1. erklärung der aufrechung - juristische fakultät: … 2. geltendmachung im prozess • im...

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233 III. Aufrechnung In der Praxis kommt es häufig vor, dass der Beklagte gegen die Forderung des Beklagten mit einer eigenen Forderung aufrechnet. Bsp.: K klagt gegen B auf Zahlung von 3000 € Werklohn (§ 631 I BGB). B rechnet mit einer Schadensersatzforderung aus positiver Vertragsverletzung auf. 1. Erklärung der Aufrechung Die Erklärung der Aufrechnung (§ 388 ZPO) ist eine einseitige WE, mit der ein Gestaltungsrecht ausgeübt wird. Die Voraussetzungen und Wirksamkeit dieser WE richten sich alleine nach materiellem Recht (vgl. insbes. §§ 387 ff BGB, 204 I Nr. 5 BGB). 305 Die Aufrechnung hat die materiell-rechtliche Wirkung, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, in dem Zeitpunkt als erloschen gelten, in dem die Aufrechnungslage bestand (vgl. § 389 BGB). Materiell-rechtlich gibt die wirksame Aufrechnung dem Aufrechnenden eine rechtsvernichtende Einwendung gegen die Forderung des Gegners. Sie wird wirksam mit Zugang dieser Erklärung gem. § 130 I 1 BGB. Zeitpunkt der Erklärung: - die Aufrechung kann entweder schon vor dem Prozess erklärt worden sein oder - die Aufrechung kann während des Prozesses (genauer: im Prozess 306 ) gegen die Klageforderung erklärt werden (sog. Prozessaufrechnung). Materiell-rechtlich macht der Zeitpunkt der Erklärung keinen Unterschied. 305 T/p, § 145 Rn. 12. 306 Die Aufrechnung kann auch während des Prozesses, aber außerhalb desselben erklärt werden.

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III. Aufrechnung

In der Praxis kommt es häufig vor, dass der Beklagte gegen die Forderung des Beklagten mit

einer eigenen Forderung aufrechnet.

Bsp.: K klagt gegen B auf Zahlung von 3000 € Werklohn (§ 631 I BGB). B rechnet mit einer

Schadensersatzforderung aus positiver Vertragsverletzung auf.

1. Erklärung der Aufrechung

• Die Erklärung der Aufrechnung (§ 388 ZPO) ist eine einseitige WE, mit der ein

Gestaltungsrecht ausgeübt wird. Die Voraussetzungen und Wirksamkeit dieser WE

richten sich alleine nach materiellem Recht (vgl. insbes. §§ 387 ff BGB, 204 I Nr. 5

BGB).305

• Die Aufrechnung hat die materiell-rechtliche Wirkung, dass die Forderungen, soweit

sie sich decken, in dem Zeitpunkt als erloschen gelten, in dem die Aufrechnungslage

bestand (vgl. § 389 BGB). Materiell-rechtlich gibt die wirksame Aufrechnung dem

Aufrechnenden eine rechtsvernichtende Einwendung gegen die Forderung des

Gegners. Sie wird wirksam mit Zugang dieser Erklärung gem. § 130 I 1 BGB.

• Zeitpunkt der Erklärung:

- die Aufrechung kann entweder schon vor dem Prozess erklärt worden sein oder

- die Aufrechung kann während des Prozesses (genauer: im Prozess306) gegen die

Klageforderung erklärt werden (sog. Prozessaufrechnung).

Materiell-rechtlich macht der Zeitpunkt der Erklärung keinen Unterschied.

305 T/p, § 145 Rn. 12. 306 Die Aufrechnung kann auch während des Prozesses, aber außerhalb desselben erklärt werden.

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2. Geltendmachung im Prozess

• Im Prozess hat die Aufrechung des Beklagten Bedeutung als Verteidigungsmittel gegen

die Klage, denn die Klageforderung wäre bei wirksamer Aufrechung erloschen, die

Klage also unbegründet.

• Das Gericht kann die Aufrechnung (wie jede Einwendung oder Einrede gegen die

Klageforderung) jedoch nur dann berücksichtigen, wenn die Aufrechnung auch im

Prozess vorgetragen wird.

• Die Geltendmachung der Aufrechnung im Prozess ist eine Prozesshandlung des

Beklagten. Sie ist von der (materiell-rechtlich bedeutsamen) Aufrechungserklärung zu

trennen und richtet sich in ihrer Zulässigkeit, Voraussetzungen und Wirksamkeit allein

nach Prozessrecht.307

3. Prozessaufrechung

Wird die Aufrechnung erst im Prozess erklärt, so fallen die materielle Aufrechnungserklärung

und die prozessrechtlich relevante Geltendmachung derselben im Prozess zusammen.308

Nach der wohl herrschenden Beweiserhebungstheorie hat das Gericht auch ohne eine

entsprechende Einschränkung des Beklagten zunächst das Bestehen und die Durchsetzbarkeit

der Klageforderung zu prüfen und die Aufrechnung erst dann zu berücksichtigen, wenn es die

Klageforderung für begründet und andere Einwendungen des Beklagten für unbegründet

hält.309

Eine Eventualaufrechnung, d.h. die Erklärung der Aufrechnung unter der Bedingung, dass

die Klageforderung besteht und durchsetzbar ist, ist ebenfalls als zulässig anzusehen. Zwar

307 T/p, § 145 Rn. 13. 308 Die Darlegungslast für eine erfolgte Aufrechnung trägt der Beklagte, jedoch muss nach obigen Grundsätzen

(Teil 2, A.) natürlich auch nachteiliger Klägervortrag berücksichtigt werden, d.h. die erfolgte Aufrechnung ist

bei der Entscheidungsfindung auch dann zu berücksichtigen, wenn der Kläger vorgetragen hat, dass der Beklagte

aufgerechnet habe (aufrechnen kann aber natürlich nur der Forderungsinhaber (also der Beklagte)). Auch hierin

verdeutlicht sich der Unterschied zwischen der materiell-rechtlichen Erklärung der Aufrechnung und der

Geltendmachung der Aufrechnung im Prozess. 309 Thomas/Putzo/Reichold, § 145 Rn. 15. Vgl. dazu auch ausführlich Musielak, Gk-ZPO, Rn. 299.

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sind Prozesshandlungen grds. bedingungsfeindlich, in diesem Fall handelt es sich jedoch um

eine zulässige innerprozessuale Bedingung.

Auch eine derart bedingte Aufrechnungserklärung ist mit § 388 S. 2 BGB vereinbar, weil sie

mit dem Zweck dieser Vorschrift vereinbar ist:310 Diese will den Empfänger der

Aufrechnungserklärung vor der Ungewissheit schützen, ob die Forderung und die

Gegenforderung durch die Aufrechnung erlöschen. Im Prozess wird diese Unsicherheit jedoch

gerade geklärt. Die Vorschrift des § 388 S. 2 BGB muss deshalb im Wege der teleologischen

Reduktion eingeschränkt werden und eine bedingte Prozessaufrechnung für zulässig gehalten

werden.311 Nach anderer Ansicht handelt es sich um eine stets zulässige Rechtsbedingung, da

es Voraussetzung jeder Aufrechnung ist, dass die Hauptforderung besteht.

Die Eventualaufrechnung ist auch gesetzlich anerkannt (vgl. § 45 I 2 GKG).

4. Prüfung der Aufrechnung durch das Gericht

Das Gericht prüft deshalb zunächst – unabhängig von der erfolgten Aufrechnung – das

Bestehen und die Durchsetzbarkeit der Klageforderung, d.h. das Gericht berücksichtigt die

Aufrechnung erst, wenn es die Klageforderung für begründet und andere Einwendungen des

Beklagten für unbegründet hält.312

a, Klageforderung besteht nicht

Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Klageforderung nicht besteht, so weist es die

Klage ab, ohne die Aufrechnung weiter zu beachten.

B kann seine (aufgerechnete) Forderung in einem anderen Prozess einklagen. Würde der

Kläger gegen die Forderung des Beklagten im zweiten Prozess einwenden, diese sei durch die

Aufrechnung mit der Klageforderung aus dem ersten Prozess erloschen, so kann sich B auf

die rechtskräftige Abweisung der Klage im ersten Prozess berufen, die in diesem Fall auch die

rechtskräftige Feststellung beinhaltet, dass diese Forderung des Klägers nicht bestand. Im

310 Vgl. Musielak, Gk-ZPO, Rn. 299. 311 Musielak, Gk-ZPO, a.a.O. 312 Thomas/Putzo/Reichold, § 145 Rn. 15.

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zweiten Prozess ist das Gericht deshalb bei der Prüfung der Frage, ob die geltend gemachte

Gegenforderung (noch) besteht an diese Entscheidung des ersten Gerichts gebunden.313

b, die Klageforderung besteht

Kommt das Gericht dagegen zu dem Ergebnis, dass die Klageforderung besteht, so kommt es

auf die Wirksamkeit der Aufrechnung an:

(i) Stellt es fest, dass die Aufrechnung unwirksam ist (z.B.: Gegenforderung des B

besteht nicht), so gibt es der Klage statt.

(ii) Stellt es dagegen fest, dass die Aufrechung wirksam ist, so weist es die Klage ab.

5. Zurückweisung des Aufrechnungseinwandes aus prozessualen Gründen

Wird der Aufrechnungseinwand aus prozessualen Gründen zurückgewiesen, so stellt sich die

Frage, ob die materielle Wirksamkeit der Aufrechnungserklärung davon berührt wird.

Bsp.: Im obigen Beispiel der Werklohnforderung wird die im Prozess erklärte

Aufrechnung des B wegen Verspätung gem. § 296 ZPO zurückgewiesen.

Hier wurde der Aufrechnungseinwand des B prozessual nicht berücksichtigt.

Würde man nun die materielle Wirksamkeit der Aufrechnungserklärung bejahen, so wären

durch die Aufrechnung die Klageforderung des K und die Gegenforderung des B erloschen.

Da die Aufrechnung aber prozessual nicht berücksichtigt wird, wird B trotzdem verurteilt

(muss also die Klageforderung erfüllen) und könnte seine Gegenforderung auch nicht mehr

im Wege der Klage geltend machen (da sie bei mat. Wirksamkeit der Aufrechnung erloschen

ist. Eine Klage des B würde als unbegründet abgewiesen314). 313 Diese Entscheidung wirkt sich als Vorfrage des Bestehens der Gegenforderung aus, nämlich bei der Frage, ob

die Gegenforderung durch Aufrechnung mit der Klageforderung des ersten Prozesses erloschen ist. Dabei muss

das Gericht ungeprüft vom Nichtbestehen der Klageforderung ausgehen. 314 Beachten Sie: § 322 II ZPO gilt hier nicht, d.h. die Klage des B mit der Gegenforderung würde nicht wegen

entgegenstehender Rechtskraft abgewiesen, denn § 322 II ZPO greift nur ein, wenn der Aufrechnungseinwand

prozessual berücksichtigt wurde, wenn als über die Aufrechnung entschieden wurde. Dazu gleich sogleich, 6.

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Einigkeit besteht zwar insoweit, dass dieses Ergebnis unbillig ist, umstritten ist jedoch die

konstruktive Lösung dieses Falles.

• Nach einer Ansicht ist die prozessuale Geltendmachung der Aufrechnung und die

materiell-rechtliche Erklärung derselben im Prozess als einheitliches Rechtsgeschäft

i.S.d. § 139 ZPO anzusehen, so dass die Zurückweisung des Aufrechnungseinwandes

zur Nichtigkeit der Aufrechnungserklärung führen soll.315

• Nach anderer Ansicht ist davon auszugehen, dass der Beklagte die im Prozess erklärte

(materiell-rechtliche) Aufrechnungserklärung stets stillschweigend unter die

Bedingung stellt, dass der Aufrechnungseinwand nicht vom Gericht aus prozessualen

Gründen zurückgewiesen wird.316

Eine derart bedingte Aufrechnungserklärung ist mit § 388 S. 2 BGB vereinbar, weil sie

mit dem Zweck dieser Vorschrift vereinbar ist:317 Diese will den Empfänger der

Aufrechnungserklärung vor der Ungewissheit schützen, ob die Forderung und die

Gegenforderung durch die Aufrechnung erlöschen. Im Prozess wird diese Unsicherheit

jedoch gerade geklärt. Die Vorschrift des § 388 S. 2 ZPO muss deshalb im Wege der

teleologischen Reduktion eingeschränkt werden und eine bedingte Prozessaufrechnung

für zulässig gehalten werden.318

6. Rechtskraft, § 322 II ZPO

a, Gericht entscheidet über die (Begründetheit der) Aufrechnung

In beiden Fällen (4. b,) erwächst die Entscheidung über die Gegenforderung des Beklagten in

Rechtskraft!

Grundsätzlich erwachsen zwar nur Entscheidungen über den vom Kläger bestimmten

Streitgegenstand in Rechtskraft und die Geltendmachung der Aufrechnung im Prozess ist

lediglich ein Verteidigungsmittel gegen die Klage (die Gegenforderung ist nicht selbst

315 Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 102 Rn. 46. 316 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 301. 317 Vgl. schon oben und Musielak, Gk-ZPO, Rn. 299. 318 Musielak, Gk-ZPO, a.a.O.

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Streitgegenstand, denn der Beklagte hat nicht beantragt, den Kläger zu der der

Klageforderung entsprechenden Leistung zu verurteilen319).

Gem. § 322 II ZPO wird jedoch ausnahmsweise auch die Entscheidung über die

Gegenforderung rechtskräftig.

Dieser lautet:

„Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die

Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, […], der Rechtskraft fähig.“

Geregelt ist damit zwar nur der Fall, dass das Gericht der Klage stattgibt und dabei in den

Entscheidungsgründen ausführt, dass die Gegenforderung nicht besteht, also Fall (i).320

Dasselbe muss jedoch auch im Fall (ii) gelten, wenn also das Gericht feststellt, dass die

Aufrechung wirksam ist (die Gegenforderung also bestand) und deshalb die Klage abweist,

denn andernfalls könnte der Beklagte nun selbst Klage erheben und damit die schon

aufgerechnete und im ersten Urteil bereits berücksichtigte Gegenforderung geltend machen.

Deshalb wird § 322 II ZPO nach allg. Meinung auch dann angewendet, wenn das Gericht in

den Entscheidungsgründen ausführt, dass die Gegenforderung bestanden hat und durch

Aufrechnung erloschen ist.321

§ 322 II ZPO ist deshalb so zu lesen:

„Hat der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend gemacht, so ist die

Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht oder nicht mehr besteht, […], der

Rechtskraft fähig.“

(die Gegenforderung besteht nicht mehr, wenn sie wegen wirksamer Aufrechung erloschen

ist) 319 Dass der Beklagte selbst zum Kläger im selben Prozess wird, ist im Wege einer sog. Widerklage möglich,

dazu sogleich. 320 Im Tenor entscheidet das Gericht nur über den Streitgegenstand, nicht über Vorfragen, wie z.B. die, ob ein

Werkvertrag besteht, ob dieser angefochten wurde und deshalb auch nicht darüber, ob wirksam aufgerechnet

wurde. Ausführungen zu solchen Vorfragen der Entscheidung enthalten nur die Urteilsgründe, die gerade nicht

in materielle Rechtskraft erwachsen (vgl. dazu ausführlich oben bei der Bestimmung des Gegenstands der

materiellen Rechtskraft, Teil 2 H. III. 3. 321 Vgl. Musielak, Gk-ZPO, Rn. 304.

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In beiden Fällen, kann der Beklagte also wegen entgegenstehender Rechtskraft die

Gegenforderung nicht mehr zum Gegenstand einer Klage machen. Eine solche Klage wäre

unzulässig wegen entgegenstehender Rechtskraft.

b, Gericht trifft keine Entscheidung über die (Begründetheit der) Aufrechnung

Entscheidet das Gericht dagegen nicht über die Aufrechnung, weil es

• wie in Fall 4. a, zu dem Ergebnis kommt, dass die Klageforderung schon nicht besteht,

so entscheidet es nicht im Sinne von § 322 II ZPO über das Bestehen der

Gegenforderung, so dass § 322 II ZPO hier nicht gilt. Deshalb kann B seine

Gegenforderung in einer eigenen Klage geltend machen.

(trotzdem und überflüssigerweise in den Entscheidungsgründen zum Bestehen der

Gegenforderung enthaltene Ausführungen des Gerichts erwachsen nicht gem. § 322 II

ZPO in Rechtskraft322)

• dasselbe gilt, wenn das Gericht über die Aufrechnung aus materiellrechtlichen oder

prozessualen Gründen nicht entscheidet.

Der Aufrechnungseinwand wird insbesondere dann vom Gericht als prozessual

unzulässig zurückgewiesen, wenn es diesen Verteidigungseinwand gem. § 296 ZPO als

verspätet ansieht.

7. Einwand der entgegenstehenden Rechtshängigkeit gem. § 261 III ZPO

Umstritten ist, ob die Gegenforderung rechtshängig wird.

Dies ist richtigerweise zu verneinen, denn die Gegenforderung wird nicht zum

Streitgegenstand, denn ein solcher ist nur die durch Klage, Widerklage oder Inzidentklage auf

der Grundlage eines bestimmten Sachverhalts zur Entscheidung gestellte Rechtsfolge.323 Die

322 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 305. 323 Stein/Jonas/Leipold, § 321 Rn. 4.

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Gegenforderung ist dagegen lediglich ein gegen einen solchen Streitgegenstand eingewandtes

Verteidigungsmittel.

Da über die Gegenforderung des Beklagten im Prozess, in dem diese im Wege der

Aufrechnung geltend gemacht wird, rechtskräftig entschieden werden kann, muss jedoch

jedenfalls eine selbständige Klage, die die Gegenforderung zum Gegenstand hat,

ausgeschlossen sein.

Im obigen Beispiel der Werklohnforderung des Klägers und der Schadensersatzforderung des

Beklagten ist eine Klage des Beklagten nach Rechtskraft der Entscheidung über die

Klageforderung wegen § 322 II ZPO ausgeschlossen (soweit die Aufrechnung berücksichtigt

wurde). Vor Eintritt der Rechtskraft steht einer Klageerhebung mit der Gegenforderung als

Gegenstand durch den Beklagten allerdings nichts entgegen. Insbesondere greift der Einwand

der entgegenstehenden Rechtshängigkeit gem. § 261 III Nr. 1 ZPO nur ein, wenn ein bereits

rechtshängiger Streitgegenstand erneut (in einer weiteren Klage) anhängig gemacht werden

soll. Die Gegenforderung ist jedoch kein solcher bereits anhängiger Streitgegenstand. Sie

wurde lediglich zur Verteidigung gegen die Klage auf Zahlung von Werklohn eingewendet

(s.o.).

Eine Klageerhebung durch den Beklagten mit der bereits im Wege der Aufrechnung geltend

gemachten Gegenforderung muss jedoch aus denselben Gründen ausgeschlossen sein, wie die

erneute Klageerhebung hinsichtlich eines bereits rechtshängigen Streitgegenstandes, denn in

dem bereits rechtshängigen Verfahren kann wegen § 322 II ZPO ausnahmsweise eine

rechtskräftige Entscheidung über die Gegenforderung ergehen. Es muss deshalb wie im

direkten Anwendungsbereich des § 261 III Nr. 1 ZPO eine mehrfache Befassung der Gerichte

mit diesem Gegenstand und eine mögliche widersprüchliche Entscheidung über die

Gegenforderung verhindert werden. § 261 III Nr. 1 ZPO ist deshalb auf die Gegenforderung,

die im Wege der Aufrechnung geltend gemacht wird, analog anzuwenden.

Wie im Falle eines Streitgegenstandes gilt:

- Der Eintritt der Rechtskraft gem. § 322 I ZPO hindert die erneute Anhängigmachung

desselben Streitgegenstandes. Einer erneuten Klage steht der Einwand der

entgegenstehenden Rechtskraft entgegen.

- Vorher wird die erneute Anhängigmachung durch den Einwand der entgegenstehenden

Rechtshängigkeit gem. § 261 III Nr. 1 ZPO verhindert.

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Gilt im Falle der Gegenforderung, die im Wege der Aufrechnung geltend gemacht wird

entsprechend:

- Der Eintritt der Rechtskraft gem. § 322 II ZPO hindert die erneute Anhängigmachung der

bereits berücksichtigten Gegenforderung. Einer Klage mit der Gegenforderung durch den

Beklagten steht der Einwand der entgegenstehenden Rechtskraft entgegen.

- Vorher wird eine gleichzeitige Anhängigmachung (d.h. neben dem Prozess des Klägers,

in dem die Gegenforderung im Wege der Aufrechnung geltend gemacht wird) der

Gegenforderung durch eine Klage des Beklagten durch den Einwand der

entgegenstehenden Rechtshängigkeit gem. § 261 III Nr. 1 ZPO analog verhindert.

8. Aufrechnung mit rechtswegfremden Gegenforderungen

Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Gerichts auch für die Gegenforderung spielt

keine Rolle.

Wenn der Beklagte jedoch mit einer rechtswegfremden Forderung aufrechnet ist streitig, ob

das ordentliche Gericht den Rechtsstreit aussetzen muss, um dem Beklagten die Gelegenheit

zu geben, eine Entscheidung über seine Gegenforderung vor dem zuständigen Gericht

herbeizuführen, oder ob das Gericht selbst über die rechtswegfremde Gegenforderung

entscheiden darf.

Aufgrund der Neufassung des § 17 II GVG wird zunehmend die Meinung vertreten, das

Zivilgericht dürfe auch über solche Forderungen entscheiden, da durch diese Vorschrift eine

rechtswegüberschreitende Sachkompetenz eingeräumt worden sei. Dabei müsste jedoch in

Kauf genommen werden, dass das Zivilgericht über Fragen entscheiden müsste, die in die

Fachkompetenz von Gerichten anderer Rechtwege fallen.324

Dem ist nicht zu folgen, denn die Neufassung des § 17 II ZPO bezweckte lediglich, dass das

Gericht den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden (nicht nur zivil-) rechtlichen

Gesichtspunkten zu entscheiden.325

324 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 312. 325 Vgl. Musielak, a.a.O.

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Im Falle der Aufrechnung mit rechtswegfremden Gegenforderungen durch den Beklagten hat

das Gericht deshalb das Verfahren auszusetzen und die rechtskräftige Entscheidung des

Gerichts des dafür zuständigen Rechtswegs abzuwarten.

Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Gegenforderung unbestritten ist.

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IV. Widerklage

1. Begriff der Widerklage

Eine Widerklage ist eine Klage des Beklagten gegen den Kläger im selben Prozess.

Ausgangsbeispiel: K aus Würzburg klagt gegen B aus Schweinfurt auf Zahlung 700 €

Restkaufpreis. B wendet gegen die Klage Rücktritt gem. § 437 Nr. 2

BGB ein und verlangt widerklagend Rückgewähr der angezahlten 300 €.

Es stehen sich also die Klage des Klägers mit dem Antrag den Beklagten zur Zahlung von

700 € zu verurteilen und die (Wider-)Klage des Beklagten mit dem Antrag, den Kläger zur

Zahlung von 300 € zu verurteilen gegenüber.

Beide Parteien sind gleichzeitig Kläger und Beklagter. Es sind zwei Streitgegenstände

rechtshängig.

Die Widerklage ist eine vollwertige Klage, insbesondere kein Angriffs- oder

Verteidigungsmittel i.S.v. §§ 296, 530, 531 ZPO (sondern ein selbständiger „Angriff“).

2. Zulässigkeitsvoraussetzungen hinsichtlich der Widerklage

Auch hinsichtlich der Widerklage gelten grds. die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen

für Klagen.

Besonderheiten:

a, Erhebung der Widerklage

Die Widerklage kann nachträglich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im bereits

laufenden Prozess gem. § 261 II ZPO erhoben werden, d.h. der Beklagte kann den

Streitgegenstand (wie im Falle der nachträglichen objektiven Klagenhäufung, bei der der

Kläger nachträglich einen weiteren Streitgegenstand rechtshängig macht) in der mündlichen

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Verhandlung – in der Form gem. § 297 ZPO - geltend machen, d.h. nicht nur schriftlich,

sondern auch mündlich.326

b, Sachliche und örtliche Zuständigkeit

i, sachliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit ist für Klage und Widerklage getrennt festzustellen; die

Streitwerte beider Klagen werden nicht addiert, vgl. § 5 HS. 2 ZPO.

§ 33 ZPO gilt für die sachliche Zuständigkeit nicht. Dies ergibt sich aus § 506 I ZPO. Dieser

geht davon aus, dass für die Klage des K das AG zuständig ist und für die Widerklage das LG

und regelt für diesen Fall, dass das Gericht auf Antrag an das LG zu verweisen hat. Jedenfalls

für den Fall der Klage beim AG bewirkt § 33 ZPO deshalb nicht die sachliche Zuständigkeit

des AG auch für die Widerklage.

• Im obigen Beispiel ist für die Klage, wie auch für die Widerklage das AG sachlich

zuständig. Es besteht für beide Klagen keine streitwertunabhängige Zuweisung an das

AG bzw. LG und das AG ist für beide Klagen gem. § 23 Nr. 1 GVG zuständig, da der

Streitwert beider Klagen jeweils 5000 € nicht übersteigt.

• Anders wäre es, wenn K (bei streitwertabhängiger Zuständigkeit) auf Zahlung von

3000 € klagt und B Widerklage auf Zahlung von 6000 € erhebt.

Hier wäre für die Klage des K weiterhin das AG gem. § 23 Nr. 1 GVG zuständig, für

die Klage des B dagegen das LG gem. § 71 I GVG.

Ist das AG für die Widerklage nicht durch rügelose Verhandlung gem. § 39 ZPO

zuständig geworden, so wird die Widerklage abgewiesen, es sei denn es wird

Verweisung beantragt (§ 506 ZPO; Hinweis gem. § 504 ZPO!).

• Allerdings gilt eine Besonderheit, wenn das LG für die Klage des K zuständig ist und

der Beklagte eine Widerklage mit einem Streitwert erhebt, der 5000 € nicht übersteigt.

326 Die Widerklage muss einen anderen Streitgegenstand verfolgen, als die Klage. Dies ist jedoch keine

Besonderheit der Widerklage, sondern eine bereits bestehende Rechtshängigkeit oder sogar Rechtskraft ist wie

bei jeder Klage im Rahmen deren Zulässigkeit zu beachten (Stichwort: entgegenstehende Rechtshängigkeit oder

Rechtskraft). Insbesondere darf der Beklagte nicht das kontradiktorische Gegenteil der Klage geltend machen.

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Bsp.: K klagt im obigen Beispiel auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 7000 €, B

beantragt widerklagend die Zahlung von 300 €.

Hier wäre bei getrennter Betrachtung für die Klage des K das LG, für die Klage des B

das AG sachlich zuständig.

In diesem Fall gilt nach allg. Meinung jedoch, dass das LG auch für die Widerklage

zuständig ist, die in die Zuständigkeit des AG fiele, es sei denn das AG ist für die

Widerklage ausschließlich zuständig.327 Im letzten Fall würde das LG die Widerklage

abweisen bzw. auf Antrag gem. § 281 ZPO an das AG verweisen.328

Die Zuständigkeit des LG auch für die Widerklage wird mit dem Zweck der

Widerklage begründet, der darin besteht, zusammenhängende Fragen zusammen zu

behandeln und dem Beklagten die Gelegenheit zum Gegenangriff zu geben.329

ii, örtliche Zuständigkeit

Auch die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach den dafür geltenden allgemeinen

Vorschriften (§§ 12 – 32, 34 ZPO), die jedoch durch § 33 ZPO ergänzt werden.

Oft werden nach den allgemeinen Vorschriften für die Klage und die Widerklage

verschiedene örtliche Zuständigkeiten bestehen, da sie sich meist nach dem Wohnsitz des

Beklagten richtet (§ 12 ZPO) und Kläger und Beklagter oft verschiedene Wohnsitze haben

werden.

Im Ausgangsbeispiel ist für die Klage des K das AG Schweinfurt und für die

Widerklage des B das AG Würzburg gem. § 12 ZPO örtlich zuständig.

Nach den allgemeinen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit könnte B also beim

Gericht der Klage des K seine Widerklage nicht erheben. In solchen Fällen wird § 33 ZPO

relevant:

Besteht nämlich zwischen den beiden Klagen wie im Ausgangsbeispiel ein Zusammenhang,

ist es zweckmäßig, wenn diese Klagen vor demselben Gericht verhandelt und entschieden

werden. Deshalb bestimmt § 33 I ZPO (lesen!) für solche Fälle des Zusammenhangs (dazu

327 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 33 Rn. 18; Musielak, Gk-ZPO, Rn. 319. 328 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 33 Rn. 18. 329 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 319.

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sogleich Genaueres) zwischen Klage und Widerklage einen besonderen (nicht

ausschließlichen!) Gerichtsstand beim Gericht der Klage.

Im Ausgangsbeispiel kann B seine Widerklage deshalb auch beim AG Schweinfurt

erheben, da dieses wegen des Zusammenhangs zwischen Klage und Widerklage gem.

§ 33 I ZPO örtlich zuständig ist.

247

§ 33 I ZPO:

• Der Gegenanspruch (= der vom Beklagten im Wege der Widerklage geltend gemachte

Anspruch) muss mit dem in der Klage (des K) geltend gemachten Streitgegenstand

oder mit den gegen diesen vorgebrachten Verteidigungsmitteln in Zusammenhang

stehen.

• Die Widerklage setzt also eine noch rechtshängige Klage voraus.

• Nach h.M. muss es sich dabei um einen rechtlichen, nicht lediglich tatsächlichen

Zusammenhang handeln.

Rspr: Ist gegeben, wenn es sachdienlich und vernünftig erscheint, über Klage und

Widerklage in einem Prozess zu verhandeln.330

Dies wird wiederum zu bejahen sein, wenn beide Ansprüche aus einem innerlich

zusammengehörenden Lebenssachverhalt stammen.331

• Es genügt jedoch ein solcher Zusammenhang des Gegenanspruchs mit den gegen die

Klage geltend gemachten Verteidigungsmitteln.

Bsp.: K klagt gegen B aus Werkvertrag auf Zahlung des Werklohns. B rechnet gegen

die Forderung mit einer ihm gegen B zustehenden Schadensersatzforderung

wegen eines von K verursachten Unfalls auf. Außerdem erhebt er Widerklage

mit dem Antrag auf Feststellung, dass K auch zum Ersatz aller zukünftigen

Schäden aus dem Unfall verpflichtet ist.

§ 33 I ZPO gilt jedoch gem. § 33 II ZPO nicht, wenn eine Vereinbarung dieses

Gerichtsstands nach § 40 II ZPO unzulässig wäre, wenn also

• die Widerklage einen nichtvermögensrechtlichen Anspruch betrifft, der den AG

streitwertunabhängig zugewiesen ist oder wenn

• für die Widerklage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist

330 Vgl. Nachweis bei Musielak, Gk-ZPO, Rn. 321. 331 Musielak,Gk-ZPO, a.a.O.

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c, § 33 I ZPO als Zulässigkeitsvoraussetzung?

Umstritten ist, ob § 33 ZPO nur im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit für die Widerklage

Bedeutung hat oder ob dieser eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für die Widerklage

aufstellt.

Nach der h.M. in der Literatur ist § 33 ZPO lediglich eine besondere Zuständigkeitsregelung.

Nach der Rechtsprechung hat § 33 ZPO dagegen nicht nur im Rahmen der örtlichen

Zuständigkeit Bedeutung, sondern stellt eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für die

Widerklage auf. Die Widerklage soll demnach nur dann zulässig sein, wenn der rechtliche

Zusammenhang i.S.d. § 33 ZPO besteht.

Zu unterschiedlichen Ergebnissen führen diese Ansichten, wenn dieser Zusammenhang fehlt,

die örtliche Zuständigkeit jedoch nach allgemeinen Vorschriften beim Geicht der Klage auch

für die Widerklage besteht.

In diesem Fall würde die h.M. in der Lit. die Widerklage als zulässig erachten, denn der

Zusammenhang i.S.d. § 33 I ZPO ist nach dieser Ansicht keine besondere

Zulässigkeitsvoraussetzung für die Widerklage und die örtliche Zuständigkeit besteht schon

nach allgemeinen Vorschriften, so dass es auf § 33 ZPO auch hinsichtlich der örtlichen

Zuständigkeit nicht ankommt.

Nach der Rechtsprechung wäre die Widerklage dagegen nicht zulässig, da es an der nach

dieser Ansicht durch § 33 I ZPO geforderten Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt.

Bsp.: K aus Kassel klagt gegen B aus Berlin 1000 € Kaufpreis beim AG Berlin ein.

B erhebt Widerklage auf Zahlung von 1000 € Schadensersatz gegen K wegen

eines KFZ-Unfalls in Berlin, den K verursacht hat und bei dem das Auto des B

beschädigt wurde.

Literatur:

Widerklage ist zulässig.

Insbesondere ist das Gericht der Klage, das AG Berlin gem. § 23 Nr. 1 ZPO,

§ 32 ZPO sachlich bzw. örtlich zuständig, ohne dass es dazu also der

besonderen Zuständigkeitsregelung des § 33 I ZPO bedarf. § 33 I ZPO enthält

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keine besondere Zulässigkeitsregelung, so dass es nicht auf den (hier

fehlenden) Zusammenhang gem. § 33 I ZPO ankommt.

Rechtsprechung:

Widerklage ist unzulässig.

Zwar ist das Gericht sachlich und örtlich zuständig (wie bei der Lit.),

§ 33 I ZPO stellt jedoch eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für die

Klage auf, so dass ein Zusammenhang i.S.d. § 33 I ZPO erforderlich ist. Dieser

besteht im Beispielsfall nicht, so dass die Widerklage unzulässig ist.

Auf Rüge des K wird die Widerklage deshalb abgewiesen.

Für die h.M. in der Lit. spricht:

• die Stellung des § 33 ZPO bei den Vorschriften für die Zuständigkeit des Gerichts und

• die Zweckmäßigkeit, denn bei Abweisung der Widerklage, kann der Beklagte dieselbe

Klage erneut beim selben Gericht erheben. Zweckmäßig ist deshalb die Trennung der

unzusammenhängenden Klage und Widerklage gem. § 145 ZPO, die die Zulässigkeit

der Widerklage voraussetzt.

• eher schwaches Argument: der Wortlaut des § 33 ZPO, der ein „nur“ enthalten müsste,

wenn er als abschließende Regelung für die Zulässigkeit der Widerklage gedacht

wäre332

332 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 322.

250

V. Prozessvergleich

1. Hintergrund und Begriff

Die Parteien können den Rechtsstreit auch durch einen vor dem Gericht geschlossenen

Vergleich (Prozessvergleich) beenden, so dass auch hier keine Entscheidung des Gerichts zur

Hauptsache und (falls diese ebenfalls vom Vergleich erfasst sind auch) zu den Kosten des

Rechtsstreits mehr ergeht.

Das Gericht soll gem. § 278 I ZPO in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung

des Rechtsstreits bedacht sein. Zu diesem Zweck geht der mündlichen Verhandlung gem.

§ 278 II ZPO auch grds. eine Güteverhandlung voraus.

Der Prozessvergleich ist im Gesetz nur teilweise geregelt (vgl. etwa § 794 I Nr. 1 ZPO).Auch

das materielle Recht enthält in § 779 BGB eine Regelung zum Vergleich.

Der Prozessvergleich ist gleichzeitig ein privatrechtlicher Vertrag und ein Prozessvertrag333

zwischen den Parteien eines gerichtlichen Verfahrens, die zu einer untrennbaren Einheit

verbunden sind und hat deshalb eine Doppelnatur.334

Er enthält grds. zwei Vereinbarungen:

1) eine (materiell-rechtliche) Regelung des Verfahrensgegenstandes und

2) eine Prozessbeendigungsabrede.

Prozesshandlung ist der Prozessvergleich, weil er vor Gericht erklärt unmittelbar den

Rechtsstreit beendet (also prozessuale Wirkung entfaltet) und materielles Rechtsgeschäft, weil

er als privatrechtlicher Vertrag (§ 779 BGB) auch das materiell-rechtliche Verhältnis der

Parteien hinsichtlich des Streitgegenstandes regelt.335

333 Ein Prozessvertrag ist ein Vertrag, dessen Hauptwirkung auf prozessrechtlichem Gebiet liegt (vgl. Musielak,

Gk-ZPO, Rn. 53). 334 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 794 Rn. 3. 335 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 794 Rn. 3.

251

Bsp.: K klagt gegen B auf Ersatz des gesamten Schadens aus einem Unfall vom 17.3. in Höhe

von 5000 €. Die Parteien vereinbaren

1) dass B seine Schadensersatzpflicht in Höhe von 4000 € anerkennt und K auf alle

weiteren Rechte aus dem Unfall verzichtet und

2) die zumindest stillschweigende Bedingung, dass der Prozess beendet sein soll.

Die in einem solchen Prozessvergleich enthaltenen auf den Streitgegenstand bezogenen

Regelungen bestehen grds. aus materiellrechtlichen Verträgen, im Bsp. aus drei Verträgen:

1) Hinsichtlich der von B anerkannten Schadensersatzpflicht des B in Höhe von 4000 €

liegt ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis vor. Durch dieses werden alle

Einwendungen des Schuldners B ausgeschlossen werden. Das Schuldanerkenntnis

bezieht sich also auf eine als vorhanden angesehene Verbindlichkeit.

2) Hinsichtlich der von K erlassenen Restforderung liegt ein Erlassvertrag gem.

§ 397 BGB vor.

3) Das deklaratorische Schuldanerkenntnis und der Erlassvertrag haben ihre causa in

einem dritten Vertrag, dem materiell-rechtlichen Vergleich i.S. des § 779 I BGB, der

schuldrechtlicher Vertrag ist.

Der Vergleich ist durch gegenseitiges Nachgeben gekennzeichnet; im Bsp. gibt durch den

Erlassvertrag, B durch das (deklaratorische) Schuldanerkenntnis nach.

2. Voraussetzungen des Prozessvergleichs (§§ 794 I Nr. 1, 160 III Nr. 1

ZPO, § 779 BGB)

1) Der Vergleich muss gem. § 794 I Nr. 1 ZPO zwischen den Parteien oder „zwischen einer

Partei und einem Dritten“ geschlossen worden sein.

Genauer müsste es heißen: „zwischen den Parteien und einem Dritten“.

An dem Vergleich müssen beide Parteien beteiligt sein, da weder der Kläger, noch der

Beklagte den Prozess alleine beendigen können.

252

2) Da der Prozessvergleich ein materiell-rechtlicher Vertrag ist, sind die allgemeinen

materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das wirksame Zustandekommen von Verträgen zu

beachten, §§ 145 – 156 BGB.336

3) Da der Prozessvergleich auch eine Prozesshandlung ist bzw. beinhaltet, müssen die

Erklärungen auch die Wirksamkeitsvoraussetzungen für Prozesshandlungen erfüllen;

insbesondere der Anwaltszwang (§ 78 ZPO) ist zu beachten.

Eine Ausnahme gilt für Dritte, die neben den Parteien den Prozessvergleich schließen und für

den Prozessvergleich vor dem beauftragten oder ersuchten Richter.337

4) Zweck des Vergleichs muss gem. § 794 I Nr. 1 ZPO die ganze oder teilweise Beilegung

des Rechtsstreits sein („seinem ganzen Umfang nach oder in Betreff eines Teils des

Streitgegenstandes“). Ihm muss also eine Prozessbeendigungsvereinbarung zumindest

hinsichtlich eines Teils des Streitgegenstandes zu entnehmen sein. Zudem müssen die

Parteien hinsichtlich der zu diesem Zweck abgeschlossenen materiell-rechtlichen Verträge

verfügungsbefugt sein.338

5) Die getroffene Vereinbarung muss ein gegenseitiges Nachgeben der Parteien gegenüber

ihrem Begehren im Prozess bedeuten.339

6) Der Vergleich muss gem. § 794 I Nr. 1 ZPO grds. vor einem deutschen Gericht

abgeschlossen sein. Das bedeutet:

1. Die Vergleichserklärungen müssen in einer gerichtlichen Verhandlung

abgegeben werden.

2. Beide Parteien (bzw. deren Vertreter) müssen gleichzeitig anwesend sein.

In einem Anwaltsprozess (§ 78 ZPO) ist (wie z.B. auch im Falle der Säumnis

der Parteien) auf die Anwesenheit des Anwalts abzustellen.

3. Der Vergleich muss ordnungsgemäß protokolliert werden (§§ 160 III Nr. 1,

160 a, 162 I, 163 ZPO)

Beachte: die Klage muss jedoch nicht zulässig sein (erst recht nicht begründet).

336 Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, § 794 Rn. 10. 337 Vgl. Musielak, Gk-ZPO, Rn. 282. 338 Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, § 794 Rn. 13. 339 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 282.

253

3. Prozessuale Wirkung

Die Prozessbeendigungsabrede führt unmittelbar zur Beendigung des Prozesses.

Aufgrund des Dispositionsgrundsatzes haben es die Parteien in der Hand, durch ihren

übereinstimmenden Willen den Prozess unmittelbar zu beenden.

Ein in der Sache bereits ergangenes, aber noch nicht rechtskräftiges Urteil wird analog

§ 269 III 1 HS. 2 ZPO wirkungslos.

Über die Kosten wird meist im Vergleich eine Vereinbarung getroffen. Andernfalls gelten sie

gem. § 98 S. 2 i.V.m. S.1 ZPO als gegeneinander aufgehoben, es sei denn die Parteien haben

vereinbart, die Kostenentscheidung dem Gericht zu überlassen. Die Kostenentscheidung

ergeht dann gem. § 91 a ZPO ohne Rücksicht auf den Grundgedanken des § 98 ZPO.340

Ein Vollstreckungstitel gem. § 794 I Nr. 1 ZPO kann der Prozessvergleich natürlich nur sein,

soweit die Parteien eine Verpflichtung zu einer Leistung vereinbart haben.

4. Unwirksamkeit des Prozessvergleichs und deren Folgen

Aufgrund der Doppelnatur des Prozessvergleichs müssen für dessen Wirksamkeit sowohl

materiell-rechtliche, als auch prozess-rechtliche Wirksamkeitserfordernisse erfüllt sein (s.o.).

Unwirksamkeitsgründe können sich somit aus dem materiellen und aus dem Prozessrecht

ergeben.

Bsp.: fehlende Protokollierung

Fristgerechter Widerruf bei Widerrufsvorbehalt

Anfechtung wegen arglistiger Täuschung usw.

Ist der Prozessvergleich unwirksam, so bleibt das Verfahren anhängig.

Ist eine Partei der Meinung, der Vergleich sei unwirksam, so kann sie bei dem Prozessgericht

die Fortsetzung des Verfahrens beantragen. Ist hingegen der Vergleich wegen nachträglicher

Ereignisse entfallen, z.B. Rücktritt gem. § 323 BGB, Fehlen bzw. Störung der

Geschäftsgrundlage oder vertragliche Aufhebung, so ändert dies nichts daran, dass der

340 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 98 Rn. 4

254

Prozess durch den ursprünglich wirksamen Vergleich beendet wurde und daher ein neuer

Rechtsstreit zu führen ist (str.). Entsprechendes gilt bei Streit über die Auslegung des

Vergleichsinhalts.

In diesem Fall prüft das Gericht zunächst die Wirksamkeit des Prozessvergleichs, denn nur in

diesem Fall ist das Verfahren nicht beendigt und entsprechend noch beim Gericht anhängig;

andernfalls fehlt es mit der Rechtshängigkeit des Verfahrens auch an dessen

Entscheidungsbefugnis.

• Kommt es zu dem Ergebnis, dass der Prozessvergleich unwirksam und deshalb das

Verfahren mangels Beendigungswirkung des Vergleichs noch rechtshängig ist, dann

setzt es das Verfahren „ganz normal“ fort.

• Kommt es dagegen zu dem Ergebnis, dass der Vergleich wirksam ist und deshalb das

Verfahren (aufgrund der verfahrensbeendigenden Wirkung des Vergleichs) nicht mehr

rechtshängig ist, reagiert es auf den Fortsetzungsantrag der Partei, indem es die

Erledigung des Rechtsstreits feststellt.

255

Teil 5: Weitere Prozessbeteiligte und –betroffene

A. Streitgenossenschaft

I. Begriff

Streitgenossen heißen mehreren Kläger oder Beklagte desselben Prozesses. In diesen Fällen

liegt eine subjektive Klagenhäufung vor. Die ZPO regelt die Streitgenossenschaft in den

§§ 59- 63 ZPO.

Bsp.: K klagt gegen B1 und B2 oder K1 und K2 klagen gegen B1 und B2 oder K1 und K2

klagen gegen B.

II. Entstehung

Zu einer Streitgenossenschaft kommt es,

• anfänglich, wenn schon in der Klageschrift mehrere Kläger oder/und Beklagte stehen

oder nachträglich

• durch Verbindung mehrerer Prozesse mit verschiedenen Parteien (§ 147 ZPO)

• durch nachträglichen Beitritt einer Partei

• oder auch bei Parteiwechsel, wenn an die Stelle der bisherigen Partei mehrere Personen

treten (Bsp.: die Erben des verstorbenen Beklagten E treten kraft Gesetzes (§ 1922

BGB) mit dem Erbfall an die Stelle der verstorbenen Partei341).

341 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 239 Rn. 1, v. § 50 Rn. 16; Parteiwechsel tritt bereits mit dem Tod des E ein, nicht

erst bei Aufnahme des unterbrochenen Prozess gem. § 239 ZPO.

256

III. Arten und Bedeutung

1. Materiell-rechtlich notwendige Streitgenossenschaft

a, Begriff

Von einer materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossenschaft ( = § 62 I 2. Alt ZPO) spricht

man, wenn die Streitgenossen nur gemeinschaftlich prozessführungsbefugt sind, d.h.

zulässigerweise nur gemeinsam klagen oder verklagt werden können.

Bsp.:342 - Gestaltungsklagen, wenn das Gestaltungsrecht mehreren gemeinsam

zusteht und nur durch gemeinsame Klage ausgeübt werden kann (§§ 117, 127,

133, 140 HGB),

- Aktivprozesse von Gesamthandsgemeinschaften, wenn die

Prozessführungsbefugnis nicht einem der Gesamthänder allein zusteht (§§ 432,

1422, 2038 I 2, 2039 BGB)

K klagt gegen die Miterben B1 und B2 auf Auflassung eines

Nachlassgrundstücks, das er vom Erblasser gekauft hatte. Wenn die Miterben

auf eine Leistung in Anspruch genommen werden, die sie nur gemeinsam

erbringen können, wie die Übereignung eines Nachlassgrundstücks (§ 2040 I

BGB), müssen sie gemeinsam verklagt werden; die Klage gegen nur einen

Miterben wäre unzulässig.

Die Miterben sind nur gemeinschaftlich passiv prozessführungsbefugt.

b, Wirkungen der materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossenschaft

• In diesem Fall kann über die Zulässigkeit der Klage nur einheitlich entschieden

werden, d.h. die Klage kann nur entweder insgesamt zugelassen werden oder insgesamt

342 Vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, § 62 Rn. 1 ff.

257

abgewiesen werden. Dies gilt gerade auch dann, wenn der Mangel nur einem

Streitgenossen anhaftet.

Bsp.: Nur B1 ist prozessunfähig und ohne gesetzlichen Vertreter Klage ist

gegenüber B1 und B2 unzulässig, weil B2 nicht zulässigerweise alleine

verklagt werden kann.

• Auch über die Begründetheit der Klage kann in diesen Fällen nur einheitlich

entschieden werden.

Bsp.: Im obigen Bsp. kann die Auflassungsklage nur gegen beide begründet oder

gegen beide unbegründet sein.

• Grundsätzlich stehen die Streitgenossen gem. § 61 ZPO der Gegenpartei derart als

Einzelne gegenüber, dass die Handlungen des einen Streitgenossen dem anderen weder

zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen.

Die Verhandlung und die Beweisaufnahme werden deshalb grds. für jeden

Streitgenossen getrennt durchgeführt.

Dieser Grundsatz wird jedoch dadurch eingeschränkt, dass die Entscheidung in der

Sache notwendig dieselbe sein muss und der eine Streitgenosse nicht durch die

Untätigkeit des anderen Streitgenossen benachteiligt werden soll.

Deshalb gelten von obigem Grundsatz folgende Ausnahmen.

1) Die Wahrung eines Termins oder einer Frist durch einen Streitgenossen wirkt auch

gegenüber dem anderen, so dass insbesondere kein VU erlassen wird, wenn ein

Streitgenosse im Termin verhandelt. Der andere Streitgenosse gilt dann als durch

den anderen vertreten.

2) Dementsprechend wirken auch sonstige Prozesshandlungen eines Streitgenossen,

z.B. Klageänderung, Anerkenntnis oder Geständnis gegenüber den anderen

Streitgenossen, falls diese nicht rechtzeitig (§ 296 ZPO) widersprechen.

Im Falle des Widerspruchs ist keine der widersprüchlichen Prozesshandlungen

wirksam.

Bsp.: B1 erkennt die Klage als begründet an, B2 beantragt die Abweisung der Klage

als unbegründet. Weder das Anerkenntnis des B1, noch der Abweisungsantrag

258

ist wirksam und das Parteiverhalten wird so bewertet, als wäre zur

Begründetheit der Klage keine Stellung genommen worden.

3) Umgekehrt genügt es, dass der Gegner gegenüber einem Streitgenossen verzichtet

oder anerkennt usw. damit aufgrund seiner Prozessführung ein Urteil zugunsten

aller Streitgenossen ergehen kann.

2. Prozessrechtlich notwendige Streitgenossenschaft

a, Begriff

Von einer prozessrechtlich notwendige Streitgenossenschaft (§ 62 I 1. Alt. ZPO – lesen!)

spricht man, wenn die Streitgenossen zwar jeder für sich allein prozessführungsbefugt sind,

ihnen gegenüber jedoch hinsichtlich der Begründetheit der Klage nur einheitlich entschieden

werden kann, d.h. das streitige Rechtsverhältnis allen gegenüber nur einheitlich festgestellt

werden kann.

Hierher gehören alle Fälle der Rechtskrafterstreckung, denn wenn bei nacheinander geführten

Prozessen nur ein und dieselbe Entscheidung ergehen kann, so muss dies erst recht gelten,

wenn die Prozesse verbunden werden und zugleich entschieden wird.343

b, Wirkungen der prozessrechtlich notwendigen Streitgenossenschaft

• Über die Zulässigkeit der Klage ist in diesen Fällen nicht notwendig einheitlich zu

entscheiden.

Bsp.: die Klage des K1 kann wegen Prozessunfähigkeit zurückgewiesen, die des K2

zugelassen werden.

• Über die Begründetheit der Klage ist dagegen auch hier einheitlich zu entscheiden.

343 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 62 Rn. 7.

259

• Hinsichtlich der Verhandlung und der Beweisaufnahme und der Wirkungen für den

jeweils anderen Streitgenossen gilt das oben (1. b,) im Fall der materiell-rechtlich

notwendigen Streitgenossenschaft Gesagte entsprechend.

3. Einfache Streitgenossenschaft

a, Begriff

Von einer einfachen Streitgenossenschaft spricht man, wenn die Streitgenossen jeder für sich

allein prozessführungsbefugt sind und weder hinsichtlich der Zulässigkeit, noch hinsichtlich

der Begründetheit eine einheitliche Entscheidung ergehen muss.

Bsp.: bei Gesamtschuldnern kann die Klage gegen den ersten Gesamtschuldner als

unzulässig abgewiesen werden, die Klage gegen den zweiten als unbegründet.

b, Wirkung der einfachen Streitgenossenschaft

Hier bleibt es ohne Ausnahmen bei § 61 ZPO, d.h. jeder Streitgenosse führt seinen Prozess für

sich alleine. Die Verhandlung, Beweisaufnahme und die Entscheidung findet nur gleichzeitig

statt, so dass sich jeder Streitgenosse Prozesshandlungen des anderen stillschweigend zu eigen

machen kann.

IV. Zulässigkeit

1. Streitgenossenschaft aufgrund gemeinschaftlicher Klage

• Die materiell-rechtlich notwendige Streitgenossenschaft ist schon deshalb zulässig,

weil alle Streitgenossen nur gemeinschaftlich klagen können.

• Bei der prozessrechtlich notwendigen und der einfachen Streitgenossenschaft bei der

jeder Streitgenossen allein prozessführungsbefugt ist, muss die Zulässigkeit der

Streitgenossenschaft dagegen eigens gerechtfertigt werden.

260

Sie ergibt sich aus §§ 59 und 60 ZPO (lesen!).

Als selbstverständlich vorausgesetzt ist in diesen Vorschriften, dass dieselbe Prozessart

gewählt ist und kein Verbindungsverbot besteht (s. dazu bereits bei der objektiven

Klagenhäufung).

Ist die Streitgenossenschaft unzulässig, so wird sie getrennt (§ 5 ZPO ist dann nicht

anwendbar).

Ist sie dagegen bloß unzweckmäßig, wird sie ebenfalls getrennt, § 145 I ZPO, § 5 ZPO

bleibt jedoch anwendbar (§ 261 III 2 ZPO).

2. Streitgenossenschaft aufgrund Prozessverbindung

Streitgenossenschaft kann auch durch Prozessverbindung entstehen, die unter den

Voraussetzungen des § 147 ZPO (lesen) zulässig ist.

261

B. Nebenintervention/Streithilfe

I. Begriff und Zweck

Die Nebenintervention bzw. Streithilfe (§ 66 ZPO – lesen!) ist die Beteiligung eines Dritten,

der nicht selbst Partei ist, an einem Rechtsstreit zur Unterstützung einer Partei (die

unterstützte Partei wird auch als Hauptpartei bezeichnet).

Der Nebenintervenient (auch Streitgehilfe/Streithelfer, im Folgenden NI) handelt im eigenen

Namen und neben oder anstatt der unterstützten Partei.344

Die Nebenintervention räumt Personen, deren rechtliches Interesse vom Ausgang des

Prozesses beeinflusst wird, die Möglichkeit ein, Einfluss auf diesen Prozess zu nehmen.

II. Voraussetzungen

1) Anhängigkeit eines Rechtsstreits zwischen anderen Personen

Die Nebenintervention ist möglich, solange ein Rechtsstreit zwischen anderen Personen

anhängig ist, d.h. von der Klageeinreichung bis zum Ende der Rechtshängigkeit (§ 261 ZPO),

also bis zur Rechtskraft des Urteils. In diesem Verfahren darf der NI nicht selbst Partei oder

gesetzlicher Vertreter einer Partei sein.

2) Rechtliches Interesse des NI (sog. Interventionsgrund)

Der NI muss ein rechtliches Interesse am Obsiegen der unterstützten Partei haben.

Die Rechtstellung des NI muss durch ein für die unterstützte Partei ungünstiges Urteil

rechtlich verschlechtert bzw. umgekehrt durch ein dieser günstiges Urteil rechtlich verbessert

werden.345 Es ist insbesondere gegeben in Fällen der Rechtskrafterstreckung auf den NI

(§§ 325 – 327 ZPO, § 407 II BGB) und Gestaltungswirkung (§ 133 HGB);346 zudem auch in

Fällen akzessorischer Haftung (Bürge, Verpfänder, Besteller der Hypothek).

344 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 66 Rn. 1. 345 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 66 Rn. 5. 346 Thomas/Putzo/Hüßtege, a.a.O.

262

Der praktisch wichtigste Fall ist der, dass die unterstützte Partei einen Anspruch gegen den NI

hätte, wenn sie im Rechtsstreit unterläge (Regressanspruch gegen den NI).347

Bsp.: K klagt gegen den Verkäufer V auf Schadensersatz wegen eines Sachmangels. Der

Lieferant (D) des Verkäufers hat ein rechtliches Interesse am Ausgang des Prozesses, weil

ihm gegenüber Regressansprüche des V drohen.

3) Wirksame Beitrittserklärung, § 70 ZPO

Der NI muss gem. § 70 ZPO (lesen!) seinen Beitritt wirksam erklären.

Der Beitritt erfolgt durch Einreichung eines Schriftsatzes mit dem Inhalt gem. § 70 I S. 2

ZPO.

Beachte: Die Beitrittserklärung kann beschränkt sein, d.h. der Beitritt des NI kann sich auf

einen Teil des Streitgegenstands bzw. bei mehreren Streitgegenständen nur auf einen

Streitgegenstand beziehen. Deshalb ist, wenn die Klage im Nachhinein erweitert wird, zu

beachten, dass die erfolgte Nebenintervention sich nicht automatisch auch auf den

nachträglich eingebrachten Teil erstreckt. Allerdings ist eine konkludente und formlose

Erweiterung der Beitrittserklärung möglich (Auslegung).348

4) Prozesshandlungsvoraussetzungen beim NI

Die Beitrittserklärung des NI ist eine Prozesshandlung, so dass der NI die allgemeinen

Prozesshandlungsvoraussetzungen erfüllen muss, insbesondere also partei-, prozess- und

postulationsfähig (d.h. im Anwaltsprozess anwaltlich vertreten, § 78 ZPO) sein muss.

347 Thomas/Putzo/Hüßtege, a.a.O. 348 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 66 Rn. 8.

263

III. Entscheidung des Gerichts über Beitrittserklärung

Das Gericht prüft v.A.w., ob die Prozesshandlungsvoraussetzungen beim NI vorliegen und die

Beitrittserklärung wirksam ist.

Fehlen sie, wird die Nebenintervention durch Beschluss zurückgewiesen (Beachte § 567 I

ZPO).

Dagegen prüft es nur auf Antrag einer Partei, ob die sachlichen Voraussetzungen der

Nebenintervention gegeben sind.

Mängel, die nicht gerügt werden, werden gem. § 295 I ZPO geheilt.

Stellt eine Partei den Antrag, die Nebenintervention zurückzuweisen, wird über die

Nebenintervention streitig mündliche verhandelt (Interventionsstreit) und schließlich darüber

durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO) entschieden.349

IV. Rechtsstellung des NI

1. Grundsatz

Gem. § 67 ZPO ist der NI berechtigt, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen

und alle Prozesshandlungen vorzunehmen, soweit seine Handlungen nicht in Widerspruch zu

denen der Hauptpartei stehen. Er kann die Prozesshandlungen, die auch die unterstützte Partei

vornehmen könnte vornehmen, mit der Wirkung, als wenn sie die Partei selbst vorgenommen

hätte.350

Zwar handelt der NI im eigenen Namen, vertritt also nicht die Hauptpartei, aufgrund des § 67

ZPO kann die Hauptpartei aber völlig untätig bleiben und dem NI die Prozessführung

überlassen.351

Der NI kann352

- Tatsachen behaupten, bestreiten, gestehen, beweisen

- Anträge stellen, Streit verkünden

349 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 335. 350 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 67 Rn. 6. 351 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 67 Rn. 1. 352 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 67 Rn. 6.

NI kann Säumnisfolgen

abwenden

264

- Rechtsmittel einlegen und begründen

2. Beschränkungen

a, Bindung an die Lage des Rechtsstreits

Der NI ist an die Lage des Rechtsstreits, wie sie sich zur Zeit des Beitritts darstellt gebunden,

d.h. er kann die bis dahin eingetretene Prozesslage nicht mehr ändern, sondern übernimmt sie.

Dies gilt z.B. für:

• Geständnisse der Hauptpartei;

• Zustimmungen (z.B. in Klageänderung durch Gegenpartei, §§ 263, 269 ZPO);

• Zuständigkeit des Gerichts (§ 39 ZPO);

• Rügeverzicht gem. § 295 ZPO

b, Verbot widersprechender und sonstiger Prozesshandlungen

Die Prozesshandlungen des NI dürfen denen der Hauptpartei nicht widersprechen, § 67 ZPO,

d.h. der NI darf mit und ohne, aber nicht gegen den Willen der Hauptpartei handeln.353

Der NI darf deshalb insbesondere keine widersprechenden bzw. gegensätzlichen Anträge

stellen (wohl aber ergänzende oder erweiternde).

Bsp.:354

• Klageänderung, Klagerücknahme, Verzicht (§ 306 ZPO), Anerkenntnis (§ 307 ZPO)

soweit diese Prozesshandlungen im Widerspruch zum Willen der unterstützten Partei

stehen.

• Geständnis einer von der Hauptpartei bestrittenen Tatsache

• Widerruf der Prozesshandlungen der Hauptpartei

• Rechtsmittel einlegen gegen den Widerspruch oder Willen der Hauptpartei

353 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 338. 354 Vgl. Musielak, Gk-ZPO, Rn. 337; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 67 Rn. 13.

265

Auch sonstige Prozesshandlungen sind verboten, soweit sie der Rechtsverfolgung der

unterstützten Partei zuwiderlaufen, denn er handelt zur Unterstützung der Hauptpartei (§ 66 I

ZPO)

Bsp.: Verzicht auf Rechtsmittel

c, Materiell-rechtliche Willenserklärungen

Der NI darf bzw. kann nicht die materielle Rechtslage verändern, z.B. mit einer Forderung

der Partei aufrechnen, Prozessvergleich schließen.355

355 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 67 Rn. 15.

266

V. Wirkung der Nebenintervention

Die Nebeninterventionswirkung tritt ein zwischen dem NI zur unterstützen Partei

(Hauptpartei) und wird in einem Rechtsstreit zwischen diesen bedeutsam.356

Die Wirkung der Nebenintervention ist, dass das Gericht in einem späteren Rechtsstreit

zwischen dem NI und der Hauptpartei an das Urteil des Vorprozesses und die das Urteil

tragenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte gebunden ist, soweit

(1) diese im neuen Rechtsstreit streitig sind und

(2) dort zugunsten der Hauptpartei des Vorprozesses wirken (str.357) und

(3) das frühere Urteil auf ihnen beruht.

Zur Verdeutlichung:

Vorprozess: zwischen Hauptpartei und Gegenpartei Urteil1

unterstützt

Neuer Rechtsstreit: zwischen Hauptpartei und Nebeninterventient Urteil 2

Beachte: der Bindungsgegenstand bei der Nebeninterventionswirkung ist ein weiterer als der

der materiellen Rechtskraft: Übernommen wird vom Gericht hier nicht nur die im ersten

Urteil getroffene Entscheidung, sondern auch bestimmte vorgreifliche Feststellungen, d.h. die

tragenden Urteilsgründe sind hier ebenfalls von der Bindungswirkung umfasst.

Insbesondere erstreckt sich die Nebeninterventionswirkung auf für das erste Urteil

präjudizielle Rechtsverhältnisse.

356 Thomas/Putzo/Hüßtege, § 68 Rn. 1. 357 Die h.M. verneint die Nebeninterventionswirkung zum Nachteil der Hauptpartei (vgl. Musielak, Gk-ZPO, Rn.

343).

Nebeninterventient

Bindung bei Entscheidungs-

findung bzgl. Urteil 2 auch an

Feststellungen des Urteils 1

267

Dieser Bindung kann der NI nur eingeschränkt entgegentreten, indem er mangelhafte

Prozessführung durch die Hauptpartei geltend macht. Da der NI jedoch selbst die Möglichkeit

hat, im Vorprozess Prozesshandlungen vorzunehmen, kann dieser Einwand nur insoweit zum

Erfolg führen, als der NI im Vorprozess gerade keine Möglichkeit hatte, auf den

Prozessverlauf Einfluss zu nehmen. Soweit also zur Zeit seines Beitritts eine bestimmte für

ihn unabänderliche Lage eingetreten war oder er durch den entgegenstehenden Willen der

Hauptpartei an bestimmten Prozesshandlungen gehindert war, kann er sich im Folgeprozess

darauf berufen und dadurch die Interventionswirkung beschränken.358

358 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 341.

268

C. Streitverkündung

Die Hauptpartei hat wegen der Nebeninterventionswirkung oft ein erhebliches Interesse

daran, dass ein Dritter als Nebeninterventient beitritt.

Durch die Nebeninterventionswirkung wird verhindert, dass der Erstprozess (zwischen

Hauptpartei und Gegenpartei) und der spätere Prozess (zwischen Hauptpartei und

Nebenintervenient) zum Nachteil der Hauptpartei mit unterschiedlichem ergebis entschieden

wird.359

Nach § 72 ZPO kann deshalb eine Partei (sog. Streitverkünder), die für den Fall des ihr

ungünstigen Ausgangs eines Rechtsstreits einen Anspruch gegen einen Dritten (sog.

Streitverkündungsempfänger) erheben könnte, die Nebeninterventionswirkung herbeiführen

(§ 74 III ZPO-lesen!), indem sie dem Dritten den Streit verkündet, ohne dass also ein Beitritt

des Dritten erforderlich ist.

Die Streitverkündung erfolgt in der Form des § 73 ZPO.

Voraussetzungen für die Streitverkündung:

1. anhängiger Rechtsstreit

2. Streitverkündungsgrund (§ 72 I ZPO, s.o.)

3. Prozesshandlungsvoraussetzungen (da die Streitverkündung eine Prozesshandlung ist)

Wirkung der Streitverkündung:

Gem. § 74 ZPO ist danach zu unterscheiden, ob der Dritte nach der Streitverkündung dem

Streitverkünder beitritt.

• Tritt er bei, so gelten gem. § 74 I ZPO die Grundsätze der Nebenintervention.

• Tritt er nicht bei, so wird der Rechtstreit gem. § 74 II ZPO fortgesetzt, jedoch sind

gegen ihn die Vorschriften des § 68 ZPO anzuwenden, d.h. die

Nebeninterventionswirkung tritt ein.

359 Musielak, Gk-ZPO, Rn. 349.

269

D. Parteiänderung

Die Parteiänderung gliedert sich in gesetzliche und gewillkürte Parteiänderung.

Die gesetzliche Parteiänderung betrifft hauptsächlich den gesetzlichen Parteiwechsel im

Falle des Todes eines Partei, §§ 239 ff. ZPO i.V.m. dem Rechtsgedanken des § 1922 BGB

sowie den sog. „Amtsverwalterfällen“ (z.b. § 85 InsO) und der gesetzlichen

Parteierweiterung, § 856 III, IV ZPO.

Die gewillkürte Parteiänderung ist hingegen komplizierter, da gesetzliche Regelungen

fehlen.

Die gewillkürte Parteierweiterung (Parteibeitritt) bedeutet das Hinzutreten eines neuen

Klägers bzw. eines neuen Beklagten zu dem laufenden Rechtsstreit. Dies kann passieren

entweder durch Verbindung durch das Gericht gem. § 147 ZPO oder durch weitere Klage

eines neuen Klägers oder gegen einen weiteren Beklagten. Notwendig ist im letzten Fall, da

eine nachträgliche Streitgenossenschaft entsteht, die Erfüllung der Voraussetzungen des §§ 59

f. ZPO (str.; nach a.A. ist nur über § 147 ZPO eine gewillkürte Parteierweiterung möglich).

Die Rechtsprechung behandelt die gewillkürte Parteierweiterung in der ersten Instanz nach

den Regeln über die Klageänderung, § 263 ZPO (Klageänderungstheorie), so dass sie

Sachdienlichkeit oder Einwilligung des Beklagten verlangt.

Auf der Klägerseite ist nötig neben der weiteren Klage des neuen Klägers die Zustimmung

des alten Kläger (nicht bei Verbindung über § 147 ZPO). Nur in der Berufungsinstanz ist

Zustimmung des Beklagten nötig.

Auf der Beklagtenseite ist neben der weiteren Klage gegen den neuen Beklagten nur in der

Berufungsinstanz die Zustimmung des neuen Beklagten nötig (da jede Person jederzeit

verklagt werden kann).

Der gewillkürte Parteiwechsel wird von der Rechtsprechung (zumindest) in der ersten

Instanz ebenfalls nach den Regeln über die Klageänderung, § 263 ZPO

(Klageänderungsthorie) behandelt.

Auf der Klägerseite ist neben der Erklärung des neuen Klägers und der Zustimmung des alten

Klägers die Zustimmung des Beklagten erfordorderlich; nach der Rechtsprechung kann auch

270

hier die Sachdienlichkeit die Einwilligung ersetzten (allerdings nicht im Sonderfall des § 265

II 2 ZPO, BGH NJW 1996, 2799).

Auf der Beklagtenseite ist neben der Erklärung des Klägers die Zustimmung des alten

Beklagten erforderlich (Rechtsgedanke des § 269 I ZPO, BGH NJW 1981, 989 f.). In der

Berufungsinstanz ist die Einwilligung des neuen Beklagten erforderlich (es sei denn sie wird

rechtsmißbräuchlich verweigert).

Die Rechtshängigkeit tritt gegenüber den neuen Partei erst mit wirksamer Parteiänderung ein.

Geständnis, Anerkenntnis oder Verzicht der ausgeschiedenen Partei können widerrufen

werden, sofern keine Einwilligung der Partei vorher vorlag.

Da in diesem Bereich der gewillkürten Parteiänderung nahezu alles umstritten ist, ist es für

die Fallbearbeitung ratsam, folgende Grundgedanken zu berücksichtigen:

1. § 269 I ZPO: Beklagtenschutz; der Beklagte nach nach dem Beginn der Verhandlung

zur Hauptsache ein Recht auf ein Urteil.

2. Niemand muss ohne seine Zustimmung einen laufenden Rechtsstreit übernehmen,

wenn er an dessen Lage und bisherige Ergebnisse gebunden sein soll, die ohne ihn

zustande gekommen sind.