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1 Die Judenbuche von Kristo Šagor nach der Novelle von Annette von Droste-Hülshoff Theaterpädagogische MATERIALMAPPE 13/14

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Die Judenbuche von Kristo Šagor nach der Novelle von Annette von Droste-Hülshoff

Theaterpädagogische MATERIALMAPPE 13/14

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1. Einleitung

Liebe Pädagogen und Pädagoginnen,

��

am 09. Mai 2014 hatte DIE JUDENBUCHE bei uns im Kleinen Haus Premiere. Diese

Koproduktion des Jungen Theaters Münster mit dem Schauspiel Münster ist eine Ur-

aufführung von Kristo Šagor nach der Novelle von Annette von Droste-Hülshoff.

Kristo Šagor war neben Autor auch der Regisseur dieser Inszenierung. Einige von Ih-

nen werden seine Arbeit VERSCHWUNDEN vielleicht in der letzten Spielzeit gesehen

haben. DIE JUDENBUCHE empfehlen wir für Schüler ab der 8. Klasse.

Die Novelle kennen wahrscheinlich die meisten von ihnen, sie wurde und wird häufig

in der Schule gelesen und erarbeitet. Denn die spannende, zum Teil fragmentarisch

wirkende Handlung, eine knappe und raue Sprache sowie atmosphärisch dichte Na-

turbeschreibungen machen DIE JUDENBUCHE auch heute noch zu einem starken und

außergewöhnlichen Text. Šagor stellte sich der Herausforderung, den Kriminalfall

aus dem 19. Jahrhundert dokumentarisch aufzuschlüsseln und zugleich in seiner ar-

chaisch-brutalen Magie in der Schwebe eines fantastischen Gruselmärchens oder ei-

ner Gothic Novel zu halten. 5 Spieler werden dazu Pate und Anwalt einer Figur und

berichten von den Geschehnissen aus ihrer Perspektive. Ihr Anliegen ist dabei, ihre

Figur möglichst ungeschoren davon kommen zu lassen, andere zu beschuldigen und

den Zuschauer eventuell auch mal auf eine falsche Fährte zu locken. Am Ende bleibt

die Frage nach dem Mörder. Wer hat im Dorf B., in dieser Gesellschaft, die (teilweise

aus Angst) mehr an das Gewohnheitsrecht und ihre Normen glaubt als an ihren ge-

sunden Menschenverstand, den Förster Brandis und den Juden Aaron ermordet?

� Die Materialmappen erstellen wir, die Theaterpädagoginnen des Theaters Münster,

nach eigenen Ideen, in Absprache mit der Dramaturgie oder der Regie einer Inszenie-

rung und durch gezieltes Aussuchen zusätzlicher Texte. Suchen Sie sich einzelne

Punkte heraus, wandeln Sie diese ab oder verwenden Sie das gesamte Material –

ganz wie es für Ihre Zwecke passt.

� Mit herzlichen Grüßen aus dem Theater,

Anne Verena Freybott & Angelika Schlaghecken �

POST:�� Junges Theater Münster���EMAIL:��� [email protected]�����������

��������������� Neubrückenstraße 63������������� � [email protected]

������������������48143 Münster

� TELEFON: 0251-5909211 BESUCHE:�� Junges Theater Münster

0251-5909158 Am Bült 2 / 1. Etage

48143 Münster

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2. Die Judenbuche

INHALT

DIE JUDENBUCHE gehört zu den meistgelesenen Novellen der deutschen Literatur.

Der Stoff basiert auf einer wahren Begebenheit, die sich etwa fünfzig Jahre vor der

Niederschrift in Westfalen zutrug. Die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff ent-

wirft das Bild einer Gesellschaft, die Recht nicht von Unrecht unterscheidet und

schildert vor diesem Hintergrund die Entwicklung eines jungen Menschen. Erzählt

wird, so lautet die übliche Zusammenfassung, die Lebensgeschichte von Friedrich

Mergel, der sich dem Unrecht und der Unmoral der dörflichen Welt verschreibt, in

die er hineingeboren wird, und schließlich einen Mord begeht. Zwar kann er sich der

Strafverfolgung durch Flucht entziehen, doch seiner Schuld entkommt er nicht. Jahr-

zehnte später kehrt er an den Ort des Verbrechens zurück und begeht Selbstmord. –

Ist es so gewesen? Oder war Mergel in Wirklichkeit unschuldig und selbst ein Opfer

unglücklicher Ereignisse und Zufälle?

Friedrich Mergel wohnt mit seinen Eltern Margreth und Hermann Mergel im Dorf B.,

dessen Bewohner mehr schlecht als recht leben und sich beinah Jeder an kriminellen

Aktivitäten beteiligt. Der Vater ist ein Trinker, und der Einfluss der Mutter Margreth

zu schwach, um sich gegen die zunehmende Armut und Verwahrlosung der Familie

durchzusetzen. Das Dorf liegt an einem Wald, Brederholz genannt, und wird nachts

von so genannten Holzfrevlern heimgesucht (Leute, die gegen das Gesetz Bäume

fällen und entwenden). Friedrich, am Anfang der Novelle ein 9-jähriges Kind, ist ein

neugieriger, aber zurückhaltender Junge, der gerne Kühe hütet und bis zu diesem

Zeitpunkt keine Freunde hat. Eines Nachts wird sein Vater Hermann tot im Bre-

derholz gefunden. Für Margreth und Friedrich bricht nun eine schwere Zeit an, da sie

sich ab jetzt alleine durchschlagen müssen. Zudem versucht Friedrich vergeblich das

Andenken an seinen Vater vor Spott und Hohn zu bewahren. Schließlich zieht sich

der scheue Junge in sich selbst zurück und sondert sich von allen anderen ab.

Als er 12 Jahre alt ist, überredet sein Onkel Simon Semmler seine Mutter, das Kind in

seine Obhut zu geben. Simon verspricht den Mergels sein Erbe und einen Lohn, wenn

Friedrich ihm bei der Arbeit zur Hand geht. Die Mutter stimmt zögernd der Adoption

zu. So verlässt Friedrich seine Mutter und beginnt bei seinem Onkel zu arbeiten. Un-

ter dem negativen Einfluss des Onkels verändert sich Friedrich, er wird ehrgeizig,

hochmütig und achtet nur noch auf Äußerlichkeiten. Er freundet sich mit Simons

eher ängstlichen und zurückhaltenden Schweinehirten Johannes Niemand an, wel-

chem er immer mal wieder einige Freundlichkeiten erweist. Zudem arbeitet er sich

durch körperliche Stärke und Ausdauer zum führenden Dorfburschen vor und nur

Hülsmeyer stellt noch eine Konkurrenz für seine Herrschaft über die Dorfjugend dar.

Seine Mutter lässt er immer mehr verwahrlosen und ohne Gewissensbisse ver-

schweigt er Hinweise, die seinen Onkel des Mordes am Förster Brandis verdächtig

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machen. Bei einer Hochzeitsfeier wird Friedrich von einem Juden namens Aaron be-

schuldigt, Geld für eine Taschenuhr noch nicht bezahlt zu haben und somit öffent-

lich bloßgestellt. Eine Nacht später wird Aaron tot bei der Buche im Brederholz ge-

funden. Die jüdische Gemeinde schwört Rache, indem sie eine Nachricht in die Rinde

der Buche eingravieren. Friedrich hingegen ist gemeinsam mit Johannes verschwun-

den und so wird er des Mordes beschuldigt.

28 Jahre später, Simon ist schon längst tot und Margreth eine psychisch kranke Frau,

kehrt Friedrich zurück, wird allerdings von den Dorfbewohnern für Johannes gehal-

ten. Er war jahrelang in türkischer Sklaverei gefangen. Die Dorfbewohner nehmen

ihn auf. Er erledigt einfache Botengänge für den Gutsherrn, und als der Herbst

kommt, treibt er sich immer öfter in der Nähe des Brederholzes herum.

Schließlich findet man ihn erhängt in der Judenbuche. Aufgrund einer alten Narbe

wird der Tote vom Gutsherrn als Friedrich Mergel identifiziert, und auf dem Schind-

anger begraben.

Die Novelle endet mit der Übersetzung der Inschrift im Stamm. Diese lautet: „Wenn

du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir getan hast.“

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BESETZUNG

Regieteam

Inszenierung Kristo Šagor

Bühne & Kostüme Alexandre Corazzola

Musik & Sounddesign Felix Rösch

Dramaturgie Julia Dina Heße

Theaterpädagogik Angelika Schlaghecken

Regieassistenz Anna Dreher

Abendspielleitung Anna Dreher / Rica Hellige

Ausstattungsassistenz Harald Sassen

Inspizienz Saralynn Alch Hartling

Souffleur Monika van Weyck

Regiehospitanz Alvina Lehmann

Besetzung Spieler/ Simon Frank-Peter Dettmann

Spieler/ Johannes Manuel Herwig

Spieler/ Brandis Ilja Harjes

Spieler/ Margreth Janna Lena Koch

Spieler/ Friedrich Maximilian Scheidt

BIOGRAFIEN

Kristo Šagor

Kristo Šagor ist Dramatiker und Regisseur. Er wurde 1976 in Stadtoldendorf geboren

und wuchs in Lübeck auf. Er studierte Linguistik, Literatur- und Theaterwissenschaft

an der FU Berlin und am Trinity College Dublin. Von 2002 bis 2004 war er Hausautor

am Theater Bremen. Seine Stücke gehören zu den vielgespielten im deutschen Thea-

ter: »Dreier ohne Simone«, »FSK 16« und »Trüffelschweine« zeichnen sich durch

genaue psychologische Studien jüngerer Menschen aus. Er inszenierte u.a. am

Schauspielhaus Hamburg, am Schauspielhaus Bochum, am Staatstheater Stuttgart

und am Staatstheater Hannover. Mit der Inszenierung seines Stücks »FSK 16« wurde

er 2004 zu den Werkstatttagen in Halle/S. und 2005 zum 8. Kinder- und Jugendfesti-

val »Augenblick mal« in Berlin eingeladen. 2007 inszenierte er die Uraufführung von

Phillipp Löhles »Genannt Gospodin« und wurde damit zu den 33. Mülheimer Thea-

tertagen eingeladen. Für seine Inszenierung »Törleß« wurde er 2008 in der Kategorie

beste Regie im Kinder- und Jugendtheater mit dem »Faust« ausgezeichnet. Für sei-

ne Stücke erhielt er zahlreiche Preise: u.a. den Publikumspreis des Heidelberger Stü-

ckemarktes für »Unbeleckt«, 2001, den Autoren-Förderpreis der Landesbühnengrup-

pe des Deutschen Bühnenvereins für »Federn lassen«, 2002, und 2005 den ersten

Autorenpreis für »Trüffelschweine« beim 7. Niederländisch-Deutschen Kinder- und

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Jugendtheaterfestival Kaas & Kappes in Duisburg. Inszenierungen zweier seiner Texte

wurden für den Österreichischen Kinder- und Jugendtheaterpreis Stella nominiert,

»Dreier ohne Simone« 2008 und »Du Hilter« 2012. In der Spielzeit 2008/2009 be-

wohnte er das Theater unter Tage am Schauspielhaus Bochum. Er gab und gibt Lehr-

aufträge für Dramatisches Schreiben an der Universität Hildesheim und der Zürcher

Hochschule der Künste. Kristo Šagor wird von der Gustav Kiepenheuer Bühnenver-

triebs-GmbH vertreten.

In der Spielzeit 2012/2013 inszenierte er VERSCHWUNDEN für das Junge Theater

Münster, das zum WESTWIND Festival nach Bonn eingeladen wurde.

Alexandre Corazzola Alexandre Corazzola (geb. 1978) ist freischaffender Bühnen- und Kostümbildner.

Als Sohn eines Italieners und einer Deutschen wuchs er in Düsseldorf, München

und Wien auf. Mit 17 wanderte er in die USA aus, wo er für insgesamt zehn Jahre in

Kalifornien, Michigan und New York lebte. Im Jahre 2005 erhielt er sein Master of Fine Arts Diplom in Szenographie an der New York University.

Wieder in Europa assistierte er zunächst an der Schaubühne Berlin, bei Pina Bausch,

an der Wiener Staatsoper, dem Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und den Salz-

burger Festspielen.

Seit der Spielzeit 2008/09 arbeitet Alexandre als selbständiger Szenograph an Häu-

sern wie dem Schauspiel Frankfurt, Staatsschauspiel Dresden, der Staatsoper Han-

nover, der Opera National du Strasbourg, dem Theatre Athenee Paris, dem Deut-

schen Schauspielhaus und dem Thalia Theater in Hamburg, dem Nationaltheater

Weimar und dem Nationaltheater Mannheim.

Alexandre ist Alumnus der Deutschen Bank Stiftung Akademie Musiktheater Heute,

des Internationalen Forums beim Theater Treffen und der Akademie für Experimen-

telles Musiktheater Hellerau. Die von ihm ausgestattete Produktion "Von Mäusen

und Menschen" war 2010 für den Faust-Preis in der Kategorie "Beste Inszenierung im

Kinder- und Jugendtheater" nominiert und wurde mit dem Rolf-Mares-Preis in der-

selben Kategorie ausgezeichnet.

Felix Rösch

Felix Rösch, 1985 in Düsseldorf geboren, erhielt seinen ersten Klavierunterricht im

Alter von Fünf Jahren, studierte klassisches Klavier an der Robert-Schumann-

Hochschule Düsseldorf, Tontechnik & Medienkunst am Institut für Musik und Medien

der Musikhochschule Düsseldorf, sowie später Komposition an der Hochschule für

Film und Fernsehen, Potsdam Babelsberg. Seit 2009 ist er als freischaffender Kom-

ponist, Musiker und musikalischer Leiter für Theater-, Konzert-, Hörspiel- und Film-

musiken tätig. Dabei arbeitet er regelmäßig mit dem Orchester des Westdeutschen

Rundfunks und dem Deutschen Filmorchester Babelsberg.

Er erhielt verschiedene internationale Preise und Stipendien, u.a. den 1. Platz der

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Score Competition der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2011 (Berlinale), den Eu-

ropäischen Filmmusikpreis »New Sounds in European Film« 2009 und war Stipendiat

der Ewald-Horbach Stiftung. 2011 erhielt er zudem den Förderpreis des Landes NRW

für junge Künstlerinnen und Künstler im Bereich »Komposition, Dirigat, Instrumen-

talmusik«. Er lebt und arbeitet in Berlin.

Annette von Droste-Hülshoff Annette von Droste-Hülshoff wurde am 10. Januar 1797 auf Schloss Hülshoff, einer

Wasserburg bei Münster, geboren. Neben ihrer katholischen Erziehung erhielt sie

zusammen mit ihren drei Geschwistern Privatunterricht, bei dem ihre musischen und

dichterischen Neigungen gefördert wurden. Bereits im Alter von sechs Jahren be-

gann sie erste Gedichte zu schreiben.

Ab 1813 bekam sie Kontakt zum Bökendorfer Kreis (hessische Romantik), dem auch

die Brüder Grimm angehörten. Später lernte sie u.a. A.�W. Schlegel, K. Simrock und

ihre Freundinnen Sybille Mertens-Schaaffhausen und Adele Schopenhauer kennen.

Bereits 1820 machte sie sich erste Notizen zur „Judenbuche“. Nach dem Tod ihres

Vaters zog sie 1826, gemeinsam mit ihrer Mutter und Schwester, nach Rüschhaus.

Zehn Jahre später wurde ihr erster Gedichtband veröffentlicht, der wenig Beachtung

fand. Levin Schücking, der Sohn einer Freundin, wurde ein enger Freund, der Annet-

tes Begabung erkannte und als Förderer ihres dichterischen Schaffens wirkte. Annet-

te beschäftigte sich fortan mit westfälischen Stoffen und arbeitete an der Novelle

"Die Judenbuche". Während des Winters 1841/42, den sie auf der Meersburg ver-

brachte, wurde sie literarisch sehr produktiv. So entstand in kurzer Zeit eine Reihe

ihrer schönsten Gedichte, unter anderem der Zyklus "Heidebilder". Die "Judenbuche"

wurde durch Schückings Vermittlungen 1842 in 16 Teilen in "Cottas Morgenblatt"

veröffentlicht. 1844 erschien ihr zweiter Gedichtband. Ihre letzten Lebensjahre ver-

brachte sie körperlich schon sehr geschwächt auf ihrem Anwesen in Meersburg am

Bodensee, wo sie am 24. Mai 1948 verstarb.

Werkliste (Auswahl Dichtungen) - Hospiz auf dem großen Sankt Bernhard (Epos, 1828-1833)

- Die Schlacht vom Loener Bruch A. 1623 (Epos, 1837/38)

- Die Judenbuche.

(Novelle erschienen in der Zeitschrift Morgenblatt für gebildete Leser.) 1842.

- Die Taxuswand (1841)

- Das Spiegelbild (1842)

Balladen zwischen 1840 und 1842:

- Die Vergeltung

- Die Schwestern

- Der Tod des Erzbischofs Engelbert von Köln

- Das Fegefeuer des westfälischen Adels

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- Die Stiftung Cappenbergs

- Der Spiritus des Rosstäuschers

- Der Knabe im Moor

- Westfälische Schilderungen. (1845)

- Das geistliche Jahr. (Gedicht-Zyklus), 1818–1820 / 1839–1840

- Bei uns zu Lande auf dem Lande. (Fragment, Nachlass), 1862.

ERLÄUTERUNG DES BEGRIFFS NOVELLE

Die Novelle ist eine kurze Erzählung aus dem Bereich der Epik, eine Kurzprosa, deren.

sich aus dem Lateinischen (novus ~ neu) oder auch dem Italienischen (novella ~ Neu-

igkeit) ableitet. Es gibt bestimmte Merkmale, die eine Novelle ausmachen. Sie hat

eine strenge, geschlossene Form mit einem klaren Aufbau und wenig Hintergrundin-

formationen. Dennoch ist die Erzählung häufig nicht chronologisch – Zeit und Raum

können sich auf unlogische Weise ändern. Die Erzählweise zeichnet sich durch dra-

matische Elemente aus, wobei der Erzähler dem Leser wenige Hintergrundinformati-

onen gibt. In einer Novelle wird nur das Notwendigste, dafür aber auch das Bedeut-

samste, erzählt. Meist gibt es einen Wendepunkt, häufig in Form eines Schicksals-

einbruchs im Leben der Protagonisten, der für den Leser in der Regel überraschend

ist, in der Novelle jedoch durch Vorausdeutungen eingeleitet wird. Insofern geht es

immer um eine konkrete Situation oder eine Verflechtung bestimmter Begebenhei-

ten, in der die tiefsten Probleme eines Menschenlebens durchleuchtet werden. Bilder

und Symbole verstärken die Bedeutung der Novelle auf der metaphorischen Ebene.

Der Kreis der Personen, die in die Handlung involviert sind, ist sehr begrenzt und

verändert sich im Laufe der Geschichte meist nicht.

Zentrales Element einer Novelle ist immer ein Skandal oder ein Ereignis, welches au-

ßergewöhnlich, unerhört oder neuartig ist. Dennoch ist die Handlung glaubhaft.

Zudem verweist die Novelle, ähnlich wie eine Parabel und Fabel, auf eine Wirklichkeit

außerhalb der Geschichte. Sie kann folglich als moralisierend empfunden werden

und birgt eine Wahrheit, die auch außerhalb der Erzählung gültig ist.

Die Judenbuche zählt zu den Meisterwerken der deutschen Novellenkunst. Sie „ist ein

Werk des Übergangs von der Romantik zum Realismus. Knapp und realistisch be-

ginnt sie dieses Werk, romantisch sind aber die Landschaftsbeschreibungen, der

Aberglaube der Dorfbewohner und die Stimmungskunst, realistisch hingegen wie-

derum die sachliche Art der Schilderung.“ http://judenbuche.jimdo.com/biografie-der-droste/

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ENTSTEHUNG UND HINTERGRUND

Im Kindesalter ist Annette von Droste Hülshoff regelmäßig bei ihren Verwandten auf

dem Schloss Bökerhof in der ostwestfälischen Ortschaft Bökendorf, einem unmittel-

baren Nachbarort des "Dorf B.", dass in Wahrheit Bellersen hieß, zu Besuch gewesen.

Dort hörte sie viele Geschichten von ihrem Onkel August von Haxthausen, unter an-

derem die des Knechts Hermann Winkelhannes, einem Selbstmörder aus der Gegend,

über den ihr Onkel auch 1818 ein Buch veröffentlichte: „Geschichte eines Algierer

Sklaven“. Diese Kriminalgeschichte beruht auf Tatsachen einer Gerichtsakte. Aller-

dings ging es ihr weniger um die Spannungseffekte eines Krimis, sondern viel mehr

um die Charakterisierung einer Landschaft und ihrer Menschen. Annette von Droste

Hülshoff nahm diese Kriminalgeschichte als Grundlage für die Judenbuche. In dieser

Geschichte wird von Hermann Winkelhannes erzählt, der als Neunzehnjähriger den

Schutzjuden Soestmann-Behrens, genannt Pinnes, aus Vörden wegen einer ange-

mahnten Restschuld erschlug. Der Verhaftung entzog er sich durch die Flucht und

kehrte erst 1806 aus algerischer Sklaverei in seine Heimat zurück, wo er sich im sel-

ben Jahr an einem Baum im „Kleinen Kiel“, einem Waldstück südwestlich von Beller-

sen, erhängte. „Angedroht war ihm dieses furchtbare Ende durch die hebräischen

Zeichen, welche ein Rabbiner in den Baum geschnitten hatte, unter dem er den Ju-

den im „Heiligen Geist Holze“ (= Abbenburger Forst), ca. 3 km östlich von Bellersen,

erschlagen hatte.“ Moritz, Karl-Phillipp: Annette von Droste-Hülshoff Die Judenbuche. Sittengemälde und Kriminalnovelle, 1980, S. 9

Der Baum wurde zwei Jahre später gefällt. Winkelhannes wurde trotz des Selbst-

mords auf Bitten der Familie Droste am 18. September 1806 in Bellersen katholisch

beigesetzt.

Auch bei der Geschichte über Winkelhannes wird ein Jude ermordet. Die Stellung der

Juden ist zu der damaligen Zeit sehr umstritten. Sie galten bei der Bevölkerung als

geschäftstüchtig und fleißig, immer darauf aus ein gutes Geschäft zu machen. Doch

obwohl sie gute Händler waren, wurden sie als verschlagen und betrügerisch gese-

hen. Da ihr Glaube ihnen nicht verbot Zinsen zu nehmen, verliehen sie sehr oft Geld.

Fakt ist, dass die Wirtschaft damals ohne die Juden schlechter gelaufen wäre und die

Armut dadurch noch größer gewesen wäre. Dennoch wurden sie stets beschimpft,

wohnten meist in ihren eigenen kleinen Vierteln und hatten weitaus weniger Rechte

als die übrige Bevölkerung. Margreth bläut ihrem Sohn schon früh ein, dass Juden

„alle Schelme“ seien und nennt Aaron einen „verfluchten Juden“. Auf der Hochzeits-

feier heißt es: „Packt den Juden! Wiegt ihn gegen ein Schwein!“ und über Lumpen-

moises sagt der Gutsherr: „… und während wir tafelten, hat sich der Hund von einem

Juden an seinem Strumpfband erhängt.“

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Hier die Orte, die

Schauplätze der

Judenbuche sind:

A = Bökendorf

http://www.laurentianum.de/lref0303.htm

Das Dorf B. liegt idyllisch in einer Umgebung von Wäldern, Flüssen und Hügeln.

Es ist weit entfernt von größeren Ortschaften. Und auch aufgrund dieser einsamen

Lage konnten sich hier eigene Begriffe von Recht und Moral etablieren. Holzdieb-

stahl und Wilderei gehören zum Alltag der Dorfbewohner, und werden nicht geahn-

det. Das eigene Recht der Dorfbewohner (Gewohnheitsrecht) gewinnt die Oberhand,

wodurch sie ihre illegalen und zum Teil gewaltsamen Machenschaften verharmlosen

können und nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

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FIGURENKONSTELLATION

Erklärung verkümmertes Spiegelbild (Friedrich – Johannes, im Reclamheft S.18): Droste nutzt hier das

romantisches Motiv des Doppelgängers. Die Spaltung des Ichs wird über das Doppelgänger-Motiv von

den Romantikern abgebildet und wird zudem von Droste zur Veranschaulichung des Konflikts zwi-

schen personaler und sozialer Identität eingesetzt.

FIGUREN

(Vorstellung der zentralen Personen mit Figurinen unseres Bühnen- und Kostümbild-

ners Alexandre Corazzola)

Friedrich Mergel

Friedrich entwickelt sich von einem zurückgezogenen Kind zu einem sehr hochmüti-

gen und stolzen, aber auch gewaltbereiten Mann, vom unscheinbaren Jungen einer

Witwe zum bedeutenden Dorfjugend-Anführer. Diesen hohen Rang verteidigt er oft

mit Fäusten. Ihm ist sein Äußeres wichtiger als sein Inneres.

Page 12: Die Judenbuche - Startseite

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Dennoch kann er es nicht ertragen, wenn

andere schlecht über seinen verstorbenen

Vater sprechen.

Seinem Onkel gegenüber benimmt er sich

von Anfang an ergeben. In einem Milieu

wie der Dorfgemeinschaft kann man nur

durch die Unterwerfung unter die

Gruppennormen sicher und gut leben. Hier

liegt der Grund für Friedrichs Empfind-

lichkeit und auch für seine

Repräsentationssucht, die aus seinen

früheren gesellschaftlich geächteten

Verhältnissen entstand. Er ist wie jeder in

der Gruppe seinen Normen verpflichtet

und gerade er darf sich im Rückblick auf

seine Herkunft kaum einen Fehltritt

leisten.

Hier eine Skizze mit den wichtigsten Stationen in Friedrichs Leben

Page 13: Die Judenbuche - Startseite

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Margreth Mergel

Margreth ist zunächst eine souveräne Frau, die

ihren Mann heiratet in dem Glauben, dass eine

Frau, die von ihrem Mann schlecht behandelt wird,

daran selber schuld sei. Sie zerbricht aber langsam

an ihm und der Umwelt und ist erst recht überfor-

dert nachdem ihr Mann tot aufgefunden wurde.

Margreth weiß, dass es schwer wird den Jungen zu

versorgen, da sie keine Arbeit hat und sie kennt

das Zwielichtige ihres Bruders Simon durchaus,

aber sie kann es sich unter dem Druck der

Verhältnisse nicht leisten, sich gegen sein Angebot

zu sperren, Friedrich zu sich zu nehmen. Sie gibt

nach und übergibt Friedrich in die Hände und

Dienste ihres Bruders. Ab diesem Zeitpunkt kapselt

sie sich von der Gesellschaft ab und verwahrlost

mehr und mehr bis sie schließlich stirbt.

Simon Semmler Simon ist der Bruder Margreths, der nach dem

Tod ihres Mannes Friedrich zu sich nimmt. Er

ist in viele zwielichtige Geschäfte verwickelt,

gilt als unheimlich, unzugänglich und

streitsüchtig. Kein Wunder, dass er auf

Friedrich hat einen schlechten Einfluss

ausübt. Er konfrontiert Friedrich immer

wieder mit dem Tod seines Vaters Hermann,

um ihn einzuschüchtern. Er gehört einer

Bande illegaler Holzfrevler an. In dieser

Verbindung hat er höchstwahrscheinlich auch

den Förster Brandis mit einer Axt erschlagen.

Er wird mit Fischaugen, einem Hechtgesicht

und rötlichem Stoppelhaar beschrieben.

Im Sinne obrigkeitsstaatlichen Rechtsdenkens

und einer moralischen Lebensführung mag

Semmler eine recht fragwürdige Existenz

sein, als Wegbereiter Friedrichs zur ersehnten,

weil für die Selbstachtung notwendigen

Integration in die Dorfgemeinschaft, ist er höchst willkommen.

Allerdings hält sein suspekter wirtschaftlicher Erfolg jedoch nicht lange an hat und

er stirbt verarmt in einem fremden Schuppen.

Page 14: Die Judenbuche - Startseite

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Johannes Niemand

Johannes ist Simons unehelicher Sohn. Er

sieht Friedrich verblüffend ähnlich, sogar so

sehr und, dass selbst dessen Mutter ihn für

ihren Sohn hält. Die Figur dieses Doppelgän-

gers hat vor allem die Aufgabe, Friedrich die

ständig drohende Gefahr des Identitätsver-

lusts vor Augen zu führen. Johannes ist im

Gegensatz zu Friedrich eher willenlos, ängst-

lich und geduckt. Er und Friedrich ergänzen

sich gewissermaßen und werden gute

Freunde, gerade auch durch die gemeinsamen

Arbeiten für Simon Semmler. Sein Nachname

kommt daher, dass Johannes aus einer

Liebschaft seines Vaters entstand und von

ihm vernachlässigt wird.

Förster Brandis

Die Förster Brandis, der Vater wie der Sohn,

vertreten die gutsherrliche Obrigkeit. Der Vater

kämpft vergeblich gegen die Bande der Blaukit-

tel an. Er ist großspurig und spricht aus was er

denkt. Auf der Jagd nach den Holzfrevlern wird

er ermordet, wobei Friedrich Mergel in

Verdacht gerät. Der Sohn findet Jahrzehnte

später die Leiche des Erhängten an der

Judenbuche.

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Herr von S.

Der Gutsherr, auch als Herr von S. bezeichnet, ist in allen Fällen als erste Instanz der

Obrigkeit beteiligt. Das Verhältnis Grundherr zur armen bäuerlichen Bevölkerung

wird vom Konflikt um die Nutzung der Wälder beherrscht. Der Gutsherr erscheint als

korrekte, patriarchalische Figur und ruhender Pol in der Geschichte.

Jude Aaron Der Jude Aaron ist das Opfer einer Tat, für die erst Friedrich Mergel verantwortlich

gemacht wird. Er wird ermordet an der Jundenbuche aufgefunden. Jedoch wird der

Fall nie ganz aufgeklärt. Aaaron ist ein jüdischer Geschäftsmann aus dem Nachbar-

dorf S. und durch seine Geschäfte hat er manche Schuldner. Auch Friedrich Mergel

hat Schulden bei Aaron. Während der Hochzeitsfeier stellt er Friedrich boloß, in dem

er die austehenede Zahlung für eine Taschwenuhr eintreiben will. Das wäre ein mög-

liches Motiv für die Mordtat. Allerdings taucht später Lumpenmoises auf. Er ist Mit-

glied einer kriminellen Bande und hat möglicherweise den Mord an Aaron gestanden.

Wilm Hülsmeyer

Der junge Bauernsohn spielt die Rolle einer Kontrastfigur. Im Unterschied zu Fried-

rich verfügt er von vornherein über eine gesunde soziale Identität, die ihn überlegen

macht. Er leitet zudem die Entlarvung Friedrichs vor der Hochzeitsgesellschaft ein.

ANLAGE DER INSZENIERUNG

In unserer Inszenierung gibt es 5 Spieler, die die Geschichte rund um Friedrich Mergel

erzählen und spielen. Der Erzähltext wurde als Vorlage genommen und auf die Spie-

ler aufgeteilt. Jeder dieser Spieler ist dabei einer Figur zugeordnet uns ist Anwalt

seiner Figur. Gemeinsam erzählen sie die Geschichte nach, springen dabei immer

wieder in die Situation, berichten dann aus ihrer Perspektive, ergreifen Partei und

wollen für ihre Figur werben. Dafür wurden auch Textstellen einer Figur von einer

anderen weggenommen und übernommen, da sie sich dadurch einen Vorteil erhofft

und diesen Text zum Beispiel ironisieren kann. Jeder hat also ein bestimmtes und

dringendes Anliegen, den Zuschauern die Geschichte noch einmal aus seiner Per-

spektive zu erzählen und dabei so überzeugend wie möglich seinen Standpunkt zu

den Geschehnissen klarzumachen. Durch diese – in der Novelle an verschiedenen

Stellen bereits angelegte – Grundidee ermöglicht die Inszenierung es den Figuren für

ihre Handlungen einzustehen und dem Publikum sich selbst ein Bild zu machen und

zu entscheiden, welcher Aussage es glauben schenken möchte. Dabei prallen ver-

schiedene Sichtweisen und Meinungen immer wieder aufeinander, Allianzen werden

gebildet und aufgelöst, scheinbar eindeutige Fakten relativiert und in Frage gestellt.

Ist eingetretenes Unheil Ausdruck einer höheren Macht oder vielmehr Konsequenz

menschlichen Handelns innerhalb einer bestimmten Gesellschaft?

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3. THEMEN & IDEEN FÜR DIE NACH- UND VORBEREITUNG

Eigentum

Die Fragen wem gehört was, was gehört dem Adel, was gehört der Natur oder ist

von Gott für alle gleichermaßen gegeben tauchen immer wieder in der Novelle auf.

In Margreth Semmlers Erklärung über das Eigentum an Holz und Wild kommt ihre

Ablehnung gegen die (bestehende) Ordnung zum Ausdruck. „Höre, Fritz, das Holz

läßt unser Herrgott frei wachsen, und das Wild wechselt aus eines Herren Lande in

das andere. Die können niemand angehören.“ Sie sieht die Natur für alle gegeben und nicht als Eigentum des Adels. Allerdings fügt sie ihrer Meinung über das Natur-

recht hinzu: „Doch das verstehst du noch nicht. Geh jetzt in den Schuppen, und hol

mir Reisig“. Hier kommt ihre Angst zum Vorschein, die Angst vor dem Unheil, das

über sie kommen würde, wenn sie die Gebote nicht praktiziert oder sich in irgendei-

ner Weise gegen sie auflehnt. Obwohl sie aus ihrem Denken, ihrer Vernunft heraus,

ein anderes Recht für das Richtige hält, traut sie sich nicht, dies Friedrich mitzutei-

len, sondern fürchtet die bevorstehende Strafe.

Wo beginnt für die Schüler Eigentum? Wann gehört ihnen etwas? Was liegt in der

Grauzone? Wer ist Eigentümer: sie selber, die Eltern, die Stadt? Was ist mit der Natur

– gehört ein Wald, ein Meer oder ein Gebirge jemandem? Hatten sie schon mal Ei-

gentumsstreit? Um welchen Gegenstand wurde gestritten? Wie eindeutig war in die-

sem Streit, wer der wirkliche Eigentümer ist?

Lassen Sie die Schüler zu zweit eine Diskussion darstellen: Der eine behauptet, ihm

gehöre die Tasche/das Handy… des anderen. Wie schnell wird aus der Diskussion ein

Streit?

Einen Schritt weiter: Die anderen Schüler dürfen vorher nicht wissen, wem der Ge-

genstand tatsächlich gehört. Die beiden streiten vor der Gruppe darum und denken

sich evtl. Tatsachen aus. Wem glauben die Schüler? Wem gehört der Gegenstand?

Recht - Unrecht

Die letzte Übung geht direkt über in das Thema Recht und Unrecht. Was ist richtig,

was ist falsch? Wer darf urteilen? Wie richtet dieser, wirklich objektiv oder zum Nut-

zen von wem? Aus welchem Grund urteilt er, mit welchen Vorurteilen behaftet, aus

welchem Interesse? Diese Fragen passen alle auf die vorherige Übung und sind zu-

dem Teil der Novelle.

Zum Beispiel kommt es nach dem Mord an Brandis zu einer Gerichtsverhandlung.

Wer ist bei dieser Verhandlung anwesend und wer darf dort urteilen?

Lassen Sie die Schüler die Verhandlung vor Gericht szenisch nachspielen. Verteilen

Sie die Rollen, jeder kann sich kurz vorbereiten und anschließend findet der Prozess

statt – Kommen die Schüler zum gleichen Urteil? Was sagen die Zusehenden, wie

hätten sie geurteilt? Man kann auch eine Figur durch mehrere Schüler sprechen las-

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sen, dann können mehr Schüler mitmachen und die Figur hat gleich viele Anwälte

auf einmal.

Eine andere Möglichkeit ist, dass die Schüler die Aufgabe erhalten, das Abschluss-

plädoyer des Staatsanwaltes und/oder des Verteidigers zu schreiben. Welche Tatsa-

chen nehmen sie darin auf, welche lassen sie aus taktischen Gründen weg und haben

sie eine besondere Strategie, um ihren Schützling zu verteidigen oder den Angeklag-

ten zu überführen?

Außenseiter

„Droste stellt die unweigerlich negativen

Konsequenzen und die tragischen

Verstrickungen unter dem Druck von

Gruppennormen grell heraus. Das

gewaltsame Ende des Försters und des

Juden, beide Außenseiter in der Dorfge-

meinschaft, signalisiert die Gefahren

einseitiger Gruppenorientierung. Der

Förster stirbt, weil er sich von Amts

wegen gegen das Gewohnheitsrecht und

die öffentliche Meinung stellt, und der

Jude ist Opfer einer sich in maßloser

Aggression äußernden Frustration. Auf

der Strecke bleibt der außerhalb der

Gruppe Stehende, sei es auf Grund seines

Amtes oder seiner rassisch-religiösen

Zugehörigkeit. Das individuelle Gewissen

ist angesichts der Diktatur von

Gruppennormen zum Schweigen

verurteilt. Wer seine Existenz nicht aufs

Spiel setzen möchte, fügt sich.“ Moritz, Karl-Phillipp: Annette von Droste-Hülshoff Die Judenbuche. Sittengemälde und Kriminalnovelle, 1980

Diese Gruppennormen sagen also: Ordne dich unter oder du bist raus! Es ist ein Mo-

dell einer außengesteuerten Gesellschaft, die Gesellschaft ist in eine Gruppe der An-

gesehenen und Dazugehörigen sowie in eine Gruppe der Außenseiter aufgeteilt.

Wenn die Dazugehörigen sich gegen bestimmte Leute stellen und sie zu Feinden er-

klären, kommt es zu gewaltsamen Übergriffen bis hin zum Mord. Eine selbstbe-

stimmte Persönlichkeit scheint ausgeschlossen.

Fragen Sie die Schüler, wer bei der Judenbuche ein Außenseiter ist und warum? Sind

diese Personen schon immer Außenseiter, werden sie zu welchen gemacht und än-

dert sich ihre Stellung und sie gehören zum Kreis der Angesehenen?

Teilen Sie die Schüler in Gruppen auf. Jede Gruppe macht einen Kreis. Entweder Sie

als Lehrer oder die Schüler selber (das können Sie besser einschätzen) bestimmen

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Jemanden, der Außenseiter sein soll. Dieser steht außerhalb des Kreises und ver-

sucht hineinzukommen. Erst mit Worten, dann mit seinem Körper. Die anderen las-

sen ihn aus Gründen, die ihnen gerade in den Sinn kommen, nicht hinein oder igno-

rieren ihn. Nach kurzer Zeit wird gewechselt, so dass jeder mal der Außenseiter ist.

Fragen Sie danach die Schüler: Wie fühlt es sich an draußen zu stehen, nicht mit da-

zuzugehören, aus banalen, oberflächlichen und erfundenen Gründen Außenseiter zu

sein, allein zu stehen, kein Gehör zu bekommen, sich nicht verteidigen zu können?

Und wie ist es für die Gruppe? Wir fühlen sich die Schüler, die zur Gruppe gehören?

Wie sehen sie den Außenstehenden? Haben sie ihn wahrgenommen, wie haben sie

sich zu ihm verhalten?

Geben Sie den Schülern die Aufgabe, aufzuschreiben oder eine Collage zu gestalten

zu dem Thema Außenseiter und vor allem durch was man zum Außenseiter werden

kann (zum Beispiel ‚falsche‘ Kleidung, uncooles Hobby, merkwürdiges Verhalten…)

Diskutieren Sie mit den Schülern, ob es wichtig ist, zu einer bestimmten Gruppe zu

gehören. Was für Vor- und Nachteile gibt es, wenn man einer Gruppe angehört und

damit bestimmten Normen befolgen zu muss und welche Vor- und Nachteile hat es,

demgegenüber außen vor zu stehen?

Das Dorf und seine Bewohner

Die Bewohner sind wie eben beschrieben eine Gesellschaft, aufgeteilt in Angesehene

und Außenseiter, die (teilweise aus Angst) an ein Gewohnheitsrecht glauben, das

vom Adel bestimmt wird, die dieses recht oft durch Gottgewollt begründen bei

Missachtung zu Strafe führt. Das Dorf liegt abseits, sehr einsam, umgeben von Wäl-

dern, Flüssen und Gebirge.

Lassen Sie die Schüler einen Bericht für ein Reisemagazin schreiben, beispielsweise

über einen bestimmten Wanderweg oder eine Mountainbike-Strecke oder eine Kajak-

tour. Was gibt es zu entdecken?

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Ein Zusatz: Lassen Sie die Schüler bei ihrer Tour auf Bewohner des Dorfes B. treffen.

Wie ist die Begrüßung, das Kennenlernen? Wie würden sie diese Bewohner beschrei-

ben? Wie sollte man sich als Tourist ihnen gegenüber verhalten?

Holz – und Jagdfrevel

Die Holzrechte spielten in der Gutsherrschaft Haxthausen eine große Rolle. Die Frei-

herren beanspruchten alle Holzrechte. Die Bredenborner, denen lediglich das Recht

auf das Les- und Fallholzsammeln im Masterholz und im Bollkasten eingeräumt wur-

de, sahen sich allerdings als Miteigentümer der beiden Forste an.

Lassen Sie die Schüler einen Zeitungsartikel schreiben. Titel: „Holz-Bande erneut ge-

wütet!“ Ein Teil der Klasse soll aus Sicht des Dorfadels schreiben, der zweite Teil aus

der Sicht der nächstgelegenen größeren Stadt und der dritte Teil der Schüler aus

Sicht der ärmeren Bevölkerung aus dem Dorf. Was sind inhaltliche Unterschiede, wie

wird die Tat gewertet und in welchem Stil wurde der Artikel verfasst?

Lassen Sie die drei Gruppen, vertreten aus jeweils 2 Schülern, im Wald aufeinander

treffen und über dort liegendes Holz diskutieren. Was passiert? Das Holz kann wie

oben beschrieben Fallholz sein oder eben auch von einer Holzdiebes-Bande liegen

gelassen worden sein. Dabei können auch erst 2 Parteien aufeinander treffen und die

dritte Partei stößt dazu.

Wer ist der Mörder?

„Die Judenbuche" ist ein Werk, das vornehmlich zum Fragen anregt und das, auch

nachdem man es gelesen hat, noch offen und rätselhaft bleibt. Es gibt gleich mehre-

re Morde, die unaufgeklärt bleiben, vorrangig der des Försters Brandis und der des

Juden Aaron. In den meisten Deutungen und Erklärungen zur Judenbuche wurde

Friedrich als Mörder des Juden Aarons angenommen. Aber gerade in den letzten Jah-

ren wandelte sich diese Meinung und die Unaufklärbarkeit dieses Mordes und damit

die Nicht-Überführung des Täters überwog.

„Im Brederholz, das umstrittene Wirtschafts- und Rechtsgebiet, in dem undurchsich-

tigen und unheimlichen Wald, werden die vier Toten gefunden und es bleibt unge-

klärt, wie der alte Mergel, Förster Brandis, Jude Aaron und Friedrich sterben. Nur

durch Zufall werden die Leichen gefunden: der Oberförster durch die Brombeerran-

ken, welche sich an der Flaschenschnur eines Försters verhäkelten; der Jude in dem

dürren Laub eines Grabens, von einem Hund aufgestöbert; der erhängte Friedrich,

weil sich der junge Brandis zufällig unter der Buche ausruhte, in der die Leiche ver-

borgen hing.“ Moritz, Karl-Phillipp: Annette von Droste-Hülshoff Die Judenbuche. Sittengemälde und Kriminalnovelle, 1980, S. 59

Lassen Sie die Schüler die einzelnen Taten nacherzählen, die Fakten sammeln und

Vermutungen zu den Mördern und Motiven anstellen.

Im Anschluss können die Schüler die verschiedenen Mordszenarien nachspielen. Gibt

es in der Klasse eine Tendenz zu einem Szenario, wer also der Mörder war.

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Lassen Sie die Schüler die Motive und Gründe für die Rückkehr Friedrichs als Johan-

nes nach 28 Jahren darstellen - Erfüllt sich da ein „Schicksal“?

Lassen Sie die Schüler einen inneren Monolog von Friedrich unter der Judenbuche

schreiben, kurz bevor er sich erhängt - Ist der Selbstmord (wenn es überhaupt einer

war) von Friedrich Mergel am Ende ein Schuldeingeständnis?

Auch innerhalb des Ensembles wurde die Frage nach Recht und Unrecht, Schuld und

Unschuld der Beteiligten stark diskutiert und nicht einheitlich beantwortet worden.

Auch wer für die Morde am Förster Brandis und dem Juden Aaron verantwortlich ist,

wurde im Team unterschiedlich eingeschätzt.

Kristo Šagor, Autor und Regisseur: Ich denke, Droste-Hülshoff lässt die Frage be-wusst offen. Wir sollen es nicht wissen. Wir sollen uns mit unseren Zuschreibungs-

mustern auseinander setzen: Welche Indizien reichen, um mich sicher zu fühlen, wer

es war? Denn ja, man soll sich sicher sein, daß Friedrich es war – und sich dann

selbst widersprechen.

Anna Dreher, Regieassistentin: Der Mord an Aaron ist aus den Informationen, die

Droste-Hülshoffs Novelle enthält, nicht aufklärbar. Das ist natürlich ziemlich hinter-

hältig, die Novelle so zu gestalten, und ein gemeiner Schachzug von Droste-Hülshoff.

Wobei sie sich ja auf historische Dokumente bezieht und wahrscheinlich selbst nicht

mehr Informationen zur Verfügung hatte. Das Problem ist: Wir wissen nichts über

das Opfer. Jede Mordermittlung startet beim Opfer und erkundet dessen soziales

Umfeld, dessen berufliche und private Kontakte, dessen Tätigkeiten. Wir aber wissen

über das Opfer nur: Er hieß Aaron, war Jude und verlieh Geld. Vermutlich gab es eini-

ge, sogar viele Menschen, die ein Motiv für den Mord an ihm hatten. Die Novelle

aber konzentriert sich nur auf Friedrich, dessen Motiv (die öffentliche Demütigung

durch Aaron) doch ziemlich dürftig war. Gründe für sein Verschwinden hingegen gibt

es einige. Er hatte ja noch anderen Dreck am Stecken. Lumpenmoises, der ja später

den Mord an einem Juden namens Aaron gesteht und sich kurz darauf aufhängt,

kann es gewesen sein. Aber hier wird ganz richtig festgestellt: Die Beweise fehlen.

Die Unaufklärbarkeit des Mordes ist es wahrscheinlich, die die Novelle überhaupt

erst so interessant macht. Sie bleibt unabgeschlossen, kann also nicht einfach ab-

gehakt werden, sondern rumort und arbeitet weiter.

Ilja Harjes, Schauspieler: Es spricht vieles dafür, dass Friedrichs Onkel, Simon Semm-

ler, für den Mord an Brandis verantwortlich ist, da dieser sich offensichtlich unmit-

telbar nach dem Mord eine neue Axt besorgt hat und von Friedrich überführt wird.

Wer den Juden Aaron getötet hat ist dagegen unklarer: Zwar hat ein Mann namens

Lumpenmoises aus einem anderen Dorf den Mord an einem Juden Aaron zugegeben,

es ist aber nicht erwiesen, dass es sich dabei um denselben Aaron handelt. Für Fried-

rich als Mörder spricht, dass er Schulden bei Aaron hatte und von ihm wegen diesen

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peinlich vorgeführt wurde. Seine Flucht spricht aber nicht zwangsläufig für seine

Schuld, er kann auch geflohen sein, weil die Indizien für ihn sprachen und er aus Er-

mangelung eines Alibis seine Unschuld nicht beweisen konnte. Ich tendiere eher da-

zu, Lumpenmoises für den Mörder zu halten, da ich nicht glaube, dass es in der Ge-

gend einen weiteren Juden namens Aaron gab, der im Wald ermordet wurde. Hätte

es einen zweiten Aaron gegeben, wäre dessen Verschwinden vermutlich nicht un-

entdeckt geblieben.

Manuel Herwig, Schauspieler: Leider kann man aus dem Text nicht eindeutig erken-

nen, wer den Juden Aaron umgebracht hat. Ich kann mir aber vorstellen, dass es

Friedrich war und dass er sich deshalb umgebracht hat. Vielleicht kann man aber

trotzdem sagen, dass er nicht nur Täter, sondern auch Opfer ist. Die äußeren Um-

stände, die Gesellschaft und seine Erziehung hatten sicher eine Mitschuld.

Frank-Peter Dettmann, Schauspieler: Aarons Mörder heißt für mich Friedrich Mergel – er hat ein emotionales Motiv, Schulden beim Juden Aaron, der Friedrich öffentlich

vorführt und so seine Würde verletzt. Brandis Mörder heißt für mich Simon Semmler

und der Mittäter Friedrich Mergel. Simon erkundigt sich bei Magreth über Ihren

Sohn, das ist Friedrichs Eignungstest. Und ohne Friedrichs Tatbeitrag würde die

Mordtat misslingen. Friedrichs Suizid in der Judenbuche ist für mich der Beweis für

seine unsterblichen Schuldgefühle als Täter und Mittäter. Simons Satz an Friedrich

»Du sollst kein Zeugnis ablegen gegen Deinen Nächsten« überführt für mich Simon

als Haupttäter.