobson & Pace-Schott., 2002a, S.685)

Die REM Abschnitte sind im ersten Viertel der Nacht noch gering und erreichen ihren

relativen Höhepunkt im letzten Viertel des Schlafs. Dies wird von vielen Studien ausgenutzt,

um auf die verschiedenen Funktionen von REM und SWS zu schliessen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch noch, dass der gesamte Energieumsatz im

REM-Schlaf grösser oder gleich dem des Wachzustands ist, während im SWS der Blutfluss

ins Gehirn als Gesamtes abnimmt (Maquet, 2000, zit. nach Hobson & Pace-Schott, 2002a,

S.683).

3.2. Neurotransmitter

Auch die Neurotransmitter-Konzentrationen variieren mit den Schlafabschnitten. So ist

während des NREM-Schlafs insgesamt weniger Noradrenalin (NE), Serotonin (5-HT) und

Acetylcholin (ACh) im Gehirn vorhanden. Während des REM-Schlafs steigen die ACh-Level

wieder auf oder sogar über das Level des wachen Gehirns, während die NE- und 5-HT-

Konzentrationen weiter sinken (Kametani &Kawamura, 1990). Gesteuert werden diese

Veränderungen von den Hirnstammkernen Locus Coeruleus (NE), dorsaler Raphekern (5-HT)

und dorsolateraler Ponskern (ACh). (Hobson et al., 1975, zit. nach Stickgold et al. 2001b,

S.1055)

3.3. Regionale Gehirnaktivität

Im SWS sind alle Hirnteile weniger aktiv. Darum kann dies auch als die deaktivierte

Schlafphase bezeichnet werden (Hobson & Pace-Schott, 2002a).

Während des REM-Schlafs, der nach Hobson & Pace-Schott (2002a) als die aktivierte Phase

betrachtet werden kann, ist der Blutfluss in Pons, Thalamus, Amygsala, Hypothalamus und

den Basalganglien erhöht. Der dorsolaterale Parietofrontalkortex (DLPFC) ist dagegen

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deaktiviert. Diese Deaktivation wurde in auch in einer der ersten bildgebenden Schlafstudie

nachgewiesen (Lovblad et al., 1999). Der DLPFC wird mit dem Gedächtnis assoziiert und

spielt beim Treffen von bewussten Entscheidungen eine Rolle. (Hobson & Pace-Schott,

2000a) Ein wichtiger weiterer Aspekt des REM-Schlafs ist der minimale Output des

Hippocampus zum Neokortex (Hobson & Pace-Schott, 2000b).

Dieses Aktivitätsmuster ist auch bezeichnend für die Qualität der REM-Träume. Da das

episodische Gedächtnis nicht zugänglich ist und darum für die Traumkonstruktion keine Rolle

spielt, kommen gerade in dieser Schlafphase unstetige und bizarre Schlafinhalte vor. Die

Strukturen, die mit Emotionen verbunden werden, sind also traumbestimmend. Die Träume

selbst müssen nicht emotional gefärbt sein, die Trauminhalte werden aber anhand ihrer

emotionalen Bedeutung ausgewählt (Stickgold et al. 1999).

Eine kontroverse Meinung dazu vertritt Bosinelli (1995). In seiner Studie liessen sich die

bizarren Elemente, die ihm von seinen Testpersonen nach dem Wecken aus dem REM-Schlaf

berichtet wurden, nicht signifikant von den Berichten unterscheiden, die von Personen

gemacht wurden, die ihre NREM-Traumerlebnisse schilderten. Zwar kamen in REM-

Berichten absolut mehr unlogische Elemente vor, aber sie konnten als Epiphänomen der

grösseren Längen der REM-Traumreporte erklärt werden. Seiner Meinung nach sind die

Träume nur minimal von den Schlafstadien abhängig, werden kontinuierlich produziert, also

während der gesamten Nachtruhe und unterscheiden sich nur geringfügig voneinander. Dies

nennt er die „Continuity Hypothesis“ (Bosinelli, 1995, S.199)

4. Lernen und Schlaf

Die Forschung befasst sich ausgiebig damit, einen Zusammenhang zwischen Träumen resp.

Gehirnaktivitäten im Schlaf und Lernvorgängen, also Plastizität, herzustellen. Das

Augenmerk richtet sich vor allem auf den Prozess der Konsolidierung, welcher Erfahrung

oder Training in Verbesserungen der Leistung umsetzt.

4.1. Erste Erkenntnisse

Hinweise aus früheren Studien liefern die Versuche von Vaughan (1964), der Rhesusaffen

trainierte, einen Knopf zu drücken, sobald ihnen ein Diapositiv gezeigt wurde. Drückten die

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Tiere den Knopf nicht, erfolgte ein elektrischer Schlag ans Bein zur negativen

Konditionierung. Sobald die Tiere gelernt hatten, beim Auftauchen des Reizdias den Knopf

zu drücken, liess man sie in einem völlig isolierten Raum ungestört schlafen. Während der

REM-Perioden begannen die Tiere plötzlich mit grosser Frequenz den an der Hand

befestigten Knopf zu drücken. Die Affen imaginierten wohl im Traum den Reizstimulus und

drückten zur Vermeidung des erwarteten elektrischen Schlages den Knopf.

1971 erhielten die Autoren O’Keefe & Dostrovsky bei ihren Versuchen an Ratten einen

interessanten Befund: bei wachen Versuchstieren feuerten einzelne Neuronen, sogenannte

Place-cells im CA1-Feld des Hippokampus, wenn die Tiere einen bestimmten Platz

aufsuchten. Sie erklärten dies damit, dass die einzelnen Zellen einem bestimmten bekannten

Ort zugeordnet sind und so eine Raumkartierung ermöglichen. Diese Zellen feuerten auch im

darauf folgenden Schlafabschnitt intensiv, was vermuten lässt, dass eine Konsolidierung der

tagsüber aufgenommenen räumlichen Informationen im Schlaf erfolgt.

Diese Ergebnisse beweisen jedoch nicht, dass die registrierten Gehirnvorgänge auch wirklich

der Konsolidation von Gedächtnisinhalten dienen. Die alleinige Präsenz von ähnlichen

Aktivitätsmustern lässt einen kausalen Schluss nicht zu.

Daher erscheint es logisch, dass Versuche geplant wurden, in welchen die Versuchstiere oder

Probanden nach einer Lernaufgabe nicht schlafen durften oder selektiv einzelne Schlafstadien

nicht zugelassen wurden. Dies in der Hoffnung, dass sich so auch bestimmte vor dem Schlaf

gelernte Fähigkeiten nach der Schlafdeprivation resp. der Deprivation einzelner Schlafphasen

signifikant von Leistungen nach ruhigem Schlaf unterschieden.

4.2. Deprivationsstudien

Schon 1970 zeigte Bloch an Ratten, dass eine Verarbeitung und Speicherung von neuen,

tagsüber aufgenommenen Reizen und Informationen von einer zeitlich kritischen Phase des

auf den Lernprozess folgenden Schlafes abhängig sein muss. Er konditionierte seine

Versuchstiere negativ mit einem Elektroschock und teilte sie in vier Gruppen ein. Die erste

konnte ungestört schlafen, die anderen drei wurden nach 90, 60 oder 30 Minuten geweckt und

drei Stunden wachgehalten. Beim anschliessenden Test schnitten die Tiere, die 90 Minuten

schlafen durften fast gleich gut ab wie jene der Durchschlafgruppe. Die Tiere, welchen 30

oder 60 Minuten Schlaf erlaubt wurde, lagen bezüglich Lernleistung deutlich zurück. Die

kritische Phase für eine maximale Konsolidierung scheint bei diesen Tieren auf eine

Zeitspanne von 90 Minuten hinzuweisen.

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Nach diesem Muster sind unzählige Studien durchgeführt worden, allerdings immer mit

demselben Problem bei der Erklärung der gefundenen Effekte: Die schlechtere Leistung in

den Tests kann auch ein Phänomen des Schlafentzugs und des damit verbundenen Stresses

sein. Dieser Punkt ist zum Beispiel für Siegel (2001) der Ansatzpunkt für seine Kritik an den

Studien und erlaubt ihm kontroverse Interpretationen der Gehirnaktivitätsmuster im Schlaf.

Neuere Untersuchungen nehmen dieses Argument geschickt vorweg, so zum Beispiel die

Studie von Stickgold et al. (2000a), siehe Kapitel 5.2.

5. Konsolidationseffekte

5.1. Die visuelle Diskriminationsaufgabe

Im Vorfeld dieser Studie von Stickgold et al. (2000a) wurde die Ansicht vertreten, dass SWS

dazu dient deklaratives Wissen zu konsolidieren, während REM-Schlaf prozedurales Wissen

konsolidiert (Plihal & Born, 1997, zit. nach Stickgold et al., 2000a, S.246). Interessanterweise

zeigt die Studie von Stickgold et al. (2000a), die freiwillige Studenten untersuchten, dass

beide Schlafanteile für eine Verbesserung des prozeduralen Wissens essentiell sind.

Während einer Trainingsphase lernten die Probanden eine visuelle Diskriminationsaufgabe. In

einem Rechteck mit lauter von Hand gezeichneten horizontalen Linien mussten im linken

unteren Quadranten drei diagonale Striche erkannt werden. Gefragt war die Ausrichtung

dieser drei Linien als Gesamtes. Sie konnten entweder horizontal oder vertikal zueinander

gruppiert sein.

Die Leistung in dieser Aufgabe, eine klassische prozedurale Gedächtnisleistung, verbessert

sich langsam über die Zeit (Karni & Sagi 1993, Karni et al. 1994, Karni et al. 1995 Karni &

Sagi 1997, zit. nach Stickgold 2000a, S.247). Allerdings ist eine Pause von mehreren Stunden

nach dem Training nötig bis die Verbesserung eintritt. Dies wiederspiegelt „an active, time-

consuming process underlying the consolidation of experience-dependent plasticity within the

adult visual cortex“, so Karni et al. (1993). Interessanterweise lassen sich keine

Trainingseffekte erkennen, wenn die zu erkennende Struktur in einem anderen Quadranten

erkannt werden muss, und ebenfalls nicht, wenn der Hintergrund aus vertikalen, anstelle von

horizontalen Linien besteht (Karni et al. 1993).

Zu den schlafrelevanten Ergebnissen: Stickgold et al. (2001a) konnten nachweisen, dass die

Verbesserungen in der visuellen Diskriminationsaufgabe von der Menge SWS im ersten

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Nachtviertel und der Menge REM-Schlaf im letzten Nachtviertel abhängt. Diese zwei

Grössen erklären alleine 80 Prozent der Varianz zwischen den Probanden (Stickgold et al.

2000a).

In einem anderen Experiment, testen Stickgold et al (2001b). die Leistungsverbesserungen

nach Schlafdeprivation. Um die Argumentationslinie zu entkräften, die Stress durch

Schlafentzug oder Schläfrigkeit und reduzierte Aufmerksamkeit für die mangelnden

Fortschritte verantwortlich macht, waren die Testbedingungen wie folgt konstruiert: Die

Probanden wurden nach einem bis sieben Tagen nach dem Training auf

Leistungssteigerungen getestet. Diejenigen Probanden, welche in der unmittelbar aufs

Training folgenden Nacht vom Schlafen abgehalten wurden, testete man erst nach weiteren

drei Tagen. Sie hatten also zwei Nächte, in denen sie ungestört durchschlafen konnten.

Erstaunlich ist, dass diese Probanden keine signifikanten Fortschritte zeigten, sie profitierten

also nicht vom Training und waren nicht deutlich besser als untrainierte Personen, die diesen

Test das erste Mal machten.

Stickgold et al.(2003) interpretieren diese Abhängigkeit der Gedächtnisleistung vom Schlaf

als Phänomen eines Prozesses mit zwei Schritten. In ihrer Two-step-Hypothese spekulieren

sie, dass in der ersten Nachthälfte, also im SWS erst ein Prozess in Gang gesetzt werden

muss, der dann zusammen mit einem zweiten, der im REM-Schlaf in Aktion tritt, für eine

Konsolidation des perzeptuellen Wissens verantwortlich ist. In der Zeit zwischen diesen zwei

Schritten könnten enzymatische Vorgänge ablaufen, so Stickgold et al. (2000a) weiter,

allerdings ist dies, wie sie betonen, spekulativ.

5.2. Konsolidation von verschiedenen Gedächtniskategorien

Nicht nur für visuelle Aufgaben, auch für Wortlistenlernen (Ficca et al., 2000), räumliches

(Plihal & Born,1999) und motorisches (Walker et al., 2002) Lernen und für gesprochene

Sprache (Fenn et al. 2003) wurden Gedächtniskonsolidationseffekte im Schlaf gefunden.

5.2.1. Wortlisten

Beim Lernen von Wortlisten stellte sich heraus, dass eine regelmässige Abfolge von REM-

NREM-Schlafphasen existenziell ist (Ficca et al., 2000). Alle Probanden verbrachten drei

Nächte im Schlaflabor. Die eine konnten sie ruhig und ungestört durchschlafen. In den

anderen zwei wurde ihr Schlaf gestört durch Aufwecken und eine anschliessende

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viertelstündige Reaktionszeitaufgabe am Laptop im Bett. Unterschiedlich war der

Weckzeitpunkt: entweder immer nach zehn Minuten REM-Schlaf, was eine kontinuierliche,

natürliche Abfolge von REM-NREM-Zyklen erlaubt, oder 40 Minuten nach Beginn des

NREM-Schlafs. Dies behindert die natürliche Schlafstruktur. Trotz dieser verschiedenen

Prozeduren verbrachten die Probanden in beiden Nächten mit den Unterbrüchen vergleichbare

Zeit im REM-Schlaf. Die Resultate im Wortlistenwiedergeben am Morgen zeigen keine

Abweichung zwischen den Nächten mit einer intakten Schlaforganisation (trotz Wecken) und

den ruhig durchschlafenen. Die Resultate waren allerdings signifikant schlechter nach der

Nacht, die in ihrer normalen NREM-REM-Abfolge gestört wurde.

5.2.2. Räumliche Fähigkeiten

Die Konsolidation von räumlichem Wissen scheint dem Experiment von Plihal & Born

(1999) zufolge durch SWS, der in der ersten Nachthälfte überwiegt, erleichtert zu werden. Sie

fanden in ihrem Experiment auch noch Einflüsse des REM-Schlafs auf Priming. Ihr Schluss

ist, dass SWS die Konsolidation von deklarativem Wissen fördert, REM-Schlaf die von

nondeklarativem Wissen.

5.2.3. Motorik

Walker et al. (2002) fanden heraus, dass Schlaf nach dem Lernen von motorischen Aufgaben

die Geschwindigkeit der Ausführung der gelernten Bewegung um bis zu 20 Prozentpunkte

steigern kann, ohne dass die ihre Genauigkeit darunter leidet. Sie erkannten eine

Abhängigkeit dieser Leistungen von der Menge an NREM-Schlaf in der zweiten Nachthälfte.

5.2.4. Perzeptuelles Sprachverständnis

Auch die Konsolidation des perzeptuellen Verständnisses gesprochener Sprache findet

zumindest teilweise nachts statt. Fenn et al. (2003) testeten in ihrer Studie eine

Generalisationsleistung, deren Schwerpunkt darin lag, verschiedene akustische Muster

verschiedenen phonologischen Kategorien zuzuordnen. Die Aufgabe bestand darin Wörter,

die ein Text-to-speech-Programm vorlas (d.h. per Computer generierte Sprache), richtig zu

erkennen und niederzuschreiben. Die Generalisation drückt sich dadurch aus, dass in der

Übungs- und Testphase verschiedene Wörter benutzt wurden, jedes Wort also nur einmal

vorkam.

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Die Leistungssteigerung war schon unmittelbar nach der Übungsphase signifikant. Allerdings

zeigte die Stichprobe, die nach dem Üben 12 Stunden schlafen konnte signifikant bessere

Resultate als die Stichprobe, bei welcher die Übung am morgen durchgeführt wurde und der

Test auf Verbesserungen am Abend desselben Tages ebenfalls nach 12 Stunden. Schlaf spielt

nach der Meinung von Fenn et al. (2003) also eine Rolle in der Wissenskonsolidation,

wodurch das gelernte auch vor eventuell noch folgenden Beeinträchtigungen oder dem Verfall

bewahrt wird. Auch nach sechs Monaten wurden bei ähnlichen Versuchen noch

Übungseffekte festgestellt (Schwab et al. 1995, zit. nach Fenn et al. 2003, S. 615).

5.2.5. Episodisches Wissen

Episodisches Wissen wird nicht im Schlaf konsolidiert, so Fosse et al. (2003). Grundlegend

für das Verständnis ihres Ansatzes ist ihre Ansicht, dass sich in den Träumen die

Konsolidationsprozesse manifestieren. Sie fanden, dass episodische Erinnerungen eine Rolle

für die Auswahl der Trauminhalte spielen, aber im Schlaf nicht episodisch erlebt und

konsolidiert werden. Fosse et al. (2003) liessen dafür ihre Probanden während zwei Wochen

ihre Aktivitäten und Sorgen während des Tages aufschreiben. Dasselbe sollten sie für

erinnerte Träume machen. Zwar kamen Elemente des Erlebten im Traum durchaus vor, ein

episodisches Wiedererleben geschah aber nur in eins bis zwei Prozent der Traumreporte. Dies

brachte die Autoren zu der Überzeugung, dass während des Schlafes keine

Konsolidierungsprozesse für episodisches Wissen stattfinden.

6. Kritische Stimmen

Nicht alle sind mit den Schlüssen aus den genannten Studien einverstanden. Siegel (2001,

2004) zum Beispiel glaubt gar nicht an die Rolle von Schlaf zur Gedächtniskonsolidation.

Seiner Meinung nach sind im SWS Reparaturprozesse an Zellwänden in Gang, die Schäden

beheben, welche während des Wachseins im Gehirn entstanden sind. Auch werden Enzyme

ausgetauscht, die ihrerseits schon beschädigt sind. Er kann diese Vermutung mit

Experimenten an Ratten belegen, die nach Schlafentzug geschädigte Zellmembrane im Gehirn

aufwiesen (Siegel, 2004).

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Die Absenkung der Botenstoffe interpretiert er so, dass damit den Rezeptoren und NE- und 5-

HT-ausschüttenden Zellen, die im Wachzustand dauernd arbeiten, eine Auszeit gegeben wird.

Sie können sich in dieser Pause regenerieren, was besonders für die langfristige Funktion der

Rezeptoren nötig ist. Diese erlangen seiner Meinung nach ihre volle Erregbarkeit wieder, um

im Wachzustand die Konzentrationen wieder adäquat zu messen.

Weiter kritisiert Siegel die unterschiedlichen Resultate, die mit den gleichen Deprivations-

und Lernparadigmen zustande kamen. Auch die mangelnde Korrelation zwischen der

individuellen REM-Schlafzeit und Lernfähigkeit scheint seine Theorie zu stützen, dass REM-

Schlaf nicht mit Gedächtniskonsolidaton zusammenhängt.

Als Kernargument führt Siegel (2001) aber Personen an, die wegen Medikamenten oder

Läsionen keine REM-Schlafabschnitte haben, und trotzdem keine schweren Gedächtnis- und

Lernstörungen zeigen. Auch Dement (1995) beschreibt in seinem Buch, den Fall eines

israelischen Kriegsveteranen, dem eine Verletzung im Hirnstammbereich die Fähigkeit zum

REM-Schlaf nahm. Trotzdem hatte er keine markanten Beeinträchtigungen, neue Fähigkeiten

zu lernen und sich zu erinnern.

Kritiker von Siegels Argumentation, wie Stickgolg et al. (2001) bemängeln, dass REM-

Schlafvorgänge zur Konsolidierung von einfachen, simplen Tests für deklaratives Wissen

nicht vorkommen. Diese verwende Siegel aber mehrheitlich um seine Theorien zu stützen.

7. Diskussion

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Belege für Effekte der Konsolidation im

Schlaf überwältigend sind. Allerdings scheint der Schluss von beispielsweise Trauminhalten

auf die Konsolidationsprozesse heikel. Und ebenso frappant ist die Fähigkeit von REM-

Schlaf-unfähigen Menschen trotzdem neues Wissen dauerhaft abzuspeichern. Vieles scheint

demnach auch darauf hinzudeuten, dass nicht allein im Schlaf Wissen konsolidiert wird. Auch

diese Prozesse, die sich im wachen Gehirn abspielen, verlangen nach Aufklärung.

Das Thema Schlaf und Informationsverarbeitung scheint momentan sehr viele

Neurowissenschaftler zu beschäftigen, die Menge der publizierten Artikel ist umwerfend.

Auch ist sich, wie dargelegt, die Forschergemeinde nicht einig über die Gedächtnisprozesse,

die ablaufen, wenn wir schlafen.

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Die Forschung wird sich wohl gerade auch angesichts des technologischen Fortschritts

zukünftig noch intensiv mit Gehirnaktivitäten im Schlaf abgeben. Die Fortschritte der

bildgebenden Verfahren werden sicher noch mehr Hinweise auf die spezifischen lokalen

Aktivitätszentren im Schlaf zu Tage fördern.

Abschliessend kann konstatiert werden, dass man vom Lösen aller Geheimnisse des Schlafes

noch weit entfernt ist und für eine Theorie, die umfassende und belegbare Erklärungen für die

vielfältigen Prozesse liefert, wohl noch manche Studie und viele Stunden Schlaf nötig sein

werden.

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8. Literaturverzeichnis

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