biosphäre und atmosphäre: bedeutung biogener kohlenwasserstoffe

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286 | © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2007, 41, 286 – 292 Bedeutung biogener Kohlenwasserstoffe Biosphäre und Atmosphäre R AINER S TEINBRECHER | R ALF KOPPMANN D ie Biosphäre ist maßgeblich am Spurenstoffaustausch zwischen der Erdoberfläche und der Atmosphäre be- teiligt. So nehmen Pflanzen durch Photosynthese Kohlen- stoff in Form von CO 2 auf. Etwa 1% des so fixierten Koh- lenstoffes wird in Form von „reaktivem Kohlenstoff“ von den Pflanzen unmittelbar wieder in die Atmosphäre abge- geben. Diese biogenen flüchtigen organischen Verbindun- gen (BVOC) greifen wesentlich in die chemischen Prozes- se der unteren Atmosphäre ein. So beeinflussen sie die Kon- zentration des OH-Radikals, des „Waschmittels“ der At- mosphäre und sind regional für bis zur Hälfte des photo- chemisch gebildeten Ozons verantwortlich. Auch entste- Reaktive Spurenstoffe aus Pflanzen sind schon lange im Fokus der Klimaforscher. Doch erst die Integration von Experimen- ten und Modellen von der Blattebene bis hin zur regionalen Skala brachte neue, überraschende Erkenntnisse. In und über der Vegetation entwickelt sich eine vielfältige Mischung aus hochreaktiven Substanzen. Diese müssen in zukünftigen Atmosphärenmodellen berücksichtigt werden, um die Photo- chemie in der unteren Atmosphäre so realistisch wie möglich zu beschreiben. DOI: 10.1002/ciuz.200700422 Abb. 4 Um die Nettoemission an reaktiven bioge- nen flüchtigen or- ganischen Verbin- dungen abschät- zen zu können, wurden Freiland- messungen durch- geführt. Hier ein Blick auf den während des ECHO-Projektes eingesetzten Messturm im Stet- ternicher Forst in Jülich. Die Mes- sungen erfolgten höhenaufgelöst vom Boden bis oberhalb des Kronenraums.

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Page 1: Biosphäre und Atmosphäre: Bedeutung biogener Kohlenwasserstoffe

286 | © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2007, 41, 286 – 292

Bedeutung biogener Kohlenwasserstoffe

Biosphäre und Atmosphäre RAINER STEINBRECHER | RALF KOPPMANN

Die Biosphäre ist maßgeblich am Spurenstoffaustauschzwischen der Erdoberfläche und der Atmosphäre be-

teiligt. So nehmen Pflanzen durch Photosynthese Kohlen-stoff in Form von CO2 auf. Etwa 1% des so fixierten Koh-lenstoffes wird in Form von „reaktivem Kohlenstoff“ vonden Pflanzen unmittelbar wieder in die Atmosphäre abge-geben. Diese biogenen flüchtigen organischen Verbindun-gen (BVOC) greifen wesentlich in die chemischen Prozes-se der unteren Atmosphäre ein. So beeinflussen sie die Kon-zentration des OH-Radikals, des „Waschmittels“ der At-mosphäre und sind regional für bis zur Hälfte des photo-chemisch gebildeten Ozons verantwortlich. Auch entste-

Reaktive Spurenstoffe aus Pflanzen sind schon lange im Fokusder Klimaforscher. Doch erst die Integration von Experimen-ten und Modellen von der Blattebene bis hin zur regionalenSkala brachte neue, überraschende Erkenntnisse. In und überder Vegetation entwickelt sich eine vielfältige Mischung aushochreaktiven Substanzen. Diese müssen in zukünftigen Atmosphärenmodellen berücksichtigt werden, um die Photo-chemie in der unteren Atmosphäre so realistisch wie möglichzu beschreiben.

DOI: 10.1002/ciuz.200700422

Abb. 4 Um dieNettoemission anreaktiven bioge-nen flüchtigen or-ganischen Verbin-dungen abschät-zen zu können,wurden Freiland-messungen durch-geführt. Hier einBlick auf denwährend desECHO-ProjekteseingesetztenMessturm im Stet-ternicher Forst inJülich. Die Mes-sungen erfolgtenhöhenaufgelöstvom Boden bisoberhalb des Kronenraums.

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B I O S P H Ä R E | AT M OS PH Ä R E N C H E M I E

hen bei ihrer Oxidation in der Atmosphäre Verbindungen,die entweder unmittelbar sekundäres organisches Aerosol(SOA) bilden bzw. sich an vorhandene Partikel anlagern unddadurch deren physikalisch-chemische Eigenschaften ver-ändern. Dadurch beeinflussen BVOC nicht nur die Gas-phasenchemie der Atmosphäre, sondern auch die Partikel-chemie, mit einer möglichen Wirkung auf den Strahlungs-haushalt der Atmosphäre.

Biogene VOCIn der Biosphäre sind Wälder mit Abstand die wohl domi-nanteste Quelle für VOC. So geben Bäume eine Vielzahl or-ganischer Spurengase in die Atmosphäre ab (Abbildung 1).Selbst ohne aufwändige Analysemethoden werden wirdurch unseren Geruchssinn ständig auf die Substanzen auf-merksam gemacht, die in unserer Umgebungsluft zu findensind. Jeder, der einmal im Hochsommer in einem Nadel-wald spazieren gegangen ist oder im warmen Zimmer denTannenbaum aufgestellt hat, kennt den typisch angeneh-men Geruch, der durch die von den Bäumen emittiertenMonoterpene hervorgerufen wird.

Bisherige Abschätzungen gehen davon aus, dass globaletwa 1,1 Gt (Gigatonnen = 1015 g) Kohlenstoff pro Jahr inForm verschiedenster VOC-Verbindungen von biogenen

Quellen in die Atmosphäre abgegeben werden [1]. Dem-gegenüber ist die durch anthropogene Prozesse in die At-mosphäre emittierte VOC-Menge mit 0,15 Gt pro Jahr ver-hältnismäßig gering, so dass global gesehen die biogenenVOC die dominante Rolle übernehmen. Auch ist die VOC-Zusammensetzung beider Quellen sehr verschieden. So han-delt es sich bei den meisten der aus Industrie, Verkehr undLandwirtschaft emittierten VOC um langsam reagierendeVerbindungen wie Alkane, Aromaten und Alkohole [2]. Da-gegen sind etwa 60% der von Wäldern emittierten VOCüberwiegend reaktive Verbindungen aus der Gruppe derIsoprenoide [3] (Abbildungen 1 und 2).

Während global die biogenen VOC dominieren, kannsich auf einer regionalen Skala das Verhältnis zwischen bio-genen und anthropogenen VOC-Emissionen erheblich än-dern. Normalerweise übertrifft in dicht bevölkerten, indus-trialisierten und stark belasteten Gebieten wie Deutschlanddie über das Jahr gemittelte anthropogene Emission die bio-genen Emissionen bei weitem. Während Photosmog-Episo-den im Sommer mit hohen Temperaturen und hoher Son-neneinstrahlung gewinnen jedoch die biogenen Emissionenmehr und mehr an Bedeutung, da bei diesen WetterlagenPflanzen besonders viel VOC abgeben. Damit liefern selbstin dicht besiedelten Regionen biogene VOC einen wesent-

A B B . 1 | S P U R E N G A S E AU S P F L A N Z E N A B B . 2 | S U B S TA N Z K L A S S E N

Abb. 1 WichtigeKomponenten biogener flüchti-ger organischerVerbindungen imEmissions-spektrum vonPflanzen.

Abb. 2 Substanz-klassen der biogenund anthropogenemittierten flüch-tigen organischenVerbindungen inDeutschland.

BVOC: biogene,flüchtige organischeVerbindungenSOA: sekundäres organisches Aerosol

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lichen Beitrag zur Photooxidantienbildung. In den letzten10 Jahren haben die biogenen VOC für die Luftchemie ei-ne immer größere Bedeutung gewonnen, da im gleichenZeitraum bei nahezu gleicher BVOC Emission die VOC-Emis-sionen aus anthropogenen Quellen durch Emissionsminde-rungsmaßnahmen um 40% gesenkt wurden (Abbildung 3;http://webdab.emep.int).

Eine weitere wichtige Verbindung, die als „Katalysator“für die Oxidation von VOC in der bodennahen Atmosphä-re benötigt wird, sind die Oxide des Stickstoffes (zusam-mengefasst als NOx = NO + NO2). Im Vergleich zu den VOC ist hier der anthropogene Anteil etwa um zwei Größenordnungen höher als der biogene. Aber auch hiersieht die Situation in Wäldern anders aus, da Waldböden eine erhebliche zusätzliche Quelle von Stickstoffoxiden sind [4].

In den vergangenen Jahren hat es dank zahlreicher Pro-jekte zur Untersuchung biogener Emissionen deutliche Fort-schritte gegeben, die zu einer erheblichen Verbesserungder Emissionsabschätzungen geführt haben. Dennoch müs-sen immer wieder Emissionsfaktoren korrigiert werden, wieerst kürzlich für eine in unseren Breiten häufig vorkom-mende Baumart, die Buche, die sich als deutlicher Emittervon Sabinen zeigt [5].

Bei allen Erfolgen sorgen die komplexen Zusammen-hänge in der Natur aber dafür, dass immer noch erheblicheKenntnisdefizite bestehen. So ist die Zusammensetzung derbiogenen VOC sehr vielschichtig und immer noch nichtvollständig erfasst. Die Bildungs- und Emissionsmechanis-men einzelner VOC sind oft nicht verstanden, ebenso wiedie vom Entwicklungsstatus der Pflanzen abhängigen Emis-sionsfaktoren. Auch Umweltfaktoren wie Wasserverfügbar-keit oder Schädlingsbefall [6] beeinflussen das Emissions-potential und können die Menge der emittierten VOC jenach Situation steigern oder verringern. Auch die chemi-schen Umsetzungsprozesse in der Waldatmosphäre und ihre Bedeutung für das Ökosystem, z.B. die Toxizität vonProdukten, sind erst in Ansätzen untersucht.

Bestandsaufnahme in der Natur Um eine Abschätzung der Nettoemission reaktiver biogenerVOC durchführen zu können, benötigt man eine umfang-reiche Datenbasis, d.h. man muss diese Verbindungen inFreilandexperimenten messen und ihr Verhalten untersu-chen. Dazu wurden in den vergangenen Jahren weltweit vie-le Projekte in verschiedenen Ökosystemen durchgeführt.Beispiele dafür sind das ECHO-Projekt (Emission und che-mische Umwandlung biogener flüchtiger organischer Ver-

A B B . 3 | S P U R E N S TO F F E M I S S I O N E N A B B . 5 | A N A LY T I K

Abb. 3 Biogene und anthropogene Spurenstoffemissionen inDeutschland. In den beiden oberen Graphiken ist die Verände-rung der Quellstärke an VOC und NOx für die Jahre 1995 bis2003, gegliedert nach Quelltyp, als Jahressumme dargestellt.In der unteren Graphik ist die Emission als Monatsmittel an-gegeben.

Abb. 5 Küvettensysteme zur Bestimmung von Emissionsfak-toren von biogenen flüchtigen organischen Verbindungen amBeispiel der Fichte (Picea abies L. [Karst]). Die Messkammernsind mit Temperatur-, Licht-, und Feuchtesensoren ausge-stattet.

Abb. 4 s. ersteSeite des Auf-satzes.

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B I O S P H Ä R E | AT M OS PH Ä R E N C H E M I E

bindungen), das auf dem Gelände des ForschungszentrumsJülich im Stetternicher Forst, einem Mischwaldbestand,durchgeführt wurde oder das BEWA2000-Projekt (Regiona-le biogene Emissionen reaktiver flüchtiger organischer Ver-bindungen aus Waldbeständen) mit Studien in einem Fich-tenwald im Nordosten Bayerns (Fichtelgebirge; Waldstein).Das Ziel beider Projekte war es, herauszufinden, welcheSubstanzen von den jeweiligen Baumarten in die Atmos-phäre abgegeben werden, wie diese in der Atmosphäre che-misch reagieren und welche Auswirkungen dies hat. Dazuwurden in den Jahren 2001 bis 2003 BVOC und eine Viel-zahl anderer Spurengase sowie meteorologische Parameterwie Licht-, Temperatur-, Feuchte- und Windverhältnisse je-weils über mehrere Monate hinweg direkt in den Wäldernbestimmt. Am Boden und auf Messtürmen (Abbildung 4)wurden Küvettensysteme (Abbildung 5) zur Bestimmungder primären Spurenstoffemission aus den Pflanzen und Bö-den eingesetzt. Zeitlich hochaufgelöste Messungen der ver-tikalen Windgeschwindigkeit sowie der Luftkonzentrationatmosphärischer Spurenstoffe erlaubten die Anwendungder so genannten Eddy-Kovarianz-Methode und damit dieUntersuchung, welche Mengen an Spurengasen aus einemWald heraustransportiert wurden, z.B. an einem Sonnentagim Sommer bis zu 5 nmol Isoprenoide pro m2 Bodenfläche

und Sekunde [7] (Abbildung 6). Oft tauscht sich die Wald-luft mit der umgebenden Atmosphäre pulsförmig aus. Da-mit verbunden ist jeweils ein Anstieg der Isoprenoidemis-sion, insbesondere in der Nacht und am frühen Morgen.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Messungen war,dass BVOC aus einem Waldbestand in der Nähe anthropo-ger Quellen zwar weniger als 10% zur Gesamtmenge derVOC beitragen, jedoch zu 60% am chemischen Umsatz al-ler VOC in der Atmosphäre beteiligt waren. So gingen anden heißen Sommertagen des Jahres 2003 etwa 50% desphotochemisch gebildeten Ozons auf biogene VOC zurück.Ein überraschendes Ergebnis der Messungen im JülicherLaubwald waren die tagsüber gemessenen hohen Mi-schungsverhältnisse von salpetriger Säure (HONO) von et-wa 300 ppt (parts per trillion, 10–12). Eine Modellrechnungzeigte, dass HONO damit für die Hälfte der im Bestand ge-fundenen OH-Radial-Konzentration verantwortlich seinmuss, die trotz der stark reduzierten Sonneneinstrahlungimmerhin noch bei etwa 105 Molekülen pro cm3 lag [8].

Es stellte sich allerdings heraus, dass trotz der nach-weisbaren OH-Radikale nur ein geringer Teil der BVOC be-reits im Wald chemisch umgesetzt wird. Das konnte auchin einer Emissions-/Chemiesimulation [9] für einen mittel-europäischen Eichenwald gezeigt werden (Abbildung 7).

A B B . 6 + 7 | I S O PR E N E A B B . 8 | R A D I K A L E

Abb. 6 Isopren-und Monoterpen-flussraten über einem Fichtenwaldim Tagesverlauf ansonnigen Sommer-tagen.

Abb. 7 Isopren-emission eines mitteleuropäischenEichenwaldes imSommer an zweiwolkenlosen Tagen.Die Emissionsratenwurden mit demWald-Emissions-Chemiemodell CA-CHE berechnet [9].

Abb. 8 Radikale imFichtenwald. Nachtssind in der Waldluftnur wenige HO-Ra-dikale vorhanden,jedoch nennenswer-te Mengen an NO3-Radikalen. Tagsübersind die HO-Radika-le am höchsten überdem Bestand undim oberen Kronen-raum (unten).

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Die meisten reaktiven Spurengase werden unverändert ausdem Wald in die Atmosphäre abgegeben und reagieren erstoberhalb des Bestandes ab.

Modellierung biogener EmissionenUm die BVOC-Emission von Pflanzen und Pflanzenbestän-den möglichst realistisch mit hoher räumlicher und zeit-licher Auflösung abschätzen zu können, wurde ein inte-griertes, halbempirisches Modellsystem entwickelt [3]. DasEmissionsmodell berücksichtigt Landnutzungsdaten, dieVerteilung der Wälder ebenso wie die Verteilung der Blatt-biomasse sowie pflanzenart- und komponentenspezifischeEmissionsfaktoren. Insbesondere ist das Emissionsmodell inder Lage, die besonderen Eigenschaften von Wäldern zuberücksichtigen, deren potenzielle Emission sich durch denabnehmenden Strahlungs- und Temperaturgradienten vomKronen- bis zum Bodenbereich verringert. Die verwende-ten Emissionsfaktoren sind Emissionsraten gemessen mit Zweigküvetten (Abbildung 5) undnormiert auf 30 °C Blatttemperaturund 1000 µmol Photonen pro Qua-dratmeter und Sekunde der photo-synthetisch aktiven Sonnenstrahlung(Wellenlänge: 400 – 700 nm). Die not-wendigen meteorologischen Datenwie Temperatur, Sonneneinstrahlung,Windgeschwindigkeit und Luftfeuchte werden für das Emis-sionsmodell über ein meteorologisches Modell geliefert.

Eine erstmalig durchgeführte Modellstudie über einenZeitraum von 10 Jahren (1994 bis 2003) zeigt, dass inDeutschland im Mittel etwa 370 Gg BVOC im Jahr emittiertwerden, wovon 190 Gg Monoterpene, 140 Gg sauerstoff-haltige VOC, und 40 Gg Isopren sind. Hauptquellen für dieMonoterpene sind mit einem Anteil von mehr als 40% dieFichten- und Buchenwälder [3]. Das Isopren stammt vor-wiegend aus Eichenwäldern. In der Modellstudie wird an-genommen, dass in gleichem Umfang auch sauerstoffhalti-ge VOC von Laub- und Nadelbäumen in die Atmosphäre ab-gegeben werden. Heiße Sommer, wie z.B. im Jahre 2003,begünstigen die Bildung von BVOC, und die berechnetenEmissionen übertreffen den langjährigen Mittelwert fürDeutschland um etwa 30%. Je nach regionaler Witterungkönnen die BVOC-Emissionen, wie z.B. für das Umland vonFrankfurt in die ersten Augusttagen des Jahres 2003 gezeigt,bis zu dem 2,5fachen über dem langjährigen Mittel liegen[3]. Entsprechend der Baumartenzusammensetzung derWälder sind die regionalen BVOC Emissionen stark unter-schiedlich. Wälder mit hohem Eichenanteil wie im Saarlandund Rheinland-Pfalz (Quelle: www.bundeswaldinventur.de)weisen einen hohen Anteil von Isoprenemissionen von et-wa 20% an der gesamten BVOC-Emission auf. In Ländernwie Brandenburg und Berlin dominiert der Nadelwald. Dortsinkt der Isoprenanteil an der BVOC Emission auf etwa 5%.Darüber hinaus stellen die neuen zeitlich und räumlichhochaufgelösten Berechnungen alte Abschätzungen [10] inFrage, die die Isoprenemission in Deutschland deutlich

überschätzten (Faktor 3!). Offensichtlich tragen damit Wäl-der wesentlich weniger zur photochemischen Ozonbildungdurch die Oxidation von Isopren bei, als bisher angenom-men.

Modellierung der Chemie im WaldbestandFür eine Abschätzung des Einflusses biogener VOC auf dieChemie der Atmosphäre und damit die Luftqualität ist zu-sätzlich zur Emissionsmodellierung eine Beschreibung derchemischen Prozesse notwendig. Mit einem neuen gekop-peltem Bestands-Emissions-Chemie-Modell (CACHE) wur-den Schlüsselprozesse zur Emission, Oxidation und Trans-port von BVOC und sekundär gebildeten gasförmigen Ver-bindung im Wald nachgebildet und damit die Nettoemissi-on abgeschätzt [9]. Die Simulationen zur Radikalchemie imWald zeigen, dass wie erwartet nachts, wenn kein Sonnen-licht vorhanden ist, nur wenig HO-Radikale gebildet wer-den, sich aber Nitrat-(NO3)Radikale, die ebenfalls BVOC oxi-

dieren können, über dem Wald anrei-chern (Abbildung 8). Tagsüber kön-nen sich im Sonnenlicht im und überdem Bestand HO-Radikale bilden,NO3-Radikale werden dort sofort pho-tolytisch gespalten. Im dichten Fich-tenwald und entsprechend dunklenStammraum fehlt die Lichtenergie zur

Bildung von HO-Radikalen, aber die lichtempfindlichenNO3-Radikale können sich hier anreichern und bestimmenmaßgeblich die Atmosphärenchemie in diesem Waldbe-reich. Die Verluste durch Oxidation und Deposition derprimär emittierten Verbindungen im Stammraum währenddes Transportes durch den Bestand in die darüber liegendeAtmosphäre betragen zwischen 5 und 15%, je nach der Oxi-dationfähigkeit der Waldatmosphäre, der betrachteten che-mischen Verbindung sowie der Waldart und -dichte. Diesbestätigt die oben genannten Messergebnisse. Die Modell-ergebnisse zeigen aber auch, dass noch erhebliche Lückenim Verständnis der Emissions- sowie der Depositionspro-zesse von sauerstoffhaltigen VOC im Waldbestand beste-hen. Darüber hinaus lassen sich zur Zeit die Partikelbildungsowie die Änderung der physikalischen und chemischenEigenschaften bereits vorhandener Partikel durch biogeneOxidationsprodukte in der bodennahen Atmosphäre nochunzureichend genau modellieren, da wesentliche Prozessenoch unverstanden sind.

Schlussfolgerungen Die Forschungsarbeiten zur Wechselwirkung Biosphäre/At-mosphäre mit dem Schwerpunkt auf Produktion, Emissionund Oxidation von biogenen flüchtigen organischen Ver-bindungen (BVOC) fokussierten sich in den letzten Jahrenim Wesentlichen auf die Isoprenoide. In nationalen und in-ternationalen Forschungsvorhaben [11] wurden mit inno-vativen Methoden die genetischen Grundlagen der Isopre-noidbildung, deren Kontrolle durch biochemische Prozes-se und Umweltfaktoren aufgeklärt und entsprechende pro-

„SPURENSTOFFE AUS PFLAN-

ZEN SPIELEN EINE WICHTIGE

ROLLE IN DER PHOTOCHEMIE

DER UNTEREN ATMOSPHÄRE“

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zessorientierte Modelle zur Vorhersage der Emission ent-wickelt. Mit verbesserten analytischen Verfahren wurdenneue Verbindungen im VOC Emissionsmuster von Pflanzenidentifiziert und Synthesewege vorgeschlagen. Die Oxida-tionsprozesse wichtiger biogener VOC in der Atmosphärewurden in Labor- und Freilandstudien durchleuchtet und an-hand der gewonnenen Ergebnisse chemische Modelle zurVorhersage der Ozon- sowie Partikelverteilung stark ver-bessert bzw. neu entwickelt. Neue Satellitenmessungenkombiniert mit optimierten Emissionsmodellen und geo-graphischen Informationssystemen in einer leistungsstar-ken Rechenumgebung ermöglichen es heute, schnell zeit-lich und räumlich hochaufgelöste Emissionskataster für bio-gene VOC zu erstellen. Damit lässt sich zeitnah z.B. eine Än-derung der Landnutzug auf die Emission biogener VOC unddamit auf die Ozonkonzentration sowie Partikelbildung inder Atmosphäre abschätzen.

Trotz dieser Fortschritte bestehen nach wie vor erheb-liche Kenntnisdefizite insbesondere (1) in der Biosyntheseund Kontrolle der Emission von Sesquiterpenen und sauer-stoffhaltigen Verbindungen, (2) in der Oxidation dieser Verbindungen in der Atmosphäre, insbesondere im Wald,(3) im Beitrag biogener Partikel zur Luftqualität und zum so-laren Strahlungstransfer im Erdsystem, sowie (4) in denRückkopplungen von Klima- und Landnutzungsänderungenauf die VOC-Emission der Biosphäre und damit der Chemieder Atmosphäre.

ZusammenfassungDie Biosphäre steuert maßgeblich den Spurenstoffaustauschzwischen Erdoberfläche und Atmosphäre. Biogene flüchtigeVerbindungen (BVOC) sind sehr reaktiv und werden in großemUmfang von Wäldern produziert. Deshalb sind BVOC we-sentlich an Oxidationsprozessen in der Atmosphäre beteiligt.In den letzten Jahren haben zahlreiche nationale und inter-nationale Forschungsprojekte die Wissenslage stark verbes-sert, insbesondere zu Oxidationspfaden in der Waldatmos-phäre, zur biochemischen Bildung von Isoprenoiden und ihrergenetischen Grundlage sowie zum Spektrum der emittiertenVerbindungen und ihrer Kontrolle durch Umgebungsfaktoren.Darüber hinaus wurde in Landschaften erstmals mit hoherräumlicher und zeitlicher Auflösung die Verteilung der bioge-nen Emissionsquellen analysiert und Variationsmuster abge-leitet. Dazu wurden Geräte und analytische Verfahren sowieModelle neu entwickelt beziehungsweise weiterentwickelt.Trotz des großen Fortschrittes in den letzten Jahren bestehengroße Kenntnislücken, insbesondere in der Emission von Ses-quiterpenen und sauerstoffhaltigen VOC durch die Biosphäre.Darüber hinaus ist die Luftchemie im Innern von Wäldern erstin Ansätzen verstanden. Deshalb werden in Zukunft aufre-gende neue Erkenntnisse über den komplexen reaktiven Koh-lenstoffumsatz im Erdsystem zu erwarten sein – insbesonde-re in der Rückkopplung mit Landnutzungsänderungen unddem Klimasystem der Erde.

SummaryThe biosphere plays a key role in the trace compound exchan-ge between the earth’s surface and the atmosphere. Due totheir high emission rates and their high reactivities biogenicvolatile organic compounds (BVOC) are of paramount im-portance for oxidation processes in the atmosphere. In recentyears, national and international integrated research effortssignificantly improved our knowledge about oxidation pathways in particular in forest atmospheres, biochemicalsynthesis of isoprenoids, genetic and environmental controlmechanisms, and emitted chemical compound pattern. Fur-ther, the spatial distribution of emission sources in landsca-pes and their hourly, daily, seasonal and annual variation hasbeen studied in detail. This includes the development and con-tinuous update of instruments, analytical methods as well asmodelling approaches. But despite the great progress madein the past years still major gaps exist in particular on theemission of sesquiterpenes and oxygen-containing VOC fromthe biosphere. Further, our understanding of inside forest airchemistry is still very limited. In consequence, the future willbring up exiting new in sights in the complex reactive carbon-turnover in the earth system linked to feedback processes resulting from climate and land use change.

Schlagworte Biogene Emission, VOC, Isoprenoide, Wald, Luftchemie.

DanksagungDie vorgestellten Arbeiten wurden im Rahmen des Atmos-phärenforschungsprogramm AFO2000 durch das BMFT ge-fördert. Weitere Informationen zu diesem Thema sind im In-ternet unter www.fz-juelich.de/icg/icg-II/echo/, http://imk-ifu.fzk.de/bewa2000/, sowie http://imk-ifu.fzk.de/isonet/)und www.esf.org zu finden. Gedankt sei auch den zahl-reichen Kolleginnen und Kollegen, die zum Gelingen derExperimente beigetragen haben.

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Die AutorenRainer Steinbrecher, Jahrgang 1956, studierteBiologie und Chemie an der Technischen UniversitätMünchen. Nach der Promotion bei H. Zieglerwechselte er 1990 zum Institut für AtmosphärischeUmweltforschung, bis 2001 Fraunhofer-Gesell-schaft, jetzt Forschungszentrum Karlsruhe, Institutfür Meteorologie und Klimaforschung. Dort leiteteer verschiedene Arbeitsgruppen mit dem Themen-schwerpunkt „Biogene Flüchtige OrganischeVerbindungen“. Als Gastdozent lehrte er an derTechnischen Universität von München (1992-1995)sowie im Graduiertenkolleg für Erdwissenschaftenan der Universität von Mexiko (UNAM; 2002),Mexiko Stadt, in das er 2004 als Professor für dasFachgebiet Interaktion Biosphäre/Atmosphäreberufen wurde. Die Forschungsinteressen fokussie-ren sich auf die Interaktionen von Umwelt undPflanzen/Pflanzengemeinschaften. Im Vordergrundstehen dabei Prozess- und Modellstudien zuumgebungsinduzierten Veränderungen despflanzlichen Emissionsverhaltens und ihre Bedeu-tung für die Atmosphäre.

Ralf Koppmann, Jahrgang 1957, studierte Physikund Astronomie an der Universität Bonn. Nach derDoktorarbeit am Institut für Plasmaphysik derKernforschungsanlage Jülich und der Promotion ander Ruhr-Universität Bochum wechselte er 1987 alswiss. Mitarbeiter an das Institut für AtmosphärischeChemie der Kernforschungsanlage (später For-schungszentrum) Jülich. Von 1997-2006 war erLeiter der Arbeitsgruppe „Organische Spurengase“am Institut für Atmosphärische Chemie (ab 2001:Institut für Chemie und Dynamik der Geosphäre,Institut II: Troposphäre), von 2001 bis 2006stellvertretender Direktor des Instituts. 2003 wurdeer zum außerordentlichen Professor an die Facultyof Graduate Studies der York University, Toronto,Kanada, berufen. Seit April 2006 ist er Professor fürPhysik und Leiter der Abteilung Atmosphärenphysikan der Bergischen Universität Wuppertal. Einderzeitiger Forschungsschwerpunkt ist die Messungstabiler Isotopenverhältnisse in Spurengasen zurUntersuchung chemischer und dynamischerProzesse in der Troposphäre und in der unterenStratosphäre.

Korrespondenz-adresse:Dr. Rainer SteinbrecherProf. Atmos. ScienceCentre, UNAMInstitut für Meteorolo-gie und Klima-forschungAtmos. Umweltfor-schung (IMK-IFU)ForschungszentrumKarlsruhe GmbHKreuzeckbahnstr. 1982467 Garmisch-PartenkirchenE-Mail: [email protected]