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287
Ulrike Weyland
Zur Bedeutung schulpraktischer Studienim universitären Studium
Während einerseits die Notwendigkeit schulpraktischer Studien nicht hinterfragtwird, besteht andererseits eine grundsätzliche Unklarheit über die curriculare Ziel-setzung dieses Studienelementes im Kontext der Entwicklung von Professionalitätangehender Lehrkräfte. Auch deren tatsächlicher Stellenwert steht im Widerspruchzu der eigentlichen Bedeutung, die diesem Studienelement vielerorts zugeschriebenwird. Diese Problematik hat die Verfasserin dazu veranlasst, die Frage nach den Ziel-setzungen und der Ziel-Mittel-Relation in den Fokus dieser bereits längst abgeschlos-senen Untersuchung zu stellen. Dabei wurden zum einen bildungspolitische Empfeh-lungen zur traditionellen Lehrerausbildung, zum anderen professionstheoretischeZugänge sowie hiermit korrespondierende konzeptionelle Ansätze untersucht. Dar-über hinaus wurden aktuelle Reformansätze unter dem Blickwinkel der erkenntnislei-tenden Fragestellungen analysiert. Auf der Basis einer in dieser Arbeit entwickeltenKonzeption schulpraktischer Studien im Kontext des forschenden Lernens werdenabschließend empirische Forschungsperspektiven zur Zieldimension formuliert.
1. Ausgangslage und Problemstellung
Im Diskurs der Qualitätsdebatte zur universitären Lehrerausbildung lässt sich die For-derung nach mehr Praxisbezug als „argumentativer Dauerbrenner“ (TERHART 2000,S. 107) kennzeichnen. Aktuell besteht zugleich eine deutliche Tendenz zur Ausweitungschulpraktischer Studien, wie es sich gegenwärtig in der Einrichtung sog. Praxisse-mester zeigt (vgl. WEYLAND/WITTMANN 2010). Es liegt die Vermutung nahe, dass in einemMehr an Praktika geradezu ein „Allheilmittel“ für bessere Lehrerausbildung gesehenwird. Auch Studierende schreiben diesem Studienelement eine hohe Bedeutung zu (vgl.z.B. BLÖMEKE et al. 2006; vgl. ARNOLD 2008; vgl. CRAMER et al. 2009), die damit allerdingsin der Regel zunächst die Erwartung einer konkreten Einübung in die Unterrichtspra-xis verbinden. Die Bedeutung, die schulpraktischen Studien bisher zugewiesen wird,steht allerdings im Widerspruch zu ihrem tatsächlichen Stellenwert. Als Beleg ist dievon vielen Seiten und seit mehr als 30 Jahren deutlich zu vernehmende Kritik an die-sen heranzuziehen, die auch in jüngsten Expertisen zur Lehrerausbildung (vgl. z.B.KMK 2000; vgl. KEUFFER/OELKERS 2001; vgl. sog. Baumert-Gutachten 2007) explizit her-ausgestellt wurde. Die zentralen Kritikpunkte beziehen sich u.a. auf folgende Aspekte:
curriculare Desintegration;fehlende systematische Vor- und Nachbereitung der Praktika;
288 Kompetenzentwicklung und Qualifizierung
Delegation der Seminare an Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeiter;unzureichende Betreuung/Begleitung der Studierenden usw.
Daneben wird in der Literatur auf die fehlende Klärung der grundsätzlichen Ziel-setzungen schulpraktischer Studien als weitere und zentrale Problematik hingewie-sen (vgl. z. B. HEDTKE 2000, S. 1; vgl. BENNACK/JÜRGENS 2002, S. 143; vgl. BONESS et al.2003, S. 220, vgl. WEYLAND 2010). Die eigentliche Relevanz und die Zielsetzungenschulpraktischer Studien schienen bisher nicht geklärt zu sein, vielmehr bewegensich diese im Spannungsfeld divergierender Erwartungen. Dies ist grundsätzlichauf das „Theorie-Praxis-Problem“ in der Lehrerbildung zurückzuführen, welchemschulpraktische Studien aufgrund ihrer strukturellen Einbindung in die LernorteUniversität und Schule besonders ausgesetzt sind. Insofern kann von einer struktu-rinhärenten Problematik gesprochen werden, die zugleich von einer weiteren, näm-lich begriffsinhärenten Problematik begleitet wird. So verleitet der Begriff „Schul-praktika“ zu der Annahme, dass hier primär etwas Praktisches, nämlich im engerenSinne Unterrichtspraktisches, von den Studierenden zu erbringen ist, stattdessender Begriff „schulpraktische Studien“ die Bedeutung derselben als ein Studienele-ment betonen bzw. herausstellen soll (vgl. hierzu ausführlich WEYLAND 2010, S. 42).Kontrastierend und polarisierend lässt sich diese Problematik letztlich auf die Fragezuspitzen, ob schulpraktische Studien eher der Förderung theoretischer Reflexions-fähigkeit oder bereits der Einübung in die unterrichtliche Praxis mit dem Ziel desErwerbs praktischen Handlungswissens dienen sollen. Darüber hinaus wird u. a. dieZielsetzung diskutiert, dass Studierende in schulpraktischen Studien eine Entschei-dung bzgl. der Berufswahl bzw. -eignung treffen sollen.
Vor dem Hintergrund dieser Problemstellungen muss kritisch hinterfragt wer-den, inwieweit durch schulpraktische Studien bisher überhaupt ein Beitrag zur Pro-fessionalisierung geleistet werden konnte. In diesem Zusammenhang stellt sich diemangelnde empirische Befundlage hinsichtlich der tatsächlichen Wirksamkeit diesesStudienelementes zudem als eine weitere Problemdimension dar. Dieser Sachver-halt hat die Verfasserin dazu veranlasst, der Intentionalitätsproblematik in Formeiner eigenen Untersuchung nachzugehen. Die Ergebnisse dieser im Jahr 2009 ab-geschlossenen Untersuchung werden im Folgenden zusammenfassend dargestellt.Zunächst erfolgen die Skizzierung der erkenntnisleitenden Fragestellungen und deseigentlichen Vorgehens sowie die Beschreibung der Relevanz der Untersuchung.
2. Fragestellungen, Vorgehen und Relevanz der Untersuchung
Das konkrete Anliegen der Untersuchung richtet sich auf die Klärung folgender er-kenntnisleitender Fragestellungen:
289Zur Bedeutung schulpraktischer Studien im universitären Studium
Welche grundsätzlichen Zielsetzungen werden mit schulpraktischen Studien ver-bunden (zentrale Fragestellung)?Wie gestaltet sich angesichts der bisherigen Kritik an schulpraktischen Studiendie Ziel-Mittel-Relation?
Als methodologische Basis wurde ein hermeneutischer Zugang gewählt. Die Orien-tierung am hermeneutischen Paradigma ist angesichts der gegenwärtigen Forderungnach empirischer Bildungsforschung zu legitimieren. In diesem Zusammenhang istdarauf zu verweisen, dass empirische Arbeiten eine bereits in der Fachdiskussionvorhandene strukturierte Auseinandersetzung mit dem Gegenstand bzw. der spezi-fischen Fragestellung voraussetzen. Während es eine Vielzahl an „Ratgebern“ zurKonzeption und Durchführung schulpraktischer Studien für die konkrete Hochschul-praxis bzw. für Lehrende und Studierende gibt, fehlt es jedoch an einer systema-tischen und umfassenden Aufarbeitung des hier zugrunde liegenden Erkenntnisinte-resses. Unter dem Anspruch einer hermeneutischen, zugleich systematischen sowieumfassenden Bearbeitung der erkenntnisleitenden Fragestellungen wurden daherzum einen bildungspolitische Vorgaben/Empfehlungen zur bisherigen grundständi-gen Lehrerausbildung untersucht. Zum anderen richtete sich die Untersuchung auchauf professionstheoretische Erkenntnisse sowie hiermit korrespondierende konzep-tionelle Ansätze. Darüber hinaus wurden aktuelle Reformbestrebungen unter demBlickwinkel der erkenntnisleitenden Fragestellungen analysiert. Aufgrund der not-wendigen curricularen und strukturellen Einbettung schulpraktischer Studien in denLehrerausbildungsdiskurs wurden Ausführungen bzw. Analysen zur universitärenLehrerausbildung vorangestellt.
Die Untersuchung ist grundsätzlich von lehramtsübergreifender Relevanz. Mitihr geht die Zielsetzung eines grundlegenden wissenschaftlichen Beitrages zur kon-zeptionellen Weiterentwicklung schulpraktischer Studien einher, und zwar
über die Klärung wesentlicher Zielsetzungen,über die Aufdeckung von Widersprüchlichkeiten unter dem Blickwinkel der Ziel-Mittel-Relation undüber die Grundlegung einer konzeptionellen Systematisierungs- und Reflexions-basis zur Bestimmung der Zielsetzungen schulpraktischer Studien.
Darüber hinaus stellt die Untersuchung einen Ausgangspunkt für die Generierungempirischer Forschungsansätze dar, die ihren Fokus auf die Wirksamkeit schulprak-tischer Studien auf der Grundlage eines theoretisch-konzeptionellen Entwurfs imKontext von forschendem Lernen richten. Im Folgenden werden die zentralen Un-tersuchungsergebnisse zusammenfassend dargelegt.
290 Kompetenzentwicklung und Qualifizierung
3. Zentrale Untersuchungsergebnisse
3.1 Bildungspolitischer Zugang (Fokus: traditionelle Lehrerausbildung)
In dieser Untersuchung wurden bedeutsame, im weitesten Sinne bildungspolitischeGremien auf ihre Aussagen zur universitären Lehrerausbildung im Allgemeinenund zu den schulpraktischen Studien im Speziellen unter dem Blickwinkel o.g. Fra-gestellungen untersucht. Dabei handelte es sich um folgende Gremien: die Gemisch-te Kommission Lehrerbildung der Kultusministerkonferenz (GKL), die Hochschul-rektorenkonferenz (HRK), der Wissenschaftsrat (WR), die Deutsche Gesellschaftfür Erziehungswissenschaft (DGfE), die Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogikder DGfE, die Konferenz der Vorsitzenden Fachdidaktischer Fachgesellschaften(KVFF)1 sowie der Bundesarbeitskreis der Leiter/-innen der Praktikumsbüros andeutschen Hochschulen2 (die beiden letztgenannten Gremien nur zu den schulprak-tischen Studien). Die entsprechenden Stellungnahmen bzw. Referenzpapiere sinddem Literaturverzeichnis zu entnehmen, wobei sich der zeitliche Fokus auf die tra-ditionelle universitäre Lehrerausbildung, d. h. also vor Umstellung auf das gestufteBachelor-/Mastersystem, richtete (zur ausführlichen Begründung siehe WEYLAND
2010, S. 96). Diese Gremien wurden anhand ausgewählter, in der Fachdiskussiongängiger Analysekategorien analysiert (vgl. ebd., S. 95 f.). Die gewonnenen Ergeb-nisse zu den jeweiligen Kategorien können aufgrund des vorgegebenen Rahmensdieses Beitrages nicht im Einzelnen vorgestellt werden, wenngleich zum Abschlussdieses Teilkapitels im Interesse der besseren Nachvollziehbarkeit eine tabellari-sche Übersicht (Tabelle 1) zu den wesentlichen erkenntnisbezogenen Aussagen dero.g. Gremien zu den schulpraktischen Studien dargelegt wird.3 Im Weiteren erfolgtdaher lediglich eine Zusammenfassung zentraler Ergebnisse zu den erkenntnislei-tenden Fragestellungen.
In dieser Untersuchung wurde aufgezeigt, dass in den bildungspolitischen Vor-gaben/Empfehlungen der Gremien zur traditionellen Lehrerausbildung durchauseine Konsensbildung hinsichtlich der grundsätzlichen Zielsetzung im Kontext vonTheorie und Praxis besteht, auch wenn hinsichtlich der Differenziertheit und Fokus-siertheit der Ausführungen z. T. deutliche Unterschiede erkennbar sind. Dieser Kon-sens äußert sich in Form eines wissenschaftlichen Anspruchs an die universitäre
1 Im Mai 2001 wurde die Gesellschaft für Fachdidaktik e.V. (GFD) gegründet, verstanden als Dachverband allerFachdidaktischen Fachgesellschaften, die deren Interessen in Forschung und Lehre vertritt. Die KVFF kann alssog. Vorläufer betrachtet werden.
2 Der Bundesarbeitskreis wurde vor einigen Jahren in die Bundesarbeitsgemeinschaft schulpraktische Studien(BaSS) umbenannt.
3 Es liegt ebenfalls eine Übersicht zu den Aussagen der Gremien zur universitären Lehrerausbildung vor (vgl.hierzu ausführlich in WEYLAND 2010).
291Zur Bedeutung schulpraktischer Studien im universitären Studium
Lehrerausbildung und in Kongruenz dazu ebenso an schulpraktische Studien. DerenZielsetzung orientiert sich an der Förderung theoretischer Reflexionsfähigkeit, dasEinüben in unterrichtspolitisches Handeln wird dagegen deutlich abgelehnt. Ver-einzelt wird auch das forschende Lernen bzw. die Anbahnung eines forschendenHabitus als zu verfolgende Zielsetzung herausgestellt. Unter dem Blickwinkel derpersonalen Dimension wird der Aspekt „Berufswahlüberprüfung“ als weitere Ziel-setzung schulpraktischer Studien fast durchweg von allen Gremien verfolgt. Obwohlein Konsens hinsichtlich wesentlicher Zielsetzungen gegeben ist, hat die kategorien-geleitete Analyse der bildungspolitischen Expertisen gerade unter dem Blickwinkelder Kompatibilität der Zielsetzungen zu einigen kritischen Äußerungen veranlasstund stellt somit teilweise die Ernsthaftigkeit der formulierten bzw. erfassten Ziel-setzungen infrage. Vor dem Hintergrund der Kritik bildungspolitischer Expertisenbzgl. der curricularen Wertschätzung schulpraktischer Studien ist dies erstaunlich.So ergeben sich kritische Nachfragen z. B. bezüglich folgender Aspekte:
Bezeichnung des Studienelementes: Kein Gremium plädiert explizit für die Be-zeichnung „schulpraktische Studien“; z. T. unterschiedliche Bezeichnungen(s. Tabelle 1);Qualifizierung des Lehrpersonals: Die Aussagen der Gremien sind hierzu sehrüberschaubar; z. B. werden nur vereinzelt forschungsbezogene Ansprüche andas Lehrpersonal explizit formuliert (s. Tabelle 1);curriculare Abstimmung mit anderen Studienelementen: Sie beschränkt sich ver-einzelt auf Aussagen einer curricularen Abstimmung mit der Fachdidaktik undder Erziehungswissenschaft; weiter gehende explizite und konkrete Aussagensind eher dürftig;Kooperation: Nahezu alle Gremien verweisen auf den Aspekt der Kooperationmit der zweiten Phase, allerdings ohne genauere Erläuterung (lediglich die GKL).
Wenngleich hinsichtlich der Ziel-Mittel-Relation und der Gewährleistung des Studie-rens in schulpraktischen Studien von den Gremien größtenteils auf eine integraleEinbettung der Schulpraktika in vor- und nachbereitende Lehrveranstaltungen alsGestaltungsmaßnahme bzw. als Bedingung hingewiesen wird, so sind die Aussa-gen zu den schulpraktischen Studien, die die Ziel-Mittel-Relation betreffen, nichtdurchgängig konsequent. Insofern ergibt sich eine gewisse Gestaltungsfreiheit in ge-danklicher und pragmatischer Hinsicht. Im Vergleich der Gremien untereinander istdie GKL insofern hervorzuheben, als sich in Bezug auf die analysierten Kategorieninsgesamt eine argumentative Stringenz und Widerspruchsfreiheit erkennen lässt(vgl. hierzu WEYLAND 2010, S. 149–154).
292 Kompetenzentwicklung und QualifizierungTa
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294 Kompetenzentwicklung und Qualifizierung
3.2 Theoretisch-konzeptioneller Zugang
In Weiterführung und zugleich Vertiefung der bisherigen Auseinandersetzung wurdedie zentrale Frage nach den Zielsetzungen schulpraktischer Studien schließlich intheoretisch-konzeptioneller Hinsicht untersucht, wobei u. a. auf Erkenntnisse derWissensverwendungsforschung (DEWE et al. 1992) sowie auf professionstheoretischeAnsätze (u. a. aufgabenbezogener Ansatz nach BAUER et al. 1996; strukturtheore-tischer Ansatz nach OEVERMANN 1997) und weitere hiermit korrespondierende Über-legungen und Konzepte (z. B. BLÖMEKE 2002; HELSPER 2000 und 2001; WILDT 2000)rekurriert wurde. Als konzeptionelle Strukturierungshilfe und zugleich Ausgangs-punkt für die Bestimmung der Zielsetzungen schulpraktischer Studien diente die vonBAYER et al. (1997) in Anlehnung an HUBER (1983) dargelegte „Denkfigur zur Neuge-staltung der Lehrerbildung“ (ebd., S. 7), welche sich in Form eines Dreiecksgefügesmit den Bezugssystemen „Wissenschaft, Praxis und Person“ veranschaulichen lässt(s. Abb. 1). Nach dieser Denkfigur umfasst Lehrerbildung „wissenschaftliches, prak-tisches und persönliches bzw. persönlich bedeutsames und in der Wechselbeziehunguntereinander integratives Lernen“ (BAYER et al. 1997, S. 8). Lehren und Lernen rich-ten sich also an diesen Bezugssystemen aus, wobei jedem Bezugssystem ein ganzeigenes Wissen immanent ist. Wenn auch der Eigensinn der drei Bezugssysteme vonden Autoren betont wird, so gilt es ebenfalls, die jeweiligen Wechselbeziehungenzu betrachten (vgl. ebd.). Folgende Abbildung veranschaulicht die Zuordnung derjeweiligen Wissensformen und die Wechselbeziehungen:
Abbildung 1: Bezugssysteme zur Lehrerbildung und zur Entwicklung pädagogischer Professiona-lität (in Anlehnung an BAYER et al. 1997, S.8; modifiziert nach WEYLAND 2010, S.320)
Praxis(Erfahrung)
PraktischesHandlungswissen
Wissenschaft(Erkenntnis)
TheoretischesReflexionswissen
Person(Entwicklung)
Selbstreflexives Wissen
295Zur Bedeutung schulpraktischer Studien im universitären Studium
In professionstheoretischer Perspektive stellte sich nun die Frage, welche Bedeutungschulpraktischen Studien zugeschrieben wird; konkret hieß dies zu erforschen, wel-che Zielsetzungen unter der jeweiligen Perspektive von „Wissenschaft, Praxis undPerson“ mit schulpraktischen Studien verbunden werden bzw. werden können. ImRekurs auf dieses Denkmodell wurde dabei grundsätzlich von unterschiedlichen Per-spektiven auf schulpraktische Studien ausgegangen, die demzufolge eingenommenwerden können (vgl. WEYLAND 2010):
eine erkenntnisbezogene Perspektive (Bezugssystem Wissenschaft),eine handelnd-pragmatische Perspektive (Bezugssystem Praxis),eine selbstreflexions- und entwicklungsbezogene Perspektive (Bezugssystem Per-son).
Darüber hinaus war von Interesse, die Zielsetzungen auch unter dem Aspekt derWechselbeziehungen zwischen den Bezugssystemen zu bestimmen.
Auch die Ergebnisse können an dieser Stelle nur zusammenfassend, aber nichtvertiefend dargestellt werden (vgl. hierzu ausführlich WEYLAND 2010). Resümierendzeigte sich trotz des insgesamt gegebenen Spektrums an möglichen Zielsetzungenein professionstheoretischer Zielkonsens, demzufolge die Förderung der theoreti-schen Reflexionsfähigkeit, der Selbstreflexionsfähigkeit und der metakognitiven Fä-higkeit im Sinne der Relationierung der Wissensformen als wesentliche Zieldimen-sionen schulpraktischer Studien gesehen werden können. Auch die Herausbildungeines wissenschaftlichen sowie forschenden Habitus, u. a. über die Methode derFallarbeit im Sinne hermeneutischen Sinnverstehens, wurde als eine zu verfolgen-de Zieldimension herausgestellt. Vor dem Hintergrund der in Untersuchungen viel-fach herausgestellten Vorbehalte von Studierenden gegenüber der Nützlichkeit vonTheorie für die berufliche Praxis (vgl. hierzu in ebd.) wird in den schulpraktischenStudien insbesondere die Chance gesehen, der Theoriefeindlichkeit entgegenzu-wirken. Denn gerade mit schulpraktischen Studien wird für die Studierenden dieMöglichkeit verbunden, sich mit der gegebenen strukturellen Differenz von theore-tischem Reflexionswissen und praktischem Handlungswissen auseinanderzusetzenund diesbezüglich die Bedeutung von theoretischem Wissen für pädagogisch pro-fessionelles Lehrerhandeln einzuordnen. Insofern wird in schulpraktischen Studienvielfach die Chance der Relationierung, insbesondere in Bezug auf die Bezugssys-teme Wissenschaft und Praxis, betont. Im Zusammenhang mit dem BezugssystemPerson konnte als eine weitere wesentliche Zieldimension die Förderung der Selbst-reflexionsfähigkeit herausgearbeitet werden, wobei hier insbesondere die Möglich-keit gesehen wird, Studierende mit ihren jeweiligen subjektiven Theorien, z. B. zumLehrerhandeln, zu konfrontieren. Die Aufgabe der Berufswahlüberprüfung wurdez. T. kontrovers diskutiert.
296 Kompetenzentwicklung und Qualifizierung
Im Zuge des Erkenntniszuwachses wurde die zugrunde gelegte Denkfigur von BAYER
et al. (1997) schließlich systematisch weiterentwickelt und dabei eine Positionierungbzw. Präzisierung hinsichtlich der Zielbestimmung schulpraktischer Studien im Sinneeiner erkenntnis- sowie metakognitiv differenzbezogenen und selbstreflexiven Pers-pektive vorgenommen. Einhergehend mit diesen Zielsetzungen konnte zugleich das„forschende Lernen“ als zu favorisierendes übergreifendes hochschuldidaktischesPrinzip für schulpraktische Studien herausgestellt werden. In den folgenden Ab-bildungen 2 und 3 sind nun die zentralen Aspekte im Sinne einer Positionierungund Konkretisierung präferierter Zielsetzungen im Kontext des forschenden Ler-nens unter dem Blickwinkel der Grundlegung einer konzeptionellen Grundlage fürschulpraktische Studien zusammengefasst worden. Da die Effekte schulpraktischerStudien, rekurrierend auf einzelne in der Arbeit referierte empirische Untersuchun-gen (vgl. z.B. BÜSCHER 2004), deutlich infrage gestellt bzw. diese bei der bisherigenstrukturellen und curricularen Ausgestaltung kaum als sinnvoller Beitrag zur Profes-sionalisierung eingestuft wurden, ließ sich auch in diesem Teil der Arbeit auf die Not-wendigkeit entsprechender Rahmenbedingungen im Sinne der Ziel-Mittel-Relationdeutlich hinweisen. Eine weiter gehende Auseinandersetzung würde hier allerdingsden Rahmen sprengen.
297Zur Bedeutung schulpraktischer Studien im universitären Studium
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298 Kompetenzentwicklung und Qualifizierung
Abbidlung 3: Forschendes Lernen in Schulpraktischen Studien (Fokussierungauf die Beziehungen zwischen den Bezugssystemen) (aus: Weyland 2010, S. 341)
3.3 Aktueller reformpolitischer Zugang
Die Intentionalitätsproblematik wurde schließlich auch im Zusammenhang der Ana-lyse aktueller struktureller und inhaltlicher Reformbestrebungen zur universitärenLehrerausbildung aufgezeigt. Hier stellte sich heraus, dass mit der im Zuge der Ein-richtung von BA- und MA-Studiengängen einhergehenden Bedeutung von Praxis-orientierung auch eine quantitative, aber nicht zwangsläufig qualitative Aufwertungschulpraktischer Studien verbunden ist. Als problematisch erweist sich dabei u. a.auch die z. T. schlechte Bewertung von Studierenden bzgl. des BA-Studiums (vgl. BAR-GEL et al. 2009; siehe auch WINTER 2009). Entwicklungen in einzelnen Bundesländernverdeutlichen grundsätzlich eine zunehmende Tendenz zur Ausweitung schulprak-
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Ziel: Förderung der metakognitiven Fähigkeit,z. B.
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subjektiven Theorien zu Unterricht
299Zur Bedeutung schulpraktischer Studien im universitären Studium
tischer Studien (vgl. BELLENBERG 2009; vgl. WEYLAND/WITTMANN 2010), z. T. verbundenmit dem Ziel der Einrichtung von Praxissemestern bei gleichzeitig zeitlich gestufterVerkürzung der zweiten Phase (z. B. Bundesland Nordrhein-Westfalen). Erstaunlichist, dass diese Entwicklung trotz vorausgehender Ablehnung bzw. deutlicher Beden-ken durch Lehrerbildungsexperten (z. B. KEUFFER/OELKERS 2001; Baumert-Gutachten2007) eingeleitet wurde (vgl. zu Hamburg auch ARNOLD 2008). So heißt es z. B. imBaumert-Gutachten (2007, S. 44):
„Bevor (…) über eine weitere Ausweitung praktischer Studienanteile gespro-chen wird, hält es die Kommission für vordringlich, die Vorbereitung undDurchführung der bislang vorgesehenen Praktika vor allem durch infrastruktu-relle und curriculare Maßnahmen zu optimieren. Dies wird eine der vordring-lichen Aufgaben der von der Kommission empfohlenen Zentren für die Profes-sionalisierung der Lehrerbildung sein.“
Wenn auch in einzelnen Ländern die Bestrebung zur Ausweitung auf curricular undintentional, sich an professionstheoretischen Überlegungen orientierenden Konzep-ten basiert, die ebenso das forschende Lernen markieren, so zeigt sich auch hierdie Problematik der Zielerreichung im Hinblick auf die Ziel-Mittel-Relation. Ebensoproblematisch erscheint die Tatsache z. T. gegenläufiger Zielsetzungen. Damit sindEntwicklungen gemeint, die z. B. den Fokus auf den Erwerb praktischen Handlungs-wissens richten oder eine Verlagerung der primären Zuständigkeit schulpraktischerStudien auf Institutionen der zweiten Phase vorsehen (Beispiel: Bundesland Rhein-land-Pfalz)5. Eine solche Maßnahme muss gerade angesichts des aus professions-theoretischer Sicht geforderten Beitrags schulpraktischer Studien zur Förderung dertheoretischen Reflexionsfähigkeit als ein Kernelement pädagogischer Professionalitätals problematisch eingestuft werden. Dies betrifft auch die Entwicklungsperspektiveim Sinne der Förderung der Selbstreflexionsfähigkeit. Wenn auch bisher nur ein Bun-desland eine solche Struktur der vollständigen Verlagerung der Zuständigkeit konkretumgesetzt hat, ist hier angesichts der gegebenen Gefahr zur funktional-pragmati-schen Ausrichtung schulpraktischer Studien ausdrückliche Kritik angebracht. Aufweitere konkrete Ergebnisse, insbesondere zur jeweiligen Entwicklung in einzelnenBundesländern, kann hier nicht näher eingegangen werden. Hier wird zum einen aufdie Primärliteratur (vgl. WEYLAND 2010) sowie auf eine weitere Untersuchung verwie-sen, die sich explizit mit der Einführung von Praxissemestern unter dem Blickwin-kel professionstheoretischer und bildungsökonomischer Analysen befasst (vgl. WEY-LAND/WITTMANN 2010). Die Intentionalitätsproblematik spiegelte sich schließlich auch
5 Die Universitäten wirken lediglich an der Vor- und Nachbereitung sowie Durchführung der Praktika mit.
300 Kompetenzentwicklung und Qualifizierung
im Kontext der Ausführungen zu weiteren inhaltlichen Reformdebatten, wie z. B. dieEinführung von Kerncurricula und Standards, wider.
4. Forschungsperspektiven
An dieser Stelle wird auf eine Zusammenfassung der Ergebnisse zugunsten der For-mulierung weiterer Forschungsperspektiven verzichtet. Wie bereits einleitend er-wähnt, stellt diese Untersuchung u. a. einen Ausgangspunkt für die Entwicklung em-pirischer Forschungsansätze dar, die sich auf die Erfassung der Wirksamkeit schul-praktischer Studien unter dem Blickwinkel angestrebter Zielsetzungen und ihrerZiel-Mittel-Relation richten. Dabei kann in dieser Untersuchung eine konzeptionelleBasis gesehen werden, da z. B. der in professionstheoretischer Hinsicht erarbeiteteZielkonsens nun hinsichtlich der tatsächlichen Wirkung von schulpraktischen Studienerforscht werden kann. Dies bedeutet u. a., schulpraktische Studien im Hinblick aufdas forschende Lernen und die damit verbundenen Zielsetzungen zu untersuchen.Das in dieser Arbeit im Zuge des Erkenntniszuwachses erweiterte Dreiecksgefüge mitden Bezugssystemen „Wissenschaft, Praxis und Person“ kann dabei als systematischeReflexions- und Strukturierungsbasis dienen, wenngleich diese in Bezug auf curricu-lare Schwerpunktsetzungen zu konkretisieren ist. Ein besonderes Augenmerk solltedabei – angesichts der aufgezeigten Theoriefeindlichkeit von Studierenden – auf dieZieldimension gerichtet werden, die im Zusammenhang mit der Relationierungsauf-gabe in schulpraktischen Studien hinsichtlich der differenten Bezugssysteme Wis-senschaft und Praxis besteht. Aber auch weitere wesentliche Zielsetzungen, wie z. B.die Förderung der Selbstreflexionsfähigkeit, sollten überprüft werden. Angesichtsder im Zusammenhang mit schulpraktischen Studien geäußerten Kritik hinsichtlichbestehender Unzulänglichkeiten in curricularer und strukturell-organisatorischerHinsicht sind insbesondere auch die entsprechenden Rahmenbedingungen, unterdenen schulpraktische Studien stattfinden, als Variablen im Forschungsdesign zu be-rücksichtigen. Von Bedeutung sind daneben weitere Evaluationsstudien, die geradeim Zusammenhang mit der Ausweitung von Praxisphasen stehen und Aufschlüsseüber die tatsächlichen Rahmenbedingungen geben sollten sowie damit – unter demBlickwinkel der Ziel-Mittel-Relation – auch entsprechende Gelingensbedingungenverdeutlichen dürften. Im Zusammenhang mit der Evaluation von Praxissemesternmüsste zudem ein besonderes Augenmerk auf den Aspekt der Kooperation zur zwei-ten Phase gerichtet werden (vgl. hierzu ausführlich WEYLAND 2010). Ob durch schul-praktische Studien ein Beitrag zur Professionalisierung geleistet werden kann, dürftemaßgeblich von der Ernsthaftigkeit in Bezug auf die Klarheit und Stimmigkeit dercurricularen Konzeption und im Hinblick auf die tatsächliche Umsetzung entspre-chender Rahmenbedingungen an der jeweiligen Hochschule abhängen.
301Zur Bedeutung schulpraktischer Studien im universitären Studium
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302 Kompetenzentwicklung und Qualifizierung
BUNDESARBEITSKREIS DER LEITER/LEITERINNEN DER PRAKTIKUMSBÜROS AN DEUTSCHEN
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303Zur Bedeutung schulpraktischer Studien im universitären Studium
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KULTUSMINISTERKONFERENZ (KMK/Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder inder Bundesrepublik Deutschland): Eckpunkte für die gegenseitige Anerkennung vonBachelor- und Masterabschlüssen in Studiengängen, mit denen die Bildungsvoraus-setzungen für ein Lehramt vermittelt werden. Beschluss der KMK vom 02.06.2005
MINISTERIUM FÜR INNOVATION, WISSENSCHAFT, FORSCHUNG UND TECHNOLOGIE des LandesNordrhein-Westfalen: Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern des Landes Nord-rhein-Westfalen. Empfehlungen der Expertenkommission zur Ersten Phase (VorsitzBaumert). Düsseldorf 2007. – URL: http://www.inno vation.nrw.de/downloads/Bro-schuere.pdf (Stand: 08.09.2009)
OEVERMANN, Ulrich: Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisiertenHandelns. In: COMBE, Arno; HELSPER, Werner (Hrsg.): Pädagogische Professionalität.Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns. 2. Aufl., Frankfurt am Main1997, S. 70–182
SEKTION BERUFS- UND WIRTSCHAFTSPÄDAGOGIK (BWP) der DGfE: Ausbildung für das Lehr-amt an berufsbildenden Schulen (einstimmig verabschiedet am 17.09.1999). 1999.– URL: http://www.bwp-dgfe.de (Stand: 03.06.2009)
SEKTION BERUFS- UND WIRTSCHAFTSPÄDAGOGIK (BWP) der DGfE: Mainzer Stellungnahmeder Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erzie-hungswissenschaft zu den „Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland“ (ein-stimmig verabschiedet von der Mitgliederversammlung der Sektion BWP in Mainzam 09.03.2001). 2001a. – URL: http://www.bwp-dgfe.de (Stand: 03.06.2009)
SEKTION BERUFS- UND WIRTSCHAFTSPÄDAGOGIK (BWP) der DGfE: Stellungnahme der SektionBerufs- und Wirtschaftspädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswis-senschaft zu dem von der Kultusministerkonferenz am 22. Februar 2001 beschlos-senen Maßnahmenkatalog zur Deckung des Lehrerbedarfs (einstimmiger Beschlussder Mitgliederversammlung am 9. März 2001 in Mainz). 2001b. – URL: http://www.bwp-dgfe.de (Stand: 03.06.2009)
SEKTION BERUFS- UND WIRTSCHAFTSPÄDAGOGIK (BWP) der DGfE: Basiscurriculum für dasuniversitäre Studienfach Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Jena 2003
304 Kompetenzentwicklung und Qualifizierung
TERHART, Ewald: Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland. Abschlussbericht dervon der Kultusministerkonferenz eingesetzten Kommission (im Auftrag der Kommis-sion herausgegeben von E. Terhart). Weinheim und Basel 2000
WEYLAND, Ulrike: Zur Intentionalität Schulpraktischer Studien im Kontext universitärerLehrerausbildung. Paderborn 2010
WEYLAND, Ulrike; WITTMANN, Eveline: Expertise. Praxissemester im Rahmen der Lehrerbil-dung 1. Phase an hessischen Hochschulen (vorgelegt beim Hessischen Ministeriumfür Wissenschaft und Kunst am 15.02.2010). Berlin: DIPF URL: http://www.pedocs.de/volltexte/2010/3070 (Stand: Juli 2010)
WILDT, Johannes: Reflexives Lernen – wissenschaftliches Wissen und Handlungswis-sen in einer reformierten Lehrerbildung. 2000. – URL: http://www.sowi-online.de/journal/lehrerbildung/wildt.htm (Stand: 10.03.2009)
WINTER, Martin: Das neue Studieren. Chancen, Risiken, Nebenwirkungen der Studien-strukturreform: Zwischenbilanz zum Bologna-Prozess in Deutschland (HoF-Arbeits-bericht 1/2009; hrsg. vom Institut für Hochschulforschung [HoF] an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg). Wittenberg 2009
WISSENSCHAFTSRAT: Empfehlungen zur künftigen Struktur der Lehrerbildung. Berlin 2001
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aus: WEYLAND, Ulrike: Zur Bedeutung schulpraktischer Studien im universitären Studium.In: ULMER, Philipp; WEIß, Reinhold; ZÖLLER
Stellenwert, Entwicklungstendenzen und Perspektiven für die Forschung. Bonn 2012, S. 287-304
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