homotropismus und allotropismus, homophilie, allophilie und ihre unterarten

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Homotropismus und AIIotropismus, Homophilie, AIIophilie und ihre Unterarten. Von Wilhelm Roux. Im Anschluss an die vorstehende Abhandlung" iiber >>Die Paren- chymhaut und ihrc Erkrankungen, yon E. KROMAYER scheint es mir angemessen, einige Termini technici fur neu zu unterscheidende gestaltende Wirkungsweisen in Vorschlag zu bringen. Als ich im Jahre 1893 entdeekt hatte, dass manche Furchungs- zellen, uenn sie sieh in geringem Abstande yon einander befin- den, sich geradcn Weges einander bis zur Beriihrung nithern, belegte ich diese ~Wirkungsweise~ mit dem Namen Cytotropismus. Bei diesel" Namengebung wurde die allgemeinere Bezeichnung Cytotaxis (yon v5~r Ordnung), also Zellenordnung, ftir dic Zu- sammenfassung aller Arten yon >>Selbstordnung,, freier und im Ver- bande befindlieher Zellen reservirt. Ich unterschied danach auf Grund weiterer direkter Beobachtung an Furehung'szellen die fl:,t c h e n h aft e Zusammenftigung sich bereits bertihrender Zellen als Cytarme (yon (~r die Zusammenftig'ung), das Gleiten sich berUhrender Zellen an einander, also das Zellengleiten, als Cytolisthesis (yon d),t- a~alwo, gleiten) und die Selbsttrennung sieh punktuell oder fliichenhaft berUhrender Zellen, also dis Zellentrennung, als Cytochorismus (yon Xeo,ol~r trennen)l). Zu diesen kommt also als letzte bis jetzt 1) Die Zellentrennung (Selbsttrennung der Zellen) habe ich im Jahre 1885 als erstes sichtbares Zeichen des Aufhtirens der Entwiekelung wie des lokalen oder totalen Absterbens an Blastulae, Gastrulae und noeh nicht oder erst schwaeh im G a n z e n reflektorisch erregbarer junger Embryonen des Frosches erkannt. Bei dem scheinbar spontanen oder bei dem wirklich aus inneren Ur- sachen erfolgenden Absterben der ffenannten Gebilde, wie aueh oft in der Um- gebung von Wunden derselben runden sieh unter L~isung des fl~iehen- haften Verbandes die Zellen zur Kuget, wodurch die 0berfi'~che des

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Page 1: Homotropismus und Allotropismus, Homophilie, Allophilie und ihre Unterarten

Homotropismus und AIIotropismus, Homophilie, AIIophilie und ihre Unterarten.

Von

Wilhelm Roux.

Im Anschluss an die vorstehende Abhandlung" iiber >>Die Paren- chymhaut und ihrc Erkrankungen, yon E. KROMAYER scheint es mir angemessen, einige Termini technici fur neu zu u n t e r s c h e i d e n d e g e s t a l t e n d e W i r k u n g s w e i s e n in Vorschlag zu bringen.

Als ich im Jahre 1893 entdeekt hatte, dass manche Furchungs- zellen, uenn sie sieh in g e r i n g e m A b s t a n d e yon e i n a n d e r befin- den, sich geradcn Weges einander bis zur Beriihrung nithern, belegte ich diese ~Wirkungsweise~ mit dem Namen Cy to t rop i smus .

Bei diesel" Namengebung wurde die a l l g e m e i n e r e Bezeichnung Cyto tax i s (yon v5~r Ordnung), also Z e l l e n o r d n u n g , ftir dic Zu- sammenfassung aller Arten yon >>Selbstordnung,, freier und im Ver- bande befindlieher Zellen reservirt. Ich unterschied danach auf Grund weiterer direkter Beobachtung an Furehung'szellen die fl:,t c h e n h af t e Z u s a m m e n f t i g u n g sich bereits bertihrender Zellen als C y t a r m e (yon (~r die Zusammenftig'ung), das Gleiten sich berUhrender Zellen an einander, also das Z e l l e n g l e i t e n , als C y t o l i s t h e s i s (yon d),t- a~alwo, gleiten) und die Selbsttrennung sieh punktuell oder fliichenhaft berUhrender Zellen, also dis Z e l l e n t r e n n u n g , als C y t o c h o r i s m u s (yon Xeo,ol~r trennen)l). Zu diesen kommt also als letzte bis jetzt

1) Die Z e l l e n t r e n n u n g (Selbst trennung der Zellen) habe ich im Jahre 1885 als erstes sichtbares Zeichen des Aufhtirens der Entwiekelung wie des lokalen oder totalen Absterbens an Blastulae, Gastrulae und noeh nicht oder erst schwaeh im G a n z e n reflektorisch erregbarer junger Embryonen des Frosches erkannt. Bei dem scheinbar spontanen oder bei dem wirklich aus inneren Ur- sachen erfolgenden Absterben der ffenannten Gebilde, wie aueh oft in der Um- gebung von Wunden derselben r u n d e n s i e h u n t e r L~isung d e s f l~ i ehen- h a f t e n V e r b a n d e s d ie Z e l l e n zur K u g e t , wodurch die 0berfi'~che des

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untersehiedene Unterart der gegenseitigen Zellenordnung oder Cyto-

taxis die Selbstn~herung yon einander entfernter Zellen gegen ein- ander, der Cytotropismus (s. dieses Archiv. Bd. I. 1894, und Bd. III.

1896).

Diese ~qamen gelten natUrlich alle nicht nur ftir die entspreehen-

den Leistungen der ,Furchungszellem,, an denen ich diese Leistungen

zuerst im Einzelnen nachwies, sondern fth" entsprechende Leistungen

aller Arten yon Zellen, so weit solche erkannt sind oder noeh werdeu.

Einige fi'anzSsische Autoren scheinen dagegen zu glauben~ der Name

Cytotropismus sei bloB auf Furchungszellen anwendbar.

Die Verfolgung des C y t o t r o p i s m u s von den Furchungszellen auf neue Gebiete hat nunmehr das Bediirfnis nach neuen Bezeich-

nungen ftir die Verschiedenheiten seines Vorkommens hervorge-

bracht. Aus diesem Grunde hat KROMAYER ftir das von ihm den jugend-

lieh besehaffenen Epithelzellen beigelegte Bestreben, sich einander zu

n~ihern~ also fiir die diese b~aherung" veranlassende und vollziehende

Gebildes Ahnlichkeit mit der Oberfl~iche einer Himbeere erh'~ilt. Desshalb nannte ich diesen Zustand F r a m b o i s i a e m b r y o n a l i s f ina l i s ; letzteres Beiwort gab ich dem Zustande, weil er das Lebensende ankiindigt.

Diese w i c h t i g e R e a k t i o n s f ~ i h i g k e i t junger e m b r y o n a l e r Epi- the lze l l en , den epithelialen Verband vor dem Absterben zu liisen, wurde von mir auch bei elektriseher Durchstrlimung sowie bci Einwirkung zu koncentrirter Chemikalien (Kochsalzl(isung, Glycerin, Borsiiurc, Wasserglas) beobaehtet; und dies geschah nach Einwirkungen yon stofflichen Agcntien nicht bloB am iiul]eren Keimblatte, sondern bei geniigend starker Koncentration auch am mittleren und inneren Keimblatte, wesshalb ieh F ramboi s i a ex te rna und in te rna unter- schied. Diesen beiden wlire wohl speciell fiir das mittlere Keimblatt noch die Bezeichnung F r o m b o i s i a i n t e r m e d i a hinzuzuftigen.

Die Framboisia externa bedingte auch den von mir nach bestimmt abge- messener Borsiiureeinwirkung beobachteten Abfa l l des E p i t h e l s bloB im Bereiehe der M e d u l l a r p l a t t e , wodurch ich vollkommene Amyel ie des Embryo hervorzubringen hoffte, was aber durch Regeneration verhindert wurde.

Auf den Abbildungen von mikroskopischen Schnitten seitens deskriptiver Forscher fiudet sich die Framboisia gelegentlieh deutlieh wiedergegeben, ohne dass die Autoren sieh bewusst geworden sind, dass sie Absterbeerscheinungen reproducirt haben; diese Erscheinungen aber legen zugleieh die Vermuthung nahe, dass aueh sehon manehes Andere der gleichzeitigen Befunde nicht mchr als normal aufzufassen ist. (Siehe meine Gesammelten Abhandlungen. Bd. II. pag. 151 u. f, 173, 563, 564, 887).

Es hat noeh keiner der Nachfolger in dcr Anwendung chemischer Re- agentien sich auf diese Angaben bezogen und aus ihnen Anlass genommen, der specie l len ursiichlichen Vermittelung dieses wichtigen Vorganges des C tochorismus nachzuspiiren.

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~Wirkungsweise~ der bctreffenden Zellen auf einandcr, die Bezeich- nung E p i t h e l i o t r o p i s m u s de r E p i t h e l z e l l e n angewandt.

Da die Epithelzcllcn normaler Weise sich ausgedehnt f l ~ c h e n - haf t zusammenfUgcn , so giebt cs also auch eine ~Epithelioarme der Epithelzellen. In Gleichem ist das Sichzusammenfiigen der motorischen Nerven mit den Muskclzellen (z. B. in der motorischen Nervencndplatte oder mit EndknSpfchen, wclche dcn Herz- oder glat- ten Muskelfasern an- oder cinliegen) als Myarme der m o t o r i s c h e n Nervcn oder kurz als Neuro-Myarme zu bczeichnen; ebenso wie das Eindringcn der sensiblen /qcrven in die Epithellager und die Ausbrcitung dieser ~ervcn in ihnen durch Ver~tstelung als die Folge einer anderen bcsonderen Wirkungswcisc der beidcrlei morphologisch bethciligtcn Gebildc auf einander aufzufassen ist~ welche Ep i the l i o - a rme der s cns ib l en YNerven oder Neuro-Epithelioarme gc- nannt wcrden kann.

Fiir das Z u s a m m e n v o r k o m m e n des C y t o t r o p i s m u s und de r C y t a r m e hat KROMAYER den sehr gut gewiihltcn ~amen -ph i l i e (yon ~ft)~ia, Liebe, Freundschaft) eingefUhrt und redct in diesem Sinne yon einer E p i t h e l i o p h i l i e de r Ep i the lze l l en .

Ferner gcbraucht er fill" die yon ihm wahrscheinlich gemachte Ncigung" der Epithelzellen, sich dcm Bindegewcbe zu nahern, den YNamen D e s m o t r o p i s m u s der Ep i the l i en . Und da auch hier der N~therung his zur Beriihrung gewShnlich eine f l~ tchenhaf te Zusam- menlegung, eine Cytarme, folgt; so wurdcn be ide Wirkungsweiscn zusammen als D c s m o p h i l i e des E p i t h e l s benannt.

In Zukunft werden wohl noch manche derartige Wirkungs- weiscn erkannt werden und danach yon ihren Entdeckern mit Specialbezeichnungen zu belegen scin.

Schon jetzt aber hat sich das BedUrfnis nach Bezeichnungen ftir zwci allgemeinere Verhalten ftihlbar gemacht: Erstens ftir Tro- pismus untcr g l e i c h a r t i g e n Gebilden, den man wohl passend Homotropismus (yon 5!t6~ gleich~ ~hnlich) nennen kann; z. B. den Homotropismus der Furchungszellen, Roux, zuR STRASSE~, RHUMBLER U.A., der Epithclzellen, KROMAYER, mancher Samenzellen, HARTOG 1), E. BALLOWITZ, L. AUERBACH, und der sich konjugirenden Protisten, BALBIANI~ BUTSCHLI~ MAUPAS.

1) Die von HARTOG vorgeschlagene Bezeichnung Adelphotaxie (Geschwister- ordnung) ist nur fiir Allgemeines anwendbar; fiir Specielles ist sie nieht ge- niigend bezeiehnend und bildsam.

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Zweitens ist zu benennen der Tropismus unter v e r s c h i e d e n - a r t i g e n Gcbilden als Allotropismus (yon ~)~o~, anders), z. B. der Epithelzellen gegen das Bindegewebe~ KRO~IAYER, der Samenzellen gegen die Eizellen, sowie der Samenzellen im Hoden zu den SER- TOLI'schen Stiitzzellen, besser Samcn-~hrzellen genannt (GROBBEN).

Da sich in diesen beiderlci Arten yon Beispielen Ze l l en einander ntihern, so handelt es sich also genauer bezeichnet um Cyto-Allo- tropismus und um Cyto-Homotropismus; doch geht dies aus der speciellen Anwendung schon hervor, und cs kann dahcr fiir gewiihn- lich die kUrzere Bezeichnung gebraucht werden, ohne dass Missver- st~ndnisse zu beftirchten w~tren.

Da die Nerven in einen transplantirten Theil, z. B. in eine angesetzte Nase, im Laufe einiger Monate hineinsprossen und das ganze Gcbilde mit Empfindungsncrven versehen, so ist trotz der noch mangelnden Sicherstellung des embryonalen entwickelungs- geschichtlichcn Verhaltens der sensiblen ~crven ihnen wohl jetzt schon ein Tropismus zum Bindegewebe sowie zum Epithelialgewebc zuzuerkennen. Wir kiinnen also yon Desmotropismus und Epl- theliotropismus der sensiblen Nerven reden, welchc beide sich den Allotropismen subsumiren. Und cine, wie vermuthet wird, w~th- rend des Embryonallebens stattfindcnde, nachtriigliche Einsprossung dcr vorderen Nervenwurzcln des Riickcnmarks in die Muskelanlagen wUrde auf einen Myotropismus der motorischen Nerven hin- deuten, ftir dessen Wirken auch schon manche Thatsachen der Wundheilung motorischer ~erven zu sprecheu scheinen.

Wie weir Allo- und Homotropismen auch bei anderen Lebcns- gebilden vorkommen, ist noch zu ermitteln. Sofern z. B. die Ge- schlechtskerne bci ihrer Kopulation im Ei irgendwic a k t i v , wenn auch vielleicht nur durch Aus lSsung sie zusammenfUhrender Be- wegungen des Protoplasmas im Ei, sich betheiligen, so ist ihre-Zu- sammenftihrung schon als K a r y o t r o p i s m u s , speciell als Karyo- Allotropismus zu bczeichnen (s. dieses Archiv. Bd. I. pag. 198; da- selbst auch Chromatinotropismus).

Entsprechende Namenbildungen werden zweckmiiBiger Weise auch auf das yon KRO~L~(E~ mit -phi l ie bezcichnete Z u s a m m e n v o r - k o m m e n yon ,Tropismus,, und )~Arme,, auszudehnen sein. Danach giebt es eine Homoph~ilie z. B. der Epithelzellen unter einander und ferner cine Allophilie z. B. des Epithels zu dem Bindegewebe.

Auch werden nach den vorstehenden ErSl~erungen drei Allo- philicn des Nervenffewebes zu unterscheiden sein: Erstens diejenige

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zum Epithelialgewebe als Neuro-JEpitl, eliopl, ilie, zweitens die zum Bindegewebe als Neuro-Desmophilie und drittens die erst vermuthete zum Muskelgewebe als _Neuro-MyopIHlie, welche Arten aueh als Epitheliophilie, Desmophilie und Myophilie der betreffenden Nerven bezeichnet werden k~nnen.

Das Wesentliche dieser Aufstellungen ist ftir jetzt, dass wir m a n e h e (nieht alle) Arten morphologiseher Thatsaehen yon beson- de ren , sie hervorbringenden, also >~urs~tchliehen W i r k u n g s - weisen~ der m o r p h o l o g i s c h bethei l ig te-n Geb i lde a u f ein- a n d e r ableiten.

Alle diese unterschiedenen Wirkungsweisen yon Zellen oder Zelltheilen oder -Derivaten auf einander mUssen auf experimen- tellem Wege des Genaueren in ihren Spec ia lvorg i~ngen und ihren S p e c i a l u r s a c h e n erforseht werden.

In dem MaBe als dies geschieht, werden auch sowohl das Ge- me insame dieser W.irkungsweisen wie ihre Versehiedenheiten und die Ursaehen der letzteren ermittelt werden.

Manche Autoren werden jetzt daran AnstoB nehmen, dass bier fur jede der g'enannten Arten (nicht ftir jede beliebige Art) yon Formbildungen zun~chst eine b e s o n d e r e Wirkungsweise angenommen wurde. Daher sei daran erinnert, dass jede Analyse ihrem Wesen nach zun~chst zur Vervielt~iltigung und erst sp~tter dutch Ausdehnung auf weitere Gebiete bei dem Hervortreten derselben Arten yon Wir- kungsweisen zu einer Vereinfaehung ftihrt. Diese Vereinfachung wird sich durch die~ soeben als niithig bezeiehneten Untersuchungen allm~hlich ergeben; hoffentlich in ahnlicher Weise, wie es mir frtiher mSglich war, die millionenfach versehiedenen Einzelgestaltungen der funktionellen Anpassung yon bloB zwei dabei gestaltend betheiligten Wirkungsweisen abzuleiten: yon der trophischen Wirkung der funktionellen Reize resp. der Vollziehung der Funktion und yon der versehiedenen Ausbreitungsweise dieser Reize in den verschiedenen Geweben resp. Organen (s. Gesammelte Abhandlungen. Bd. I. Ab- handlung Nr. 4: Der ziiehtende Kampf der Theile im Organismus. 1881).