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ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? Auf dem Weg in die 24 Stunden-Gesellschaft

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ÄNDERN SICH DIE ZEITEN?Auf dem Weg in die 24 Stunden-Gesellschaft

IMPRESSUM

Herausgeber und V.i.S.d.P.:ver.di Landesbezirk HessenJürgen BothnerWilhelm-Leuschner-Str. 69–7760319 FrankfurtTel.: 069 2569-0Fax: 069 2569-1199

Redaktion:Medienbüro Dorothee Beck Frankfurt am Main

Layout:winterstein grafik design, Frankfurt am Main

Druck:Druckkollektiv GmbH, Gießen

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT 3

INHALT

VORWORT: WEM GEHÖRT DIE ZEIT? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT18. NOVEMBER 2008, FRANKFURT

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6ÄNDERN SICH DIE ZEITEN?

Dr. Helga Zeiher, Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik, Soziologin, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

ZEITERFASSUNG NACH REFAHermann Dahmen, Leiter Bereich Verwaltung und Dienstleistung, REFA-Bundesverband Darmstadt

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

FAMILIEN IN ZEITNOT. BALANCEAKT ZWISCHEN BERUF UND FAMILIE11. FEBRUAR 2009, KASSEL

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19FAMILIEN IN ZEITNOT

Svenja Pfahl, SowiTra – Forschung, Beratung, Transfer, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

FAMILIENFREUNDLICHE MAßNAHMEN DER FRAPORT AG Gudrun Müller, Leiterin des Servicecenters Soziales der Fraport AG, Frankfurt/Main

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

EINE ZEITBEWUSSTE STADT. TRAUM ODER MACHBAR?23. APRIL 2009, FRANKFURT

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36RAUMZEITPOLITIK

Benjamin Herkommer, Stadtplaner, Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

VON ZEITBRÜCKEN UND ZEITINSELN – FAMILIENFREUNDLICHES HANAUImke Meyer, Frauenbeauftragte der Stadt Hanau

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

FLEXIBLE BESCHÄFTIGUNGSVERHÄLTNISSE UND STARRE TARIFVERTRÄGE.WIE PASST DAS ZUSAMMEN?7. OKTOBER 2009, FRANKFURT

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44ARBEITSZEITTRENDS UND DIE ROLLE DER ARBEITSZEIT IN DER KRISE

Alexander Herzog-Stein und Hartmut Seifert, Wirtschafts- und Sozialforschungsinstitut der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 FLEXIBLE BESCHÄFTIGUNGSVERHÄLTNISSE UND STARRE TARIFVERTRÄGE –

WIE PASST DAS ZUSAMMEN?Jörg Wiedemuth, Bereichsleiter Tarifpolitische Grundsatzabteilung, ver.di Bundesverwaltung Berlin

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

SCHLUSSBETRACHTUNG: NICHT ALLES MUSS ZU JEDER ZEIT GEMACHT WERDEN. . . . . . .

PLÄDOYER FÜR EINE NEUE GEWERKSCHAFTLICHE ZEITPOLITIK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT4

WEM GEHÖRT DIE ZEIT?

Unter diesem Motto luden die Ver-einte Dienstleistungsgewerkschaft

(ver.di) und die Friedrich-Ebert-Stiftung(FES) in Hessen zwischen November2008 und Oktober 2009 zu vier Dis-kussionen in Frankfurt und Kassel überAspekte der Beschleunigung und Ent-grenzung von (Arbeits-)Zeiten ein.

Zeit gehört zu den Faktoren, dieunsere Gesellschaft am stärksten prägen.Und sie ist eine der wertvollsten Ressour-cen des Menschen. Anders als andereRessourcen kann sie weder angehäuftnoch angespart werden. Ihre Knappheitund Kostbarkeit prägen Wirtschaft wiePrivates. Die Frage, wie wir unsere Zeitverbringen wollen, berührt unmittel-bar die Frage, wie wir leben wollen.

Zeitstrukturen der Gesellschaft be-einflussen fast alle Bereiche des persön-lichen und sozialen Lebens. Sie steuernund koordinieren gesellschaftliche Ab-läufe und Strukturen. Deswegen sind sieBestandteil und Ergebnis von politischenund gesellschaftlichen Aushandlungspro-zessen und Verteilungskonflikten. ÜberRhythmus, Dauer, Tempo und Synchro-nisierung von Ereignissen und Prozessenzu bestimmen ist eine Frage wirtschaft-licher und gesellschaftlicher Macht.

Seit Beginn des digitalen Zeitalters,mit fortschreitender Globalisierungund den politischen Umbrüchen Endedes 20. Jahrhunderts wandeln sich dieZeitstrukturen einschneidend. Dies wirdvor allem als Beschleunigung wahrge-nommen: in Technik und Wirtschaft, aberauch im sozialen Leben. Neu ist diese Er-

fahrung nicht. Menschen haben Moder-nisierung schon immer als Beschleuni-gung erfahren. Neu ist aber, dass die Be-schleunigung sich immer weiter selbstantreibt und an Tempo stetig zunimmt.Neu ist auch die Erfahrung, dass Ungleich-zeitiges gleichzeitig geschieht und alleszu jederzeit möglich ist (oder sein soll).

Der technische Fortschritt verändertdie Dimensionen von Raum und Zeit.Räume schrumpfen, Metropolen rückennäher zusammen – auch global.Gleichzeitig verlieren ländliche Räumeimmer mehr den Anschluss.

Technischer Fortschritt beschleunigtden sozialen Wandel: Beschäftigungs-verhältnisse, Lebensstile, Familienstruk-turen, Moden, politische und religiöseBindungen verändern sich immer schnel-ler. Lebenszyklen verlieren ihre traditio-nellen Rhythmen und beschleunigensich. Zeiträume der Stabilität, Ruhe undBeständigkeit, in denen Menschen Er-wartungssicherheit erfahren, verkür-zen sich und werden zur Ausnahme.

Da technische Neuerungen Zeitge-winn versprechen, glauben Menschen, inder gleichen Zeit mehr „leisten“, mehr„erleben“ zu können Daraus resultiertdie Forderung nach weiterem techni-schen Fortschritt, um dem gestiegenenTempo gerecht werden zu können.

Schon das höhere Tempo an sichverursacht Stress. Reibungsverluste anstrukturellen und kulturellen Schnitt-stellen lösen zusätzliche Konflikte aus,wenn sich verschiedene Lebensbereichenicht mehr miteinander in Einklang

Vorwort

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bringen lassen. Ganze gesellschaftlicheSubsysteme, politische und gesell-schaftliche Prozesse, Strukturen undInstitutionen sind der Gefahr der De-Synchronisierung ausgesetzt.

Wirtschaftliche und wissenschaftlicheEntwicklungen können „zu schnell“ seinfür politische und rechtliche Steuerung.Die Ausdifferenzierung und Individuali-sierung von Arbeitszeiten macht es nichtnur komplizierter, Beruf und Familie„zu synchronisieren“, sondern verändertauch Freizeit, ehrenamtliches Engage-ment oder Weiterbildung. Da wird schondie Fußballmannschaft oder der Chorzum Problem, weil wegen unterschied-licher Arbeitszeiten kein gemeinsamerÜbungstermin gefunden werden kann.

Veränderte Zeitlogiken wirken sich aufStadtplanung, Flächennutzung und denöffentlichen Personenverkehr aus und ha-ben ökologische Konsequenzen. Wennnicht mehr alle zur gleichen Zeit zur Arbeitund wieder nach Hause fahren, müssenÖPNV-Taktzeiten verändert werden. Inländlichen Regionen stellt das öffentli-che Angebote in Frage. Das Auto bleibtals einziges Fortbewegungsmittel. InMetropolen kann sich die Verkehrssi-tuation hingegen entspannen.

Die Bandbreite an Wirkungen und Fol-gen machen den Wandel der Zeitstruk-turen so brisant und weisen Gewerk-schaften wie auch der Politik die Aufgabezu, diesen Prozess zu gestalten.

Wie kann Menschen individuell undkollektiv ein Gebrauch von Zeit er-möglicht werden, der ihren Wertenund Zielen entspricht?

Wie viel Flexibilisierung verträgt dieGesellschaft? Und kann sie die Flexi-bilisierung aller aushalten?Welche gesellschaftlichen Auswirkun-gen hat die soziale Beschleunigungauf Strukturen der Gesellschaft undihrer Sub-Systeme? Sind diese Aus-wirkungen positiv oder negativ?Welche strukturellen Möglichkeitender Entschleunigung gibt es?Wo ist Entschleunigung sinnvoll undErfolg versprechend? Und wo mussBeschleunigung human und sozial-verträglich gestaltet werden?

An vier Abenden haben je zwei Exper-tinnen oder Experten unterschiedliche As-pekte dieser Fragen reflektiert. Nach ei-ner Auftaktveranstaltung zur übergeord-neten Gesamtthematik gab es Diskussio-nen zur Zeitnot von Familien, zu Zeitenin der Stadt sowie zum Verhältnis von fle-xibler Beschäftigung und Tarifpolitik.

Mit dieser Veranstaltungsreihe habenwir einen Impuls zur Entwicklung eineskritischen Zeitbewusstseins gesetzt. Esbleibt notwendig, für eine sozialverträgli-che Synchronisation von Zeiten zu wer-ben und den Faktor Zeit bei Entscheidun-gen in Wirtschaft, Politik und Gesell-schaft so zu beeinflussen, dass sie denBedürfnissen von Individuen, Familienund Gruppen Rechnung tragen.

Nicole NestlerLeiterin des Landesbüros Hessen Friedrich-Ebert-Stiftung

Jürgen Bothner Leiter des ver.di-Landesbezirks Hessen

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ÄNDERN SICH DIE ZEITEN?Auf dem Weg in die 24-Stunden-Gesellschaft18. NOVEMBER 2008, FRANKFURT AM MAIN

Zeitdruck, Zeitmanagement, Zeitnot,Hektik Stress – vielen Menschen fal-

len spontan negative Begriffe zumThema Zeit ein. Zeit ist heute nichtsmehr, was man hat, was zum Gestal-ten oder gar Verschwenden einlädt,was Ruhe und Entspannung bringenkann. Zeitnot und Zeitdruck habenbereits Jugendliche und sogar Kinder.Woran liegt das? Wer sind diesegesichtslosen, kleinen dicken Männerin grauen Anzügen, die Kälte verbrei-ten und mit ihren Zigarren die Zeitwegrauchen, gegen die Momo in demBuch von Michael Ende kämpft?

Was lässt sich tun für mehr Zeit-wohlstand und damit auch für mehrLebensqualität? Was sind die zentralenStellschrauben? Welche individuellen

Spielräume gibt es und wo enden sie?Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe„Ändern sich die Zeiten? Auf dem Wegin die 24-Stunden-Gesellschaft“ wurdendie wichtigsten Dimensionen des The-mas Zeit angesprochen: Der gesellschaft-liche und der betriebliche Blick trafenaufeinander.

Den Auftakt lieferte die SoziologinDr. Helga Zeiher aus Berlin, Mitglied imVorstand der Deutschen Gesellschaft fürZeitpolitik.

Daneben wurde „Zeit“ aus dem Blick-winkel des Haupttaktgebers von Zeitenin der Gesellschaft betrachtet, der Ar-beitswelt. Hermann Dahmen vom REFA-Bundesverband in Darmstadt erläuterte,wie Zeit im Betrieb gemessen und ein-geteilt wird.

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ÄNDERN SICH DIE ZEITEN?Dr. Helga Zeiher, Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik, Soziologin, Berlin

„Keine Zeit!“ „Das schaffe ich zeitlichnicht!“ – Jeder von uns erfährt es täglichan sich selbst und an anderen. Zeitman-gel, Beschleunigungsdruck und alltäg-liche Zeitkonflikte – Leiden an der Zeitbreitet sich aus. Wie kommt es dazu?Und lässt sich etwas dagegen tun? Dassind die beiden Fragen, zu denen ich ver-suchen möchte, Antworten zu geben.

Wandel im Zeitgebrauch

Jedes Mal, wenn in der Geschichte derModerne durch neue technische Erfin-dungen Zeitbedingungen beschleunigtwurden, hat es eine Welle kritischer De-batten über die Folgen für die Lebens-qualität der Menschen gegeben. Das warso, als die ersten Eisenbahnen fuhren,dann wieder, als sich Elektrizität, Auto-mobil, Radio und Telefon ausbreiteten,und heute erneut, nachdem die Informa-tionstechnologie den Umgang mit Raumund Zeit radikal verändert hat. Denn wenndie technischen Voraussetzungen vonProduktion, Mobilität und Kommuni-kation schneller werden, verändert dasnicht nur das Tempo technischer Abläu-fe. Es entwickeln sich auch andere Zeit-muster des Arbeitens und Lebens.

So führte einst die Mechanisierung derProduktion zur Rationalisierung von Ar-beitsprozessen: zu genauerer Planung undkleinteiliger Zerlegung von Arbeitsvor-gängen und -zeiten, wie etwa bei derFließbandarbeit. Arbeitszeitintensivie-rung durch Rationalisierung und Techni-sierung hat in der Industrie des 19. Jahr-hunderts begonnen, dann aber schon

früh in die private Arbeit ausgestrahlt. Die Entwicklung wurde zunächst be-

grüßt. Noch Ende der sechziger Jahreglaubte man, technische und ökonomi-sche Effizienz würden den Menschenmehr freie Zeit bringen, ein glücklicheresLeben mit mehr Muße. Die Wochenar-beitszeiten sanken, es gab längere Ur-laubszeiten, und technische Erleichterun-gen schienen auch die Zeit für Hausar-beit zu verkürzen. Doch bald wurde einParadox spürbar: Obwohl wir ständigZeit gewinnen, sind wir immer mehr inZeitnot. Wenn wir mehr Freizeit haben,kaufen, nutzen und pflegen wir immermehr Freizeitgüter. Beschleunigung derProduktion verlangt mehr und somitschnelleren Umsatz; das Gekaufte mussimmer rascher durch Neues ersetztwerden. Die Angebote zu privatem Kon-sum sind enorm gewachsen, und sielassen sich heute virtuell in jedes Wohn-zimmer holen. Das Sichten und Auf-greifen braucht viel Zeit, mehr Zeit, alsdie meisten haben. Das erzeugt undverstärkt individuelle Zeitnot.

Doch es geht nicht allein um Be-schleunigung. Die Verhältnisse zwischenGegenwart und Zukunft verschiebensich zugunsten der jeweiligen Gegen-wart. Langfristige Planung wird inef-fektiv, weil sich Wissen, Technik undsoziale Verhältnisse sehr rasch wandeln.Seit Informationsübermittlung nicht mehran Bewegung im Raum gebunden ist,schrumpfen zeitliche Planungshorizonte.Daher arbeiten Produktion und Handelheute kurzfristig: der je aktuellen Nach-frage angepasst, „on demand“, „just in

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time“. Dementsprechend wird heuteweniger in fremdbestimmten starrenZeitstrukturen gearbeitet, sondern zeit-lich flexibel. Die einst festen Arbeits-zeiten lösen sich auf, Entscheidungenüber die Arbeitszeit, auch die Zeitkon-trolle der Arbeit, sind vermehrt deneinzelnen Arbeitenden überlassen.

Arbeitszeitbestimmung wird somitindividualisiert. Wo aber der Zeitdrucknicht durch externe Vorschriften ausge-übt wird, müssen die Menschen sichselbst unter Zeitdruck setzen, sich derEntrhythmisierung und dem Tempo an-passen und immer flexibler und immerschneller arbeiten – und auch leben.Flexibilisierungen und individualisierteZeitbestimmung bedeuten für die ein-zelnen Erwerbstätigen also keineswegsin jeder Hinsicht, wie man meinenkönnte, mehr Freiheit von Zeitzwängen.Die individuellen Kosten sind hoch:Überforderungen und Selbstüberforde-rungen, die in psychische und somati-sche Krankheiten führen können.

Für viele Erwerbstätige nimmt dieArbeitszeit heute nicht mehr ab, sonderndehnt sich aus. Normalarbeitszeiten, diezeitlichen Begrenzungen der Arbeits-zeiten auf den Tag und die Werktage,werden zunehmend durchbrochen.Arbeit dringt häufiger in die Abendeund in die Wochenenden ein. Nicht nuram Arbeitsplatz, sondern im gesamtenAlltagszusammenhang der Menschenverlieren Aktivitäten ihre traditionellenZeitplätze, sie werden rund um die Uhr,die Woche und das Jahr gleichermaßengetan. Die einst für alle gleichen Rhyth-men von Tag, Woche und Jahr schwin-den. Die Alltagswelt wird pausenlos.Für das private soziale Leben bedeutet

solche Auflösung kollektiver Rhythmen:Es wird schwierig, mit Familienmitglie-dern oder mit Freunden gemeinsamden Sonntag zu verbringen.

Während einst komplette Zeitmus-ter für den Alltags- und Lebenslauf für allenahezu gleich waren, ist jetzt vermehrtindividuelles Zeitmanagement notwen-dig. Ein jeder hat eine wachsende Viel-zahl von unterschiedlichen Handlungs-und Zeitanforderungen zeitlich auf dieReihe zu bringen, und muss dabei ständigZeitkonflikte lösen. Wir verfügen längstüber Strategien, bei Zeitmangel unserHandeln zu beschleunigen. Eine solcheStrategie ist: Wir nutzen Zeit intensiver,verdichten sie. Ich kann meinen Kaffeegemächlich im Kaffeehaus trinken, raschim Stehcafe, oder ganz ohne Zeitaufwandmit „coffee-to-go“ auf der Straße. Eineandere Strategie: Wir verkürzen Pausen,oder lassen sie ganz aus. Und nichtzuletzt: Wir tun mehreres gleichzeitig –„multi tasking“ heißt das – etwa Kaf-fee trinken und auf der Straße gehen;Eisenbahn fahren und am Computerarbeiten. Neben solchen zeitverdichte-ten Phasen leben wir aber auch mitmehr Wartezeiten im Alltag, in denenZeit zwar verfügbar, aber wertlos ist.

Für das bis hierher Gesagte gelteneinige Einschränkungen. Es wäre zu ein-fach, Beschleunigung, zeitliche Flexibi-lisierung und Individualisierung derZeitbestimmung als eine alles Lebengleichermaßen durchdringende Tendenzzu sehen. Sie treten vielmehr in dergesellschaftlichen Realität an einigenStellen sehr stark in Erscheinung, ananderen weniger. Und sie beeinträch-tigen die Lebensqualität in unter-schiedlichen Lebenssituationen und

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Arbeitsbedingungen nicht gleich stark. Es wäre auch zu einfach, zu sagen,

dieser Wandel der Zeitverhältnisse habesich gleichmäßig vollzogen. Tatsächlichverstärkte sich Beschleunigung in denletzten beiden Jahrhunderten schubartig,gleichsam in Stufen. Und es hat immerauch Gegenkräfte, Kräfte der Beharrunggegeben (Rosa 2005). Beschleunigungerzeugt ihre Grenzen selbst: Irgendwannbringt weitere Beschleunigung nichtsmehr, sondern wird dysfunktional. Sonimmt der Autoverkehr in Städten nurzu, bis es zu so vielen Staus kommt, dassdas Fahrrad schneller ist.

Was tun, wenn der Zeitstress zu großwird? Statt weiter zu beschleunigen,einfach alles ein bisschen langsamermachen, entschleunigen? Mehr Ruhe-pausen, Verzicht auf mögliche zusätzli-che Aktivitäten? Ganz sicher, ein jederkann das versuchen, aber der Erfolgwird meist beschränkt bleiben. Dennwir alle leben in Bedingungen, die Ent-schleunigung nicht beliebig zulassen.

Die Ursachen

Zeit ist in der Moderne etwas Objekti-ves geworden, das außerhalb unseresLebens existiert, und sich wie auf einerLinie stetig bewegt. Auf der Zeitlinielassen sich Zeitpunkte und Zeitdauernangeben; lineare Zeit lässt sich mithilfevon Uhr und Kalender messen, eintei-len, verteilen und Prozessen zuteilen.Vorgänge und Aktivitäten lassen sichkoordinieren, und in ihrer zeitlichen Lageund ihrem Tempo planen und rationali-sieren. In dieser objektiven, linearen Zeitsind die Zeitstrukturen unserer Alltags-welt fest gemacht: die Arbeitszeiten,

Fahrzeiten, Programme, Schulzeiten, undviele mehr. So vorgestellte Zeit lässt sichgegen Geld aufrechnen, lässt sich alsArbeitszeit kaufen, lässt sich sparen,schenken und stehlen. Und nicht zuletzt:Diese Zeit hat eine Richtung. Wir stellensie uns als Zeitpfeil vor, der aus der Ver-gangenheit kommt und in die Zukunftfliegt. So wird der Blick auf die Zukunftgelenkt – auf ständiges Schneller, Wei-ter, Höher, also auf Fortschritt.

Die ökonomischen und die kulturellenEntwicklungen der Moderne sind aufständigen Fortschritt gerichtet. In derkapitalistischen Ökonomie ist Zeit einWettbewerbsfaktor. Mit dem Tempo vonProduktion und Distribution wächst derProfit. Je schneller ein Produkt erzeugtwird, desto geringer sind die Lohnkos-ten und desto höher der Gewinn.

Mit dieser Entwicklung der Wirtschaftist die einer Kultur einhergegangen,deren Ziel die zunehmende Aufklärungund Beherrschung der Welt und desLebens durch die Ratio ist. Die grund-legende Maxime heißt: Fortschritt zuimmer besserem Leben ist etwas Mach-bares, in der Gesellschaft und in jedemeinzelnen individuellen Leben. Und dasMachbare muss auch gemacht werden.Wer das Tempo der Welt nicht mithält,gilt als Verlierer. Das Konzept des auto-nomen Individuums wird zur Falle fürdie Einzelnen, weil Überforderung heutezunehmend nicht den gesellschaftlichenBedingungen angelastet wird, sondernals individuelles Versagen gilt.

Besseres Leben erscheint erreichbar,wenn der Einzelne sich nur anstrengt –und zwar besseres Leben in dieser Welt,und nicht erst nach dem Tode, wie esdie Religionen verheißen. Die Rationali-

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT10

tät der Aufklärung hat Heilserwartungensäkularisiert, indem sie sie schon in die-ses Leben verlagert hat. Diese Rationa-lität verdrängt die alten Vorstellungender Religionen, das Leben dauere überden Tod hinaus, es währe ewig. Da unserLeben begrenzt ist, wird die Kürze desLebens zum Problem. Es entstehen derWunsch und schließlich ein innererZwang, möglichst viel gutes Leben indie kurze Lebenszeit hineinzupressen.

Die Angst, Leben zu versäumen, sitzttief. Es ist dieser innere Beschleuni-gungsdruck, dem wir ausgeliefert sind,neben dem Beschleunigungsdruck derAußenwelt. Wir sind es umso mehr, alsuns von vielen Seiten das Paradies aufErden vorgegaukelt wird. Die rasantsteigende Menge der Optionen ver-größert den Erlebnis- und Erfolgshun-ger, und treibt zu mehr Zeitverdichtung,also zu Beschleunigung. Das bedeutetauch, dass der je gegenwärtige Alltagimmer nur als eine Vorstufe zum Er-wünschten, noch nicht Erreichten wahr-genommen wird, also wenig eigenenWert hat. Das kann zu immer eiligeremHinausstreben aus der Gegenwart füh-ren; der innere Beschleunigungsdruckwächst dann. Es kann schließlich aberauch in die Depression führen, in diesubjektive Unfähigkeit, Leben aktiv zugestalten, und in das Gefühl von ohn-mächtigem Ausgeliefertsein. Der fran-zösische Sozialpsychologe Alain Ehren-berg (2004) hat ein Buch darüber ge-schrieben mit dem Titel „Das erschöpf-te Selbst“. Ich zitiere den Klappentext:

„Eigenverantwortung, Selbstverwirkli-chung, Erfolg und Glück sind Ansprüche,die in der modernen kapitalistischen Ge-sellschaft wie selbstverständlich von

allen übernommen werden. Viele Men-schen scheitern daran und reagieren mitinnerer Leere, mit Depression, Antriebs-losigkeit und Suchtverhalten.“

Die Ursachen der verbreiteten Zeit-not liegen also in einer Dynamik vonsozial-strukturellen und kulturellen Be-dingungen. Neue Technologien, kapi-talistische Zeitökonomie, Fortschritts-orientierung und Überforderung durchdie Individualisierung der Lebensbewäl-tigung haben sich in einer immer kom-plexer, optionsreicher und anspruchs-voller gewordenen Welt wechselseitigbefördert. Dies alles zusammen hat einsolches Ausmaß erreicht, dass die Zeitendes Lebens und Handelns davon über-mäßig beherrscht sind.

Zur Kritik an diesen Entwicklungen

Erst seit den neunziger Jahren wächstdas Bewusstsein, dass Wohlstand nebenGeld auch Zeit bedeutet, und dassfortschreitende Ökonomisierung der Zeitnegative Folgen für die Lebensqualitäthat. Der Umgang mit Zeit ist in eine Krisegekommen, so wie zuvor schon der Um-gang mit der Natur. Die Unterwerfung derWelt unter menschliche Rationalität hatein Maß erreicht, in dem deutlich erkenn-bar ist, dass sie keineswegs wachsendenWohlstand bringt. Was von Menschengeschaffen ist, beherrscht die Menschen.Wenn nicht eingegriffen wird, führt dieEigendynamik der Entwicklung zur Zer-störung der natürlichen Lebensgrundla-gen. Beide Krisen, ökologische Krise wieZeitkrise, sind Krisen der fortschreitendenBeherrschung und Ausbeutung der Na-tur im ökonomischen Interesse.

Die vielfältigen zeitökonomischen

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Rationalisierungen und Beschleunigun-gen entsprechen nicht dem Zeitbedarf,den Aktivitäten und Prozesse haben.Beschleunigen meint ja, etwas schnellermachen, als es von selbst liefe, einenProzess antreiben. Prozesse können sichdann nicht in ihrer eigenen Zeit, demeigenen Tempo und Rhythmus, undnicht zu ihrer eigenen Zeit, zum richtigenZeitpunkt (kairos) entfalten. Beschleu-nigen greift von außen in Prozesse ein:Termine und Tempi werden durchexterne Faktoren bestimmt. Das allesverändert die Qualität der Prozesse.

Hier setzt die zeitökologische Kritikan, die seit etwas mehr als einem Jahr-zehnt vor allem von einer Wissenschaft-lergruppe in Tutzing artikuliert wird.Den zunehmenden Zwängen zur Ratio-nalisierung und Ökonomisierung derZeit wird eine andere Zeit entgegenge-halten, die aus der „Natur“, aus der„temporalen Welt alles Lebendigen“hervorgeht (Adam 1999). Es wird ge-mahnt, die andersartigen zeitlichenHandlungsvoraussetzungen, die an natur-gebundene Wachstumsprozesse undRhythmen des menschlichen Lebens ge-bunden sind, „alles Prozesshafte“,nicht auszublenden und zu unterdrücken(Hofmeister und Spitzner 1999; Adamu. a. 1998; Vinz 2005). Damit ist freilichkeine Dualität, keine Entgegensetzungvon Naturzeit und Gesellschaftszeitgemeint. Es geht vielmehr darum, dassalles Leben in einem hochkomplexen,dynamischen und in sich widersprüch-lichen Zeitengeflecht stattfindet, sowieum die Gleichzeitigkeit und Wider-sprüchlichkeit einer Vielfalt unterschied-licher Zeitlogiken, in denen ein jederMensch lebt. Barbara Adam benutzt für

diesen Zusammenhang das Bild „time-scape“, Zeitlandschaft. „Diese Zeitge-stalt umfasst auf allen Ebenen des Da-seins ihre Rhythmizität und Zeitskalen,Tempi und Intensitäten, ihre Pausen undregenerativen Restperioden, ihre unver-meidliche Irreversibilität, ihre immanen-ten und latenten Prozesse, Eigenzeitenund Systemzeiten, ihre Symphonie von‚Timings’ und Synchronisationen, Dauerund Sequenzen, die Durchlässigkeit vonVergangenheit, Gegenwart und Zukunft“(Adam 1999: 53). Gefordert wird,innerhalb der Zeitvielfalt neue Zeit-Balancen zwischen „Naturzeit“ undgesellschaftlicher Zeit zu finden.

Nicht zuletzt setzt die menschliche Na-tur dem fortgesetzten BeschleunigenGrenzen. Es gibt anthropologische undbiologische Grenzen des menschlichenKörpers für das Umgehen mit Zeit. Rhyth-men von Aktivität und Ruhe, Schlafen undWachen können nicht ohne Einbußen anLeistungsfähigkeit und Gesundheit dauer-haft ignoriert werden. Chronobiologenweisen darauf hin. Das gilt für Nachtarbeit,und das gilt für die Leistungskurven amTag. Manche Menschen sind morgensproduktiv, sind „Lerchen“, andere eherabends, sind „Nachteulen“, und diemeisten haben mittags eine Müdig-keitsphase. Solche Rhythmen sind freilichnicht „reine“ Natur, sondern mehr oderweniger kulturell überformt.

Körperliche Grenzen des Umgehensmit Zeit werden oft überschritten. Inden letzten Jahren haben psychosoma-tische Beschwerden wie Bluthochdruckund Rückenschmerzen zugenommen.In Untersuchungen bei Arbeitnehmernwird das auf die neuen Zeitanforderun-gen, insbesondere den hohen indivi-

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT12

dualisierten Leistungsdruck in der Wirt-schaft zurückgeführt. Mit Medikamen-ten werden körperliche Begrenzungenmanipuliert. Wenn Aufputsch- und Be-ruhigungsmittel genommen werden,und wenn Krankheiten aus Zeitmangelnicht auskuriert werden, werden körper-liche Grenzen überschritten.

Die Geschichte der technischen Be-schleunigung zeigt aber auch, dass kör-perliche Grenzen in gewissem Ausmaßverschiebbar sind. Einem schnellerenTempo haben sich die Menschen immernach einiger Zeit angepasst. Als die erstenEisenbahnen fuhren, war man beunru-higt und entsetzt über hohe Geschwin-digkeiten von dreißig Stundenkilometern.Als die ersten Filme liefen, hatten vieleLeute Mühe, Filmschnitte überhaupt zuverstehen. Heute erscheinen uns dieAktionssequenzen der alten Filme lang-sam. Junge Leute sind an sehr rascheFilmschnitte gewöhnt, erwarten sie sogar,während manche Älteren Schwierig-keiten damit haben.

Sogar Erholungspausen werden heu-te zeitlich intensiviert, also beschleunigt.Mehrere Kurzurlaube statt des einen lan-gen liegen im Trend. Verlangsamungs-therapien wie Yoga und Meditation buchtman stundenweise. Betriebe empfeh-len heute ihren hoch belasteten Mitar-beitern von Zeit zu Zeit einen „powernap“, also ganz kurze Schlafpausen wäh-rend der Arbeit, um sie vor dem Stress-Zusammenbruch zu bewahren.

Das Bild der Zeitlandschaften weistdarauf, dass Appelle zur Langsamkeitviel zu einfach sind. Schnelligkeit alleinmacht nicht unsere Zeitnöte. Die Proble-me entstehen vielmehr aus dem konflikt-reichen Aufeinandertreffen unterschied-

licher Zeitlogiken, Zeitbedarfe und Zeit-anforderungen. Es geht darum, in alle-dem die richtigen Balancen zu finden.Und zwar sowohl auf gesellschaftlicherwie auf individueller Ebene.

Wann sind Zeiten in „richtiger“ Ba-lance? Wo sollen die Gewichte liegen?Kritik an Konflikten und Ungleichge-wichten kann sich nicht einfach auf diemenschliche Natur berufen – der Ausstiegaus der Gesellschaft ist keine Lösung.Kriterien für richtige Zeitbalancen müssensich auf Abläufe und Rhythmen beziehen,die wir als gesellschaftlich erwünscht odernicht erwünscht bewerten (Vinz 2005,S. 60). Sie müssen aus einer kritischen,auf Verbesserung bezogenen Analyseder Gesellschaft entwickelt werden.

Darum geht es in den aktuellen De-batten über „Zeitwohlstand“ und „zeit-liche Lebensqualität“, wie sie zum Bei-spiel die Deutsche Gesellschaft für Zeit-politik (2003; Mückenberger 2004,Rinderspacher 2002) führt. Ein Kriteriumin diesen Debatten entspricht dem Pro-gramm der Moderne: dem Ziel der Au-tonomie des Individuums über seineLebenszeit. Fremdbestimmungen überZeit, zeitlichen Überforderungen sowieDiskriminierungen im Zugriff auf Zeit sollentgegen gewirkt werden. Ein anderesKriterium bezieht sich auf das Zusam-menleben der Menschen: Zeit für privateBeziehungen und für das Sorgen fürandere und für sich selbst soll ausrei-chend vorhanden sein.

Zeitpolitik für Sorgezeit

Nun vom Allgemeinen zum gesellschaft-lich Konkreten. Wo liegen strukturelleMängel unserer Gesellschaft, und wie

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könnte mit einer zeitpolitischen Per-spektive Abhilfe erreicht werden? Ichmöchte dies an einem aktuellen Struk-turproblem etwas verdeutlichen:

Ein Konstruktionsfehler unserer ge-genwärtigen Gesellschaft ist die hohePriorität, die Erwerbsarbeit gegenüberprivaten Sorgetätigkeiten hat. Das hatmit der Geschlechter-Ordnung der Mo-derne zu tun: die Männer leistetenErwerbsarbeit, die Frauen die privateArbeit; die eine Arbeit war ökonomischprivilegiert, die andere unbezahlt.

Heute breitet sich eine andere Tei-lung der Gesamtarbeit aus: Arbeits-und Zeit-Teilung nicht mehr zwischenMännern und Frauen, sondern innerhalbdes Lebens einer jeden Person. Dasheißt, Frauen wie Männer wollen undmüssen beides, Erwerbsarbeit und Sorge-arbeit, zeitlich in ihrem Leben unter-bringen, im Alltag wie im Lebenslauf.Das ist für die meisten derjenigen, die fürKinder oder für Behinderte und Krankezu sorgen haben, mit vielen Zeitüber-lastungen und Zeitkonflikten verbunden.Denn die gesellschaftlichen Strukturensind noch immer weitgehend am frühe-ren Arbeitsteilungsmodell orientiert. Vielejunge Erwachsene wagen es nicht, dieSorge für Kinder auf sich zu nehmen,weil die bestehenden Zeitbedingungenam Arbeitsplatz und in den Kinderinsti-tutionen unzureichend sind.

Politik muss auf ein neues Verhältniszwischen Erwerbs- und Sorgearbeit zielenund in den Bedingungen der Geschlech-tergleichheit ausreichend Zeit für Sorge-arbeit ermöglichen. Hier ist ein Zusam-menspiel von zeitbezogenen Maßnah-men für mehrere Lebensaspekte nötig,also das Zusammenwirken mehrerer Po-

litikbereiche. Ich möchte einige schonbegonnene oder vorgeschlagene zeitpo-litische Maßnahmen in Erinnerung rufen:

(1) Outsourcen von alltäglicherSorgezeit

Die international übliche Lösung des Zeit-überforderungs-Problems ist, einen Teilder Sorgezeit für Kinder in Kinderinstituti-onen auszulagern, also eine teilweise Ent-privatisierung von Sorgearbeit, um Zeit fürErwerbsarbeit zu gewinnen. Aber auch,wenn Kinder große Zeitphasen des Tagesaußerhalb der Familie verbringen: Für-sorge, emotionales Sorgen, Auffangenund Aufarbeiten der vielen Schwierig-keiten und Belastungen des außerfamili-alen Lebens, das Pflegen der Beziehun-gen bleibt im privaten Bereich undmuss in der kürzeren privaten Zeit statt-finden, es drängt sich dort mit allenanderen häuslichen Arbeiten zusam-men. Das heißt, ohne Veränderungender Erwerbsarbeitszeiten geht es nicht.

(2) Sorgezeitphasen im Lebenslauf

Auch das alte Lebenslaufmuster ist ob-solet geworden. Im Lebenszeitmuster derModerne ist Erwerbsarbeit gleichmä-ßig und kontinuierlich vom Berufseintrittbis zur Verrentung. Sorgearbeit dagegenfällt diskontinuierlich an; das Kinderauf-ziehen und gegebenenfalls die PflegeKranker und Alter sind jeweils nur einigeJahre lang sehr zeitintensiv. Wenn nunheute eine jede Person beides, Erwerbund Sorge, tut, so entsteht, was die „rushhour des Lebens“ genannt wird: einePhase ständiger zeitlicher Überforderung.Es ist eine wichtige zeitpolitische Auf-

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT14

gabe, solche Zeitverdichtung zu vermei-den. Ein aktueller Vorschlag zielt darauf,Optionen zu schaffen, um Erwerbszeitenund Sorgezeiten im Lebenslauf nachindividuellem Bedarf phasenspezifisch zugewichten. Eine neue Verteilung von Pha-sen verringerter und Phasen intensiverErwerbsarbeit im Lebenslauf könnte er-möglicht werden, etwa mit Hilfe vonLebensarbeitszeit-Konten.

(3) Zeitkonflikte im Alltag minderndurch kommunale Zeitpolitik

Zeiten der lokalen Alltagswelt wie Öff-nungszeiten, Fahrpläne, Arzt-Zeiten, Kita-Zeiten, Schulzeiten richteten sich bislangallein nach den jeweiligen Funktionslo-giken der Dienste. Konflikte zwischensolchen Zeiten zu lösen, blieb den indi-viduellen Nutzern überlassen – eineBelastung besonders für Eltern kleinerKinder. Lokale Zeitpolitik kann dem ab-helfen, indem dafür gesorgt wird, dasssolche Zeitkonflikte gar nicht erst ent-stehen. In Kommunen bereits erprobteMaßnahmen sind: Vertreter aller betei-ligten Gruppen erkunden Zeitbedarfeund Zeitwünsche, stimmen die vielfälti-gen Zeiten ab, reorganisieren Zeiten,und initiieren neue Dienste zur Über-brückung von Zeitlücken, etwa Rand-zeiten-Betreuung für Kinder. Die zeitli-chen Bündelungen von Diensten undzeitbewusste Mobilitätskonzepte werdenin Stadtentwicklungspläne eingebaut.

(4) Kollektive Zeiten erhalten

Beziehungen pflegen und füreinandersorgen, ob in der Familie oder unterFreunden, wird schwieriger, wenn sich

weniger gemeinsame Zeit finden lässt,weil die tradierten kollektiven Tages- undWochenrhythmen dem Rund-um-die-Uhr-Betrieb weichen. Eine zeitpolitischeAufgabe ist es, dieses Problem zu beach-ten, etwa beim Erhalt des Sonntags.

Zeitpolitik – eine Querschnittaufgabe

Zeitpolitik kann in jedem Bereich derGesellschaft notwendig werden, es ist ei-ne Querschnittaufgabe. Alle Prozesse,alles individuelle und gesellschaftspoliti-sche Handeln, bringen Zeit hervor undsind zeitlich verknüpft mit anderen Pro-zessen und Zeitstrukturen der sozialenWelt. Zeitpolitik ist deshalb nicht partiku-lare Interessenpolitik, sondern im Inter-esse aller. Es ist kein eigenes Politikfeld,sondern eine Perspektive innerhalb allerPolitikbereiche; es ist eine Querschnitts-aufgabe. Die hier genannten Maßnah-men zur besseren Balance der Zeitenfür Produktions- und Reproduktionsar-beit verknüpfen Bereiche der Arbeits-zeitpolitik, der Familienpolitik, der Bil-dungspolitik und der Kommunalpolitik.

Angesichts zeitökonomischen Be-schleunigungsdrucks sowie der Erosionkollektiver Zeitmuster überfordert es dieEinzelnen zunehmend, ihre Alltags- undLebenszeit ohne hohe Kosten an Lebens-qualität selbst zu bestimmen. Zeitpolitik,wie sie die Deutsche Gesellschaft für Zeit-politik zu befördern sucht, kann dem ent-gegenwirken, indem gesellschaftlich Op-tionen geschaffen werden, die es denIndividuen erleichtern, ihre Lebensent-würfe zeitlich zu realisieren. Zeitpolitikzielt auf Erhaltung und Wiedergewin-nung von zeitlicher Lebensqualität.

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT 15

LITERATUR

Adam, B. (1999): Naturzeiten, Kulturzeitenund Gender – zum Konzept„timescape“.In: Hofmeister, S. und Spitzner,M. (Hg.): Zeitlandschaften.Perspektiven öko-sozialer Zeitpo-litik. Stuttgart: Hirzel, S. 35–57.

Adam, B., Geißler, K. A., Held,M., Kümmerer, K., Schneider,M. (1998):Tutzinger Projekt “Ökologieder Zeit”. Ökologie der Zeit –Vom Finden der rechten Zeit-maße.München: ökom Verlag.

Deutsche Gesellschaft für Zeit-politik (2003): Zeit für Zeitpolitik.Bremen: Atlantik.

Ehrenberg, A. (2004):Das erschöpfte Selbst.Depression und Gesellschaftin der Gegenwart.Campus: Frankfurt am Main /New York.

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Mückenberger, U. (2004):Metronome des Alltags.Betriebliche Zeitpolitiken,lokale Effekte, soziale Regu-lierung.Berlin: edition sigma.

Rinderspacher, J. (Hrsg., 2002):Zeitwohlstand. Ein Konzept für einen ande-ren Wohlstand der Nation.Berlin: edition sigma.

Rosa, H. (2005): Beschleunigung. Die Verän-derung der Zeitstrukturender Moderne.Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Vinz, D. (2005): Zeiten der Nachhaltigkeit:Perspektiven für eine ökolo-gische und geschlechterge-rechte Zeitpolitik.Münster: Westfälisches Dampf-boot.

www.zeitpolitik.de

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT16

ZEITERFASSUNG NACH REFAHermann Dahmen, Leiter Bereich Verwaltung und Dienstleistung, REFA-Bundesverband Darmstadt

Die Verwendung von (Zeit-)Daten inVerwaltung und Dienstleistung

kann unterschiedlichen Zwecken dienen.So benötigt beispielsweise das Personal-wesen Personalbedarfe und Anforde-rungsprofile sowie Stellenbeschreibungenim Rahmen der Personalentwicklungund -beschaffung. Das Controlling brauchtKosten- und Leistungsdaten über dieunterschiedlichen Produkte, währenddas Management Daten als Leistungs-kennzahlen in Form von Durchlaufzeitenbenötigt, um Aussagen über den Service-grad der Verwaltung zu erhalten.

Der Verwendungszweck bestimmt,welche und wie viele Daten mit welchenstatistischen Anforderungen erfasstwerden müssen. Man kann beispielhaftnach folgenden Verwendungszweckeunterscheiden:

Arbeits- und Prozessgestaltung

Personalbedarfsplanung

Personaleinsatzplanung

Kennzahlenbildung

Kosten- und Leistungsrechnung

Stellenbewertung

Bewertung von organisatorischenLösungen.

Ein Schwerpunkt ist die Ermittlung vonDaten, die das Zeitverhalten von betrieb-lichen Abläufen im Zusammenwirkenvon Mensch, Betriebsmittel und Arbeits-gegenstand (Informationen, Anträge,Vorgänge) in Arbeitssystemen in dererforderlichen Genauigkeit beschreiben(siehe Schaubild 1, S. 17). Die Untersu-chung von Abläufen kann sich ent-sprechend dem Untersuchungszielerstrecken,

auf die Gesamtzeit, die der Mitar-beiter dem Arbeitsvertrag oder derDienstvereinbarung gemäß demBetrieb oder der Behörde zur Verfü-gung steht,

auf eine oder mehrere Schichten,bzw. Teilzeiten

auf einen bestimmten Auftrag, einbestimmtes Projekt oder

auf eine Periode des betrieblichenRechnungswesens (Monat, Quartal,Jahr oder befristetes Arbeitsverhält-nis).

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT 17

Arbeitssystem als Untersuchungsgegenstand

Es gibt verschiedene Methoden, um Zeit-daten zu ermitteln: Schätzungen, Selbst-aufschreibung, Multimomentaufnahme,Zeitaufnahme und Systeme vorbestimm-ter Zeiten (siehe Schaubild 2, S. 18). Ar-beitsmengen werden durch Statistikenund IT-Auswertungen, Dokumentenana-lyse als Vollerhebung oder Stichprobe,Selbstaufschreibung oder Schätzungenermittelt.

Die einzusetzende Datenermittlungs-methode wird bestimmt nach Informa-tionsbedarf und Verwendungszweck,Komplexität der Methode. Und ihre Eig-nung differenziert nach Erhebungsin-halten. Bei der ausgewählten Datener-mittlungsmethode muss sichergestelltsein, dass Qualität und Zuverlässigkeitder Daten den Anforderungen ent-

sprechen, die durch die verschiedenenAufgabentypen gegeben sind. Unter-schieden werden:

Repetitive, das heißt immer wieder-kehrende Tätigkeiten mit annäherndder gleichen Aktivitätsfolge, Bear-beitungszeit und Menge je Aktivi-tät/Vorgang;

Auftragstätigkeiten, die grundsätz-lich ähnlich sind und sich je nachAuftrag in Aktivitätsfolge, Bearbei-tungszeit und Menge unterscheidenkönnen;

Projekttätigkeiten, also grundsätzlichunterschiedliche Tätigkeiten mit in-dividueller Aktivitätsfolge, Bearbei-tungszeit und Menge.

Arbeitsaufgabe Eingabe Umwelteinflüsse

Ausgabe

MenschBetriebs-

bzw. Arbeits-mittel

Arbeits-ablauf

Systemgrenze

SCHAUBILD 1

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT18

Methoden zur Datenermittlung

Datenermittlung

Ist-Zeitenerfassen

Soll-Zeitenbestimmen

Ist-ZeitenmesserIst-Zeiten durch

Befragen erfassenSoll-Zeiten

zusammensetzen

Soll-Zeiten durchVergleichen und

Schätzen ermitteln

Soll-Zeitendurch Berechnen

ermitteln

Fremdaufschreibung(Zeitaufnahme)

Selbstaufschreibung Systeme vor-

bestimmter Zeiten(SvZ)

Planzeiten

SCHAUBILD 2

Der Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung (REFA)wurde 1924 gegründet. Von 1933 bis 1945 war der

Ausschuss in die Reichsarbeitskammer zwangsintegriert.Ab 1951 nahm er seine Aufgabe als „Verband für Arbeits-studien und Betriebsorganisation“, und ab 1977 als „Ver-band für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unter-nehmensentwicklung“ wahr. Zielsetzung ist die Förderungund Erhaltung einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft unddie Förderung und Weiterentwicklung menschengerechterArbeit.

Die Besonderheit von REFA ist, dass die Methoden mitbeiden Sozialpartnern, dem Deutschen Gewerkschaftsbund(DGB) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeit-geberverbände (BDA) abgestimmt werden.

Ziel einer analytischen Personalbedarfsberechnung ist immer die 100-prozentigeAuslastung der Mitarbeiter. Dabei wird der Personalbedarf mit folgender Formelermittelt: Die Zeit je Einheit wird mit der Jahresfallzeit multipliziert und dann durchder Jahreskapazität eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin dividiert.

FAMILIEN IN ZEITNOTBalanceakt zwischen Beruf und Familie

11. FEBRUAR 2009, KASSEL

Veränderte Geschlechterrollen, flexi-blere und mobilere Erwerbsarbeit und

risikoreichere Arbeitsmarktstrukturenverändern unsere Gesellschaft gravie-rend. Dadurch hat sich nicht nur die Formdes Familienlebens gewandelt, sondernder gesamte Alltag ist komplexer ge-worden. Zeitknappheit und Zeitnot ge-hört in Familien zum Alltag.

Vor allem in der Lebensphase der Fa-miliengründung verdichten sich zudemdie Anforderungen der Arbeitswelt. JungeLeute sollen alles auf einmal hinbekom-men: Berufseinstieg, Karrierestart, Kinder.In dieser „Rush hour of life“ wird Zeit zurkostbarsten Ressource. Vor dem indivi-duellen Balanceakt Erwerbsarbeit undFamilienarbeit zu vereinen, stehen Män-ner und Frauen trotz neuer familienpo-litischer Angebote jedoch weitestgehendallein.

Die Balance von Arbeit und Familiewird zwar oft als Anspruch beteuert,doch Anspruch und Wirklichkeit klaffenweit auseinander. Die Arbeitszeiten inDeutschland sind heute so lang wie vor20 Jahren, zu Beginn des Kampfes umArbeitszeitverkürzung. Die Schere zwi-schen Vätern und Müttern geht bei derArbeitszeit wieder auseinander. Die For-derung nach hochflexiblen und allzeitverfügbaren Arbeitskräften konkurriertmit den Bedürfnissen von Kindern, diein einer immer komplexeren sozialenUmwelt Mutter und Vater benötigen.Sie konkurriert zunehmend mit demBedürfnis, sich den pflegebedürftigen

Eltern widmen zu können. Und nichtzuletzt: Wie viel Zeit bleibt am Ende derArbeit und am Ende der Familie noch fürpersönliche Erholung, Muße, Freund-schaften?

In welchem Spannungsverhältnisstehen Arbeit und Familie? Welche An-forderungen ergeben sich daraus füreine in zeitlicher Hinsicht familienge-rechte Gestaltung der Arbeitswelt, diesich an die differenzierten Bedürfnissevon Familien anpasst?

Brauchen wir familienfreundlicheUnternehmen, die ihre Beschäftigten alsMenschen mit Sorgeaufgaben akzep-tieren und bestärken? Oder brauchenwir unternehmensfreundliche Familien,in denen schon die Kleinsten verstehenmüssen, dass Vati Samstags eben nichtihnen gehört? Welche Alternativen sinddenkbar?

Die Soziologin Svenja Pfahl vom For-schungs- und Beratungsinstitut SowiTrain Berlin hat die Arbeitszeiten erwerbs-tätiger Eltern untersucht. Sie erläutert,wie es mit Wunsch und Wirklichkeitaussieht, welche Konflikte es gibt undwie sie zu lösen wären.

Gudrun Müller, die Leiterin des Ser-vicecenters Soziales der Fraport AG inFrankfurt, stellt dar, wie im 24-Stunden-Unternehmen Fraport mit Zeitkonflik-ten der Beschäftigten mit Familie umge-gangen wird, welche Angebote es gibt,wo aber auch die Grenzen betrieblicherUnterstützung liegen.

19ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT20

FAMILIEN IN ZEITNOTSvenja Pfahl*, SowiTra – Forschung, Beratung, Transfer, Berlin

Vereinbarkeit ist mehr als nur Kinder-betreuung. Vereinbarkeit steht für

eine generell gute Balance zwischenErwerbsarbeit und außerberuflichemLeben. Dies gilt unabhängig vom Ge-schlecht, von der jeweiligen Lebensphaseund von der Art der Fürsorgeverpflich-tung, sei es Erziehung, Betreuung oderPflege. Dies ist gleichzeitig eine wesent-liche Grundlage für mehr Geschlechter-gerechtigkeit, die innerhalb und außer-halb von Erwerbsarbeit untrennbar mitguten und gelingenden Vereinbarkeits-lösungen verbunden ist.

Ein geschlechtergerechtes Leitbild vonVereinbarkeit erhält vor dem Hinter-grund des demographischen Wandelsund des prognostizierten Fachkräfte-mangels zusätzliches Gewicht unddrängt Verantwortliche in Unternehmenwie auch in der Politik zum Handeln.Die Erleichterung der Vereinbarkeit vonBeruf und Privatleben für Frauen wieMänner sowie die Gleichstellung derGeschlechter können damit als zwei engmiteinander verbundene Zielvorgabenfür eine nachhaltige Gesellschafts- undFamilienpolitik gelten.

Es gilt auch, die Vorstellung von Familiezu entstauben und das Verständnis vonFamilienpolitik zu öffnen: Familie ist heutenicht mehr gleichzusetzen mit Vater,Mutter und Kind. Hier hat es in denletzten Jahren Ausdifferenzierungen ge-geben. Die Familienphase begrenzt sichnicht auf die wenigen Jahre mit kleinenKindern. Und auch die Väter geraten ver-stärkt unter Vereinbarkeitsdruck. Bisher

orientierte sich die Familienpolitik inDeutschland weitestgehend am Modelldes männlichen Familienernährers. Aufpolitischer Ebene ist allerdings nach jahre-langem Stillstand in den letzten Jahrenviel geschehen. Nach und nach wirdstärker berücksichtigt, dass Vater undMutter erwerbstätig sind und auch dieMütter einen relevanten Beitrag zumFamilieneinkommen leisten.

Dennoch liegen gesellschaftlicher An-spruch und familiale Wirklichkeit nochimmer weit auseinander. Dies ist imWesentlichen auf das Beharrungsvermö-gen traditioneller Geschlechterarrange-ments einerseits und die sich gleichzeitigverändernden gesellschaftlichen Bedin-gungen andererseits zurückzuführen.Stichworte hierfür sind Liberalisierung,Deregulierung und Flexibilisierung so-wie die Erosion der Normalarbeits(zeit)-verhältnisses.

Das Ausbalancieren von Berufsarbeitund privaten Fürsorgearbeiten stelltFrauen, zunehmend aber auch Männervor die nicht einfache Aufgabe, höchstindividuelle Lösungen für strukturelleSpannungen zu finden. Dies betrifft ganzwesentlich die Zeitgestaltung im Alltags-leben von Familien. (Qualifizierte) Er-werbsarbeit setzt weiterhin noch rechtungebrochen einen allzeit verfügbaren(männlichen) Beschäftigten voraus.Auch die Erwerbsarbeitszeiten erweisensich oftmals als fürsorgeblind. Dies be-trifft vor allem die Dauer der normalenArbeitszeiten und die enormen Flexibi-litätserwartungen (Überstunden, regel-

* Dieser Text beruht auf gemeinsamen Arbeiten mit Stefan Reuyß, der ebenfalls bei SowiTra arbeitet.

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT 21

mäßige Arbeit am Abend oder Wochen-ende, Dienstreisen, kurzfristiges Ein-springen, Hocharbeitsphasen zum Pro-jektende etc.).

Notwendig ist hingegen ein neuerDreiklang von Arbeitszeit-, Familien- undGleichstellungspolitik , wie er im 7. Fami-lienbericht gefordert wird. GedanklichesLeitbild einer neuen, umfassenden Zeit-politik für Familien muss ein Zweiverdie-nermodell sein, in dem die Übernahmevon Fürsorgeaufgaben im Lebenslauf fürbeide Geschlechter als Normalität be-trachtet wird. Ein zentrales Instrumenteiner solchen Zeitpolitik ist die Gestaltungder Arbeitszeiten für Menschen mit Für-sorgeaufgaben.

Arbeits(zeit)realitäten von Beschäftigten mit Fürsorgeaufgaben

In den letzten Jahren ist die betrieblicheArbeitszeitgestaltung im Wesentlichendurch eine zunehmende Flexibilisierungvon Arbeitszeitlage und -verteilung ge-prägt: Dies umfasst Gleitzeit und immerweiter ausdifferenzierte Arbeitszeitkon-ten bis hin zur selbstgesteuerten Arbeits-zeitgestaltung durch die Beschäftigten(die so genannte Vertrauensarbeitszeit).

Aktuell richtet sich der Fokus derWissenschaft wieder stärker auf die Ver-einbarkeitseffekte der Arbeitszeitdauer.Die Länge der täglichen Arbeitszeit istfür die Balance von Beruf und Fürsorgemindestens ebenso entscheidend wiedie flexible Gestaltung derselben. JüngereUntersuchungen weisen nach, dass die

Arbeitszeitdauer sogar stärkeren Einflussals die Arbeitszeitflexibilität auf eine po-sitive Vereinbarkeitsbewertung hat(Klenner/Schmidt 2007).

Fürsorgegerechte Arbeitszeiten kenn-zeichnen sich dadurch, dass sie

� den Beschäftigten ausreichend Zeitfür die Personen lassen, für die siesorgen,

� den Beschäftigten genügend Zeit fürihre Familien zur Verfügung stellen

� den Beschäftigten ein adäquates Maßan Eigenzeiten ermöglichen

� bei den Beschäftigten keine Zeitnotauslösen

� den Beschäftigten auch kurzfristigeGestaltungsspielräume geben

� die berufliche Entwicklung der Be-schäftigten nicht negativ beeinflussen

� Geschlechterungleichheiten abbauen(vgl. Klenner/Pfahl 2009).

Arbeitszeiten von Beschäftigten mit Kindern

Anhand der Wochenarbeitszeiten vonMüttern und Vätern ist die Vorherrschaftdes „modernisierten Ernährermodells“gut zu erkennen: Väter arbeiten im Schnittmehr als 15 Wochenstunden länger alsMütter. (Mikrozensus 2005; Abb.1, S. 22).Interessant ist auch der Vergleich inner-halb der Geschlechter: Väter arbeiten imDurchschnitt 1,2 Stunden pro Wochelänger als Nicht-Väter, Mütter hingegen7,6 Stunden pro Woche kürzer als Nicht-

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT22

Mütter. In Ostdeutschland sind Elterninsgesamt länger erwerbstätig als Elternin Westdeutschland. Die Ergebnisse desDGB-Index „Gute Arbeit“ (2007) belegen,dass die tatsächlichen Arbeitszeiten vonEltern auch in jüngster Zeit auf vergleich-barem Niveau liegen.

Die Analyse der Arbeitszeiten auf derIndividual-Ebene offenbart bereits wich-tige geschlechtsspezifische Unterschiede.Sie zeigt aber nicht die vollständige Pro-blematik. Hierfür ist das Zusammenspielder Arbeitszeiten von Vater und Mutterentscheidend.

Arbeitszeitkonstellationen von abhängig beschäftigten Elternpaaren

Immerhin ein gutes Viertel aller Eltern-paare (28 %) arbeitet mittlerweile in einerso genannten egalitären Arbeitszeit-Kon-stellation, in welcher die Arbeitszeitenvon Mutter und Vater etwa gleich langsind. Teilzeit-Kombinationen sind relativselten; mehrheitlich arbeiten beide El-tern entweder Vollzeit (hier als Wochen-

arbeitszeit von 35–40 Std.) oder inüberlanger Vollzeit (hier als Wochenar-beitszeit von mehr als 40 Std.). SolcheKonstellationen gibt es in Ostdeutsch-land mehr als doppelt so häufig (58 %)wie in Westdeutschland (23 %).

Das modernisierte Ernährermodellmit der Kombination aus „Vater Vollzeit,Mutter Teilzeit“ (19 %) oder „Vater über-lange Vollzeit, Mutter Teilzeit“ (23 %),wird von fast der Hälfte der Eltern aus-geübt und ist damit am weitesten ver-breitet (vgl. Abb. 2). In Westdeutschlandarbeitet fast jedes zweite Elternpaar nachdiesem Modell (47 %), in Ostdeutschlandist es hingegen nur jedes fünfte Eltern-paar (20 %). Daneben leben und arbei-ten drei von zehn Elternpaare weiterhinin einem „Alleinernährermodell“, fastimmer mit dem Vater als allein erwerbs-tätigem Partner (26 %) und nur seltenim Rollentausch (4 %). Familienhaus-halte mit der Frau als alleiniger Verdie-nerin sind in Ostdeutschland (7 %)doppelt so häufig vertreten wie in West-deutschland (3 %).

Männer Frauenohne Kind(er)* mit Kind(ern)* ohne Kind(er)* mit Kind(ern)*

in StundenWestdeutschland abhängig Beschäftigte 38,4 39,8 31,5 22,6Ostdeutschland abhängig Beschäftigte 38,3 39,3 34,2 32,8Deutschland abhängig Beschäftigte 38,5 39,7 32,0 24,4

*) unter 18 Jahre im HaushaltQuelle: Mikrozensus, Sonderauswertung für das WSI

Abb.1: Normalerweise geleistete Wochenarbeitszeit von abhängig Beschäftigten mit und ohne Kinder Deutschland 2005

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT 23

Abb. 2: Arbeitszeit-Konstellation von Eltern und ihre Paararbeitszeitdauer

Die höchste Paararbeitszeitdauerweisen Eltern aus „egalitären Konstella-tionen“ auf, in denen beide Elternteilejeweils in überlanger Vollzeit arbeiten.Hier arbeiten Vater und Mutter zusam-mengenommen im Durchschnitt 93 Stun-den pro Woche; dies trifft immerhin auf16 % aller Elternpaare zu. Am kürzestenarbeiten hingegen Eltern aus Alleiner-nährer-Paaren, in denen die Frau diealleinige Erwerbstätige ist (33 Std./Woche) bzw. Eltern mit einer „egalitärenTeilzeit-Kombination“ (42 Std./Woche).

Arbeitszeiten von Beschäftigten mit Pflegeaufgaben

Von den Hauptpflegepersonen auch imerwerbsfähigen Alter sind nur rund 23 %erwerbstätig. 10 % geben gleich zu Be-ginn der Pflege ihre Erwerbstätigkeit auf,11 % schränken ihren Erwerbsumfang

von Anfang an ein und nur 26 % derHauptpflegepersonen setzen ihre Erwerbs-tätigkeit unverändert fort (Schneekloth/Wahl 2005). Der geringe Anteil an Er-werbstätigen ist sicher in erster Linie aufdas meist höhere Lebensalter der Haupt-pflegepersonen zurückzuführen. Es dürfteaber auch mit dem hohen zeitlichen Auf-wand für die Pflege von im Durchschnittrund 37 Stunden pro Woche zusammen-hängen. Außerdem erstreckt sich die Pfle-ge meist über einen längeren Zeitraum,im statistischen Durchschnitt über rundacht Jahre. Obendrein ist der Verlauf desPflegebedarfs schlecht planbar. Diese Cha-rakteristika der häuslichen Pflege wirkensich erschwerend auf die Vereinbarkeitvon Beruf und Pflege aus.

Beschäftigte können der Pflege meistnur mit der Hilfe Dritter gerecht werden.Knapp die Hälfte der abhängig beschäf-tigten Pflegenden greift auf professio-

Anteil an Elternpaaren (%)

Quelle: WSI ArbeitnehmerInnenbefragung (2003) gewichtet

30

25

20

15

10

5

0 0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

Paararbeitszeit(Std./Wo.)

93 h

70 h

59 h

33 h

45 h

23%19% 26%

(beide) ÜL beide VZ beide TZ Er ÜL + Sie TZ Er VZ + Sie TZ MannFrau

Egalitäre Elternpaare Modernisierte Elternpaare Alleinernährer-Paare

42 h

76 h

16% 10% 2% 4%

63

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT24

nelle Pflegeleistungen durch Wohlfahrts-verbände, Tagespflegestätten etc. zurück.Ein Viertel erhält Unterstützung durchandere unbezahlte Personen, z.B. Ver-wandte, Freunde oder Nachbarn. EinFünftel lässt sich nur durch den bzw. diePartnerIn unterstützen und 11 % leistendie Pflege ganz allein.

Die Pflegenden insgesamt, Hauptpfle-gepersonen ebenso wie Mithelfende,weisen mit durchschnittlich 36,7 Arbeits-stunden geringfügig kürzere Wochen-arbeitszeiten auf als Eltern (37,2 Std./Woche). Nicht überraschend ist, dassgerade Frauen in einer „Sandwich-Po-sition“, die sowohl eigene Kinder alsauch Pflegebedürftige versorgen, mitdurchschnittlich 28,3 Stunden besonderskurze Wochenarbeitszeiten haben. Siearbeiten häufiger in Teilzeit (62 %) undseltener in überlanger Vollzeit (14 %)als Frauen, die „nur“ pflegen bzw. „nur“Kinder versorgen. Bei den Männern wirdder entgegengesetzte Effekt sichtbar:Gerade Männer in der „Sandwich-Position“ arbeiten mit durchschnittlich45,6 Stunden pro Woche besonderslang – länger als „Nur-Pflegende“, aberauch länger als „Nur-Väter“.

Arbeitszufriedenheit von Beschäftigten mit Fürsorgeaufgaben

Die Überlastung von Beschäftigten mitFürsorgeaufgaben auf Grund zu langerArbeitszeiten schlagen sich unmittelbarin einer überdurchschnittlich negativenBewertung ihrer Vereinbarkeitssituationnieder. Die empirischen Ergebnisse ausder WSI-Studie wie auch aus dem DGBIndex „Gute Arbeit“, zeigen, dass be-schäftigte Eltern ihre Vereinbarkeitssitu-

ation und ihre Work-Life-Balance umsonegativer beurteilen, je länger ihre tat-sächlichen Arbeitszeiten sind.

Väter und Mütter mit überlangerVollzeit bewerten ihre Vereinbarkeitssi-tuation häufiger als ungünstig (Väter:35 %, Mütter: 37 %) als der Beschäf-tigtendurchschnitt (21 %). Unter denBeschäftigten mit überlanger Vollzeitbewerten 45 % bzw. 70 % ihre Work-Life-Balance als ungünstig.

Kaum ein anderer Faktor hat damitso unmittelbaren und direkten Einflussauf die Zufriedenheit mit der eigenenVereinbarkeitssituation. Erneut lassen sichdie Bewertungen der Eltern zudem nachihren jeweiligen Arbeitszeit-Konstella-tionen differenzieren:

Unzufrieden sind insbesondere Eltern,in denen einer oder beide Elternteilein überlanger Vollzeit arbeiten.Unzufrieden sind Eltern, bei denendie Arbeitszeitdauer von Vater undMutter sehr stark auseinander geht.Dies gilt z.B. wenn der Vater überlan-ge Vollzeit und die Mutter Teilzeit ar-beitet oder wenn nur der Vater er-werbstätig ist.Überdurchschnittlich zufrieden sindEltern, deren addierte Paararbeits-zeitdauer gemäßigt ausfällt und derenindividuelle Arbeitszeiten einen ähn-lichen Umfang aufweisen.

Zum einen erweist sich eine lange Paar-arbeitszeitdauer der Eltern als problema-tisch für die Vereinbarkeit. Zum anderenhaben aber auch stark heterogene Ar-beitszeiten – wenn also ein Elternteilsehr lange arbeitet, der andere jedochsehr kurz – einen negativen Einflussauf die Zufriedenheit mit der Verein-barkeit.

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT 25

Abb. 3: Zufriedenheit mit der Vereinbarkeitssituation

Arbeitszeitwünsche von Beschäftigten mit Fürsorgeaufgaben

Abhängig Beschäftigte sind generell mitder aktuellen Arbeitszeitdauer sehr un-zufrieden (Grözinger/Matiaske/Tobsch2008). Beschäftigte mit Kindern bzw.Pflegeaufgaben unterscheiden sich imDetail.

Arbeitszeitwünsche von Beschäftigten mit Kindern

Mehr als die Hälfte aller Beschäftigtenmöchte die eigene Arbeitszeitdauer re-duzieren, auch wenn dies mit verringer-tem Einkommen einhergeht (vgl. Abb.4, S. 26). Unter den abhängig beschäf-tigten Eltern wünschen sich sogar zweiDrittel eine Reduzierung ihrer tatsäch-lichen Arbeitszeitdauer.

Der Wunsch nach kürzeren Arbeits-zeiten ist insbesondere bei sehr langen

Paararbeitszeiten der Eltern besondersausgeprägt. 96 % der Väter und 99 %der Mütter mit überlanger Vollzeitar-beit möchten weniger arbeiten. Auchdie Hälfte der Väter (50 %) sowie diegroße Mehrheit der Mütter (86 %) mitnormaler Vollzeit (35-40 Std./Woche)findet die eigenen Arbeitszeiten zu lang.Im Gegenzug wünschen sich die Hälfteder teilzeitbeschäftigten Mütter undzwei Drittel der entsprechenden Vätereine Verlängerung ihrer Arbeitszeitdauer.

Die von Müttern und Vätern ge-wünschten Arbeitszeiten liegen insge-samt sehr viel näher beieinander alsihre tatsächlichen Arbeitszeiten.

Fast alle Väter wollen kürzer arbeiten,die Mütter (je nach Gruppe) verkürzenoder verlängern. Insgesamt jedochbewegen sich Väter und Mütter nachihren Wunscharbeitszeiten aufeinanderzu. Je nach Arbeitszeit-Konstellation inder Familie streben die Väter eine

8%10%

unter 15/20 h bis 34 h 35-40 h bis 45 h über 45 h

42%

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

21%

Quelle: WSI ArbeitnehmerInnenbefragung (2003) gewichtet

WSI: Unzufrieden mit Vereinbarkeitssituation (Eltern, 2003)

DGB Index: Keine ausgewogene Work-Life-Balance(Alle Beschäftigten, 2007)

10%

24%

15%

34%

28%

45%43%

70%

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT26

Abb. 4: Arbeitszeitverkürzungswünsche bei Beschäftigten und abhängig beschäftigten Eltern

Arbeitszeitdauer zwischen 32 und 38Std./Woche an, die Mütter zwischen22 und 29 Std./Woche. Im Durchschnittaller abhängig beschäftigten Elternmöchten Väter 37 Std./ Woche undMütter 26 Std./Woche arbeiten. Die

Wunscharbeitszeiten von Vätern undMüttern in Deutschland liegen damitzwischen hoher Teilzeit und gemäßigterVollzeit. (vgl. dazu auch Bundesmann-Jansen/Groß/Munz 2000 sowie Bie-lenski/Bosch/Wagner 2002).

Abb. 5: Arbeitszeitrealitäten und -wünsche nach Arbeitszeit-Konstellation der Eltern

Alle Beschäftigten Abhängig beschäftigte Eltern

Quelle: WSI ArbeitnehmerInnenbefragung (2003) gewichtetQuelle: SOEP 2004, Auswertung Grözinger/Matiaske/Tobsch

48,337,1

34,537,6

31,918,1

Väter

38,249,4

38,936,0

37,244,7

Quelle: WSI ArbeitnehmerInnenbefragung (2003) gewichtet

Mütter

28,244,7

26,738,5

26,023,9

22,320,5

22,520,2

29,332,6

beide Eltern überlange VZ

beide Eltern VZ

beide Eltern TZ

Vater überlange VZ + Mutter TZ

Vater VZ + Mutter TZ

nur ein Elternteil arbeitet

gewünschte AZ

gewünschte AZtatsächliche AZtatsächliche AZ

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT 27

Arbeitszeitwünsche von Pflegenden

Pflegende Beschäftigte (59 %) sind ins-gesamt etwas seltener als Eltern (64 %)an einer Arbeitszeitreduzierung interes-siert. Insbesondere Männer mit Pflege-aufgaben (9 %) wünschen sich etwashäufiger als Väter (5 %) eine Erhöhungihrer Arbeitszeitdauer. Das dürfte damitzusammenhängen, dass ihre tatsächlichenArbeitszeiten etwas kürzer ausfallen. DerWunsch nach Aufstockung trifft ganzbesonders für die pflegenden Männer inTeilzeit zu, während diejenigen in norma-ler Vollzeit ihre Arbeitszeitdauer meistbeibehalten möchten. Frauen mit Pflege-aufgaben (28 %) sind etwas häufigerals Mütter (21 %) mit ihrer aktuellenArbeitszeitdauer zufrieden. Dies gilt ins-besondere für teilzeitbeschäftigte Frauenmit Pflegeaufgaben: 39 % möchten ihreaktuelle Arbeitszeit beibehalten, nur36 % möchten aufstocken.

In ihrer Bewertung der überlangenVollzeit liegen die pflegenden Beschäftig-ten mit den Eltern auf einer Linie: 95 %lehnen Vollzeitarbeit mit mehr als 40Wochenstunden ab.

Handlungsfelder

Es bedarf dringend einer neuen Arbeits-zeitpolitik. Die Liste der notwendigenMaßnahmen ist lang und reicht von derEinführung qualifizierter Teilzeit, überdie Eindämmung von Mehrarbeit undÜberstunden bis hin zu mehr Anreizen füreine egalitäre Arbeitsteilung (StichwortEhegattensplitting). Folgende fünf Aspektesollen hier betont werden (vgl. dazuausführlich Klenner/Pfahl 2009, Mü-ckenberger 2006):

� Neues Leitbild für Gesetzgebung,Tarifverträge und Betriebe – Abschiedvom „sorgelosen Beschäftigten“: ZumLeitbild einer fürsorgesensiblen Per-sonalpolitik müssen Beschäftigtewerden, die grundsätzlich in beideSphären gesellschaftlich notwendigerArbeit eingebunden sein können, derErwerbsarbeit wie der privaten Für-sorgearbeit.

� Kürzere Arbeitszeiten: Die alte ge-werkschaftliche Forderung nach kür-zeren Arbeitszeiten gewinnt im Lichteeiner gleichstellungsorientierten Ar-beitszeitpolitik wieder enorm an Be-deutung. Nahezu alle Beschäftigtenmit hohen Arbeitszeiten geben deut-lich kürzere Wunscharbeitszeiten an,unter den Beschäftigten mit Fürsorge-aufgaben ist das besonders ausge-prägt. Die Betroffenen selbst haltenWochenarbeitszeiten von ca. 30 Stun-den für optimal, auf Paarebene solltedie Gesamtarbeitszeit 60 Std./Wochenicht überschreiten.

� Etablierung von unterschiedlichenNormalitäten: Da eine generelle Ver-kürzung der Arbeitszeiten im genann-ten Ausmaß in den nächsten Jahrenaus politischen Gründen nicht zu er-warten ist, sollten neue Arbeitszeit-standards für Menschen mit Fürsorge-arbeit entwickelt und eingeführt wer-den. Solche Care-Vollzeiten könntenz.B. zwischen 25 und 32 Std./Wochebetragen. Der Einkommensverlustkönnte durch einen Solidarausgleichaufgefangen werden. Care-Vollzeitenbieten zudem den Einstieg in ein Sys-tem lebensphasenorientierter Arbeits-

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zeiten. Ein solches System beinhaltetverschiedene Arbeitszeitstandards,die der jeweiligen Lebensphase derBeschäftigten entsprechen.

� Aufwertung von Teilzeitarbeit: Wei-terhin bedarf es vielfältiger Möglich-keiten, individuell von der Norm ab-zuweichen. Die Beschäftigten müssenauch kurzfristig ihr Arbeitszeitvolu-men an ihre jeweilige familiäre Le-benssituation anpassen können. Diesbeinhaltet die Verringerung der Ar-beitszeit genauso wie die (kurzfris-tige) Rückkehr auf das alte Arbeits-zeitvolumen.Obwohl mit dem Teil-zeit- und Befristungsgesetz die recht-lichen Rahmenbedingungen dazuverbessert wurden, gibt es in der be-trieblichen Praxis immer noch Ein-schränkungen, z.B. beim Karrierever-lauf. Teilzeit und Führung schließensich immer noch weitgehend aus.Und gerade auf geringer qualifizier-ten Arbeitsplätzen stellt der mit

Teilzeit verbundene Einkommens-verlust eine massive Barriere dar,die es zu überwinden gilt.

� Fürsorgesensible Arbeitsorganisationstärken: Telearbeit, Jobsharing undHilfe sowie finanzielle Unterstützungbei der Kinderbetreuung und derBetreuung pflegebedürftiger Ange-höriger sind nur einige Beispiele.Weitere Möglichkeiten bieten sichdurch Arbeitszeitflexibilisierungenoder durch die Übernahme von Haus-haltsdienstleistungen wie z.B. ein (kos-tenloser) Wäscheservice. Bedeutsamist auch eine Kultur zu etablieren, inder beispielsweise Sitzungen in derKernzeit stattfinden und in der diereine Anwesenheit der Beschäftigtennicht schon als Leistungsmerkmal ge-wertet wird. Zahlreiche Praxisbeispielezeigen, dass Personalverantwortlichenunabhängig von Branche oder Be-triebsgröße sehr viel ermöglichenkönnen.

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LITERATUR

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Bielenski, H. / Bosch, G. /Wagner, A.: Wie die Europäer arbeitenwollen. Erwerbs- und Arbeits-zeitwünsche in 16 Ländern. Frankfurt / New York 2002.

Bundesmann-Jansen, J. / Groß,H. / Munz, E.: Arbeitszeit '99: Ergebnisseeiner repräsentativenBeschäftigtenbefragung zutraditionellen und neuenArbeitszeitformen in derBundesrepublik.Deutschland, Köln 2000.

Grözinger, G. / Matiaske, W. /Tobsch, V.: Arbeitszeitwünsche undArbeitszeitpolitik: Eine empi-rische Studie auf Basis dessozio-ökonomischen Panels.WSI-Mitteilungen, 2008, 2.

Klenner, C. / Pfahl, S.: Jenseits von Zeitnot und Karriereverzicht. Leverkusen Opladen 2009.

Klenner, C. / Schmidt, T.: Familienfreundlicher Betrieb– Einflussfaktoren ausBeschäftigtensicht. WSI-Mitteilungen 2007, 9.

Mückenberger, U.: Manifest der DeutschenGesellschaft für Zeitpolitik.Argumente für eine neueArbeitszeitgestaltung. Personalführung, 12/2006,36–43

Schneekloth, U. / Wahl, H.W.(Hg.): Möglichkeiten und Grenzenselbständiger Lebensführungin privaten Haushalten (MuGIII). Repräsentativbefunde undVertiefungsstudien zu häusli-chen Pflegearrangements,Demenz und professionellenVersorgungsangeboten.München 2005.

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FAMILIENFREUNDLICHE MAßNAHMEN DER FRAPORT AGGudrun Müller, Leiterin des Servicecenters Soziales der Fraport AG, Frankfurt/Main

Die Fraport Aktiengesellschaft (AG) istEigentümerin des Flughafens Frank-

furt und zuständig für das Managementdieses größten Flughafens in Deutsch-land. Knapp 53,5 Millionen Passagierewurden 2008 gezählt. Fraport wandeltsich seit einigen Jahren sehr schnell voneinem ehemals rein öffentlichen Unter-nehmen zu einem börsennotierten, inter-national tätigen Konzern. Schritte aufdiesem Weg waren die Öffnung für denWettbewerb, der Börsengang 2001 unddie Namensänderung von FlughafenFrankfurt/Main AG (FAG) in Fraport AG.

Als Folge der international tief greifen-den Veränderungen im Zuge der fort-schreitenden Globalisierung und damitverbundenen neuen Herausforderungensind die Konzernbildung als Prozess unddie Gestaltung einer beteiligungsorien-tierten Unternehmenskultur bei der Fra-port AG aktuelle Themen, mit denen sichdas Unternehmen auf allen Ebenen aus-einandersetzt. Als Unternehmen, in demdie Mitbestimmung eine zentrale Bedeu-tung einnimmt, sind auch die Themen-felder Arbeitszeit und deren Weiterent-wicklung sowie die Vereinbarkeit vonBeruf und Familie auf der Agenda, auchzwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.

Wie gelingt es uns als großem Dienst-leistungsunternehmen im Schichtbetrieb,familienfreundliche Maßnahmen zu ent-wickeln und umzusetzen?

Die Fraport AG, die Betreibergesell-schaft des Frankfurter Flughafens

Die Fraport AG ist nicht nur an ihremKonzernstandort Flughafen Frankfurt,

sondern weltweit in einem breiten Spek-trum von Geschäftsfeldern aktiv: Boden-verkehrdienste, Flug- und Terminalbetrieb,Handels- und Vermietungsmanagementund externe Beteiligungen gehören zumPortfolio des Konzerns, der weltweit mitca. 21.000 Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern im Airport-Geschäft tätig ist.Dabei ist der Standort Frankfurt mit über500 Unternehmen und Behörden undetwa 70.000 Beschäftigten die größteArbeitsstätte Deutschlands.

Ausgangspunkt der in diesem Artikelbeschriebenen Entwicklungen und Akti-vitäten ist die Fraport AG im KonzernFraport. Das Portfolio der Angebote undMaßnahmen, die aktuell und zukünftigin einer Konzeption für eine ausgewo-gene Work-Life-Balance stehen, beziehensich auf die Konzern-Mutter. Die Heraus-forderung der nächsten Jahre bestehtdarin, die Konzernziele und Grundsätzedes Personalmanagements herunterzu-brechen auf ein Human Ressource Mana-gement, das sich unter anderem an denZielen und Erfahrungen einer Work-Life-Balance-Konzeption der AG orientiert.Damit ist allerdings kein Anspruch allerBeschäftigten im Konzern auf konkretemonetäre Elemente definiert, die in ein-zelnen Angeboten der Konzeption ent-halten sind.

Der Luftverkehr als eine der dyna-mischsten Wachstumsbranchen steht fürein Netzwerk an hoch spezialisiertenDienstleistungen. Damit erzielte das Un-ternehmen 2007 bei einem Konzern-umsatz von 2,329 Milliarden Euro einenNettogewinn von 213,7 Millionen Euro.Die Fraport AG versteht sich als Unter-

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nehmen, das Infrastruktur be-reitstellt. Gemeinsam mit Kun-den, Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern sowie Anteilseignernentwickelt der Flughafenbe-treiber deshalb den StandortFrankfurt weiter, um dadurchdie Position als eines der wich-tigsten Luftfahrtdrehkreuze iminternationalen Wettbewerbzu bewahren und auszubauen.Zufriedene Kunden, motivierteund engagierte Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter sowieein positiv gestimmtes Umfeldsind die Voraussetzung füreinen dauerhaften wirtschaftlichen Erfolgdes Unternehmens. Marktgerechte Prei-se, hohe Qualität der Dienstleistungensowie umfassende Sicherheit der Ver-fahren und Abläufe sind Garanten fürZufriedenheit der Kunden und Besuchersowie für den Schutz von Beschäftigtenund Umwelt.

Strukturdaten Personal

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehenbei uns im Mittelpunkt. Motiviertes undleistungsbereites Personal ist ein zentra-ler Erfolgsfaktor für die Fraport AG.Wir bieten vielfältige Weiterbildungsan-gebote, ein breites Spektrum an Berufs-bildungsgängen, diverse Service-, Bera-tungs- und Sozialleistungen und Ge-sundheits- und Sportprogramme.

Beschäftigt waren im November 2008am Standort Frankfurt am Main 19.002Erwerbstätige, 81,2 Prozent Männer und18,8 Prozent Frauen. In den Führungs-ebenen 1 bis 5 in der Fraport AG be-finden sich 17,8 Prozent Frauen und

82,2 Prozent Männer in Führungsposi-tionen.

Die Gestaltung von flexiblen Arbeits-zeitmodellen stellen die Vorgesetztenund Beschäftigten in einem Schichtbe-trieb vor spezielle Herausforderungen.Die Arbeitszeitgestaltung, die es ermög-lichen kann, die Zeitnot von Familien zulindern, ist verschieden. Nur etwa einDrittel der Beschäftigten arbeitet in höchstflexiblen Gleitzeitmodellen und sind hierüberwiegend in administrativer Funktiontätig. Die Mehrheit der Beschäftigten(8.589) arbeitet im Schichtdienst (früh/spät) und im Wechselschichtdienst (früh/spät/Nacht). Dies sind Tätigkeiten im Be-reich der Bodenverkehrsdienste, der Air-port Security sowie im Flug- und Terminal-management.

Fraport muss auf die Auswirkungendes demografischen Wandels reagieren,wie andere Unternehmen auch. Zukünftigwerden die jungen, weniger werdendenqualifizierten und engagierten Frauenund Männer neben den Verdienst- undEntwicklungsmöglichkeiten auch da-

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nach fragen, wie Angebote des Perso-nalmanagements im Hinblick auf Ar-beitszeit- und Arbeitsortflexibilität aus-sehen. Zukünftige Fach- und Führungs-kräfte, sowohl weibliche als auch männ-liche, sehen stärker als die Generationenvor ihnen neben der interessanten beruf-lichen Herausforderung auch ihre „Kar-riere“ als Eltern, als Familienvater oder-mutter. Daher stellen zukünftig Ange-bote zur Vereinbarkeit von Beruf undFamilie und Maßnahmen zur Stärkung derBalance zwischen Berufs- und Privatleben

in einem Unternehmen auch einen Wett-bewerbsvorteil im Kampf um jungeTalente dar.

Auch die unterschiedlichen Kinder-betreuungsangebote dienen heute vielstärker dem Ziel, Eltern möglichst frühden Wiedereinstieg nach der Elternzeitzu ermöglichen und dadurch einen wirt-schaftlichen Vorteil zu erreichen. Fehlzei-ten, die unter Umständen entstehen,wenn kurzfristig die Regelbetreuung derKinder ausfällt, können reduziert werden.

Grundsätze des Personalmanagements

Eine aktive Politik des Human RessourceManagements (HRM) ist fester Bestand-teil der Unternehmenskultur der FraportAG. Aus Sicht der Mitarbeiterinnen undMitarbeiter geht es im wohlverstandenenInteresse des Unternehmens darum, deneinzelnen Beschäftigten eine Work-Life-Balance zu ermöglichen und neue Poten-ziale, Kreativität und Leistungsbereitschaftzu entwickeln, die sich aus den unter-

schiedlichen nötigen Qualifi-zierungsprofilen einerseitsund der Vielfalt der Beschäf-tigten andererseits ergebenkönnen. Dabei ist von zentra-ler Bedeutung, auch die ge-schlechts- und altersspezifi-schen Aspekte zu integrieren.

Fraport hat 2004 in denKonzernzielen ein anspruchs-volles Zieldreieck von Steige-rung des Unternehmenswer-tes (Wertschaffung), Leistungs-stärke in einem integriertenGeschäftsmodell sowie wirt-schaftlicher, sozialer und öko-logischer Nachhaltigkeit for-

muliert. Im Nachhaltigkeitsbericht 2007„Fairplay“ wird das konkretisiert: „DerFraport-Konzern orientiert sein unterneh-merisches Handeln an der Zielsetzungnachhaltiger Entwicklung … Dabei setztder Bericht für das Jahr 2007 fünf The-menschwerpunkte: Wirtschaftliche Leis-tung, nachhaltiges Management, Um-weltschutz, Verantwortung als Arbeitge-ber und gesellschaftliches Engagement… Verantwortliches unternehmerischesHandeln bedeutet für den Fraport-Kon-

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zern neben Erhalt und Schaffung von Ar-beitsplätzen … auch die Berücksichtigungpersönlicher Belange und Interessen vonMitarbeiterinnen und Mitarbeitern.“

Für das Erreichen dieser Ziele warenund sind qualifizierte und motivierte Be-schäftigte der wichtigste Erfolgsfaktoreines Dienstleistungsunternehmens. GuteArbeitsbedingungen, eigenes Engage-ment zum Erreichen gemeinsamer Ziele,fachliche und persönliche Entwicklungs-chancen und Angebote von Fraport alsattraktivem Arbeitgeber in den Regionenund Ländern, in denen der Konzern tätigist, bilden die Voraussetzungen für wirt-schaftlichen Erfolg und hohe Qualitäts-standards in der Leistungserbringung. Dasin der Fraport AG vorhandene „Mana-gement des Sozialen“ bildet hierbei einewichtige Grundlage, um eine erfolgreicheWork-Life-Balance der Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter zu ermöglichen.

Familienorientierte Personalarbeit

Angebote zur Vereinbarkeit von Berufund Familie haben Tradition bei Fraport.Die AG erhielt im Juni 2007 erstmals dasGrundzertifikat des Audits „berufund-familie“ der Hertie Stiftung. Dies stellt dieGrundlage für weitere Aktivitäten dar, umdie Vereinbarkeit von Beruf und Familiein den unterschiedlichen Aufgabenfeldernund im betrieblichen Miteinander weiterzu festigen und verbindliche Vereinbarun-gen zu treffen, wo es betrieblich möglich ist.

Seit fast 20 Jahren kooperiert das Un-ternehmen mit der pme FamilienserviceGmbH. Die Zusammenarbeit garantierteine für die Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter kostenlose Beratung und Vermitt-lung in Situationen, in denen Lösungen

zu Fragen von Kinderbetreuung (aupair,Tagesmutter, Notmutter usw.) und pflege-bedürftigen Familienangehörigen anstehen.

Diese und weitere Serviceangebotedes Arbeitgebers Fraport folgen demPrinzip, eine Win-Win-Situation für Be-schäftigte und Arbeitgeber zu schaffen.Die Erfahrungen zeigen, dass Beschäf-tigte in kurzen oder auch länger andau-ernden persönlichen Krisen arbeitsfähigbleiben, wenn sie im SelbstmanagementUnterstützung erfahren. In erster Liniebezieht sich dieser Service darauf, dassMitarbeiterinnen und Mitarbeiter beratenwerden und eine Orientierung erhalten,an wen sie sich schnell und kompetentwenden können, wenn sie konkrete Hilfe-stellungen benötigen. Geleitet ist der Fa-milienservice in der Personalabteilungder Fraport AG von einem weiter ent-wickelten Familienbegriff. Unter Familiesind alle Lebensgemeinschaften zu ver-stehen, in denen langfristig soziale Verant-wortung für andere Personen übernom-men wird. Dies umfasst vor allem Elternund Kinder, aber auch Lebenspartnersowie pflegebedürftige Angehörige.

Wie in den vergangenen Jahren be-stätigt die jährliche Analyse des Bera-tungsbedarfs beim Familienservice derFraport AG, dass der Bedarf an Maß-nahmen zur besseren Vereinbarkeit vonBerufs- und Privatleben mit Blick auf diedrei Themenfelder Kinderbetreuung, pfle-gebedürftige Angehörige/Eldercare undfinanzielle Probleme weiterhin groß ist.

Fluggi-Land und Kinderarche

Zwei Angebote zur Kinderbetreuung inFlughafennähe stehen im Unternehmenbeschäftigten Müttern und Vätern zur

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Verfügung und stellen gewissermaßen„Leuchttürme“ der familienfreundlichenPersonalpolitik der Fraport AG dar.

Fluggi-Land bietet als flexible Kinder-betreuung Unterstützung, wenn die Re-gelbetreuung ausfällt. Eltern können heuteihren Bedarf anmelden, und am nächstenTag werden die Kinder im Alter bis zusechs Jahren für eine geringe Gebühr von

pädagogischen Fachkräften einige Stun-den oder auch einen ganzen Tag langbetreut. Angepasst an Schichtanforde-rungen ermöglicht diese Service- undBetreuungsleistung, dass Kinder auch zuaußergewöhnlichen Zeiten, von 6 Uhrbis 22 Uhr, in guten Händen sind. EineUmfrage zur Nutzung der flexiblen Kin-derbetreuung bei Eltern der Fraport AGim Jahr 2008 bestätigte erwartungsge-mäß den Bedarf und gab wichtige Hin-weise zur Qualitätsentwicklung.

Am Standort Frankfurt-Sindlingenbefindet sich eine Kinderkrippe, in derKinder im Alter von acht Wochen bisdrei Jahren ganztags betreut werden.

Beide Betreuungsangebote werdennicht nur von Eltern der Fraport AG, son-dern auch von Eltern anderer Unterneh-men in der Region genutzt. Unter Berück-sichtigung wirtschaftlicher Aspekte undals Ausdruck der Verbundenheit mit derRegion startete die Kinderkrippe miteinem von Fraport entwickeltem Konzept,das sich zum Ziel gesetzt hat, weitere

Unternehmen im Einzugsge-biet des Flughafens zu betei-ligen und für Kinderbetreu-ungseinrichtungen zu werben.Damit konnte das Angebot ei-ner hochwertigen und be-darfsorientierten Kinderbe-treuung, die sich wirtschaft-lich rechnet, weiter getragenund familienfreundliche Unter-nehmenskooperationen in derRegion geschaffen werden.Die Konzeption der Kinder-krippe sieht vor, dass sich dievorhandenen 72 Krippenplät-ze auf die Kinder aus den be-teiligten Unternehmen und

der Stadt Frankfurt verteilen. Der Ansatz einer Private-Public-Part-

nership stellt eine erfolgreiche familien-freundliche Allianz zwischen Unterneh-men, Eltern und der Region dar und wirddementsprechend von den Beteiligtenauch gemeinsam finanziert bzw. subven-tioniert. Die Beteiligung im Unternehmens-netzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ und dieBereitschaft von Herbert Mai als Arbeits-direktor und Mitglied des Vorstandes, seit2007 als Botschafter für das Unterneh-mensnetzwerk in hessischen Unternehmenund Wirtschaftsverbänden zu werben,garantiert die Nachhaltigkeit bei diesemThema auch in den kommenden Jahren.

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Väter engagieren sich

Zu einer signifikanten Steigerung vonVätern in Elternzeit führte auch bei unsim Unternehmen die neue gesetzlicheRegelung zum Elterngeld, die seit Januar2007 in Kraft ist. Im Jahr 2007 hat dieMehrzahl der Väter in Elternzeit lediglichdie zwei Monate, die im Rahmen derNeuregelung zum Elterngeld verpflichtendsind, in Anspruch genommen. Unter-stützt von einem Väternetzwerk im Unter-nehmen steigt jedoch die Zahl der An-fragen von (werdenden) Vätern. Väterin verschiedenen Abteilungen und Posi-tionen haben ein Väternetzwerk gegrün-det, nehmen an einem Väterstammtischteil und organisieren gemeinsame Mit-tagessen mit ihren Kindern in der Kanti-ne. Auch das ist ein Teil von Familien-freundlichkeit im Unternehmen, dassauch engagierte Väter sichtbar macht.

Flexible Arbeitszeitgestaltung, zen-tral für den Balanceakt Beruf undFamilie

Der 24-Stunden-Betrieb des FrankfurterFlughafens macht Flexibilität unabding-bar, auch bei der Gestaltung von Arbeits-zeiten. Fraport gibt flexiblen Arbeitszeit-modellen Vorrang vor einem starren Zeit-korsett, damit nicht nur das Unterneh-men, sondern auch die Beschäftigen „at-men“ und Beruf und Familie besser ver-einbaren können. Im Rahmen eines Pilot-projekts werden in einigen Arbeitsberei-chen zurzeit „Wunschdienstpläne“ imSchichtdienst getestet. Damit ist ein wei-terer großer Schritt zu mehr Arbeitszeit-souveränität gelungen. Fraport-Beschäf-

tigte profitieren außerdem von Teilzeitund Gleitzeit (ohne Kernzeit) sowie al-ternierender Telearbeit. Attraktiv für dieMitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist auchdas Lebensarbeitszeitkonto. Das ange-sparte Zeitguthaben lässt sich nicht nurnutzen, um frühzeitig in Ruhestand zugehen, sondern es lässt auch längereAuszeiten während des Berufslebens zu.

Fazit

Der Balanceakt zwischen Beruf undFamilie wird auch zukünftig eine Her-ausforderung für alle betrieblichen Ak-teurinnen und Akteure bleiben. Aberzur Suche nach erfolgreichen Lösungengibt es keine Alternative. Dabei müssenvorhandene innerbetriebliche Maß-nahmen und Instrumente im Hinblickauf Arbeitszeit und Arbeitsorganisationsowie die Entwicklung intelligenter undwirtschaftlich erfolgreicher Kooperatio-nen mit anderen Unternehmen forciertwerden. Die Politik in Städten und Kom-munen einiger Regionen sendet sehreindeutige Signale zu einer Private-Public-Partnership, allerdings ist dies nochlange nicht in allen Regionen in unse-rem Lande der Fall.

Die Fraport AG wird kontinuierlichweiter an einer Verbesserung ihrer inter-nen Strukturen arbeiten. Die Beteiligungdes Unternehmens als ein Best-Practice-Beispiel, etwa in Vorhaben des Bundes-familienministeriums für familienfreund-liche Unternehmen, und andere Projektezeigen, dass Fraport auch ein Lernbeispielfür die Umsetzung von praktischer Be-teiligung von Beschäftigten und ihrerInteressenvertretung ist.

EINE ZEITBEWUSSTE STADTTraum oder machbar?23. APRIL 2009, FRANKFURT

Wer kennt das nicht: Verkehrschaosim Berufsverkehr, Parkplatzmangel,

eingeschränkte Arbeits- und Öffnungs-zeiten vor allem von öffentlichen Einrich-tungen wie Bibliotheken, Schwimmbä-dern, Kitas und Behörden, schlechtgetaktete und aufeinander abgestimmteNahverkehrspläne und nirgendwo einePostagentur zu finden.

Durch die zunehmende Flexibilisierungunserer Gesellschaft ist der Rhythmus vonArbeit und Leben aus dem Takt geraten.Vor allem in der Kommune treffen unter-schiedlichste Zeitlogiken aufeinander.(Öffnungs-)Zeiten folgen bisher haupt-sächlich den Funktionslogiken der jewei-ligen Bereiche. Das zieht Zeitkonflikte nachsich, welche die ohnehin notwendigeindividuelle Zeitkoordination erschweren,vor allem für Familien.

Es ginge auch anders! Eine sinnvolleBerücksichtigung und Koordinierung vonräumlichen und zeitlichen Faktoren kanndie Lebensqualität in der Stadt erheblichsteigern. Vieles ist möglich, um die Rah-

menbedingungen für den Alltag zu ver-bessern.

Welche Anforderungen sind an einezeitbewusste und bürgerfreundliche Stadtzu stellen? Was wird bereits getan undwelche Erfahrungen gibt es aus denKommunen? Wie können Bürgerinnenund Bürger in kommunale Gestaltungs-fragen stärker einbezogen werden? Umdiese Fragen geht es beim Thema „Zeitenin der Stadt“.

Der Stadtplaner Benjamin Herkommeraus Berlin erklärt, warum und wie Zeit-politik in die städtische Raumplanungintegriert und zu einer RaumZeitPolitikweiterentwickelt werden muss.

Imke Meyer, die Frauenbeauftragteder Stadt Hanau, stellt die Ergebnissedes Projekts „Familiengerechtes Hanau –eine Stadt baut Zeitbrücken zur Verein-barkeit von Familie und Beruf“ vor undbeschreibt die Höhen und Tiefen derProzesse, in denen Gruppen mit unter-schiedlichen Zeitinteressen Arrangementsaushandeln sollten.

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ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT 37

RAUMZEITPOLITIKBenjamin Herkommer, Stadtplaner, Berlin

Bereits seit den grundlegenden Arbei-ten der schwedischen Schule der Zeit-

geographie in den 1970er Jahren hat sichein eigener – in seiner Entwicklung nichtimmer stetiger aber insgesamt dennochstabiler – Forschungsstrang der Analyseder Zusammenhänge räumlicher und zeit-licher Entwicklung herausgebildet.

Parallel zu der wissenschaftlichen Aus-einandersetzung mit den zeitlichen Aus-wirkungen räumlicher Veränderungeneinerseits und den räumlichen Konse-quenzen zeitlicher Veränderungen an-dererseits entwickelte sich das Feld der– vor allem kommunalen – Zeitpolitik,sowohl in der Forschung als auch alsGegenstand politischer Steuerung. ImJahr 1990 institutionalisierte Italien alserstes europäisches Land die städtischeZeitpolitik und in der Folge führten zahl-reiche weitere EU-Staaten, darunter auchDeutschland, zeitpolitische Projekte undExperimente durch.

Vielfach konzentrieren sich diese Poli-tiken auf die Anpassung der Angebots-zeiten von Verwaltungsdiensten und so-zialen Infrastrukturangeboten der öffent-lichen Hand auf die weit reichenden Ver-änderungen gesellschaftlicher Zeitstruk-turen, die im Wesentlichen mit dem Wan-del von Arbeits- und Betriebszeiten so-wie einer steigenden Erwerbsarbeitsbe-teiligung von Frauen und sich entspre-chend verändernden sozialen Rollen-vorstellungen zusammenhängen. Wo dieFlexibilisierung und Individualisierung derZeiten und veränderte Lebensstile zuvöllig neuen und in der Tendenz zuneh-mend komplexen Herausforderungen derSynchronisation von Familienzeiten füh-

ren, verändern sich auch die Ansprüchean Öffnungs- und Sprechzeiten von Bil-dungs- und Betreuungseinrichtungensowie von Verwaltungen. Ferner versu-chen einzelne Städte, mithilfe von Mobi-litätspakten und Vereinbarungen zu La-denschlusszeiten und Arbeitszeiten zuneuen Formen der Koordination städti-scher Zeiten zu kommen.

Vor dem Hintergrund der nicht unbe-achtlichen Ergebnisse der Forschung überdie Zusammenhänge zwischen Zeit undRaum sowie den Anfängen kommuna-ler Zeitpolitik ist es erstaunlich, dass dieräumliche Politik ihrerseits bis heute weit-gehend zeitblind geblieben ist. Dabeisind es gerade die Steuerungsmechanis-men der räumlichen Planung, die wesent-lichen Anteil an der Gestaltung der Zeit-strukturen haben.

Nach Funktionen getrennte odergemischt genutzte Stadt

Schon auf der Ebene der Leitbilder,Konzepte und Visionen hat räumlichePolitik – unausgesprochen – eine zeit-liche Komponente. Das fordistische undtayloristische Leitbild der nach Funktio-nen getrennten Stadt hat eine dezidiertandere zeitliche Struktur als die gemischtgenutzte gründerzeitliche Stadt, als derenGegenkonzept es entwickelt wurde. Dieräumliche und zeitliche Distanz zwischenden Nutzungen in der funktionsgetrenn-ten Stadt verringert wechselseitige Störun-gen und lässt alle Nutzungsarten ihrerjeweiligen zeitlichen Eigenlogik folgen.Gleichzeitig entstehen hohe räumlicheund zeitliche Wegekosten und ein star-

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT38

rer Wechsel der separierten und homo-gen genutzten Räume zwischen on undoff mit deutlich sichtbaren Folgen derschlagartig wechselnden Belebung derunterschiedlichen Quartiere zu unter-schiedlichen Zeiten.

Im Zuge der nachmodernen Wieder-entdeckung der „alten Stadt“ wurde dasLeitbild der Stadt der kurzen Wege for-muliert. Mithilfe der kleinräumigen Mi-schung von Funktionen sollen Wegeverkürzt und so einerseits die Umwelt,anderseits die Zeitbudgets der Haushalteentlastet werden. Dabei steigt jedochauch das Potenzial für Zeitkonflikte, dasich in funktionsgemischten Stadtquar-tieren gerade unter den flexibilisiertenBedingungen postfordistischer Zeitstruk-turen Ruhezeiten, Lieferzeiten, Arbeits-zeiten und Freizeiten räumlich überlagern.

Raumplanung bestimmtZeitplanung

Der Vergleich der Leitbilder deutet bereitsan: Räumliche Politik und Planung ent-scheiden im Zuge der räumlichen Ver-teilung von Nutzungen auch über diezeitliche Landkarte der Stadt. Da dies je-doch sowohl Planungsträgern als auchBürgern kaum bewusst ist, findet dieseZeitgestaltung implizit statt und werdendie zeitlichen Konsequenzen räumlicherPolitik nicht bzw. noch kaum diskutiert.Umgekehrt bedeutet dies, dass zeitlicheKonflikte im Raum immer wieder mitInstrumenten der räumlichen Steuerungangegangen werden, die jedoch nicht fürdiesen Zweck ausgelegt sind.

Diese Unzulänglichkeiten zeigen sichauf allen räumlichen Ebenen:

In der kommunalen Bauleitplanungsteht mit der Baunutzungsverordnungein fein ziseliertes Instrumentariumder räumlichen Steuerung zur Verfü-gung. Dessen Typisierung von nachihrer Nutzungsstruktur unterschied-lichen Baugebieten beinhaltet zwarimplizit eine zeitliche Charakterisie-rung, formuliert diese jedoch nichtexplizit aus. Insbesondere bei der Über-planung gewachsener – d.h. weit-gehend ungeplant entstandener –gemischt genutzter Quartiere entste-hen daher oft erhebliche Probleme,wenn Konflikte zwischen Nutzungen,die im Kern zeitliche Konflikte sind,mit räumlichen Steuerungsinstrumen-Hten gelöst werden sollen. Häufig versucht die Planung, in sol-chen Stadtteilen die urbane Mischunggrundsätzlich zu erhalten, im Detailaber gegenseitige Störungen zwi-schen verschiedenen Nutzungen zuentschärfen. Beides ist jedoch nurschwer gleichzeitig zu haben, da dieBaunutzungsverordnung derlei Kon-flikte als räumliche Probleme auffasstund entsprechend größere räumlicheAbstände, bzw. geringere Durchmi-schung als Lösungsansätze anbietet.Will die räumliche Planung geschütz-te Zeiten der Anwohner durchsetzen,mündet dies zwangsläufig in eine Be-vorzugung der Raumnutzung Woh-nen vor anderen Nutzungen, d.h. inräumlicher Entmischung zugunstendes Wohnens. Im Grunde soll aberein zeitlicher Konflikt gelöst werden.Wo zeitliche Instrumente räumlicheNähe bei zeitlicher Distanz ermöglichenkönnen, führen räumliche Instrumentein solchen Situationen eher zu räum-

ÄNDERN SICH DIE ZEITEN? AUF DEM WEG IN DIE 24-STUNDEN-GESELLSCHAFT 39

licher Distanz unter Beibehaltung derGleichzeitigkeit. So entscheidet dieräumliche Planung in gemischtenQuartieren im Konfliktfall immer auchdarüber, wessen Zeit am betreffendenOrt Vorrang hat, die Zeit der Anwoh-ner oder die aller anderen Nutzerdes Stadtgebiets, die ihre Zeitmusterin das Quartier „hineintragen“.Auf Ebene der Landes- und Regional-planung beeinflussen die Konzepteder Hierarchisierung des Siedlungs-raums wie das Zentrale-Orte-Systemoder das Leitbild der Dezentralen Kon-zentration auch finanzielle Zuweisun-gen der Länder an die Gemeinden,zeitliche Prioritäten von Investitions-entscheidungen, unterschiedliche Aus-baustände von Verkehrsverbindungenzwischen den Gemeinden und ver-breitet auch das kommunale Ange-bot von Dienstleistungen der sozialenInfrastruktur. In der aktuellen Debatteum die Tragfähigkeit dieser Infrastruk-turangebote vor dem Hintergrund derHerausforderungen von (interregio-naler) Migration und Demographiewird viel über die Finanzierung deröffentlichen Daseinsvorsorge geredetund weniger darüber, dass die räum-liche Ausdünnung des Angebots denHaushalten nicht nur immer größereWegedistanzen aufbürdet, sondernangesichts gleichzeitig abnehmenderNetzdichte und Bedienungshäufigkeitim ÖPNV auch überproportional stei-gende Fahrzeiten. Auf Ebene der nationalen Raumord-nungspolitik werden immer wiederSchritte der Beschleunigung der ver-kehrlichen Verbindung zwischen zu-gleich immer weniger Großstädten

vollzogen. Das Konzept der „Europä-ischen Metropolregionen“, das dieOberzentren als bisher höchste Ebeneder Siedlungsstruktur ablöst bzw. diesein eben Metropolen und Oberzentrentrennt, geht dabei mit der Entwick-lung und Strukturierung des ICE-Hochgeschwindigkeitsnetzes Hand inHand. Da in vielen Fällen die Geschwin-digkeitserhöhung zwischen den Netz-knoten höchster Stufe nur um denPreis der Verlangsamung und Ange-botsausdünnung in der Fläche zu ha-ben ist, entstehen zeiträumliche Ver-zerrungen: Der Raum zwischen denMetropolen wird stark komprimiert– die Peripherie bläht sich auf. Über-spitzt formuliert laufen die neuen Leit-bilder der Raumplanung auf die Her-ausbildung einerseits eines kleinenKreises kontinuierlich aktiver Groß-städte verbunden durch maximal be-schleunigte Verkehrswege und ande-rerseits der Langsamkeit preisgege-bene „Resträume“ in den Netzma-schen hinaus.

Debatte über Raumzeitstrukturennotwendig

So betrachtet ist räumliche Politik alsoimmer auch Zeitpolitik. Die Integration derzeitlichen Perspektive in die Prozesse räum-licher Planung zu fordern, ist daher nureingeschränkt ein Fall zusätzlicher Regu-lierung. Vielmehr geht es darum, expli-zit zu machen, was implizit bereits laufendgeschieht. Ausschlaggebender Grunddafür ist die Erfahrung, dass das implizite(Mit-)Steuern von Zeit durch Raumpoli-tik keine zufrieden stellenden Ergebnisseliefert und – dies ist entscheidend –

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jegliche Debatte über Raumzeitstruktu-ren verhindert, also einen ganz wesent-lichen Teil der Ergebnisse räumlicher Pla-nung erst gar nicht zur Diskussion stellt.

Möglichkeiten zur Zeitsteuerung inder Stadt- und Regionalplanung

Ein erster Schritt zur Beachtung und ex-pliziten Steuerung der Zeit im Rahmender Stadt- und Regionalplanung wäredementsprechend durch die Einführungvon Informationsrechten der Bürger bzw.Informationspflichten der Kommunen ge-tan. Müssten die Städte über die Zeitfol-gen ihrer Planungen informieren, setztedies auch den Vollzug entsprechenderAnalysen und Studien und einen Dis-kussionsprozess voraus, der die Zeit ausdem Hinterzimmer der Raumplanunghervorholen würde.

Ein weiterer Schritt wäre die formaleAufnahme von Zeit als Belang im bau-leitplanerischen Abwägungsprozess.Dies würde noch keine normative Hal-tung begründen, sondern Zeit lediglichzum Gegenstand auch normativ zu be-gründender Abwägungen unterschied-licher öffentlicher und privater Belangemachen. Eine Kommune könnte so aucheine 24-Stunden-Zone mit vollständigliberalisierten Zeiten bestimmen, soferndies raumzeitlich zu begründen wäre.

Ein ganz anderer, nämlich eine nor-mative Haltung vorwegnehmender Wegwürde dagegen eingeschlagen, übertrü-ge man die aus der Umweltverträglich-keitsprüfung bekannten Vorschriften undProzeduren im Rahmen einer Zeitver-

träglichkeitsprüfung auf die Zeit, In die-ser restriktiveren Variante müsste zu-nächst eine eindeutige normative Grund-haltung entwickelt und in der Folge jedePlanung gegenüber dieser Vorgabe ge-rechtfertigt werden.

Konsequenzen auf regionaler undüberregionaler Ebene

Auf regionaler und überregionaler Ebeneginge es zunächst einmal darum, be-stehende Konzepte und Leitbilder aufihre zeitliche Komponente hin zu über-prüfen und diese zur Diskussion zu stel-len. In den von starken Bevölkerungs-rückgängen bedrohten peripheren Räu-men können die gravierendsten Zeit-folgen des Rückzugs der öffentlichenHand aus der Fläche zum Teil durch neueAngebotsformen vermieden werden, in-dem zum Beispiel einzelne Dienstleistun-gen arbeitsteilig, d.h. an verschiedenenTagen von und in verschiedenen Kom-munen angeboten werden. Dort, wo inZukunft nicht einmal mehr eine solcheRumpfversorgung aufrecht erhalten wer-den kann und Räume tatsächlich nichtnur einer Unterversorgung, sondern derLangsamkeit preisgegeben werden, solltedies auch so kommuniziert werden. Esist schließlich nicht abwegig, dass, soferndie Beschleunigung und temporäre Aus-dehnung in den Metropolen anhält,entvölkerte Regionen in der Peripherie alsRückzugsräume der Untätigkeit einesTages eine positive Konnotation erhaltenund keineswegs als aufgegeben, sondernvielmehr als (zeit-)privilegiert gelten.

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VON ZEITBRÜCKEN UND ZEITINSELN –FAMILIENFREUNDLICHES HANAU

Imke Meyer, Frauenbeauftragte der Stadt Hanau

Den Hanauer Zeitprojekten liegt eineStudie über Zeit zugrunde, die vom

Frauenbüro und dem Hanauer Frauen-plenum erstellt worden war. 1.300Frauen hatten sich an einer umfassendenBefragung über Zeitnöte und -wünschebeteiligt. Als Ergebnis dieser Studie wurdedeutlich, dass Menschen im Allgemeinenunter Stress leiden, insbesondere Frauen,die versuchen Familie und Beruf zu ver-einbaren, und dass dieser Stress auch her-vorgerufen wird durch nicht synchro-nisierte Zeiten im öffentlichen Raum.

Viele Eltern kennen das Problem: DieKindertagesstätte öffnet um 7.00 Uhr,die Arbeit beginnt um 7.30 Uhr aber derWeg dorthin beträgt 45 Minuten. NachBüroschluss ist die Sprechstunde der Kin-derärztin längst vorbei, und der Klemp-ner repariert den tropfenden Wasser-hahn nur zwischen 7.00 und 15.00 Uhr.Im Briefkasten finden Sie die Benach-richtigung vom Paketdienst, der sie lei-der nicht angetroffen hat. Das lang er-sehnte Paket können Sie wiederum nurwährend Ihrer Arbeitszeit oder erst amSamstag abholen.

Die Abfrage belegte: Zeitstress ent-steht meist, weil die Öffnungs-, Arbeits-und Geschäftszeiten sowie die Fahrt-zeiten im Öffentlichen Personennah-verkehr (ÖPNV) nicht aufeinanderabgestimmt sind.

Die Zeiten im öffentlichen Raum allerKommunen entsprechen einer (vergan-genen) Industriegesellschaft. Die gesell-schaftlichen Entwicklungen der letzten

Jahrzehnte wurden im Zeitensystem nichtnachvollzogen. Migration, Mobilität,Strukturveränderungen in der Wirtschaftvon der Industrie- zur Dienstleistungs-gesellschaft, eine flexibilisierte Arbeits-welt, die zunehmende Berufstätigkeit vonFrauen und veränderte Familienstruk-turen sind einige Stichworte, die den um-fassenden Wandlungsprozess der Gesell-schaft deutlich machen.

Enkel ohne Großeltern,Großeltern ohne Enkel

Die Stadt Hanau hat seit mehreren Jahr-zehnten wegen der Zuwanderung einekonstante Bevölkerungsgröße. Darausfolgt auch ein etwas jüngerer Alters-durchschnitt als in den meisten Städten,da die Zuwandernden ohne die altenEltern kommen. Weit über 50 Prozent derFamilien in Hanau haben keine Großelternin der näheren Umgebung. Dies wirktsich auf den Alltag bei der Inanspruch-nahme von Dienstleistungen ebenso auswie bei der Betreuung von Kindern. DennGroßeltern unterstützen die jungen Fa-milien, oftmals regelmäßig, vor allem aberin Notsituationen. Sie überbrücken Lü-cken in der Betreuung, wenn die Kin-der krank sind, zwischen Schließungder Tagesstätte und Ende der Arbeits-zeit etc. Allerdings sind auch Großmüt-ter im wachsenden Maße noch berufstä-tig und können oder wollen diese Unter-stützung nicht leisten.

Auf der anderen Seite ziehen „erwach-sene Kinder“ dem Arbeitsmarkt hinter-her. Als Folge hat eine steigende An-zahl alter Menschen keine Kinder und

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Enkelkinder in der Stadt. Für einige Sen-iorinnen bedeutet dies ein Mehr an Frei-heit, andere fühlen sich einsam und/oderhätten gern mehr Kontakt zur jüngerenGeneration. Dieser Kontakt ergibt sichnicht von allein, so dass Generationenim Alltag kaum miteinander kommuni-zieren. Der Wunsch der Kinder nachKontakt zu alten Menschen wie auch derWunsch von Seniorinnen und Senioren,eine sinnvolle Aufgabe im Alter zu haben,gebraucht zu werden und den Kontaktzu den nachfolgenden Generationennicht zu verlieren, stehen dabei gleich-berechtigt neben der Notwendigkeit,Zeitlücken zu überbrücken.

Ein weiteres Problem ist die Verein-barkeit von Beruf und Pflege. Auch be-rufstätige Frauen übernehmen in der Re-gel die Pflege von Angehörigen. Das mün-det in einer hohen Belastung. Auf derStrecke bleibt Zeit, die sie für sich selbstnutzen können. In Hanau sollen „Zeitbrü-cken“ und „Zeitinseln“ die Balance vonFamilie und Beruf oder Pflege erleichternund für mehr Lebensqualität sorgen.

Zeitbrücken erleichtern Vereinbar-keit von Beruf und Familien

Der Schwerpunkt der Zeitenprojekte liegtohne Frage bei der Bildung von Zeit-brücken. Das Frauenbüro wurde umeine halbe Stelle auf 2,5 Stellen erweitert,um ein Koordinationsbüro einzurichten.Die Mitarbeiterin im Koordinationsbürofindet Seniorinnen und Senioren fürKinder ohne Großeltern in der Stadt, fürregelmäßige Betreuung von Randzeitenund für Notsituationen. So kümmert sichein Senior regelmäßig am Samstag umDrillinge. Die alleinerziehende Mutter ist

türkischer Herkunft, ihre Eltern leben inder Türkei. Sie kann jetzt am SamstagHausarbeiten und Einkäufe erledigen,bei denen sie die Drillinge nicht mitneh-men kann. Für Alleinerziehende bietenZeitbrücken häufig die einzige Möglich-keit, Zeit für sich selbst zu haben. Aus demAlltagsstress aussteigen zu können undZeit für Muße zu haben, ist ein weiteresZiel der Zeitenprojekte in Hanau.

Die Wahlgroßeltern sind kein Ersatzfür professionelle Pädagogik. Die ehren-amtliche Betreuung darf höchstens 15Stunden in der Woche betragen und istein zusätzliches flexibles Angebot zu denKindertagestätten und Tagesmüttern.Wenn der Bedarf über 15 Stunden hin-ausgeht, wird eine professionelle Be-treuung organisiert

Bei der Suche nach Ehrenamtlichenarbeitet das Koordinationsbüro mit Be-trieben zusammen. Menschen, die ausdem Berufsleben ausscheiden und nacheiner sinnvollen Arbeit suchen, werdenfür das Projekt angesprochen.

Zeitinseln für pflegendeAngehörige

Für Menschen, die alte und kranke Ange-hörige pflegen, baut das Koordinations-büro „Zeitinseln“. Ehrenamtliche Helfe-rinnen und Helfer übernehmen für einpaar Stunden die Betreuung, damit denPflegenden ein wenig Zeit für sich selbst,für einen Friseurbesuch oder einen Ein-kaufsbummel bleibt. Das Koordinations-büro sucht, vermittelt und begleitet dieHelferinnen und Helfer. Wie auch die „Zeit-brücken-Bauerinnen“ sind sie rechtlichdurch eine Unfall- und Haftpflichtver-sicherung der Stadt Hanau abgesichert.

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Väter-Zeit für Kinder

Und schließlich: Ein Vater-Kind-Pro-gramm fördert Väter darin, Zeit mitihren Kindern zu verbringen. Angebotevon Stadtteilzentren, Museen, dem Um-weltzentrum oder der Stadtbibliothekwerden von Vätern und deren Kinderngenutzt, gemeinsam zu lernen und mit-einander Spaß zu haben. Väter könnensich untereinander austauschen. Gleich-zeitig bedeuten die Zeitprojekte für dieVäter Zeitinseln für die Mütter, die aufdiese Weise einen Nachmittag für sichhaben.

Service- und Öffnungszeiten

Im Rahmen des Projektes „Familienge-rechtes Hanau – eine Stadt baut Zeit-brücken zur Vereinbarkeit von Beruf undFamilie“ wurden außerdem Konzepte fürfamilienfreundliche Öffnungszeiten vonArztpraxen und familienfreundliche Ser-vicezeiten von Handwerksbetrieben ent-wickelt. Dem ging ein langer Diskussions-prozess voraus. Insbesondere Ärztinnenund Ärzte, die keinen ökonomischen An-reiz hatten, waren schwer zu bewegen,andere Öffnungszeiten anzubieten. Vieleargumentierten, dass sie ohnehin schonaußerhalb der Sprechzeiten Termine mitPatientinnen vereinbaren. Als Ergebniswurde verabredet, diese Möglichkeittransparent zu machen und so Men-schen, die weniger selbstbewusst ihrenBedarf anmelden, auch einen „passen-den Arzttermin“ einzuräumen. Die Adres-sen der Praxen und Betriebe, die sonn-abends oder abends geöffnet haben,werden im Internet und in Faltblätternveröffentlicht.

Vorbild Stadtverwaltung

Die Stadtverwaltung als öffentliche Dienst-leisterin geht bei den Servicezeiten mitgutem Beispiel voran: Termine könnenauch außerhalb der normalen Sprech-zeiten vereinbart werden. Der Stadtladenhat 46 Stunden geöffnet, inklusive Sams-tagvormittag. Hier können Dienstleistun-gen in Anspruch genommen werden,die keine Beratung voraussetzen. Gleich-zeitig wurde in der Verwaltung die Zeit-souveränität für Beschäftigte erhöht.Arbeitszeiten werden nach Bedarf aus-gehandelt, Teilzeit und alternierende Tele-arbeit auch in Führungspositionen ge-hören zur gelebten Kultur. Ein Bügel-service erleichtert Beschäftigten denAlltag, ebenso die Möglichkeit, Essen ausder Kantine für den Abend mitzunehmenoder Bücher online in der Stadtbibliothekzu bestellen. Hanau war bundesweit dieerste Kommune, die sich hat auditierenlassen, und hat inzwischen zum drittenMal das Zertifikat „Beruf und Familie“erlangt.

Der „Wegweiser für ein familien-freundliches Hanau“ hilft Eltern, ohneZeitverlust Geschäfte zu finden, die eineWickelmöglichkeit anbieten oder Spiel-ecken für Kinder eingerichtet haben.Es werden außerdem die Läden aufge-führt, die – erkennbar am Zeitlogo ander Ladentür – vor allem älteren Men-schen anbieten, zu verschnaufen, einGlas Wasser zu trinken oder die Toilettezu benutzen, ohne im Laden etwaskaufen zu müssen. Schließlich sind auchEltern-Kind-Parkplätze ausgewiesen, diebreiter sind als andere Parkplätze unddas Aus- und Einsteigen mit Babytascheerleichtern.

FLEXIBLE BESCHÄFTIGUNGSVERHÄLTNISSE UNDSTARRE TARIFVERTRÄGEWie passt das zusammen?7. OKTOBER 2009, FRANKFURT

Der Jahrzehnte lang anhaltende Trendzur Verkürzung der tariflichen Regelar-beitszeit scheint gestoppt. Arbeitszeitendifferenzieren sich immer stärker ausund Zeitkonten lösen zunehmend dasModell einer gleich verteilten Normal-arbeitszeit ab.

Auf dem Weg in die 24-Stunden-Gesellschaft gewinnen atypische Arbeits-zeiten zunehmend an Bedeutung. MitSchicht- und Wechselschichtarbeit wer-den Betriebszeiten ausgedehnt. Längstschon ist Nacht- und Wochenendarbeitnicht mehr auf Busse und Bahnen, dieFreizeitbranchen, Lebensnotwendigeswie medizinische Versorgung und Ener-gie oder technisch unabweisbare Aus-nahmen in der Produktion beschränkt.Mit dem Einkaufsbummel ohne Stressargumentieren jene, die die Ladenöff-nung komplett freigeben wollen. AuchStudierende fordern, dass Uni-Biblio-theken nachts öffnen, weil sie tags-über entweder im Seminar sitzen oderGeld verdienen müssen.

Persönliche und gesellschaftspolitischeZiele geraten gegenüber wirtschaftlichenErwägungen oftmals in den Hintergrund.Auch die Ausgangsvoraussetzungen fürTarifverträge verändern sich grundlegend.

Wie haben sich Beschäftigungsver-hältnisse und Arbeitszeiten in den ver-

gangenen Jahren entwickelt? Was be-deuten diese Entwicklungen für eine ander Normalarbeitszeit orientierte, aufRegulierung basierende gewerkschaftlicheArbeitszeitpolitik? Wie wirken sich dieseVeränderungen auf Tarifstrukturen undTarifverträge aus, wenn Nacht- undWochenendarbeit in vielen Bereichennicht mehr Ausnahme, sondern dieRegel ist?

Mit diesen Fragestellungen schließtsich der Themen-Kreis rund um die 24-Stunden-Gesellschaft. Denn Dreh- undAngelpunkt jeder Zeitpolitik ist die Ar-beitszeit, egal ob es um Vereinbarkeitvon Beruf und Familie geht, um Zeitenin der Stadt oder um den sozialenZusammenhalt.

Dr. Alexander Herzog-Stein vomWirtschafts- und Sozialforschungsins-titut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftungzeichnet die Entwicklungen der vergan-genen Jahre bei den Arbeitszeiten nachund beleuchtet die Rolle von Arbeits-zeitpolitik in der Krise.

Jörg Wiedemuth, der Leiter der tarif-politischen Grundsatzabteilung vonver.di, richtet den Blick auf die Arbeits-zeit als tarifpolitisches Handlungsfeldund benennt Eckpunkte gewerkschaft-licher Gestaltungsprinzipien für flexibleArbeitszeiten.

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ARBEITSZEITTRENDS UNDDIE ROLLE DER ARBEITSZEIT IN DER KRISE

Alexander Herzog-Stein und Hartmut Seifert, Wirtschafts- und Sozialforschungsinstitut der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf

� Einleitung

Die Entwicklungen im Bereich der Ar-beitszeit belegen anschaulich, dass inDeutschland Arbeitsmarktflexibilitätund tarifvertragliche Regulierung keineGegensätze darstellen. Auf der Basis tarif-vertraglicher Regelungen hat in den letz-ten Jahren eine weitgehende Flexibili-sierung der betrieblichen Arbeitszeitge-staltung stattgefunden. Variable Regel-arbeitszeiten, Arbeitszeitkonten und aty-pische Arbeitszeiten gewinnen an Be-deutung. So war es möglich, dass wäh-rend des letzten Aufschwungs die Ar-beitszeiten verlängert und nun mit demAusbruch der aktuellen Wirtschaftskrisewieder verkürzt werden konnten. Ohnedie verschiedenen Schritte, die Arbeits-zeit an die gesunkene Nachfrage nachGütern und Dienstleistungen anzupassen,wäre die Arbeitslosigkeit bis Mitte 2009dramatisch gestiegen.

Eine neue Debatte um Arbeitszeitver-kürzungen zeichnet sich ab. Bevor hierzueinige Anregungen vorgetragen werden,zeichnet der vorliegende Beitrag zunächstdas bisherige Entwicklungsmuster derArbeitszeit nach und beschreibt die ver-änderte Rolle der Arbeitszeit in der ak-tuellen Wirtschaftskrise im Vergleich zufrüheren Abschwungphasen.

� Entwicklungslinien der Arbeitszeit

Das Entwicklungsmuster der Arbeitszeitlassen sich durch deren drei Dimensio-nen Dauer, Lage und Verteilung bestim-

men. Diese ändern sich simultan und las-sen folgende Trends erkennen:

Trend zu längeren und kürzerenArbeitszeiten

Die Dauer der Arbeitszeit war vor Aus-bruch der aktuellen Wirtschaftskrise seiteinigen Jahren durch eine polarisierteEntwicklung gekennzeichnet. Ein Teil derBeschäftigten arbeitete länger, gleich-zeitig stieg der Anteil der Beschäftigtenmit nur kurzen Arbeitszeiten entwederauf Basis von Teilzeitarbeit oder von ge-ringfügiger Beschäftigung. Zwischen 2001und 2008 ist die tatsächlich durchschnitt-lich geleistete Wochenarbeitszeit der Voll-zeitbeschäftigten um eine halbe Stundevon 39,9 auf 40,4 Stunden gestiegenund liegt damit in etwa auf dem Durch-schnittswert aller europäischen Länder.Unter dem Druck der in den ersten Jah-ren dieses Jahrzehnts schwachen kon-junkturellen Entwicklung, des verschärf-ten Standortwettbewerbs und hoher Ar-beitslosigkeit mussten die Beschäftigtenin der Bauwirtschaft und in Teilen desöffentlichen Dienstes die Rückkehr zulängeren tariflichen Arbeitszeiten hin-nehmen. Zahlreiche betriebliche Verein-barungen verstärkten diese Entwicklung.Nach der WSI-Betriebsrätebefragungvom Herbst 2007, basierend auf 2.070Antworten, hatte gut jeder vierte (23 %)Betrieb mit Betriebsrat zumindest tem-porär die Regelarbeitszeit verlängert. Infast der Hälfte (47 %) der Fälle erhieltendie Beschäftigten keinerlei Lohnausgleich,in rund 37 Prozent einen vollen.

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Etwas abgeschwächt wurde der Trendzu längeren Arbeitszeiten bei den Voll-zeitbeschäftigten durch eine gegenläu-fige Bewegung. Ein Teil der Betriebe (8 %der Betriebe mit Betriebsrat) hatte dieArbeitszeit unter das tarifliche Niveauabgesenkt, um bei rückläufiger Nachfra-ge bedrohte Beschäftigungsverhältnissezu sichern und Arbeitslosigkeit abzu-wenden.

Die Arbeitszeitdauer streut stark zwi-schen den Beschäftigtengruppen. LangeArbeitszeiten leisten vor allem allein ste-hende, männliche Beschäftigte mit höhe-ren Qualifikationsabschlüssen und hohembetrieblichem Status (Groß et al. 2007).Vollzeitbeschäftigte Frauen arbeiten deut-lich kürzer als Männer, auch wenn sieansonsten gleiche Merkmale wie Alter,Qualifikation usw. aufweisen.

Gleichzeitig arbeiten immer mehr Be-

schäftigte Teilzeit oder gar nur auf derBasis geringfügiger Beschäftigung. DieTeilzeitquote ist im Trend über alle kon-junkturellen Zyklen hinweg mehr oderminder stetig gestiegen und lag 2008 bei33,8 Prozent (Schaubild 1). Bei Frauenist die Teilzeitquote deutlich höher. Fürsie wird diese Arbeitszeitform allmählichzur neuen Normalarbeitszeit. Gleichzeitighat, ausgelöst durch die Hartz-Reformen,die Zahl der ausschließlich geringfügigBeschäftigten zugenommen. Zwischenden Jahren 2003 und 2008 ist sie um12,6 Prozent auf 4.865 Millionen Per-sonen geklettert.

Bilanziert man die skizzierten gegen-läufigen Entwicklungen, dann ist nachBerechnungen des Instituts für Arbeits-markt- und Berufsforschung (IAB) zwi-schen 2003 und 2008 die tatsächlichedurchschnittliche individuelle Jahresar-

SCHAUBILD 1

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beitszeit (einschließlich der Arbeitszeit inNebenjobs) geringfügig um insgesamt0,5 Prozent gesunken. Der starke Zuwachsder Teilzeit- und der geringfügigen Be-schäftigung hat die Effekte der Arbeits-zeitverlängerungen leicht überkompen-sieren können. Da gleichzeitig die Zahlder Beschäftigten zugenommen hat, istauch das gesamtwirtschaftliche Arbeits-volumen der Arbeitnehmer um insgesamt2,6 Prozent gestiegen. Getragen war dieseEntwicklung vom Konjunkturaufschwungder Jahre 2005 bis Anfang 2008.

Zunahmeatypischer Arbeitszeitlagen

Simultan zur Dauer ändert sich die Lageder Arbeitszeit. Der langjährige Trend zuatypischen Arbeitszeiten während derNacht und am Wochenende hält an(Schaubild 2). Im Jahr 2007 arbeitetendeutlich über die Hälfte der Beschäftig-

ten am Wochenende, in der Nacht oderin Schichtsystemen, also nicht nach demMuster der Normalarbeitszeit. Der Trendzur Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft hältan. Für 46 Prozent der Beschäftigtenist inzwischen der Samstag zumindesthin und wieder ein Arbeitstag und wirdallmählich zu einem Normalarbeitstag.Die Rückkehr der Samstagsarbeit unter-scheidet sich allerdings von dem bis indie 1960er Jahre üblichen Muster inso-fern, als damals üblicherweise an sechsund nicht wie heute an höchstens fünfTagen in der Woche gearbeitet wurde.Gleichwohl verliert das lange Wochen-ende als gesellschaftliche Zeitinstitutionan Bedeutung, zumal sich im Kielwasserder Samstags- auch die Sonntagsarbeitausbreitet. Unverändert bleibt zwar dieZahl der freien Tage, sie fallen aber immerseltener auf identische Zeitpunkte bei denBeschäftigten. Ein langes Wochenendesteht immer weniger Personen für ge-

SCHAUBILD 2

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meinsame familiale und soziale Aktivi-täten zur Verfügung; es wird abgelöstdurch ein desynchronisiertes Musteran freien Tagen. Die Koordinationsan-forderungen an gemeinsame Familien-und Sozialzeiten wachsen.

Männer leisten häufiger Schicht- undNachtarbeit als Frauen. Die Anteilswertefür Nacht- und Schichtarbeit liegen fürMänner bei 20,6 und 18,4 Prozent undfür Frauen bei 9,4 und 13,5 Prozent.Wenn die Nachtarbeitsquote von Män-nern doppelt so hoch ist wie die fürFrauen, dann dürfte dies neben den vor-rangig bei Frauen angesiedelten fami-lialen Betreuungsaufgaben auch nochmit den Nachwirkungen des lange Zeitgeltenden Nachtarbeitsverbots von Ar-beiterinnen zu tun haben. Da zukünftigvon einer anhaltenden Expansion destertiären Sektors auszugehen ist, ist auch

mit einer weiteren Zunahme atypischerArbeitszeiten zu rechnen. Die Alterungder Bevölkerung lässt eine wachsendeNachfrage nach vermutlich vorrangigweiblichen Arbeitskräften im Gesund-heits- und Pflegebereich erwarten.

Variabilisierung der Arbeitszeit

Bei der Verteilung der Arbeitszeit hat einModellwechsel stattgefunden. Arbeits-zeitkonten erlauben, die tariflich, betrieb-lich oder individualvertraglich vereinbarteArbeitszeit variabel zu verteilen. Diesesneue Prinzip flexibler Zeitgestaltung löstdas bisherige Modell der mehr oder min-der starren Normalarbeitszeit ab. Die Re-gelarbeitszeit stellt nunmehr lediglich eineDurchschnittsgröße dar, die in einem be-stimmten Zeitraum zu erreichen ist undvon der phasenweise nach oben und nach

SCHAUBILD 3

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unten, meist im Rahmen vereinbarterBandbreiten, abgewichen werden kann(Seifert 2008).

Die Schätzungen über die Verbreitungvon Arbeitszeitkonten variieren je nach-dem, welche Definition zugrunde ge-legt wird. Eine aktuelle Untersuchung(Groß/Schwarz 2008) beziffert die Ver-breitung von Zeitkonten unter allen Be-schäftigten auf 47 Prozent im Jahr 2007.Im verarbeitenden Gewerbe hatten fast54 Prozent der Beschäftigten Arbeits-zeitkonten; im Dienstleistungsbereichsind Zeitkonten etwas weniger häufigverbreitet. In großen Betrieben habenBeschäftigte häufiger Arbeitszeitkon-ten (Schaubild 3).

Bislang dominieren Kurzzeitkonten.Nur etwa sechs Prozent der Beschäftig-ten nutzen auch ein Langzeitkonto (Groß/Schwarz 2008).

Ökonomisierung der Arbeitszeitim Konflikt mit gesellschaftspoliti-schen Zielen

Die skizzierten Entwicklungslinien derArbeitszeit spiegeln den verstärkten Trend,die Arbeitszeitgestaltung ökonomischenKosten-Nutzen-Kalkülen zu unterwerfen.Diese verstärkte Ökonomisierung der Ar-beitszeit ist nicht zu trennen von demRollenwechsel bei der Arbeitszeitgestal-tung. Treibende Kraft für die Neugestal-tung der Arbeitszeit sind vornehmlichdie Unternehmen und Arbeitgeberver-bände. Die Gewerkschaften sind eherin der Defensive und versuchen, den Sta-tus quo zu verteidigen (Seifert 2005).

Flexible Arbeitszeiten sowohl in Formvon Arbeitszeitkonten als auch vermehrterNacht- und Wochenendarbeit bieten in

mehrfacher Hinsicht Kosten- und Produk-tivitätsvorteile. Betrieben winken ansehn-liche Kostenvorteile, wenn sie mit Hilfevon Zeitkonten die Arbeitszeit variabel jenach Marktlage an eine volatile Nach-frage anpassen können. Sie sparen Zu-schläge für Überstunden, können ‚justin time’ produzieren oder Dienstleis-tungen erbringen. Kosten für Entlassun-gen und spätere Wiedereinstellungenentfallen, wenn sie stattdessen die Ar-beitszeit variieren. Zudem lassen sich mitHilfe einer durch Zeitkonten gesteuer-ten Arbeitszeitverteilung die Reaktions-zeiten verkürzen. Diesen Kostenvorteilenstehen zusätzliche Kosten für die Einfüh-rung und Organisierung von Arbeitszeit-konten gegenüber.

Kosten senkend wirken auch vermehr-te Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit.Die Betriebe gewinnen (im Produktions-bereich) Spielraum, die Maschinenlauf-zeiten zu verlängern, ohne zusätzlicheInvestitionen die Kapazitäten auszuweitenund die Kapitalstückkosten zu senken.Dem stehen höhere Arbeitskosten auf-grund der Zuschläge für diese atypischenArbeitszeiten gegenüber. Die Dienstleis-tungsgesellschaft verlangt nach Rund-um-die-Uhr-Versorgung im Bereich der Ge-sundheits- und Pflegeaktivitäten, derSicherheitsdienste, des Verkehrs, der Nach-richtenübermittlung usw. Durch die Aus-dehnung der Servicezeiten winken Wachs-tumspotenziale. Sieht man einmal vonSkalenerträgen ab, sind aber keine demProduktionsbereich vergleichbaren Kos-ten senkende Effekte zu erwarten.

Diesen betrieblichen Kostenvorteilenstehen aber erheblich Probleme und un-gelöste Konflikte gegenüber. Die be-schriebenen Entwicklungen der Arbeits-

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zeit sind weder als familien- noch alterns-gerecht einzustufen. Arbeitszeitverlän-gerungen und der gleichzeitige Zuwachsatypischer Arbeitszeiten vor allem wäh-rend der Nacht und/oder im Wechsel-schichtrhythmus erhöhen gesundheits-gefährdende Belastungen und laufendem Ziel alternsgerechter Arbeitszeitge-staltung zuwider. Ebenso kollidieren diebeschriebenen Arbeitszeittrends zu län-geren Arbeitszeiten und zu vermehrtenatypischen Arbeitszeiten mit den Zieleneiner verbesserten Vereinbarkeit von Berufund Familie und größerer beruflicherChancengleichheit von Frauen. Die Ver-einbarkeitsprobleme kumulieren, wennsich die Trends zu atypischen und zu ver-längerten Arbeitszeiten überlagern. Beigegebener geschlechtsspezifischer Ver-teilung der Erziehungs- und Betreuungs-arbeiten bleibt Frauen, die Betreuungs-

leistungen nicht am Markt einkaufenkönnen, dann häufig nur die Alternativeder Teilzeitarbeit. Solange diese Beschäfti-gungsform im Vergleich zu Vollzeitarbeitdurch geringere Einkommen und Karriere-chancen sowie einen schlechteren Zu-gang zu betrieblicher Weiterbildung ge-kennzeichnet ist (Brehmer/Seifert 2008),bleibt sie eine zweitbeste Lösung.

� Arbeitszeit und Wirtschaftskrise

Um die beschäftigungsstabilisierende Be-deutung der Arbeitszeit in der aktuellenKrise zu verdeutlichen, soll nachfolgenddie aktuelle Entwicklung am Arbeitsmarktin den Kontext mit früheren konjunktu-rellen Abschwungphasen seit 1970 ge-stellt werden. Dabei wird der These nach-gegangen, dass in der aktuellen Krise Ar-

SCHAUBILD 4

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beitszeitverkürzungen die bedeutsamstebeschäftigungspolitische Maßnahme dar-stellen. Bei ähnlicher Vorgehensweisewie der des Sachverständigenrats (SRW2007 und SRW 2008) lassen sich fünfWirtschaftsabschwünge identifizieren:Abschwung I (2. Quartal 1973 bis 2.Quartal 1975), Abschwung II (4. Quartal1979 bis 4. Quartal 1982), Abschwung III(1. Quartal 1991 bis 3. Quartal 1993),Abschwung IV (1. Quartal 2001 bis 2.Quartal 2005) und die aktuelle Ab-schwungphase, Abschwung V (2. Quar-tal 2008 bis heute) (Details: Herzog-Stein 2009).

Massiver Einbruch des Bruttoinlandsprodukts

Die früheren Abschwungphasen – Ab-schwung I bis Abschwung IV – unter-scheiden sich deutlich sowohl hin-sichtlich ihrer Länge als auch im Hin-blick auf die Entwicklung des Bruttoin-landsprodukts. Der Abschwung I warmit einer Dauer von insgesamt achtQuartalen der kürzeste und mit einemRückgang des Bruttoinlandsproduktsvon insgesamt einem Prozent bis zuBeginn des aktuellen Abschwungsauch der schwerste wirtschaftliche Ein-bruch (Schaubild 4).

Der Abschwung IV dauerte mit 17Quartalen am längsten und wies miteinem Anstieg des Bruttoinlandsproduktsvon 1,3 Prozent insgesamt noch denhöchsten Zuwachs auf. Die Abschwün-ge II und III nehmen mit einer Dauer vonzwölf beziehungsweise zehn Quartalenund einem Rückgang des Bruttoinlands-produkts um insgesamt -0,2 Prozentbeziehungsweise einem Anstieg von

insgesamt einem Prozent eine Mittel-position ein.

In den ersten fünf Quartalen deraktuellen Abschwungphase nahm dasBruttoinlandsprodukt insgesamt um 6,4Prozent ab. Im Vergleich zu den ver-gangenen Abschwungphasen ist diesder mit Abstand schwerste Wirtschafts-einbruch.

Deutlicher Rückgang des Arbeitsvolumens

Das Arbeitsvolumen der Erwerbstätigenging in jeder der betrachteten Ab-schwungphasen deutlich zurück. DerRückgang fiel jedoch unterschiedlichstark aus. Am stärksten war er im Ab-schwung I mit 7,6 Prozent und amschwächsten im Abschwung IV mit3,5 Prozent. In den Abschwüngen IIund III schrumpfte das Arbeitsvolumeninsgesamt jeweils um vier beziehungs-weise 4,1 Prozent.

In der aktuellen Wirtschaftskrise istdas Arbeitsvolumen der Erwerbstätigennach fünf Quartalen insgesamt um 3,5Prozent zurückgegangen. Das ist imVergleich zu den anderen Abschwung-phasen der stärkste Rückgang des Ar-beitsvolumens nach fünf Quartalen. In-nerhalb dieses Zeitraumes war das Ar-beitsvolumen im Abschwung I um 3,3Prozent, in den Abschwüngen II, III undIV um 0,9 Prozent, 1,2 Prozent bezie-hungsweise 1,3 Prozent geschrumpft.Gleichwohl fällt auf, dass in Relationzum Einbruch des Bruttoinlandsproduktsder bislang aktuell beobachtete Rück-gang des Arbeitsvolumens schwächerausfällt als in den vier früheren Ab-schwungphasen.

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Moderater Anstieg der Arbeitslosigkeit

Die Zahl der registrierten Arbeitslosen istin allen früheren Abschwüngen deutlichangestiegen. Im Abschwung II schnelltedie Zahl der Arbeitslosen um mehr als1,26 Millionen Personen in die Höhe,in den Abschwüngen III und IV jeweilsum mehr als 1,1 Millionen Personen undin Abschwung I um etwa 860.000 Per-sonen.

In den vier vorhergehenden Ab-schwungphasen hatte die Arbeitslosen-zahl nach fünf Quartalen bereits deutlichstärker zugelegt als in der aktuellenSituation, in der sie um 5,8 Prozent oder220.000 Personen anstieg. Der Verlaufder Arbeitslosigkeit fällt bisher viel ver-haltener aus, als aufgrund der Schwereder Krise und der Erfahrungen aus den

früheren Abschwungphasen zu erwartenwar. Relativierend ist anzumerken, dasssich aktuell das Arbeitskräfteangebotgünstiger entwickelt als in früheren Ab-schwungphasen. In den früheren Ab-schwüngen nahm das Arbeitskräftean-gebot zu und belastete kurzfristig denArbeitsmarkt, während es gegenwärtigabnimmt und den Arbeitsmarkt entlastet.

Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitverkürzung

In der aktuellen Wirtschaftskrise domi-nieren bislang Maßnahmen der internenFlexibilität (Keller/Seifert 2007). Die vomNachfrageeinbruch betroffenen Betrie-be passen den Arbeitseinsatz vor allemüber eine Variation der geleisteten Ar-beitsstunden und weniger über den ex-ternen Arbeitsmarkt durch Personalab-

SCHAUBILD 5

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bau an. Es spricht einiges für die These,dass Arbeitszeitverkürzungen bislang inder Krise die bedeutsamste beschäfti-gungspolitische Maßnahme darstellten(Seifert 2009). Welchen Effekt die Maß-nahmen der internen Flexibilität auslösen,lässt sich unmittelbar an der Zahl der ge-leisteten Arbeitsstunden je Erwerbstäti-gen ablesen (Schaubild 5).

Sie ist in jeder der vorhergehendenAbschwungphasen deutlich zurückge-gangen, mit Ausnahme des AbschwungIII mit einem nur sachten Rückgang vonlediglich 0,2 Prozent. Am stärksten sacktedie Zahl der Arbeitsstunden je Erwerbs-tätigen im ersten Abschwung ab (-4,4 %).Im Abschwung II waren es 3,8 Prozentund im Abschwung IV 2,2 Prozent. In denersten fünf Quartalen des aktuellen Ab-schwungs schrumpften die geleistetenArbeitsstunden je Erwerbstätigen deut-lich um 3,7 Prozent, während es im glei-chen Zeitraum in den Abschwüngen Iund II jeweils nur 2,1 Prozent waren.

In der aktuellen Krise nutzen die Be-triebe die vorhandenen Spielräume beider betrieblichen Arbeitszeitgestaltungin vielfältiger Weise und erweitern dasAnpassungspotential, indem sie verschie-dene Instrumente kombinieren. Hierzuzählt das Kurzarbeitergeld, das die Bun-desregierung früh als wirkungsvolles Mit-tel gegen die Auswirkungen der Kriseeinsetzte und von den Betrieben ingroßem Umfang angenommen wurde.Die Zahl der Empfänger von Kurzarbeiter-geld schnellte rasch in die Höhe, Mitte2009 waren rund 1,5 Millionen Kurzar-beiter registriert. Zudem nutzen die Unter-nehmen weitere Instrumente der inter-nen Flexibilität: Die Palette reicht vomAbbau von Überstunden über die Auf-

lösung von Guthaben auf Arbeitszeit-konten sowie – wo notwendig – sogardie Bildung von Zeitschulden auf denArbeitszeitkonten, die Rücknahme ver-gangener Arbeitszeitverlängerungenund schließlich Verkürzungen der tarifli-chen Arbeitszeit. In zahlreichen Wirt-schaftsbereichen bieten die tarifvertrag-lichen Regelungen erheblichen Spiel-raum, die Standardarbeitszeit innerhalbdefinierter Grenzen abzusenken und be-schäftigungsstabilisierend an veränderteWirtschaftslagen anzupassen (Bispinck/WSI-Tarifarchiv 2009).

Von besonderer Bedeutung für die Be-schäftigungssicherung ist aktuell auchdie Entwicklung der Arbeitsproduktivitätje Erwerbstätigenstunde. Welche Rollediese spielt und wie sie zu bewerten ist,wird gesondert betrachtet (Herzog-Stein/Seifert 2009).

� Fazit und Ausblick

Kein Zweifel besteht daran, dass Arbeits-zeitverkürzungen aktuell einen drasti-schen Anstieg der Arbeitslosigkeit ver-hindert haben. Ihre beschäftigungssichern-de Funktion wird bei gegebenen recht-lichen Rahmenbedingungen allerdingserlahmen. Der Bezug von Kurzarbeiter-geld ist befristet, Arbeitszeitkonten sindvermutlich weitgehend aufgebraucht,die Spielräume für tarifliche Arbeitszeit-verkürzungen zu einem Gutteil ausge-nutzt. Unklar ist auch, bis zu welcher Kre-ditlinie Betriebe bereit sind, Zeitschuldenauf den Zeitkonten zuzulassen. Was aberkommt, wenn diese Instrumente stumpfwerden und der konjunkturelle Auf-schwung nicht ausreicht, die vorhande-nen Arbeitskräfte zu beschäftigen? Es

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könnte die Stunde weiterer Arbeitszeit-verkürzungen werden. Hierfür spricht nichtnur die angespannte Beschäftigungslage.Selbst bei optimistischen Annahmen überdie weitere wirtschaftliche Entwicklungwerden zwei bis drei Jahre vergehen, bisdas Produktionsniveau von 2008 erreichtsein wird. Da technologische und orga-nisatorische Rationalisierungen in dieserZeit für weitere Produktivitätssteigerun-gen sorgen werden, wird das gegenwär-tige Beschäftigungsniveau ohne eine an-haltende Absenkung der Arbeitszeit nichtzu halten sein.

Für eine Renaissance der Arbeitszeit-verkürzungen sprechen aber weitere Argu-mente. Sollen zukünftig die Beschäftig-ten länger als bisher bei einer heraufge-setzten Ruhestandsgrenze im Erwerbs-leben verbleiben, führt kein Weg an einerMinderung von Arbeitsbelastungen gera-de bei denjenigen, die Nacht- und Schicht-arbeit leisten, vorbei. Kürzere Arbeits-zeiten sind das wirkungsvollste Mittel,will man nicht auf Produktionen und

Dienstleistungen rund um die Uhr ver-zichten. Kürzere Arbeitszeiten sind aucherforderlich, um die Chancen zu verbes-sern, Arbeitszeit und außerbetrieblichevor allem familial bedingte Zeitanforde-rungen besser ausbalancieren zu können.In einem engen Zusammenhang hiermitsteht auch das Ziel der Geschlechterge-rechtigkeit. Kürzere Vollzeitarbeit fürMänner und Frauen könnte eine Alter-native zu überlangen Arbeitszeiten vielerMänner und Teilzeitarbeit von Frauensein und helfen, die Karrierechancen vonLetzteren zu verbessern. Schließlich wirdeine Arbeitsgesellschaft auf dem Weg indie Wissensgesellschaft nicht umhin kom-men, mehr Zeit für das immer wiedergeforderte lebenslange Lernen aufzu-bringen. Diese vielfältigen Anforderun-gen verlangen nach differenzierten Lö-sungen bei der Arbeitszeitgestaltung.Ein bloßes Einschwenken nach der Kriseauf die alten Arbeitszeittrends wäre einevertane gesellschafts- und wirtschafts-politische Großchance.

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LITERATUR

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FLEXIBLE BESCHÄFTIGUNGSVERHÄLTNISSE UND STARRETARIFVERTRÄGE – WIE PASST DAS ZUSAMMEN?Jörg Wiedemuth, Bereichsleiter Tarifpolitische Grundsatzabteilung, ver.di Bundesverwaltung Berlin

Die vordergründige Antwort auf dasGegensatzpaar „Flexible Beschäfti-

gungsverhältnisse und starre Tarifverträ-ge“ lautet: Tarifverträge sind viel flexiblerals in der Öffentlichkeit angenommenwird! Diese Antwort ist aber sicherlichnicht befriedigend. Denn sie löst keinesder dahinter steckenden Probleme.

Die fortschreitende Verbreitung flexi-bler Arbeitszeiten und flexibler Beschäf-tigungsverhältnisse fördern nämlich zu-mindest zu Tage, dass es den Gewerk-schaften nicht gelungen ist, durch eineRegulierung per Tarifvertrag, diese Ent-wicklung zu verhindern. Wir haben esalso zumindest mit einem deutlichen Re-gulierungsdefizit zu tun. Deshalb lohntes sich in der Tat, etwas genauer in dieseDiskussion einzusteigen.

Die Unterstellung, dass die Tarifver-träge starr seien, ist Teil der ideologi-schen Auseinandersetzung und versuchtdie Gewerkschaften als Tarifvertrags-parteien und die Tarifverträge als un-modern, unflexibel und starrköpfig zudenunzieren, worüber man sich treff-lich streiten kann.

Bei der Auseinandersetzung um dieArbeitszeit in all ihren Dimensionen gehtes um die Frage: Wem gehört die Zeit?Die politische Dimension dieser Frage gehtweit über die Lohnfrage hinaus, weil siezentrale Aspekte der gesellschaftlichenMachtverteilung zwischen Arbeit undKapital in den Blick nimmt. Historisch istdamit nicht mehr und nicht weniger alsdie gesellschaftliche Emanzipation derlebendigen Arbeit gemeint.

Deshalb lohnt es sich, etwas genauerzu fragen: Worum geht es bei der Flexi-

bilisierung der Arbeitszeiten und worinbestehen die Regelungsphilosophie unddie Gestaltungsansätze der Gewerk-schaften, hier von ver.di?

Die Arbeitszeiten sind (laut Mikro-zensus) in den letzten Jahren für dieArbeitnehmerInnen, die eine Vollzeit-beschäftigung haben, länger gewor-den:2008 40,4 Stunden2004 39,8 Stunden2000 40,1 StundenDie durchschnittliche Arbeitszeit allerBeschäftigten ist in den letzten Jahreneher gesunken, von 2001 bis 2006 umeine Stunde. Das ist darin begründet,dass der Anteil der Teilzeitbeschäf-tigten an der Gesamtbeschäftigten-zahl deutlich gestiegen ist. Die Arbeits-zeiten von Teilzeitbeschäftigten sinddurch das Vordringen so genannterEin-Euro-Jobs und geringfügiger Be-schäftigung gesunken.Es gibt zudem eine deutliche Ungleich-gewichtigkeit der Arbeitszeitentwick-lung nach Geschlecht.Gleichzeitig ist die Arbeitszeit flexi-bilisiert worden. Spätarbeit durch dieEntgrenzung der täglichen Arbeits-zeit, Samstags- und Sonntagsarbeitsowie Schicht- und Nachtarbeit habenzugenommen.Die Arbeitszeiten wurden entgrenzt,d.h. früher vorhandene Begrenzungenauf die Fünf-Tage-Woche von Mon-tag bis Freitag und ein relativ ein-heitliches Arbeitszeitende ab 17 oder18 Uhr gehört nicht mehr zum Nor-malzustand, sondern wird immer mehrzur Ausnahme.

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Die Arbeitszeit selbst als Maßstab fürdie Regelung des Arbeitsverhältnisseswird immer mehr in Frage gestellt.Dies hat Auswirkungen bis auf dieBezahlung. Was zählt, ist nicht mehrdie Anzahl der Stunden, in denen derArbeiter und Angestellte dem Unter-nehmen seine Arbeitskraft zur Ver-fügung stellt, sondern der Erfolg bzw.die verkaufbare Leistung am Markt,die der Arbeitnehmer dem Unter-nehmen erbringt – fast egal in welcherund zu welcher Zeit.Dies führt auf der einen Seite zu einermassiven Regelungsunsicherheit, er-öffnet auf der anderen Seite aller-dings auch Chancen auf eine selbst-bestimmtere Arbeits- und Arbeits-zeitgestaltung, allerdings in Grenzen.

Welche Folgen für die Tarifpolitik hatzunehmende Arbeitszeit-Flexibilisierung?

� Teil des Roll-back der gewerkschaft-lichen Erfolge bei der Arbeitszeitver-kürzung der 80er und zum Teil derersten Hälfte der 90er Jahre ist, dassdie Länge der Arbeitszeit für Vollzeit-beschäftigte in den letzten Jahren zu-genommen hat. Der Tausch aus derÄra der Arbeitszeitverkürzung – Ver-kürzung der Arbeitszeit gegen Flexi-bilisierung der betrieblichen Arbeits-zeitsysteme durch Beibehaltung bzw.sogar Ausdehnung der Betriebsnut-zungs- und Dienstleistungszeiten –ist aufgekündigt.

� Die Ausdehnung flexibler Arbeitszei-ten geht vielmehr einher mit einer

Verlängerung nicht nur der individu-ellen Arbeitszeiten der Beschäftigten,also der tatsächlich geleisteten Arbeits-zeiten, sondern auch mit der Verlänge-rung der tariflichen Arbeitszeiten.

� Dies hat kurioserweise durchaus nega-tive Auswirkungen auf die Entwick-lung der Arbeitsproduktivität. Dennin der Verkürzung der täglichen undwöchentlichen Arbeitszeiten liegenProduktivitätspotentiale, deren He-bung in der Vergangenheit dazu ge-führt hat, dass in kürzerer Zeit bessereund kostengünstigere Produkte her-gestellt werden konnten. Aus diesenProduktivitätsgewinnen konnten inder Folge auch die Verkürzung derArbeitszeit und Entgeltsteigerungenbezahlt werden. Das ist übrigens eineder wichtigsten Triebfedern der Ent-wicklung moderner Industrie- undDienstleistungsgesellschaften. Es istalso alles andere als unmodern, son-dern ein Treiber der Moderne, wennman so will.

� Heute versuchen Unternehmen Kos-tenvorteile durch die unbezahlte Ver-längerung der Arbeitszeit, durch dieAbwälzung des unmittelbaren Markt-drucks auf die Beschäftigten und durchdie Verlagerung des Anreizsystems indie ArbeitnehmerInnen selbst zu ge-nerieren. Darin drückt sich unterneh-merisches Denken im Sinne kurzfris-tigen Renditedenkens aus. Am liebstendrehen sie an beiden Enden derSchraube, Verlängerung der Dauer derArbeitszeit und Erhöhung der Flexi-

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bilität. HeimwerkerInnen wissen je-doch, dass es da eine Stelle gibt, dieman nicht überdrehen darf, weil danndie Effekte kontraproduktiv wer-den: Die Schraube geht kaputt.

� Die Normalarbeitszeit wird immermehr zur Ausnahme. Daraus folgt fürdie Arbeitgeber folgende Argumen-tation: Früher gab es eine Legitima-tion von Zuschlägen für Arbeitszeitenaußerhalb der Normalarbeitszeit:

Mehrarbeitszuschläge für die Über-schreitung der tarifliche vereinbar-ten Arbeitszeitdauer;Zuschläge für Arbeitsleistung außer-halb eines bestimmten täglichenoder wöchentlichen Arbeitszeit-korridors, z. B. für Arbeit nach 18Uhr, für Arbeit am Samstag, fürArbeit an Sonn- und Feiertagen,für Schichtarbeit und für Nacht-arbeit auch unabhängig von derÜberschreitung der festgelegtenDauer der Arbeitszeit, also bezo-gen auf die Arbeitszeitlage.Wenn Arbeit zu diesen Zeiten aberimmer mehr zur Normalität wird,welche Legitimation gibt es dannnoch für Zuschläge? Aus diesenÜberlegungen wurden sehr schnellForderungen, diese Zuschläge zureduzieren bzw. sie gänzlich abzu-schaffen. Auf der staatlichen Ebenekorrespondierte diese Sichtweisemit der Abschaffung der Steuer-freiheit von Zuschlägen für ungüns-tige Arbeitszeiten, versteckt unterdem irreführenden StichwortAbschaffung von so genanntenSteuervergünstigungen.Die Forderungen der Arbeitgeber-

seite aus den letzten Jahren dazu(Handel und Druckindustrie alsBeispiel):• Streichung bzw. Reduzierung

der Mehrarbeitszuschläge;• Reduzierung der Zuschläge für

Samstags- und Sonntagsarbeit(Samstagszuschläge völlig strei-chen);

• Zuschläge für Spätarbeit strei-chen bzw. reduzieren;

• Schichtarbeitszuschläge streichenbzw. reduzieren.

Dies hätte weitgehende Auswirkungenauf die Arbeitszeitregelungen, aber auchauf die Gesundheit der Beschäftigten,auf ihre mittelfristige Beschäftigungs-fähigkeit, auf ihr Renteneintrittsalter, umnur einiges zu nennen. Uns geht es alsonicht um die abstrakte Verteidigung vonBesitzständen, obwohl dies allein auchein ehrenwertes Motiv wäre. Uns geht esum folgende Zusammenhänge:

� Flexible Arbeitszeitlagen erhöhen inunterschiedlicher Weise und in unter-schiedlichem Umfang die Anforde-rungen an die Beschäftigten, führenzu zusätzlichen Belastungen und zuzusätzlichen gesundheitlichen Gefähr-dungen.

� Die Ausdehnung der Arbeitszeiten inden Abend, Samstags- und Sonntags-arbeit führen nicht nur zu zusätzlichenBelastungen und gesundheitlichenBeeinträchtigungen. Sie beschneidenauch die notwendigen Regenerations-zeiten, die zum Ausgleich von Belas-tungen notwendig sind (doppelteNegativwirkung).

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� Flexible Arbeitszeiten beschneidendie gemeinsame Freizeit in Familieund Gesellschaft, die zur Organisa-tion des gesellschaftlichen Zusam-menlebens notwendig ist. Ohne ge-meinsame kollektive Freizeit kein ge-meinsames Familienleben. Ausschlussvon Kultur, Sport, politischem undreligiösem Leben etc.

� Flexible Arbeitszeiten führen aber auchzum Ausschluss von Frauen, auf derenSchultern die Organisation des Fami-lienlebens, die Erziehung von Kindernund die Hausarbeit immer noch über-wiegend liegt, von innerbetrieblichenKarrieremöglichkeiten. Dies gilt geradefür die Arbeitszeitmodelle, die angeb-lich größere Selbststeuerungsmöglich-keiten für die Beschäftigten verspre-chen. Diese basieren in der Regeldarauf, dass die „Nichtarbeitszeit“ derArbeitszeit angepasst wird. „Nichtar-beitszeit“ wird dann eher als Rest-menge verstanden, die noch für dasLeben zur Verfügung steht. Wenn dieAnforderungen aus der Familien- undErziehungsarbeit aber Konstanz, Pla-nung und auch eine gewisse Routineverlangt, kommt ein derartiger Job fürFrauen mit Erziehungs- und Familien-aufgaben nicht in Frage. Es sei denn,sie entscheiden sich gegen Familieund Kinder. Arbeitszeitmodelle, dieanders herum konstruiert sind, habenabsoluten Seltenheitswert.

� Die Organisation von Familie und Berufist im Normalfall bereits eine zusätz-liche Anforderung, unter dem Regimeflexibler Arbeitszeiten führt sie zu zu-sätzlichem Stress.

� Überlange Arbeitszeiten und be-schränkte Regenerationszeiten führenzu einer Belastungskumulation, zuzusätzlichen gesundheitlichen Beein-trächtigungen und zu einer Erhöhungdes Entlastungsbedarfs. Geringe eigen-ständige Gestaltungs- und Steuerungs-möglichkeiten erhöhen den Problem-druck. Hohe körperliche bzw. psychi-sche Belastungen und erhöhte Belas-tungen aus flexiblen und ungünstigenArbeitszeiten und Arbeitszeiten mitgeringen realen Steuerungsmöglich-keiten gehen oftmals Hand in Hand.

� Flexible Arbeitszeiten sind in der Regelkinder- und familienunfreundlich undführen zur Verfestigung von Ge-schlechterdiskriminierung im Betrieb.

Die Erträge flexibler Arbeitszeiten eignensich die Arbeitgeber an, die negativenFolgen werden individualisiert, die Kostenwerden den unterschiedlichen Solidar-gemeinschaften überantwortet.

Gewerkschaftliche Gestaltungsprinzipien

Arbeitszeitdauer, Lage und Verteilungdürfen nicht zu gesundheitlichenSchädigungen führen. Der Ausgleichvon arbeitszeitbedingten Belastungenist in Form von Arbeitszeit-Entlastun-gen vorzunehmen.

Zuschläge für prekäre Arbeitszeitenin Zeit sind ein notwendiges Instru-ment, die Arbeitszeitbelastungen durchdie Generierung von Zeitkontingen-ten in Freizeit (Freizeit ist hier Rege-nerationszeit) auszugleichen.Da die vertraglich geschuldete Ar-

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beitszeit ja auch bei prekären Arbeits-zeiten konstant bleibt, kann nur übera) Zeitzuschläge die geschuldete Ar-

beitszeitdauer ohne Einkommens-verluste reduziert werden.

b) Alternative wären kürzere Arbeits-zeiten für Schichtarbeiter, kürzereArbeitszeiten für Menschen, dieregelmäßig samstags und sonn-tags oder spät abends arbeiten,die Schichtarbeit leisten und dienachts arbeiten.

c) Dies muss verbunden werden miteiner präventiven Gesundheitsvor-sorge, einer humanen Schichtplan-gestaltung und dem Recht aufWechsel aus der Schichtarbeit aufeinen Arbeitsplatz mit Normalar-beitszeit.

Parallel dazu muss eine Definition vonNormalarbeitszeit die Referenzgrößefür die Entscheidung bieten, was nor-mal und was nicht normal ist, und An-knüpfungspunkt sein für Maßnahmendes Freizeit- und Belastungsausgleichsim Sinne des Gesundheitsschutzes.Wenn ArbeitnehmerInnen bereit sind,samstags und sonntags zu arbeiten,ist die Häufigkeit des Einsatzes zu re-gulieren, denn Arbeitszeit ist nichtgleich Arbeitszeit und Freizeit nichtgleich Freizeit.Arbeitnehmer, die durch ihre Tätigkeitgegen den biologischen und sozialenRhythmus arbeiten, müssen dafüreinen besonderen Belastungsausgleicherhalten.Beschäftigte, die bereit sind, sich aufdie Flexibilitätsanforderungen der Un-ternehmen einzulassen, sollten dafür

einen Flexibilitätszuschlag (in Zeit) er-halten.Die Regulierung der Arbeitszeit reichtlängst nicht mehr aus, sondern läuftals Regelungsansatz oftmals ins Leere.Wir brauchen daher einen Einstiegin die Regelung von Leistungsanfor-derungen, von Personalbesetzung undPersonalbemessung, um die Beschäf-tigten vor einem vorzeitigen Verschleißihrer Arbeitskraft zu bewahren. Diesmacht die Eröffnung eines neuenGestaltungsfeldes für die Tarifparteienim Dienstleistungsbereich und für dieBeschäftigten notwendig.Es muss weiterhin Zeitreservate, d.h.gesellschaftlich geschützte Zeitinsti-tutionen und Zeitzonen geben, die demZugriff der Arbeitgeberseite entzogensind. Darüber ist eine gesellschaftlicheÜbereinkunft herzustellen. Nicht zuallen Zeiten, zu denen ein Geschäftmöglich ist, muss dies auch gemachtwerden. Dazu gehört nach unsererfesten Überzeugung das Wochenen-de. Daraus folgt, dass keine Auswei-tung der Wochenendarbeit nur auswirtschaftlichen Gründen erfolgendarf. Der Begriff der „Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft“ ist in sofern etwas irre-führend. Gesellschaftliches Zusammen-leben findet bereits rund um die Uhrstatt. Was es zu verhindern gilt, ist, dieVerfügungsgewalt der Arbeitgeberüber die Arbeitskraft ihrer Arbeiterund Angestellten rund um die Uhr aus-zudehnen, denn sonst funktioniertauch der gesellschaftliche Zusammen-halt nicht mehr.

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NICHT ALLES MUSS ZU JEDER ZEIT GEMACHT WERDENPlädoyer für eine neue gewerkschaftliche Zeitpolitik

„Die Diskussion ist eröffnet,“ so lässt sichdas wichtigste Ergebnis unserer Veran-staltungsreihe zur 24-Stunden-Gesell-schaft auf den Punkt bringen. Mit dieserReihe ist das Thema Zeitpolitik nicht„abgearbeitet“, sondern wir haben erstbegonnen.

Es hat sich gezeigt: Die Arbeitszeit-verlängerungen, die private wie öffent-liche Arbeitgeber in den vergangenenJahren durchsetzen konnten, sind aufjeden Fall ein fataler Weg und verschär-fen gesellschaftliche Zeitkonflikte weiter.Doch auch die Forderung nach weitererVerkürzung der wöchentlichen Regel-arbeitszeiten ist, wenn nicht falsch, so zu-mindest zu kurzsichtig, um die aus demZeittakt geratene Gesellschaft wiederin Einklang mit sich selbst zu bringen.Die Gestaltungslösungen müssen diffe-renzierter ausfallen. Zeiten müssenkoordiniert und synchronisiert werden.Nicht alles, was zu jeder Zeit möglich ist,muss auch zu jeder Zeit gemacht werden.Deswegen bleibt auch der freie Sonn-tag eine wichtige soziale und kulturelleErrungenschaft. Denn Menschen brauchenverlässliche Zeiten, in denen sie sich demFamilienleben, der Muße und den Freund-schaften widmen können, und zwar ge-meinsam mit anderen.

Im Zentrum steht „Gute Arbeit“, derAnspruch auf gute und gesunde Ar-beitsbedingungen. Überlange Arbeits-zeiten, hoch verdichtete Tätigkeiten undArbeit zu ungünstigen Zeiten dürfendie Menschen nicht krank machen. Des-wegen gilt es, das Tauschgeschäft Über-stunden, Schicht-, Nacht- und Wochen-endarbeit gegen Zuschläge zu über-

winden. Zeitliche Belastungen müssenauch zeitlich ausgeglichen werden.

Damit ist der Schutz- wie auch derGestaltungsanspruch von Gewerkschaf-ten angesprochen: Als Tarifpartei mussver.di Arbeitszeiten begrenzen, Flexibi-lität gestalten und Belastungen ausglei-chen. Als politische Organisation gilt es,die Rahmenbedingungen für (Arbeits-)Zeiten nach den Bedürfnissen derGewerkschaftsmitglieder aber auch imInteresse aller abhängig Beschäftigtermit zu gestalten.

Daneben besteht die Aufgabe, zeitpo-litische Aushandlungsprozesse in gesell-schaftlichen Teilbereichen zu initiieren,zu moderieren und in Zeitkonflikten zuvermitteln. Denn Gewerkschaftsmitglie-der sitzen auf beiden Seiten des Verhand-lungstisches: Der Erzieher bietet Zeit an,nämlich die Öffnungszeit der Kita, undfragt Zeit nach – im Supermarkt oder alsPflegeleistung für die kranke Mutter. DieBusfahrerin muss als Beschäftigte ent-grenzte Arbeitszeiten durch veränderteTaktzeiten im öffentlichen Nahverkehrauffangen und erwartet dafür, dass sieim Bürgeramt auch am Abend oder amSamstag ihr Anliegen los wird.

Wenn es gelingt, AnbieterInnen undNachfragerInnen von Zeit ins Gesprächzu bringen, ihre Interessen gegenein-ander abzuwägen und miteinander aus-zugleichen, bietet das gleichzeitig dieChance zur Demokratisierung der Ge-sellschaft, weil Zeiten nicht mehr nurnach dem Funktionsprinzip des jewei-ligen Bereichs bestimmt, sondern vonallen, die betroffen sind, gemeinsamfestgelegt werden.

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Gerade Dienstleistungen, vor allemin Betreuung, Pflege und öffentlichemNahverkehr, sind es, die gesellschaftlicheZeitkonflikte, teils im Rahmen öffentli-cher Daseinsvorsorge, teils marktver-mittelt, entschärfen. Deswegen gilt esauch weiterhin in besonderem Maßefür die gesellschaftliche Anerkennungund höhere Wertschätzung dieser per-sonennahen Dienstleistungen zu werben,wenn über die Entwicklung zur „Dienst-leistungsgesellschaft“ gesprochen wird.Denn diese Dienste sind die Schmiereim Räderwerk unterschiedlicher Zeitlo-giken und halten die Gesellschaft zu-sammen

Auch zukünftig brauchen wir des-halb Foren, um über Zeit zu diskutieren.

Wie sollen sich die Zeiten ändern? Wennder ver.di-Tarifpolitiker Jörg Wiedemuthden freien Sonntag als gesellschaftlichgeschütztes Zeitreservat ausweist, washeißt das für den Pfleger oder die Ärztin?Das Gesundheitswesen arbeitet bereitsrund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr.Und wenn die Verkäuferin auch am Sams-tag oder gar Sonntag eine Betreuung fürihr Kind braucht, was sagt dann die Fa-milie des Erziehers? Solche Fragenhuman und mit dem Ziel sozialen Zu-sammenhalts zu beantworten, benötigtPhantasie, Kompromissfähigkeit und –Zeit! Zeit, sich das Problem von allenSeiten zu betrachten; Zeit, Bedarfe undBedürfnisse zu formulieren; Zeit zu ver-handeln und Lösungen zu finden.

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