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Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer Berufsschädigungen in der nationalsozialistischen Neuordnung der Arbeit

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Page 1: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, WadauerBerufsschädigungen in der nationalsozialistischen

Neuordnung der Arbeit

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Veröffentlichungen der ÖsterreichischenHistorikerkommission. Vermögensentzug

während der NS-Zeit sowie Rückstellungenund Entschädigungen seit 1945 in Österreich

Herausgegeben vonClemens Jabloner, Brigitte Bailer-Galanda, Eva Blimlinger,

Georg Graf, Robert Knight, Lorenz Mikoletzky, Bertrand Perz,Roman Sandgruber, Karl Stuhlpfarrer und Alice Teichova

Band 16

Oldenbourg Verlag Wien München 2004

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Alexander Mejstrik, Therese Garstenauer, Peter Melichar,Alexander Prenninger, Christa Putz, Sigrid Wadauer

Berufsschädigungen in der national-sozialistischen Neuordnung der Arbeit

Vom österreichischen Berufsleben 1934zum völkischen Schaffen 1938 –1940

Oldenbourg Verlag Wien München 2004

Österreichische Gesellschaft für ZeitgeschichteBildarchiv, Sammlung Spiegel

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Für Fr. Ef.

Wir danken Martina Gaigg für die anspruchsvollen und gelungenen graphischen Lösungen.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2004. R. Oldenbourg Verlag Ges.m.b.H., Wien.

Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurchbegründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in EDV-Anlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiserVerwertung, vorbehalten.

Satz: Martina GaiggDruck: AZ Druck und Datentechnik, D-87437 KemptenWissenschaftliche Redaktion: Mag. Eva BlimlingerUmschlaggestaltung: Christina BrandauerLektorat: Mag. Eva Blimlinger, Dr. Renate Stark-Voit

ISBN 3-7029-0524-3 R. Oldenbourg Verlag WienISBN 3-486-56778-0 Oldenbourg Wissenschaftsverlag München

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Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm 7

1. Zwei Räume 251.1. Berufsarbeit als völkisches Schaffen 1938 –1940 25

1.1.1. Auslese und Ausmerze in der völkischen Neuordnung der Berufsarbeit 26

1.1.2. Völkische Berufsarbeit als dreidimensionaler Raum 391.2. Das Berufsleben der österreichischen Bevölkerung 1934 78

2. Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens 972.1. Drei Schätzungen 972.2. Zeittafel 1072.3. Kalender 125

3. Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik 1473.1. Notare 1693.2. RechtsanwältInnen 1953.3. PatentanwältInnen 2273.4. ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen 2283.5. ÄrztInnen 2413.6. ApothekerInnen 2493.7. Tierärzte 272

4. ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen 2794.1. Öffentlicher Dienst 284

4.1.1. WissenschafterInnen an Universitäten und Hochschulen 3364.1.2. Öffentliche Bedienstete in Justiz, Exekutive und Militär 342

4.2. ArbeiterInnen und Angestellte der Privatwirtschaft 3724.2.1. Leitende Angestellte 4364.2.2. Die ArbeiterInnen und Angestellten der ehemaligen Orga-

nisationen der gewerblichen Wirtschaft in der Ostmark 4434.2.3. Geschädigte, Verfolgte und Profiteure:

Wer ist Opfer? Wer Täter? 4604.3. Exkurs: Unternehmer – Entjudung, Säuberung, völkische

Berufsbereinigung 465

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6 Inhaltsverzeichnis

5. Freie Berufe II: Die Erfindung des Kulturschaffens 487

6. Erhebungen und Quellenbestände 5356.1. Die Vermögensanmeldungen vom 27. April 1938 5356.2. Kartei der politisch Verfolgten 5416.3. Opferfürsorgeakten 5466.4. Die Rechtsakten der Vermögensverkehrsstelle 5556.5. Akten der Hilfsfonds 5656.6. Akten der Entschädigungsstelle für die Angestellten der

Organisationen der gewerblichen Wirtschaft in der Ostmark 5686.7. Die Auswanderungskartei der Israelitischen Kultusgemeinde Wien 5766.8. Der Fonds zur Abgeltung gewisser Ansprüche nach dem

Siebenten Rückstellungsgesetz 580

7. Postskript: Was kann (man) beim Zählen zählen? 601

8. Anhang 6118.1. Der Raum völkischen Schaffens: statistische Konstruktion

(Korrespondenzanalyse) 6118.1.1. Eingangstabelle: Individuen, Fragen/Antworten 6148.1.2. Rechenergebnisse 642

8.2. Tabellen 644

9. Literatur- und Quellenverzeichnis 6659.1. Verzeichnis der zitierten Literatur 6659.2. Verwendete Quellen 683

9.2.1. Zitierte Literatur und publizierte Materialien 6839.2.2. Archivalien 6899.2.3. Interviews 693

9.3. Verzeichnis der Tabellen 6949.4. Verzeichnis der Graphiken 699

Autorinnen und Autoren 702

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0. Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm

„Was ist Jan Kiepura eigentlich für ein Landsmann?Neulich wurde ihm ein Konzert in Berlin verboten.Da war er der Jude Kiepura. Dann trat er in einemFilm des Hugenbergkonzerns auf. Da war er der be-rühmte Tenor der Mailänder Scala! Dann pfiff man inPrag sein deutsch gesungenes Lied ,Heute nacht odernie!‘ aus. Da war er der deutsche Sänger Kiepura.(Dass er Pole war, erfuhr ich erst viel später).“1

Bei der historiographischen Auseinandersetzung mit der NS-Herrschaftkommt bestimmten Themen eine gleichsam selbstverständliche Vorrang-stellung zu, andere werden bloß gestreift, manchmal sogar ausgeklammert.Das ist auf Grund der Ungeheuerlichkeiten dieser Geschichte verständlich,führt aber zur Konstruktion einer Geschichte, die mehr Bild und Narrationist als wissenschaftlich konstatierter Tatbestand, da wichtige und dauer-hafte Strukturveränderungen der österreichischen Gesellschaft weitgehendausgeblendet bleiben und die nationalsozialistische Überpolitisierung2 oft(nur mit geänderter politischer Einstellung, aber als solche) unverändertals Darstellungsprinzip übernommen wird.

Auch im Zusammenhang mit Arisierungen wird meist lediglich an dieEnteignung von Unternehmen, Immobilien und Vermögenswertengedacht,3 kaum jedoch an die unterschiedlichen Interventionen in indivi-duelle Berufs- und Arbeitsgeschichten. So wundert es nicht, dass diemassenhaften rassisch-, politisch- oder sonst wie nationalsozialistisch be-

1 Viktor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen, Berlin 1996, S. 43.2 Mit „surpolitisation“ bezeichnet Gisèle Sapiro die Tendenz des Vichy Regimes, alles

und jedes zu einer politischen Frage zu machen, eine Tendenz, die für autoritäre Herr-schaft insgesamt gelten könnte, vgl. Gisèle Sapiro: La raison littéraire. Le champ lit-téraire francais sous l’Occupation (1940 –1944), in: Actes de la recherche en sciencessociales 111–112 (1996), S. 3 – 35, hier v.a.: S. 12.

3 Vgl. zB Hans Witek: „Arisierungen“ in Wien. Aspekte nationalsozialistischer Enteig-nungspolitik 1938 –1940, in: Emmerich Tálos, Ernst Hanisch, Wolfgang Neugebauer,Reinhard Sieder, Hg.: NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien 2000,S. 795 – 816.

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8 Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm

gründeten Umstrukturierungen der Arbeits- und Berufsmärkte währendder NS-Herrschaft in Österreich bislang nicht systematisch untersuchtworden sind. Zwar wurde häufig, vor allem mit Hinweis auf Kultur undWissenschaft, auf den gewaltigen Verlust aufmerksam gemacht, der durchdie Jahre der nationalsozialistischen Okkupation und Aufhebung Öster-reichs zu beklagen ist. Forschungen jedoch, welche die Gründe und Ur-sachen, die Folgen und Auswirkungen der Berufsverbote, Entlassungenusw. in vergleichender, überschauender Perspektive – synchron und dia-chron – untersuchen, fehlen.4 Mit der Vielfältigkeit und dem Umfangdieses Fragenkomplexes hängt es wohl zusammen, dass sich die bisherexistierenden Arbeiten zumeist auf relativ kleine und wohldefinierte Grup-pierungen beschränken, die auf Grund der Quellenlage als abgrenzbareEinheiten erscheinen.

So finden sich Monographien über einzelne Verfolgten- und Berufs-gruppen, welche die zwangsweisen Entfernungen aus dem offiziellenArbeits- und Berufsleben als ein Problem unter anderen Problemen derGeschichte dieser Gruppen im Nationalsozialismus abhandeln.5 Ebensobleiben die entsprechenden Hinweise oft nur auf eine grobe Charakte-risierung der Entwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und –wenn überhaupt – auf pauschale Bemerkungen und Vermutungen zuVerlauf, Hergang, Umfang und Folgen der Entlassungen usw. beschränkt.Schließlich scheinen die meisten dieser Historiographien in einer Alter-native von objektivistischer und subjektivistischer Beschreibung6 gefangen,die Metaphern der Gleichschaltung7 und der Säuberungswellen stehen

4 Ein Versuch, die „Germanisierungen“ zumindest in einer anderen langfristigen Perspek-tive zu behandeln, nämlich in der einer österreichischen Wirtschaftsgeschichte ins-gesamt, findet sich bei Roman Sandgruber: Ökonomie und Politik. ÖsterreichischeWirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Wien 1995, S. 419 – 423.

5 Eine Ausnahme stellt hier am ehesten noch die jüngst verfasste Diplomarbeit von Eva-Maria Sedlak dar, die das Thema zwar nur für Juden und Jüdinnen, jedoch zumindestals solches zum ersten Mal entwirft, vgl. Eva-Maria Sedlak: Die berufliche Ausgren-zung österreichischer Juden im Jahr 1938 vom „Anschluss“ bis zur „Reichskristall-nacht“. Dipl.Arb. Wien 2000.

6 Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlageder kabylischen Gesellschaft. Frankfurt/M. 1979, S. 139 –164.

7 „Innerhalb kürzester Zeit bot die Universität Wien ebenso wie alle anderen Universi-täten und Hochschulen Österreichs das äußere Bild von nationalsozialistischen Insti-tutionen. Der Gleichschaltungsprozess war effektiv, setzte unmittelbar nach demEinmarsch der deutschen Truppen ein, stieß auf keinen Widerstand und vollzog sich

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teilweise unverbunden neben der personalisierenden, quasi-juridischenSuche nach individueller Verantwortung. Doch mit Bildern, die gänzlichvon allem historischen Tun abstrahieren, lässt sich ebenso wenig verstehen,wie mit der Zuschreibung von Schuld erklären.

Ein noch unbearbeitetes Forschungsthema zu eröffnen bedeutet, vielegrundsätzliche Fragen und viele Fragen grundsätzlich stellen zu müssen.Es bedeutet, das Ausgangsproblem auszutesten, zu korrigieren, zu refor-mulieren – wissenschaftlich zu berichtigen. Denn solch ein Thema existiertimmer schon auf vorkonstruierte8 Weise als mehr oder minder vielfältigesSpektrum von Vorstellungen, die ihren Sinn aus diversen Logiken bezie-hen, nur gerade nicht aus der Logik spezialisierten Erklärens und Verste-hens, die wissenschaftliche Forschungen auszeichnen sollte9. Auch die Fragenach Entlassungen und Berufsverboten als Formen nationalsozialistischerVerfolgung – die Ausgangsperspektive der Projektarbeit – erwies sich inkürzester Zeit als Vorkonstrukt: als Bild mehr denn als Modell, als einejener Intuitionen, deren wissenschaftlicher Sinn nach Gaston Bachelardeinzig ist, berichtigt werden zu können10. So veränderten sich Fragen undAntworten fortwährend, sowohl implizit (durch die konkreten Erhebungs-und Konstruktionsentscheidungen) als auch explizit (in den Teamdiskus-sionen, -reflexionen und -planungen) in jedem einzelnen Arbeitsschritt. Dasnach zwei Jahren Projektarbeit vorläufige Ergebnis dieser Berichtigungenist die Komplizierung der unmittelbar einleuchtenden Ausgangsideen11 zu

Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm 9

ähnlich jenem in der öffentlichen und staatlichen Verwaltung, im Vereinsleben undin der österreichischen Wirtschaft.“ Brigitte Lichtenberger-Fenz: Österreichische Hoch-schulen und Universitäten und das NS-Regime, in: Emmerich Tálos, Ernst Hanischund Wolfgang Neugebauer, Hg.: NS-Herrschaft in Österreich 1938 –1945. Wien1988, S. 269 – 282, hier: 270.

8 Emile Durkheim: Les règles de la méthode sociologique. Paris 1937 (11894), S. 31– 34.9 Spezialisiertes Erklären und Verstehen als Prinzip und Einsatz einer Wissenschaft als

innovativer experimenteller Forschung meint ein Erklären/Verstehen, das vor allemselbstbezüglich aufs Erklären/Verstehen ausgerichtet ist und gerade nicht auf die Er-füllung nicht-wissenschaftlicher Nachfragen; vgl. Alexander Mejstrik: Editorial, inÖsterreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 3/8 (1997), S. 309 – 311.

10 „Dans ses rapports avec les images, le surobjet est très exactement la non-image. Lesintuitions sont très utiles: elles servent à être détruites.“ Gaston Bachelard: La phi-losophie du non. Essai d’une philosophie du nouvel esprit scientifique, Paris 41966(11940), S. 139.

11 Diese Fragen funktionierten so wie jene, die der Relativitätstheoretiker an die Newton-sche Physik stellt: „Comment vous servez-vous de votre idée simple? [...] Commentla connaissez-vous? Comment vous proposez-vous de nous la faire connaître, à nous

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10 Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm

einem unterschiedlich dicht ausgearbeiteten Erklärungsmodell. Wissen-schaftliche Forschung war auch hier nicht Komplexitätsreduktion, sondernHerstellung von Komplexität.

Was waren also nationalsozialistische Verfolgungen im Bereich von Ar-beit und Beruf? Was waren Entlassungen, was Berufsverbote? Was warenVerfolgungen? Wer waren die Verfolgten und was wurde verfolgt? Waswaren Berufe und was war Arbeit im nationalsozialistischen Land Öster-reich, in der Ostmark und in den Alpen- und Donaureichsgauen?

In einem ersten Bruch mit der augenscheinlichen Klarheit der Aus-gangsfrage ergibt schon eine bloß oberflächliche Zusammenstellung dernationalsozialistischen Politik- und Verwaltungsmaßnahmen ein ziemlichdisparates Bild. Ganz unterschiedliche Aktionen von unterschiedlichemRechtsstatus wurden zu unterschiedlichen Zeiten von unterschiedlichenPersonen und Institutionen gesetzt und richteten sich auf unterschiedlicheZielgruppen: Einen Beruf- und Arbeitsmarkt, auf dem eine zentralisierteund koordinierte Intervention möglich gewesen wäre, gab es im März 1938offensichtlich (noch) nicht.

Den bald einsetzenden Versuchen der neuen nationalsozialistischenMachthaber, den Öffentlichen Dienst und einige der politisch und admi-nistrativ relevanten freien Berufe zu säubern, wie es in der völkischenSprache hieß, standen die zahlreichen Initiativen von bestehenden Berufs-vertretungen (wie zum Beispiel den Kammern) oder Privatleuten (Unter-nehmerInnen, Gewerbetreibende usw.) zur Seite, aber auch gegenüber.Von Anfang an kam es zu mehr oder minder offenen Interessenkonflikten.Ebenso verfolgte etwa Reichskommissar Bürckel nicht immer dieselbenZiele wie andere nationalsozialistische Politiker, wie die Gestapo, die DAF,die NSBO. Instanzen der alten Verwaltung, wie zum Beispiel WienerMagistrate oder Teile der Richterschaft, intervenierten in diese Konfliktemit eigenen Einsätzen. Nationalsozialistische Parteistellen hatten wiederumandere, eigene Prioritäten. Diejenigen, deren Berufs- und Arbeitsgeschich-ten von den neuen Regelungen, Säuberungen oder sonstigen Aktionenirgendwie negativ betroffen waren, wehrten sich mehr oder weniger, oderaber nicht, akzeptierten die neuen Gewaltmaßnahmen in unterschiedlichemAusmaß auf unterschiedliche Weise. Für die Gekündigten und Entlasse-

qui n’appartenons pas à votre système de référence? Bref, comment faites-vous fonc-tionner votre concept?“ Gaston Bachelard: Le nouvel esprit scientifique, Paris 131975(11934), S. 47.

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nen veränderten sich die zum Leben notwendigen Ressourcen je nachdem,ob sie die ihnen zustehenden Lohnfortzahlungen und Abfertigungen er-hielten oder nicht. Für sie war dies entscheidend, „eine Lebensfrage“12.Ob jemand rechtzeitig emigrieren konnte, wurde dadurch maßgeblichbeeinflusst. Einige suchten und fanden irgendwelche Auswege aus ihrerneuen materiellen Misere, einigen gelang es sogar, in der Emigration gutFuß zu fassen, für viele war der Verlust ihrer Erwerbsarbeit der Beginnihrer Verfolgung und Vernichtung.

Die Unüberschaubarkeit dieser Konjunkturen wird dabei noch durchzwei weitere Umstände verstärkt. Erstens schien sich die allgemeine Orien-tierung der nationalsozialistischen Arbeitsmarkt- und Berufspolitik, alsoein wesentlicher Rahmen für die eben angesprochenen Ereignisse, geradezwischen 1938 und 1939 insgesamt zu verändern. Zweitens wiesen diediversen Arbeits- und Berufsmärkte zumindest zu Beginn dieser Zeit nochsehr unterschiedliche Ordnungen auf. Der Beruf als verallgemeinerte histo-rische Institution sollte – in Ansätzen – von den nationalsozialistischenPolitiken und Verwaltungen erst hervorgebracht werden, was im Folgen-den ausführlich zu zeigen ist. Davor war „das österreichische Berufsleben“,wie die staatlichen Statistiker und Demographen in ihrer Auswertung derVolkszählung 1934 schrieben,13 kaum unter einer einheitlichen Perspektivezu bändigen – wovon die vielen Widersprüche und Ungereimtheiten ebendieser Volkszählung, die dabei ja sorgfältig und reflektiert vorbereitet wor-den war,14 zeugen. Beruf zum Beispiel, um nur eines der augenfälligstenProbleme zu nennen, fungierte dort in grundlegender Ambivalenz alsOber- und zugleich als Unterkategorie einer Taxonomie, die sich auch alslogische (umfassende und hinreichende) verstanden wissen wollte: alsSynonym für „Erwerbstätigkeit“ überhaupt und gleichzeitig als Bezeich-nung für eine Reihe ganz bestimmter technisch erlernbarer Kompetenzenund Fertigkeiten (nach der Art traditioneller Gewerbe): „Die Berufszuge-hörigkeit der Bevölkerung ist bei der vorliegenden Volkszählung durchdrei Angaben erfasst worden: durch die Zugehörigkeit zu einer Wirtschafts-

Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm 11

12 Konsulent Dr. Hans Israel Wantuch an die Entschädigungstelle vom 15. Mai 1939,HKWA, Kt. 2941/9.

13 Die Ergebnisse der Österreichischen Volkszählung vom 22. März 1934 bearbeitet vomBundesamt für Statistik. Heft 9 Tirol, Wien 1935, S. III.

14 Vgl. Dieter Josef Mühl: Der Wandel des Burgenlandes und seiner Berufsstruktur an-hand der Volkszählungen 1934 –1951–1971–1991. Dipl.Arb. Wien 1995, S. 16 – 25.

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12 Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm

art [...] durch die Zugehörigkeit zu einem Berufe und durch die Stellungim Berufe.“15 So war es in dieser hochoffiziellen Bestandsaufnahme undDefinition von Wirtschaft und Arbeitsmarkt möglich, einen Beruf zu habenund gleichzeitig keinen Beruf zu haben (vgl. Kapitel 1.2. Das Berufslebender österreichischen Bevölkerung 1934, S. 78). Wie ist mit solchen Unüber-sichtlichkeiten, Widersprüchen und Unschärfen umzugehen?

Beruf war und ist keine abstrakt logische Kategorie.16 Und was bei dennationalsozialistischen Berufsverboten und Entlassungen, bei der Festle-gung von politischen Gegnern und Fremdrassigkeit offensichtlich ist, dasgalt auch für die Bestimmung von Berufs- und Arbeitsgeschichten. Es gingum etwas, um unterschiedliche Interessen und Einsätze mit gravierenden,sogar fatalen Folgen. Die Bezeichnungen (von Berufen, von arbeitsrechtli-chem Status, von nationalsozialistischer Rasse und politischer Gesinnung)dienten nicht einfach zur kognitiven Durchdringung und Ordnung derWelt, nicht einfach zur quasi hermeneutischen Setzung von Identität undSinn. Sie funktionierten als Einsätze zur Durchsetzung von sozialen/kultu-rellen Interessen, deren Durchsetzungsmächtigkeiten und -chancen extremungleich waren.

Die Widersprüche in den Quellen, die Disparatheit der Informationen,die Ungereimtheiten der diversen Angaben, die verwirrende Vielfalt vonDetails, Episoden und Ereignissen, auf die man unweigerlich stößt, so-bald man sich dem Thema empirisch zu nähern versucht – sie sind damitkeine Erkenntnishindernisse, die mit klaren und einfachen Definitionen17

auf pragmatisch bearbeitbare und auszählbare Größen zurechtgestutztwerden müssten. Die Angaben in den Akten sind nicht einfach wahr odergelogen oder unwahr, sondern funktionierten in ganz unterschiedlichenpraktischen Kontexten. Dies gilt natürlich für jede Quelle, so wie auch dieFrage nach Wahrhaftigkeit so gut wie nie schlüssig zu beantworten (unddaher letztlich irrelevant) ist und so wie die Wahrheit im objektiven (undnicht ökonomischen, politischen usw.) Sinn nicht in den Quellen liegt, son-dern von der wissenschaftlichen Forschung produziert wird.

15 Ergebnisse Volkszählung, Heft 9, S. III.16 Dazu noch immer grundlegend vgl. Alain Desrosières und Laurent Thévenot: Les mots

et les chiffres: les nomenclatures socioprofessionnelles, in: Économie et Statistique110 (1979), S. 49 – 65.

17 Zur Unterscheidung solcher „concepts opératoires“ von den wissenschaftlich funktio-nierenden „concepts systémiques“ vgl. Pierre Bourdieu, Jean-Claude Chamboredon

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Vorweg inhaltlich zu bestimmen, was (als Entlassung, als Beruf undArbeit, als Verfolgung usw.) und wer (als Opfer, Täter, Mitläufer usw.) wie(mehr oder weniger wichtig, als erklärender oder zu erklärender Faktorusw.) in die Untersuchung eingehen, oder aber nicht eingehen darf, hättenur dazu geführt, die Unterschiedlichkeit der Interessen an und die damitverbundenen Auseinandersetzungen um Beruf und Arbeit, Entlassung undKarriere, Verfolgung und Erfolg, Opfer und Täter, Wichtigkeit und Un-wichtigkeit nicht mehr fassen zu können. Vorgängige Definitionen undEntscheidungen juridischer, politischer und/oder moralischer Art erlauben,ja erfordern bei Forschungen einen prinzipiellen blinden Fleck: Sich expost für eine Perspektive zu entscheiden heißt die multiperspektivischenAuseinandersetzungen nicht erfassen zu können, denen sich alle Perspekti-ven, und damit auch diejenige, für die man sich entschieden hat, verdanktenund verdanken. Diese Auseinandersetzungen als solche zu rekonstruierenheißt hingegen, die Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgungenam Berufs- und Arbeitsmarkt zu verstehen. Das Prinzip der Kräfte- undSinnverhältnisse zu formulieren, auf denen diese Auseinandersetzungengründeten und die sie im Gegenzug begründeten, heißt, diese Geschichtewissenschaftlich zu erklären.

Die Forschungen des Projekts konnten daher die Fragen nach Schädi-gung und Vorteil, nach Schuld und Opfer nicht als beantwortet und nichtals Grundlage, Referenz oder Fluchtpunkt der Untersuchungen anneh-men, sondern mussten die mannigfachen zeitgenössischen impliziten wieexpliziten Formulierungen und Beantwortungen dieser Frage zum Gegen-stand von Erklärungen machen. Die Arbeit des Projekts basierte daher aufdem Bemühen, den Forschungsgegenstand als variations- und kontrast-reiches Spektrum zu konstruieren: als historischen Raum18 möglicherArbeits- und Berufsgeschichten19, in dessen Struktur die unterschiedlich-

Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm 13

und Jean-Claude Passeron: Le métier de sociologue. Préalables épistémologiques. Berlin,New York und Paris (11967, 21973 revisée) 1983, S. 53 – 54.

18 Das heißt als einen Zusammenhang (System) aller Tätigkeiten – mit einer relativ autono-men Logik, mit eigenen Grenzen, Zulassungen und Hierarchien, mit eigenen Tugendenund Fehlern, mit eigenen Einsätzen und Verteilungen, Konsekrationen und Sanktionen.

19 Mit dem Konzept der -geschichten wird hier an das der „trajectoires“ angeschlossen,wie es von Pierre Bourdieu vorgestellt worden ist, vgl. zB Pierre Bourdieu: Conditionde classe et position de classe, in: Archives européennes de sociologie 7/2 (1966),S. 201 – 223, hier: S. 205; Pierre Bourdieu: Champ du pouvoir, champ intellectuelet habitus de classe, in: Scolies, Cahiers de recherche de l’école normale supérieure 1

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14 Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm

sten Tätigkeiten – Episoden, Politiken, Ereignisse, Maßnahmen, Konflikteusw. – als reale Fälle jenes Möglichen verortet sind. So können diese indem verstanden werden, was sie vereinte: nämlich dass sie alle an der histo-rischen Konstituierung von Arbeiten und Berufen mitwirkten, sich alle indiesem Sinn für Arbeiten und Berufe als Zusammenhang irgendwie ein-setzten und damit als Einsätze im Raum der Berufsarbeiten historischwirkten. Gleichzeitig können sie in dem erklärt werden, was ihre Wider-sprüchlichkeit ausmachte: nämlich auf unterschiedliche (verschiedene undungleiche), mehr oder minder konfliktive Weisen an dieser Konstituierungmitzuwirken und damit als je partikulare Berufs- und Arbeitseinsätze histo-risch zu wirken. Konsens und Opposition, Zusammen- und Gegenein-anderwirken lassen sich daher als zwei Momente jeder einzelnen Tätigkeitbegreifen. Deren gegenseitige Gewichtung festzustellen ist ein experimentel-les Problem. An die Stelle von Typologien – allen voran der Hilbergschenvon Tätern, Opfern und Mitläufern20 – konnte so ein Strukturmodell desSpektrums aller möglichen Übergänge zwischen allen möglichen Artentreten, sich eher für oder eher gegen die Etablierung einer deutsch-völki-schen Ordnung einzusetzen – und zwar nicht überhaupt und allgemein,sondern am Fall eines konkreten Bereichs. Um dieses Modell und die mitihm möglichen Erklärungsansätze zur präsentieren, müssen auch (indivi-duelle wie kollektive) Arbeits- und Berufsgeschichten präsentiert werden,die sich nicht wie einfache Geschichten erzählen lassen, weil sie als wis-senschaftliche Tatbestände experimentell konstruiert worden sind – mitunterschiedlichen und unterschiedlich elaborierten Erfindungs- und Kon-trollinstrumentarien21.

(1971) S. 7– 26, hier: S. 16; und Pierre Bourdieu: L’illusion biographique, in: Actes dela recherche en sciences sociales 62 – 63 (1986), S. 69 –72. Besser wäre es gewesen, deretablierten Übersetzung mit -laufbahnen zu folgen, was allerdings dann nicht mehrvon dem Gegenstandsmoment der „Berufslaufbahnen“, wie es in nationalsozialistischerSprache hieß, zu unterscheiden gewesen wäre. Deshalb wurde es unumgänglich, eineandere Übersetzung von trajectoire zu wählen.

20 „Drei Gruppen: Täter, Opfer und Zuschauer waren in das Geschehen verstrickt, blie-ben aber klar voneinander geschieden. Jede sah aus ihrer speziellen Perspektive undmit unterschiedlichen Einstellungen und Reaktionen, was geschah.“ Raul Hilberg:Täter, Opfer, Zuschauer. Vernichtung der Juden 1933 –1945. Frankfurt/M. (11992)1999, S. 9.

21 Das heißt Werkzeuge, deren Verwendung gleichzeitig die Forcierung einer „ars pro-bandi“ und einer „ars inveniendi“ erfordern und ermöglichen, vgl. Bourdieu undandere: métier, 83, S. 17.

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Auf dieses Forschungsprogramm22 waren die einzelnen Arbeitsschritteund Konstruktionsentscheidungen bezogen, von denen die wichtigstenkurz vorgestellt werden müssen.

Da also nicht a priori zu entscheiden war, welche Maßnahmen imRahmen der NS-Herrschaft für Berufsverbote und Entlassungen wichtigwurden, inwieweit sie als nationalsozialistisch zu verstehen sind, welchePersonen und/oder Gruppen von ihnen wie betroffen waren und was dabeials Verfolgung anzusehen ist, wurde versucht, möglichst unterschiedlicheArten, Beruf und/oder Arbeit zu haben, zu bekommen und zu verlieren,systematisch miteinander zu vergleichen. Kein Beruf und keine Arbeitwurden daher prinzipiell ausgeklammert, sowie kein arbeitsrechtlicherStatus und keine Wirtschaftsabteilung. Ebenso wurde darauf geachtet,auch offiziell gelungene, ja sogar fulminante Berufslaufbahnen mit ein-zubeziehen, da ja erst im Vergleich von Verfolgung und Erfolg sichtbargemacht werden kann, was sich für wen und mit welchen Konsequenzenals Erfolg und Verfolgung feststellen lässt.

Solch eine Recherche ließ sich nicht auf einen Archivbestand beschrän-ken – offensichtlich, denn keine bürokratische Instanz war für die Ver-waltung aller Arbeits- und Berufskarrieren zuständig, schon gar nicht ab1938, als die nationalsozialistische Trennung von Deutschen, also Ariernund Gemeinschaftsfähigen, und Nichtdeutschen auch auf den Arbeits-märkten durchgesetzt zu werden begann. Die daraus resultierende Not-wendigkeit, zahlreiche Quellen heranzuziehen, die auf den ersten Blickgar nichts miteinander zu tun haben müssen und ganz unterschiedlicheInformationen enthalten, stellt allerdings weder Schwäche noch Notlösungdar. Ganz im Gegensatz zu einer Grundregel klassischer Methodologiensind Vielfalt und Vielfältigkeit der Daten für eine multiperspektivische

Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm 15

22 Das Forschungsprogramm der historischen Räume ist in der Auseinandersetzung mitdem von Pierre Bourdieu vorgestellten Forschungsprogramm des sozialen Raums undder relativ autonomen Felder entwickelt und schon an einer ganzen Reihe von Gegen-ständen ausgetestet und weiterentwickelt worden, vgl. grundlegend Alexander Mejstrik:Totale Ertüchtigung und spezialisiertes Vergnügen. Die Tätigkeiten Wiener Arbeiter-jugendlicher als Erziehungseinsätze 1941–1944. 2 Bde. Diss. Wien 1993, S. 756 – 804,als weitere Konstruktionsbeispiele vgl. Sigrid Wadauer: Die Tour des Autobiographen.Der Raum der Gesellenmobilität im 18. und 19. Jahrhundert. Diss. Wien 2001 undTherese Garstenauer: Gendernyje issledovanija in Moskau – ein autonomes Feld?Eine wissenschaftssoziologische Annäherung an die Moskauer Frauen- und Gender-forschung. Dipl.Arb. Wien 2000. Die beiden letzten Arbeiten werden demnächst inDruck gehen.

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16 Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm

Gegenstandskonstruktion unabdingbar, bei der nicht nur die Informatio-nen eines Bestandes die Lücken anderer Bestände füllen können, sonderndie offensichtliche Widersprüchlichkeit von Informationen auch die Um-strittenheit historischer Realität (also eben deren Geschichtlichkeit) zuerfassen erlaubt. Die einzelnen Berufe und Arbeiten werden durch die siebehandelnden Quellen gerade in ihrer Unterschiedlichkeit charakterisiert.Die Heterogenität der Materialien ist gegenstandsrelevant – statt sie nolensvolens zu akzeptieren, musste sie ausdrücklich gesucht werden. Informa-tionen aus (Auto-)Biographien und anderen publizierten Materialienwurden in Verschränkung mit Informationen aus Archivbeständen ver-wendet.

Gibt es keine einheitliche Quellengrundgesamtheit, die als Gegenstands-grundgesamtheit gelten könnte, so ist die Erhebung auch nicht einfachals (Zufalls-)Stichprobenziehung möglich. Wie ein wissenschaftlicherGegenstand nicht einfach (im Archiv oder sonst wo) vorgefunden undbloß registriert werden kann, sondern den Prinzipien eines systematisch-experimentellen Vergleichs entsprechend eigens konstruiert werden muss,so galt es zur Bearbeitung der Forschungsproblematik, eine eigene struk-turale Grundgesamtheit und von dieser ausgehend strukturale Stichprobenzu konstruieren23. An die Stelle des Ideals numerischer Repräsentativität,die ja eine Grundgesamtheit als endliche Menge wohlabgegrenzter und ein-deutig auszählbarer Elemente voraussetzt, trat das Prinzip der strukturalenRepräsentation. In dieser Perspektive wurden bei jeder Einzelerhebungmöglichst vielfältige Sampletechniken (inklusive der gezielten inhaltlichenAuswahl) miteinander kombiniert, um einerseits die Explikation der mo-mentanen Vorstellungen vom Gegenstand zu ermöglichen (zum Beispieldurch jene Art von diskutierter Auswahl, die Pierre Bourdieu als „échan-tillonage structurale“24 beschreibt) und andererseits der Exploration bislangungedachter, undenkbarer Bestimmungen und Zusammenhänge Platzeinzuräumen.

23 Die Werkzeuge der strukturalen Grundgesamtheit und der strukturalen Stichprobenstellen eine Weiterentwicklung von Vorgehensweisen dar, die Pierre Bourdieu vor-gestellt hat, vgl. Pierre Bourdieu: Homo academicus. Frankfurt/M. 1992, S. 134ff.,Pierre Bourdieu: La noblesse d’état. Grandes écoles et esprit de corps. Paris 1989,S. 331– 351.

24 Bourdieu Pierre avec Loic J.D. Wacquant: Réponses. Pour une anthropologie réfle-xive, Paris 1992, S. 213.

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Für die praktische Organisation des Vergleichs der Arbeits- und Berufs-geschichten von Beschäftigten im Öffentlichen Dienstes, von Angehöri-gen der diversen freien Berufe sowie von Angestellten und ArbeiterInnenim weitesten Sinn25 wurde also der breiten und vielfältigen Erfassung mög-lichst unterschiedlicher Bestände vor einer allzu detaillierten Erhebungweniger Archivmaterialen unbedingt der Vorzug gegeben: Das PrinzipBreite vor Tiefe, mit dem die epistemologische Überlegenheit eines struk-turalen Vorgehens vor jedem monographischen formuliert ist, fand sichso mit dem Prinzip der Maximierung der Datenheterogenität verschränkt.

Grob lassen sich zwei Arten von Beständen unterscheiden, zwischendenen sich die Archivrecherchen des Projekts aufteilten:

– berufspezifische Bestände (also Archivalien, die sich dezidiert auf eine oder zumindest einige wenige Berufsgruppierungen beziehen)und

– berufunspezifische (Massen-)Quellen.Die berufspezifischen Materialien und die für ihre Erhebung ent-

wickelten Vorgehens- und Erhebungsweisen finden sich in den Kapitelnzu einzelnen Berufsgruppierungen und -stellungen benannt und beschrie-ben, und werden dort erläutert. Der Charakterisierung der verwendetenberufunspezifischen Bestände sind die Kapitel des Abschnitts 6. gewidmet.

Die Quellenrecherchen teilten sich wiederum in ereignisbezogene Er-hebungen (zu bestimmten Berufsverfolgungsmaßnahmen, zu Legislaturen,zu Verwaltungsvorgängen, zu Institutions- und Firmengeschichten undähnlichem) und personenbezogene Erhebungen, die Teil der Konstruk-tion eines Datenbankensystems waren. Letztere gingen alle vom Versuchaus, Listen zu finden, auf denen irgendwelche Interventionen in bestehendeBerufs- und Arbeitsverhältnisse, sowie die Namen der betroffenen Perso-nen und wenn möglich zumindest einige identifikatorische Grundinfor-mationen zu ihnen (Geburtsdaten, Wohnort und Ähnliches) vermerkt sind,um die je relevanten Bestände anhand dieser Namenlisten zu durchsuchen.Ergebnis dieses Vorgehens war die Erstellung einer Serie von Erhebungs-tabellen.

Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm 17

25 Unternehmer sind im Hinblick auf eine pragmatische Aufgabenteilung mit anderenProjekten der Historikerkommission zumindest als eigener Schwerpunkt aus der Un-tersuchung ausgenommen. Natürlich konnte auf die Einbeziehung einiger Variations-und Kontrastfälle von UnternehmerInnenlaufbahnen nicht verzichtet werden. Außer-dem wurde ihnen im Rahmen der berufsgruppenspezifischen Untersuchungen zu-mindest ein Exkurs gewidmet (vgl. Kapitel 4.3. Exkurs: Unternehmer, S. 465).

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18 Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm

Die Suche nach Namenslisten erfolgte im Rahmen bibliographischerund archivalischer Recherchen, wobei die verkammerten freien Berufe alserste bearbeitet wurden, da zu erwarten war, über sie relativ schnell relativausführliches Material zu finden. Mit Hilfe von Bestandslisten und derVerzeichnisse aus dem Amtskalender von 1938 ließen sich zum Beispielfür die Rechts- und Patentanwaltschaft, für das Notariat, teilweise auchfür die Apotheker-, Ärzte- und Tierärzteschaft sowie für die Kammern fürTechnikerInnen und ArchitektInnen Mitgliederbewegungen oder perso-nelle Veränderungen zwischen 1937 und 1938, manchmal auch für diefolgenden Jahre dokumentieren. Die noch existierenden Archivbeständeder verschiedenen Kammern und die Angaben in berufsspezifischen Zeit-schriften und Nachrichtenblättern ermöglichten es in einem nächstenSchritt, weitere Informationen zu den bislang eruierten und/oder ausge-wählten Personen systematisch zu erheben. Meist konnten dabei Mitglie-derbücher verwendet werden, die oft ausbildungs-, berufszulassungs- undkarrierezentrierte Angaben enthalten. In einigen Kammerarchiven sindsogar noch Personalakten mit allerdings sehr unterschiedlichem Inhaltvorhanden.26 Parallel dazu konnten auch die vom Projekt bearbeitetenberufsunspezifischen Großbestände in den Archiven zur Komplettierungdes Anteils verwendet werden, den die verkammerten Berufe zur struktu-ralen Grundgesamtheit beisteuern, und zwar durch Erhebungen, die sichan einer Kombination von randomisierten und explizit berufsorientiertenAuswahlkriterien orientierten.

Die Erhebungsarbeiten in berufunspezifischen Beständen dienten über-haupt dazu, die Vielzahl von wichtigen und großen Aktensammlungen,in denen zahlreiche, mehr oder weniger dichte personenbezogene Infor-mationen zu Lebenslaufbahnen im Allgemeinen und Berufsgeschichtenim Besonderen zu finden sind, in die Konstruktion des Projektgegen-standes einzubeziehen. Sie stellten darüber hinaus auch eine notwendigeErgänzung zu den berufspezifischen Recherchen dar, indem sie es ermög-lichten, den hier auftretenden Verzerrungen zu begegnen und Informa-tionslücken zu füllen. Wie geplant bezogen sich die Erhebungen in den

26 An dieser Stelle sei den MitarbeiterInnen aller Kammern gedankt, die unsere Arbeitunterstützt haben. Nur die Kammer für Architekten und Ingenieurskonsulenten fürSteiermark und Kärnten in Graz verweigerte dem Projekt die Einsicht in ihre archi-vierten Personalakten.

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diversen berufsunspezifischen Beständen überwiegend auf Angestellte undArbeiterInnen. In den meisten Fällen handelt es sich dabei immer auchum die gezielte und möglichst kontrollierte Zusammenstellung von breitenStichproben, wodurch jeder der bearbeiteten Bestände seine Spezifik (einBias ist ja Schwäche und Stärke zugleich) zur Gesamtdatenbank beitragenkonnte.

Zuletzt wurden die personenbezogenen Recherchen auch durch be-standspezifische Stichproben ergänzt, die nach ganz unterschiedlichenKriterien organisiert waren. Auf diese Weise gelang es, einerseits Berufs-gruppierungen zu erfassen, über die kaum eigene Quellenbestände existie-ren, und andererseits jene Kontrastfälle von offiziell erfolgreichen oderzumindest augenscheinlich wenig gestörten Berufs- und Arbeitsgeschichtenzu konstruieren, die für das Forschungsvorgehen unabdingbar waren.

Ein folgenreiches pragmatisches Grundproblem der Erhebungsarbei-ten bestand darin, dass geraume Zeit notwendig war, um Quellenbeständezu identifizieren, deren systematische Bearbeitung für das Projekt auchwirklich Sinn machte. Erst allmählich wich der anfängliche Informations-mangel, der für eine Phase der Orientierung und Exploration charakteris-tisch ist, einem immer konkreteren Wissen um das enorm große Angebotan Quellen, die zur Konstruktion des Projektgegenstandes herangezogenwerden können: ein Überangebot schließlich, gemessen am vorgegebenenZeitrahmen und an der verfügbaren Arbeitskraft. Es galt somit wieder-holt, den Rechercheplan dem Zeitbudget anzupassen.

Die Recherchearbeiten führten zur Konstruktion von Erhebungsta-bellen, die auf zwei unterschiedliche Arten erstellt wurden, und zwar nachMaßgabe der je verwendeten Materialien. Quellendokumente, die massen-haft vorliegen und relativ standardisiert aufgebaut sind (wie zum Beispieldie Vermögensanmeldungen vom 27. April 1938 oder die Akten desNeuen Hilfsfonds grün), ermöglichten die Erstellung von Datenbanken,die sehr eng an die Standardformulare der Akten angelehnt sind. BeiRecherchen hingegen, die konstitutiv ganz unterschiedliche Materialienintegrieren (zum Beispiel die Erhebung zu den bildenden KünstlerInnen,über die es keine projektrelevante vereinheitlichte Massenquelle gibt),erfolgte der Aufbau der Erhebungstabellen in gewissermaßen freier Form.Als Ergebnis liegen nun 18 Datenbanken vor, und zwar als Spreadsheets,deren Zeilen die Erhebungseinheiten (Recherchepersonen) und derenSpalten die Erhebungsfragen (Recherchemerkmale) definieren. Mit der

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20 Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm

Erstellung einer Zentraltabelle, über die alle spezifischen Datenbankenmiteinander verkoppelt sind, gelang die Konstruktion der strukturalenGrundgesamtheit, die allen Auswertungen als Referenzrahmen gedient hat.Insgesamt werden mit ihr 4.550 epistemische Personen verwaltet, fast alleder in den Recherchen konstruierten Erhebungseinheiten.

Die Bearbeitung der zur strukturalen Grundgesamtheit miteinanderverbundenen Datenbanken ließ sich – wie schon argumentiert – nicht imRahmen der üblichen Alternative von quantitativem und qualitativem Vor-gehen (also von Auszählungen und monographischer Collage) bewältigen.Stattdessen konnte mit Hilfe des statistischen Verfahrens der multiplenKorrespondenzanalyse (vgl. Kapitel 8.1. Der Raum völkischen Schaffens,S. 611) ein Modell der Struktur des Raums möglicher Berufs- und Arbeits-geschichten im nationalsozialistisch beherrschten Österreich konstruiertwerden. Dieses statistische Experiment stellte den wesentlichen Schritt inder Erarbeitung eines eigenen Erklärungsgegenstandes dar.

Der erste Bruch – nämlich die Widersprüche und Unklarheiten alsgegenstandsrelevante Indikatoren ernst zu nehmen und die Frage nach denerklärungsrelevanten Kontexten empirisch zu stellen, anstatt sie vorwegnach eigener Vorstellung zu entscheiden – führte auf diese Weise zu einemzweiten: Gegen den Eindruck einer Masse von kaum verbundenen Details,Einzelgeschichten und Episoden konnten strukturale Regelmäßigkeiten,Muster herausgearbeitet werden – grundlegende Bestimmungen jeneshistorischen Kontextes, auf den die Episoden und Details bezogen werdenmüssen, um erklärt werden zu können.

Erstens handelt es sich dabei um die anhand der Korrespondenzana-lyse mögliche experimentelle Konstruktion der nationalsozialistischenBerufsordnung, deren Durchsetzung das Resultat all der zum Teil gegen-einander gerichteten Aktionen war, die Arbeits- und Berufsmärkte aufvölkische Weise neu zu ordnen, wie es hieß. Das Modell lässt die Struk-tur dieses historischen Raums erkennen, in der die Grundprinzipien derVolksgemeinschaft, Blut und Ehre, auch für Arbeit und Beruf zur Reali-tät wurden. Zweitens wurde es möglich, jenen Faktor zu explizieren, derfür die Unterschiedlichkeit der nationalsozialistischen Eingriffe in dieeinzelnen Berufsgruppierungen und Arbeitsmärkte wesentlich war. DieArt der Institutionalisierung bestimmter Tätigkeiten als Beruf und/oderArbeit, die Art ihrer Administration und Normierung (staatlich und/oder in Selbstverwaltung), die besondere Organisation der Zulassung,

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Ausbildungen und Berechtigungsvergabe, der Grad der Ausdifferenzie-rung27 all dieser Charakteristika – kurz: Art und Ausmaß der Normalisie-rung28 von Tätigkeiten als Beruf/Arbeit war entscheidend für die Möglich-keiten und Notwendigkeiten, sie in den Rahmen der neuen Volksgemein-schaft einzupassen. Normalisierung, so lässt sich den folgenden Kapitelnverallgemeinernd vorgreifen, konnte für die Figuren des österreichischenBerufslebens vor allem auf drei unterschiedliche Arten geschehen: von

Einleitung: Fragestellungen und Forschungsprogramm 21

27 Das Konzept der Ausdifferenzierung wird im Folgenden dem Bild einer Modernisie-rung vor allem aus zwei Gründen vorgezogen. Erstens ist Modernisierung – und be-sonders, wenn sie zur Erklärung der nationalsozialistischen Herrschaft herangezogenwird – mit politischen Konnotationen zumeist derart stark verbunden, dass ein Ge-brauch des Vokabels einer Lektüre dieses Textes mehr als politisches Zeugnis, denn alsDarstellung von Forschungserkenntnissen nur wenig Widerstand entgegensetzenkönnte. Zweitens und gewichtiger erfordert die Rede von Modernisierung immereine Entscheidung, was in der untersuchten Realität modern und was dagegen nicht-modern (ob prä- oder post-) sein soll; eine Entscheidung, die konstitutiv darauf auf-baut, den Zusammenhang des Forschungsgegenstandes in analytisch getrennte Stückezu zerlegen (zum Beispiel nach Gleichzeitigkeiten und Ungleichzeitigkeiten), die dannverständlicherweise nicht mehr integriert werden können und damit tendenziell un-begreifbar bleiben. Das Konzept der historischen Ausdifferenzierung geht demgegen-über von der Hypothese aus, dass die untersuchten Tätigkeiten nicht durch eine Zer-splitterung in moderne und nicht-moderne Seiten oder gar Bereiche zu erklären sind;dass sie nicht durch einen ausschließlich, nicht einmal übergewichtig diachronenVergleich verständlich gemacht werden können, der den Zusammenhang des Raumsder Berufs- und Arbeitslaufbahnen zertrennt und einzelne Bereiche voneinander iso-liert. Der historische Sinn der untersuchten Tätigkeiten ergibt sich aus ihrem Zusam-menhang in diesem konkreten historischen Raum, der weder synchron noch diachronkonstruiert ist. Wichtiger Bezugspunkt des Konzepts Ausdifferenzierung stellen dieÜberlegungen zur „déformation“ von relativ autonomen Felder dar; vgl. die Ideen beiYves Dezalay: Le droit des faillites: du notable à l’expert. La restructuration du champdes professionnels de la restructuration des entreprises, in: Actes de la recherche ensciences sociales 76 –77 (1989), S. 2 – 29, hier: S. 4.

28 Normal ist hier im doppelten Wortsinn von selbstverständlich und normativ zu ver-stehen. Zum Konzept der Normalisierung als ausgeprägte Objektivierung und Kodi-fizierung von Praktiken, als Homologisierung und Verallgemeinerung der Interessen,als Veröffentlichung und Durchsetzung eines bestimmten Einsatzes vor allen undgegen alle anderen vgl. zum Beispiel Pierre Bourdieu: La force du droit. Élémentspour une sociologie du champ juridique, in: Actes de la recherche en sciences sociales64 (1986), S. 3 –19, Pierre Bourdieu: Habitus, code et codification, in: Actes de larecherche en sciences sociales 64 (1986), S. 40 – 44, Pierre Bourdieu: Esprits d’État.Génèse et structure du champ bureaucratique, in: Actes de la recherche en sciencessociales 96 – 97 (1993), S. 49 – 62 und Remi Lenoir: Groupes de pression et groupesconsensuels. Contribution à une analyse de la formation du droit, in: Actes de larecherche en sciences sociales 64 (1986), S. 30 – 39.

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staatlicher Seite, in Selbstverwaltung und durch Massenmedien. Die be-sondere Normalisierung eines Berufs Anfang 1938 zu beschreiben istnotwendig, um Art, Verlauf, Zielrichtung und Erfolg der nationalsozia-listischen Reorganisierung zu verstehen.

Die statistische Konstruktion, für die alle während der Projektlauf-zeit gefundenen Arten von personenbezogenen Dokumenten verwendetwurden, lieferte ein Strukturmodell, das als Orientierungsrahmen undSelektionsraster für die weiterführenden Beschäftigungen mit Gesetzes-texten und anderen offiziellen Regelungen sowie für die Interpretationvon einzelnen Berufschädigungen diente. Die dabei erarbeiteten neuenErgebnisse wurden wiederum zur Verbesserung der Modellkonstruktioninsgesamt herangezogen usw. Unterscheidungen wie die zwischen Nor-men und Wirklichkeit, Diskurs und Praxis, Gesetzen und Anwendungoder (nationalsozialistische) Vorstellung und (historische) Realität warendaher nicht geeignet, um die Erklärungen zu organisieren. Durch die ex-perimentelle Konstruktion wurde ein Niveau an Systematik vorgegeben,auf dem die Textinterpretationen kontrolliert aufbauen und neue Sicht-weisen entwickelt werden konnten. Sie erlaubte es, nicht nur die für denvölkischen Beruf wesentlichen Momente von Rasse, Laufbahn und Gesin-nung, sondern auch die konkrete Hierarchie zwischen ihnen zu erfassen.Deshalb werden in der hier möglichen kurzen Präsentation des Raums dervölkischen Berufsarbeit (vgl. Kapitel 1.1.2. Völkische Berufsarbeit als drei-dimensionaler Raum, S. 39) die Bezüge auf die statistische Konstruktionund auf die Interpretation von nicht verrechneten Texten konsequent mit-einander vermischt.

Ein letzter Hinweis erscheint einleitend noch sinnvoll. Bei der Rekon-struktion der Auseinandersetzungen um Berufsverbote und Entlassungengeht es immer auch um Worte und Wörter, durch die sich die unterschie-dlichen Einsätze (in unterschiedlichem Ausmaß) manifestierten. Dienationalsozialistischen Ausdrücke und Formulierungen – von den hoch-offiziellen bis zu den eher offiziösen – nehmen dabei nicht den einzigen,aber zentralen Platz ein. Gerade weil sie aus heutiger Sicht so abstrus undirrational erscheint, macht diese Sprache oft nur ratlos. Weil sie von Ver-folgung und Genozid nicht getrennt werden kann, scheint schon dieBeschäftigung mit ihr unzumutbar. Doch eine explizite Auseinanderset-zung mit ihr zu vermeiden, sich sogar um den Preis der Unverständlichkeitnur abgrenzen zu wollen, würde die LeserInnen vor den unvermeidlichen

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Zitaten nur alleine lassen. Das aber wäre nicht weniger, als die Bemühungzur expliziten kollektiven Kontrolle und Diskussion der Erkenntnisbedin-gungen aufzugeben, die Wissenschaft charakterisieren.

Die Ausführungen und Darstellungen müssen daher gezielt auf dievölkische(n) Sprache(n) Bezug nehmen, sie ernst nehmen, zitieren, ana-lysieren und sie ins Erklärungsmodell einbauen. Ohne Wörter wie Juden,jüdisch, deutsch, politisch, völkisch, rassisch, Charakter, Blut, Ehre, Rasse,Mischling, arisch, Auslese und Ausmerze, fremdrassig, treu, austilgen usw.explizit in ihren gegenseitigen Beziehungen zu rekonstruieren, lässt sichkein wissenschaftlicher Gebrauch von ihnen machen. Ohne diese Wörterwissenschaftlich zu gebrauchen, lässt sich die völkische Neuordnung derBerufe, um die es im Folgenden gehen wird, nicht verstehen und erklären.

In den ersten Versionen dieses Textes wurde daher mit besonderer Sorg-falt darauf geachtet, die Verkoppelung all der für die Argumentationenzentralen historischen Konstrukte mit deren historischer Herstellung (Er-findung) explizit zu machen und dauernd präsent zu halten, indem zu-mindest den wesentlichen Wörtern ein NS- beziehungsweise ns-Präfixzugeordnet wurde. Statt nur von Juden und Jüdinnen zu schreiben, hießes NS-Juden und NS-Jüdinnen, statt nur einfach jüdisch und völkisch,hieß es ns-jüdisch und ns-völkisch, statt Deutsche hieß es NS-Deutscheusw. – zumal es ja ganz andere Juden als die NS-Juden gab, auch ganzandere Arten von völkisch als die nationalsozialistische Art und nicht alleDeutschen Deutsche im nationalsozialistischen Sinn waren. Ebenso gehtes ja zum Beispiel nicht um die Juden im Allgemeinen. Dennoch wurdevon diesem Sprachgebrauch wieder Abstand genommen, da die Formu-lierungen dadurch extrem schwerfällig wurden. So sei an dieser Stelleeinleitend und für den ganzen folgenden Text darauf verwiesen, dass alldie zentralen Wörter der NS-Herrschaft natürlich nur im Konnex zurNS-Herrschaft ihren Sinn machten, auch wenn das ns-/NS-Präfix nunweggelassen wurde. Sollte es in einer Argumentation um anderes gehen,dann und nur dann wird explizit darauf hingewiesen (zum Beispiel mitFormulierungen wie Personen mosaischen Glaubens). Jene Anführungs-zeichen, die in ns-geschichtlichen Arbeiten so häufig verwendet werden,um ein moralisches Zeichen zu setzen, waren daher nicht nötig – undauch gar nicht sinnvoll. Anführungszeichen machen im vorliegendenBuch – wie sonst auch – nur mehr konkrete Zitate aus einer jeweils aus-gewiesenen Quelle kenntlich. Doch eingedenk des politischen Gewichts

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des Themas sei explizit vorangeschickt, dass die Sprache der folgendenAusführungen keinerlei politische Affinitäten des Projektteams ausdrückt.

Aus der Perspektive der Forschung stellt das vorliegende Buch einenZwischenbericht dar. In den beiden Jahren der Projektlaufzeit konnte eineigener Zugang entwickelt werden; es gelang, die unmittelbaren Ausgangs-fragen zu einem Programm einer experimentellen Gegenstandskonstruktionzu berichtigen, das Modell eines tragfähigen Erklärungskontextes wurdeerarbeitet. Vieles bleibt jedoch noch zu tun, vieles sollte getan werden, umdie hier nur grob entwickelten Perspektiven ausführlicher auszuarbeitenund kritischen Testungen zu unterziehen.

Als Zwischenbericht liefert dieser Band einen Abriss des Forschungs-gegenstandes – eben Elemente zur Geschichte der Durchsetzung einesRaums der völkischen Berufsarbeit – und vor allem eine Dokumentationder Berichtigungsarbeiten und Recherchen. Es erscheint notwendig, füralle untersuchten Berufs- und Arbeitsgruppierungen konkret zu zeigen,wie weit man wissenschaftlich mit den Ausgangsfragen und mit dem Ver-such, Entlassungen zu zählen und Verluste zu schätzen (dem ursprüngli-chen Projektauftrag), gelangt, was in dieser Perspektive zu fragen, was zuantworten ist und wo die Erklärungsgrenzen liegen. Das vorliegende Buchist also viel mehr als eine Bilanz der Recherchen zu spezifisch national-sozialistischen Entlassungen und Berufsverboten, aber es ist noch keineausgearbeitete Darstellung der völkischen Berufsneuordnung und ihrerhistorischen Konsequenzen. Es fasst den derzeitigen Konstruktionsstandzusammen, verbindet Kommentar und Reflexion der Forschungsarbeitenmit der Präsentation inhaltlicher Ergebnisse, und möchte sich daher alsBeitrag zur Erarbeitung einer wissenschaftlichen Geschichte der national-sozialistischen Herrschaft verstehen.

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1. Zwei Räume

1.1. Berufsarbeit als völkisches Schaffen 1938 –1940

Würde man versuchen – aus welchen Gründen auch immer entschlossen,all die unlösbaren Schwierigkeiten der Abgrenzungen und Kategorisierun-gen beiseite zu lassen – spezifisch nationalsozialistische Berufsverbote undEntlassungen allein und für sich zu untersuchen, so könnte die völkischeBerufs(neu)ordnung überhaupt nicht erfasst werden, in deren KontextBerufsverbote und Entlassungen jedoch den größten Teil ihres historischenSinns machten. Und dies aus einem konkreten Grund, der all die in derEinleitung angeführten epistemologischen Fehler konzentrieren und mani-festieren würde. In den auf den ersten Blick einschlägigen Gesetzes- und Ver-ordnungstexten zum Thema sowie in den vielen Aktionen um nationalso-zialistische Berufsverbote und Entlassungen, die ab März 1938 in Österreicheinsetzten, ging es vor allem und vordergründig um zwei Interventions-richtungen: einerseits um die Entjudung oder Arisierung und andererseitsum die politische Säuberung von Wirtschaft, Kultur und Verwaltung. Hier– in rassischer und politischer Hinsicht – bedurfte es in den nationalsozia-listischen Perspektiven am dringlichsten der Kontrolle und der Korrekturen.Hier waren in der ersten Zeit die Differenzen zur neuen völkischen Be-rufsarbeit am größten. Dabei handelte es sich nicht um die einzigenDifferenzen, die es zu überbrücken galt.

Abgesehen von der Gefahr eines überpolitisierten Blicks – das drittekonstitutive Moment der nationalsozialistischen Berufsneuordnung wirdin diesen massiven und zum großen Teil offen gewaltsamen Aktionen nichtso unmittelbar sichtbar, weil es hier nichts grundlegend umzuordnen gab,sondern Bestehendes bloß verstärkt und entwickelt werden musste. Völki-sche Berufsarbeit wurde nicht bloß als Sache der Rasse und der Gesinnungetabliert, sondern auch als Sache von Produktionseffizienz, Rationalisierung,Ausbildung und Laufbahnen: als Sache von Leistung. Dies lässt sich jedochnur durch die experimentelle Konstruktion des Raums der nationalsozia-listischen Berufsarbeit insgesamt erkennen. Sieht man davon ab, so bleibtman bei der Darstellung von Berufsverboten und Entlassungen auf kaumverständliche Bilder von Gleichschaltungen und Säuberungswellen sowie

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auf die Beweggründe von Egoismus, der Profilierungs- und Besitzgierverwiesen, die nichts erklären können, sondern selbst erklärt werdenmüssten.

1.1.1. Auslese und Ausmerze in der völkischen Neuordnung derBerufsarbeit

Die Okkupation Österreichs stellte die neuen nationalsozialistischen Macht-haber unter anderem auch vor das gravierende Problem, zwei – trotz allerVorbereitungen29 noch immer – relativ unabhängige Staaten mit all ihrenrelativ ausdifferenzierten Teilbereichen zu integrieren. Die Verbindung derbeiden Volkswirtschaften alleine erforderte schon eine Fülle an großange-legten Maßnahmen.30 Die reichsdeutsche Währung musste eingeführt,die österreichischen Löhne, Gehälter und Preise mussten an das deutscheNiveau angepasst werden. Eine der als vordringlich angesehenen Aufga-ben stellte die Beseitigung der hohen Arbeitslosigkeit dar, deren Lösung1938 in Westösterreich31, weniger allerdings in Wien gelang.32 Die Mitteldazu waren einerseits die Implementierung wesentlicher Elemente derreichsdeutschen Kriegsvorbereitungsökonomie, vor allem die Lancierunggroßer öffentlicher Bauvorhaben, einer eigenen österreichischen Arbeits-schlacht, wie es hieß, die Einbindung der Ostmark in den laufendenVierjahresplan und diverse finanzpolitische Maßnahmen zur Stützungprivatwirtschaftlicher Aktivitäten.33

Die Förderung des völkisch Gewünschten ging mit der Verhinderungdes völkisch Unerwünschten einher: In nationalsozialistischer Perspektivegab es keine Auslese ohne Ausmerze. Beides waren voneinander untrenn-bare Strategien, um – in welchem gesellschaftlichen Teilbereich auch im-

29 Vgl. Hanns Haas: Der „Anschluss“, in: Tálos und andere, NS-Herrschaft, 2000, S. 26 –54, hier: 24 – 33.

30 Vgl. Fritz Weber: Zwischen abhängiger Modernisierung und Zerstörung. ÖsterreichsWirtschaft 1938 –1945, in: Tálos und andere, NS-Herrschaft, 2000, S. 326 – 347, hier:326 – 333.

31 Vgl. Ernst Hanisch: Gau der guten Nerven. Die nationalsozialistische Herrschaft inSalzburg 1938 –1945. Salzburg und München 1997, S. 58f.

32 Vgl. Tim Kirk: Nazism and the Working Class in Austria. Industrial Unrest and Poli-tical Dissent in the “National Community”. Cambridge 1996, S. 57f.

33 Vgl. Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme und Herrschafts-sicherung 1938/39. Buchloe 1988, 295 f.

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mer – die völkische Erneuerung durchzusetzen und die VolksgemeinschaftWirklichkeit werden zu lassen.34 Ausmerze (wie Auslese) bezog sich grund-sätzlich auf einzelne Tätigkeiten, nicht auf ganze Personen, die von ihrallerdings dann erfasst wurden, wenn sie zu viel oder zu gravierend völkischUnwertes in sich vereinten.

„Der Ausgang von einem in der Gemeinschaft des völkischen Staatesals wertvoll erkannten Menschenbild und die Ausrichtung der Auslese aufdieses Leitbild muß also auch die Grundlage des auslesenden Handelns sein.Denn hier wird vom Menschen bewußt gestaltet, was sich in der Naturunbewußt vollzieht. [...] Hier [in der Natur, Anm. d. Verf.] ist Auslese –und das Gegenteil: Ausmerze – als eine Kraft des Lebens lebendig, diedahin wirkt, daß die einzelnen Lebewesen dem Gesetz der Arterhaltunginsofern unterworfen sind, als nur diejenigen lebensfähig bleiben, die ver-möge der Leistungsfähigkeit ihrer gesamten Lebenskräfte überragen.“35

Berufliche Ausmerze meinte jedes Vorgehen gegen alles, was in derneuen Ordnung nur mehr als beruflicher Mangel gelten konnte. Sie reichtevon den gravierenden, massenhaften personellen Neuordnungen bis zurdemgegenüber zunächst unwichtig scheinenden Ahndung und Verhinde-rung auch nur gering unvölkischer Haltungen im Berufsleben, die ja jederVolksgenosse an sich selbst ebenso vornehmen sollte wie die Auslese (alsoFörderung) seiner völkisch guten Seiten: „Der Mensch hat – wie ein Volk– Erziehung nötig, solange er lebt. Er kann kein klares und ordentlichesLeben führen, wenn nicht wenigstens er selbst sich immer in Zucht hält.“36

Aus der Perspektive von Einzelpersonen konnten berufliche Auslese undAusmerze zum beruflichen Erfolg führen, oder aber zur beruflichen Ver-nichtung. Auf jeden Fall jedoch dienten sie der völkischen Neuordnunginsgesamt, von der dann und nur dann zu profitieren war, wenn man zuden neuen Deutschen, den offiziell Arischen und Gemeinschaftsfähigen,zählte.

So lässt sich von den sozial- und wirtschaftspolitischen Fördermaß-nahmen für die Deutschen der Ostmark nicht sprechen, ohne auf die viel-

Berufsarbeit als völkisches Schaffen 1938 –1940 27

34 Zur Grundlegung wesentlicher Elemente des im Folgenden grob eingeführten Erklä-rungsmodells vgl. Mejstrik, Ertüchtigung, 1993.

35 G. H. Fischer: Auslese und Begabung. Einsatz der Wissenschaft vom Menschen, in:Das Junge Deutschland 36. Jg. (1942), S. 201– 206, hier: S. 201– 202.

36 Gottfried Neese: Leitsätze für ein deutsches Jugendrecht. Stuttgart und Berlin 1938,S. 21.

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fältige Ausmerze einzugehen – zum Beispiel auf den Plan des ostmärkischenWirtschaftsministers Fischböck, dass alle 200.000 Juden Wiens auf einenSchlag ihre Arbeitsplätze an völkisch richtige Volksgenossen abtretensollten.37 Und wenn dieser Plan auch nicht verwirklicht wurde, weil erschlichtweg undurchführbar war, so stellt sich die tatsächlich umgesetzte„Neuordnung des Personalstandes in der Privatwirtschaft“38 kaum wenigerdrastisch und folgenschwer dar.

Diese Worte weisen allerdings auf eine andere Spur. Neuzuordnen war inden völkischen Perspektiven nicht nur der Personalstand in der Privatwirt-schaft, sondern viel mehr, zum Beispiel das österreichische Berufsbeamten-tum, wie die gleichlautende Verordnung vom 31. Mai 1938 vorschrieb.39

Berufsverbote, Entlassungen, Arbeitsbehinderungen, aber auch Unter-stützungen und Förderungen waren nicht nur eine Frage der Privatwirt-schaft. Der völkischen Neuordnung unterworfen wurden auch und vonAnfang an sämtliche Dienstleistungen, alle Arten von Produktion offi-zieller Kultur und die Verwaltungen aller und auf allen Ebenen. DieVerhinderung des für den neuen deutschen Beruf Schlechten und dieFörderung des für ihn Guten bezogen sich auf alles, was völkisch nurirgendwie Berufsarbeit sein konnte. Die nationalsozialistischen Maßnah-men lassen sich nicht unter einem Aspekt allein fassen: Sie waren wedernur rassisch begründet, noch einem ausschließlich materiellen Eigennutzgeschuldet, weder nur Mittel zum politischen Zweck, noch rein technokra-tische Strategien. Völkischer Idealismus diente nicht bloß als ideologischeVerbrämung ökonomischer Interessen. Die finanziellen Umschichtungenwaren nicht einfach Folgen eines völlig unbegreiflichen irrationalen Anti-semitismus oder einer nur auf sich selbst bezogenen Volksmythologie.Berufe und Erwerbsarbeiten stellten eine eigene vieldimensional-multi-kontextuelle Realität dar, die alle diese und noch andere institutionelleLogiken auf ganz bestimmte Weise zu einem relativ autonomen Zusam-menhang integrierte.

37 Vgl. Max Rieser: Österreichs Sterbeweg, Wien 1953, S. 131, zit. in: Botz, National-sozialismus, 1988, S. 244.

38 Der Minister für Wirtschaft und Arbeit, Fischböck, und der Staatskommissar in derPrivatwirtschaft, der Präsident der Handelskammer Wien, Rafelsberger, Rundschrei-ben an alle Gliederungen und Organisationen der gewerblichen Wirtschaft, undatiert[vermutlich August 1938], HKWA, Kt. 2866.

39 Vgl. Kapitel 4.1. Öffentlicher Dienst, S. 284

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Die nationalsozialistischen Politiken und Verwaltungen, die ab 1938beim Berufs- und Arbeitsmarkt intervenierten, nahmen auf unterschied-liche Rationalitäten Bezug und trugen mit der postulierten Neuordnungder Berufe Wesentliches zur Ausdifferenzierung der historischen Figureines Berufs im Allgemeinen bei – des Berufs für alle Deutschen, der inder idealistischen Volksordnung, die erfunden wurde, um allem Materia-lismus radikal ein Ende zu setzen, zum „Berufsgedanken“ wurde, um den„Deutschland [...] am härtesten [...] gerungen und ihm seine schärfsteAusprägung gegeben“40 haben sollte. Diese neue Ordnung unterschiedsich deutlich von den bis dahin üblichen Ordnungen der Sozialstatistikund damit der mehr oder minder republikanischen Staatsverwaltung, dieauf der grundlegenden Scheidung von Berufsträgern und Berufslosen auf-baute41. Der völkische Beruf sollte für alle völkischen Deutschen verall-gemeinert gelten, was zum Teil, unter anderem bei der Erfindung einerBerufserziehung, die schon an anderer Stelle ausführlich beschrieben wor-den ist,42 wirklich durchgesetzt werden konnte.

Schon viel näher war die völkische Neuordnung der Berufe der be-rufständischen Ordnung des Ständestaates, mit der sie einiges verband,zumindest die Idee einer natürlichen Gemeinschaft eines Volkes und derzentralen Stellung der Berufsordnung in ihr. Der 1936 publizierte akade-misch-gelehrte Entwurf der berufständischen Ordnung lässt sich stellenweiseleicht mit all jenen nationalsozialistischen Formulierungen verwechseln,die im Folgenden ausführlich besprochen werden.

„Nicht zuletzt wird auf dem Grunde der berufständischen Ordnungauch Volksgemeinschaft wieder werden können in der vollen Kraft, in dersie von den wahren Gemeinschaftsordnungen her werden und wachsenmuß. [...] Volksordnung ist ja nichts anderes als die Verwurzelung allerGlieder des Staatsvolkes in den naturgegebenen Gemeinschaften der Fa-milie, der Nachbarschaft, des Berufs, in denen sich in vielfältigem Stufen-

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40 Albert Müller: Sozialpolitische Erziehung. Das Junge Deutschland Sonderveröffent-lichung Nr. 3. Berlin o.J. (1943), S. 68. Der im Folgenden mehrmals zitierte AlbertMüller war einer der offiziellsten sozialpolitischen Kommentatoren der Reichsjugend-führung. Er avancierte 1940 als Nachfolger von Günther Kaufmann vom stellver-tretenden zum Hauptschriftleiter der Zeitschrift „Das Junge Deutschland“.

41 Vgl. Emanuel Januschka: Die soziale Schichtung der Bevölkerung Österreichs. AufGrund amtlicher Veröffentlichungen mit 15 graphischen Darstellungen. Wien undLeipzig 1938, vor allem S. 8 – 9.

42 Vgl. Mejstrik, Ertüchtigung, 1993.

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bau ein mit reichem Innenleben ausgestatteter Organismus aufbaut, vonder Familie als Zelle angefangen bis zum Staate als Lebensform der Volks-gemeinschaft. Von der anderen Seite her gesehen bedeutet Volksordnung,dass das Staatsvolk sich aufgliedert und ausgliedert in die ganze Fülle vonGemeinschaften, wie es die Natur will mit all den gemeinschaftsformendenAufgaben, die in den Lebenszwecken des Menschen eingeschlossen sindund bei deren Erfüllung er auf die Hilfe einer Gemeinschaft angewiesenist. Die berufständische Gliederung des Volkes soll die gemeinschaftsfor-menden Kräfte im ganzen Volkskörper von der beruflichen Leistungsver-bundenheit her wirksam machen, in der es seine Lebens- und Kulturauf-gaben erfüllt. Der Anteil wahrer berufständischer Ordnung an dem Aufbauder neu zu erstrebenden Volksgemeinschaft kann darum nicht hoch genugeingeschätzt werden. Nicht ohne guten Grund hat darum die vom christ-lich-deutschen Rechtsdenken ausgehende Gesellschaftslehre die Beruf-stände, die alle Glieder des Volkes in deren feste Ordnung einbeziehen,ihnen aber zugleich Heimatrecht in der Volksgemeinschaft sichern, Volks-stände genannt.“43

Andererseits waren die beiden autoritären Berufsordnungen jedochunter zumindest zwei Gesichtspunkten und mit weitreichenden Konse-quenzen verschieden. Die radikal auf kriegerische Expansion ausgerichtetenationalsozialistische Durchsetzung einer Volksgemeinschaft implizierteerstens eine eigens angestrebte technische Rationalisierung und Effektivi-tätssteigerung der Produktion und Zirkulation offiziell wirtschaftlicher,kultureller und administrativer Güter. Demgegenüber nahm sich dieständische Arbeitsteilung nach gewerblichen Vorbildern als ökonomischreaktionär aus. Dies scheint wesentlich für die Differenz zwischen einerberufständisch zerteilten Gesellschaft und der pflichtintegrierten, aberhocheffektiv ausdifferenzierten völkischen Gemeinschaft nach national-sozialistischem Muster verantwortlich gewesen zu sein.

„Der nationalsozialistischen Bewegung ist es gelungen, das ganze deut-sche Volk auf einige wenige große Ziele auszurichten und alle Kräfte zuderen Erreichung einheitlich einzusetzen. Nur dadurch waren die gewal-tigen Erfolge der letzten Zeit [die Okkupationen des Blitzkrieges, Anm.d. Verf.] möglich. Dabei kam es nicht zu einer ,Gleichschaltung‘ der ein-zelnen Gebiete, wie dies von unseren Gegnern so oft geglaubt wird. Viel-

43 Johannes Messner: Die berufständische Ordnung. Innsbruck, Wien und München1936, S. 243, Hervorhebung im Original.

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mehr trugen die einzelnen Bereiche des Lebens im Rahmen ihrer sachli-chen Gegebenheiten zur Erfüllung der großen Aufgaben bei“.44

Beide Ordnungen unterschieden sich daher zweitens und grundlegendüber ihre Durchsetzungsmächtigkeit: Die nationalsozialistische prägte ab1938 die bis dahin österreichische Gesellschaft nachhaltig. Sie konnte sichtatsächlich durchsetzen. Im Gegensatz zur berufständischen blieb sie nichtbloßes Postulat,45 sondern wurde zum großen Teil Wirklichkeit.

Die Ordnung des ab 1938 nach und nach etablierten Raums völkischerBerufsarbeit war nicht einfache Funktion irrationaler Phantasmen oder derGesetze eines ökonomischen, bürokratischen oder Parteiapparates, sondernbasierte zumindest in wesentlichen Zügen auf den Prinzipien national-sozialistisch-völkischer Rationalität. Auch wenn sich die Konstituierungdieses Raums viel mehr als Prozess denn als Umsetzung eines Planes dar-stellt und die einzelnen Maßnahmen alles andere als widerspruchsfrei undeinheitlich waren, so gab es eine Art von kleinstem gemeinsamen Nenner,ein von den meisten NS-Maßnahmen implizit akzeptiertes Prinzip: nämlichdass die Neuordnung der Berufe nur eine völkische sein könne, eine, diein „der nationalsozialistischen Erhebung und der Neuordnung im LandeÖsterreich“46 insgesamt ihren Platz finden musste.47

Blut und Ehre sollten das (Neu-)Ordnungsprinzip der Volksgemein-schaft werden, indem deren ausdifferenzierte Teilbereiche, Kultur, Militär,Politik, Familie, Jugenderziehung, Wirtschaft usw. nach ihnen (neu-)ge-ordnet werden sollten (und umgekehrt). Ehre wurde das Kriterium zurWertbestimmung in einer Gemeinschaft von Volksgenossen artreinenBlutes: „Die auf dem Gemeinschaftsgedanken aufgebaute nationalsoziali-stische Volksordnung sieht dagegen in der Ehre das Ordnungsprinzip derVolksgemeinschaft: der Wert des Volksgenossen für die Gemeinschaft, seine

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44 Hans Pohl: Leistungssteigerung durch Auslese, in: Das Junge Deutschland 34. Jg. (1940),S. 201– 204, hier: S. 201.

45 Vgl. Emmerich Tálos und Walter Manoschek: Politische Struktur des Austrofaschismus(1934 –1938), in: Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer, Hg.: „Austrofaschis-mus“. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934 –1938. Wien 41988, S. 75 –119, hier: 107–109.

46 Verordnung über den Ausgleich von Rechtsansprüchen im Lande Österreich vom21. Mai 1938, RGBl I S. 596, § 1 (1).

47 Zu dieser Art von Prozesslogik der nationalsozialistischen Politiken vgl. AlexanderMejstrik: Die Erfindung der Deutschen Jugend. Erziehung in Wien 1938 – 1945, in:Tálos und andere, NS-Herrschaft, 2000, S. 494 – 522, hier: S. 494 – 495.

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Ehre, wird danach beurteilt, wie er seine Gemeinschaftspflichten erfüllt.Die Nichterfüllung dieser Pflichten ist gemeinschaftswidriges Verhaltenund mindert seine Ehre.“48

Blut und Ehre wurden auf die Anforderungen der jeweils unterschied-lichen institutionellen Logiken hin spezifiziert, und in vielen Fällen scheintdies gelungen zu sein, in verschiedenen Ausprägungen und zumindesteine Zeit lang. So verrückt es für heutige Ohren klingen mag und so mora-lisch unfassbar die Konsequenzen der völkischen Neuordnungen waren:Blut und Ehre waren weder Hirngespinste einiger Fanatiker oder vielerVerblendeter noch ideologischer Aufputz der Eigenlogik eines militärisch-ökonomischen oder politisch-bürokratischen Komplexes. Sie müssen alspraktische Orientierung und realer Maßstab der nationalsozialistischenMaßnahmen und Unternehmungen verstanden werden, deren Ziel es war,die völkische Ordnung, die Volksgemeinschaft aller Deutschen Wirklich-keit werden zu lassen – durch bereichsspezifizierte Auslese und Ausmerze.

Wie es allerdings keinen einheitlichen Nationalsozialismus gab, so gabes auch keine einheitliche Vorstellung von Blut und Ehre. Der Gegensatzzwischen zwei bestimmten Einsätzen in den Nationalsozialismus – dasheißt zwischen zwei von all den unterschiedlichen Arten, sich für einenpartikularen Nationalsozialismus einzusetzen – war auf grundlegendeWeise für die Geschichte des völkischen Berufs sowie gleichzeitig für dieGeschichte der Ostmark und der Alpen- und Donau-Reichsgaue wichtig:der Gegensatz zwischen einem Nationalsozialismus als Bewegung undeinem staatstragenden Nationalsozialismus.49 Beiden ging es um Volksge-meinschaft. Beide waren sich darüber einig, dass Blut und Ehre derenPrinzip und Maßstab sein mussten. Nur waren Blut und Ehre dieser zweiNS-Einsätze nicht dieselben, und entsprechend unterschieden sich derenVolkgemeinschaften.

48 Heinz Kümmerlein: Über die Aberkennung der Berufserziehungs- und Lehrbefugnis.Die Ehrgerichtsbarkeit im Jugendarbeitsrecht, in: Das Junge Deutschland 33. Jg. (1939),S. 260 – 276, hier: S. 260. Heinz Kümmerlein gehörte als Beamter beim Reichsjustiz-ministeriums der Reichsjugendführung an und kommentierte nicht nur des öfteren dieKonstruktionen der nationalsozialistischen Berufsrechtstheoretiker, sondern ergänztediese auch durch eigene Abhandlungen von begrenzten Problemstellungen. Er agierteoffenbar von Seiten der HJ als ein wesentlicher Vermittler zum Jugendrechtsausschußder Akademie für Deutsches Recht.

49 Vgl. dazu auch Gerhard Jagschitz: Von der „Bewegung“ zum Apparat. Zur Phäno-menologie der NSDAP 1938 bis 1945, in: Tálos und andere, NS-Herrschaft, 2000,S. 88 – 122, hier: S. 93.

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Die Differenz manifestierte sich nicht beim Blut, sondern in zwei Artenvon völkischer Ehre: einer – der Ehre der Bewegung –, die sich ausschließ-lich über die rechte Gesinnung, über Treue und Zuverlässigkeit, bestimm-te, und einer anderen – der Ehre eines nationalsozialistischen Staates –, dieüber die Treue hinaus noch zusätzlich die völkische Leistung und denWillen zur Leistungssteigerung mit einbezog.50 Diese Ehre verband diezwei Momente von Leistung und Charakter.

„Diese Erweiterung der menschlichen Auslesegestaltung gegenüber demAuslesevorgang in der Natur besagt also zunächst, daß die ‚gesunde Natur‘und die ‚Durchsetzungskraft als ursprüngliche Lebensleistung‘ zwar uner-läßliche, aber nicht mehr hinreichende Vorbedingungen werden, die durchdie menschlichen Gestaltungskräfte der Seele und des Charakters als Haupt-bedingungen ergänzt sein müssen.“51

Für die Ehre der Bewegung hingegen gingen alle Pflichterfüllung undaller völkischer Idealismus allein in Treue und Opferbereitschaft auf. EineAufstiegs- und Leistungspflicht fand sich hier nicht. Sehr deutlich wurdesolch ein Einsatz in den Nationalsozialismus in einigen Passagen von Hitlers„Mein Kampf“ formuliert, dessen zweites Buch „Die nationalsozialistischeBewegung“ heißt und einen „völkischen Staat“ der Zukunft entwirft, dersich der zweidimensionalen Rationalität der Bewegung voll und ganz beu-gen sollte. Dieser Staat und diese Volksgemeinschaft konnten (und solltenletztlich) im fast zehn Jahre später begonnenen Dritten Reich nicht durch-gesetzt werden52: „In der Hingabe des eigenen Lebens für die Existenz derGemeinschaft liegt die Krönung alles Opfersinnes. Nur dadurch wird ver-hindert, daß, was Menschenhände bauten, Menschenhände wieder stürzenoder die Natur vernichtet.

Gerade unsere deutsche Sprache aber besitzt ein Wort, das in herrli-cher Weise das Handeln nach diesem Sinne bezeichnet: Pflichterfüllung;das heißt, nicht sich selbst genügen, sondern der Allgemeinheit dienen.

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50 Die zweidimensionale Ehre des staatsorientierten Nationalsozialismus wurde an andererStelle schon ausführlich besprochen, vgl. Mejstrik, Ertüchtigung, vor allem S. 441– 464.

51 Fischer, Auslese und Begabung, S. 201– 202.52 Was im übrigen auch bedeutet, dass – konträr zu einem verbreiteten Zugang – gerade

dieses und ähnliche Bücher (zum Beispiel die frühen Schriften Alfred Rosenbergs) nichtals ideologische Matrix genommen werden können, um die Geschichte der NS-Herr-schaft zu verstehen: Ein Zitat aus Mein Kampf kann nur unter bestimmten Aspektenund unter bestimmten Konstruktionsbedingungen als Beleg für eine Argumentationzur NS-Geschichte herangezogen werden.

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Die grundsätzliche Gesinnung, aus der ein solches Handeln erwächst,nennen wir – zum Unterschied vom Egoismus, vom Eigennutz – Idealis-mus. Wir verstehen darunter nur die Aufopferungsfähigkeit des einzelnenfür die Gesamtheit, für seine Mitmenschen.“53

Die Differenz zwischen den beiden völkischen Ehren konzentriertesich auf den Sinn von Leistung in der völkischen Gemeinschaft und umden Sinn, den die Referenz auf den deutschen Staat (mit seiner Wirtschaft,seiner Kulturproduktion und seiner Verwaltung), von der sich die Not-wendigkeit einer fachlich spezifizierten Leistung und Kompetenz ableite-te, für das völkische Reich machen sollte.54 Wie noch an vielen Fällengezeigt werden wird, zielte der Einsatz für einen Nationalsozialismus alsBewegung (zum Beispiel bei den so genannten wilden Arisierungen vonArbeitsstellen und Firmen) nicht auf die Einbeziehung von genuin öko-nomischen oder bürokratischen Rationalitäten in die Volksgemeinschaftab, sondern es ging hier im Gegenteil darum, alle noch existierendenEigenlogiken von Wirtschaft und Verwaltung zugunsten einer ausschließ-lich politischen Rationalität zu negieren, aufzulösen. Tüchtigkeit bei derLeistungssteigerung war hier unwichtig, teils sogar offen sinnwidrig, dennein positiver Bezug auf sie verhinderte ja zum Beispiel, alte Kämpfer miteinem Posten zu versorgen, für den sie fachlich überhaupt nicht geeignetwaren, den sie sich jedoch in dieser Perspektive unzweifelhaft durch Treueund Zuverlässigkeit in den Zeiten des Parteiverbots verdient hatten. Dievölkische Erhebung sollte nicht allzu weit in die Zukunft planen.

Genau das Gegenteil inkludierte der Einsatz für einen staatstragenden,völkisch-reformistischen Nationalsozialismus und für eine Volksgemein-schaft, die auf die bestehenden staatlichen Gegebenheiten Bezug und Rück-sicht nahm, weil sie diese für ihre weitreichenden Perspektiven benötigte– vor allem für die kriegerische Expansion, die ohne hocheffektive nationale

53 Adolf Hitler: Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band, ungekürzte Ausgabe. Mün-chen 1939, S. 327.

54 In den von Gerhard Botz für Wien 1938/39 entworfenen „Kräftefeld“ und „Herr-schaftsbeziehungen“ zwischen und in den „Bewegungskräfte[n] (‚Partei‘)“ und den„traditionale[n] Herrschaftsräger[n] (‚Staat‘ und ‚Wirtschaft‘)“ agierenden „Faktoren“finden sich diese beiden Einsatzorientierungen in den Nationalsozialismus in diversengegenseitigen Gewichtungen wieder. So sei hier auf die Untersuchungen der Konfliktezwischen einer „pseudo-revolutionären Machtübernahme von unten“, einer „schein-legalen Machtergreifung von oben“ und einer „übermächtigen Intervention von außen“verwiesen, vgl. Botz, Nationalsozialismus, 1988, S. 107–111 und 487– 494.

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Produktion und Logistik völlig unmöglich war.55 Fachlich spezialisierte Aus-bildung und Leistung wurde in dieser Perspektive nicht bloß wichtig, son-dern zur zentralen Pflicht. Und eine funktionierende Verwaltungsinstanzoder Firma war dann wesentlicher für die Verwirklichung der völkischenIdee als die Versorgung von Bewegten, auch wenn dies ausnahmsweise dieWeiterbeschäftigung von fremdvölkischem, dafür aber kompetentem Per-sonal erforderte.56

Beide Einsätze können für alle Jahre nationalsozialistischer Herrschaftnachgewiesen werden. So lässt sich zum Beispiel die staatsvölkische Orien-tierung auch schon 1933 in hochoffizieller Umsetzung finden. Das Gesetzzur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, in dem die Zuverlässigkeitder BeamtInnen für „den nationalen Staat“ gefordert wurde, setzte dievölkischen Anforderungen in dreierlei Hinsicht fest: nach Kriterien derfachlichen Eignung (§ 2), der Rasse (§ 3) und der Gesinnung (§ 4):

„§ 2(1) Beamte, die seit dem 9. November 1918 in das Beamtenverhältnis eingetre-ten sind, ohne die für ihre Laufbahn vorgeschriebene oder übliche Vorbildungoder sonstige Eignung zu besitzen, sind aus dem Dienste zu entlassen. [...]

§ 3 (1) Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand(§§ 8 ff.) zu versetzen; soweit es sich um Ehrenbeamte handelt, sind sie ausdem Amtsverhältnis zu entlassen. [...]

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55 Es gab natürlich auch andere Instanzen, die sich für diesen Einsatz stark zu machen began-nen, auch wenn sie nur mittelbar an einer staatspolitischen Perspektive Interesse hatten.Hier sind vor allem die DAF (vgl. Otto Schroeder: Wir begrüßen einen neuen Jahrgang.Querschnitt durch die Jugendarbeit der DAF, in: Das Junge Deutschland 33. Jg. (1939),S. 173–178; zu Aufbau und Aktivitäten der DAF allgemein vgl. Jürgen Reulecke: DieFahne mit dem goldenen Zahnrad: der „Leistungskampf der deutschen Betriebe“ 1937–1939, in: Detlev Peukert und Jürgen Reulecke, Hg.: Die Reihen fest geschlossen.Beiträge zur Geschichte des Alltags unterm Nationalsozialismus. Wuppertal 1981,S. 245 – 269, hier S. 245 – 257 und Friedhelm Vahsen: Nationalsozialistische Freizeit-erziehung als Sozialpolitik, in: Hans-Uwe Otto und Heinz Sünker, Hg.: Soziale Arbeitund Faschismus. Frankfurt/M. 1989, S. 63 – 80, hier S. 63 – 66.) und die Reichsju-gendführung (neben der Zusammenarbeit von HJ und Juristen vgl. auch noch dieVereinbarung von Baldur von Schirach und Dr. Ley über die Zusammenarbeit zwi-schen Hitler-Jugend und Deutscher Arbeitsfront vom 1.11.1938, besprochen in:Schroeder, Jahrgang, 1939, S. 174) zu nennen, die einen nationalsozialistisch politi-schen Anspruch auf eine längerfristige Zukunft oder die Arbeit schlechthin noch amdeutlichsten anmelden konnten.

56 Vgl. hierzu vor allem das Kapitel 4.2. ArbeiterInnen und Angestellte der Privatwirt-schaft, S. 372.

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§ 4 Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewährdafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten,können aus dem Dienst entlassen werden.“57

Ebenso dreigeteilt – nur in anderer Reihenfolge (zuerst Abstammung,dann Gesinnung, zuletzt fachliche Eignung) – funktionierte die Verord-nung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums (BBV) von1938. Auch sie war auf die Kontrolle der Zuverlässigkeit „für den natio-nalsozialistischen Staat“ ausgerichtet.58 In den Nürnberger Gesetzen von1935 hingegen ging es nicht um den Staat, sondern darum, „dem Deut-schen Volk und Reich zu dienen“.59 Die Ehre des Gesetzes zum Schutzedes deutschen Blutes und der deutschen Ehre bestimmte sich nur durchden Umgang zwischen Volksgenossen und Nichtvolksgenossen.60 DieEhre des Reichsbürgergesetzes beschränkte sich auf die „Treue“.61 Nichtumsonst gelten die am Reichsparteitag der Freiheit erlassenen Gesetze alsbesonders nationalsozialistisch, das heißt der Logik der Bewegung undder Partei viel näher als der einer deutschen Staatsverwaltung. Und nichtumsonst bezogen sich die beiden Gesetze zur Beamtenneuordnung aufeinen zentralen Bereich des Staates.

Fanden sich beide Einsätze für die gesamte Dauer der nationalsozia-listischen Herrschaft, so war ihr gegenseitiges Verhältnis jedoch nicht aus-geglichen – weder synchron noch diachron. Einiges spricht dafür, dassgegen die zu Anfang vorherrschende Logik der Bewegung – deutlich zumBeispiel in der Vorschrift, dass NSDAP und SA die „führende [...] undbewegende [...] Kraft des nationalsozialistischen Staates“62 zu sein hätten– zumindest ab 1936, klar jedoch ab 1938 die staatsorientierte Logik durch-gesetzt wurde: Die Leistung galt immer unumgänglicher als Moment dervölkischen Ehre, sie wurde sogar eindeutig vor Gesinnung und Charakter-treue gereiht (s.u.). Diese Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen

57 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Vom 7. April 1933, RGBl. I,S. 175 –177, hier: S. 175.

58 Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums. Vom 31. Mai1938, RGBl. I, S. 607– 610, hier: S. 608, eigene Hervorhebung.

59 Reichsbürgergesetz. Vom 15. September 1935, RGBl. I, S. 1146.60 Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Vom 15. Septem-

ber 1935, RGBl. I, S. 1146 –1147.61 Reichsbürgergesetz. Vom 15. September 1935, RGBl. I, S. 1146.62 Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat. Vom 1. Dezember 1933,

RGBl. I, S. 1016.

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den beiden Nationalsozialismen war grundlegend mit der Ausrichtung aufden Eroberungskrieg ab 1936 verbunden und ebenso mit den Ereignissenum die Okkupation Österreichs und die Eingliederung einer Ostmark insAltreich. 1938 war nicht zufällig für die Geschichte der völkischen Berufs-neuordnung ein wesentliches Jahr.

Nach dem Anschluss gelang im Land Österreich jene Dynamisierungder völkischen Neuordnung, die sowohl deren (neue) Richtung als auchderen schnellen Erfolg überhaupt erst möglich machte. Der Konflikt zwi-schen den Einsätzen für einen Nationalsozialismus als Bewegung, oderaber als staatstragende Kraft, der im Altreich einigermaßen festgefahrenerschien, konnte nun im frisch angeschlossenen Österreich erneut offenausbrechen, so als ob in einer wiederholten offenen Konfrontation eineVerschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Bewegung wiedermöglich wäre. Zumindest sind die Spuren auch eines vielfältig bewegtenNationalsozialismus in den Dokumenten der ersten Zeit nach dem März1938 augenfällig und zahlreich. So liest man an zentralen Stellen derVerwaltungsakten regelmäßig von „der nationalsozialistischen Erhebungund der Neuordnung im Lande Österreich“63 oder noch deutlicher von„der nationalsozialistischen Erhebung und Staatserneuerung“64. Ebensowurden in der BBV vom 31. Mai 1938 politische Zuverlässigkeit gegen-über dem „nationalsozialistischen Staat“ gefordert, jedoch ebenso eineMaßregelung „vor allem [von] Beamte[n], die gegen die nationalsozia-listische Bewegung und ihre Anhänger gehässig aufgetreten sind“.65

Wurde der alte Konflikt wieder akut, so schien sich das Kräfteverhält-nis aber nicht umkehren zu lassen – ganz im Gegenteil. Die Erfindung

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63 Zum Beispiel: Der Minister für Wirtschaft und Arbeit, Fischböck, und der Staatskom-missar in der Privatwirtschaft, der Präsident der Handelskammer Wien, Rafelsberger,Rundschreiben an alle Gliederungen und Organisationen der gewerblichen Wirtschaft[undatiert, vermutlich August 1938], ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 90, Mappe2160/1, f. 7; auch HKWA, Kt. 2866.

64 Zum Beispiel: Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Ver-ordnung über den Ausgleich von Rechtsansprüchen im Lande Österreich vom 21. Mai1938 bekanntgemacht wird, GBlÖ, S. 434. Die Verordnung berief sich erstens aufdas Gesetz über den Ausgleich bürgerlich-rechtlicher Ansprüche vom 13. Dezember1934, RGBl I S. 1235 (unter Ausnahme des § 1) und zweitens auf die Erste Verord-nung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über den Ausgleich bürgerlich-rechtlicher Ansprüche vom 22. Februar 1935, RGBl I S. 219.

65 Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums. Vom 31. Mai1938, RGBl. I, S. 607– 610, hier: S. 608.

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der Ostmark trug zu einer Beschleunigung und Radikalisierung bei derDurchsetzung eines Nationalsozialismus als Staatssache bei. Der relativschnelle und definitive Erfolg all jener, die auf Planbarkeit, Leistungsstei-gerung und die Adaption (statt Auslöschung) bürokratischer wie ökono-mischer Spezialisierung für die Zwecke der Volksgemeinschaft eintraten,konnte offenbar sogar auf das Altreich übertragen werden. BestimmtePattstellungen zwischen Interessengruppierungen und Fraktionen, die nach1933 in Deutschland erreicht worden waren, schienen so aufzubrechen.Die Etablierung eines staatstragenden und aggressiv-expansiven National-sozialismus war daher wesentlich mit dem Umbruch in Österreich undmit den dadurch erneuerten Macht- und Fraktionskämpfen verbunden.

Darüber hinaus stellte diese Geschichte genau den Rahmen dar, in demder völkische Beruf gegen die bis dahin vorherrschende Vorstellung von Ar-beit erfunden wurde. Die Durchsetzung der nationalsozialistischen Berufs-arbeit entwickelte ihre eigene Auslese und ihre eigene Ausmerze. Gemeinsamzielten diese beiden darauf ab, den neuen völkischen Beruf herbeizuführen,der dann allen völkischen Deutschen die Möglichkeit bieten sollte, beruf-lich ihrem Volk zu dienen und so ihre kollektive Bestimmung wie ihrindividuelles Heil zu finden. In ihnen wirkten die unterschiedlichstenInteressen von Verfolgten und/oder Verfolgern konfliktiv/konsensuellzusammen und trugen so dazu bei, die existierenden Berufs- und Arbeits-bereiche zum Raum der völkischen Berufsarbeit umzustrukturieren.

Berufsverbote und Entlassungen stellten dabei die drastischsten Maß-nahmen der Ausmerze dar, formierten jedoch keine irgendwie klar ab-grenzbare Klasse von Praktiken, die sich mit einem Forschungsgegenstandverwechseln lassen könnte. Und wenn sie den Schwerpunkt für die folgen-den Untersuchungen bilden, so weil sie im Zentrum des ursprünglichenProjektauftrags standen. Nationalsozialistische Berufsverbote und Entlas-sungen wurden oft als gezielte Verschlechterungen individueller wiekollektiver Berufs- und Arbeitsbedingungen erlebt – weshalb sie der Ein-fachheit halber und heuristisch als besondere Berufsschädigungen be-zeichnet werden können. Nationalsozialistische Berufsschädigungen imokkupierten Österreich gingen deutlich über Berufsarisierungen66 hinaus,umfassten auch politisch begründete Säuberungsaktionen und all die

66 Zum Wort Arisierung vgl. den Lexikoneintrag in: Wolfgang Benz, Hermann Gramlund Hermann Weiß, Hg.: Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Mit zahlreichenAbbildungen, Karten und Graphiken. München 1997, S. 374f.

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vielen vor allem im Laufe des Weltkrieges immer wichtiger werdendenMaßnahmen zur Kontrolle und Sicherstellung der beruflichen Leistungs-und Aufstiegspflicht. Sie beschränkten sich auch nicht nur auf Entlassun-gen und Berufsverbote. Das Spektrum war weit größer und vielgestaltiger,umfasste Pensionierungen, Versetzungen, Lohn-/Gehalts- /Pensionskür-zungen und -streichungen bis hin zu diversen Verschlechterungen vonArbeitssituationen und Karriereaussichten. Insgesamt sind sie in Radika-lität und Umfang wohl einzigartig in der neuesten Geschichte Österreichs.Und dies, obwohl diese Geschichte bis dahin zum Beispiel mit den Säu-berungen während des Austrofaschismus oder mit den informellen, aberhocheffektiven Ausschließungen von Juden und Jüdinnen aus den Lehr-funktionen an einigen Hochschulen (Hochschule für Bodenkultur undVeterinär-Medizinische Hochschule in Wien, Montanistische HochschuleLeoben)67 durchaus schon Ähnliches aufzuweisen hatte.

Berufsverbote und Entlassungen können also nicht verstanden werden,wenn man sie erstens nicht in einen Zusammenhang mit allen anderenMaßnahmen der Berufsausmerze stellt und zweitens auf einen systemati-schen Vergleich mit den Förderungen der Auslese verzichtet, kurz: wennman sie nicht als Fälle der völkischen Berufsneuordnung rekonstruiert.Für solch ein Programm stellt die multiple Korrespondenzanalyse einwesentliches Werkzeug dar: Die mit ihr mögliche Modellkonstruktionliefert den experimentellen Beweis für die Argumentation.

1.1.2. Völkische Berufsarbeit als dreidimensionaler Raum

Interpretiert man die Ergebnisse der Korrespondenzanalyse als Struktur-schema des Raums der Berufs- und Arbeitsgeschichten im Österreich derNS-Herrschaft, so lässt sich zeigen, dass der Arbeits- und Berufsmarktdurch die drastischen, rapiden und umfassenden Neuordnungen tatsächlichin sehr kurzer Zeit nach dem Grundprinzip der Volksgemeinschaft orga-nisiert wurde: Er stellt sich als Raum völkischer Berufsarbeit unter demMonopol des völkischen Schaffens sowie von Blut und Ehre dar.

Dieses Monopol war jener Einsatz unter allen ebenso wirksamen Ein-sätzen für Arbeit und Beruf, der sich gegen alle anderen Einsätze als offiziellgültiger, als wirklicher durchsetzen konnte: Niemand kam bei seinem Tun

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67 Vgl. dazu Kapitel 4.1. Öffentlicher Dienst, S. 284.

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um ihn herum – gleich ob dabei die Opposition gegen den völkischen Be-ruf überwog, oder aber der Konsens mit ihm. Es handelte sich also um einhistorisches und nicht um eine abstrakt-totales Monopol. Es war auf unter-schiedliche Art mit unterschiedlicher Intensität umstritten, aber offiziellvon allen bei ihrem Tun als solches erkennbar und (selbst in heftigsterOpposition dagegen) anerkannt. Als herrschender Einsatz ordnete es denRaum der Berufsarbeit nach seinen Anforderungen, Ansprüchen undNotwendigkeiten: Das völkische Schaffen konnte als offizielle Referenzfür allen Beruf und alles Arbeiten durchgesetzt werden, Blut und Ehre –jener Maßstab, vor dem das Schaffen in aller Exzellenz bestand – wurdenals offizieller Maßstab für allen Beruf und alle Arbeit etabliert.

Der Beruf fürs deutsche Volk bestimmte sich nicht mehr über die bis-lang vorherrschende Vielfalt an Perspektiven (Erwerb, Arbeit, Karriere,Gewerbe usw.), nicht einmal mehr über die Vielfalt an spezialisierten Fer-tigkeiten und Ausbildungsgängen, sondern vor allem als völkisch-idealeHaltung im Wirtschaftsleben, im Bereich offizieller Kultur und in den Ver-waltungen. Er sollte allem ökonomischen Eigennutz ein Ende bereiten. AlsPflicht gegenüber der Volksgemeinschaft war er der effektive Widerpartsowohl zum selbstbezogenen (Lohn-)Arbeiten um des eigenen Verdienstesund Auskommens willen (Recht auf Arbeit) als auch zur kapitalistischenProfitmaximierung. Nun galt es, seinen Beitrag zum völkischen Schaffenzu erbringen: statt eigener Bereicherung berufliche Tüchtigkeit als Dienstam Volk. Mit dem Schaffen wurde selbst die Wirtschaft entmaterialisiert,zu einer Sache des völkischen Idealismus.

„Beruf ist mehr als Broterwerb. Der Mensch lebt, um zu arbeiten undWerte zu schaffen für die Gemeinschaft. Ein Leben ohne Beruf ist einLeben ohne Rückgrat, ohne Sinn und Berechtigung. Der deutsche Menschist unzufrieden, wenn er nicht arbeiten und schaffen kann; er ist unglück-lich, wenn ihn der Beruf nicht befriedigt. [...] Der Einfluß des Berufes aufdie seelische Verfassung läßt sich kaum überschätzen. Was für deneinzelnen zutrifft, gilt auch vom ganzen Volk. Die Deutschen sind vonNatur arbeitsam und fleißig. Rastlose Tätigkeit ist ihr Lebensbedürfnis,die Ursache liegt weniger in wirtschaftlichen Gegebenheiten als im Volks-charakter. Deutschland hat am härtesten um den Berufsgedanken gerun-gen und ihm seine schärfste Ausprägung gegeben. Unter dem Einfluß dernationalsozialistischen Bewegung ist dieses Verhältnis noch inniger undlebensvoller gestaltet worden. Berufsehre, Berufsstolz, Berufserziehung,

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Berufswettkampf, Berufsfortbildung – das sind nicht Begriffe, die einerTheorie der Arbeitsethik entstammen, sondern konkrete Größen,bewegende Elemente im Alltag der schaffenden Bevölkerung. [...] DieseBelebung des Berufsgedankens wirkt in jedes Beschäftigungsverhältnishinein. Niemand, der nicht heute von den ethischen und politischenForderungen, die sich damit verbinden, ergriffen würde. Das war nichtimmer so. Es liegt nur ein Jahrzehnt zurück, daß als Romantiker undPhantast belächelt wurde, wer Berufsarbeit als Dienst am Volk betrachtetwissen wollte. Heute gilt keine Auffassung außer dieser. Die Leistung imBeruf um der Gemeinschaft willen steht auf der gleichen Stufe selbstver-ständlicher Pflichterfüllung wie der Dienst mit der Waffe.“68

Solcher Beruf hatte zwar mit Arbeit zu tun, aber nicht mit jeder mögli-chen und schon gar nicht mit irgendeiner. „Arbeitskraft [ist] kein Objekt“,sie konnte „von der Persönlichkeit nicht getrennt werden“. Arbeit selbstwar keine „Ware“, und die „Arbeitsleistung nicht mehr Lieferung, sondernEntfaltung der Persönlichkeit“69. Blieb sie einfaches Mittel zum Überlebenoder zur persönlichen Karriere allein, so zeigte sich „die Sinnlosigkeit einerArbeit ohne völkische Zielsetzung“70. Sinn machte sie demgegenüber nurals „sittliche Verpflichtung und Dienst am Volk“71, wie alles, was in dernationalsozialistischen Volksgemeinschaft Wert haben sollte, nur als Pflicht-erfüllung und Dienst gegenüber der einen, letzten Gemeinschaft bestehenkonnte. „Erste Pflicht jedes Staatsbürgers muß sein, geistig oder körperlichzu schaffen. Die Tätigkeit des Einzelnen darf nicht gegen die Interessender Allgemeinheit verstoßen, sondern muß im Rahmen des Gesamten undzum Nutzen Aller erfolgen.“72

Beruf wurde dadurch gleichzeitig mehr und anderes als Arbeit. Wardie Arbeit zu Anfang nach dem im Gesetz zur Ordnung der nationalenArbeit von 1934 (AOG) fixierten offiziellen Sinn zuerst einmal eine Sache

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68 Müller, Erziehung, 1943, S. 68.69 Wolfgang Siebert: Die Entwicklung der Lehre vom Arbeitsverhältnis im Jahre 1936,

in: Deutsches Arbeitsrecht 5. Jg. (1937), S. 14 –19 und 44 – 49, hier: S. 19.70 Heinrich Schulz: Der Aufstieg der deutschen Kinderlandverschickung. Ein Erholungs-

werk der Bewegung, in: Das Junge Deutschland 35. Jg. (1941), S. 5 – 9, hier: S. 6.71 Willi Rühmann: Drei Jahre Lehrzeit genügen! in: Das Junge Deutschland 32. Jg. (1938),

S. 362 – 368, hier: S. 365.72 Parteiprogramm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei vom 24. 2.1920,

Punkt 10, zitiert in Erwin Stiefel: Das Recht der Jugendhilfe. Die wichtigsten reichs-gesetzlichen Bestimmungen in der am 1. Juli 1942 geltenden Fassung. Stuttgart 1942,S. 1.

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der Betriebe, mehr noch eine innerbetriebliche Angelegenheit,73 so unter-schied sich der später erfundene und propagierte Beruf von ihr auch we-sentlich darin, dass er eine „überbetriebliche Ordnung“74 verlangte unddurchzusetzen half. Dies korrespondierte der Veränderung von der im AOGkodifizierten Sonderstellung und Eigenständigkeit der Betriebe für dieKonstitution des Bereichs der Volkswirtschaft zu dessen ab der Arbeits-schlacht immer stärker staatlich zentralisierter Verwaltung75. Der neueBeruf ersetzte damit nicht jede einfache Lohnarbeit, er machte sie nichtobsolet und raubte ihr nicht jede Berechtigung. Sie blieb nach wie vornötig, reichte und passte für die neuen Maschinen der Großindustrie, fürFremdvölkische und Gemeinschaftsfremde, deren völkischer Sinn undZweck sich aufs Arbeiten als Nichtschaffen reduzieren konnte. Genaudiese mehrdimensionale Grenze begründete den Beruf als Dienst am Volk,seine schwerwiegenden Pflichten und seine nachgereihten Rechte, derenwichtigstes wohl das Recht war, einen völkischen Beruf zu haben.

Es war die nationalsozialistisch erfundene Rasse, die primär über Zu-gang, Ausschluss und Erfolg in Beruf und Arbeit entschied, nachdemÖsterreich unter nationalsozialistische Herrschaft gebracht worden war:Die Grenze zwischen Ariern und Nichtariern stellte die wichtigste, grund-

73 „Im Betrieb arbeiten der Unternehmer als Führer des Betriebes, die Angestellten undArbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zumgemeinen Nutzen von Volk und Staat.“ Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit.Vom 20. Januar 1934, RGBl. I, S. 45, § 1.

74 Siebert, Grundzüge, 1943, S. 102.75 Die wichtigste Instanz dieser bis zum Kriegsende unaufhörlich vermehrten staatlichen

Kontrolle und Planung der Volkswirtschaft gegen die betriebliche Selbstverwaltungstellen sicherlich die Reichstreuhänder der Arbeit dar. Sie werden mit dem AOG§ 18 – § 25, § 32 – § 33, geschaffen, und ihre Eingriffsbefugnisse (zum Teil gegen dieDeklarationen des Gesetzestextes) in die Angelegenheiten der einzelnen Betriebe ab1936 immer mehr erweitert (vgl. Emmerich Tálos: Sozialpolitik 1938 bis 1945.Versprechungen – Erwartungen – Realisationen, in: Tálos und andere, Hg.: NS-Herr-schaft, 2000, S. 115 –140, hier: S. 119). Dies kulminiert zum Beispiel schon vor Be-ginn des Krieges, dessen Produktionsordnung ja eine auch explizit so bezeichneteVerlängerung der Arbeitsschlacht darstellt, in der Verordnung über die Lohngestal-tung. Vom 25. 6.1938: „Die Reichstreuhänder und die Sondertreuhänder der Arbeithaben die Lohn- und Arbeitsbedingungen zu überwachen und alle Maßnahmen zutreffen, die erforderlich sind, um eine Beeinträchtigung der Wehrhaftmachung undder Durchführung des Vierjahresplanes durch die Entwicklung der Löhne und dersonstigen Arbeitsbedingungen zu verhindern.“ RGBl. I, S. 691, § 1. Entsprechendsind im § 2 dann die Strafregelungen bei Zuwiderhandlung gegen die Maßnahmender Reichstreuhänder niedergelegt.

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Tabelle 1: Beruf als völkisches Schaffen

Einsatz völkisches MonopolMaßstab Referenz Modus

dreidimen-sionaler Kontext Beruf Blut und Ehre Schaffen Dienen (verdienen)

eindimen-sionale Kontexte

primär Rasse (Art) Blut Arier, Deutsch- schützen, blütigkeit rein erhalten

Laufbahn, Leistung sekundär Fortkommen (fachliche Aufstieg höchststeigern

Eignung)Ehre

Zuverlässigkeit (Eignung) (charakterliche,

tertiär Gesinnung, sittliche, Charakter politische, Treue beweisen

persönliche Eignung)

legendste dar, um mit allen dazugehörigen Konsequenzen zu bestimmen,wer einen Beruf haben konnte und sollte, genauer: wer am neuen deut-schen Beruf Anteil haben musste/durfte und wer nicht. Ebenso wie dasvölkische Monopol mit seiner Referenz des Arischen und mit seinemDifferenzierungs- und Bewertungsmaßstab Blut an erster Stelle über dieZugehörigkeit zur Volksgemeinschaft insgesamt entschied, bei deren Auf-bau ja die Unterscheidung zwischen Reichsbürger und Staatsbürger imwahrsten Sinn des Wortes grundlegend war.76 Volksgenossen hatten zuersteinmal und vor allem den richtigen Rassewert zu haben.

Die erste nationalsozialistische Gesetzesdefinition von Rasse fand sich imGesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933.77

Nach seinen Regelungen sollten nur Beamte, die arischer Abstammung wa-ren, zum Dienst zugelassen werden. Die Durchführungsverordnung vom11. April 1933 definierte Rasse als Gegensatz zwischen arisch und nicht-arisch. Zuerst einmal sollte über den zutreffenden Rassewert anhand desKriteriums der Abstammung entschieden werden. Traten dabei Zweifel auf,so hatte einem „Sachverständigen für Rasseforschung“ das Urteil zu ob-

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76 Vgl. Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, RGBl I S. 1146, §§ 1 und 2.77 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Vom 7. April 1933, RGBl. I,

S. 175 –177.

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liegen. Außerdem war das Abstammungskriterium besonders streng gefasst:Was in weiterer Folge die Vierteljuden ausmachen sollte, die ja in den aller-meisten Fällen als (noch) arisch galten, war hier nicht mehr arisch genug.

„(1)Als nicht arisch gilt, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Elternoder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder ein Groß-elternteil nicht arisch ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn einElternteil oder ein Großelternteil der jüdischen Religion angehört hat. [...]

(3) Ist die arische Abstammung zweifelhaft, so ist ein Gutachten des beim Reichs-ministerium des Innern bestellten Sachverständigen für Rasseforschung ein-zuholen.“78

Die nächste gesetzliche Definition fand sich in den Richtlinien desRMdI vom 8. August 1933 zu jenem Paragraphen der Neufassung desReichsbeamtengesetzes,79 der die nichtarische Abstammung als Hinde-rungsgrund einführte, zum Reichsbeamten berufen zu werden. Es gab keineÄnderungen, sondern eine Ergänzung, die den physiologischen Sinn vonAbstammung gegen alle Verwechslung mit verwandtschaftlicher Filiationklar machte: „(2) Als Abstammung im Sinne des § 1a Abs. 3 des Reichs-beamtengesetzes gilt auch die außereheliche Abstammung. Durch die An-nahme an Kindesstatt wird ein Eltern- und Kindesverhältnis im Sinnedieser Vorschrift nicht begründet.“80

Diese Bestimmungen galten wenig mehr als zwei Jahre. Am Reichs-parteitag der Freiheit im September 1935 wurden dann jene Regelungenerlassen, die einen im Großen und Ganzen endgültigen reichseinheitlichenRahmen darstellen sollten.81 Der offizielle Sinn von Rasse blieb dabei nichtunverändert. Die Sprachregelungen der Nürnberger Rassengesetze82 kön-

78 Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufs-beamtentums. Vom 11. April 1933, RGBl. I, S. 195.

79 Vgl. Reichsbeamtengesetzes vom 31. März 1873 in der Fassung des Gesetzes vom 30.Juni 1933. Vom 30. Juni 1933, RGBl. I, S. 433 – 447, hier: § 1a.

80 Richtlinien zu § 1 a Abs. 3 des Reichsbeamtengesetzes in der Fassung des Gesetzesvom 30. Juni 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 433). Vom 8. August 1933, RGBl. I, S. 575,hier: § 1.

81 Vgl. Reichsbürgergesetz. Vom 15. September 1935, RGBL. I, S. 1146; Gesetz zumSchutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Vom 15. September 1935,RGBl. I, S. 1146 – 1147 und Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Vom 14. No-vember 1935, RGBL. I, S. 1333 –1334.

82 Nürnberger Rassengesetze (im Gegensatz zu Nürnberger Gesetze) ist der nationalso-zialistische Ausdruck, der hier beibehalten wird, vgl. Verordnung über die Einführung

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nen dies deutlich machen: Es ging ab nun um „Staatsangehörige“, spätereinfach um „Personen [...] deutschen oder artverwandten Blutes“83, abernicht mehr um Personen arischer oder aber nichtarischer Abstammung.Das Blut, das hier zum erstenmal in einem Gesetzestext bemüht wurde,war nicht nur Typengrenze wie die bisherige Abstammung, sondern einMaßstab, mit dem Abstufungen zwischen den Rassen erfasst werden konn-ten: Anhand seiner Reinheitsgraduierungen sollte es die menschlichenArten voneinander unterscheidbar und gleichzeitig in ihren Vermischun-gen messbar machen. Das Arische, genauer: die „Deutschblütigkeit“84 bliebunbestritten die Exzellenz in dieser Wertung. Jedes anders rassische Blutwar ihr gegenüber minderwertiger. „[D]ie Reinheit des deutschen Blutes“,so hieß es in einem der drei Gesetze des Reichsparteitages, ist „die Vor-aussetzung für den Fortbestand des Deutschen Volkes“.85 Aber es gab nunhochoffizielle Übergänge zwischen den Rassen, unterschiedliche Ausprä-gungen der „Reinheit des Blutes“, die unterschiedliche Pflichten undRechte in der Volksgemeinschaft begründeten. Es gab Blutmischungenund fremdblütige „Einschläge“86. Es gab Mischlinge – zum ersten Mal vordem Gesetz. Wie bei jeder historischen Grenze sind die Grenzfälle, diesich den vorkonstruierten Typen nicht so einfach beugen wollen, dieSchwierigkeiten machen und einer eigenen Explikationsanstrengung be-dürfen, besonders geeignet, um die Kriterien der praktischen Grenzzie-hungen besser zu verstehen.

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der Nürnberger Rassengesetze im Lande Österreich. Vom 20. Mai 1938, RGBl. I,S. 594 – 595.

83 Reichsbürgergesetz. Vom 15. September 1935, RGBL. I, S. 1146, hier: § 2; und zumBeispiel Gesetz über die Zulassung zur Patentanwaltschaft. Vom 4. September 1938,RGBl. 1938, Teil I, Nr. 140, 7. September 1938, S. 1150 – 1151. In offenbar nureinem einzigen Zusammenhang taucht in einem Gesetzestext eine etwas andere For-mulierung auf, „deutschen oder stammesgleichen Blutes“ (Verordnung über die Ein-führung des Erbhofrechts im Lande Österreich [ÖEHV]. Vom 27. Juli 1938, RGBl. I,S. 935 – 946, hier: Art. 4 Zu § 13 Abs. 3 Satz 2 REG [1]).

84 Die beiden fielen in Definitionen wie „deutschblütiger (arischer) Abstammung“ so gutwie zusammen, Verordnung über den Nachweis deutschblütiger Abstammung. Vom1. August 1940, RGBl. I, S. 1063 – 1064, hier: S. 1063 § 1.

85 Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Vom 15. September1935, RGBl. I, S. 1146 – 1147, hier: 1146.

86 So wie von einem „jüdischen Bluteinschlag“ geschrieben werden konnte, Verordnungüber die Einführung des Erbhofrechts im Lande Österreich (ÖEHV). Vom 27. Juli1938, RGBl. I, S. 935 – 946, hier: Art. 4 Zu § 13 Abs. 3 Satz 2 REG (1).

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Das Nichtarische als Negativreferenz wurde in der ab nun verbindli-chen Rassendefinition der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom14. November 1935 durch das Jüdische ersetzt, das ja nur einen besonde-ren Fall von jenem darstellte, und zwar den in völkischer Perspektiveschlechtesten und gefährlichsten. Wie schon vorher wurde als primärerIndikator des Blutwerts die Abstammung „der Rasse nach“87 bestimmt:„Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Groß-eltern abstammt: [...] Als volljüdisch gilt ein Großelternteil ohne weiteres,wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat.“88 Wie dasdeutsche Blut seine artverwandten Graduierungen erfuhr, so auch dasjüdische: Das Volljüdische wurde jetzt durch zwei Abstufungen ergänzt.Jene „Mischlinge“, die später Vierteljuden genannt werden sollten, galtender Art nach den Deutschen genug verwandt, um das Reichsbürgerrechtzu erhalten. Jene anderen jedoch, die später zu Halbjuden wurden, mar-kierten die kritische Grenze des Rassespektrums, an dem das Blut nochartverwandt genug sein konnte, um zur Teilhabe an der völkischen Ge-meinschaft zu verpflichten, oder aber schon zu wenig artverwandt, umdiese Teilhabe zu erlauben. Abstammung alleine reichte hier als Indikatorfür die Bewertung nicht mehr aus. Nur – kein Sachverständiger für Rasse-forschung musste diesmal konsultiert werden, um die Zweifel zu beseitigen.

„(2)Als Jude gilt auch der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende staats-angehörige jüdische Mischling,a) der beim Erlaß des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft ange-

hört hat oder danach in sie aufgenommen wird,b) der beim Erlaß des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich

danach mit einem solchen verheiratet,c) der aus einer Ehe mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt, die

nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutesund der deutschen Ehre vom 15. September 1935 [...] geschlossen ist,

d) der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden im Sinne des Ab-satzes 1 stammt und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren wird.“89

87 Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Vom 14. November 1935, RGBL. I,S. 1333 –1334, hier: S. 1333 § 2 (2).

88 Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Vom 14. November 1935, RGBL. I,S. 1333 –1334, hier: S. 1334 § 5 (1) und S. 1333 § 2 (2).

89 Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Vom 14. November 1935, RGBL. I,S. 1333 –1334, hier: S. 1334 § 5.

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Als nach der Abstammung sekundäres Kriterium wurde mit diesen Re-gelungen der Grad an expliziter Hinwendung zum historischen Judentumvorgegeben. Wie gezeigt, galt ja das offizielle Bekenntnis zur „jüdischenReligionsgemeinschaft“ „ohne weiteres“ als Beweis für einen „volljüdischen“Rassenwert eines Großelternteils. Und so wurden aus den Mischlingendann Juden, wenn sie sich aktiv für ein jüdisches Leben oder ein Lebenmit Juden oder Jüdinnen entschieden, nachdem vom Gesetz eindeutig klargemacht worden war, welch empfindliche Sanktionen ein solcher Umgangnach sich zog (Verwehrung der Reichsbürgerschaft).90 Solche Entscheidungwar gegen die Volksgemeinschaft gerichtet, eine Verweigerung gegenüberaller Pflicht und eine Zurückweisung des hier außergewöhnlicherweiseerreichbaren Rechts, Reichsbürger zu sein. Ganz so, als ob sich die jüdi-sche Rasse genau dann trotz aller empfindlicher Konsequenzen gegen dasdeutschblütige Volk wenden müsste, wenn der Bluteinschlag allzu jüdischwäre. Umgekehrt wurde eine zumindest implizite Distanznahme derMischlinge von allem Jüdischen und von den Rassejuden ja gleichzeitigzum Beweis des Bemühens, sich doch der völkischen Verpflichtung alsReichsbürger zuzuwenden, und damit zum Beweis, dass ihr Blut demdeutschen artverwandt genug war. Ganz so, als ob Blut mit ausreichenddeutschem Einschlag sich unmöglich in eine Hinwendung zum Judentumübersetzen könnte. In der Logik dieser Gesetze wurden jene Mischlinge,die zu gleichen Teilen von arischen und volljüdischen Großelternteilenabstammten, vor die Wahl für oder gegen das deutsche Volk gestellt, inder sich kein freier Wille, sondern nur das Blut in seiner Mischung zeigenmusste.

Dass es bei all dem in nationalsozialistischer Perspektive gerade nichtum Kultur ging,91 sondern um jene Art, die Rasse ausmachte, zeigt sichauch am Umstand, dass es möglich schien, ungeborenen Mischlingenprospektiv einen bestimmten mangelhaften Grad an Deutschblütigkeit zukonzedieren, wenn man die Entscheidung der Eltern gegen die ausdrück-

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90 Vgl. Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Vom 14. November 1935, RGBL. I,S. 1333 –1334, hier: S. 1334 § 5 (2) a) – d).

91 Dies ist für einen retrospektiven Blick wohl der erste unmittelbare Eindruck, vgl. Ger-hard Botz: Ausgrenzung, Beraubung und Vernichtung. Das Ende des Wiener Juden-tums unter der nationalsozialistischen Herrschaft (1938 –1945), in: Gerhard Botz,Ivar Oxaal, Michael Pollak und Nina Scholz, Hg.: Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Lebenund Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert. Neu bearbeitete und erwei-terte Auflage. Wien 2002, S. 315 – 339, hier: S. 321.

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lich verkündete völkische Rassenordnung kannte (§ 5 Abs. 2 c und d).Wiederum: Solche Entscheidungen waren keine freien, sondern Manife-stationen eines Blutes, dem eine Stimme zugeschrieben wurde, die sicheinfach nicht negieren ließ.

Im Unterschied zur Gesetzesdefinition von 1933 stellt sich die Rasseder Nürnberger Rassengesetze differenzierter dar. Sie war weniger rigideund vor allem einfacher zu handhaben – einfacher für bürokratische In-stanzen, die sie als flexibleres, praktisches Kriterium benutzen könnenmussten, um sie effektiv den tagtäglichen Anforderungen einer Art vontechnokratischer Herstellung von Volksgemeinschaft zu Grunde zu legen.Einiges spricht dafür, dass die ab 1935 gesetzlich legitimierte völkischeRasse einem Staatsnationalsozialismus viel näher war als die im Zuge derMachtergreifung 1933 definierte: Diese verdankte sich mehr einem Bezugauf den bewegten Nationalsozialismus.

Bei all diesen Unterschieden hatten beide Rasseneinsätze natürlich sehrviel gemein, unter anderem das auffällige Ungleichgewicht, mit denen allein Betracht kommenden Rassen behandelt, verhandelt wurden. Jedegesetzliche Vorschreibung, was unter arisch denn genauer zu verstehenwäre, wurde vermieden. Konkret ging es immer um die Bestimmung desNichtarischen: Dieses wurde zumindest rudimentär präzisiert, jenes bliebdagegen offen, so gut wie unfassbar. Und bei all dem, was Rasse aus-machen sollte, ging es am meisten um die völkisch schlechteste Rasseüberhaupt, um die Juden. Über sie handeln zahlreiche Gesetzestexte, diesie beschreiben und vorschreiben. Die Deutschen bleiben demgegenüberin diesen offiziellsten Bestimmungen der Volksgemeinschaft „der Rassenach“ ausgesprochen blass. Nicht umsonst, denn der Arier – auch dernationalsozialistische – konnte ganz Unterschiedliches sein.92 Zumindestein Merkmal lässt sich jedoch anführen, um die Referenz, auf die derganze Blutmaßstab ausgerichtet wurde, inhaltlich zu fassen. Das Arischesollte sich zum Jüdischen wie die Schöpfung zur Vernichtung verhalten,wie die Ordnung zum Chaos, wie die Idee zur Materie. Ihre Beziehungwurde ausschließlich als Kampf beschrieben: Idealismus der Tat gegenjeden Materialismus.

„Was wir heute an menschlicher Kultur, an Ergebnissen von Kunst,Wissenschaft und Technik vor uns sehen, ist nahezu ausschließlich schöp-

92 Vgl. Léon Poliakov: Der arische Mythos. Zu den Quellen von Rassismus und Natio-nalismus. Wien, München und Zürich 1971.

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ferisches Produkt des Ariers. Gerade diese Tatsache aber lässt den nichtunbegründeten Rückschluß zu, dass er allein der Begründer höherenMenschentums überhaupt war, mithin den Urtyp dessen darstellt, was wirunter dem Worte „Mensch“ verstehen. Er ist der Prometheus der Mensch-heit, aus dessen lichter Stirn der göttliche Funke des Genies zu allen Zeitenhervorsprang [...] Würde man die Menschheit in drei Arten einteilen: inKulturbegründer, Kulturträger und Kulturzerstörer, dann käme als Ver-treter der ersten wohl nur der Arier in Frage. Von ihm stammen die Funda-mente und Mauern aller menschlichen Schöpfungen, und nur die äußereForm und Farbe sind bedingt durch die jeweiligen Charakterzüge dereinzelnen Völker. Er liefert die gewaltigen Bausteine und Pläne zu allemmenschlichen Fortschritt, und nur die Ausführung entspricht der Wesens-art der jeweiligen Rassen. [...] Nein, der Jude besitzt keine irgendwie kul-turbildende Kraft, da der Idealismus, ohne den es eine wahrhafte Höhe-rentwicklung des Menschen nicht gibt, bei ihm nicht vorhanden ist undnie vorhanden war. Daher wird sein Intellekt niemals aufbauend wirken,sondern zerstörend und in ganz seltenen Fällen vielleicht höchstens auf-peitschend, dann aber als das Urbild der ‚Kraft, die stets das Böse will undstets das Gute schafft‘. Nicht durch ihn findet irgendein Fortschritt derMenschheit statt, sondern trotz ihm.“93

Als am 20. Mai 1938 die Nürnberger Rassengesetze in Österreich ein-geführt wurden,94 waren deren Bestimmungen zur rassischen Ausmerzeschon länger praktische Grundlage weitreichender Verfolgungsmaßnahmengeworden. Die ersten Ausgrenzungen von Juden aus dem ÖffentlichenDienst und aus der Rechtsanwaltschaft, dem Notariat und der Patentan-waltschaft beriefen sich auf diese Formulierungen.95 Viel umfassender je-doch wurde in einer großangelegten Verwaltungs- und Verfolgungsaktion,

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93 Hitler, Mein Kampf, 1939, S. 317– 318 und S. 332.94 Verordnung über die Einführung der Nürnberger Rassengesetze im Lande Österreich.

Vom 20. Mai 1938, RGBl. I, S. 594 – 595.95 Der Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereidigung der Beamten des

Landes Österreich. Vom 15. März 1938, RGBl. I, S. 245 – 246 enthielt im § 4 einewörtliche Wiedergabe der Judendefinition aus der Ersten Verordnung zum Reichs-bürgergesetz (nur die Artikel c und d der § 5 (2) waren verständlicherweise nicht an-geführt). Der § 1 (1) der Verordnung über die Angelegenheiten der Rechtsanwälte,Verteidiger, Notare und Patentanwälte in Österreich. Vom 31. März 1938, RGBl. I,S. 353 – 354, berief sich wiederum auf den Führererlaß.

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die reichsgesetzlich autorisiert war, zum ersten Mal auf praktische Weiseder Versuch unternommen, die nationalsozialistischen Juden als solchehervorzubringen – nicht nur allgemein zu definieren und durch mehr oderminder koordinierte partielle Aktionen praktisch anzunähern, sonderntotal zu erfassen. Die Verordnung über die Anmeldung des Vermögensvon Juden vom 26. April 1938 (vgl. ausführlich Kapitel 6.1. Die Vermö-gensanmeldungen vom 27. April 1938, S. 535) begann mit folgendemSatz: „Jeder Jude [...] hat sein gesamtes in- und ausländisches Vermögen[...] anzumelden und zu bewerten.“96

Jeder Jude war schon vorher von bestimmten Regelungen angesprochenworden (zum Beispiel eben vom Reichsbürgergesetz), viele Juden warenbis dahin schon von den unterschiedlichsten Instanzen registriert worden.Als eigene Gruppe, die als solche verwaltet und verfolgt werden konnte,nahmen sie jedoch zum ersten Mal im Laufe der Durchführung der Ver-mögensanmeldungen Gestalt an. Dies galt in besonderer Weise im LandÖsterreich, da diese Totalzusammenfassung und damit Hervorbringungder Juden schon kurz nach der Etablierung der NS-Herrschaft stattfand.Die Abgabe einer Vermögensanmeldung oblag dabei der eigenen Zuord-nung zu den neuen Juden.97 Allerdings wurde mit der Durchführungsver-ordnung vom 18. Juni 1938 festgelegt, dass „[d]ie Anmeldepflichtigen[...] das für die Anmeldung vorgeschriebene amtliche Muster bei der fürihren Wohnsitz oder den Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts zuständigenOrtspolizeibehörde anzufordern“98 haben. Dies bedeutete die Einschaltungder Polizei in jedem einzelnen Fall.

Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden. Vom 26. April 1938,RGBl. I, S. 414 – 415

§ 1 (1) Jeder Jude (§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.

November 1935, Reichsgesetzbl. I S. 1333) hat sein gesamtes in- und auslän-disches Vermögen nach dem Stande vom Tage des Inkrafttretens dieser

96 Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden. Vom 26. April 1938,RGBl. I, S. 414 – 415, hier: 414 § 1 (1).

97 Zu diesem Problem vgl. allgemein Morgane Labbé: „Race“ et „Nationalité“ dans lerecensement du Troisième Reich. De l’auto-déclaration au diagnostic racial, in: HIME1– 2/13 (1998), S. 195 – 223.

98 Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Anmeldung des Vermögensvon Juden. Vom 18. Juni 1938, RGBl. I, S. 640.

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Verordnung gemäß den folgenden Bestimmungen anzumelden und zu be-werten. Juden fremder Staatsangehörigkeit haben nur ihr inländisches Ver-mögen anzumelden und zu bewerten.

(2) Die Anmelde- und Bewertungspflicht trifft auch den nichtjüdischen Ehegatteneines Juden.

(3) Für jede anmeldepflichtige Person ist das Vermögen getrennt anzugeben.

§ 2(1) Das Vermögen im Sinne dieser Verordnung umfaßt das gesamte Vermögen

des Anmeldepflichtigen ohne Rücksicht darauf, ob es von irgendeiner Steuerbefreit ist oder nicht.

(2) Zum Vermögen gehören nicht bewegliche Gegenstände, die ausschließlichzum persönlichen Gebrauch des Anmeldepflichtigen bestimmt sind, und derHausrat, soweit sie nicht Luxusgegenstände sind.

§ 3 [...](2) Die Anmeldepflicht entfällt, wenn der Gesamtwert des anmeldepflichtigen

Vermögens ohne Berücksichtigung der Verbindlichkeiten 5.000 Reichsmarknicht übersteigt.

§ 4 Die Anmeldung ist unter Benutzung eines amtlichen Musters bis zum 30.Juni 1938 bei der für den Wohnsitz des Anmeldenden zuständigen höherenVerwaltungsbehörde abzugeben. Wenn im Einzelfall aus besonderen Gründeneine vollständige Anmeldung und Bewertung des Vermögens bis zu diesemTage nicht möglich ist, so kann die höhere Verwaltungsbehörde die Anmelde-frist verlängern; in diesem Falle ist jedoch bis zum 30. Juni 1938 unter Ab-gabe der Hinderungsgründe das Vermögen schätzungsweise anzugeben undzu bewerten.

§ 5(1) Der Anmeldepflichtige hat der höheren Verwaltungsbehörde unverzüglich

jede Veränderung (Erhöhung oder Verminderung) seines Vermögens anzu-zeigen, die nach dem Inkrafttreten der Verordnung eintritt, sofern die Vermö-gensveränderung über den Rahmen einer angemessenen Lebensführung oderdes regelmäßigen Geschäftsverkehrs hinausgeht.

(2) Die Anzeigepflicht gilt auch für diejenigen Juden, die beim Inkrafttreten derVerordnung nicht zur Anmeldung und Bewertung verpflichtet sind, abernach diesem Zeitpunkt Vermögen im Werte von mehr als 5.000 Reichsmarkerwerben. § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und 3 gelten entsprechend.

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§ 6 [...](2) In Österreich tritt an die Stelle der höheren Verwaltungsbehörde der Reichs-

statthalter (Landesregierung). Er kann seine Befugnisse aus dieser Verordnungauf andere Stellen übertragen.

§ 7 Der Beauftragte für den Vierjahresplan kann die Maßnahmen treffen, die not-wendig sind, um den Einsatz des anmeldepflichtigen Vermögens im Einklangmit den Belangen der deutschen Wirtschaft sicherzustellen.

§ 8 (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig die nach den vorstehenden Vorschriften be-

stehende Anmelde-, Bewertungs- oder Anzeigepflicht nicht, nicht richtig odernicht rechtzeitig erfüllt oder einer auf Grund des § 7 erlassenen Anordnungzuwiderhandelt, wird mit Gefängnis und mit Geldstrafe oder mit einer dieserStrafen bestraft; in besonders schweren Fällen vorsätzlicher Zuwiderhandlungkann auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren erkannt werden. Der Täter ist auchstrafbar, wenn er die Tat im Ausland begangen hat.

(2) Der Versuch ist strafbar.(3) Neben der Strafe aus Abs. 1 und 2 kann auf Einziehung des Vermögens er-

kannt werden, soweit es Gegenstand der strafbaren Handlung war; neben derZuchthausstrafe ist auf Einziehung zu erkennen. Kann keine bestimmte Personverfolgt oder verurteilt werden, so kann auf Einziehung auch selbständigerkannt werden, wenn im übrigen die Voraussetzungen für die Einziehungvorliegen.“

Die Juden wurden durch diese Erfassung vor allem über ihren Rassen-wert sowie über ihr Vermögen bestimmt, das genau aufgeschlüsselt werdensollte: Es waren die Unterschiede im Vermögen, die diese völkische Rassein sich differenzierten. Und es war die Konstruktion über den Umstand,Vermögen zu besitzen, die diese Rasse von anderen völkischen Rassenunterschied. Das Vermögen wurde damit zu einem wesentlichen Konsti-tuens der Juden: Wirtschaftliche und finanzielle Charakteristika bekamenauch offiziell einen rassischen Sinn, was genau der rassistischen Phantas-magorie entsprach, die den Juden als durch und durch materialistisch imGegensatz zum idealistischen arischen Kulturschöpfer sehen wollte; um-gekehrt bekamen rassische Charakteristika auch offiziell einen ökonomi-schen Sinn, was sowohl der Logik der wilden Arisierungen, wie es heißt,als auch den Interessen des staatsorientierten Nationalsozialismus ent-sprach, für den die gewünschte Ausgrenzung der Juden mit möglichst

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wenig Aufwand und Kosten, jedoch mit möglichst viel Effekt und hoherKontrollierbarkeit99 vonstatten zu gehen hatte.

Nicht umsonst erschien am selben Tag, als die Verordnung erlassenwurde, ein Artikel in der Wiener Ausgabe des Völkischen Beobachters,der diese Verschränkung bezeichnete: die Erfindung eines Wiener Judendurch Wirtschaft, dessen radikale Ausmerze dementsprechend als Vollzugeines „wirtschaftliche[n] Todesurteil[s]“ beschrieben werden konnte.

„Bis zum Jahr 1942 muß das jüdische Element in Wien ausgemerztund zum Verschwinden gebracht sein. Kein Geschäft, kein Betrieb darf zudiesem Zeitpunkt mehr jüdisch geführt sein, kein Jude darf irgendwonoch Gelegenheit zum Verdienen haben, und mit Ausnahme der Straßen-züge, in denen die alten Juden und Jüdinnen ihr Geld – dessen Ausfuhrunterbunden ist – verbrauchen und aufs Sterben warten, darf im Stadtbildnichts davon zu merken sein. [...]

Wer die Meinung des Wieners in der Judenfrage kennt, wird sich nichtwundern, dass die vier Jahre, in denen das wirtschaftliche Todesurteil anden Juden vollstreckt werden soll, ihm viel zu lang erscheinen. [... Es ist]in Wien [...] die Aufgabe einer verantwortungsbewussten, um die Unta-deligkeit und Reinheit der Bewegung besorgten Volkserziehung, den über-schäumenden Radikalismus einzudämmen und die verständliche Reaktionauf die jüdischen Übergriffe eines geschlagenen Jahrhunderts in geordneteBahnen zu lenken.“100

Rasse ist also nicht bloß als ein (und sei es als das wichtigste) Kriteriumunter anderen praktisch-politischen Kriterien zu verstehen und schon garnicht als eine bloß mystizistische, irrationale, weiche Verbrämung gleich-sam harter wirtschafts- und sozialpolitischer Herrschaftsstrategien. Siewurde im Zusammenwirken vor allem der unterschiedlichen NS-Maß-nahmen am Berufs- und Arbeitsmarkt (von den staatlichen bis hin zu fastschon individuellen oder privaten Aktionen) tatsächlich zu einem eigenenhistorischen Raum ausdifferenziert, hier: zur primären Dimension der völ-kischen Berufsarbeit. Die erste faktorielle Dimension der Korrespondenz-analyse liefert dafür den experimentellen Beleg. (vgl. Graphik 1, Beilage).

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99 „Ganz besonders beunruhigt zeigte man sich aber in Berlin darüber, dass ‚in Österreichbereits in erheblichem Ausmaß Vermögenseinziehungen erfolgt‘ waren, die nicht kon-trolliert werden könnten.“ Botz, Ausgrenzung, 2002, S. 320.

100 Völkischer Beobachter. Wien, 26. April 1938, S. 2 und 4, zit. in: Botz, Ausgrenzung,2002, S. 318.

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Die Ergebnisse der Korrespondenzanalyse werden – abgesehen vomHistogramm der Eigenwerte (vgl. Kapitel 8.1.2. Rechenergebnisse, S. 642)– mit Hilfe von vier Graphiken präsentiert, in denen die für die experi-mentelle Konstruktion wesentlichen Informationen aufbereitet sind undwelche die Abbildung der Eigenvektorenlisten ersparen. Es handelt sichdabei um drei Graphiken (1, 2 und 31, Beilage), die eindimensionaleUnterraumstrukturen darstellen – nämlich die Hierarchien des Blutes,des Fortkommens und der Gesinnung – und um eine Graphik (3), dieeine zweidimensionale Annäherung an den dreidimensionalen Raum desvölkischen Schaffens repräsentiert.

Jede dieser Graphiken bildet die Menge der statistischen Modalitäten(Antworten auf die Kodierungsfragen) und die Menge der statistischenIndividuen (Kodierungseinheiten) simultan als Punktwolken ab – aller-dings nicht vollständig, sondern aussortiert nach den für die Perspektiveder jeweiligen Graphik entsprechenden Relevanzkriterien. Abgebildet injeder der Graphiken sind damit all jene Modalitäten und Individuen, dieim Rahmen der jeweils dargestellten Dimensionen wichtig sind, und siesind genau so abgebildet, wie ihre entsprechende Wichtigkeit durch dieRechnung experimentell ausgewiesen ist.

Jede Modalität und jedes Individuum ist dabei mit Hilfe einer Wort-gruppe dargestellt, die eben entweder eine Reproduktionsstrategie (Mo-dalität) bezeichnet – wie etwa „weiblich“, „*Landeshauptstadt“, „V:>1,000.000 RM[1]“ (Vermögen ist größer als 1,000.000 RM) oder „jüdischVA“ (jüdisch laut den Angaben in der Vermögensanmeldung) – oder abereinen Reproduktionsmodus (Individuum) – wie etwa „Wolfgang EduardSchneiderhan“, „Hanne Hiob“, „Elsa Katz“ oder „Hans Grünwald“.

Die Auswahl der abgebildeten Punkte erfolgte nach jenem Kriterium(CPF bzw. Ctr101), mit dem im Rahmen einer Korrespondenzanalyse dieWichtigkeit der Modalitäten und Individuen für die Konstruktion einerbestimmten faktoriellen Dimension ausgewiesen wird.

Das Erfordernis, die Modalitäten mit längeren Wortgruppen zu be-zeichnen, machte zum Teil kleine Verschiebungen der Punkte auf denGraphiken nötig. Die wesentlichen Informationen – nämlich die Gesamt-verteilungsstrukturen der Punktwolken – blieben dabei jedoch mit aus-reichender Genauigkeit erhalten.

101 Die relativen Beiträge der Modalitäten und Individuen zum jeweiligen Faktor.

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Die eindimensionalen Unterräume: Blut und Ehre

CPF-Hilfsgraphiken 1, 2 und 31 der ersten, zweiten und dritten faktoriellenDimensionen

Die Graphiken 1, 2 und 31 entsprechen nicht der konventionellen Art,die Ergebnisse einer Korrespondenzanalyse zu präsentieren.102

Obwohl diese Graphiken zur Repräsentation der Struktur eindimen-sionaler Räume dienen, stellen sie sich auf den ersten Blick als Flächen dar.Es ist jedoch ausschließlich die Verteilung der Punkte in der Waagrechten,mit der die Hierarchie des Raumes (eben des Blutes, des Fortkommensoder der Gesinnung) dargestellt wird (technisch gesprochen werden dieabgebildeten Punkte hier entsprechend ihrer Koordinatenwerte auf der je-weiligen faktoriellen Dimension verortet). Die Unterschiede in der Höhe,mit denen die Punkte vom oberen bis zum unteren Ende der Graphik-seiten verstreut sind, sagt hingegen nichts über die Unterraumhierarchieselbst aus, sondern bezeichnet die differentielle Wichtigkeiten, mit derdie einzelnen Punkte zur Konstitution der Koordinatenverteilung, alsoder Dimensionshierarchie, beitragen: Je höher oben ein Punkt zu liegenkommt, umso wichtiger ist er für die Interpretation der Achse (technischgesprochen werden die Punkte in der Senkrechten nach ihren unterschied-lichen CPF-Werten geordnet).

Für die eindimensionalen Graphiken 1, 2 und 31 (CPF-Hilfsgraphi-ken) wurden nur jene Modalitäten zurückbehalten, die eine mindestensdoppelt überdurchschnittliche Wichtigkeit (das heißt einen CPF-Anteilvon mindestens 0,4 %) aufweisen. Von den Individuen hingegen wurdennur die im Rahmen eine Dimension allerwichtigsten – und hier höchstensdrei pro Dimensionsseite – in die Graphik eingetragen, und zwar, weildie epistemischen Personen bei den Interpretationen noch keine wirklichtragende Rolle spielen und daher die Graphiken nur unnötig überladenwürden.

Die Interpretationen der Graphiken 1, 2 und 31 werden – dem der-zeitigen Konstruktionsstand entsprechend – im Text entwickelt.

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102 Vgl. dazu grundlegend Mejstrik, Ertüchtigung, 1993, S. 756 – 804.

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Der eindimensionale Raum der Rasse stellt sich als lineare Hierarchiedes Blutes von der Deutschblütigkeit über alle Grade von Vermischungenzum offiziell nicht mehr arischen Blut dar. Diese Hierarchie reichte vonden völkisch wertvollen zu den völkisch wertlosen und gefährlichen Arten,eine Rasse zu haben, das heißt mehr oder minder aufoktroyiert zu be-kommen, sich mehr oder minder dagegen zu wehren und es gleichzeitigmehr oder minder zu akzeptieren. Sie ist – wie bei jedem historischenRaum – eine Hierarchie der Herrschaft und richtete sich nach der Logikdes durchgesetzten Monopols mit der Deutschblütigkeit als Referenz unddem Blut als Bewertungsmaßstab: Von der Dominanz zum Beherrschtseinhieß vom Arischen zum Nichtarischen (vgl. Graphik 1, von links nachrechts). Handelt es sich also, wie in der gesetzlichen Definition entworfen,um ein Spektrum, so lässt sich dennoch die folgenschwere Grenze zwischenden beiden experimentell rekonstruieren.

So finden sich auf der Seite der Rassendominanz (vgl. Graphik 1) jeneTätigkeiten (statistische Merkmale in Verbindung mit statistischen Indi-viduen) angeordnet, die im Rahmen des Experiments die arischen Tugen-den manifestieren können. An Wichtigkeit allen anderen Individuen mitgroßem Abstand überlegen ist die Figur des gleich zweimal in die Gott-begnadetenliste eingetragenen Musikers Wolfgang Eduard Schneiderhan103,der jene Eigenschaft exemplarisch verkörperte, die den Arier besondersauszeichnen sollte: die kulturschöpfende Kraft. Von der Seite der Merk-male her fällt besonders die Ansammlung von Keine Antwort-Modalitätenauf. Genau in der Abwesenheit von jenen konkreten Charakteristika, dieallen Nichtariern im Zuge ihrer Verfolgung zugeordnet wurden (s.u.),konstituieren sich die dominanten Rassewerte, unter anderem auch weil –wie schon argumentiert – der Arier in seiner gesetzlichen und staatlichenKonstruktion eben nicht über konkrete Eigenschaften zu fassen war. Diesimultane Präsenz der Merkmale politischer Gegnerschaft (oder besser:der Einstufungen als politisch gegnerisch oder zumindest unzuverlässig)und der im Zuge der Neuordnung konstatierten Mängel an fachlicherEignung lässt darüber hinaus erkennen, dass die rassische Logik eine eigene

103 Der epistemische Schneiderhan nimmt in der Struktur des Berufsraums überhaupteine ganz besondere Position ein, weil er nicht nur für den ersten Unterraum derRasse, sondern für alle drei ersten Unterräume, die hier kurz besprochen werden, vonjeweils außergewöhnlicher Wichtigkeit ist. Zur Person vgl. Kapitel 5. Freie Berufe II:Die Erfindung des Kulturschaffens, S. 487.

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geworden war, nach der unabhängig von fachlicher und charakterlicherEignung, von Leistung und Charakter über den beruflichen Wert derBerufs- und Arbeitsgeschichten entschieden wurde.

Auf den Graduierungen der rechten Achsenseite (vgl. Graphik 1, rechteSeite) ballen sich hingegen alle Tätigkeiten, die auf vielfältigste Weise dieJuden, den beherrschten Gegensatz zum Arier schlechthin, definierten.Ihnen wurde ab der Okkupation mehr und mehr das Recht abgesprochen,einen Beruf zu haben. Für sie blieb der vernichtende Arbeitseinsatz.104 DasSpektrum der dominierten Positionen ist experimentell viel detaillierterentworfen – was bei der Fragestellung und den Erhebungsstrategien desProjekts nicht wundert. Weil all jene Merkmale, die NS-Juden zu solchenmachten, hier von besonderer Wichtigkeit sind, gelingt es, einen genauerenBlick auf diese fatal-gewaltsame Erfindungsarbeit zu werfen. So verweistdie herausragende Wichtigkeit des Umstands, eine Vermögensanmeldungvom 27. April 1938 auszufüllen und abzugeben, auf die Wichtigkeit, diedieser Maßnahme im Prozess der historischen Hervorbringung der natio-nalsozialistischen Juden zukommt.

Nach dem Blut kam die Ehre. Die Interpretation der zweiten fakto-riellen Dimension ergibt (vgl. Graphik 2, Beilage), dass die Berufs- undArbeitsgeschichten unter der NS-Herrschaft in zweiter Linie eine Sachevon Laufbahnen, vom Fortkommen, wie es hieß, waren und daher überdas Kriterium der völkischen Leistung und fachlichen Eignung differen-ziert und hierarchisiert wurden. Berufe über Ausbildungen, technischeFertigkeiten, über Wissen und Titel, über die Möglichkeiten aufzusteigen,voranzukommen, und über Karriereverläufe zu definieren stellte ja einewichtige Tradition dar: Berufe sollen sich in dieser Perspektive als spe-zialisierter Erwerb von aller unspezialisierten Arbeit, vor allem von deneinfachen Verrichtungen einfacher ungelernter (Lohn-)Arbeit abheben.Die Folgen und die Richtung der völkischen Berufsneuordnung lassensich auch unter diesem Aspekt experimentell nachweisen.105

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104 Vgl. Verordnung über die Beschäftigung von Juden vom 3. Oktober 1941, RGBl IS. 675; Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Beschäftigung vonJuden vom 31. Oktober 1941, RGBl I S. 681 f.; Anordnung über die Beschäftigungvon Zigeunern vom 13. März 1942, RGBl I. S. 138.

105 Dies ermöglichte den – völlig ungeplanten – Anschluss an die bislang vorliegendenArbeiten zum Teilgebiet der Berufserziehung, vgl. Mejstrik, Ertüchtigung, 1993,S. 27–116. Deshalb ist es sinnvoll, sich für die folgenden Argumentationen auch aufSchriften der Jugendführung und der Juristen des geplanten deutschen Jugendrechts

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Für das nationalsozialistische Schaffen galt im besonderen die Pflichtzur Leistung, zumindest mit dem Beginn des Vierjahresplanes 1936. Inder mit ihm eingeleiteten Arbeitsschlacht ergänzten die Aufforderungenzur unaufhörlichen Leistungssteigerung immer deutlicher die Aufforderun-gen zur einfachen, politischen und ökonomischen Konformität, ersetztensie zum Teil sogar. Ihr Höchstleistungsbefehl106 wurde allem Anschein nachnahtlos in den „echten Leistungsaufbau im Dienste der um ihr Lebenkämpfenden Volksgemeinschaft“107 des Krieges überführt, als der „Zwangzur Leistungssteigerung [...] das deutsche Volk in seinem Wirtschafts-kampf“108 immer mehr und immer direkter bestimmen sollte. Der „Lei-stungsgrundsatz“ geriet zum „Prinzip unseres Arbeitslebens“109. Völkischrichtige Leistung wurde nicht erbracht, sondern gesteigert – im Zuge derimmer intensiveren Kriegswirtschaft: höchstgesteigert.

„Das deutsche Volk steht nicht erst seit dem 1. September 1939 unterdem Gebot der Leistung und der Leistungssteigerung. Es war gegeben, alsdie letzten Reserven der Arbeitskraft aufgezehrt waren und darauf ein weiteresAnsteigen des Produktionserfolges nicht mehr durch Heranziehung neuerKräfte, sondern nur durch rationellere Ausnutzung der vorhandenen erzieltwerden konnte.“110

Die Wesentlichkeit von Arbeit für die Bestimmung der Ehre der Volks-genossen wurde im Lauf dieser Entwicklung beibehalten. Was sich jedochveränderte, war ihre Bedeutung und damit insgesamt ihr Sinn111. Die Ver-

zu stützen (dazu gehörten vor allem Wolfgang Siebert, Gottfried Neese, Hans Weblerund Roland Freisler, die sich mit ihren Entwürfen einer Systematik des Jugendrechtsdie wesentlichen Auseinandersetzungen lieferten, vgl. Gerhard Klemer: DeutschesJugendrecht, in: Das Junge Deutschland 36. Jg. [1942], S. 189 –190), um die Haupt-linien dieses Einsatzes für eine neue Berufsordnung zu umreißen.

106 Vgl. Reulecke, Die Fahne mit dem goldenen Zahnrad, 1981, S. 255 – 256.107 Carl Arnold: Der Leistungsweg der Erwachsenen. in: Der Vierjahresplan, 3. Jg. (1939),

S. 867, zitiert in: Reulecke, 1981, S. 266.108 Pohl, Leistungssteigerung, 1940, S. 202 und 204.109 Erl. des RWM vom 2.12.1938, in: Deutsches Arbeitsrecht 7. Jg. (1939), S. 23, zitiert

in: Nochmals: Die kürzere Lehrzeit, in: Das Junge Deutschland 33. Jg. (1939), S. 30 –31, hier: S. 30.

110 Albert Müller: Das Bildungsgesetz unserer Zeit, in: Das Junge Deutschland 35. Jg.(1941), S. 97–102, hier: S. 97– 98.

111 Formal funktioniert historischer Sinn im vorgestellten Modell wie der linguistischeSinn bei De Saussure, der sich in eine Analytik von Bedeutung und Wert zerlegen lässt,vgl. Ferdinand de Saussure: Cours de linguistique générale. Édition préparée par Tulliode Mauro. Paris (11915) 21987, S. 97–103 und 150 –175.

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pflichtung, zum Nutzen aller in Treue zu arbeiten wurde mit der Verpflich-tung zur unaufhörlichen Leistungssteigerung verkoppelt: „Der Wille zurLeistung entscheidet über den sozialen Wert des Menschen“,112 konnte es1943 in einer offiziellen Darstellung heißen. Auf den Konnex dieserNeuausrichtung mit der ökonomischen Neuordnung durch die Arbeits-und Erzeugungsschlacht wurde von ihren Verfechtern selbst hingewiesen:Die neue Arbeit als Dienst am Volk durch ununterbrochene Leistungs-steigerung schien ihre Referenz in jener hochspezialisierten und -professio-nalisierten Industriearbeit zu finden, die das bestimmende Element derneuen Produktionskonjunktur darstellte, mit ihrer Organisation (Zurück-nahme der Konsumgüterherstellung u.Ä.)113 die Kriegsrüstung einleiteteund zum Zentrum der Kriegswirtschaft werden konnte.114 „Von der schaf-fenden Bevölkerung wird erwartet, daß sie alle Möglichkeiten wahrnimmt,um ihre Leistung zu steigern. [...] Leistungssteigerung bedeutet [...] fürJugendliche etwas anderes als für Erwachsene. Sind jene bemüht, dasArbeitsergebnis pro Mann und in der Zeiteinheit möglichst schnell zuvergrößern, so haben diese alles zu tun, um sich auf die zukünftige Lei-stung vorzubereiten.“115 Hier machte die Erzeugungssteigerung ohne EndeSinn. Vor allem für sie bestand der als ein (wenn auch nicht als der wesent-lichste) Grund der Veränderung immer wieder angeführte Arbeitskräfte-und Nachwuchsmangel – ein Mangel nicht an irgendeiner Arbeitskraftüberhaupt. Irgendeine Arbeit konnte gerade bei den Grundverrichtungengroßindustrieller Fertigung von Maschinen übernommen oder den offiziellFremdvölkischen aufgebürdet werden. Woran es mangelte, war jene be-sondere Arbeit, die nicht nur richtig geleistet zu werden, sondern sichdabei richtig zu steigern vermochte.

„Es soll hier nicht vom Mangel an Menschen überhaupt die Rede sein– der ist längst zur Gewohnheit geworden –, sondern von dem Bedarf an befähigten, zur Führung geeigneten Kräften. Reine Arbeitskraft läßtsich allenfalls noch durch Rationalisierung der Fertigung und Typisierung

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112 Müller, Erziehung, 1943, S. 27.113 Vgl. dazu Hans Kernbauer und Fritz Weber: Österreichs Wirtschaft 1938 –1945, in:

Tálos und andere, Hg.: NS-Herrschaft, 1988, S. 49 – 67, hier: S. 54 und Fritz Weber:Die Spuren der NS-Zeit in der österreichischen Wirtschaftsentwicklung, in: Österreichi-sche Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 2 (1992), S. 135 –165, hier: S. 138 –143.

114 Zur engen Verbindung zwischen den Vierjahresplanbehörden und den „grosswirt-schaftlichen Interessen“ vgl. Botz, Nationalsozialismus, 1988, S. 492.

115 Müller, Erziehung, 1943, S. 118 –119.

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der Erzeugnisse, durch betriebliche Umstellungen sonstiger Art und durchfremdvölkischen Arbeitseinsatz gewinnen. – Führungskräfte dagegen sindeine Gabe des Schicksals, die man nicht organisieren, sondern nur auslesen,pflegen und fördern kann. Die lebhafte Diskussion der gewerblichen Wirt-schaft über die Schwierigkeiten der Besetzung von Unterführerposten,entsprechend auch über das Problem des beruflichen und sozialen Auf-stiegs innerhalb des Unternehmens machen die Aktualität dieser Gedan-kengänge deutlich. Man braucht Vorarbeiter, Werkmeister, Abteilungsleiter,Betriebsingenieure, Gewerbelehrer.“116

Nicht umsonst wurde das AOG 1934 noch vor dem Vierjahresplanerlassen; nicht umsonst fanden sich die radikalsten Kodifizierungsversucheder neuen Berufe (wie zB Forderungen nach einer „politischen Ordnungder Berufe“117 oder der Entwurf eines Berufserziehungsgesetzes des Jugend-rechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht118) erst in den Jahrendes Weltkrieges. Dieser Übergang119 war nicht bloß eine Neuordnung desArbeitsbereiches, durch die der Beruf zur offiziell legitimen Arbeit schlecht-hin werden sollte, da er „nicht nur die Möglichkeit des Broterwerbs (dar-stellt) [...], sondern vor allem die Weise, in der der einzelne sich durchseine Arbeit in die Volksgemeinschaft eingliedert“120: „(D)ie nationalsozia-listische Auffassung vom Beruf [...] beruht [...] auf der inneren Einheitvon Arbeit, Persönlichkeitseinsatz und Leistung für die Gemeinschaft [...]Die Arbeit als Leistung und Persönlichkeitsentfaltung im Dienst am Volkbegründet die Ehre der Arbeit und ist Beruf.“121

Die Parole vom Recht auf Arbeit, so hieß es 1943, mochte vor 1936Schlagkraft gehabt haben. Heute jedoch sei sie überholt. Seitdem hatten

116 Albert Müller: Die Auslese, in: Das Junge Deutschland 35. Jg. (1941), S. 139 –142,hier S. 141.

117 Vgl. Albert Müller: Eine politische Ordnung der Berufe, in: Das Junge Deutschland35. Jg. (1941), S. 229 – 233.

118 Vgl. Entwurf eines Gesetzes über die Berufserziehung der deutschen Jugend, in: Ar-beitsberichte der Akademie für Deutsches Recht Nr. 19. Stuttgart und Berlin 1942.

119 Zum Ausgangspunkt dieses Übergangs vgl. Vahsen, Nationalsozialistische Freizeiter-ziehung, 1989, S. 74.

120 RdErl. d. RMfWEV über die Bestimmungen über Erziehung und Unterricht in derHauptschule vom 9. 3.1942, in: Deutsche Erziehung Wissenschaft Volksbildung8. Jg. (1942), S. 128.

121 Wolfgang Siebert: Grundzüge des deutschen Jugendrechts. Erweiterte Auflage. Berlin,Leipzig und Wien 31943, S. 83.

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sich nämlich die „Kräfte“ entfaltet „nicht im Ringen um Arbeit schlecht-hin, sondern mit dem Ziel einer neuen Berufsordnung, die eine vollendeteAusschöpfung aller im Nachwuchs vorhandenen Anlagen und Fähigkeitengarantieren soll.“122 Vom Recht auf Arbeit ging es zur Pflicht der Leistungs-steigerung beim Arbeits-Dienst fürs Volk, zur Verpflichtung auf einenBeruf.

„Wir verstehen nämlich unter ‚Leistung‘[...] nicht etwa das mengen-mäßige Ergebnis einer Tätigkeit, sondern die Leistung der Volksgenossen istder Ausdruck für die gemeinschaftsfördernde Kraft seines Wirkens schlecht-hin, für den Beitrag, den der Volksgenosse durch den Einsatz seinerPersönlichkeit in der Volksgemeinschaft erbringt. Diese Leistung ist alsoArbeit und Haltung bei der Arbeit zugleich, eben berufliche Leistung“.123

Dies galt einerseits. Mit der Zulassung der Leistung als Dimensionalles Völkischen konnte jedoch noch anderes möglich werden: Der neueBeruf wurde auch als Lebensbedürfnis jedes Volksgenossen behauptet, zueiner der völkischen Quellen von Glück und Zufriedenheit, aber damitauch schon stärker zu einem Wert für und an sich, als es einfache Lohn-arbeit nur zum Überleben oder nur zur eigenen ökonomischen Bereiche-rung sein konnte, die ihren Sinn ausschließlich in etwas, das Nichtarbeitdarstellte, fand. Auch der neue Beruf war zwar wesentlich auf Anderesausgerichtet, auf die Idee, die politische Ordnung der Gemeinschaftschlechthin. „Denn der Mensch, der deutsche Mensch jedenfalls, brauchtfür sein Leben etwas, das ihn über sich selbst in ein Überpersönlicheshinein erhebt. Indem er seinen Beruf als Dienst empfindet, indem er sichsogar bewusst in dieser Absicht seinen Beruf auswählt, stellt er ihn unterein Vorzeichen, das allem, was er in ihm erlebt, ein besonders erfüllendesGepräge gibt, das dadurch auch stärkste formende Kraft gewinnt.“124 Dochdaneben enthielt er – wie zu sehen ist – auch ein selbstbezügliches Sinn-moment, eine Berechtigung aus sich allein, was ihn von der einfachenLohnarbeit unterschied.

Weil er für die Volksgemeinschaft insgesamt notwendig und vernünf-tig war, bekam er auch für jeden richtigen Volksgenossen direkten Wertund unmittelbare Bedeutung – und zwar nicht als bloß sekundäres Mittel

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122 Müller, Erziehung, 1943, S. 87.123 Entwurf eines Gesetzes, 1942, S. 40.124 Ferdinand Stäbler: Der Berufsberater als Erzieher, in: Das Junge Deutschland 35. Jg.

(1941), S. 269 –274, hier: S. 271.

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für wichtigeres Anderes: nicht als ökonomische Absicherung des Familien-lebens, nicht als unvermeidbarer Weg zum Geld für sich selbst und nichtals Möglichkeit, seine Zeit möglichst ohne Langeweile und unterhaltsamzu verbringen. Wert und Bedeutung bekam der neue Beruf teilweise auchper se, als Beruf und nichts sonst. „Zur Arbeit als berufliche Leistung fürdie Volksgemeinschaft sind alle Volksgenossen verpflichtet [...] und dem-entsprechend haben alle Volksgenossen auch ein Recht auf Arbeit, aufberufliche Leistung als Entfaltung ihrer Persönlichkeit.“125 Ohne Berufkönne der deutsche Mensch nur unglücklich und unzufrieden sein: Erbrauche ihn als Tätigkeit, die – zum Teil auch nur für sich selbst genom-men – Sinn macht, als Rückgrat fürs Leben, als teilweise autonomisiertenZweck, als „Berufung zu einer Aufgabe in der Volksgemeinschaft“126, derenAbleistung jedem Volksgenossen einen wesentlichen Teil seiner sozialenEhre sicherte, seinen Sinn im Volk, im Leben überhaupt.

Der Rundumverpflichtung des richtigen Volksgenossen entsprach jagenauso der Anspruch auf zwar nur sekundäre, aber deswegen nicht ver-leugnete Rechte – und dies scheint eine der wesentlichsten Bedingungenfür die offenbar doch erfolgreiche Durchsetzung einer partiellen Vernünf-tigkeit der Volksgemeinschaft für die meisten der neuen Volksgenossendargestellt zu haben. So konnte die Berufung zur Aufgabe und zum Dienstja auch als Recht und Aussicht auf Konsekrationen in verschiedenstenBereichen gelebt werden, nicht zuletzt, da sie als solche ja auch bestätigtwar. Im Falle der neuen Berufe hieß dies, dass sie sich zur einfachen Arbeitwie Dynamik zur Statik, wie eine Zukunft als Projekt zu einer Zukunftals Wiederkehr des Immergleichen verhalten sollten. Was sie jener gegen-über auszeichnete, war auch, dass die Volksgenossen in dieser eigenenOrdnung ein „Berufsaufstiegsrecht“ zugesprochen bekamen, das sich ineinem geplanten „arbeitsrechtlichen Berufsrecht“ für alle nicht als einPunkt unter anderen ergab, sondern sogar dessen Kernstück darstellte:

„Das entsprechende Rechtsverhältnis bei Erwachsenen (das Rechtsver-hältnis in der neuen Berufsordnung, Anm. d. Verf.) ist [...] ein Berufs-förderungs- und Berufsfortbildungsverhältnis. Daneben schließt sich andas Berufserziehungsverhältnis der Jugendlichen das Berufsaufstiegsrechtan, dessen Sinn es gerade ist, den weiteren Weg vom ‚Gesellen‘ zum ‚Meister‘

125 Siebert, Grundzüge, 1943, S. 84.126 Wolfgang Siebert: Jugendrecht und Berufserziehung, in: Das Junge Deutschland 33. Jg.

(1939), S. 249 – 259, hier: S. 254.

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127 Siebert, Grundzüge, 1943, S. 111.128 Vgl. Albert Müller: Berufsaufklärung während des Krieges, in: Soziale Praxis. Zeit-

schrift für Aktienwesen, Gesellschaftsrecht und Sozialpolitik 48. Jg. (1939), Sp. 1157–1164, hier: Sp. 1159 und Siebert, Jugendrecht, 1939, S. 256 – 259.

129 Vgl. Müller, Erziehung, 1943, S. 86 – 88.130 Für das Berufserziehungsgesetz, in: Das Junge Deutschland 36. Jg. (1942), S. 22 – 24,

hier: S. 23.

zu ermöglichen und zu gestalten. [...] Im ganzen gliedert sich demnachdas arbeitsrechtliche Berufsrecht in das Berufserziehungsrecht als das ar-beitsrechtliche Berufsrecht der Jugendlichen und in das Berufsaufstiegs-recht und das [...] Berufsfortbildungsrecht, die also die beiden Hauptstückedes arbeitsrechtlichen Berufsrechts der Erwachsenen sind und teilweiseineinander übergehen.“127

Für das Schaffen wurde nicht nur besondere Qualifikation notwendig,sondern vor allem zielgerichtete Pflege. Als ein Privileg aller Volksgenossengegenüber allen Fremdvölkischen, sollte es für jene ebenso selbstverständ-lich, unabdingbar werden128. Die Durchsetzung dieser neuen Ordnungmusste sich dementsprechend für die Vermeidung jeder einfachen Lohn-arbeit stark machen. Als zentrale Metapher fungierte hier die „Überwin-dung der Ungelernten“, die nur das Gegenstück zum positiv formuliertenZentrum der neuen Berufsordnung abgab. Das „Recht auf Ausbildung“ alsRecht der einzelnen Ungelernten, das zu Anfang der Auseinandersetzun-gen mit Beginn des Vierjahresplanes propagiert wurde, schlug währendder Arbeitsschlacht ansatzweise und definitiv während des Krieges zumRecht der Volksgemeinschaft um129, zur Ver-Pflichtung der Volksgenossenauf den Beruf, zur „Ausbildungspflicht“130, die alle fachliche Eignung be-gründete.

So entsprach dem Monopol des Arischen im Rasseraum das neue Mo-nopol der spezifisch fachlichen Eignung und des Aufstiegs für den Berufals Berufslaufbahn, was in der Graphik 2 die Verteilung der Punktwolkenentlang der zweiten faktoriellen Dimension zeigt. Sie lässt sich wiederumals Darstellung einer historischen Raumstruktur verstehen, als Herrschafts-ordnung. Dieser eindimensionale Subraum ist als lineare Hierarchie vonden völkisch wertvollen zu den völkisch wertlosen und gefährlichen Artenaufgebaut, im Beruf sein Fach zu kennen: ein Kontinuum von der Höchst-leistung zur völkisch schlechtesten Uneignung, das allerdings durch einezentrale Grenze zwischen all dem skandiert wird, was Facheignung heißen

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kann, und all dem, was offiziell nur mehr als unzureichende Leistung gilt(vgl. Graphik 2, von links nach rechts).

Auf der Seite der Laufbahndominanz (linke Seite) finden sich so diewichtigsten Tätigkeiten offiziell fachlicher Eignung für einen wohldefinier-ten Beruf angeordnet: Je extremer die Positionen werden, umso größerfällt der Abstand zwischen dem Ausgangpunkt und dem Stand der Berufs-laufbahn 1938 aus (etwa in der Verteilung folgender Punkte: von einerAusbildung in Wien zu einer Ausbildung in einer österreichischen Landes-hauptstadt zu einem Vater ohne akademische Ausbildung), umso steiler,wie es heißt, wird der Aufstieg, umso größer ist der Ausbildungseffekt fürsFortkommen, umso mehr wurde geleistet. Dies machte im Rahmen dervölkischen Steigerungen seinen positiven Sinn, auch wenn damit inkeiner Weise eine politische Nähe zur nationalsozialistischen Weltanschau-ung impliziert sein musste.

Die dominierten Regionen der Raumstruktur (rechte Seite) zeigengenau die gegenteilige Tendenz: Je extremer die Positionen werden, umsooffiziell ungeeigneter fallen die fachlichen Eignungen aus (etwa in der Ver-teilung von den Angestellten zu den ArbeiterInnen). Letztlich finden sichdie Laufbahnen auf Serien gleichwertiger, austauschbarer Lohnarbeitsstellenreduziert. Nicht umsonst ist hier die Reproduktionsstrategie, Frau zu sein,von besonderer Wichtigkeit. Die Hilfsarbeit der Ungelernten – dieseNegativfolie des deutschen Berufs, die jedem/r richtig Deutschen erspartbleiben musste, weil die Volksgemeinschaft sonst um ihre Höchststeige-rungsleistung geprellt würde, und erspart werden sollte, weil dann einpersönliches Fortkommen, das sich die Deutschen durch den Dienst amVolk ja auch verdienten, nicht möglich war – manifestierte tatsächlich dasMinimum an Sachkunde und das offizielle Gegenteil allen Aufstiegs.

In dritter Linie wurden die Berufs- und Arbeitsgeschichten im Zugeder nationalsozialistischen Neuordnung zu einer Sache der Gesinnung.Dies stellte das letzte konstitutive Moment des pflichterfüllten Schaffensdar. Die Gesinnung findet sich – wie das Blut – in so gut wie jeder natio-nalsozialistischen Regelungen von Berufen und Arbeit wieder, nachdemsie in der ersten dieser langen Reihe, dem Gesetz zur Wiederherstellungdes Berufsbeamtentums von 1933 zusammen mit Blut und Leistung alszentrales Zulassungskriterium definiert worden war: „Beamte, die nachihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten,daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können

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131 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Vom 7. April 1933, RGBl. I,S. 175 –177, hier: S. 176 § 4.

132 Reichsbürgergesetz. Vom 15. September 1935, RGBl. I, S. 1146 § 2.133 Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereidigung der Beamten des Landes

Österreich. Vom 15. März 1938, RGBl. I, S. 245 – 246, hier: S. 245.134 Zweite Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare im Lande

Österreich. Vom 11. Juni 1938, RGBl. 1938, Teil I, S. 622 – 623, hier: S. 22 §§ 3und 4.

aus dem Dienst entlassen werden.“131 Und wie schon bei der Rasse folgteauch hier mit dem Reichsbürgergesetz von 1935 die Abstraktion dieserAnforderung von einer konkreten Berufstätigkeit und ihre Verallgemeine-rung für die ganze Volksgemeinschaft: „Reichsbürger ist nur der Staatsan-gehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der nur sein Verhaltenbeweist, dass er gewillt ist, in Treue dem Deutschen Volk und Reich zudienen.“132

Um Treue ging es auch in der ersten berufspezifischen Regelung imokkupierten Österreich. Der neue Diensteid, der den öffentlichen BeamtIn-nen mit 15. März 1938 vorgeschrieben wurde, lautete: „Ich schwöre: Ichwerde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treuund gehorsam sein, die Gesetze achten und meine Amtspflichten gewis-senhaft erfüllen, so wahr mit Gott helfe.“133 Ebenso mussten ein paarWochen später RechtsanwältInnen und Notare schwören: „Ich werde demFührer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, Treue halten unddie Pflichten eines deutschen Rechtsanwalts [beziehungsweise Notars, Anm.d. Verf.] gewissenhaft erfüllen, so wahr mit Gott helfe.“134 Treue bezeich-nete die völkisch beste Ausprägung von Gesinnung, die sich über unter-schiedliche Graduierungen von Zuverlässigkeit bewerten, messen ließ.Treue fungierte für die Gesinnung so wie die Deutschblütigkeit für dieRasse und der Aufstieg für die Laufbahn: als Monopolreferenz eineseigens ausdifferenzierten Raums. Durch die Zuverlässigkeit als durchge-setzten Maßstab, also als das Homolog zum Blut und zur Leistung, ließsich die Gesinnung näher präzisieren – wie in der Dritten Verordnungzum Schriftleitergesetz vom 31. Mai 1938:

„Vor jeder endgültigen Eintragung eines Schriftleiters in die Berufs-liste hat der Leiter des Landesverbandes dem Gauleiter, in dessen Gebietder betreffende Schriftleiter seinen Wohnsitz hat, Gelegenheit zur Prüfungder Frage zu geben, ob der Antragsteller politisch zuverlässig ist. Ebenso

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ist vor jeder endgültigen Eintragung eines Schriftleiters in die Berufslisteein polizeiliches Führungszeugnis über ihn beizuziehen.“135

Politisches Verhalten, polizeilicher Leumund und Strafregisterauszugzusammen genommen lieferten die Indikatoren für die „nationale odersittliche Zuverlässigkeit“136, oder noch allgemeiner: die „persönliche Zuver-lässigkeit“137, eine Art von umfassender Einschätzung einer Person unterdem Aspekt ihres Umgangs mit anderen: eine Einschätzung ihrer „charak-terlichen Eignung“138. Charakter fungierte als allgemeinster völkischerGesinnungsmaßstab.139 Übernahm die Leistung im Rahmen der zweidi-mensionalen Ehre die Funktion des Willens, so bezeichnete der Charakterderen Gefühlsmoment. Völkischer Charakter war das Gefühl für dierichtige Art, befriedet mit anderen in all den vielfältigen Hierarchien derTausenden Führer und Geführten, welche die Volksgemeinschaft aus-machen sollten, umzugehen, in Gemeinschaft zu sein. Er kann als Orien-tierungssinn verstanden werden, der es erlauben sollte, in all den zwischenVolksgenossen möglichen Begegnungen, Situationen, bei jedem Austauschzwischen Deutschen den jeweils angemessenen Umgang zu wählen: vomGehorchen über Sorge und Kameradschaft bis zum Befehlen. War derCharakter unzuverlässig, so konnte kein Umgang mit anderen so gesche-hen, wie es völkisch zu sein hatte. Auch dies zog unterschiedlichste Sank-tionen nach sich.

135 Dritte Verordnung zur Durchführung des Schriftleitergesetzes. Vom 31. Mai 1938,RGBl. I, S. 613.

136 Berufsordnung der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure. Vom 20. Januar 1938,RGBl. I, S. 40, hier: § 3 (2).

137 Verordnung zur Durchführung des Waffengesetzes. Vom 19. März 1938, RGBl. I,S. 270 – 276.

138 „(1) Einer nochmaligen Feststellung, daß die Bewerberin nicht politisch unzuver-lässig ist, bedarf es nicht, wenn diese vor Eintritt in die Lehranstalt nach § 6 Abs. 2der Ersten Verordnung mit befriedigendem Ergebnis getroffen worden ist und Zweifelan ihrer weiteren Gültigkeit seither nicht bekanntgeworden sind. (2) Das Einverneh-men mit der vom Stellvertreter des Führers bezeichneten Dienststelle braucht nichterneut herbeigeführt zu werden, wenn es nach § 6 Abs. 6 der Ersten Verordnung her-gestellt wurde und Zweifel an der charakterlichen Eignung der Bewerberin für denBeruf seither nicht bekanntgeworden sind.“ Zweite Verordnung über die Berufstätig-keit und die Ausbildung medizinisch-technischer Gehilfinnen und medizinisch-tech-nischer Assistentinnen (Zweite MGAV). Vom 17. Februar 1940, RGBl. I, S. 378 –390, hier: zu § 2 Erste MGAV.

139 Zum Folgenden vgl. ausführlich Mejstrik, Ertüchtigung, 1993, S. 285 – 295.

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„§ 4(1) Beamte, die nach ihrem bisherigen politischen Verhalten nicht die Gewährdafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staateintreten, können in den Ruhestand versetzt werden; dies gilt vor allem fürBeamte, die gegen die nationalsozialistische Bewegung und ihre Anhänger ge-hässig aufgetreten sind oder ihre dienstliche Stellung dazu mißbraucht haben,um völkisch gesinnte Volksgenossen zu verfolgen, zurückzusetzen oder sonstzu schädigen.“140

Gehässigkeit, Unzuverlässigkeit, Schädigung völkisch gesinnter Volks-genossen, Untreue, „schwere strafrechtliche oder sittliche Verfehlungen“141

waren das genaue Gegenteil von „Treue, Operwilligkeit, Verschwiegen-heit“142, von „dem Charakterwert als Grundlage aller Gesittung“143. In Treuewurde hingegen nicht nur das ganze Spektrum des völkisch vernünftigenUmgangs zwischen unterschiedlichsten Volksgenossen möglich, sondernauch die Gewähr dafür geboten, die besondere, jeweils passende Formselbstverständlich, dauerhaft und sicher zu treffen. Wie die Leistung dasder Volksgemeinschaft angemessene Individualisierungsprinzip darstellte,so der Charakter das Prinzip völkischer Vergemeinschaftung. Analog zujener sollte dieser dafür garantieren, dass beim Umgang Deutscher mit-einander aller materielle Eigennutz und Egoismus verbannt würden undjeder Austausch zwischen Volksgenossen nur mehr Dienst am Volk seinkönne. Jeder Deutsche sollte daher zum deutschen Charakter, zur Treueund persönlicher Zuverlässigkeit verpflichtet werden.

Im Gegensatz zu fachlicher Eignung, Aufstieg und Leistung fanden sichCharakter, Treue charakterliche Eignung und Gesinnung in den beidenVolksgemeinschaftseinsätzen sowohl eines bewegten als auch eines staats-politischen Nationalsozialismus: Charakter war in der völkischen Ehreimmer enthalten. Dementsprechend waren die Gesinnungsprüfungen derpolitischen Beurteilungen von Seiten der NSDAP-Stellen in der gesamten

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140 Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums. Vom 31. Mai1938, RGBl. I, S. 607– 610, hier: S. 607.

141 Berufsordnung der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure. Vom 20. Januar 1938,RGBl. I, S. 40, hier: § 3 (2).

142 „Heute ist die bewußte Entwicklung guter, edler Charaktereigenschaften in der Schulegleich Null. Dereinst muß darauf ganz anderes Gewicht gelegt werden. Treue, Opfer-willigkeit, Verschwiegenheit sind Tugenden, die ein großes Volk nötig braucht“ Hitler,Kampf, 1939, S. 461.

143 Alfred Rosenberg: Gestaltung der Idee. Blut und Ehre II. Band. Reden und Aufsätzevon 1933 –1935. Herausgegeben von Thilo von Trotha. München 1939, S. 51.

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Berufsneuordnung ebenso präsent wie die polizeiliche Kontrolle der Ab-stammungsnachweise. Die Menge an politischen Säuberungen und auchdie Vielfalt an umstrittenen Beurteilungen lassen erkennen, dass der Gradan parteilich festgestellter politischer Zuverlässigkeit ein eigener Grundwar, in Berufs- und Arbeitsgeschichten zu intervenieren, sie zu fördern, zukorrigieren oder zu zerstören. Auch die bislang möglichen Interpreta-tionen der dritten faktoriellen Dimension sprechen dafür, einen tertiärenrelativ autonomen Subraum der Berufsgesinnung anzunehmen (vgl. Gra-phik 31, Beilage).

Er hätte mit der Zuverlässigkeit oder dem Charakter sein Variations-kriterium, mit der Treue seine Monopolreferenz und ließe sich derart alsdrittrangige eindimensionale Herrschaftshierarchie verstehen: ein Konti-nuum von den völkisch wertvollen zu den völkisch wertlosen und gefähr-lichen Arten, Gesinnung zu haben, ein Spektrum von den dominanten zuden dominierten Charakterwerten. Die von den politischen Beurteilernins Visier genommene Gesinnung würde von der treuesten Zuverlässigkeitzur völkischen Idee bis zur gehässigsten Feindseligkeit gegen alles völkischGesinnte oder umfassenden Unzuverlässigkeit derer variieren, die ebendiese politische Treue zum völkischen Volk nicht zu kennen schienen undsich – voll der Gier nach Reichtum und persönlichen Erfolg, voll desEigennutzes – je nach politischer Lage bedenkenlos in den jeweiligen Um-ständen einrichten, was besonders den österreichischen BeamtInnen oftvorgeworfen wurde. Sprechen die bislang möglichen Interpretationen desstatistischen Experiments nicht gegen eine solche Hypothese, so reichtedie zur Fertigstellung dieses Bandes vorhandene Zeit nicht aus, um diestatistische Konstruktion in ausreichenden Maß auszutesten und abzu-sichern. Deshalb muss hier auf die Präsentation eines experimentellenBelegs, wie er für die ersten beiden Berufsunterräume möglich ist, ver-zichtet werden.

Die drei Momente von Rasse, Laufbahn und Gesinnung wurden – ingenau dieser Wichtigkeitsreihenfolge – durch die nationalsozialistischenBerufsneuordnung die bestimmenden Aspekte jeder möglichen Berufs-und Arbeitsgeschichte. Umgekehrt ergaben die mit bis dahin unerreichterEinheitlichkeit und Allgemeinheit koordinierte Arten, Berufe auszuübenund Erwerbsarbeiten zu leisten, in ihren gegenseitigen Beziehungen dievölkische Berufsarbeit. Um welche Erwerbstätigkeit, welche Karriere, wel-ches Gewerbe, welchen Posten, welche Berufung es sich auch handelte,

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unter welchen Bedingungen sie stattfanden, ja ob es sich bis dahin über-haupt um Tätigkeiten von Berufsträgern oder bloß Berufslosen des „öster-reichischen Berufslebens“ gehandelt hatte – als völkisches Schaffen wurdenall diese Tätigkeiten aufeinander bezogen, nach denselben drei Kriteriendefiniert, damit untereinander vergleichbar gemacht und tatsächlich so be-wertet. Im Rahmen der Durchsetzung der völkischen Berufsneuordnungwurde jeder möglichen Berufs- und Arbeitsgeschichte ein partikularerSinn im Rahmen des völkischen Schaffens zugewiesen und damit auchein partikularer völkischer Wert, der sich aus den Maßnahmen von Ausleseund Ausmerze ergab – so wie die Beziehungen zwischen all diesen parti-kularen völkischen Sinnen der möglichen Berufs- und Arbeitsgeschichtendie Berufsneuordnung selbst ausmachten.

Dieser Sinn stellte sich über die Messung nach den drei Kriterien her,die, wie bisher gezeigt werden konnte, nach voneinander unabhängigenLogiken, aber homolog als Erzeugungsprinzipien von Herrschaftsord-nungen funktionierten. Allerdings waren diese Kriterien auch aufein-ander bezogen, und zwar in ihren gegenseitigen Hierarchisierungen zumdreidimensionalen Maßstab des völkischen Schaffens. Die einzelnen Sinne,die eine bestimmte Berufsgeschichte nach den Aspekten von Rasse, Lauf-bahn und Gesinnung haben konnte, galten daher nicht isoliert vonein-ander, sondern wirkten simultan in relativer Autonomie144, oder besser: ingegenseitiger Integration. Dies macht es möglich und notwendig, den völ-kischen Beruf als dreidimensionalen historischen Raum zu konstruieren.

Dass die berufliche Auslese und Ausmerze in mehrdimensionalerIntegration getan wurde, lässt sich auch sehr deutlich an den einzelnenAktionen der Berufsneuordnung erkennen. Bei der Erfindung des völki-schen Schaffens fanden die nationalsozialistischen Administratoren, Kon-

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144 „Mit dem Jus ist es ähnlich: Sowie die neue Arbeitsteilung nötig wird, die Berufs-juristen schafft, ist wieder ein neues selbständiges Gebiet eröffnet, das bei aller seinerallgemeinen Abhängigkeit von der Produktion und dem Handel doch auch eine be-sondere Reaktionsfähigkeit gegen diese Gebiete besitzt. In einem modernen Staat mußdas Recht nicht nur der allgemeinen ökonomischen Lage entsprechen, ihr Ausdrucksein, sondern auch ein in sich zusammenhängender Ausdruck, der sich nicht durchinnere Widersprüche selbst ins Gesicht schlägt. Und um das fertigzubringen, geht dieTreue der Abspiegelung der ökonomischen Verhältnisse mehr und mehr in dieBrüche.“ Vgl. Friedrich Engels: Brief an Conrad Schmidt in Berlin vom 27. Oktober1890, in: Karl Marx und Friedrich Engels: Ausgewählte Werke. Wien und Moskau1981, S. 713 –719, hier: S. 716, Hervorhebung im Original.

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trolleure und Verfolger ja einerseits Erwerbsarbeiten vor, die schon mehroder minder klar als Berufe existierten, und andererseits Tätigkeiten, fürdie ein eigener Bezug auf Leistung, fachliche Eignung, Ausbildung undAufstieg erst hergestellt werden musste.

So fanden sich zum einen Maßnahmen, die darauf abzielten, beste-hende Berufe an die völkischen Erfordernisse anzupassen. Hierzu dientenauch die meisten Berufschädigungen, denn um bestehende Berufsord-nungen nach den Vorgaben des Schaffens zu ordnen, mussten sie arisiert,auf die neue Höchstleistungssteigerung und auf Gesinnungstreue ausge-richtet werden, was in nationalsozialistischer Logik auch breite Ausmerzeerforderte. Welches von diesen Momenten dabei besondere Kontrolle undIntervention auf sich zog, war von Normalisierungsgrad und -art des je-weiligen Berufs abhängig. Deswegen waren die Regelungen und Maß-nahmen von Berufsgruppe zu Berufsgruppe unterschiedlich: zwar alle aufdieselben drei Interventionsdimensionen bezogen, die jedoch unterein-ander von Fall zu Fall ganz unterschiedlich und flexibel gewichtet wurden.Ging es bei der Rechtsanwaltschaft vor allem um die offizielle Entjudung,so bei der Tierärzteschaft vor allem um politische Ausgrenzungen und beiTeilen der Angestelltenschaft eher um die Sicherstellung der Leistungs-anforderungen und Aufstiegsordnungen. Die Aktionen solch völkischerBerufskontrolle fanden sich verständlicherweise vor allem in der erstenZeit nach dem Anschluss (vgl. Kapitel 2.2. Zeittafel, S. 107). Je staatspoli-tisch wichtiger und gefährlicher eine Berufsgruppierung erschien, umsoschneller und radikaler erfolgten die Maßnahmen der Neuordnung. Sorichteten sich die ersten Aktionen auf den Öffentlichen Dienst und, kurzdanach, auf die freien Rechtsberufe. Ebenso früh wurde das offensichtlichgefährlichste Gewerbe der nationalsozialistischen Kontrolle unterworfen:Nach dem Waffengesetz vom 18. März wurde für die „Herstellung vonSchußwaffen und Munition“ die Notwendigkeit einer staatlichen Erlaub-nis eingeführt. Hierfür fand sich die erste Korrektur eines Berufs zur völ-kischen Berufsarbeit, die in Österreich gesetzlich vorgeschrieben wurde.

„§ 3(4) [...] Die Erlaubnis darf ferner nur erteilt werden, wenn der Antragsteller und

die für die kaufmännische oder für die technische Leitung seines Betriebes inAussicht genommenen Personen die für den Betrieb des Gewerbes erfor-derliche Zuverlässigkeit und wenn der Antragsteller oder die für die techni-

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sche Leitung seines Betriebes in Aussicht genommene Person die für denBetrieb des Gewerbes erforderliche fachliche Eignung besitzen.

(5) Die Erlaubnis darf nicht erteilt werden, wenn der Antragsteller und die fürdie kaufmännische oder für die technische Leitung seines Betriebes in Aussichtgenommenen Personen oder einer von ihnen Jude ist.“145

Die Erste Durchführungsverordnung ergänzte diese groben Vorgabenund präzisierte, was unter „persönlicher Zuverlässigkeit“ und „fachlicherEignung“ beziehungsweise „Sachkunde“ verstanden werden sollte.146

Ebenso schrieb die BBV die dreidimensionale völkische Ausmerze vor.Juden mussten und politisch Unzuverlässige konnten in den Ruhestandversetzt werden. Beamtenkarrieren, die nicht den Ausbildungs- und Eig-nungserfordernissen entsprachen, sondern sich irgendwelchen anderenEinflüssen (allen voran politische Protektion) verdankten, hatten nach demneuen Leistungsmaßstab korrigiert zu werden.

Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums. Vom31. Mai 1938, RGBl. I, S. 607– 610„§ 3(1) Jüdische Beamte, Beamte, die jüdische Mischlinge sind, und Beamte, die mit

einer Jüdin (einem Juden) oder mit einem Mischling ersten Grades verhei-ratet sind, sind in den Ruhestand zu versetzen. [...]

(3) Ausnahmsweise können mit Zustimmung des Stellvertreters des Führers oderder von ihm bestimmten Stelle im Dienst belassen werden:1. Beamte, die mit einer Jüdin (einem Juden) oder mit einem Mischling ver-

heiratet sind;2. Beamte, die jüdische Mischlinge sind,

a) wenn sie am 1. August 1914 bereits angestellte Beamte im Sinne des § 5 des österreichischen Gehaltsgesetzes 1924 waren, oder

b) wenn sie im Weltkrieg an der Front auf seiten Österreich-Ungarns oderseiner Verbündeten gekämpft haben oder wenn ihre Väter, Söhne oderEhemänner auf dieser Seite im Weltkrieg gefallen sind; dem Kampf imWeltkrieg stehen die Kämpfe gleich, die nach ihm zur Erhaltung deut-schen Bodens und im Juli 1934 für die nationalsozialistische Erhebunggeführt worden sind;

Berufsarbeit als völkisches Schaffen 1938 –1940 71

145 Waffengesetz. Vom 18. März 1938, RGBl. I, S. 265 – 273, hier: S. 265.146 Verordnung zur Durchführung des Waffengesetzes. Vom 19. März 1938, RGBl. I,

S. 270 – 276.

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3. Beamtenanwärter (Gleichgestellte) und Aspiranten, die jüdische Misch-linge sind oder mit einer Jüdin (einem Juden) oder mit einem Mischlingersten Grades verheiratet sind, unter den Voraussetzungen der Nr. 2b.

(4) Weitere Ausnahmen kann der Reichsminister des Innern im Einvernehmenmit dem Stellvertreter des Führers zulassen. [...]

§ 4(1) Beamte, die nach ihrem bisherigen politischen Verhalten nicht die Gewähr

dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staateintreten, können in den Ruhestand versetzt werden; dies gilt vor allem fürBeamte, die gegen die nationalsozialistische Bewegung und ihre Anhänger ge-hässig aufgetreten sind oder ihre dienstliche Stellung dazu mißbraucht haben,um völkisch gesinnte Volksgenossen zu verfolgen, zurückzusetzen oder sonstzu schädigen. [...]

§ 5(1) Wenn es das dienstliche Bedürfnis erfordert, kann jeder Beamte im Bereiche

seines Dienstherrn auf einen anderen Dienstposten seines Dienstzweiges odereines anderen Dienstzweiges der gleichen Verwendungsgruppe versetzt wer-den. [...]

(4) In der Zeit vom 1. März 1933 bis zum 13. März 1938 vollzogene Ernennun-gen, bei denen die politische Einstellung des Beamten wesentlich mitgewirkthat, können rückgängig oder erst von einem späteren Zeitpunkt an wirksamgemacht werden. In diesen Fällen sind die Beamten von dem auf die Verfü-gung folgenden Monat ab so zu stellen, als ob diese Ernennungen nicht odererst mit Wirkung von dem späteren Zeitpunkt an vollzogen worden wären.Entsprechendes gilt für Beamte, die bei ihrer Aufnahme in den Dienst aufDienstposten ernannt worden sind, die in der Regel nur im Wege der freienBeförderung verliehen werden. [...]

§ 6 Zur Vereinfachung der Verwaltung oder im Interesse des Dienstes könnenBeamte, auch wenn sie noch nicht dienstunfähig sind, in den Ruhestandversetzt und Beamtenanwärter (Gleichgestellte) und Aspiranten unter Auf-lösung ihres Dienstverhältnisses aus dem Dienst ausgeschieden werden. [...]

§ 7(1) Auf Angestellte und Arbeiter, bei denen eine der Voraussetzungen der §§ 3

bis 6 zutrifft, sind die für die Beamten geltenden Bestimmungen sinngemäßnach Maßgabe der folgenden Bestimmungen anzuwenden: [...]

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5. Dienstverträge mit übermäßig günstigen Bedingungen, die hauptsächlichwegen der politischen Einstellung des Dienstnehmers zugestanden wordensind, können entsprechend abgeändert werden. [...]

§ 9(1) Alle unter §§ 1 und 2 dieser Verordnung fallenden Personen sind verpflich-

tet, die ihnen von der vorgesetzten oder mit der Durchführung dieser Ver-ordnung betrauten Behörde vorgelegten Fragen über ihre Abstammung undihre bisherige politische Betätigung und die ihnen sonst in Durchführungdieser Verordnung gestellten Fragen vollständig und wahrheitsgemäß zu be-antworten und abverlangte Urkunden vorzulegen. [...]

§ 10 [...](2) Bei Verfügungen nach § 6 kann dem Betroffenen auf Antrag eine Bescheini-

gung ausgestellt werden, daß die getroffene Maßnahme für ihn eine Belastungin politischer Hinsicht nicht bedeute. [...]

§ 12 [...](2) Ob die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der § 4 und § 5 Abs. 4 vor-

liegen, ist an Hand der Personalakten und der Beantwortung der gestelltenFragen zu prüfen. In Zweifelsfällen ist ein Ermittlungsverfahren durchzufüh-ren, in dem Zeugen und Sachverständige eidlich vernommen werden könnenund der Betroffene gehört werden soll; wenn der Betroffene gehört wird, soist auch der vom Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichsmit dem Deutschen Reich zu bestimmenden Parteidienststelle Gelegenheitzur Stellungnahme zu geben.

(3) Von mehren nach dieser Verordnung zulässigen Maßnahmen ist jeweils dieschärfere anzuwenden; die Tatsache der Abstammung allein rechtfertigt dieAnwendung des § 4 nicht.“

Auch die vielfältigen Maßnahmen zur Erfindung neuer Berufe, dienationalsozialistische Politik und Verwaltung einleiteten,147 setzten dasselbeSchema um, das im Lauf der Zeit auf eine kurze Formel der dreidimen-sionalen Anforderung – der körperlichen, geistigen und charakterlichenEignung oder Uneignung – gebracht wurde.148 Ob Korrektur des bereits

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147 Vgl. dazu Mejstrik, Ertüchtigung, 1993, S. 81– 86.148 Vgl. zum Beispiel Erste Verordnung über die berufsmäßige Ausübung der Kranken-

pflege und die Errichtung von Krankenpflegeschulen (Krankenpflegeverordnung –

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Bestehenden oder Erfindung neuer Berufe, die Durchsetzung des völki-schen Schaffens erforderte auf jeden Fall noch eine zentralisierte, staatli-che Verwaltung.149 Die Ausübung eines Berufs erforderte immer öfter dieEinholung einer staatlichen Erlaubnis, den staatliche autorisierten Nach-weis von Berechtigung und Eignung. So fand die nationalsozialistischeBerufspolitik in den folgenden Jahren auch einen Schwerpunkt in derEinführung von einheitlichen Eignungs- und Zulassungsprüfungen füreine Vielzahl von Berufen.150 Mit diesen Bestimmungsfaktoren konnte dievölkische Neuordnung der Berufsarbeit durchgesetzt werden.

Die Integration der beiden ersten Dimensionen der Korrespondenz-analyse erlaubt es, die dreidimensionale Struktur des Raums völkischenSchaffens in ihren beiden wichtigsten Dimensionen – der Rasse und derLaufbahn – anzunähern (vgl. Graphik 3, Beilage). Eine detaillierte Inter-pretation dieser Konstruktion muss jedoch wie die Ausarbeitung einesexperimentellen dreidimensionalen Modells einer künftigen Publikationvorbehalten bleiben.

Der Raum des völkischen Schaffens

Eine zweidimensionale Annäherung an Blut und Ehre im Beruf (Graphik 3)

Graphik 3 ist nun eine konventionelle Präsentation der Ergebnisse einerKorrespondenzanalyse mit Hilfe der simultanen Darstellung derKoordinatenverteilung der Modalitäten- und Individuenpunkte auf zweifaktoriellen Dimensionen – hier der ersten, wichtigsten, und der zweiten,zweitwichtigsten. Diese Graphik der primären faktoriellen Fläche, wie solch

KrPflV). Vom 28. September 1938, RGBl. I, S. 1311–1313; Zweite Verordnung zurDurchführung der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirt-schaftsleben. Vom 14. Dezember 1938, RGBl. I, S. 1902; Hebammengesetz. Vom21. Dezember 1938, RGBl. I, S. 1893 –1896; Erste Verordnung über die Berufs-tätigkeit und die Ausbildung medizinisch-technischer Gehilfinnen und medizinisch-technischer Assistentinnen (Erste MGAV). Vom 17. Februar 1940, RGBl. I, S. 371–378.

149 Zum Beispiel im Fall der Patentanwaltschaft: „Beim Reichspatentamt wird eine Listeder Patentanwälte geführt. In diese werden auf ihren Antrag Personen eingetragen,die andere vor dem Reichspatentamt in Angelegenheiten seines Geschäftskreises füreigene Rechnung berufsmäßig vertreten wollen.“ Patentanwaltsgesetz vom 18. Sep-tember 1933 in der Fassung des Gesetzes über die Zulassung zur Patentanwaltschaft.Vom 4. September 1938, RGBl. I, S. 1150ff, hier: S. 1 § 1.

150 Vgl. Mejstrik, Ertüchtigung, 1993, S. 86 – 90.

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eine Darstellung üblicherweise genannt wird, konstruiert die Verteilungder Reproduktionsstrategien und Reproduktionsmodi demnach zugleichüber ihre völkischen Rasse- und Leistungswerte. (Es fehlen somit dieInformationen der dritten Dimension, also die Positionierungen in derGesinnungshierarchie, zur vollständigen Repräsentation des Struktur desRaums völkischen Schaffens.)

Die Modalitäten wurden wiederum nach dem WichtigkeitskriteriumCPF ausgewählt. Diesmal allerdings finden sich sämtlich überdurchschnitt-lich wichtigen Reproduktionsstrategien versammelt. Mit Hilfe eines Farb-schlüssels sind die Wichtigkeiten nach Dimensionen differenziert und zuKlassen zusammengefasst. Für die Individuen galten dieselben Überlegun-gen wie bei den eindimensionalen CPF-Hilfsgraphiken: Im Wesentlichenfinden sich die schon dort zurückbehaltenen epistemischen Personen auchhier wieder, allerdings um einige neue – in der zweidimensionalen Vertei-lung extreme – ergänzt, so dass die abgebildeten Individuen die äußerenGrenzen der Individuenverteilung in der Fläche abstecken.

Die Rassenhierarchie wird dabei durch die waagrechte Verteilung derPunkte dargestellt, die Leistungshierarchie durch die senkrechte. Je weiterlinks ein Punkt vom Flächenzentrum platziert ist, umso mehr positiv richtetsich die durch ihn bezeichnete Tätigkeit an der völkischen Referenz derDeutschblütigkeit aus. Je weiter rechts ein Punkt platziert ist, umso stärkergilt für die durch ihn bezeichnete Tätigkeit gerade die Vermeidung desArischen und damit der nationalsozialistische Rasseunwert. Je weiterunten vom Flächenzentrum ein Punkt platziert ist, umso mehr positivorientiert sich die durch ihn bezeichnete Tätigkeit an der Referenz desberuflichen Aufstiegs; je weiter oben ein Punkt zu liegen kommt, umsodeutlich gilt es für die mit ihm bezeichnete Tätigkeit, allen Aufstieg geradezu vermeiden, was in der durchgesetzten Perspektive nur mehr als Lei-stungsmangel gelten kann. Die Mitte der Graphik markiert die neutraleÜbergangszone.

Als Ergänzung zu dieser relativ komprimierten Bezeichnung des Trans-positionsformel des Raums kann nur kurz eine – sehr ungenaue, aberdafür unmittelbare – Leseanweisung für faktorielle Flächengraphikengegeben werden. Je näher beisammen zwei oder mehrere Punkte in dergleichen Richtung weg vom Achsenursprung liegen (der Winkel der ent-sprechenden Ortsvektoren tendiert gegen null Grad), desto positiver undstärker werden die regelmäßigen Beziehungen zwischen den Merkmalen

Berufsarbeit als völkisches Schaffen 1938 –1940 75

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76 Zwei Räume

und Individuen, die sie darstellen, desto stärker hängen diese zusammen.Umgekehrt, je weiter voneinander entfernt zwei oder mehrere Punkte indeutlich entgegengesetzten Richtungen weg vom Achsenursprung liegen(der Winkel der entsprechenden Ortsvektoren tendiert gegen 180 Grad),desto stärker werden die negativen, gegenseitigen Regelmäßigkeiten zwi-schen den bezeichneten Merkmalen und Individuen, deren gegenseitigeAusschließungen. Zuletzt ergibt sich zwischen Merkmalen und Individuendann kein besonderer, weder ein positiver noch ein negativer, Zusammen-hang, wenn der Winkel zwischen den entsprechenden Ortsvektoren gegen90 Grad tendiert. Unter Zusammenhang wird bei einer Korrespondenz-analyse nicht große Häufigkeit verstanden, sondern die Abweichung vomverteilungsintern bestimmten „Durchschnittsfall“ (technisch gesprochen:die Differenz zum Fall der Unabhängigkeit von Zeilen und Spalten derEingangstabelle).

Die Spezifik der nationalsozialistischen Berufsordnung bestand in einervehement beförderten Ausdifferenzierung, technisch-produktiver Rationa-lisierung und Spezialisierung einer Fülle unterschiedlicher Berufsarbeitenbei deren gleichzeitiger Integration zu einer einheitlich verallgemeinertenFigur des Berufs. Dies gelang durch die Durchsetzung der Volksgemein-schaft als offizielle Referenz, in deren Rahmen und für deren expansiveZiele sowohl Integration als auch Ausdifferenzierung notwendig warenund unter dem Wertungsmaßstab von Blut und Ehre möglich wurden.

„Die Einheit der Volksgemeinschaft ist nicht mechanische Gleichheit,sondern diese Einheit verlangt zur Entfaltung ihrer Wirkungskraft einenatürliche, lebensgesetzliche Gliederung. So sehr diese Einheit der Volks-gemeinschaft durch unnatürliche Trennungen gefährdet werden kann, sogibt es ebenso sicher einheitsfördernde und gemeinschaftserhaltende Unter-scheidungen.“151

Aus diesem Grund zeigt der Entwurf des völkischen Berufsraums kon-kret, warum es nicht gelingt, der nationalsozialistischen Geschichte mitBildern der Gleichschaltung oder mit getrennten Politik-, Sozial-, Kultur-,und Wirtschaftsgeschichten beizukommen. Dass diese Geschichte wederausschließlich als reaktionär und irrational zu begreifen ist, noch nur unterdem Blickwinkel der Modernisierung und Rationalisierung verstanden

151 Siebert, Grundzüge, 1943, S. 29 – 30.

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werden kann, wurde von der Historiographie schon längere Zeit betont.152

Es reicht jedoch auch nicht hin, in ihr reaktionäre und irrationale sowieprogressive und moderne Phänomene identifizieren zu wollen, denn wiesollten Aktionen nach Art der Berufsneuordnung in diesem Schema zu-geordnet werden? Der „irrlichternde Charakter“, der in solcher Perspektivedem Nationalsozialismus konzediert werden muss, verdankt sich dannmehr dem gelehrten Versuch, eine „Verschränkung von revolutionärenund traditionellen Elementen, das Nebeneinander von Modernisierungund Anti-Moderne“ dort zu sehen, wo jedes Element konstitutiv über-determiniert war: In der Logik der typologischen Zuteilung von histori-schen Phänomenen entweder zur Moderne oder zur Anti-Moderne lässtsich dies nicht erfassen. Die Bilder von „regressiver Modernisierung“ undder „Paradoxie der Modernisierung“153 formulieren das Problem nur aufakademisch anerkannte Weise, konstruieren es aber nicht so um, dass eswissenschaftlich untersucht werden könnte.

Das Experimentalmodell des völkischen Berufsraums kann demge-genüber zeigen, dass und konkret auf welche Art historische Phänomenewie Berufs- und Arbeitsgeschichten und Maßnahmen der beruflichenAuslese und Ausmerze mehrdimensional wirkten und demnach nur inmehrdimensionalen Erklärungen zu verstehen sind. Die Geschichte derkonfliktiven und konsensuellen Durchsetzung dieses Raums stellte denRahmen für die Geschichte der völkischen Berufsarbeit dar und damit allder Episoden, Ereignisse, Auseinandersetzungen um Arbeit und Beruf imÖsterreich der ersten Jahre der NS-Herrschaft. Die mehr oder mindergeförderten und mehr oder minder geschädigten Berufs- und Arbeitsge-schichten von Einzelpersonen lassen sich daher als konstitutive Elemente,Fälle des großangelegten, teilweise zentral koordinierten Unternehmensbegreifen, das völkische Prinzip auch auf den bislang unterschiedlichenBerufs- und Arbeitsmärkten umfassend durchzusetzen, indem eine Reihevon fatalen Grenzen gezogen wurde, welche die völkisch richtigen Berufs-arbeiten für die völkisch richtigen Deutschen reservierten und die damitdefinierten offiziellen Fremdvölkischen und Gemeinschaftsfremden rigiderVerfolgung aussetzten.

Berufsarbeit als völkisches Schaffen 1938 –1940 77

152 Vgl. Ian Kershaw: Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen imÜberblick. Reinbek bei Hamburg 1988.

153 Alle Zitate aus Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates. ÖsterreichischeGesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Wien 1994, S. 348 – 349.

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78 Zwei Räume

1.2. Das Berufsleben der österreichischen Bevölkerung 1934

Nachdem die etablierte völkische Ordnung der Berufe und Arbeiten inihrer Struktur grob umrissen worden ist, werden sie die folgenden Kapiteldes Buchs als Aktion, als Neuordnung untersuchen. Die Frage lautet nun,auf welche Weise die nationalsozialistischen Berufsschädigungen zur Herstellungdes Raums völkischer Berufsarbeit beigetragen haben und was sie dieserHerstellung gleichzeitig verdanken.

Um die Veränderungen zu beschreiben, ist es nötig, das „österreichi-sche Berufsleben“ der 1930er Jahre, das neuzuordnen die nationalsozialisti-schen Aktionen antraten, in seinen wichtigsten Zügen zu erfassen. Dazuwäre eine Strukturkonstruktion jener Art, wie sie gerade für 1938 –1940vorgestellt wurde, verständlicherweise sehr sinnvoll. Hierzu jedoch konn-ten die bislang existierenden Vorarbeiten noch nicht weit genug entwickeltwerden.154 So wird an dieser Stelle eine kurze Besprechung jener hoch-offiziellen Konstruktion des österreichischen Berufslebens hinreichen, diemit den amtlichen Auswertungen der Volkszählung von 1934 vorliegt.155

„Die Berufsstatistik hat die Aufgabe, alle Tatsachen zu erfassen unddarzustellen, die das Berufsleben der Bevölkerung beleuchten. Es ist daherzunächst die Bevölkerung nach ihrem berufstätigen und nach dem nochnicht oder nicht mehr berufstätigen Teile auszugliedern, somit klar zuzeigen, welcher Teil der Bevölkerung in der Wirtschaft oder auf einemanderen, geistigen, kulturellen oder staatspolitischen Betätigungsfeld wirk-sam ist und welcher Teil nur für den Verbrauch der erzeugten Güter unddargebotenen Dienstleistungen in Frage kommt. Der erstere Teil der Be-völkerung, der berufstätige Teil, ist wieder so zu kennzeichnen, dass seinAnteil am Berufsleben klargestellt ist.“156

Beruf war in dieser Ordnung zunächst einmal Erwerbsarbeit. OhneBeruf bedeutete damit ohne Erwerbsarbeit. Dies schloss aber nicht aus,einen eigenen Unterhalt zu beziehen, wie die Kategorie der berufslosen

154 Diese wird im Rahmen der Eigenforschungen der ProjektmitarbeiterInnen schon seiteiniger Zeit vorbereitet, vgl. zB Bürgerlichkeit im Raum der Habsburgermonarchie –Kontinuitäten und Brüche 1900 – 1995. Österreich. Endbericht des Forschungspro-jekts im Rahmen des Millenniumsprojekts ‚Grenzenloses Österreich‘ unter der Leitungvon Univ.-Prof. Dr. Hannes Stekl und Univ.-Prof. Dr. Ernst Bruckmüller, Bearbeiter:Peter Melichar, Ulrike Döcker und Alexander Mejstrik. Wien 1999.

155 Vgl. Ergebnisse, elf Hefte, 1935.156 Ergebnisse, Textheft, 1935, S. 85.

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Selbständigen zeigte: ohne Beruf zu sein hieß dann, ohne offiziellen Ar-beitsplatz seinen Unterhalt zu verdienen. Dies definierte wiederum denBeruf über einen offiziellen Arbeitsplatz, über den auch alle Selbständigenverfügen mussten – außer die berufslosen Selbständigen und auch außerall die Arbeitslosen, denen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde.Die angesprochene Wirksamkeit „in der Wirtschaft oder auf einem anderen,geistigen, kulturellen oder staatspolitischen Betätigungsfeld“ war aber natür-lich auch nicht einfach gleichbedeutend mit dem Umstand, einen offiziellenArbeitsplatz zu haben. Beruf war in dieser Perspektive dann jede Produktionvon unterschiedlichsten Produkten oder Gütern (nicht jedoch Waren), dievon einer Konsumption unterschieden werden konnte. Diese Trennungvon Berufsträgern und Berufslosen war somit grundlegender gedacht. Siefunktionierte deswegen jedoch auch nicht klarer. So gab es ja die großeMenge an Hausfrauen, „deren Zugehörigkeit zu den Berufsträgern bestrit-ten ist“,157 allerdings auch wieder nicht genug bestritten, um ihre umstands-lose Zurechnung zu den Berufslosen zu rechtfertigen. Das Problem derberufslosen Selbständigen stellte sich auch in dieser Perspektive von neuem.So wurde eine Reihe von Zwischenkategorien eingeführt, die der Wille zurklaren Ja/nein-Entscheidung offensichtlich unweigerlich nach sich zog.

Darüber hinaus bezog sich Beruf auf eine Liste an Berufsarten, die inunterschiedlicher Genauigkeit technische Manipulationen und Fertigkei-ten voneinander zu scheiden und zusammen zu fassen versuchten. „221Richter“158 galt deshalb als Beruf, ebenso wie „139 Tapetendrucker“ und„244 Nicht besonders ausgezähltes kaufmännisches und Büropersonal“.Beruf in dieser Perspektive war Sache von Ausbildung, Zulassung, vonverbrieften Fertigkeiten und Zuständigkeiten, die nicht an einen offiziel-len Arbeitsplatz gebunden waren und zum Beispiel mit all dem irgendwieproduktiven, aber nicht konsumptiven Wirken der Hausfrauen nichts zutun hatten. Ebenso waren die Berufe der Berufsarten in sich heterogen,denn ein „82 Harmonikamacher“ passte in das Bild einer technisch-ge-werblichen Kompetenz als Berufskriterium, die „257 Nicht besondersausgezählte[n] Arbeiterberufe; Hilfsarbeiter, soweit nicht zu anderen Be-rufszweigen gehörig“ wiederum kaum – sie bestimmten sich viel eher überje konkrete Arbeitsplätze.

Das Berufsleben der österreichischen Bevölkerung 1934 79

157 Ergebnisse, Textheft, 1935, S. 86.158 Die folgenden Zitate aus Ergebnisse, Textheft, S. 87– 93.

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80 Zwei Räume

Diese Verwirrungen müssen nicht ex post herbeizitiert werden. Sie be-schäftigten auch die Amtsstatistiker, die selbst nicht alle, aber zumindesteinige Unschärfen und Mehrdeutigkeiten bei der Publikation der Volks-zählungsergebnisse thematisierten. Konzeption und Bearbeitung dieserVolkszählung waren im Vergleich zu anderen sogar besonders reflektiert.159

Dennoch finden sich Teile der Zählungen und Auswertungen, in deneneine Art von formal-logischer Präzision (in der Definition der Kategorienund der Relationen zwischen ihnen) viel eher möglich erschien als fürandere Teile. Die „27 Maurer“ etwa ließen sich als Berufsart so gut wieausschließlich der Wirtschaftsgruppe „Bauindustrie- und Gewerbe“ zu-ordnen und waren offenbar leicht auszuzählen. Die Berufsart „243 Nichtbesonders ausgezählte technische Angestellte“ fungierte hingegen unterden „In verschiedenen Betriebszweigen vorkommende[n] Berufe[n]“, beidenen schon per definitionem nichts mehr so klar war. Was „89 Bürsten-und Pinselmacher“ beruflich taten war viel detaillierter und genauer um-rissen als die Tätigkeiten der „241 Zeichner“, die ja alles mögliche unterallen möglichen Umständen und allen möglichen Voraussetzungen produ-zieren konnten, solange dabei nur gezeichnet wurde.

Zu den offensichtlichen Schwierigkeiten, historischen Phänomenenmit einer einfachen typologischen Logik beikommen zu wollen, geselltesich für die amtlichen Statistiker noch eine weitere. Den HistorikerInnenkann diese allerdings helfen, die Problematik auf den Punkt zu bringen.Das Kategoriensystem der Volkszählung vom 22. März 1934 verdanktesich zu einem beträchtlichen Teil ja der Tradition einer demokratisch-republikanischen Perspektive auf die österreichische Gesellschaft, musstejedoch – nachträglich – auf die neue politische Vorschrift einer berufs-ständischen Ordnung umgebogen werden.

„Die Vorbereitung für die Aufarbeitung der Berufsstatistik der öster-reichischen Volkszählung und mit ihr die Einteilung in Wirtschaftsabteilun-gen, Wirtschaftsgruppen und Wirtschaftsarten und die Einteilung in dieBerufe war bereits beendet, als am 1. Mai 1934 in Artikel 48, Absatz 4,der ‚Verfassung 1934‘ (B. G. Bl. II, Nr. 1 von 1934) die Einteilung derBerufstände in folgende Hauptgruppen bekanntgegeben wurde:

Land- und Forstwirtschaft,Industrie und Bergbau,

159 Vgl. Mühl, Wandel, 1995, S. 16 – 25.

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Gewerbe,Handel und Verkehr,Geld-, Kredit- und Versicherungswesen,Freie Berufe,Öffentliche Dienste.

Die Bearbeitung der Berufserhebung hat sich daher bemüßigt gesehen,über die ursprünglich vorgesehene Einteilung des Wirtschaftsverzeichnis-ses noch diese zweite Haupteinteilung [...] zu legen. Dabei war es nichtmöglich, Industrie und Gewerbe voneinander zu trennen; denn die Zu-gehörigkeit zur Industrie und zum Gewerbe ist durch einfache, äußerlichleichte erkennbare, somit bei einer Volkszählung feststellbare Merkmale,wie zB die Zahl der verwendeten Personen, nicht eindeutig bestimmt.Erst zukünftige Volkszählungen werden, wenn alle in Frage kommendenPersonen in diesen oder jenen Berufsstand werden eingereiht sein, mitAussicht auf Erfolg die Frage nach der Zugehörigkeit zu Industrie undGewerbe stellen können.“160

Deshalb fanden sich in den Ergebnissen Auszählungen aufgenommen,die von den drei Kategorien der Einteilung nach Wirtschaftssektoren aus-gingen,161 neben Auszählungen nach den Wirtschaftsabteilungen der berufs-ständischen Ordnung.162

Der „Aussicht auf Erfolg“ einer Zählung – so wurde hier explizit for-muliert – lässt sich als Funktion des Erfolges einer vorgängigen Zuord-nungs-, Einreihungs-, Aufteilungs-, Zusammenfassungsarbeit begreifen.Nicht alles, was historisch existierte, konnte hochoffiziell gezählt werden.Hochoffiziell zählen ließ und lässt sich nur, was es auch auf (mehr oderminder) hochoffizielle Weise gab oder gibt. So musste der Plan, eineberufsständische Ordnung 1935 (auch) statistisch ins historische Lebenzu rufen, vertagt werden – auf immer, denn die nächsten Zählungenbehandelten 1939 bereits die Ordnung völkischen Schaffens. In ihren Be-merkungen zu den historischen Bedingungen der Möglichkeit von

Das Berufsleben der österreichischen Bevölkerung 1934 81

160 Ergebnisse, Textheft, 1935, S. 92.161 Eine Einteilung gemäß den internationalen Empfehlungen der Genfer arbeitsstatisti-

schen Konferenz von 1923 in einen primären Sektor (Urerzeugung), einen sekundä-ren (verarbeitende Gewerbe und Industrien) und einen tertiären Sektor (Dienstleistungen),vgl. Ergebnisse, Textheft, 1935, S. 89.

162 1937 veröffentlichte Emanuel Januschka eine berufsständische Reinterpretation derVolkszählungsergebnisse, die im Vergleich zur staatlichen Auswertung von 1935 ziem-lich nonchalant ausfiel, vgl. Januschka, Schichtung, 1938.

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82 Zwei Räume

quantitativen Untersuchungen haben M0hael Pollak und Marie-AngeSchiltz genau solche Überlegungen verallgemeinert:

„Pouvoir tirer d’une population donnée un échantillon aléatoire repré-sentatif présuppose que celle-ci dispose d’un statut, qu’elle soit visible etenregistrée. [...] on peut dire que la représentation d’un échantillon est tri-butaire d’un recensement préalable, régulièrement mis à jour. Les connais-sances en sciences sociales quantifiées, descriptives et opératoires sont donctrès directement liées à l’état de la statistique administrative et à la mise enplace de la gestion étatique [...] Par conséquent, les sondages et enquêtesstatistiques lourdes ont toujours pour base de référence la population d’uneunité administrative donnée (pays, région, ville) ou des souspopulationsclairement définies par une caractéristique administrativement enregistréeet facilement repérable: l’âge, la catégorie socioprofessionnelle, le diplôme.Là où le critère distinctif de la population étudiée échappe aux variablesd’État, un échantillon représentatif est extrêmement difficile à obtenir.“163

Überhaupt scheinen alle Möglichkeiten, eine Gruppierung als solche zuadministrieren – also zu zählen, zu kontrollieren, zu verwalten, auf sie ge-zielt politisch einzuwirken, sie nach irgendwelchen Vorstellungen zu mani-pulieren usw. –, untrennbar mit der Art und Weise verknüpft, gemäß dererdiese Gruppierung als solche historisch zu einem bestimmten Zeitpunktexistierte. Diese Möglichkeiten waren und sind von der Normalisierungder Gruppierungen (vgl. 0. Einleitung, S. 7). Der Versuch einer Sekundär-analyse von solch hochoffiziellen Daten, wie sie die staatlichen Berufssta-tistiken darstellen, muss daher immer damit rechnen, weder eine bloßeRegistrierung von Gegebenem zu registrieren noch es bloß mit einem jenergroßen Narrative zu tun zu haben, in denen so gut wie alles immer möglichsein soll und in denen sich heutzutage für viele, die historische Wirklichkeitnur als dichotomische Alternative zu Literatur verstehen können, Geschichteerschöpfen soll. Die staatlichen Statistiken registrieren einen bestimmtenZustand (ein bestimmtes Ergebnis) der Auseinandersetzungen um einenEinsatz – hier eben: um Beruf und Arbeit –, indem sie mit jener beson-deren Wirksamkeit amtlicher Registrierung, die in der offiziellen Fixierungeines Standes der Auseinandersetzungen besteht, in diese Auseinander-setzungen selbst eingreifen.164

163 Pollak und Marie-Ange Schiltz, Six années, 1991, S. 32 – 33.164 Vgl. Alain Desrosières: La politique des grands nombres. Histoire de la raison stati-

stique. Postface inédite de l’auteur. Paris (11993) 22000, zB S. 410 – 413 ; und Domi-

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Die Konstruktion des Berufslebens der österreichischen Bevölkerung1934 ging also von einer grundlegenden Unterscheidung aus zwischen jenen,die einen Beruf trugen, und jenen, die dies nicht taten (und sah sich dabeigezwungen, eine Reihe von unzuordenbaren Zwischenstufen zuzulassen):Sie ging aus von der „allgemeine[n] Berufskennzeichnung der Bevölkerung“in „Berufsträger und Berufszugehörige“.165 Die gesamte Wohnbevölkerungwurde allerdings in ihrer Zugehörigkeit zu den Wirtschaftsabteilungen derberufständischen Ordnung erfasst: für jede Person galt eine eindeutigeZuordnung zu einer dieser Abteilungen, in der ihre materielle Existenzgründen sollte. Berufslose Angehörige fanden sich so der Wirtschaftsab-teilung zugeschlagen, die für jene Personen (zumeist für die Haushaltsvor-stände), die sie als ihre ErhalterInnen zu bestimmen angehalten waren, alsKategorie galt. Die Berufsträger wiederum fanden sich über drei berufs-spezifische Variablen definiert: über die Zugehörigkeit zu einer der Wirt-schaftsarten, zu einer der Berufsarten und zu einer der Berufsstellungen.Wirtschaftsarten, -gruppen (-zweige beziehungsweise -abteilungen) und -sektoren waren logische Ebenen der Taxonomie der Erwerbsarbeitsplätze.Die Berufsarten wiederum stellten die einzig eigenständige logische Ebeneder Berufstaxonomie dar, in der, wie schon argumentiert, ganz unterschied-liche Differenzierungsprinzipien durcheinandergemischt waren. DieBerufsstellungen zuletzt teilten die Erwerbsarbeiten unter einer grobenarbeitsrechtlichen Perspektive in folgende Kategorien auf:

„Selbständige: Eigentümer, Miteigentümer, Besitzer, Inhaber, Unter-nehmer, selbständige Erwerbstätige, Pächter;Beamte und Angestellte: leitende Beamte und Angestellte, übrige Beamteund Angestellte;Arbeiter: Betriebsarbeiter, Heimarbeiter;Lehrlinge: gewerbliche Lehrlinge, kaufmännische Lehrlinge und Prak-tikanten;Mithelfende Familienmitglieder: mithelfende Familienmitglieder vonBetriebsinhabern und Pächtern, mithelfende Familienmitglieder vonHeimarbeitern.“166

Das Berufsleben der österreichischen Bevölkerung 1934 83

nique Merllié: La construction statistique, in: Patrick Champagne, Remi Lenoir,Dominique Merllié und Louis Pinto: Initiation à la pratique sociologique. Paris 1989,S. 101–162.

165 Ergebnisse, Textheft, 1935, S. 101.166 Ergebnisse, Textheft, 1935, S. 93.

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84 Zwei Räume

Darüber hinaus konnten diese berufsspezifischen noch mit einigenwenigen allgemein-bürokratischen Variablen (Alter, Geschlecht, Wohnort)gekreuzt werden. Jede Zuordnung in diesem statistischen Berufsleben er-folgte eindeutig, das heißt die AusfüllerInnen der Erhebungsformularewaren angehalten worden, sich für einen Hauptberuf im Rahmen ihrerErwerbstätigkeiten zu entscheiden. Dadurch geriet die Erhebung für be-stimmte Bereiche, zum Beispiel für die Landwirtschaft oder für die offizielleKulturproduktion, ausgesprochen schief, da ein wesentliches Charakteri-stikum dieser Berufe, nämlich ihre mehr oder minder ausgeprägte Diffe-renz zu einer klar und eindeutig definierten Erwerbsarbeit, nicht mehr zurekonstruieren war.

Die österreichische Wohnbevölkerung 1934 (6,760.233 Personen)setzte sich nach allgemeiner Berufskennzeichnung aus 46,9 Prozent Be-rufsträgern, 10,1 Prozent selbständigen Berufslosen und Personen ohneBerufsangabe, 17,7 Prozent Hausfrauen und 25,3 Prozent sonstigen An-gehörigen zusammen.167 Diese Kategorien waren auch nach Geschlechtklar differenziert: Bei einer Gesamtgeschlechterratio von 52 : 48 für dieFrauen fand sich bei den Berufsträgern eine von 32 : 68 und bei denAngehörigen eine von 71: 29.168 Nach den wirtschaftlichen Zugehörig-keiten zu den Berufsständen ergab sich für die Wohnbevölkerung folgendeVerteilung (Graphik 4, S. 85): 31 Prozent der Wohnbevölkerung wurdenwirtschaftlich Industrie und Gewerbe zugeordnet, 27 Prozent der Land-und Forstwirtschaft, 14 Prozent Handel und Verkehr sowie 15 Prozent derKategorie der Berufslosen. Die verbleibenden 13 Prozent teilten sich aufdie übrigen Kategorien auf. Das Verhältnis zwischen Berufsträgern undBerufszugehörigen insgesamt war mit 47: 43 relativ ausgewogen, was imGroßen und Ganzen auch für die einzelnen Wirtschaftsabteilungen galt.169

Differenziert man hingegen die Berufsträger (nach den Stellungen imBeruf) sowie die Berufszugehörigen (nach Angehörigen und Hauspersonaldes Berufsträgers sowie Angehörigen des Hauspersonals) und nimmt dieGeschlechterunterscheidung noch dazu, wird ein ersten Blick auf wesentli-che Strukturierungen des österreichischen Berufslebens von 1934 möglich.

167 Vgl. Ergebnisse, Textheft, 1935, S. 101.168 Vgl. Ergebnisse, Tabellenheft, 1935, S. 66, eigene Berechnung.169 Der PEM ist für die Tabelle 80 nur 13 Prozent. Zum PEM als Maßzahl für den Zu-

sammenhang von zwei nominal strukturierten Variablen (also in einer Kontingenz-tabelle) vgl. Philippe Cibois: Le PEM, Pourcentage de l’Écart Maximum: un indice

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Das Berufsleben der österreichischen Bevölkerung 1934 85

de liaison entre modalités d’un tableau de contingence, in: Bulletin de méthodologiesociologique 40 (1993), S. 43 – 63.

170 Vgl. Tabelle 80, S. 644.

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86 Zwei Räume

171 Vgl. Tabelle 81, S. 644 – 645.172 Zu dieser Darstellungstechnik vgl. Philippe Cibois: L’analyse des données en socio-

logie. Paris 1984, S. 22 – 39. Beim verwendeten Computerprogramm handelt es sichum TRIDEUX Version 3.2. von Philippe Cibois.

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Slb Arb Lhl Hp BA PAAng mFm

Slb Arb mFm BA PAAng Lhl Hp

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Echelle = 2764 Echelle = 5587 Echelle = 2882

Männer zusammen Frauen

Graphiken 5 und 6 – LegendeIn jeder der beiden Graphiken sind drei unterschiedliche graphische Konstruk-tionen der ungewichteten Abstände zur Unabhängigkeit in Oberflächendarstel-lung172 nebeneinander gestellt. Beide präsentieren dieselbe Auswertung, wobeiGraphik 5 nur die vorkonstruierte Reihenfolge von Zeilen und Spalten der Ein-gangs-Kontingenztabelle erhält, während Graphik 6 Zeilen und Spalten nacheinem Liaisonkriterium (PEM) neu anordnet.

Graphik 5: Wirtschaftlich Zugehörige (ausgenommen Berufslose und fehlendeAngaben) nach allgemeiner Berufskennzeichnung, Stellungen im Beruf, Wirt-schaftsabteilungen und Geschlecht 1934 (ungewichtete Abstände zur Unab-hängigkeit, Bestand)171

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Echelle= 2764 PEM=4% Echelle = 5587 PEM = 34% Echelle = 2882 PEM = 34%

Völkische Berufsarbeit als dreidimensionaler Raum 87

173 Vgl. Tabelle 81, S. 644 – 645.

Geld

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HäDi

LaFo

Geld

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HäDi

LaFo

frBe

Geld

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HäDi

LaFo

Die hier verwendeten Abkürzungen bedeuten für die Zeilen:LaFo Land- und ForstwirtschaftÖfDi Öffentlicher DienstInGe Industrie und GewerbeFrBe freie BerufeHaVe Handel und VerkehrHäDi häusliche DiensteGeld Geld-, Kredit und

Versicherungswesen

und für die Spalten:Slb SelbständigeAng AngestellteArb ArbeiterInnenLhl LehrlingemFm mithelfende FamilienangehörigeHp HauspersonalBA Angehörige des BerufsträgersPA Angehörige des Hauspersonals.

Männer zusammen Frauen

AngHp BA SlbLhl Arb PA mFm

AngLhl BA SlbHp Arb PA mFm

HpSlb BA ArbAng Lhl PA mFm

Graphik 6: Wirtschaftlich Zugehörige (ausgenommen Berufslose und fehlendeAngaben) nach allgemeiner Berufskennzeichnung, Stellungen im Beruf, Wirt-schaftsabteilungen und Geschlecht 1934 (ungewichtete Abstände zur Unab-hängigkeit, Bestand, geordnet nach PEM)173

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88 Zwei Räume

Graphik 5Die linke der drei Abbildungen repräsentiert nur die Männer, die rechtenur die Frauen. In der zentralen Graphik sind beide Geschlechter zusam-mengefasst, um für die geschlechtsspezifischen Abbildungen eine gemein-same Referenz zu bilden. Die Spalten und Zeilen beziehungsweise Profileder drei Graphiken sind in identischer Reihenfolge angeordnet. Die in denjeweils über und unter einer Durchschnittslinie angeordneten Rechteckebezeichnen mit ihrer Fläche den ungewichteten Abstand zur Unabhängig-keit (Bestand) des jeweiligen Falles: die negativen Abstände sind weiß undnach unten, die positiven schwarz und nach oben gerichtet. In jeder derdrei Graphiken sind die Breitenrelationen der acht Spalten untereinandergleich: Sie stellen die Randfrequenzverteilung der jeweiligen Ausgangsta-belle über der Variable Stellung im Beruf dar. Die Höhen der Rechteckebezeichnen daher den Frequenzabstand zum zeilenkonditionellen Durch-schnitt. Das Produkt aus Breite und Höhe jedes Rechtecks ergibt daherden Bestand des entsprechenden Abstands zur Unabhängigkeit.

Graphik 6Es handelt sich um dieselbe Darstellung wie in Graphik 5 – mit dem ein-zigen Unterschied, dass innerhalb jeder der drei Graphiken die Reihen-folgen von Zeilen und Spalten reorganisiert sind, um die positiven wienegativen Liaisonen der Struktur deutlicher hervorzuheben. Deshalb sinddie Ordnungen der drei Abbildungen nicht mehr identisch, wenngleichdie Differenzen nur minimal ausfallen.

Mit Hilfe der geschlechterunspezifischen Verteilung in der Mitte derGraphik 5 lassen sich die allgemeinen Strukturcharakteristika der Vertei-lung beschreiben. Die hervorstechendsten positiven Liaisonen finden sichbei den mithelfenden Familienangehörigen in der Land- und Forstwirt-schaft, bei den Lehrlingen in Gewerbe und Industrie sowie bei den An-gestellten und beim Hauspersonal des Geldwesens und der freien Berufe.Die numerisch stärksten negativen Liaisonen stellen hingegen die mit-helfenden Familienangehörigen in Gewerbe und Industrie und geringerbei Handel und Verkehr sowie die Angestellten, Lehrlinge und das Haus-personal in der Land- und Forstwirtschaft dar. Allgemein weisen die Land-und Forstwirtschaft sowie Gewerbe und Industrie die markantesten Profileauf, danach folgen Handel und Verkehr und die freien Berufe, die sta-tistisch das Profilmodell für das Geldwesen und die Öffentlichen Dienste

Page 89: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

abgeben. Insgesamt ergibt sich damit ein Verteilungskontinuum zwischenden Profilen, das durch Umordnung der Reihenfolge von Zeilen undSpalten nach den Strukturliaisonen der Ausgangstabelle leicht sichtbargemacht werden kann.

Wie in der Graphik 6 zu sehen ist, reihen sich die Wirtschaftsabteilun-gen (Zeilen) der Gesamtverteilung (mittlere Abbildung) folgendermaßenan: vom Geld-, Kredit- und Versicherungswesen über die Freien Berufe,den Öffentlichen Dienst, Handel und Verkehr, Industrie und Gewerbe,die Häuslichen Dienste zur Land- und Forstwirtschaft. Die Reihenfolgeder Berufsstellungen beziehungsweise der Arten von Berufszugehörigkeit(Spalten) wiederum geht von den Angestellten über das Hauspersonal, dieLehrlinge, die Arbeiter, die Angehörigen des Berufsträgers und die desHauspersonals zu den Selbständigen und schließlich zu den mithelfendenFamilienangehörigen.

Geld-, Kredit und Versicherungswesen, die Freien Berufe, der Öffent-liche Dienst sowie Handel und Verkehr weisen ähnliche Berufsstellungs-profile auf. Angestellte und Hauspersonal waren hier überproportionalvertreten. Alle anderen Stellungen im Beruf, vor allem Arbeiter und mit-helfende Familienangehörige, konnten hingegen viel seltener gezählt wer-den als zu erwarten gewesen wäre. Demgegenüber wird die Land- undForstwirtschaft durch das so gut wie genau gegenteilige Profil beschrieben– nur dass die Abstände zur Unabhängigkeit, sowohl positiv wie auchnegativ, viel krasser ausfallen. Eine gewissermaßen intermediäre Positionzwischen diesen beiden Extremen wird durch Gewerbe und Industrie ge-bildet, die sich vor allem durch die Überproportionalität von Lehrlingen,aber auch ArbeiterInnen sowie durch einen vergleichsweise geringenBestand an mithelfenden Familienangehörigen, Angestellten und Selb-ständigen auszeichneten. Die häuslichen Dienste sind in ihren Abwei-chungen kaum markant, nähern sich jedoch im großen und ganzen demGewerbe- und Industrieprofil an.

Dieses Spektrum bezeichnet das Verhältnis zwischen einer traditionel-len Ökonomie der Land- und Forstwirtschaft und einer eher modernender Dienstleistungen, zwischen alter, dominierter Hand- und neuer, do-minanter Kopfarbeit. Industrie und Gewerbe nehmen in dieser Beziehungeine Art Mittelposition ein. Die Triftigkeit dieser Struktur wird auchdurch die Veränderungen seit Jahrhundertbeginn unterstrichen, die sichdurch eine Bestandsexpansion von Handel und Verkehr, von Geld- und

Völkische Berufsarbeit als dreidimensionaler Raum 89

Page 90: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

90 Zwei Räume

Kreditwesen sowie Öffentlichem Dienst, eine Bestandsverringerung derLand- und Forstwirtschaft sowie der häuslichen Dienste und durch dierelative Stabilität von Industrie und Gewerbe auszeichnete.

Tabelle 2: BerufsträgerInnen nach Wirtschaftszweigen 1910 bis 1934(Frequenzen in Prozent)174

1934 1910 –1934

Land- und Forstwirtschaft 29 – 9,4Industrie und Gewerbe 37 – 0,3Handel u. Verkehr, Geld- u. Kreditwesen 18 + 11,2Öffentlicher Dienst 4 + 9,5Freie Berufe 5 Häusliche Dienste 6 – 29,6Ohne Betriebsangabe 1 ?

Gesamt 100 –

Diese Bestandsentwicklungen der Berufsträger in den Wirtschafts-zweigen entsprachen einem langfristigen Trend, der zumeist am gegen-seitigen Verhältnis der erst seit 1923 eingeführten Wirtschaftssektorenfestgemacht wird: massiver Rückgang der Beschäftigtenzahlen im primä-ren Sektor bei gleichzeitiger Zunahme im sekundären, aber vor allem imtertiären Sektor.

Tabelle 3: Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren 1869 bis 1981(Frequenzen in Prozent)175

Primärer Sektor Sekundärer Sektor Tertiärer Sektor

1869 54,2 24,8 21,0 1910 9,6 32,2 28,2 1934 37,1 33,4 29,5 1951 32,6 38,8 28,6 1961 23,0 43,5 33,5 1971 14,0 42,7 43,3 1981 8,5 41,0 50,5

174 Vgl. Januschka, Schichtung, 1938, S. 10.175 Franz Mathis: Big Business in Österreich. Österreichische Großunternehmen in Kurz-

darstellungen, Wien 1987, S. 10; und Jörn P. H. Möller: Wandel der Berufsstrukturin Österreich zwischen 1869 und 1961, Wien 1974, S. 268ff.

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In einem zweiten Schritt lassen sich geschlechterspezifische Detaillierun-gen für die Gesamtverteilung von Graphik 5 entwickeln. Dafür ist es sinn-voll, zuerst die eindimensionalen Verteilungen der Geschlechter über diebeiden anderen Variablen zu betrachten.

Graphik 7: Wirtschaftlich Zugehörige (ausgenommen Berufslose und fehlendeAngaben) nach Stellungen im Beruf, Wirtschaftsabteilungen und Geschlecht1934 (Frequenzen in Prozent)176

Völkische Berufsarbeit als dreidimensionaler Raum 91

176 Vgl. Tabelle 81, S. 644 – 645, eigene Berechnung.

Häusliche Dienst

Freie Berufe

Öffentl. Dienst

Geld-, Kredit- u.Versicherungswesen

Handel u. Verkehr

Gewerbe u.Industrie

Land- u.Forstwirtsch.

Angehörige(Hauspersonals)

Angehörige

Hauspersonal

MithelfendeFamilienangehörige

Lehrlinge

ArbeiterInnen

Angestellte

Selbständige

In Bezug auf die Wirtschaftsabteilungen fällt vor allem der extrem hoheFrauenanteil unter all jenen Personen auf, die von häuslichen Dienstenleben – seien es eigene oder die des/r ErhalterIn. In zweiter Linie und nurschwach ausgeprägt überwiegen die Frauen bei den freien Berufen wirt-schaftlich Zugehörigen. Krass sind die geschlechterspezifischen Differen-zen hingegen bei den Berufsstellungen und den Arten von Berufszuge-hörigkeit. Ist das Hauspersonal fast vollständig weiblich, so auch allePersonen, die von diesen Frauen wirtschaftlich abhingen. Der auch nochhohe Frauenanteil bei den Angehörigen erklärt sich vor allem durch diehier eingeordneten Hausfrauen. Umgekehrt erweisen sich Lehrlinge undArbeiter (eher ausgeprägt) sowie Angestellte und Selbständige als über-durchschnittlich männliche Berufsstellungen. Insgesamt lässt sich sehrdeutlich der männliche Überhang bei den Berufsträgern erkennen eben-so wie der weibliche bei den Berufszugehörigen.

0 20 40 60 80 100 % 0 20 40 60 80 100 %

Männer Frauen

Page 92: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

92 Zwei Räume

Mit diesen Informationen ausgestattet lassen sich die beiden geschlech-terspezifischen Verteilungen der Graphik 5 untersuchen. Insgesamt musskonstatiert werden, dass sich die Verteilungsstruktur weiblicher wirtschaft-licher Zugehörigkeit von der der männlichen nicht grundlegend unter-scheidet. Im Gegenteil sind sich die beiden Strukturen sehr ähnlich – aufjeden Fall findet sich das Spektrum vom primären zu tertiären Sektor inbeiden Verteilungen fast identisch wieder, wie die beiden äußeren Vertei-lungen der Graphik 6 zeigen können.177 Die geschlechterspezifischenAbweichungen von der Durchschnittsverteilung sind allesamt nicht spek-takulär. Der wichtigste Unterschied ist sicherlich die schon bemerktegegenteilige Ratio von Berufsträgern und Berufszugehörigen: Bei denMännern nehmen die linken fünf Spalten (Selbständige bis mithelfendeFamilienangehörige) mehr als die Hälfte der Profillängen ein, bei denFrauen hingegen die drei rechten Spalten (Hauspersonal bis Angehörigedes Hauspersonals).

Die Land- und Forstwirtschaft unterschied sich nach Geschlechternvor allem durch die positiven Liaisonen von Selbständigen und Ange-hörigen mit dem Attribut männlich und negativen Liaisonen mit demAttribut weiblich. Umgekehrt waren die Angehörigen, die wirtschaftlichGewerbe und Industrie zugehörten, überproportional weiblich. Als Par-tikularität der Frauen erwiesen sich auch noch die Angestelltenposten inden freien Berufen sowie die Selbständigkeit und die Arbeiterposten inden häuslichen Diensten. Im Öffentlichen Dienst waren die Arbeiter-stellen eher Sache der Männer, wenn auch in nicht nur deutlicher Aus-prägung. Zusammengenommen lässt sich feststellen, dass – je spezifischnach Wirtschaftsabteilungen – die Frauen im Gegensatz zu den Männersicherlich eher die subalternen und abhängigen Positionen in Erwerbs-arbeit und Konsumption innehatten.

Die regionale Verteilung des österreichischen Berufslebens von 1934birgt für die HistorikerInnen zwar keine grundlegenden Neuigkeiten, aberdennoch wichtige Informationen. Die partikulare Position Wiens unterden Ländern ergab sich schon allein auf Grund der Bevölkerungskonzen-tration.

177 In der Männerverteilung verschiebt sich im Vergleich zur Gesamtverteilung nur dieReihenfolge zwischen den freien Berufen und dem öffentlichen Dienst, in der Frauen-verteilung vertauschen sich die Positionen von Geldwesen und freien Berufen sowievon Selbständigen und ArbeiterInnen.

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)178

Völkische Berufsarbeit als dreidimensionaler Raum 93

178

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Page 94: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

94 Zwei Räume

Mit Ausnahme des Burgenlands nahm der absolute Bestand der Wohn-bevölkerung tatsächlich mit der Entfernung von Wien ab. Die Relationenzwischen Beruftsträgern und Berufszugehörigen variierten dabei nicht all-zu krass zwischen 65 : 35 für Wien und 56 : 44 für das Burgenland. DasWirtschaftsspektrum von primärem zu tertiärem Sektor fand sich – so kannhier kurz vorgegriffen werden – also auch in den regionalen Aufteilungenwieder. Für Oberösterreich, die Steiermark, Tirol, Kärnten und Salzburggalt ein relativ einheitlicher Anteil von 58 bis 59 Prozent an Berufsträgern.Niederösterreich wies mit 61 Prozent einen geringfügig größeren Anteilauf. Vorarlberg hingegen kam mit einer Ratio von 64 : 36 fast an die fürWien konstatierte Verteilung zwischen Berufsträgern und Berufszuge-hörigen heran. Diese strukturelle Nähe zwischen der Bundeshauptstadtund dem bevölkerungsschwächsten und westlichsten Bundesland zeigtsich noch deutlicher, wenn man die einzelnen Bundesländer nach derVerteilung ihrer Berufsträger179 auf die Wirtschaftsabteilungen vergleicht.

In erster Linie auffällig an dieser Verteilungsstruktur ist der fast schonschismatische Gegensatz zwischen den Bundesländern mit überproportio-naler Land- und Forstwirtschaft sowie mit unterproportionalem Dienst-leistungs-, zum Teil auch noch sekundärem Sektor: Das Burgenland, Ober-österreich, Kärnten, die Steiermark und Niederösterreich standen Wienkrass entgegen. In zweiter Linie muss die Passage zwischen diesen beidenExtremen beachtet werden, die Tirol, Salzburg und Vorarlberg bilden.Deren Verteilungsstrukturen nach Wirtschaftsabteilungen entsprechenzwar eher (wie bei den beiden ersten Länder) dem Muster des landwirt-schaftlichen Pols, oder aber (wie für Vorarlberg) dem gerade nicht land-wirtschaftlichen Pol, weisen insgesamt jedoch zu wenige Abstände zurUnabhängigkeit auf, um mehr als eine Art von Verteilungsdurchschnittohne eigenes Profil zu bilden: In diesen drei Ländern entsprach die Struk-tur der quantitativen Beziehungen zwischen den Sektoren beziehungs-weise den berufständischen Wirtschaftsabteilungen ziemlich genau derStruktur für das gesamte Bundesstaatsgebiet. Zuletzt lässt sich erkennen,dass die reichste Information dieser Verteilung in der ausgeprägten posi-tiven Liaison zwischen Wien und dem sekundären sowie ganz besondersdem tertiären Sektor liegt: Wien war die österreichische Stadt der Finanz-wirtschaft, der Verwaltung und der freien Berufe.

179 Die entsprechende Verteilung der wirtschaftlich Zugehörigen weist eine sehr ähnlichStruktur auf.

Page 95: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

Graphik 9: Berufsträger nach Wirtschaftsabteilungen und Bundesländern 1934(ungewichtete Abstände zur Unabhängigkeit, Bestand, geordnet nach PEM)18

Völkische Berufsarbeit als dreidimensionaler Raum 95

180 Vgl. Tabelle 83, S. 646, eigene Berechnung.

Burgenland

Oberösterreich

Kärnten

Steiermark

Niederösterreich

Tirol

Salzburg

Vorarlberg

Wien

LaFo öfDi InGe frBe HaVe GeldHäDi

Echelle = 3853 PEM = 31 %

Graphik 9 – LegendeDie Bezeichnungen derSpalten lauten:LaFo Land- und Forstwirt-

schaftÖfDi Öffentlicher DienstInGe Industrie und GewerbeFrBe freie BerufeHaVe Handel und VerkehrHäDi häusliche DiensteGeld Geld-, Kredit und

Versicherungswesen.

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Page 97: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

2. Berufsschädigungen in der Neuordnungvölkischen Schaffens

2.1. Drei Schätzungen

Die meisten nationalsozialistischen Verfolgungen, die mit der Konstituie-rung einer eigenen manipulierbaren Verfolgtengruppe verbunden waren,implizierten Schädigungen, Unterbrechungen oder die drastische Beendi-gung von Berufs- und Arbeitskarrieren. Juden und Jüdinnen müssen daheran erster Stelle als Leidtragende der Berufsschädigungen genannt werden,danach Personen, die als politische Gegner des nationalsozialistischen Re-gimes eingestuft wurden. Insgesamt und auf den ersten Blick entsprachendie Berufsschädigungen dieser beiden Gruppierungen deren Verfolgungs-und Unterdrückungsprofil. Die Geschichte der Berufsverbote, Entlassungenusw. von Juden und Jüdinnen war fast ausschließlich auf Wien bezogen(weil die wenigen von ihnen, die in den Bundesländern gelebt hatten, baldnach der Okkupation fast vollständig nach Wien gezwungen wurden) unddie nationalsozialistischen Berufsschädigungen in Wien bezogen sich inden meisten Fällen vermutlich auf Juden und Jüdinnen (wenn auch dieFälle aus den anderen Bundesländern nicht negiert werden dürfen, geradewegen ihres Ausnahmecharakters). Als Verfolgungen von politischen feind-lich Gesinnten und Unzuverlässigen hingegen stellten sich viele Fälle ausden Bundesländern dar und hatten dort überhaupt einen großen Anteilan beruflichen Schädigungen. Neben Juden, Jüdinnen und politischenGegnerInnen mussten auch andere Personen Berufschädigungen erleiden,die allerdings mit viel weniger Deutlichkeit als eigene fremdvölkische und/oder gemeinschaftsfremde Gruppen verfolgt wurden.

So erscheint es sinnvoll, die doch sehr grobe Beschreibung des öster-reichischen Berufslebens vor dem März 1938 noch etwas zu detaillieren.Wie schon argumentiert, waren die Juden und Jüdinnen vor dem März1938 in Österreich nicht die Juden und Jüdinnen der NS-Herrschaft.181

Diese, man könnte sagen: die NS-Juden und NS-Jüdinnen, waren im

181 Das betonen zum Beispiel wiederholt Florian Freund und Hans Safrian: Die Verfol-gung der österreichischen Juden 1938 –1945. Vertreibung und Deportation, in: Tálosund andere, NS-Herrschaft, 2000, S. 767 – 794, 2000.

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98 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

März 1938 nicht einfach da, sie wurden in den unterschiedlichsten Maß-nahmen und Prozessen ihrer Verfolgung, Vertreibung und Vernichtungerst gemacht182 – allerdings im Zuge einer schon existierenden Geschichte.All die Aktionen, die ab dem März 1938 augenscheinlich gesetzt wurden,um die Juden einfach zu registrieren, bewirkten ja tatsächlich erst die Her-stellung dieser Gruppe als Rasse, wären aber nie von derart umfassenderWirksamkeit gewesen, hätte es die Juden schon seit langem zwar aufandere Art(en), aber dennoch offiziell unbestritten als historische Figurgegeben: eine Erfindung, die nicht von einer tabula rasa ausging, eine Er-hebung von zum Teil noch gar nicht Existentem.

Laut der Volkszählung von 1934 waren 191.481 Personen in Öster-reich israelitischen Glaubens, von diesen 176.034, also 92 Prozent, inWien ansässig.183 Etwa ein Drittel von ihnen ging einer Erwerbstätigkeitnach.184 Die IKG Wien wies 1935 laut eigenen Angaben 47.782 steuer-zahlende Mitglieder auf, wobei auch AusländerInnen und Staatenloseinkludiert waren.185 Unter ihnen fanden sich

750 StaatsbeamtInnen,4.500 RechtsanwältInnen und ÄrztInnen,

15.000 Angestellte und ArbeiterInnen und25.000 Geschäftsleute.

Zwischen 1934 und dem März 1938186 soll sich die gesamtösterrei-chische Verteilung der erwerbstätigen Glaubensjuden nach Wirtschafts-abteilungen folgendermaßen dargestellt haben.

182 Vgl. Botz, Ausgrenzung, 2002 und implizit auch Gerhard Botz: Stufen der Ausgliederungder Juden aus der Gesellschaft, in: Zeitgeschichte 14 (1987), S. 359 – 378.

183 Vgl. Ergebnisse, Tabellenheft, S. 2 – 3; und Freund, Safrian, Verfolgung, S. 767.184 Vgl. Sedlak, Ausgrenzung, S. 2.185 Zit. nach: Herbert Rosenkranz: Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Öster-

reich 1938 –1945. Wien 1978, S. 68f., vgl. auch Bericht des Präsidiums der Israeli-tischen Kultusgemeinde Wien 1933 –1936, 94, zit. nach: Georg Weis: Arisierungenin Wien, in: Wien 1938 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte,Sonderreihe der Wiener Geschichtsblätter 2). Wien 1978, S. 183 –189, hier: 183.

186 Laut eines Berichtes des Jewish Chronicle ließen sich Anfang 1938 unter den jüdischenBürgern Wiens folgende Berufe und Berufsangehörige zählen: 246 JournalistInnen,155 GemeindebeamtInnen, 4.747 Bank- und Versicherungsangestellte sowie 12.820ArbeiterInnen und HandwerkerInnen, vgl. Bericht des Jewish Chronicle vom 25. März1938, zit. nach: Weis, Arisierungen, S. 183, vgl. auch Gertraud Fuchs: Die Vermögens-verkehrsstelle als Arisierungsbehörde jüdischer Betriebe. Dipl.Arb. Wien 1989, S. 9f.

Page 99: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

Tabelle 4: Glaubensjüdische Erwerbstätige nach Wirtschaftsabteilungen 1934bis 1937187

Bestand in %

Landwirtschaft 221 0,4 Industrie u. Handwerk 12.820 19,8 Handel 33.364 51,0 Banken u. Versicherungen 4.747 7,4 Freie Berufe 4.942 7,6 Öffentliche Dienst 1.260 1,9 Transport, Verkehr, Gastgewerbe 687 1,1 Andere 7.028 10,8

Gesamt 65.069 100,0

Die Besonderheiten dieses Erwerbsprofils lassen sich durch einen Ver-gleich mit dem Erwerbsprofil der nichtjüdischen Bevölkerung gut sicht-bar machen. Insgesamt bildeten die erwerbstätigen JüdInnen einen Anteilvon 2,3 Prozent von allen österreichischen Berufsträgern.

Graphik 10: Jüdische Berufsträger nach Wirtschaftsabteilungen 1934 bis 1938(ungewichtete Abstände zur Unabhängigkeit, Bestand, geordnet nach PEM)188

Drei Schätzungen 99

187 Vgl. Alf Krüger: Die Lösung der Judenfrage in der deutschen Wirtschaft. Kommentarzur Judengesetzgebung. Berlin 1940, zit. nach: Fuchs: Vermögensverkehrsstelle, S. 9.

188 Vgl. Tabelle 84, S. 647. Da es sich nur um zwei Profile handelt (JüdInnen und Nicht-jüdInnen), braucht nur eines abgebildet werden, da das andere ja streng komplementärausfällt.

LaFo öfDi InGe frBe HäDi HaVe Geld

Echelle = 30756 PEM = 61 % Graphik 10 – LegendeDie Bezeichnungen der Spalten lauten:LaFo Land- und ForstwirtschaftÖfDi Öffentlicher DienstInGe Industrie und GewerbeFrBe freie BerufeHaVe Handel und VerkehrHäDi häusliche DiensteGeld Geld-, Kredit und Versicherungswesen.

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100 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

JüdInnen waren demnach in der Land- und Forstwirtschaft, im Öf-fentlichen Dienst und in Industrie und Gewerbe unterproportional ver-treten, in den freien Berufen allerdings und bei den häuslichen Diensten,mehr noch bei Handel und Verkehr und vor allem im Geld-, Kredit- undVersicherungswesen deutlich über dem Durchschnitt. Dieses Wirtschafts-profil war dem der glaubensjüdischen Erwerbstätigkeit im Deutschlandvon 1933 sehr ähnlich.

Für den März 1938 gibt Jonny Moser die Zahl der Glaubensjuden,also der „Personen israelitischer Konfession“, nach eigenen Berechnungenmit 181.882 an (167.249 von diesen in Wien und 14.663 für die Bundes-länder).189 24.118 weitere Personen sollen dann beim Anschluss als Nicht-glaubensjuden dazugekommen sein. Diese Zahl kann allerdings nur eineartifizielle Orientierung darstellen, da zu diesem Zeitpunkt die gesetzlichenVorschriften zur Rassedefinition noch gar nicht erlassen waren (dies sollteerst mit dem 20. Mai 1938 geschehen)190. Die Frage nach der richtigen Zahlder Juden beschäftigte die professionellen Verfolger auf abstrakte Weisenoch über Jahre.191 Konkret war sie Gegenstand etlicher Auseinandersetzun-gen auch im Rahmen der Berufsschädigungen, was ausführlich zu zeigensein wird. Grob lässt sich sagen, dass die rund 181.000 Mitglieder Israeli-tischer Kultusgemeinden zusammen mit den 24.000 bis 25.000 Personen,die nicht der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten, aber durch dieVerwirklichung der Regelungen der Nürnberger Rassengesetze zu Vollju-den wurden/werden sollten, die ungefähr 200.000 Juden in der 1938 neuerfundenen Ostmark ausmachten. Innerhalb eines Jahres flohen mehr alsdie Hälfte von ihnen aus Österreich. Im Mai 1939 gab es noch 94.530Juden und Jüdinnen, davon 82.000 mosaischen Glaubens.192 Der Anschlussund damit der Beginn der Verfolgung fiel zeitlich mit dem Anlaufen jenerneuen Phase der reichsdeutschen Judenpolitik zusammen, die mit der „Aus-

189 Zum Wirtschaftsprofil vgl. Sedlak, Ausgrenzung, S. 3 – 4. Vgl. Jonny Moser: DieDemographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938 – 1945. (Schriftenreihedes Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands zur Geschichte derNS-Gewaltverbrechen Bd. 5) Wien 1999, S. 16.

190 Allen voran die Verordnung über die Einführung der Nürnberger Rassengesetze imLande Österreich. Vom 20. Mai 1938, RGBl I S. 594f.

191 Vgl. Moser, Demographie, S. 18 –19.192 Vgl. Freund und Safrian, Verfolgung, S. 767 und 770.

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schaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“193 endete, wobeidie Situation, das heißt das partikulare Durcheinander von Interessenkon-junkturen, im okkupierten Österreich eine zusätzliche Dynamisierungbewirkte. Diese Ausschaltung wurde „sogleich in Angriff genommen“,194

Berufsschädigungen diversester Art gehörten dazu.Unter Berufung auf die von Bruno Blau 1953 vorgelegten Statistiken195,

deren Wert allerdings von Jonny Moser prinzipiell in Frage gestellt wird,196

konstatiert Eva-Maria Sedlak eine massive Umstrukturierung des Wirt-schaftsprofils jüdischer Erwerbstätigkeit bis 1939. Erstens erfolgte derdrastische Rückgang von über 60.000 religionsjüdischen zu nunmehrnicht ganz 7.000 jüdischen Erwerbstätigen (Verminderung auf zwischen10 bis 12 Prozent – die Grundgesamtheit hatte sich ja verändert) im Rah-men des Gesamtrückgangs der jüdischen Bevölkerung der Ostmark vonungefähr 201.000 auf nicht ganz 70.000 mit Ende 1939197 (Verminderungauf circa 35 Prozent). Der Anteil der Erwerbstätigen war demnach vondreißig auf zehn Prozent zurückgegangen.

Zweitens erfolgte diese Verdrängung nicht in allen Wirtschaftsabteilun-gen gleich. Am massivsten zeigte sich die Umstrukturierung gerade imHandel, der die Domäne der Erwerbstätigkeit von mosaisch Gläubigendargestellt hatte: Hier waren nur mehr 146 Personen selbständig tätig.198

Dazu fanden sich die Freien Berufe und der Öffentliche Dienst zwar nichttotal, aber doch so gut wie total entjudet, wie es in nationalsozialistischerSprache hieß. Schon am 21. Juni 1938 wurde ein Gesetzesentwurf demMinisterium für innere und kulturelle Angelegenheiten übermittelt – am24. August 1938 erschien der Abteilung 16 des Ministeriums „die Sachedringend“ und „zu beschleunigen“: „Bei den Beamten und den freien Beru-fen mit Ausnahme der Ziviltechniker ist die Durchführung der Bestimmun-

Drei Schätzungen 101

193 Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom12. November 1938, RGBl I S. 1580.

194 Vgl. dazu Jonny Moser: Österreich, in: Wolfgang Benz, Hg.: Dimension des Völker-mords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. München 1991,S. 67–77, hier: 67.

195 Vgl. Bruno Blau: Zur Statistik der Juden in Österreich während der Nazizeit. Wien1953, S. 6f.

196 Vgl. Moser, Demographie, S. 8.197 Vgl. S. 40.198 Vgl. S. 6.

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102 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

gen der Rassengesetzgebung wenn nicht vollendet, so doch im Lauf.“199 Einquantitativer Vergleich kann diese drastische Verringerung deutlich machen.

Graphik 11: Jüdische Erwerbstätige nach Wirtschaftsabteilungen 1934 bis1938 und 1939 (Bestand)200

199 Gesetz über Angelegenheiten der Ziviltechniker in Österreich, ÖStA AdR, BMHuV,Geschäftszeichen 103, Gzl. 73871-1/1938; dem Akt liegt ein Fragebogen bei.

200 Vgl. Tabellen 84, S. 647, und 85, S. 648, eigene Berechnungen.201 Vgl. dazu auch Tabelle 86, S. 649, deren Auswertung auf Grund der Vermischung bis-

lang ganz unterschiedlicher Kategorien kaum möglich war.

Deutlich wird darüber hinaus auch die Strukturveränderung desWirtschaftsprofils. Eine Zunahme des Bestandes fand sich nur für dieLandwirtschaft (von 0,4 Prozent auf 4 Prozent). Die Reduktion bei denöffentlichen und privaten Dienstposten betraf hauptsächlich die Erwerbs-tätigkeiten im öffentlichen Sektor. Am dramatischsten war der Rückgangbei Handel und Verkehr. Kurz: Die nationalsozialistischen Berufsschädi-gungen trafen die jüdische Bevölkerung auf drastische Weise und vorallem dort, wo die Partikularitäten glaubensjüdischer Erwerbstätigkeit ge-legen hatten. So stellten im Gesamt der Vermögensanmeldungen Berufs-tätige aus dem Handel und dem Dienstleistungssektor den bei weitemgrößten Anteil.201

40000

35000

30000

25000

20000

15000

10000

5000

01934 –1938 1939

Landwirtschaft

öffentl. u. priv. Dienst

häuslicher Dienst

Industrie u. Handwerk

Handel u. Verkehr

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Tabelle 5: Vermögensanmeldungen vom 27. April 1938 nach Berufen undangemeldeten Werten202

Erwerbstätigkeit Familienväter203 Angemeldeter Wert pro Wert (in RM) Familienvater

Handel 9.292 374,734.000 40.329 Hausfrauen 7.268 268,124.000 36.891 Privatiers 6.041 298,475.000 49.408 Leitende Angestellte 4.241 197,649.000 46.604 Kaufmännisches Personal 4.170 205,016.000 49.165 Privatpensionisten, Rechts- anwälte, Gesundheitswesen 5.575 215,115.000 38.586 Sonstige 11.180 482,715.000 43.176

Gesamt 47.767 2.041,828.000 43.000

Bürokratisch oder sonst wie vorgefertigte Schätzungen, Messungenoder Zählungen, die es erlauben würden, den Gesamtumfang der natio-nalsozialistischen Entlassungen und Berufsverbote zu benennen (ganz zuschweigen vom Umfang der NS-Berufsschädigungen überhaupt), konntennicht gefunden werden und existieren vermutlich auch gar nicht – einManko, das, wie noch oft gezeigt werden wird, mit dem Gegenstandselbst auf grundlegende Weise zusammenhängt. Allerdings sind zumindestdrei mehrere Berufssektoren übergreifende beziehungsweise umfassendeSchätzversuche dokumentiert.

Aufzufinden ist erstens in der Sammlung Witek eine vom Joint Exe-cutive Board for Jewish Claims on Austria 1953 aufgestellte Schätzungder Höhe des Verdienstentgangs der gesamten jüdischen204 Bevölkerungauf Grund von Berufsverboten und Entlassungen: „Ungefähr die Hälfteder 61.000 jüdischen Familien in Österreich gehörten dem wohlhaben-deren bürgerlichen Mittelstand an, wie zB Doktoren, Advokaten, Ge-schäftsleute und Angestellte in höheren Positionen. Wenn man ein höchstniederes Einkommen für diese Klasse von durchschnittlich 6.000 Schilling

Drei Schätzungen 103

202 Vgl. Karl Schubert: Die Entjudung der ostmärkischen Wirtschaft und die Bemessungdes Kaufpreises im Entjudungsverfahren. Diss. Wien 1940, S. 18.

203 Mit Familienvater ist hier offensichtlich Haushaltsvorstand gemeint.204 Welcher wird nicht präzisiert.

Page 104: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

104 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

jährlich im Jahre 1937 annimmt, und von 3.000 Schilling für die andereHälfte der jüdischen Bevölkerung, so belief sich das Jahreseinkommen derJuden in Österreich im Jahr 1937 auf Sch. 270,000.000 oder zum tat-sächlichen Kurs von 5 Sch. zum Dollar im Jahre 1937 auf jährlich US $54,000.000“.205

Insgesamt wurde ein Verlust in der Höhe von US $ 300.000.000 ver-anschlagt.

Aufzufinden ist zweitens eine etwas detailliertere Schätzung des Mini-steriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung von 1947. Beider Vorbereitung und Konzeption gesetzlicher Regelungen für Entschädi-gungen aus Dienstverhältnissen in der Privatwirtschaft versuchte man zu-nächst, den Umfang des „Entzuges von Rechten aus Dienstverhältnissenoder der Nicht-Befriedigung solcher Rechte durch politische oder rassischeMaßnahmen des Deutschen Reiches“, die „österreichischen Staatsbürgernerwuchsen“, zu bestimmen. Die Schätzung auf Grund von Erhebungenbei allen relevanten Behörden ergab eine „approximative Globalsumme“von einer Milliarde Reichsmark (gleich einer Milliarde Schilling) für Ange-stellte der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften und Dienstverhält-nisse in der Privatwirtschaft.206 Die Schätzung hatte ebenso willkürlichenwie provisorischen Charakter.

Man rechnete mit 20.000 Geschädigten im Öffentlichen Dienst undveranschlagte die Schädigung pro Kopf mit 17.000 RM, damit kam manauf eine Summe von 340 Millionen RM. Zu dieser zählte man weitere 40Millionen RM hinzu (jeweils 20 Millionen für die geschädigten Pen-sionisten insgesamt und für die Angestellten des Wiener Magistrats) undkam somit auf 380 Millionen, die man umgehend auf 400 Millionen RMaufrundete. Bei der Schätzung der Schädigungen in der Privatwirtschafthatte man jedoch kaum Anhaltspunkte.

205 Dr. F. R. Bienenfeld, Dr. C. Kapralik, Draft Memorandum on Losses of Austrian Jewry19. 5. 1953. Nachlass Albert Loewy, Ordner 28, S. 5f., Österreichische Gesellschaft fürZeitgeschichte, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien.

206 Vgl. Schreiben des BMfVS/WP (Schwabe) an das BKA vom 19. Jänner 1947, ÖStAAdR 06, BMF-VS, 21.944-1/1947, Kt. 20.

207 Vgl. ÖStA AdR 06, BMF Zl. 2.226-Sch/1947 an BKA „Auswärtige Angelegenheitenz. Handen des Herrn MinRates Dr. Blühdorn, betreffend: Restitution von Rechten.Wiedergutmachungsansprüche personeller Natur gegen Deutschland. Schätzung.“

Page 105: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

Tabelle 6: Schätzung der „Wiedergutmachungsansprüche personeller Naturgegen Deutschland“ 1947 (Auszug)207

Gesamtzahl der beim Bund, den Ländern u. den Gemeinden außer Wien im Zeitpunkt der deutschen Okkupation angestellt Gewesenen 200.000 Gesamtzahl der Geschädigten 20.000 Pro-Kopf-Quote des Schadens 17.000 RM

Gesamtschaden 340,000.000 RM

vom Magistrat Wien geschätzte Schädigung derAngestellten der Gemeinde Wien 20,000.000 RM vom Magistrat Wien geschätzte Schädigung der PensionistInnen der Gemeinde Wien 20,000.000 RM Gesamtschadensziffer für die bei öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften Angestellten 380,000.000 RM

Gesamtschätzung 420,000.000 RM

„Was nun die Privatwirtschaft betrifft“, führte der Referent aus, „sostößt hier eine verläßliche Schätzung wegen der großen Zersplitterungund Verschiedenartigkeit der Betriebe auf außerordentliche Erschwer-nisse. Doch läßt sich allgemein folgendes sagen: Was die Zahl der in derPrivatwirtschaft Angestellten betrifft, so hält diese nach den Zählungendes Statistischen Zentralamtes zur Zeit der Okkupation der der Ange-stellten öffentlich-rechtlicher Gebietskörperschaften roh gerechnet unge-fähr die Waage. Es ist nun zu prüfen, ob auch die Schadensziffer ungefährgleich angenommen werden kann. Es gibt Momente, die sich bei derPrivatwirtschaft in der Richtung einer Minderung, und solche, die sich inder Richtung einer Erhöhung dieser Ziffer auswirken. Das politischeMoment spielt in der Privatwirtschaft eine viel geringere, das rassischeaber eine wesentlich größere Rolle. Die Bezüge der Angestellten in derPrivatwirtschaft sind vielfach höher als die der Angestellten öffentlicherKörperschaften. Auch fallen die Spitzengehälter bei der Privatwirtschaftvielmehr ins Gewicht, insbesondere die Spitzengehälter der aus rassischenGründen Verfolgten. Eine Reihe von von Emigranten angestrengten Pro-zessen läuft bereits im Ausland. Zu berücksichtigen sind auch die Schädi-gungen der Sozialrentner und der Administrativpensionisten der großen

Drei Schätzungen 105

Page 106: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

106 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

industriellen und kommerziellen Unternehmungen (Banken, Versicherungs-gesellschaften). Diesen Administrativpensionisten wurden, wenn sie ausrassischen Gründen verfolgt wurden, die Bezüge vielfach schon zu einemZeitpunkte eingestellt, als die rassische Verfolgung bei den Pensionistenöffentlicher Körperschaften sich noch nicht oder nur wenig auswirkte.Wenn man all dies abwägt, mag die Schadensziffer in der Privatwirtschaftvielleicht höher sein als die in der öffentlichen Wirtschaft. Es ist daheranzunehmen, daß die eingangs genannte Globalziffer [1 Milliarde RM]roh gerechnet den tatsächlichen Verhältnissen ungefähr nahe kommendürfte.“208

Aufzufinden ist drittens eine Schätzung allein der NS-Berufsschädi-gungen im Öffentlichen Dienst. Das Rot-Weiß-Rot-Buch von 1946enthält Zahlenangaben zu entlassenen BeamtInnen, die eingedenk derhistorisch-politischen Funktion dieser Publikation kaum mehr als einensehr groben Richtwert abgeben können. Alles in allem sollen entlassenworden sein:

im Bundeskanzleramt 238im Sicherheitsdienst 3.600im Justizdienst. 1.035im Unterrichtswesen 2.281im Finanzdienst 651im Postdienst 1.467 Personen.209

Diese drei Hinweise sind offensichtlich grob, von begrenzter Reichweiteund vor allem diversen nichtwissenschaftlichen Perspektiven geschuldet. Siekonnten die Untersuchungen in keiner Weise anleiten.

208 Schreiben des BMfVS/WP (Schwabe) an das BKA, 19. Jänner 1947, ÖStA AdR 06,BMF-VS, 21.944-1/1947, Kt. 20.

209 Vgl. Rot-Weiß-Rot-Buch, Gerechtigkeit für Österreich – Darstellungen, Dokumenteund Nachweise zur Vorgeschichte und Geschichte der Okkupation Österreichs, ErsterTeil (nach amtlichen Quellen). Wien 1946, S. 77.

Page 107: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

2.2.

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108 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

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Zeittafel 113

Page 114: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

114 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

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Page 115: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

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Page 116: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

116 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

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Zeittafel 117

Page 118: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

118 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

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Page 119: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

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Zeittafel 119

Page 120: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

120 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

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2.3. Kalender

Datum Maßnahme/Ereignis

11. März 38 Machtübernahme der NSDAP; Beginn des Märzpogroms und der wildenArisierungen; Beginn willkürlicher Absetzungen u. Verhaftungen zahl-reicher Beamter der Landesregierungen, Sicherheitsbehörden, Magistrateu.a. öffentlich-rechtlicher Organisationen und kultureller Institutionen(v.a. im Bereich der Wiener Theater).

12. März 38 Militärische Besetzung Österreichs. In der Ministerratssitzung berichtet BM Fischböck, dass eine Deputationvon Beamten bei ihm erschienen sei und die Außerdienststellung einerReihe von Funktionären gefordert habe und er sich bereit erklärt habe,vier Beamte vorläufig zu beurlauben. BK Seyß-Inquart betonte, man dürfederartigen Forderungen nicht allzusehr nachgeben.

13. März 38 Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich,RGBl I S. 237f.

14. März 38 Vereidigung des Bundesheeres auf Hitler. Offiziere, die den Eid nicht lei-sten, sind lt. Führerbefehl vom 13. März unverzüglich zu entlassen

15. März 38 Kundgebung am Heldenplatz; Nach § 2 Abs. 1 der VO der österr. Bun-desregierung zur Durchführung der Volksabstimmung sind Juden vomStimmrecht ausgeschlossen. Die Abs. 2 und 3 definieren, wer als Jude zugelten hat. Mit Führererlass, RGBl I S. 247f., wird der Geltungsbereichder Reichsgesetze auf Österreich erstreckt. Laut Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Vereidigung derBeamten des Landes Österreich, RGBl. I S. 245f., müssen die österrei-chischen BeamtInnen auf den Führer vereidigt werden. Juden sind nach§ 3 nicht zu vereidigen. Wer als Jude zu gelten hat, definiert § 4 (im Sinneder Nürnberger Rassengesetze). Wer sich weigert, den Eid zu leisten, istnach § 5 zu entlassen. // Mit Erlass des BM für Landesverteidigung werden65 Offiziere des Bundesheeres auf Grund einer „Entschließung des Führers“in den Ruhestand versetzt.

16. März 38 Anordnung Bürckels, nach der für personelle Änderungen in der staatli-chen, kommunalen und berufsständischen Verwaltung allein der Reichs-statthalter und die nach den Gesetze berufenen Organe zuständig sind.Soweit es sich um leitende und politische Beamte in Staat und Gemeindensowie um leitende Männer der gewerblichen Organisation der Wirtschafthandelt, macht Bürckel Ernennungen und Abberufungen von seiner je-weiligen Zustimmung abhängig.

17. März 38 Mittels einer „Amtserinnerung“ verfügt das BM für Landesverteidigung,dass in „Angliederung an die Wehrvorschriften der deutschen Wehrmacht“auch in Österreich die „Soldaten mosaischen Religionsbekenntnisses ausdem Präsenzdienst zu entlassen und in den Reservestand der ohne WaffeDienstpflichtigen zu übersetzen“ sind.

19. März 38 Die VO zur Einführung des Vierjahresplans im Lande Österreich, RGBl.

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126 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

I S. 262, ermächtigt den Reichswirtschaftsminister, „innerhalb seinesGeschäftsbereichs auf dem Gebiet der Rohstoff- und Devisenwirtschaftalle Maßnahmen zu treffen, die zur Vorbereitung des Vierjahresplans imLande Österreich erforderlich sind“. Gleichzeitig wird auf Grund dieserVO für das Land Österreich eine „Devisenstelle Wien“ errichtet.

21. März 38 Das Verfassungsgesetz über personalpolitische Maßnahmen, GBlÖ Nr.11/1938, bestimmt, dass „personelle Veränderungen auf leitenden Postenim Dienst aller öffentlich-rechtlichen Körperschaften [...], die seit dem11. März 1938 ohne Zustimmung des Reichsstatthalters vorgenommenwurden, [...] als vorläufige [gelten]“ und die Zustimmung des Reichs-statthalters einzuholen ist. Das Gesetz wird auch dazu benützt, Notarevorläufig ihres Amtes zu entheben.

22. März 38 Erlass des Reichsstatthalter Bürckel gegen die wilden Säuberungen unterden Beamten // Erlass des Wiener Stadtschulrats betr. Anordnung zur Ent-hebung der jüdischen Lehrkräfte. Besprechung über einen ersten Gesetzesentwurf betr. Berufsverbote fürjüdische Rechtsanwälte.

23. März 38 Ein Rundschreiben des OKW an die Oberkommanden des Heeres undder Kriegsmarine, den Reichsminister der Luftfahrt und den Oberbefehls-haber der Luftwaffe verfügt, dass „Offiziere, Unteroffiziere, Mannschaften,Beamte, Angestellte und Arbeiter des ehemaligen österreichischen Bundes-heeres und seiner Heeresbetriebe, die Juden sind [...] sofort aus dem Dienstzu entlassen“ seien. Der neu ernannte „Führer des Notarenstandes“, Dr. Ludwig Hauer, verkün-det in der ersten nach dem Anschluss erschienenen Ausgabe der Notariats-zeitung, dass in Zukunft arische Abstammung und ein „offenes Bekenntniszum Nationalsozialismus“ Voraussetzungen für den Notarberuf sein sollenund verlangt die Meldung aller Notare und Anwärter, die Voll- oder Halb-juden oder mit Voll- oder Halbjüdinnen verheiratet sind.

24. März 38 Nach dem Gesetz über vorläufige Verfügungen auf dem Gebiete derOrganisation der akademischen Behörden an den Hochschulen, GBlÖNr. 14/38, kann der Unterrichtsminister ohne Angabe von Gründen derWahl eines akademischen Funktionärs die Bestätigung versagen oder diesewiderrufen bzw. „wenn das Amt eines solchen Funktionärs auf andere Weiseerledigt wird, die erforderlichen Verfügungen wegen zeitweiliger Fortfüh-rung der mit der erledigten Stelle verbundenen Funktionen treffen“. //Erlass des Unterrichtsministeriums, nach dem „alle Personen, die aus ras-sischen Gründen den [...] angeordneten Eid nicht leisten dürfen, sich bisauf weiteres jeglicher Dienstleistung zu enthalten [haben]. Dasselbe giltauch für Personen, die anlässlich des Umbruches in der Staatsführung auspolitischen und anderen Erwägungen vom Dienste enthoben oder beur-laubt worden sind.“

26. März 38 Nach der VO über die Einführung sozialrechtlicher Vorschriften im LandeÖsterreich, RGBl I S. 335f., treten mit 30. März sozialrechtliche Bestim-mungen in Kraft, die den Schutz gegen Kündigungen, die eine unbillige

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Härte darstellten und nicht durch die Verhältnisse des Betriebes bedingtsein sollten, den Schutz gegen Entlassungen einer Mehrheit von Beschäf-tigten in größeren Betrieben und Bestimmungen zur Festsetzung der Lohn-zahlungen zum Inhalt haben.

28. März 38 Die Vorstände der österreichischen Apothekergremien werden durch kom-missarische Leiter ersetzt.

29. März 38 Reichskommissar Bürckel überträgt die Verwaltung der diversen juristischenVereinigungen und Verbände dem kommissarischen Leiter Dr. Hans Mann.

30. März 38 Reichskommissar Bürckel stimmt dem Gesetzentwurf betr. Berufsverbotfür jüdische Rechtsanwälte grundsätzlich zu, interveniert aber mit Blickauf die Abstimmung am 10. April 1938 zugunsten der Mischlinge undgegen Berufsverbote aus politischen Gründen.

31. März 38 Die VO über die Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Verteidiger, Notareund Patentanwälte in Österreich, RGBl. I 1938 S. 353f., bestimmt, dassjüdischen RechtsanwältInnen, VerteidigerInnen, Notaren und Patentan-wältInnen in Österreich die Ausübung ihres Amtes untersagt werden kann.Es handelt sich bei dieser Maßnahme noch um eine Kann-Bestimmungund ein vorläufiges Berufsverbot. Ausnahmen sind vorgesehen für Perso-nen, die bereits vor dem 1. Aug. 1914 in den Listen der entsprechendenKammern eingetragen waren, die im Ersten Weltkrieg als Frontkämpfergekämpft oder Väter bzw. Söhne verloren haben. Die VO gilt sinngemäßauch für Notare und bestimmt auch, dass der Minister für Handel undVerkehr jüdischen Patentanwälten die Ausübung ihrer Befugnisse bis aufweiteres untersagen kann.

1. bis 9. Am 1. April erster Transport von 151 Verhafteten in das KZ Dachau, dar-April 38 unter zahlreiche höhere Beamte des Bundeskanzleramtes, der Ministerien,

der Sicherheitsbehörden, Offiziere des Bundesheeres, aber auch jüdische Journalisten, Künstler, Geschäftsleute, Rechtsanwälte. Die 1. VO zum Verfassungsgesetz über personalpolitische Maßnahmenvom 4. April 1938, GBlÖ Nr. 59/1938, bestimmt, dass personelle Ver-änderungen im Öffentlichen Dienst nunmehr ausschließlich in die Zu-ständigkeit des Staatskommissars beim Reichsstatthalter fallen und dasssämtliche seit dem 11. März 1938 vorgenommenen Umbesetzungen lei-tender Posten in öffentlichen Dienststellen dem Staatskommissar bekanntzu geben sind. // Am 6. April 1938 wird mit Runderlass des Unterrichts-ministeriums an alle Hochschulen „die den jüdischen Privatdozenten derdortigen Hochschule erteilte Bestätigung ihrer Lehrbefugnis bis auf wei-teres widerrufen“. // Verfügung des Heeresgruppenkommandos 5 vom7. April 1938, die den Befehl des OKW vom 23. März betr. Entlassungjüdischer Militärangehöriger erneuert bzw. wiederholt. Erlass des Ministeriums für Handel und Verkehr vom 6. April 1938, nachdem Juden als Ziviltechniker nicht vereidigt werden dürfen und ausge-stellte Verleihungsbescheide wieder abgenommen werden müssen.

10. bis 16. Am 10. April 1938 findet die Volksabstimmung statt. Nach dem GesetzApril 38 über die Bestellung von kommissarischen Verwaltern und kommissari-

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128 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

schen Überwachungspersonen vom 13. April 1938, GBlÖ Nr. 80/38,kann der Reichsstatthalter für in Österreich ansässige Unternehmungenbis spätestens 1. Oktober 1938 kommissarische Verwalter bzw. Überwa-chungspersonen bestellen, die zu allen Rechtshandlungen für das Unter-nehmen befugt sind. Die Befugnisse der Organe bzw. des Inhabers ruhen. Mit der 1. VO zur Einführung steuerrechtlicher Vorschriften im LandeÖsterreich vom 14. April 1938, RGBl I S. 389ff., werden die Vorschriftenüber die Reichsfluchtsteuer vom 8. Dez. 1931, RGBl I S. 699, in Öster-reich eingeführt. Mit 16. April 1938 werden 75 weitere Offiziere des ehem. Bundesheeresentlassen.

17. bis 23. Die VO gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer GewerbebetriebeApril 38 vom 22. April 1938, RGBl I S. 404, droht jenen deutschen Staatsange-

hörigen Zuchthaus-, Gefängnis- und Geldstrafen an, die „aus eigennützi-gen Beweggründen“ dabei mitwirken, „den jüdischen Charakter einesGewerbebetriebes zu verschleiern“. Die gleichen Strafen werden Personenangedroht, die für Juden Rechtsgeschäfte führen und unter Irreführungdes anderen Teils die Tatsache, dass sie für einen Juden tätig sind, ver-schweigen. // Am 23. April 1938 wird Gauleiter Bürckel zum Reichskom-missar für die Wiedervereinigung bestellt. Über Antrag der Universität Wien bzw. der einzelnen Fakultäten werdenam 22. April 1938 per Dekret des Unterrichtsministers 252 Universitäts-lehrer von ihren Posten entfernt.

24. bis 30. Am 24. April 1938 wird auf einer Sitzung der ständigen Vertreterversam-April 38 mlung der österreichischen Rechtsanwaltskammern in Wien vom Präsi-

denten der Wiener Kammer die „Judenfrage zur Diskussion“ gestellt undeine im Vergleich zu den gesetzlichen Bestimmungen „radikalere Lösung“vorgeschlagen sowie eine Änderung der Rechtsanwaltsordnung angestrebt,die den Kammern die Möglichkeit geben soll, jederzeit die (politische) Ver-trauenswürdigkeit eines Anwalts zu prüfen. Bis 28. April 1938 müssen dieMitglieder der Rechtsanwaltskammern Fragebögen zur eigenen Herkunftsowie zu der des Gatten bzw. der Gattin dem OLG-Präsidenten vorlegen. Die VO über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938,RGBl I S. 414 f. verpflichtet Juden und Jüdinnen sowie deren nichtjüdi-sche EhegattInnen, das gesamte in- und ausländische Vermögen anzumel-den und zu bewerten. Die Anmeldepflicht entfällt, wenn der Gesamtwertdes anzumeldenden Vermögens ohne Rücksicht der Verbindlichkeiten5000 RM nicht übersteigt.

1. bis 7. Ab Mai 1938 beginnt die Arisierung jüdischer Apotheken unter der Lei-Mai 38 tung von Edwin Renner als kommissarischer Verwalter für sämtliche jüdi-

schen Apotheken. Am 4. Mai 1938 wird mit Schreiben des BM für Landesverteidigung analle untergeordneten Dienststellen verfügt, dass diese „unverzüglich mitder Prüfung beginnen, ob sich unter den Beamten, Angestellten (Vertrags-bediensteten) und Arbeitern des ehem. Österreichischen Bundesheeres

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und seiner Betriebe Juden im Sinne des Erlasses befinden“ und diese „vonweiterer Tätigkeit innerhalb des Heeres auszuschließen“ seien, wobei beiden Heeresbeamten eine Dienstenthebung oder Beurlaubung nur nachMaßgabe der für Österreich geltenden beamtengesetzlichen Bestimmun-gen durchgeführt werden könne, da die diesbezüglichen Reichsgesetze –d.h. Berufsbeamtengesetz und Reichsbürgergesetz – in Österreich nochkeine Gültigkeit haben. Am 6. Mai 1938 wird ein erster Entwurf zur 3. VO über Angelegenheitender Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsanwärter und Verteidiger in Strafsachenin Österreich zur Begutachtung ausgesandt. Ziel der VO ist die Verein-heitlichung der Rechtsgrundlagen nach dem Modell der Reichsgesetzevom 7. und 22. April 1933 betr. die Zulassung zur Rechts- und Patent-anwaltschaft.

15. bis 21. Ein Gutachten zum Entwurf der 3. VO über Angelegenheiten der Rechts-Mai 38 anwälte vom 19. Mai 1938 schlägt vor, alle Ausnahmeregelungen für Ju-

den, Jüdinnen und Mischlinge zu streichen. Mit der VO über die Einführung der Nürnberger Rassengesetze im LandeÖsterreich vom 20. Mai 1938, RGBl. I S. 594f., werden u.a. das Reichs-bürgergesetz und Teile der 1. VO zum Reichsbürgergesetz in Österreicheingeführt, d.h. jene Bestimmungen, die definieren, wer im nationalso-zialistischen Sinne als Jude /Jüdin bzw. Mischling zu gelten hat. Die VO über den Ausgleich von Rechtsansprüchen im Lande Österreichvom 21. Mai 1938, RGBl I S. 596, bezweckt den außergerichtlichen Aus-gleich von v.a. arbeitsrechtlichen Ansprüchen aus den seit dem Anschlusserfolgten Kündigungen und Entlassungen durch entsprechende Verwal-tungsmaßnahmen, aber ohne öffentliche Gerichtsverfahren, „soweit dieserAusgleich nach gesundem Volksempfinden zur Beseitigung unbilliger Härtenerforderlich“ ist. Der RM des Innern kann die Verfolgung des Anspruchsim Rechtsweg und die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklären.

29. Mai bis Die VO zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom4. Juni 38 31. Mai 1938, RGBl. I 1938 S. 607ff., ist das zentrale Instrument zur völ-

kischen Neuordnung des Öffentlichen Dienstes. § 3 betrifft die Entfernungvon Juden, jüdischen Mischlingen und jüdisch versippten BeamtInnenaus dem Öffentlichen Dienst. § 4 verfügt die Pensionierung oder Entlas-sung von politisch unzuverlässigen BeamtInnen bis 31. Dez. 1938. Die Berufsbeamtenverordnung vom 31. Mai 1938 bringt auch die definitiveRegelung für Berufsverbote von jüdischen bzw. politisch unzuverlässigenNotaren und Notariatskandidaten. Nach § 8 können auch ZiviltechnikerIn-nen und ArchitektInnen mit Berufsverbot belegt werden.

5. bis 11. Am 11. Juni 1938 wird SS-Standartenführer Dr. Otto Wächter als Staats-Juni 38 kommissar für Personalangelegenheiten eingesetzt und mit der Durchfüh-

rung der BBV beauftragt. In einem Schreiben an Reichskommissar Bürckel vom 9. Juni 1938 beklagtder Leiter des österreichischen Patentamtes die schlechte Auftragslage derarischen Patentanwälte, während die „jüdische[n] Patentanwälte in Berlin

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130 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

und Wien“ den Löwenanteil der Aufträge erhalten würden und bittetBürckel um eine entsprechende Lösung dieses Problems. Mit der 2. VO über Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare imLande Österreich vom 11. Juni 1938, RGBl. I 1938 S. 622, werden dieKompetenzen für die Ausschaltung von Juden und Jüdinnen aus den freienRechtsberufen von den Kammern auf die Justizverwaltung übertragen.Die VO regelt die Neueintragung in die Liste der Notariatskandidatenund die Eidesleistung der Notare und Kandidaten auf den „Führer undReichskanzler“. Nach der VO über die Einführung des Gesetzes über die Vermittlung vonMusikaufführungsrechten im Lande Österreich vom 11. Juni 1938,RGBl. I S. 623, bedarf die gewerbsmäßige Vermittlung von Rechten zuröffentlichen Aufführung musikalischer Werke der Genehmigung des Pro-pagandaministers. // Die VO über die Einführung der Reichskulturkam-mergesetzgebung im Lande Österreich, RGBl. I S. 624f., ist das zentraleInstrument zur völkischen Neuordnung der Kulturberufe. Mit dem Kultur-kammergesetz vom 22. Sept. 1933 wird die künstlerische Betätigung inLiteratur, Presse, Rundfunk, Theater, Musik und den bildenden Künstenan die Mitgliedschaft in den neu geschaffenen berufsständischen Organi-sationen gebunden. Das Ergänzungsgesetz vom 15. Mai 1934 unterstelltdie Theater der Aufsicht des Propagandaministers. Die 1. DVO schreibtdie zwingende Mitgliedschaft in den Kammern für jeden vor, der bei derErzeugung, Wiedergabe, Verarbeitung, Verbreitung, Erhaltung, beim Ab-satz oder bei der Vermittlung des Absatzes von Kulturwerken mitwirkt.Kriterien für die Aufnahme bzw. die Ablehnung der Aufnahme in dieKammern sind Zuverlässigkeit und Eignung. Die Kulturkammergesetzeenthalten keine besonderen Arierparagraphen.

12. bis 18. Mit der 3.VO zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938, RGBl. I S. 627f., Juni 38 werden die jüdischen Gewerbebetriebe erfasst und in ein besonderes Ver-

zeichnis eingetragen. Ein Gewerbebetrieb gilt als jüdisch, wenn der InhaberJude im Sinne der 1. VO zum Reichsbürgergesetz ist. Der Gewerbebe-trieb einer OHG oder KG gilt als j üdisch, wenn ein oder mehrere per-sönlich haftende Gesellschafter Juden sind, der einer juristischen Person,wenn ein oder mehrere zur gesetzlichen Vertretung berufenen Personenoder ein oder mehrere Mitglieder des Aufsichtsrats Juden sind, oder wennJuden nach Kapital (mehr als ?) oder Stimmrecht (mindestens die Hälfte)entscheidend beteiligt sind. Als jüdisch gelten tatsächlich unter dem„beherrschenden Einfluss“ von Juden stehende Gewerbebetriebe sowieZweigniederlassungen jüdischer Gewerbebetriebe. Der Reichswirtschafts-minister kann anordnen, dass jüdische Gewerbebetriebe ein besonderesKennzeichen führen müssen. Das Schriftleitergesetz vom 4. Okt. 1933, RGBl. I S. 713, das mit der VOüber die Einführung des Schriftleitergesetzes im Lande Österreich vom14. Juni 1938, RGBl I S. 629f., in Österreich eingeführt wird, knüpft dieZulassung zum Beruf des Schriftleiters an die Eintragung in eine Be-rufsliste. Schriftleiter kann nur sein, wer „deutschen oder artverwandten

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Blutes ist und wenn er verheiratet ist, einen Ehegatten deutschen oder art-verwandten Blutes hat“ (§ 3). Mit der VO zur Änderung der VO zur Neuordnung des österreichischenBerufsbeamtentums vom 15. Juni 1938, RGBl I S. 643, werden die Aus-nahmebestimmungen der BBV dahingehend verschärft, dass nur mehrBeamte im Dienst belassen werden können, die mit einer Jüdin bzw.einem Juden oder mit einem Mischling ersten Grades verheiratet sind.Die Ausnahmen gelten nun nicht mehr für Beamte, Beamtenanwärterund Aspiranten, die selbst jüdische Mischlinge sind. Das durch die VO über die Einführung von Wehrrecht im Lande Öster-reich vom 15. Juni 1938, RGBl I S. 631ff., eingeführte Wehrgesetz vom21. Mai 1935, RGBl. I S. 609, in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juni1936, RGBl I S. 518, bestimmt die arische Abstammung als Vorausset-zung für den aktiven Wehrdienst. Nur Arier können Vorgesetzte in derWehrmacht sein. Arischen Wehrmachtsangehörigen ist das Eingehen derEhe mit Nichtarierinnen verboten. Das Änderungsgesetz vom 26. Juni1936 schließt auch jüdische Mischlinge als Vorgesetzte aus.

19. bis 25. Am 21. Juni 1938 wird ein vom Handelsministerium im April 1938 an-Juni 38 gefertigter Entwurf zu einem Gesetz betr. Berufsverbot von jüdischen

Ziviltechnikern dem Ministerium für innere und kulturelle Angelegen-heiten zur Begutachtung übermittelt. Ein Erlass des Reichswirtschaftsministeriums vom 20. Juni 1938 schließtJuden vom Börsenbesuch aus. Mit der VO über die Einführung des Theatergesetzes im Lande Österreichvom 20. Juni 1938, RGBl I S. 649, werden alle Theater der Aufsicht desPropagandaministeriums unterstellt.

26. Juni bis Am 28. Juni 1938 bezeichnet der RM der Justiz den Entwurf zur 3. VO2. Juli 38 über Angelegenheiten der Rechtsanwälte als überholt, da einer „endgül-

tigen“ Lösung mit reichsweiter Gültigkeit der Vorzug gegeben werden unddabei das Reichsbürgergesetz als Modell für die rassische Festschreibungbilden soll, während für die Berufsverbote von Notaren und Notariats-kandidaten die Berufsbeamtenverordnung zur Anwendung kommen unddie völkische Neuordnung der Patentanwaltschaft schließlich gesondertgeregelt werden soll. Am 29. Juni 1938 werden in einem Rundschreiben des Bundes der Öster-reichischen Industriellen an alle Betriebsführer „Richtlinien für den Ab-bau des nichtarischen Personals in der Privatwirtschaft“ verkündet. DasRundschreiben existiert auch in früheren Fassungen (ab dem 10. Juni).Die geforderten Kündigungen von Juden, jüdischen Mischlingen, jüdischversippten und politisch unzuverlässigen Arbeitnehmern werden in zahl-reichen Fällen mit 30. Juni 1938 ausgesprochen. Mit 1. Juli 1938 verlieren jüdische ÄrztInnen die Kassenzulassung.

3. bis 9. Reichskommissar Bürckel kritisiert in einem Rundschreiben vom 5. JuliJuli 38 1938 an alle Reichsstatthalter, Gau- und Kreisleiter, Landes- und Bezirks-

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hauptleute die „Richtlinien für den Abbau des nichtarischen Personals inder Privatwirtschaft“ und meint, bei den Verfassern derartiger „anonymerRundschreiben“ handele es sich „in der Regel um Saboteure, die im Dienstdunkler Mächte stehen“. Bürckel ist nur mit der „Entlassung von Voll-juden und Angestellten, die nach den geltenden gesetzlichen Bestim-mungen den Juden gleich zu achten sind, in den nichtexportwichtigenBetrieben einverstanden [...], wenn nicht in einem Ausnahmefall die Lagedes Betriebes die vorübergehende Beschäftigung eines Juden erfordert.Von einem Einschreiten gegen jüdische Mischlinge und jüdisch Versipptein der Privatwirtschaft ist nach den Anweisungen des Herrn Generalfeld-marschall Hermann Göring abzusehen.“ // Mit der 2. VO über die Einfüh-rung sozialrechtlicher Vorschriften im Lande Österreich, RGBl I S. 851f.,wird das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Jan. 1934 inÖsterreich eingeführt. Am 9./10. Juli 1938 findet eine kommissionelle Überprüfung der bisdahin im ehem österr. Bundesheer ausgesprochenen Entlassungen statt.

10. bis 16. Der Gruppentagesbefehl Nr. 38 des Heeresgruppenkommandos 5 vomJuli 38 15. Juli 1938 verlautbart die Bedingungen, unter denen „Juden und Zi

geuner“ aus dem Dienst entlassen werden sollen. Im Zeitraum vom 15. bis 30. Juli 1938 werden 55 juristische Vereine miteinem Gesamtvermögen von 30.142 RM in den NS-Rechtswahrerbundeingegliedert.

24. bis 30. Mit der 4. VO zum Reichsbürgergesetz vom 25. Juli 1938, RGBl I S. 969f.,Juli 38 werden die Approbationen der jüdischen ÄrztInnen werden mit 30. Sep-

tember 1938 für erloschen erklärt. Der RM des Innern kann Ärzten, derenBestallung erloschen ist, die Ausübung des Arztberufs zur Behandlungvon Juden („Krankenbehandler“) widerruflich gestatten. Juden, derenBestallung erloschen ist und denen keine Genehmigung als Krankenbe-handler erteilt wird, ist die Ausübung der Heilkunde verboten. Die VOregelt auch die Auflösung von Dienst- und Mietverträgen jüdischer Ärzte.

31. Juli bis Lt. einem Schreiben des Reichsjustizministers vom 1. Aug. 1938 an Bürckel6. August 38 wird die „definitive“ Ausschaltung von Juden und Jüdinnen aus dem freien

Rechtsberufen anvisiert. In einem im Aug. 1938 verschickten Rundschreiben des Ministers fürWirtschaft und Arbeit und des Staatskommissars in der Privatwirtschaftan alle Gliederungen und Organisationen der gewerblichen Wirtschaftwerden die „Richtlinien für den Abbau des nichtarischen Personals in derPrivatwirtschaft“ für unwirksam erklärt.

7. bis 13. Am 10. Aug. 1938 ordnet der Stillhaltekommissar Albert Hoffmann dieAugust 38 Auflösung sämtlicher Standesorganisationen und Verbände der Apotheker

(mit Ausnahme der Pharmazeutischen Gehaltskasse) für den 20. August1938 an, die bisherigen Apothekergremien werden durch zwei Bezirksver-bände – Donauland und Alpenland – der Reichsapothekerkammer ersetzt.Die 2. VO zur Änderung der BBV vom 11. Aug. 1938, RGBl I S. 1014,regelt den von der BBV betroffenen Personenkreis genauer.

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14. bis 20. Mit der 2. VO zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung vonAugust 38 Familiennamen und Vornamen vom 17. Aug. 1938, RGBl I S. 1044,

müssen Juden /Jüdinnen, die keinen Vornamen führen, der in dem vomRM des Innern am 18. Aug. herausgegebenen Liste als jüdischer Vorna-me geführt ist, vom 1. Jan. 1939 ab als weiteren Vornamen den Namen„Israel“ bzw. „Sara“ annehmen. Mit der VO zur Einführung des Reichsbesoldungsrechts im Lande Öster-reich vom 18. Aug. 1938, RGBl I S. 1017ff., wird für alle „Bundesange-stellten des Landes Österreich mit Ausnahme der Soldaten“ das Reichs-besoldungsrecht gültig. Ausgenommen davon sind jene Beamten, dienach der BBV vorläufig enthoben sind oder bis 1. Okt. 1938 enthobenwerden sollen. // Das Gesetz, mit dem die Vorrückung in höhere Bezügeder im Zuge der Machtergreifung des Nationalsozialismus in Österreichaußer Dienst gestellten Beamten aufgeschoben wird, vom 18. Aug. 1938,GBlÖ Nr. 338/38, betrifft öffentlich Bedienstete, die am 30. Juni 1938vom Dienst enthoben sind bzw. von denen anzunehmen ist, dass gegensie ein Verfahren auf Grund des § 3 oder des § 4 der BBV eingeleitet wird.

21. bis 27. Am 24. Aug. 1938 drängt die Abt. 16 des Ministeriums für innere u. kulAugust 38 turelle Angelegenheiten auf die Ausschaltung der jüdischen Ziviltechniker.

11. bis 17. Anlässlich der Aufhebung der katholisch-theologischen Fakultät in Salz-September 38 burg am 16. Sept. 1938 werden die betroffenen Hochschullehrer nach

§ 6 BBV „im Interesse des Dienstes“ in den Ruhestand versetzt.

18. bis 24. Rundschreiben des Bundes der Österreichischen Industriellen vom 24. Sept. September 38 1938 an alle Landesverbände, mit dem die „formelle Zurückziehung“ der

„Richtlinien für den Abbau des nichtarischen Personals in der Privatwirt-schaft“ verlautbart wird.

25. September Mit der 5. VO zum Reichsbürgergesetz vom 27. Sept. 1938, RGBl Ibis S. 1403ff., werden Juden vom Beruf des Rechtsanwalts ausgeschlossen.1. Oktober 38 Im „Altreich“ ist die Zulassung bis zum 30. Nov. 1938 zurückzunehmen;

in Österreich sind die jüdischen Rechtsanwälte spätestens bis zum 31. Dez.1938 auf Verfügung des RM der Justiz in der Liste der Rechtsanwälte zulöschen. Bei Juden, die in die Liste der Rechtsanwaltskammer in Wieneingetragen sind, kann jedoch, wenn ihre Familie seit mindestens fünfzigJahren im Lande Österreich ansässig ist und wenn sie Frontkämpferwaren, von der Löschung vorläufig abgesehen werden. Zur rechtlichenBeratung und Vertretung von Juden werden „jüdische Konsulenten“ zu-gelassen. Juden sind auch aus den Listen der Rechtsanwaltsanwärter undder Verteidiger bis 31. Dez. 1938 zu löschen. // Die 3. VO über Angelegen-heiten der Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsanwärter und Verteidiger in Straf-sachen in Österreich vom 27. Sept. 38, RGBl I S. 1406, regelt Ausnahme-bestimmungen für jüdische Mischlinge und definiert politische Gegner,für die eine Kann-Bestimmung gilt. // Mit 30. Sept. 1938 erlöschen dieApprobationen jüdischer ÄrztInnen. Mit der VO über die Einführung reichsrechtlicher Vorschriften auf demGebiete des Beamtenrechts im Lande Österreich vom 28. Sept. 1938,

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RGBl I S. 1225ff., werden die österreichischen Beamten dem Reichsrechtunterworfen. Mit bestimmten Ausnahmen gilt für sie das Deutsche Be-amtengesetz, das von den Beamten nicht nur das „rückhaltlose Eintretenfür den nationalsozialistischen Staat“ fordert (§ 3 DBG), sondern auchdie „deutsche oder artverwandte Abstammung“ des Beamten und seinesEhegatten als Erfordernis für die Ernennung zum Beamten vorschreibt (§25 DBG). Die VO setzt für Österreich v.a. folgende Regelungen inGeltung: Die Ernennung zum Beamten kann für nichtig erklärt werden,wenn nicht bekannt war, dass der Ernannte auf Grund von Maßnahmennach §§ 4 und 7 BBV gemaßregelt wurde (Art. II § 1 Abs. 11). Der Be-amte ist zu entlassen, wenn sich nach seiner Ernennung herausstellt, dasser oder sein Ehegatte nicht „deutschen oder artverwandten Blutes“ sindbzw. der Beamte ohne Genehmigung eine Person heiratet, die nicht „deut-schen oder artverwandten Blutes“ ist. Von dieser Regelung sind auch jeneBeamte nicht ausgenommen, bei denen anlässlich der Prüfung nach BBVangenommen worden war, dass sie „deutschen oder artverwandten Blutes“sind (Art. II § 1 Abs. 23). Ausgenommen von dieser Regelung sind aller-dings jene Beamten, die auf Grund von § 3 Abs. 3 und 4 BBV ausnahms-weise im Dienst gelassen worden sind (§ 179 Ö Abs. 2 DBG). Für jeneBeamten (bzw. ihre Hinterbliebenen), die nach dem 30. September 1938auf Grund von §§ 3 oder 4 BBV in den Ruhestand versetzt werden, bleibtdas österreichische Beamtenrecht in Geltung. Allerdings wird für dieseGruppe von Beamten der § 23 DBG – Haftung bei Amtspflichtverletzun-gen – explizit in Geltung gesetzt (§ 181 Ö Abs. 1 und 3 DBG).

30. Oktober bis Mit 31. Okt. 1938 werden 121 Offiziere des ehem. Bundesheeres ent- 5. November 38 lassen; 136 weitere Offiziere scheiden aus der Wehrmacht aus und werden

als Heeresbeamte übernommen. Mit der 6. VO zum Reichsbürgergesetz vom 31. Okt. 1938, RGBl IS. 1545f., werden Juden vom Beruf des Patentanwalts ausgeschlossen.Jüdische Patentanwälte werden mit Wirkung vom 30. Nov. im Registerdes Reichspatentamts gelöscht. Jüdischen Konsulenten wird die Vertre-tung in Patentangelegenheiten verboten. Die VO über Angelegenheitender Patentanwälte im Lande Österreich vom 31. Okt. 1938, RGBl IS. 1548f., setzte Kann-Bestimmungen für die Löschung von jüdischenMischlinge und von „Feinden der nationalsozialistischen Bewegung“ imPatentanwaltsregister in Kraft. Die Bestimmungen gelten sinngemäß auchfür Ziviltechniker.

6. bis 12. Nach dem Novemberpogrom vom 9./10. Nov. wird mit VO vom 12. Nov.November 38 38 den Juden deutscher Staatsangehörigkeit die Zahlung einer „Sühne-

leistung“ in der Höhe von 1 Mrd. RM auferlegt. Nach der VO zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschafts-leben vom 12. Nov. 38, RGBl I S. 1580, ist Juden vom 1. Jan. 1939 abder Betrieb von Einzelhandels- und Versandgeschäften oder Bestellkon-toren sowie der selbständige Betrieb eines Handwerks untersagt. Ebensoist ihnen verboten, auf Märkten, Messen oder Ausstellungen Waren odergewerbliche Leistungen anzubieten oder Bestellungen darauf anzunehmen.

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Juden dürfen ab dem 1. Jan. 1939 nicht mehr Betriebsführer im Sinnedes Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Jän. 1934 seinund jüdische leitende Angestellte können – unter Verlust von Ansprüchenauf Versorgung und Abfindung – gekündigt werden.

13. bis 19. Nach § 3 Abs. 2 der Reichstierärzteordnung vom 3. April 1936, RGBl I November 38 S. 347, die mit der VO über die Einführung der Reichstierärzteordnung

im Lande Österreich vom 13. Nov. 1938, RGBl I S. 1608f., in Österreicheingeführt wird, ist die Bestallung von Bewerbern u.a. zu versagen, wenndie politische Zuverlässigkeit fehlt oder der Bewerber wegen seiner oderseines Ehegatten Abstammung nicht Beamter werden kann. Eine Anord-nung des Reichstreuhänders der Arbeit vom 15. Nov. 1938 bezieht sichauf die durch die Novemberpogrome ausgelösten Entlassungen und be-stimmt für das Wirtschaftsgebiet der Ostmark, dass „Entlassungen vonArbeitern und Angestellten jüdischer Betriebe, deren Arbeitsverhältnisnach dem 7. November 1938 vom Unternehmer gekündigt wurde, nichtvor dem 31. Dezember 1938 rechtswirksam“ werden.

27. bis 3. Mit der VO über Beamtenvereinigungen im Lande Österreich vom 30.Dezember 38 Nov. 1938, RGBl I S. 1713f., werden per 1. Jan. 1939 die in Österreich

bestehenden Berufskörperschaften der öffentlich Bediensteten und die aufGrund des Vereinsgesetzes gebildeten Beamtenvereinigungen aufgelöst. Die mit Anordnung Nr. 38/39 vom 1. Dez. 1938 von ReichskommissarsBürckel erlassenen „Richtlinien hinsichtlich der Stellung von Mischlingen“ordnen an, dass sich „die Partei in Fragen der Betätigung von Mischlin-gen in der Wirtschaft streng neutral zu verhalten habe“. Nach der VO über die Einführung des Gesetzes zur Ordnung der Kranken-pflege im Lande Österreich vom 2. Dez. 1938, RGBl I S. 1708, dürfenJuden ab 1. April 1940 die Krankenpflege nur mehr an Juden oder injüdischen Anstalten berufsmäßig ausüben. Krankenpflegeschulen erhaltendie staatliche Anerkennung nicht, wenn der Leiter wegen seiner Abstam-mung oder der seiner Ehefrau nicht Beamter werden kann.

4. bis 10. Mit der 7. VO zum Reichsbürgergesetz vom 4. Dez. 1938, RGBl IDezember 38 S. 1751, werden die Ruhegehälter ausgeschiedener jüdischer Beamter ge-

kürzt. Gleichzeitig werden die Bestimmungen der 1. VO zum Reichsbür-gergesetz aufgehoben, nach denen in den Ruhestand getretene jüdischeBeamte und Wartestandsbeamte, die als Frontkämpfer einzustufen sind,bis zur Erreichung der Altersgrenze die vollen ruhegehaltsfähigen Dienst-bezüge bzw. das Wartegeld erhalten.

11. bis 17. Am 14. Dez. 1938 sichert Ing. Gürke, der Leiter des Amtes für TechnikDezember 38 in der Gauleitung Wien, dem Stillhaltekommissar Hoffmann zu, die

„Bereinigung der Judenfrage in den Kammern beschleunigt durchzufüh-ren“. Die involvierten Funktionäre einigen sich auf § 8 der BBV als recht-liche Grundlage. // Am 16. Dez. 1938 schlägt der Präsident der Ingenieur-kammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Dr. Visintini, vor,vom Recht des Wiener Bürgermeisters Gebrauch zu machen, Kammer-mitgliedern ihre Mitgliedschaft abzuerkennen.

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136 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

Nach der 2. VO zur Durchführung der VO zur Ausschaltung der Judenaus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 14. Dez. 1938, RGBl I S. 1902,dürfen Juden nicht mehr Betriebsführer eines ihnen gehörenden Betriebessein. Der Reichstreuhänder der Arbeit hat einen Betriebsführer zu bestel-len, der die „blutsmäßigen Voraussetzungen für den Erwerb des Reichs-bürgerrechts“ erfüllt.

18. bis 24. Mit der VO über die Einführung der Sozialversicherung im Lande Öster-Dezember 38 reich vom 22. Dez. 1938, RGBl I S. 1912, treten per 1. Jan. 1939 die

Reichsversicherungsordnung über die Kranken-, Unfall- und Rentenver-sicherung der Arbeiter und das Reichsknappschaftsgesetz über die Kran-ken-, Unfall- und Rentenversicherung der im Bergbau tätigen ArbeiterIn-nen und Angestellten in Kraft. Außerdem wird auch das deutsche Ange-stelltenversicherungsgesetz vom 28. Mai 1924 in Österreich eingeführt.

Nach § 39 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetzvom 23. Dez. 1938, RGBl I S. 1935ff., erhalten jüdische Privatgelehrte,Künstler, Schriftsteller, Handlungsagenten und Makler keine Umsatz-steuerermäßigung mehr.

1939

Jänner 39 Mit der 3. VO zur Änderung der BBV vom 3. Jän. 1939, RGBl I S. 4,wird die Frist für Verfügungen in noch anhängigen Verfahren nach § 4BBV bis 28. Feb. 1939 ausgedehnt. Mit der 4. VO zur Änderung derBBV vom 24. Feb. 1939, RGBl I S. 335, wird diese Frist bis 31. März1939 erstreckt. Auf eine Anfrage des Präsidenten der Ingenieurkammerfür Wien, Niederösterreich und Burgenland an das Reichskommissariatfür die Wiedervereinigung rät der zuständige Beamte am 9. Jän. 1939, dieJuden mit sofortiger Wirkung aus der Kammer auszuschließen, selbstwenn Ausschlüsse auch nach wie vor nach der BBV möglich wären. Nach der 8. VO zum Reichsbürgergesetz vom 17. Jän. 1939, RGBl I S. 47f.,erlöschen die Bestallungen, Approbationen und Diplome jüdischer Zahn-ärzte, Tierärzte und Apotheker am 31. Jän. 1939. Juden wird die Ausübungder Heilkunde einschließlich der Zahn- und Tierheilkunde verboten.Jüdische Hilfskräfte in der Gesundheitspflege dürfen ihre Berufstätigkeitnur an Juden oder in jüdischen Anstalten ausüben. Die berufsmäßigeAusübung der Tiergesundheitspflege wird Juden verboten. Zahnärzten(und Zahntechnikern), deren Approbation erloschen ist, kann widerruf-lich die Behandlung von Juden gestattet werden. Mit 31. Jän. 1939 erlöschen alle Konzessionen und die Berufserlaubnisaller jüdischen Apotheker, Zahnärzte und Tierärzte. Jüdische StudentIn-nen werden vom Studium der Pharmazie ausgeschlossen, Mischlingenersten und zweiten Grades der Besitz oder die Leitung einer Apothekeuntersagt.

Februar 39 Bis 2. Feb. 1939 werden 89 von 92 jüdischen Apotheken in Österreicharisiert. Nach einer Durchführungsbestimmung zur Reichshabilitationsordnung

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vom 17. Feb. 1939 müssen PrivatdozentInnen bis spätestens 30. Septem-ber 1939 ein Ansuchen auf Überleitung stellen, andernfalls verlieren sieihre Venia. Erlass der Magistratsdirektion Wien vom 18. Feb. 1939 über die Misch-lingsfrage in der Wirtschaft Die 4. VO über Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsan-wärter und Verteidiger in Strafsachen im Lande Österreich vom 23. Feb.1939, RGBl I 1939 S. 294, verlängert die Frist für die Löschung vonRechtsanwältInnen bzw. AnwärterInnen, die als Feinde der nationalsozia-listischen Bewegung eingestuft werden, bis zum 31. März 1939.

April 39 Die 5. VO über Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsan-wärter und Verteidiger in Strafsachen im Lande Österreich vom 3. April1939, RGBl I 1939 S. 708, verlängert die Frist für die Löschung vonRechtsanwältInnen bzw. AnwärterInnen, die als Feinde der nationalso-zialistischen Bewegung eingestuft werden, noch einmal bis zum 30. Juni1939.

Mai 39 Mit der 2. VO zur Durchführung des Gesetzes über die Ausübung der Rei-severmittlung vom 8. Mai 1939, RGBl I S. 895, wird Juden mit 1. Juni1939 die gewerbsmäßige Ausübung der Reisevermittlung untersagt. Nacheinem Runderlass des RM des Innern vom 20. Mai 1939 sind Juden zukeinerlei pharmazeutischer Beschäftigung in Apotheken mehr zugelassenund haben ihre Apothekenbetriebsrechte zu verpachten. Solche Betriebs-rechte sind bis zum 30. Juni 1939 zu veräußern; die Verträge sind geneh-migungspflichtig. Wird kein Veräußerungsvertrag vorgelegt, ist ein Treu-händer zu bestellen. Personalkonzessionen sind neu auszuschreiben.

Juni 39 Mit der VO zur Einführung der Reichsnotarordnung vom 9. Juni 1939,RGBl I S. 1025, wird die Reichsnotarordnung vom 13. Februar 1937 inÖsterreich eingeführt und damit das bisherige österreichische Berufsrechtfür Notare außer Kraft gesetzt. Gleichzeitig werden die Notariatskammernals selbständige und autonome Vertretungskörper aufgelöst bzw. in Filia-len der Reichsnotarkammer umgewandelt. Mit der VO zur Einführungder Reichstierärzteordnung in der Ostmark vom 28. Juni 1939, RGBl IS. 1048, wird das nationalsozialistische Berufsrecht der Tierärzte in Öster-reich eingeführt.

September 39 Beginn des Zweiten Weltkrieges mit 1. Sept. 39 Nach der VO über die Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels vom 1. Sept.1939, RGBl I S. 1685, dürfen Betriebsführer, Arbeiter, Angestellte, Lehr-linge, Volontäre und Praktikanten eine Kündigung des Arbeitsverhältnis-ses (Lehrverhältnisses) erst aussprechen, wenn das Arbeitsamt der Lösungdes Arbeitsverhältnisses zugestimmt hat. Nach der VO zur Bestallungs-ordnung für Apotheker vom 1. Sept. 1939, RGBl I S. 1567, ist Juden undjüdischen Mischlingen ersten Grades die Bestallung nicht zu erteilen.Über Erteilung an Mischlinge 2. Grades entscheidet der RM des Innernim Einverständnis mit dem Stellvertreter des Führers. Nach der VO über die Teilnahme an der kassenärztlichen und kassen-

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138 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

dentistischen Versorgung vom 19. Sept. 1939, RGBl I S. 1855, könnenJuden, denen die Ausübung ihres Berufs nach § 3 der 8. VO zumReichsbürgergesetz – d.h. als Zahnarzt bzw. Zahntechniker – gestattet ist,an der kassenzahnärztlichen Versorgung jüdischer Versicherter und derenjüdischer Familienangehörigen nur mit Genehmigung des Reichs-arbeitsministers beteiligt werden.

November 39 Nach § 21 der VO über die berufsmäßige Ausübung der Säuglings- undKinderpflege und die Errichtung von Säuglings- und Kinderpflegeschulenvom 15. Nov. 1939, RGBl I S. 2239, dürfen Juden die Tätigkeit einerSäuglings- und Kinderschwester nur an Juden oder in jüdischen Anstal-ten berufsmäßig ausüben. Auch die Ausbildung darf nur in jüdischenSäuglings- und Kinderpflegeschulen erfolgen.

1940

Februar 40 Mit der 5. VO zur Änderung der BBV vom 2. Feb. 1940, RGBl I S. 269,wird die Frist für die Entfernung jüdischer und jüdisch verheirateter Be-amter wurde bis zum 31. März 1940 ausgedehnt (§ 1 Nr. 1); Maßnah-men gegen politisch unzuverlässige Beamte können bis zu diesem Datumzugunsten der Betroffenen geändert werden, wenn die Prüfung der Maß-nahme bis zum 31. Januar 1940 eingleitet worden ist (§ 1 Nr. 2). Mit der VO zur Einführung des Patentanwaltsgesetzes in der Ostmarkvom 15. Feb. 1940, RGBl. I S. 362, wird das reichsdeutsche Patentan-waltsgesetz für Österreich in Geltung gesetzt. Laut § 3 des Patentanwalts-gesetzes kann Patentanwälten, die nicht „deutschen oder artverwandtenBlutes“ sind bzw. die mit solchen Personen verheiratet sind, die zur Be-rufsausübung notwendige Eintragung in das Register der Patentanwälteversagt werden. Übergangserleichterungen für jene Personen, die bisher –ohne Patentanwalt oder Rechtsanwalt zu sein – die Vertretung in pa-tentrechtlichen Angelegenheiten übernehmen konnten, können Personen,die nicht „deutschen oder artverwandten Blutes“ sind, versagt werden (§61); davon ausgenommen sind solche Personen, die bereits vor dem 1.August 1914 solcherart tätig waren oder im Ersten Weltkrieg an der Frontgekämpft haben oder deren Väter oder Söhne im Ersten Weltkrieg gefal-len sind. Die 1. VO über die Berufstätigkeit und die Ausbildung medizinisch-tech-nischer Gehilfinnen und medizinisch-technischer Assistentinnen (1. MGAV)vom 17. Feb. 1940, RGBl I S. 371ff., bestimmt als Voraussetzung für dieErlaubnis zur Ausübung des Berufs einer medizinisch-technischen Gehil-fin bzw. Assistentin politische Zuverlässigkeit und „arische Abstammung“(§ 2 bzw. 13). Den Lehranstalten zur Ausbildung ist die staatliche Aner-kennung zu versagen bzw. zu entziehen, wenn der Leiter politisch unzu-verlässig oder „nichtarischer Abstammung“ ist (§ 5 bzw. 14). Auch dieZulassung zum Besuch dieser Lehranstalten fordert politische Zuverläs-sigkeit und „arische Abstammung“; bei „nichtarischer Abstammung“können Ausnahmen gemacht werden (§ 6 bzw. 17). Juden dürfen die ge-nannten Berufe nur in jüdischen Anstalten bzw. bei Juden mit besonde-

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rer Genehmigung ausüben. Die Beschäftigung mit Kulturen lebenderKrankheitserreger ist ihnen verboten (§ 31). // Die 2. MGAV vom 17.Feb. 1940, RGBl I S. 378ff., regelt, unter welchen Bedingungen die poli-tische Zuverlässigkeit der Bewerber nicht nochmals überprüft werdenmuß (§ 2). Über die 1. MGAV hinausgehend müssen für die Zulassungzum Ausbildungsbetrieb auch die Lehrkräfte an den Lehranstalten „deut-schen oder artverwandten Blutes“ sein (§ 3 Abs. 3).

März 40 Die Berufsordnung der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure wirdmit der VO vom 1. März 1940, RGBl I S. 477, in Österreich eingeführt.Ziviltechniker müssen bis 31. Dez. 40 einen neuen Zulassungsantrag ein-reichen. Die VO über die Stillegung von Betrieben zur Freimachung von Arbeits-kräften vom 21. Mäzr 1940, RGBl I S. 544f., regelt die Auflösung vonArbeitsverhältnissen bei der Stilllegung von Betrieben auf Grund einer be-hördlichen Anordnung und die Behandlung von Ansprüchen aus Unter-stützungseinrichtungen der stillgelegten Betriebe.

April 40 Mit der 7. VO zur Änderung der BBV vom 26. April 1940, RGBl IS. 693f., wird als Frist für Maßnahmen nach § 3 – die Entfernung jüdi-scher oder jüdisch verheirateter Beamter – der 31. Dez. 1940 bestimmt.Ausnahmen für jüdisch verheiratete Beamte sind nur mit Zustimmungdes RM des Innern und des Stellvertreters des Führers zuzulassen. Die VO über das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses bei Räumungoder Freimachung von gefährdeten Gebieten vom 9. April 1940, RGBl IS. 624f., regelt die Behandlung von Arbeitsverhältnissen bei Betriebs-stilllegungen infolge von Kriegshandlungen.

Mai 40 Mit den Durchführungsbestimmungen zur VO über Maßnahmen aufdem Gebiet des Beamtenrechts vom 15. Mai 1940, RGBl I S. 796f, wirdu.a. bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Beamte, die auf Grunddes BBG bzw. der BBV entlassen worden sind, wiederverwendet werdenkönnen. Mit dem Gesetz zur Änderung der Reichstierärzteordnung vom 30. Mai1940, RGBl I S. 827, erhält § 9 Abs. 1 Satz 1 folgende Fassung: „Es istverboten, die Heilkunde gewerbs- oder gewohnheitsmäßig auszuüben,wenn die Bestallung erloschen, zurückgenommen oder auf sie verzichtetist, oder solange auf die Ausübung des ärztlichen Berufs verzichtet ist.“

Juni 40 Nach der VO über die Nachprüfung von Entjudungsgeschäften vom 10.Juni 1940, RGBl I S. 891f., kann, wenn ein Jude vor dem Inkrafttretender VO zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftslebenvom 12. Nov. 1938, RGBl I S. 1580, als leitender Angestellter in einemWirtschaftsunternehmen aus dieser Stellung ausgeschieden ist, auf Antragdes Schuldners oder des Reichswirtschaftsministers eine verbindliche Re-gelung der aus dem Dienstverhältnis herrührenden vermögensrechtlichenAnsprüche durch Entscheidung einer Schiedsstelle erfolgen. Der Rechts-weg ist in diesem Fall unzulässig. Die VO zur Durchführung der 5. VO zum Reichsbürgergesetz vom 12. Juni

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140 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

1940, RGBl I S. 872, bestimmt, dass jüdische Konsulenten als Verteidigerin Strafsachen zurückgewiesen werden können , wenn dies aus besonderenGründen, insbesondere mit Rücksicht auf den Gegenstand des Verfahrens,geboten erscheint.

Juli 40 Nach der VO über den Nachweis der Zugehörigkeit zur Reichsschrift-tumskammer vom 17. Juli 1940, RGBl I S. 1035f, muss, wer ein Schrift-werk druckt, sich vorher vergewissern, dass der Verleger bzw. VerfasserMitglied der Reichsschrifttumskammer ist bzw. von der Mitgliedschaftbefreit ist. Nach der VO über die Ausbildung für den mittleren Forstdienst vom 18.Juli 1940, RGBl I S. 1006, kann als Anwärter für den mittleren Forstdienstnur zugelassen werden, wer „deutschen oder artverwandten Blutes ist“und „die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit rückhaltlos für den natio-nalsozialistischen Staat eintritt“.

August 40 Nach der VO zur Einführung der VO über die Ausbildung für den ge-hobenen Forstdienst in den Reichsgauen der Ostmark, im ReichsgauSudetenland und in den eingegliederten Ostgebieten vom 7. Aug. 1940,RGBl I S. 1129, müssen die Anwärter für den gehobenen Forstdienst„deutschen oder artverwandten Blutes“ sein.

September 40 Nach der 7. DVO zur Gesetz über das Feuerlöschwesen vom 17. Sept.1940, RGBl I S. 1250ff., dürfen Juden einer Werksfeuerwehr nicht ange-hören und Mischlinge keine Vorgesetzten sein.

Oktober 40 Mit der VO über Apothekenkonzessionen in den Reichsgauen der Ostmarkvom 31. Okt. 1940, RGBl I S. 1460, wird die Zuständigkeit, Konzessio-nen zum Betrieb von öffentlichen Apotheken, ärztlichen Hausapothekenund Anstaltsapotheken zu erteilen, den Reichsstatthaltern übertragen.

November 40 Mit der VO zur Ergänzung der Reichstierärzteordnung vom 30. Nov.1940, RGBl I S. 1545, wird die Amtsdauer der berufsständischen Funk-tionäre um zwei Jahre verlängert und die Genehmigung der Niederlassungvon Tierärzten neu geregelt.

Dezember 40 Die VO über die Kassendentistische Vereinigung Deutschlands vom 13.Dez. 1940, RGBl I S. 1656, regelt den Aufbau, Organisation und Rechts-status der Organisation, die die Aufgaben des Reichsverbands DeutscherDentisten übernimmt. Mit der 8. VO zur Änderung der BBV vom 30. Dez. 1940, RGBl IS. 1673, wird die Frist für Maßnahmen nach § 3 BBV bis 31. Dez. 1941verlängert

1941

Jänner 41 Mit § 1 des Gesetzes über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherungaus Anlass des Krieges vom 15. Jan. 1941, RGBl I S. 34ff., werden dieAmtszeiten der ehrenamtlichen Leiter von Sozialversicherungsträgernund der ärztlichen Sachverständigen der Oberversicherungsämter bis aufweiteres verlängert. Von dieser Bestimmung ausgenommen sind Personen,die Mitglied einer Loge oder ähnlichen Organisation waren.

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Mit der VO zur Einführung der VO über ausländische Arbeitnehmer vom24. Jan. 1941, RGBl I S. 44f., werden ausländische Arbeiter und Ange-stellte in den Reichsgauen der Ostmark den im „Altreich“ gültigen Vor-schriften für ausländische Arbeitnehmer unterstellt. Die VO ersetzt dasösterr. Inlandarbeiterschutzgesetz vom 19. Dez. 1925, BGBl Nr. 457/25.

März 41 Mit der VO über die Berufsausübung der Dentisten in den Reichsgauender Ostmark vom 5. März 1941, RGBl I S. 122, werden Dentisten zurBehandlung von Zahnkrankheiten unter Ausschluss von Mund- undKieferkrankheiten berechtigt und erhalten die Befugnis zur Ausübung derZahntechnik. Nach § 2 der 2. DVO über die Beschränkung des Ar-beitsplatzwechsels vom 7. März 1941, RGBl I S. 126, bedarf es der Zu-stimmung zur Lösung von Arbeitsverhältnissen nicht, wenn Führer vonVerwaltungen des Reichs, der Länder, der Gemeinden (Gemeindeverbän-de) oder der Deutschen Reichsbank ihren Gefolgschaftsmitgliedernkündigen. Nach § 2 der 2. DVO über die Beschränkung des Arbeits-platzwechsels vom 7. März 1941, RGBl I S. 126, bedarf es der Zustim-mung zur Lösung von Arbeitsverhältnissen bzw. zur Einstellung vonArbeitskräften nicht bei den Mitgliedern der Reichstheaterkammer, dieder Fachschaft Bühne bzw. Artistik angehören, den Mitgliedern derReichsfilmkammer und den von der Reichsmusikkammer als Mitgliedererfassten nachschaffenden Berufsmusikern.

April 41 Mit der VO zur Einführung der Reichsrechtsanwaltsordnung und andererVorschriften auf dem Gebiet des Anwaltsrechts in den Reichsgauen derOstmark vom 2. April 1941, RGBl I S. 188ff., werden bisher noch nichteingeführte Vorschriften des nationalsozialistischen Berufsrechts für Öster-reich in Geltung gesetzt. // Mit der VO über die Verlängerung der Amts-zeit der Mitglieder und Stellvertreter der Apothekerberufsgerichte sowieder Beiratsmitglieder der Reichsapothekerkammer vom 23. April 1941,RGBl I S. 234, wird die Amtszeit bestimmter Funktionäre der Apothe-kerberufsgerichte, der Reichs- und Bezirksapothekerkammern um zweiJahre verlängert.

Mai 41 Mit der 2. VO über die Änderung der Verfahrensordnung für die Berufs-gerichte der Presse vom 30. Mai 1941, RGBl I S. 299f., wird die Verfah-rensordnung dahingehend abgeändert, dass auf Anordnung des Propa-gandaministers eine Berufung nur mehr zulässig ist, wenn auf Löschungin der Berufsliste erkannt wird. Der Minister kann nunmehr auch selbstden Antrag auf Eröffnung eines ehrengerichtlichen Verfahrens stellen.

Juni 41 Mit der VO zur weiteren Ergänzung der Reichsrechtsanwaltsordnungvom 24. Juni 1941, RGBl I S. 333f., wird diese dahingehend geändert,dass die Übernahme in den Anwärterdienst vom RM der Justiz im Ein-vernehmen mit dem NS-Rechtswahrerbund entschieden wird; die Ent-scheidung ist widerruflich. Bestimmungen bezüglich Zurücknahme derZulassung zur Anwaltschaft und Verbot der Berufsausübung bzw. Ver-tretungsverbot werden ergänzt. Strafverfügungen gegen Rechtsanwältedürfen nun auch vom Präsidenten der Rechtsanwaltskammer getroffenwerden.

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142 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

Juli 41 Die 3. DVO zur VO über die Beschränkung des Arbeitsplatzwechselsvom 10. Juli 1941, RGBl I S. 381, regelt u.a. die Lösung von Arbeitsver-hältnissen von Hausgehilfinnen und Hausangestellten. // Mit der 2.Anordnung durch Durchführung der VO zur Anpassung der verbrau-chergenossenschaftlichen Einrichtungen an die kriegswirtschaftlichenVerhältnisse vom 24. Juli 1941, RGBl I S. 452f., wird das Vermögen derVerbrauchergenossenschaften auf die DAF übertragen. Dienstverträgeund Ruhegehaltsvereinbarungen von leitenden Angestellten der Verbrau-chergenossenschaften können abgeändert und aufgelöst werden.

August 41 Mit der VO zur Änderung der VO über die Einführung reichsrechtlicherVorschriften auf dem Gebiete des Beamtenrechts im Lande Österreichvom 29. Aug. 1941, RGBl I S. 551, wird der ursprünglich mit Ende Sept.1941 festgelegte Zeitpunkt, bis zu dem weibliche Beamte auf Grund des§ 63 DBG aus dem Dienst ausscheiden und Anspruch auf eine Abfindunghaben, auf einen Zeitpunkt nach Kriegsende verlängert. Mit der VO zur Änderung der Bestallungsordnung für Apotheker vom29. Aug. 1941, RGBl I S. 546, wird die Apothekerausbildung auf jeneApotheken beschränkt, die von der höheren Verwaltungsbehörde dazuermächtigt werden.

September 41 Mit der Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1. Sept.1941, RGBl I S. 547, wird Juden / Jüdinnen ab 15. Sept. das Tragen desJudensterns vorgeschrieben. Die DVO zum Gesetz über weitere Maßnahmen in der Reichsversiche-rung aus Anlass des Krieges vom 13. Sept. 1941, RGBl I S. 568f., ver-längert die Amtszeit der Mitglieder von Beiräten der Versicherungsträgerbis auf weiteres. Diese Bestimmung gilt allerdings nicht für solche Mit-glieder, die einer Loge oder ähnlichen Organisation angehört haben. Die 6. VO zur Durchführung des Hebammengesetzes vom 16. Sept. 1941,RGBl I S. 561ff., regelt den Zugang zu den Hebammenlehranstalten, dieAusbildung in den Lehranstalten und die berufsbegleitende Fortbildung.Nach § 2 Abs. 2 ist die politische Zuverlässigkeit unbedingte Vorausset-zung für die Zulassung zur Ausbildung, außerdem muss die Bewerberinversichern, dass sie „nicht Jüdin und nicht Mischling ersten oder zweitenGrades ist“ (§ 2 Abs. 3).

Oktober 41 Die VO über die Beschäftigung von Juden vom 3. Okt. 1941, RGBl IS. 675, stellt Juden / Jüdinnen, „die in Arbeit eingesetzt sind“, in ein „Be-schäftigungsverhältnis eigener Art“. Der Reichsarbeitsminister wird er-mächtigt, das Beschäftigungsverhältnis der Juden im Einvernehmen mitdem Leiter der Parteikanzlei und dem RM des Innern zu regeln. // DieVO zur Durchführung der VO über die Beschäftigung von Juden vom31. Okt. 1941, RGBl I S. 681f., regelt das Beschäftigungsverhältnis vonJuden /Jüdinnen. Zahlreiche arbeitsrechtliche Bestimmungen haben fürJuden /Jüdinnen keine Geltung mehr, die Lohn- und Gehaltsansprüche,der Kündigungsschutz, und Vorschriften des Arbeitsschutzes werdenbeschnitten. Außerdem werden Juden/Jüdinnen verpflichtet, eine ihnenvom Arbeitsamt zugewiesene Beschäftigung anzunehmen. Juden /Jüdin-

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nen dürfen auch nur mehr gruppenweise und getrennt von den übrigenBeschäftigen zur Arbeit eingesetzt werden.

November 41 Mit der 11. VO zum Reichsbürgergesetz vom 25. Nov. 1941wird Juden /Jüdinnen, die ihren Aufenthalt im Ausland haben oder nehmen, die deut-sche Staatsangehörigkeit entzogen. Ihr Vermögen verfällt dem Reich. Ver-sorgungsansprüche erlöschen mit Ablauf des Monats, in dem der Verlustder Staatsangehörigkeit eintritt. Angehörigen, die im Fall des Todes desVersorgungsberechtigten Ansprüche auf Witwen, Waisengeld u.ä. haben,wird, solange sie sich im Inland aufhalten, ein Unterhaltsbeitrag gewährt,der bei jüdischen Angehörigen nur bis zur Hälfte der Bezüge bewilligtwerden kann. Dez.41 Mit der 9. VO zur Änderung der BBV vom 20.Dez. 1941 wird die Frist für Maßnahmen nach § 3 nochmals um ein Jahr,d.h. bis 31. Dez. 1942 verlängert.

1942

Februar 42 Nach einer Anordnung des Reichsarbeitsministeriums vom 13. Feb. 1942dürfen jüdische Beschäftigte keine Urlaubsmarken mehr kleben; frühergeklebte gelten als verfallen. Dies gilt nicht für jüdische Beschäftigte, diein privilegierter Mischehe leben.

März 42 Mit der Anordnung über die Beschäftigung von Zigeunern vom 13. März1942, RGBl I S. 138, werden die Sondervorschriften für das Beschäfti-gungsverhältnis von Juden /Jüdinnen auch auf Roma und Sinti ausge-dehnt.

April 42 Die 2. VO zur Durchführung der Reichsapothekerordnung vom 26. Mai1942, RGBl I S. 347, regelt die Beschäftigungserlaubnis für im Auslandbestallte Apothekeranwärter und Anwärter nicht deutscher Staatsange-hörigkeit. Die Erlaubnis kann nur erteilt werden, wenn der Antragsteller„deutschen oder artverwandten Blutes und politisch zuverlässig ist“.

Juli 42 In einem Erlass des RMWiss vom 7. Juli 1942 wird die Reichsvereinigungder Juden in Deutschland angewiesen, mit Wirkung vom 30. Junisämtliche jüdischen Schulen zu schließen. Ab 1. Juli ist jeder Unterrichtjüdischer Schüler durch besoldete oder unbesoldete Lehrkräfte untersagt.

August 42 In einem Runderlass des RM des Innern wird darauf hingewiesen, dass§ 25 des Deutschen Beamtengesetzes – der die deutsche oder artverwandteAbstammung als Voraussetzung definiert – streng anzuwenden ist. Aus-nahmen für Erzieher dürfen grundsätzlich nicht mehr erteilt werden.

Oktober 42 Nach einem Erlass des Reichswirtschaftsministers sind Handwerksmeisterund Betriebsführer der gewerblichen Wirtschaft, die mit einem jüdischenEhepartner verheiratet sind, von der Ausbildung und Erziehung des deutsch-blütigen Nachwuchses ausgeschlossen.

November 42 Nach einem geheimen Runderlass des Beauftragten für den Vierjahresplanvom 26. Nov. 1942 sollen Juden, die noch in Beschäftigung sind, von nunan aus dem Reichsgebiet evakuiert und durch polnische Arbeitskräfte er-setzt werden.

Kalender 143

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144 Berufsschädigungen in der Neuordnung völkischen Schaffens

Dezember 42 Mit der 10. VO zur Änderung der BBV vom 11. Dez. 1942, RGBl. IS. 684, wird die Frist für Maßnahmen nach § 3 nochmals um ein Jahr,d.h. bis 31. Dez. 1943 verlängert.

1943

Februar 43 Nach der WochenpflegerinnenVO vom 7. Feb. 1943, RGBl I S. 87, wer-den als Wochenpflegerinnen nur deutschblütige Personen anerkannt, die,wenn verheiratet, auch einen deutschblütigen Ehemann haben müssen.

Dezember 43 Mit der 11. VO zur Änderung der BBV vom 20. Dez. 1943, RGBl IS. 682, wird die Frist für Maßnahmen nach § 3 nochmals um ein Jahr,d.h. bis 31. Dez. 1944 verlängert.

1944

Jänner 44 Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz erhält mit der 2. VOzur Durchführung der VO über die Lohngestaltung vom 11. Jan. 1944,RGBl I S. 22, die Befugnis, Tarifordnungen und Richtlinien für den In-halt von Betriebsordnungen und Einzelarbeitsverträgen zu erlassen. //Die VO über die Meldepflicht von Männern und Frauen, die aus Anlassdes Luftkrieges ihre bisherige Tätigkeit aufgegeben haben, setzte eine Mel-depflicht für jene Personen in Kraft, die ihre selbständige oder unselb-ständige Beschäftigung infolge von Luftangriffen aufgeben. Mit der VO über den Zusammenschluss des freien Vermessungsberufszur „Reichsgruppe der Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure“ vom31. Jän. 1944, RGBl I S. 53f., werden Vermessungsingenieure in einereigenen, rechtsfähigen berufsständischen Organisation zusammenge-schlossen. Die VO regelt die Leitung der Reichsgruppe durch den Präsi-denten und die Bezirksobmänner sowie die Verwaltung und Finanzierung. Mit der 3. VO zur Änderung der Verfahrensordnung für die Berufsge-richte der Presse vom 31. Jan. 1944, RGBl I S. 54, wird die Amtsdauerder Vorsitzenden und Beisitzer der Berufsgerichte bis Kriegsende ver-längert.

April 44 Die mit der 8. VO über die Ausbildung und Prüfung für den höherentechnischen Verwaltungsdienst vom 3. April 1944, RGBl I S. 88ff., ge-änderten Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften enthalten auch Bestim-mungen über Abstammung und politische Einstellung der Kandidaten. Nach der 2. VO über die Ziviltechniker in den Alpen- und Donau-Reichs-gauen vom 15. April 1944, RGBl I S. 102, können Bewerbern um dieBefugnis des Ziviltechnikern zur Vermeidung unbilliger Härten für Kriegs-teilnehmer und Dienstverpflichtete unter bestimmten Bedingungen ein-zelne oder bestimmte Berufsberechtigungen zugestanden werden.

Juli 44 Mit dem Erlass des Führers über den totalen Kriegseinsatz vom 25. Juli1944, RGBl I S. 161f., wird ein Reichsbeauftragter für den totalen Kriegs-einsatz eingesetzt, zu dessen Aufgaben es gehört, ein „Höchstmaß von

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[Arbeits-]Kräften“ für den Kriegseinsatz freizustellen, indem zB „minderkriegswichtige“ Betriebe, Unternehmungen und Verwaltungen stillgelegtwerden. Mit der VO über die Meldung von Arbeitskräften in Scheinarbeitsver-hältnissen vom 28. Juli 1944, RGBl I S. 167, werden sog. Scheinarbeits-verhältnisse aufgelöst bzw. Personen, die in derartigen Arbeitsverhältnissenstehen, einer Meldepflicht unterworfen.

August 44 Mit der 8. DVO zur VO über die Beschränkung des Arbeitsplatzwechselsvom 11. Aug. 1944, RGBl I S. 176, werden die Bestimmungen dahin-gehend verschärft, dass auch bei Kündigungen in wechselseitigem Ein-verständnis die Zustimmung des Arbeitsamts erforderlich ist. Die 4. VO über die Meldung von Männern und Frauen für Aufgaben derReichsverteidigung vom 29. Aug. 1944, RGBl I S. 190, unterstellt alleKulturschaffenden, die durch die Einschränkungen des Kulturlebensinfolge des Krieges ihren Arbeitsplatz verlieren, einer Meldepflicht beimArbeitsamt.

September 44 Mit der VO über Kriegsmaßnahmen auf dem Gebiete des Veterinärwesensvom 18. Sept. 1944, RGBl I S. 215f., wird der RM des Innern beauftragt,das zivile Veterinärwesen für den Kriegseinsatz vorzubereiten. Der RMIkann über alle zivilen tierärztlichen Kräfte und deren Hilfskräfte imReichsgebiet verfügen sowie öffentliche und private Veterinärinstitutezusammenlegen oder stilllegen. // Nach § 66 der 2. Kriegsmaßnahmen-verordnung vom 27. Sept. 1944, RGBl I S. 229, werden die Geschäfteder Rechtsanwalts- und Notarkammern bis auf weiteres von den Präsi-denten der Kammern allein geführt. Das Amt der Mitglieder der Rechts-anwaltskammern und der Kammerausschüsse der Notarkammern endetmit dem Inkrafttreten der Verordnung. Neue Mitglieder werden vorläu-fig nicht bestellt. // Die VO zur Ergänzung der Reichsnotarordnung vom27. Sept. 1944, RGBl I S. 224, regelt die Bestellung von Notaren ohneZuweisung eines bestimmten Amtssitzes.

Dezember 44 Mit der 12. VO zur Änderung der BBV vom 21. Dez. 1944, RGBl 1945I S. 1f., wird die Frist für Maßnahmen nach § 3, d.h. für die Entlassungvon jüdischen Mischlingen und jüdisch Versippten bis 31. Dez. 1946[sic!] verlängert.

1945

Jänner 45 Nach der VO zur Vereinfachung der Ehrengerichtsbarkeit für Patentan-wälte vom 31. Jan. 1945, RGBl I S. 24, entscheiden im ehrengerichtli-chen Verfahren gegen Patentanwälte für die Dauer des Krieges das Ehren-gericht in der Besetzung mit drei Mitgliedern und der Ehrengerichtshofin der Besetzung mit drei Mitgliedern des Reichspatentamts und zweiPatentanwälten.

April 45 27. April: Bildung der Provisorischen Regierung Renner

Mai 45 8./9. Mai: Kapitulation

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3. Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Im österreichischen Berufsleben von 1934 fungierte die BezeichnungFreie Berufe als Wirtschaftsabteilung, in welcher die Wirtschaftsgruppen„Gesundheitswesen“, „Erziehung, Bildung, Kunst und Unterhaltung“ so-wie „Rechtsberatung, Interessenvertretung, technische Büros“ zusammen-gefasst waren.210 In der Taxonomie der Berufsarten wiederum wurden fürdiese Wirtschaftsgruppen je eigene Berufe bestimmt, und zwar von „194Ärzte“ bis 219 Notare“. Dabei findet sich eine terminologische Be-sonderheit, die einen wesentlichen Hinweis enthält. Ganz im Sinn dieserKasuistik der Berufsarten, in der diese nicht in einer eigenen Hierarchieerfasst, sondern über die Hierarchieebenen der Wirtschaftsarten geordnetwurden, wurde die fortlaufend nummerierte Liste der Berufsarten unter-teilt durch Überschriften nach Art von „Berufe, die vorwiegend in [Wirt-schaftsgruppe ...] vorkommen“. Nur ein einziges Mal wurde es eindeutig:„Rechtsanwälte und Notare. 218 Rechtsanwälte. 219 Notare“ liest mananstelle des erwarteten ‚Berufe, die vorwiegend in der Rechtsberatung,Interessenvertretung, technischen Büros vorkommen‘. Hier schien außer-gewöhnlicherweise alles klar zu sein: Rechtsanwälte gehörten zu denRechtsanwaltskanzleien, Notare zu den Notariaten. Auf die der Wirt-schaftsgruppe XXIII. sonst noch zugehörenden Arbeitsplätze, nämlich die„176 [...] Patentanwaltskanzleien. 177 öffentlich-rechtliche und privateStandesvertretungen und Vereine (Kammern, Gewerkschaften, Berufsver-bände). 178 Private Vereinigungen anderer Art. 179 Technische Büros“wurde gar nicht eigens Bezug genommen. All die hier „vorwiegend vor-kommenden Berufe“, wurden in jener Oberkategorie der Berufsartenlistezusammengefasst, die als zweite aus dem sonst durchgehaltenen Schemaherausfiel, und zwar in der Kategorie „in verschiedenen Berufszweigenvorkommende Berufe“. Der Klarheit der Rechtsanwälte und Notare standso die Allgemeinheit von Technikern („239 Ingenieure. 240 Geometer.241 Zeichner. [...] 243 Nicht besonders ausgezählte technische Angestellte“– mit Ausnahme von Architekten und Baumeistern, die ja „vorwiegend“

210 Ergebnisse, Textheft, 1935, S. 87– 89 und 90 – 2.

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148 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

der Wirtschaftsgruppe Baugewerbe zugeschlagen werden konnten) und„249 Rechtskonsulenten“ entgegen – und dies ganz abgesehen davon,dass die Wirtschaftsabteilung freie Berufe ja noch die BeamtInnen, Selb-ständigen, Angestellten und ArbeiterInnen aus Kunst, Kultur, Unterrichtund Unterhaltung inkludierten.

Diese Definition kann also nicht einfach übernommen werden. Abersie wird im Folgenden auch durch keine andere ersetzt. Die verkammertenBerufe von Recht, Medizin (unter Einschluss der 1938 noch nicht ver-kammerten Tierärzte) und Technik sollen zu Beginn der berufspezifischenUntersuchungen dieses Bandes behandelt werden, und zwar, weil sie imschon erläuterten Sinn die höchsten Grade und die offiziellsten Arten vonBerufsnormalisierungen aufwiesen: Um dies darzulegen, sollen dieseBerufe in ihrem Verhältnis erstens zum Unternehmertum, zum Gewerbeund zur wirtschaftlichen Selbständigkeit, zweitens zur Angestelltenschaft,drittens zur staatlichen Bürokratie und viertens zum Modell einer ver-kammerten Selbstorganisation behandelt werden.

In dieser Perspektive wird es sinnvoll, zuerst einmal die im österrei-chischen Berufsleben von 1934 definierte Wirtschaftsabteilung der freienBerufe insgesamt kurz zu behandeln. Sie fasste das Gesundheitswesen,Rechtsberatung, Interessenvertretungen, technische Büros mit dem Erzie-hungs- und Bildungswesen sowie mit Kunst und Unterhaltung zusammen.Nimmt man die Lehrberufe aus, die als Ämter nicht notwendig im hierinteressierenden Rahmen fungieren müssen, so lassen die Berufsarbeitenunterschiedlichster Produktion und Zirkulation von offizieller Kulturzumindest nach wesentlichen Variablen und in groben Zügen im gegen-seitigen Vergleich beschreiben. (Graphik 12, S. 150)

All diese Berufe waren von außergewöhnlich kleinem numerischen Be-stand. Am umfangreichsten stellten sich noch die MusikerInnen, ÄrztIn-nen, IngenieurInnen und die RechtsanwätlInnen dar – in einem dochdeutlichen Abstand zu den anderen Berufen.

Das zweite Charakteristikum lässt sich sehr klar an den unterschiedli-chen Geschlechterrelationen erkennen. Waren die meisten dieser Berufeüberdurchschnittlich männlich, so fanden sich doch auch relativ klareTendenzen innerhalb der nach Fächern getrennten freien Berufe. So wardie männliche Ausschließlichkeit für die technischen und – in zweiterLinie – für die juristischen Berufe fast realisiert. Danach folgten die medi-zinischen Berufe, die in Bezug auf die Geschlechterratio den schreibenden

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Berufen sehr ähnlich sind. Alle anderen Fächer – Musik, dramatischesowie bildende Künste – wiesen einen doch deutlich höheren, zum Teilsogar auf alle Berufsträger bezogen stark überdurchschnittlichen Frauen-anteil auf. So lässt sich konstatieren, dass eine klare Trennung von dentechnischen, rechtlichen und medizinischen Berufen einerseits und denkünstlerischen Berufen andererseits durch die Geschlechterverteilungenerkennbar wurde. (Graphik 13, S. 154)

Drittens ergab auch die regionale Verteilung der Berufstätigen eindeutliches Muster. Bis auf Tierärzte, Notare und Geometer, die sich be-dingt durch ihre spezifische Tätigkeit nicht auf eine Berufsausübung inder Bundeshauptstadt konzentrieren konnten, wiesen alle Gruppen einenüberdurchschnittlichen Anteil von Berufsangehörigen auf, die ihrer Er-werbsarbeit in Wien nachgingen. Wiederum lässt sich eine deutlicheTrennung von einerseits künstlerischen und andererseits juridischen,medizinischen und technischen Berufen erkennen: Bei ersteren war dieKonzentration auf Wien noch viel klarer und stärker ausgeprägt. Nichtumsonst wiesen jene unter den technischen Berufen, die sich am meisteneiner künstlerischen Tätigkeit annäherten, nämlich die Architekten undZeichner, die noch stärkste Orientierung auf die Bundeshauptstadt imRahmen der letzteren auf. (Graphik 14, S. 156)

Zuletzt charakterisierten sich die freien Berufe auch noch durch einespezifische Verteilung in Bezug auf die Berufsstellungen der Berufsträger.Überproportional vertreten – in Relation zur Gesamtverteilung für alleBerufsträger – waren fast ausschließlich Selbständige und Angestellte. Mit-helfende Familienangehörige und Lehrlinge, vor allem jedoch ArbeiterIn-nen fanden sich in diesen Berufen weniger, als zu erwarten gewesen wäre.Darüber hinaus bietet diese Verteilung eine weitere Möglichkeit, dieseBerufe zu differenzieren. Je mehr sich die Berufe eines Faches (Recht, Me-dizin, Technik, Künste) jener Idee der kulturellen Freiheit annäherten, dieihre Zusammenfassung zu einer Oberkategorie offensichtlich auch mit-bestimmt hatte, je mehr sie sich damit von anderen Referenzen, und inallererster Linie vom Kommerz und dem Verwaltungsdienst entfernten,umso deutlicher waren sie durch Selbständigkeit anstelle von Angestellten-verhältnissen charakterisiert. Solch ein größeres numerisches Gewicht vonSelbständigkeit in Relation zur abhängigen Erwerbsarbeit kennzeichnetedie RechtsanwältInnen im Vergleich mit den Notaren, die Ärzte im Ver-gleich mit ApothekerInnen, Zahn- und TierärztInnen, ArchitektInnen und

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211

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156 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

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158 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Baumeister im Vergleich zu IngenieurInnen, Geometern und ZeichnerIn-nen, bildende KünstlerInnen zuletzt im Vergleich zu darstellenden. Undnicht zufällig stellten die beiden einzigen Berufe, die einen zwar geringen,aber dennoch überproportionalen Anteil von Lehrlingen aufwiesen, näm-lich Zahntechniker und Photographen, Tätigkeiten dar, bei denen nichtso klar war, ob die Freiheit der freien Berufe nicht schon aufgehört und dieBindungen des Gewerbes begonnen hatte.

Diese Freiheit, so kann diese kurze Untersuchung zusammengefasstwerden, lässt sich somit als eine mehrdimensionale fassen: eine wirtschaft-lich-unternehmerische und eine kulturell-produktive.214 Sie definierte sichdurch betriebsökonomische Selbständigkeit ebenso wie durch fachlich-spezialisierte Produktions- und Entscheidungskompetenz: die Kanzlei,die Praxis und das Atelier waren ihre Orte. Darüber hinaus wird jedochebenso deutlich, dass es sich bei diesen Berufen um ein Spektrum vonVariationen und Kontrasten handelt, denn es lassen sich auch andereReferenzen nachweisen (zum Beispiel die Orientierung an der staatlichkontrollierten Bürokratie, wie sie für ApothekerInnen und Notare wesent-lich war), und die wechselseitige Gewichtung von Ökonomie und Kulturschien auch sehr variabel.

Es lässt sich hier zunächst einmal festhalten, dass sich die freien Berufeim Berufsleben 1934 durch eine insgesamt stark dominante Position imZusammenhang möglicher Erwerbsarbeit auszeichneten: der Männeran-teil war im Grossen und Ganzen außergewöhnlich hoch, die Konzentra-tion auf die Bundeshauptstadt außergewöhnlich stark und der Bezug aufdas wirtschaftlich dominante Modell von Selbständigkeit sowie gleichzei-tig auf das kulturell dominante Modell der Schöpfung deutlich ausgeprägt.Über genau diese Variablen differenzierten und hierarchisierten sich dieseBerufe jedoch auch untereinander. Der deutliche Gegensatz von juridi-schen, medizinischen und technischen Berufen einerseits und künstleri-schen andererseits wurde durch eine Hierarchisierung nach den Abständenzur Referenz der Berufsfreiheit ergänzt. In welcher Gewichtung dabei dieOrientierung auf Ökonomie und Kultur zueinander standen, welche, kurz

214 Ein Befund, der im übrigen interessanterweise sogar die partikulare Position der „pro-fessions libérales“ im sozialen Raum Frankreichs der 1960er bestimmte und sich daherals längerfristige und wesentliche Referenz für diese Art, Beruf zu tun, begreifen las-sen könnte, vgl. Pierre Bourdieu: La distinction. Critique sociale du jugement. Paris1979, zum Beispiel S. 296.

Page 159: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

gesagt, von diesen beiden Referenzen mehr zählte als die andere, ist eineFrage, deren wissenschaftliche Beantwortung eine andere Experimental-konstruktion verlangen würde.215

Die freien Rechts-, Medizin- und Technikberufe stellten sich nach derVolkszählung von 1934 vor allem als Sache männlicher Selbständigerdar. Angestellte dominierten quantitativ nur bei den ZeichnerInnen (89Prozent), IngenieurInnen (85 Prozent), Geometern (75 Prozent) undApothekerInnen (61 Prozent). Tierärzte wiesen mit 4 Prozent und Zahn-ärztInnen mit zehn Prozent hingegen die meisten Selbständigen auf (Mit-helfende Familienangehörige und ArbeiterInnen fielen bei all diesenBerufen so gut wie überhaupt nicht ins Gewicht). Die übrigen Beruferangierten zwischen diesen Werten: von den ArchitektInnen (35 Prozent),RechtsanwältInnen, ZahntechnikerInnen (beide 38 Prozent) und Bau-meisterInnen (40 Prozent) zu den Notaren und ÄrztInnen (42 Prozent). DieGeschlechterration wiederum war durchwegs extrem ausgeprägt: von denTierärzten, Notaren und Geometern, bei denen es nur Männer gab, überdie ZeichnerInnen, ZahntechnikerInnen, IngenieurInnen und Bau-meisterInnen, bei denen die Frauem um die fünf Promille ausmachten,über die ArchitektInnen und RechtsanwältInnen, die ein quantitativesGeschlechterverhältnis von 2 : 98 beziehungsweise 3 : 97 aufwiesen, zu denÄrztInnen (9 Prozent Frauen), ZahnärztInnen (13 Prozent) und zuletzt denApotherkeInnen (19 Prozent). (Graphik 15, S. 160)

Die Charakteristik dieser Berufe als vor allem männlich und selbstän-dig lässt sich allein mit den beiden genannten Merkmalen noch besserverdeutlichen, wenn man sie nach fachlichen Zusammengehörigkeitengruppiert. Tatsächlich wiesen Recht, Medizin und Technik als Berufs-sparten genug Kohärenz auf, um trotz aller Differenzierungen zwischenden jeweils möglichen Berufsgruppen ein je einheitliches Bild zu geben.(Graphik 16, S. 160)

Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik 159

215 Diese wird im Rahmen der Eigenforschungen der ProjektmitarbeiterInnen schon seiteiniger Zeit vorbereitet, vgl. zB Bürgerlichkeit im Raum der Habsburgermonarchie –Kontinuitäten und Brüche 1900 – 1995. Österreich. Endbericht des Forschungspro-jekts im Rahmen des Millenniumsprojekts ‚Grenzenloses Österreich‘ unter der Leitungvon Univ.-Prof. Dr. Hannes Stekl und Univ.-Prof. Dr. Ernst Bruckmüller, Bearbeiter:Peter Melichar, Ulrike Döcker und Alexander Mejstrik. Wien 1999.

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160 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Graphik 15: Freie Berufe (Recht, Medizin Technik) nach Berufstellung undGeschlecht 1934 (Bestand)216

216 Vgl. Tabelle 90, S. 658.217 Vgl. Ebenda, eigene Berechnung.

Graphik 16: Freie Berufe (gruppiert nach Recht, Medizin Technik) nach Ange-stellten- und Frauenprofilen 1934 (Frequenzen in Prozent)217

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Nur die technischen Berufe wiesen einen – im Rahmen all dieser Be-rufsgruppen – überproportionalen Anteil an Angestellten auf, nur die me-dizinischen einen (stark) überproportionalen Anteil an Frauen. Die freienRechtsberufe hingegen konzentrierten beide Merkmale klar auf sich, näm-lich Berufe selbständiger eigens ausgebildeter Männer zu sein. Notare undRechtsanwältInnen stellten auch die beiden am weitesten und am diffe-renziertesten normalisierten Berufe dar, als nach dem März 1938 die völ-kische Neuordnung mit aller Gewalt eingeleitet wurde.

Neben der BeamtInnenschaft gehörten die Rechtsanwaltschaft, dasNotariat, die Verteidigung in Strafsachen und die Patentanwaltschaft zuden ersten Berufen, die von den Nationalsozialisten nach rassischen undpolitischen Kriterien neugeordnet wurden.218 Mit der Verordnung überdie Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare und Patent-anwälte in Österreich vom 31. März 1938219 begannen offiziell die Berufs-schädigungen (vorher hatte es auch schon ohne administrativen RahmenSäuberungen gegeben), wobei es sich bei dieser Maßnahme um ein vor-läufiges Berufsverbots handelte: Sie bestimmte, dass jüdischen Rechtsan-wältInnen, VerteidigerInnen, Notaren und PatentanwältInnen in Österreichdie Ausübung ihres Amtes untersagt werden konnte. Ausnahmen warenfür jene Personen vorgesehen, die bereits vor dem 1. August 1914 in denListen der entsprechenden Kammern eingetragen worden waren, die imErsten Weltkrieg als Frontkämpfer gekämpft oder Väter beziehungsweiseSöhne verloren hatten.

Tabelle 7: Freie Rechtsberufe – gesetzliche Regelungen der Berufsschädigungen

– Verordnung über die Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Verteidiger, Notareund Patentanwälte in Österreich vom 31. März 1938, RGBl I S. 353f.

– Zweite Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare imLande Österreich vom 11. Juni 1938, RGBl I S. 622.

– Dritte Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Rechtsanwalts-anwärter und Verteidiger in Strafsachen in Österreich vom 27. September1938, RGBl I S. 1406.

– Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27. September 1938, RGBl IS. 1403 – 1406.

Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik 161

218 Ein kurzer Überblick findet sich in Sedlak, Ausgrenzung, S. 23 – 33.219 Vgl. RGBl I 1938, S. 353f.

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162 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

– Verordnung über Angelegenheiten der Patentanwälte im Lande Österreichvom 31. Oktober 1938, RGBl I S. 1548f.

– Vierte Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Rechtsanwalts-anwärter und Verteidiger in Strafsachen im Lande Österreich vom 23. Februar1939, RGBl I S. 294.

– Fünfte Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Rechtsanwalts-anwärter und Verteidiger in Strafsachen im Lande Österreich vom 3. April1939, RGBl I S. 708.

Die Materialien im Bürckel-Bestand des Österreichischen Staatsarchivsdokumentieren die Auseinandersetzungen über die juristische Legitimationder Berufsverbote bei den freien Rechtsberufen.220 Anlass zu zahlreichenInterventionen und Modifikationen der Gesetzgebung gaben vor allemdie Säuberungen in der Rechtsanwaltschaft und der Patentanwaltschaft,während die Enthebungen bei den Notaren und Notariatskandidatenkaum von besonderen offenen Kontroversen zeugen.

Die Verwaltung der diversen juristischen Vereinigungen und Verbändeübertrug Reichskommissar Josef Bürckel mit 29. März 1938 dem kommis-sarischen Leiter Dr. Hans Mann. Zwischen 15. und 30. Juli 1938 wurden55 juristische Vereine mit einem Gesamtvermögen von 30.142 RM in denRechtswahrerbund eingegliedert.221

Bereits vor dem 22. März 1938 lag ein Entwurf zur Begutachtung vor,der vorläufige Verbote der Berufsausübung durch Juden (§ 1) und jenen,die sich „nicht voll für den neuen Staat einsetzen“ (§ 6), zum Gegenstand

220 Vgl. ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 41, 1815 Rechtsanwälte, Notare, Devisen-berater, 1815/1 Ausschaltung der Juden aus Rechtsanwaltschaft, Notariat und Straf-verteidigung, 1815/3 Arisierung der Rechtsanwaltschaft: Übersiedlung von Rechts-anwälten aus den Alpenländern nach Wien, 1815/4 Rechtsanwälte in der Wirtschaft,als Verwaltungsräte usw., 1815/7 Rechtsanwälte aus dem Altreich als Devisenberaterusw., 1815/8 Besetzung erledigter Notariate, 1815/10 Vereinheitlichung des Anwalts-rechts: Einführung der Reichsrechtsanwaltsordnung in der Ostmark, 1815/10/1Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare im Lande Österreich: Zweite, dritteund vierte VO, 1815/10/2 Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare im LandeÖsterreich: Fünfte VO, politische Unzuverlässigkeit, 1815/11 VO über die Befähi-gung zum Richteramt, zur Staatsanwaltschaft, Rechtsanwaltschaft und Notariat und1815/13 Patentanwälte in Österreich.

221 Vgl. Rechtswahrerbund / Landesführung Österreich, Schreiben vom 4. August 1938,ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 9-B2 (16.).

Page 163: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

hatte.222 Ausnahmen von den Regelungen des ersten Paragraphen (Abs. 2)waren für Personen vorgesehen, die bereits vor 1914 in die Liste derRechtsanwaltskammer eingetragen worden waren oder als Frontkämpfergalten. Die Auswirkungen und der Umfang der Berufsverbote für Judeninnerhalb der Rechtsanwaltschaft war den Behörden bekannt. Laut Dr.Hugo Weber, einem Begutachter des Gesetzesentwurfs,223 belief sich derMitgliederstand der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreichund Burgenland am 20. März 1938 auf 2.527 RechtsanwältInnen (derStand vom 1. August 1914 hatte 1.936 betragen), 1936 wären 1.281 Voll-juden und 655 Arier unter den Mitgliedern der Wiener Kammer zu zählengewesen. Nach den vorgeschlagenen Regelungen hätten 1.250 jüdischeund 650 arische Rechtsanwälte (fünf wären aus politischen Gründen ent-lassen worden) im Amt bleiben dürfen.224 In Wien wären damit nur 300arische Rechtsanwälte verblieben, ein Mangel, der durch den Zuzug von500 bis 600 AnwältInnen aus den Bundesländern kompensiert hätte wer-den sollen.225

Der Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit demDeutschen Reich, Josef Bürckel, stimmte einem solchen Erlass zwar grund-sätzlich zu, intervenierte aber mit Blick auf die Abstimmung am 10. April1938 zugunsten der Mischlinge. Und auch Berufsverbote aus „politischenGründen“ seien – eben aus politischen Rücksichten – zu diesem Zeitpunktnicht angebracht.226 Seine Verordnung227 schuf allerdings – im Gegensatz

Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik 163

222 Eine Besprechung in dieser Angelegenheit hatte am selben Tag stattgefunden; vgl.Schreiben von Dr. Hugo Weber /Wien an Bürckel, z.Hd. Regierungsrat Dr. Reischauervom 23. März 1938, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/1 Ausschaltung der Judenaus Rechtsanwaltschaft und Notariat und Strafverteidigung.

223 Weber war Rechtsanwalt in Wien und Staatsanwalt beim Sondergericht in München.224 Schreiben von Dr. Hugo Weber /Wien an Bürckel, z.Hd. Regierungsrat Dr. Reischauer

vom 23. März 1938, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/1 Ausschaltung der Judenaus Rechtsanwaltschaft und Notariat und Strafverteidigung.

225 Vgl. Übersiedlung vom RA aus den Alpenländern nach Wien, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/3 Arisierung der Rechtsanwaltschaft.

226 Im Namen des Reichsjustizministeriums Landgerichtsdirektor Dr. Kuhn (derzeitWien I, Stubenring 1) an Barth vom 30. März 1938, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie,1815/1.

227 Vgl. Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Verordnungüber Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare und Patentanwälte inÖsterreich vom 31. März 1938 bekanntgemacht wird, LGBl. Nr. 64; und Zeitungsnotiz(ohne Quelle) vom 4. April (?) 1938, GBlÖ, 4. April 1938, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/1.

Page 164: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

164 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

zum Entwurf – ausschließlich vorläufige Berufsverbote für Juden undJüdinnen. Als Modell für deren Festschreibung diente der Führererlassüber die Beamtenvereidigung vom 15. März 1938.228 Die Bestimmungengalten sinngemäß auch für Notare, und der Bundesminister für Handelund Verkehr konnte eine entsprechende Verordnung für PatentanwältIn-nen erlassen. Die „definitive“ Ausschaltung von Juden und Jüdinnen ausden freien Rechtsberufen wurde im August 1938 anvisiert.229

Bei den PatentanwältInnen kritisierte der Referent des Reichskommis-sariats, Barth, in einem Schreiben an das Reichsinnenministerium, dass inder Verordnung vom 31. März 1938 mit dem § 9 zwar die Möglichkeitgeschaffen worden sei, jüdischen Kammermitgliedern die Berufsausübungzu untersagen, sich insgesamt jedoch nur „eine ganz geringfügige Zurück-drängung des jüdischen Einflusses“ ergeben hätte.230 Das Problem bestandlaut Barth dabei in dem Umstand, dass die österreichweit tätigen An-wältInnen durch Einführung des deutschen Patentrechtes in der Ostmark,das die Auflösung des österreichischen Patentamtes vorsah, einen Großteilihrer Einkommensmöglichkeiten verlieren würden.231 „Hier muß meinesErachtens unbedingt für den Bestand der deutschen Patentanwälte inÖsterreich eingegriffen werden“, meinte er und schlug vor, dem Ministerfür Handel und Verkehr zu gestatten, jüdischen PatentanwältInnen dieBerufsausübung in größerem Ausmaß zu untersagen, sowie die Ausnahme-regelungen für Juden und Jüdinnen in einer Neufassung der Verordnungzu streichen.

Die weiterhin geführten Debatten über eine Novellierung der Verord-nung vom 31. März 1938 zeigen, dass die Probleme der Neuzulassungzu den freien Rechtsberufen für die „Wiener Stellen“ „nicht befriedigend“gelöst worden waren.232 Die Zweite Verordnung regelte dies für die Rechts-anwaltschaft und das Notariat und übertrug die Zulassungskompetenz

228 Vgl. Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereidigung der Beamten des Lan-des Österreich. Vom 15. März 1938, RGBl I S. 245f.

229 Kopie des Schreibens des Reichsjustizminister an Bürckel vom 1. August 1938, ÖStAAdR 04, Bürckel-Materie, 1815/1.

230 Zu den konkreten Zahlen vgl. Kapitel 3.3. PatentanwältInnen, S. 227.231 Barth rechnete der Reichsbehörde einen Einkommensentfall von 75 Prozent vor.232 Brief und Gesetzentwurf. Reichsminister der Justiz, Schlegelberger an Reichs- und

Preußischen Minister des Innern und den Stellvertreter des Führers vom 6. Mai 1938,ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/1 Angelegenheiten der Rechtsanwälte undNotare im Lande Österreich. 2., 3. und 4. VO.

Page 165: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

von den Kammern auf die Justizverwaltung.233 Gleichzeitig arbeiteten diereichsdeutschen Behörden an der Vereinheitlichung der Rechtsgrundlagenfür die völkische Neuordnung dieser Berufe.234 Die Dritte Verordnungsollte daher eine Regelung nach dem Modell der Zulassung zur Rechts-und Patentanwaltschaft vom 7. und 22. April 1933235 für Österreich brin-gen. Sie wurde erstmals am 6. Mai 1938 zur Begutachtung ausgesandt.236

In den Gutachten eines Beamten des Reichskommissariates für dieWiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich zum Entwurfder dritten Verordnung wurden die allzu geringen Änderungen bei denMöglichkeiten kritisiert, Juden beruflich auszuschließen: „Es gefällt mirjedoch an dem Entwurf nicht, daß, soweit Juden betroffen sind, die ge-genüber der Ersten Verordnung vorgenommenen Einschränkungen sogering sind, dass sie nach meinen Feststellungen an der Gesamtzahl dernoch zugelassenen jüdischen Anwälte kaum etwas ausmachen.“237 Als Ver-besserungsvorschlag schlug der Referent die Streichung aller Ausnahme-regelungen für Juden, Jüdinnen und jüdische Mischlinge vor. DerenLöschung aus den Kammerlisten sollte als Kann-Bestimmung zur Ermes-sensfrage des Reichsministers für Justiz werden. In Sachen der Patent-anwältInnen intervenierten die österreichischen Behörden immer wiederbei den Reichsbehörden und drängten auf eine Reglementierung der Be-

Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik 165

233 Vgl. Zweite Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare imLande Österreich vom 11. Juni 1938, RGBl I S. 622.

234 „2. Wegen der Juden meinte Sommer, dass er ihnen bereits gesagt habe, Österreichsolle sich jetzt nach dem Reich richten.“ Fernschreiben von Min. Rat Dr. Müller(Braunes Haus, München) an Reischauer, Wien (RK) vom 17. Mai 1938 (Nr. 109),ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/1 Angelegenheiten der Rechtsanwälte undNotare im Lande Österreich. 2., 3. und 4. VO.

235 Vgl. RGBl I Nr. 188 und 217.236 Reichsjustizministerium/Österreich (Kuhn) an Bürckel vom 1. Juli 1938 wg. Zustim-

mung/Begutachtung einer Verordnung „über das Ausscheiden der Juden aus derRechtsanwaltschaft und über die rechtliche Beratung und Vertretung von Juden“ undd. 3. VO über Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsanwärter und Ver-teidiger in Strafsachen in Österreich, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/1Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare im Lande Österreich. 2., 3. und 4. VO.

237 RK (Rei/Sk.) [Reischauer?] an Reichsminister der Justiz, Abt. Österreich, Landge-richtsrat Kuhn vom 19. Mai 1938 betreffend 3. VO über Angelegenheiten der Rechts-anwälte, Verteidiger, Notare und Patentanwälte in Österreich, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/1 Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare im LandeÖsterreich. 2., 3. und 4. VO.

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166 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

rufsausschlüsse:238 Mit der Dritten Verordnung hätte in jedem Falle dieMöglichkeit einer völligen Befreiung des Berufs zumindest „von jüdischenElementen“ geliefert zu werden.239

Am 28. Juni allerdings bezeichnete der Reichsminister für Justiz denEntwurf ohnehin als überholt: „Es sollte vermieden werden, der für dasAltreichsgebiet zu lösenden Frage des Ausscheidens der zur Zeit noch inder Anwaltschaft befindlichen Anwälte und Frontkämpferanwälte durchMaßnahmen für das Land Österreich vorzugreifen.“240 Die Dritte Verord-nung stellte analog zu den Bestimmungen für Ärzte eine „endgültige“Lösung für das gesamte Reich in Aussicht. Das Modell für die rassischeFestschreibung bildete dabei das Reichsbürgergesetz.241 Für die Berufsver-bote bei Notaren und Notariatskandidaten sollte hingegen die Verord-nung zur Neuordnung des Österreichischen Berufsbeamtentums (BBV)vom 31. Mai 1938 zur Anwendung kommen, die völkische Neuordnungder Patentanwaltschaft schließlich gesondert geregelt werden.242

Der Briefwechsel thematisierte auch die Schwierigkeiten einer einheit-lichen Umsetzung von Berufsverboten in der Ostmark und im Altreich,wo die Löschungen früher und für etwa 1.750 (oder zehn Prozent der)RechtsanwältInnen erfolgt waren, ohne dass dadurch Probleme bei denrechtlichen Vertretungen aufgetreten wären. Die Arisierung des Rechts-anwaltsberufs würde zwar außerhalb Wiens keinerlei Schwierigkeitenbereiten, und die Frist sei bis 31. Dezember 1938 erstreckt worden, für

238 Vgl. RK (Reischauer) an Reichsminister Justiz (Kuhn) vom 11. Juli 1938, ÖStA AdR04, Bürckel-Materie, 1815/10/1 Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare imLande Österreich. 2., 3. und 4. VO.

239 Vgl. RK (Rei/Sk.) an Reichsminister der Justiz, Abt. Österreich, Landgerichtsrat Kuhnvom 19. Mai 1938, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/1 Angelegenheiten derRechtsanwälte und Notare im Lande Österreich. 2., 3. und 4. VO.

240 Erster Begleitbrief d. Reichsministers für Justiz, Berlin (Freisler) an Reichsministerdes Innern, Stellvertreter des Führers Heß, Reichskommissar Bürckel vom 28. Juni1938 betreffend 3. VO über Angelegenheiten der Rechtsanwälte usw. in Österreich,ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/1 Angelegenheiten der Rechtsanwälte undNotare im Lande Österreich. 2., 3. und 4. VO.

241 Vgl. Reichsjustizministerium / Österreich (Kuhn) an Bürckel vom 1. Juli 1938 wg.Zustimmung /Begutachung einer Verordnung „über das Ausscheiden der Juden ausder Rechtsanwaltschaft und über die rechtliche Beratung und Vertretung von Juden“und d. 3. VO über Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsanwärter undVerteidiger in Strafsachen in Österreich, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/1Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare im Lande Österreich. 2., 3. und 4. VO.

242 Vgl. ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/1.

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Wien jedoch müsse eine Sonderregelung gelten, da von 2.100 AnwältInnen1.600 als Juden zu gelten hätten. Für eine widerrufliche Zulassung kämenvor allem Frontkämpfer und Mischlinge (mit Ausnahme der, wie es hieß,Ostjuden) in Frage. Die Betreuung der jüdischen Klientel durch Konsu-lenten wurde auch erwogen.243

Die Löschung der jüdischen RechtsanwältInnen aus den Kammer-listen wurde durch die Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom27. September 1938 mit 31. Dezember festgelegt:

„§1 Juden ist der Beruf des Rechtsanwalts verschlossen. Soweit Juden noch Rechts-anwälte sind, scheiden sie nach Maßgabe der folgenden Vorschriften aus derRechtsanwaltschaft aus. [...]b) Im Lande Österreich:1. Jüdische Rechtsanwälte sind spätestens bis zum 31. Dezember 1938 auf Ver-

fügung des Reichsminister der Justiz in der Liste der Rechtsanwälte zu löschen.2. Bei Juden, die in der Liste der Rechtsanwaltskammer in Wien eingetragen

sind, kann jedoch, wenn ihre Familie seit mindestens fünfzig Jahren imLande Österreich ansässig ist und wenn sie Frontkämpfer sind, von derLöschung vorläufig abgesehen werden. Den Zeitpunkt der Löschung be-stimmt in diesem Falle der Reichsminister der Justiz.“244

Die Verordnung regelte ebenfalls die Zulassung als Konsulent (§ 8 bis14). Ausnahmebedingungen für jüdische Mischlinge wurden am selbenTag in der Dritten Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte,Rechtsanwaltsanwärter und Verteidiger in Strafsachen formuliert:

„§1 Jüdische Mischlinge können bis zum 31. Dezember 1938 in der Liste derRechtsanwälte gelöscht werden. Dies gilt nicht für Rechtsanwälte, derenFamilie seit mindestens 50 Jahren im Lande Österreich ansässig ist,wenn sie Frontkämpfer sindwenn ihre Väter oder ihre Söhne im Weltkrieg gefallen sind oderwenn sie bereits seit dem 1. August 1914 in der Liste der Rechtsanwälte ein-getragen sind.“

Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik 167

243 Vgl. Reichsminister der Justiz, Berlin (Freisler) an Stellvert. des Führers /Heß, Reichs-minister des Innern, Reichsminister der Finanzen vom 28. Juni 1938 betreffend Aus-scheiden der Juden aus der Anwaltschaft, Rechtliche Beratung und Vertretung vonJuden, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/1.

244 Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27. September 1938, RGBl I S. 1403 –1406, hier: 1403.

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168 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Der § 2 definiert die politischen Gegner:

„Rechtsanwälte, die gegen die nationalsozialistische Bewegung und ihreAnhänger gehässig aufgetreten sind, die ihre Stellung oder ihren Einflussdazu missbraucht haben, um völkisch gesinnte Volksgenossen zu verfolgen,zurückzusetzen oder sonst zu schädigen, oder die in anderer Weise als Feindeder nationalsozialistischen Bewegung tätig geworden sind, können bis zum31. Dezember 1938 in der Liste der Rechtsanwälte gelöscht werden.“245

Auf dieselbe Weise verfuhren die Gesetzgeber bei den Berufsverbotenfür PatentanwältInnen: Die sechste Verordnung zum Reichsbürgergesetzvom 31. Oktober 1938 setzte das Berufsverbot für jüdische Berufsangehö-rige um und verbot jüdischen Konsulenten die Vertretung in Patentange-legenheiten.246 Eine eigene Verordnung bestimmte den Ausnahmestatusjüdischer Mischlinge.247 Die vierte und fünfte der Rechtsanwaltsverord-nungen vom Februar respektive April 1939 verlängerten jeweils die Fristenfür die Löschung von AnwältInnen beziehungsweise AnwärterInnen, dieals Feinde der nationalsozialistischen Bewegung eingestuft wurden.248 Ver-suche enthobener RechtsanwältInnen, ihren Unterhalt als Devisenberaterfür Flüchtende zu verdienen (für diese Tätigkeit war seit 30. September1938 keine Genehmigung des Reichsstatthalters notwendig), wurdenebenfalls von den Behörden registriert.249

245 Dritte Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsanwär-ter und Verteidiger in Strafsachen in Österreich vom 27. September 1938, RGBl IS. 1406.

246 Vgl. Sechste Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 31. Oktober 1938, RGBl IS. 1545f.

247 Vgl. Verordnung über Angelegenheiten der Patentanwälte im Lande Österreich, vom31. Oktober 1938, RGBl I S. 1548f.

248 Vgl. Vierte Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsan-wärter und Verteidiger in Strafsachen im Lande Österreich vom 23. Februar 1939,RGBl I S. 294 und Fünfte Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Rechts-anwaltsanwärter und Verteidiger in Strafsachen im Lande Österreich vom 3. April 1939,RGBl I S. 708.

249 „Die Devisenstelle Wien ist daher nicht mehr in der Lage, die Tätigkeit von Devisen-beratern im Lande Österreich zu verhindern. Um zu vermeiden, dass ungeprüfte undunkontrollierte Elemente, insbesondere auch aus jüdischen Kreisen vgl. Ziff. 2 meinesSchreibens vom 16. August 1938 den Beruf des Devisenberaters im Lande Österreichergreifen, bitte ich, erneut für eine unverzügliche Einführung der Verordnung Sorgezu tragen.“ Reichswirtschaftsminister/Berlin (Illgner) an Reichsminister des Innern

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3.1. Notare

Die Recherchen zu Berufschädigungen im Österreichischen Notariat führ-ten zu den im Sinne der Ausgangsfragen noch genauesten Antworten.Erstens war diese Berufsgruppe so klein, dass eine Gesamterhebung mög-lich erschien. Und zweitens wies das Notariat von allen untersuchenBerufsgruppierungen sicherlich die ausgeprägteste Normalisierung auf:Es war in einer Selbstverwaltung nach Kammern organisiert und unter-stand gleichzeitig eine äußerst strengen Kontrolle von Seiten des Staates.

Der Beruf des Notars war gesetzlich sehr genau definiert; der Zugangsehr genau reglementiert. Die geltende Notariatsordnung von 1871 be-stimmt den Notar „als öffentlich beglaubigte Person, welche über Rechts-erklärungen und Rechtsgeschäfte oder über Tatsachen, aus welchen Rechteabgeleitet werden, Urkunden aufzunehmen und auszufertigen bestelltist“.250 Ein Notar wurde vom Bundesminister für Justiz ernannt. Wer diesenBeruf anstrebte, musste nach dem Studium der Rechtswissenschaften einelangjährige Ausbildung als Notariatskandidat in der Kanzlei eines Notarsabsolvieren.

Die Berufsgruppe war in Kammern mit stark zünftischer Orientierungorganisiert. Die Salzburger Notare etwa beanspruchen für sich eine 700-jährige Tradition, obwohl das Berufsbild erst durch die Notariatsordnungvon 1850 festgelegt worden war.251 Seit 1850 bestand auch die Notariats-kammern als Standesvertretung. Die Notare verfügen damit neben denÄrzten über eine der ältesten Institutionen zur Vertretung beruflicher In-teressen.252

Notare 169

vom 8. November 1938 (Abschrift) und Schreiben des RK (IIIC Dr. v.B/W) an Reichs-statthalter in Österreich vom 24. August 1938 betreffend VO über die Einführungder VO über die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Devisensachen im Lande Öster-reich, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/7/1 VO über die geschäftsmässige Hilfe-leistung in Devisensachen im Lande Österreich.

250 Christian Neschwara: Geschichte des österreichischen Notariats. Bd. 1: Vom Spät-mittelalter bis zum Erlaß der Notariatsordnung 1850. Wien 1996, S. 1.

251 Vgl. August Meyer: 700 Jahre Notare in Salzburg, in: Heinz Dopsch, Hg.: Vom Stadt-recht zur Bürgerbeteiligung. Festschrift 700 Jahre Stadtrecht von Salzburg. Salzburg1987, S. 126 – 133.

252 Vgl. Neschwara, Geschichte, S. 612f.

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170 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Tabelle 8: Rechtsanwälte und Notare 1921 und 1934 (Bestand)253

Rechtsanwälte Notare 1921 Gesamt 2.315 316

Wien 1.672 75 Niederösterreich 163 73 Oberösterreich 102 53 Salzburg 36 18 Steiermark 177 51 Kärnten 44 24 Tirol 97 17 Vorarlberg 24 5

1934 Gesamt 5.333 557

1938 existierte in jedem Bundesland ein Notariatskollegium, das ausder Gesamtheit der Notare und Notariatskandidaten eines Bundeslandesbestand. Den organisatorischen Überbau des Kollegiums bildeten die No-tariatskammern, deren Mitglieder aus dem Kreis des Notariatskollegiumsgewählt wurden und an deren Spitze ein Präsident und dessen Stellver-treter standen. Die Länderkammern waren in einem österreichischen De-legiertentag zusammengefasst.

Auf Grund der geringen Zahl von Notaren und Notariatskandidatenund der guten Quellenlage wurde eine Gesamterhebung durchgeführt.Namensverzeichnisse der in Österreich tätigen Notare finden sich sowohlim Amtskalender als auch in von den Notariatskammern publiziertenListen254. Die besonders ausgeprägte Berufsorganisation machte eine Un-tersuchung nationalsozialistischer Berufsschädigung noch relativ einfach.

Ausgangspunkt für die Erhebungen waren die Listen desAmtskalenders von 1937 (331 Nennungen). Die mit Hilfe dieser Listenerstellte Datenbank enthält einen systematischen Vergleich der Angabenin den Amtskalendern von 1937 und 1938 mit den von der Kammernpublizierten Listen von 1937/38, 1938, 1939, 1940 und 1942.255 Die

253 Vgl. Statistisches Handbuch für die Republik Österreich. Wien 1921, S. 119 und Er-gebnisse Volkszählung 1935, Textheft, S. 168.

254 Diese Listen vermerken auch die Notariatskandidaten.255 Vgl. Verzeichnis der Notariatskollegien und Notariatskammern sowie der öffentli-

chen Notare und Notariatskandidaten in Deutsch-Österreich nach dem Stande vom

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Datenbank der Notariatskandidaten (231 Erhebungseinheiten) wurdeausgehend von den verschiedenen Kammerlisten erstellt. Der Vergleichder Jahresnennungen führte zur Erstellung einer Liste ausgetragenerNotare und Notariatskandidaten, mit der es möglich wurde, die BBV-Bescheide durchzusehen und eine erste Übersicht über die Enthebungenzu erarbeiten. Dieser Arbeitsschritt wurden mit Recherchen in denArchivalien des österreichischen Staatsarchivs,256 der Kammerarchive257

und des Archivs der Versicherungsanstalt des österreichischen Notariatsabgeschlossen.

Im Archiv der Kammer für Wien, Niederösterreich und das Burgen-land wurden die Personalakten der aus den Listen verschwundenen No-tare, weiters für alle Notare die Informationen aus den Personalbüchernder Notare und Notariatskandidaten erhoben (biographische Angaben).Zu einigen Notaren konnten im Archiv der Versicherung des österrei-chischen Notariats noch Personalakten (zum Teil von Hinterbliebenen)gefunden werden, in denen für das Projekt relevante Einkommensdatenvermerkt sind. Zu den KandidatInnen waren in der Regel weit wenigerInformationen zu finden, auch der Umfang der Personalakten differierthier stark. Systematisch wurden auch die Vermögensanmeldungen derenthobenen Notare gesucht und allenfalls deren Informationen in die

Notare 171

31. Dezember 1937 (ergänzt bis März 1938), hg. v. Delegiertentage der österreichischenNotariatskammern (Bibliothek der Handelskammer für Wien). o.O. o.J., Verzeichnisder Notariatskollegien und Notariatskammern sowie der öffentlichen Notare undNotariatskandidaten im Lande Österreich nach dem Stande vom 31. Dezember 1938(ergänzt bis Anfangs März 1939), hg. v. Delegiertentage der österreichischen Notariats-kammern. o.O. o.J., Verzeichnis der Notarkammern sowie der Notare und Notaras-sessoren in der Ostmark, nach dem Stande vom 31. Dezember 1939 (ergänzt bis An-fang März 1940), hg. v. der Notarkammer in Wien. o.O. o.J. und Verzeichnis derNotarkammern, Notare und Notarassessoren in den Reichsgauen der Donau- undAlpenländer nach dem Stande vom 31. Dezember 1942, hg. v. Präsidenten der Notar-kammer in Wien. o.O. o.J.

256 ÖStA AVA, BMJ, II/1-2+Vz, 1926-(Auszeichnungen von RA und Notaren 1927–1938); AVA, BMJ, II/6-15+Vz, 1926-(Anrechnung von Dienstzeiten, Statistiken,Disziplinarangelegenheiten); AVA, BMJ, Graz II/1-14 +Vz, 1926 (Disziplinarberichte,„Wiedergutmachung“, Beschwerden); Wien II/5 +Vz, 1926-(Beschwerden, Disziplinar-angelegenheiten); AVA, BMJ, Innsbruck II/1-14 +Vz 1926-(Disziplinarberichte, Be-schwerden, Auszeichnungen).

257 Benutzt wurden die Archive der Notariatskammern für Wien, Niederösterreich undBurgenland in Wien, für Oberösterreich in Linz, für Salzburg in Salzburg und fürTirol und Vorarlberg in Innsbruck.

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172 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

entsprechende Datenbank eingetragen. Die Konstruktion einer Kontrast-gruppe von beruflich nicht geschädigten ergänzte und vervollständigte dieErhebung.

Die aktuelle Erhebungstabelle umfasst Informationen zu 373 zwischen1937 und 1942 in Österreich tätigen Notaren.

Tabelle 9: Notare in Österreich 1937 und 1938 nach Bundesländern (Bestandnach den Angaben der Amtskalender)

1937 1938 Neu Ausgetragen

Burgenland 12258 10 2 2 Kärnten 29 28 – 1 Niederösterreich 72259 73260 8261 7 Vorarlberg 5 5 – – Tirol 16 16 2 2 Salzburg 20262 20 2263 2 Steiermark 53 53 2 2 Wien 72 71 5 6264

Oberösterreich 52 49 – 3

Gesamt 331 324 21 25 davon Substitute 5 2 – –

Tabelle 10: Notare 1937 bis 1942 (Bestand gemäß der Listen der Notariats-kammern und der Amtskalender)

Vergleich AK37 mit NK37/38 NK38 NK39 NK40 NK42

Bleiber 305 268 253 243 223 Bleiber (von Eintragungen seit 1938) – 18 22 33 37 Austragungen 26 39 15 8 23 Neueintragungen 20 3 7 5 2 Wiedereintragungen – – 2 2 2

258 Davon ein Substitut.259 Davon zwei Substitute.260 Davon zwei Substitute.261 Davon drei durch Wechsel des Kammerbezirks, ein Substitut.262 Davon zwei Substitute.263 Davon ein Substitut.264 Davon einer durch Wechsel des Kammerbezirks.

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Tabelle 11: Notare – Arten der Berufsschädigungen (Mehrfachnennungenmöglich)

Definitive Enthebungen

§ 8, § 3 BBV (rassisch) 15 § 8, § 4 BBV (politisch) 7 gerichtliche Verurteilung 1 § 1 Abs. 2 GBlÖ Nr. 64 /1938 1 Erlass des RMJ 1 Gesamt 25 dazu unklar 9

Enthebungen mit Wiedereinstellungen

Ausnahmsweise Belassung im Dienst 1 Suspension /Wiederzulassung 2 Zulassung als Mischling 1 „politische Gründe“, Haft /Wiederzulassung 1 § 8 Abs. 4 BBV fallengelassen 1 Gesamt 6

Sonstige Maßregelungen

Strafweise versetzt oder zurückversetzt 5 BBV-Verfahren eingestellt / fallengelassen 33 Unklar 2

Sonstige Gründe

Gelöscht vor 1938 22 Verstorben 33 Freiwillig resigniert 16 Bleibt 225 Unklar 30

Notare 173

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174 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Tabelle 12: Notariatskandidaten (n = 231) – Enthebungsgründe

Nach BBV-Bescheiden Verfahren fallengelassen 9 Enthoben nach § 4 BBV 3 Enthoben nach §§ 3 und 4 BBV 1 Enthoben nach § 3 BBV 1 Unklar 2 Gesamt 16

Anderes Disziplinäre Gründe 1 Rassische Gründe 2 Freiwillig resigniert 1 Gerichtliche Verurteilung 1 Gesamt 5

In der ersten Ausgabe der Notariatszeitung nach dem 12. März 1938kündigte der neu ernannte „Führer des Notarenstandes“ in der Ostmark,Dr. Ludwig Hauer,265 Maßnahmen an, die „den einzelnen Standesgenos-sen eine würdige Lebenshaltung“ und ein „standesgemäßes Auskommen“sichern sollten. Voraussetzung für den künftigen Notar sollten „nebender beruflichen Tüchtigkeit und Fähigkeit“ arische Abstammung und ein„offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus“ sein.266 Bis Ende des Mo-nates verlangte Hauer Informationen über die Fälle von Verfolgung oderSchädigung nationalsozialistischer Standesmitglieder sowie die Meldungaller Notare und Anwärter, die selbst Voll- oder Halbjuden oder mit Voll-oder Halbjüdinnen verheiratet waren.267

Die Kammerleitung plante – nach dem Vorbild der reichsdeutschenVerordnungen für BeamtInnen – den Ausschluss von Juden nach denDefinitionen des Reichsbürgergesetzes. Auf die Notare – wie auf Rechts-

265 Der Notar Dr. Ludwig Hauer, Wien I, war Fachgruppenwalter der Notare im NS-Rechtswahrerbund, Abteilung Österreich und Gau Wien, vgl. Verzeichnis der Nota-riatskollegien, Stande vom 31. Dezember 1938 (ergänzt bis Anfangs März 1939).

266 Ludwig Hauer: Deutsche Volksgenossen des Notarenstandes!, in: Notariatszeitung.Monatsschrift für das deutsche Notariat in Österreich 80. Jg., Folge 3, 23. März 1938,S. 41.

267 Vgl. S. 43.

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Notare 175

268 Vgl. RGBl I 1938 S. 353, kundgemacht in GBlÖ Nr. 64 /1938.269 Vgl. GBlÖ Nr. 11/1938.270 Für die folgende Zeit ist nur mehr eine weitere vorläufige Enthebung nachweisbar.271 Vgl. Richard Schneider, Kurt Hanke und Egon Höller: Neuordnung des österreichi-

schen Berufsbeamtentums. Verordnung vom 31. Mai 1938, Berlin 1938, S. 63.272 Vgl. Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums, vom 31.

Mai 1938, RGBl I S. 607– 610.

und PatentanwältInnen – fanden die Verordnung über die Angelegenhei-ten der Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare und Patentanwälte in Öster-reich vom 31. März 1938268 und deren Folgeverordnungen Anwendung,die eine vorläufige Enthebung, „Suspension“, ermöglichten. Durch diebesondere berufliche und institutionelle Stellung der Notare (ihre Bestel-lung und Zulassung oblag ja dem Ministerium für Justiz) konnten seitMärz 1938 hier auch für den Öffentlichen Dienst geschaffene Gesetzeexekutiert werden. Einige Notare wurden daher auch nach dem Verfas-sungsgesetz über personalpolitische Maßnahmen vom 21. März 1938269

vorläufig ihres Amtes enthoben. Solche vorläufigen Enthebungen, ins-gesamt 18, fanden zunächst zwischen 14. März und 4. April statt (4), dannzwischen 22. Juni und Juli (9) und schließlich vom 14. September bis 4.Dezember 1938 (4).270

Die definitive Regelung der Berufsverbote brachte die BBV, die nach§ 2 auch auf das Notariat anzuwenden war – dies wurde mit der „beam-tenähnlichen“ Berufstellung der Notare begründet.271 Näheres bestimmteder § 8 in den Absätzen 3 bis 5:

„(3) Notare, auf die eine der Voraussetzungen der §§ 3 [jüdische Abstammung]oder 4 [politische Unzuverlässigkeit] zutrifft, sind aus dem Amte auszuschei-den. Wenn die Voraussetzungen für einen Anspruch nach dem Notarversi-cherungsgesetz 1938, B.G.Bl. Nr. 2/1938, nicht bestehen und der aus demAmte geschiedene Notar bedürftig ist, kann ihm ein jederzeit widerruflicherUnterhaltsbeitrag gewährt werden.

(4) Das Dienstverhältnis der Notariatskandidaten, auf die eine der Voraussetzun-gen der §§ 3 oder 4 zutrifft, ist aufzulösen. § 7 Abs. 1 Nr. 1 [fristlose Entlas-sung] und 2 [Abfertigung] ist anzuwenden.

(5) In den Fällen des § 3 gelten auch hier dessen Abs. 3 [ausnahmsweise Belas-sung] und 4 [weitere Ausnahmen] sinngemäß.“272

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176 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Einzelne Enthebungen waren überdies Folge von Disziplinarverfahrenund gerichtlichen Verurteilungen. Die Entlassungen der Notariatskandi-daten wurden ebenso mit einem Verfahren nach der BBV veranlasst, ob-wohl sie arbeitsrechtlich gesehen den Status von Angestellten hatten. Ineinigen Fällen erübrigte jedoch eine bereits erfolgte Entlassung jedesweitere staatliche Vorgehen.

Die Zeitpunkte der Enthebungen geben Einblick in die Prioritäten-setzung der intervenierenden Behörden. Jüdische Notare wurden über-wiegend bereits im Juni 1938 mit einem vorläufigen Berufsverbot belegt.Ihre definitive Enthebung erfolgte zumeist mit Ende 1938. Enthebungenaus anderen Gründen ergingen demgegenüber vor allem nach längerenVerfahren zwischen Anfang und Mitte 1939. Eine Zeitungsnotiz vom 4.April 1938 signalisierte der Öffentlichkeit die Bedeutung der Verordnungbesonders für den Ausschluss von Jüdinnen und Juden aus den freienRechtsberufen.273 Die Berufsverbote galten entweder ab einer gesetztenFrist, mit Datum der Übernahme des Bescheides oder, wie den Auskünftender Verfolgten selbst zu entnehmen ist, mit sofortiger Wirkung. Die offi-zielle Übergabe einer Kanzlei erfolgte in Anwesenheit eines Vertreters derKammer, des Nachfolgers beziehungsweise Substituten und des ent-hobenen Notars selbst. Sieben der als jüdisch geltenden Notariate in Wienwurden bis Mitte 1939 aufgelassen, bestellte Substituten (meist Kandi-daten) führten die anderen Kanzleien nach der Enthebung bis zur Über-gabe an die definitiven Nachfolger weiter. Parteistellen wie die NSDAP-Oberösterreich reklamierten oftmals ein Mitspracherecht bei der Neube-setzung nun frei gewordenen Notarstellen, wie einem Briefwechsel mitdem Reichskommissariat für die Wiedervereinigung zu entnehmen ist.274

Ein wesentlicher Schritt in der Durchsetzung eines nationalsozialisti-schen Notariats war die Angleichung der österreichischen Rechtsgrund-lagen an das Reichsrecht. Die Zweite Verordnung über Angelegenheitender Rechtsanwälte und Notare im Lande Österreich vom 11. Juni 1938275

regelte die Neueintragung in die Liste der Notariatskandidaten und dieEidesleistung der Notare und Kandidaten auf den „Führer und Reichs-

273 Vgl. Zeitungsnotiz vom 4. April 1938, ohne Quellenangabe, ÖStA AdR Bürckel-Ma-terie, Kt. 41, 1815/1.

274 Vgl. an die Gauleitung Oberdonau/Linz vom 30. Juni 1938 betreffend Besetzungerledigter Notariate z. Schr. vom 24. Juni 1938 und NSDAP-Gauleitung OÖ, Linz(stv. Gauleiter) an Bürckel vom 24. Juni 1938, RK, Abt. III E-Schn.

275 Vgl. RGBl I S. 622f.

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kanzler“.276 Anfang Juni 1939 wurde die Reichsnotarordnung vom 13.Februar 1937 in Österreich eingeführt, mit der das österreichische Berufs-recht außer Kraft gesetzt wurde. Gleichzeitig wurden die Kammern alsselbständige Vertretungskörper aufgelöst beziehungsweise in Filialen derReichsnotarkammer umgewandelt.

„Durch die VO. zur Einführung der Reichsnotarordnung in der Ost-mark v. 9. 6. 1939, RGBl I S. 1025 (GBl. f. Ö. Nr. 757/1939), wurde dieösterreichische Notariatsordnung, soweit sie das Berufsrecht des Notars,die Notarverfassung betraf, außer Kraft gesetzt. Die in der Ostmark der-zeit bestehenden vier Notarkammern in Wien, Linz, Graz und Innsbruckfür die vier Oberlandesgerichtsbezirke sind ebenso wie die Rechtsanwalts-kammern örtliche Gliederungen der Reichsnotarkammer, die eine Körper-schaft des öffentlichen Rechts bildet.“277

Alle weiteren gesetzlichen Regelungen bezogen sich nur mehr auf Än-derungen, die zum Teil in Folge des Krieges notwendig wurden. So war zumBeispiel nach der Verordnung zur Ergänzung der Reichsrechtsanwalts-ordnung und der Reichsnotarordnung vom 22. Januar 1940278 die Bestel-lung zum Notar bei Bewerbern, die zum Wehrdienst einberufen waren,schon mit dem Tag der Veröffentlichung im offiziellen Anzeiger des Reichs-justizministeriums „Deutsche Justiz“ und nicht erst mit der Zustellungder Urkunde wirksam.279

Die Schätzungen der durch die Berufsverbote bedingten Vermögens-verluste beruhen erstens auf den Angaben der Übergabeprotokolle, die voneinem der Kammerfunktionäre bei der Übergabe der Kanzlei an den Nach-folger erstellt wurden. Diese enthalten Angaben sowohl über das in derKanzlei verwaltete Fremd- als auch über das dort aufbewahrte Privatver-mögen, die zumindest einen ersten Anhaltspunkt zur Einschätzung desGeldwerts beziehungsweise des Geschäftsgangs einer Kanzlei bieten kön-nen. Eine zweite Bewertung des Betriebsvermögens findet sich – wennvorhanden – in den Vermögensanmeldungen (vgl. Kapitel 6.1. Die Vermö-gensanmeldungen vom 27. April 1938, S. 535).

Notare 177

276 RGBl I S. 622.277 Helfried Pfeifer: Die Ostmark. Eingliederung und Neugestaltung. Historisch-syste-

matische Gesetzessammlung nach dem Stande vom 16. April 1941, Wien: Staats-druckerei, 1941, 518f.; und vgl. Reichsnotarordnung vom 13. Februar 1937, 2. Aufl.,Berlin-Leipzig 1939.

278 Vgl. RGBl I 1940, 223f.279 RGBl I S. 223.

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178 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Eine Schätzung der Einkommen gelang mit Hilfe der Unterlagen derVersicherungsanstalt des Notariats. Die Zahlungen in die Pensionskassebeliefen sich 1937 auf sieben Prozent des einkommensteuerpflichtigen Ein-kommens plus einer Fixtaxe von 50 Schilling. So konnte, zumindest füreinige der enthobenen Notare, ein grober Richtwert für das Jahresein-kommen 1937 ermittelt werden. Für die Notariatskandidaten ließen sichkeine Einkommensdaten eruieren.

Tabelle 13: Betriebsvermögen und Einkommen enthobener Notare280

Kanzleiwert Einkom- Betriebs-(Übergabe- men 1937 vermögen

Notar seit in seit BBV Datum protokoll) (alte öS) (VA)

Baltinester Felix 1910 Baden 1921 § 3 29.10.38 695 10.243 2.590

Bermann Hanns 1937 Wien 1 1937 § 3 22.06.38 – 24.961 2.438

Fernbach Ludwig 1917 Wien 16 1930 § 3 31.12.38 12.680 ? ?

Freschl Erich 1933 Schwechat 1937 § 3 31.10.38 7.991 ? ?

Gamperle Karl 1924 Salzburg 1937 § 4 1.7.38 ? ? ?

Geppel Ernst 1931 Gurk ? § 4 16.3.38 ? 14.829 ?

Jellinek Leo 1916 Wien 9 1925 § 3 22.6.38 ? 24.200 ?

Knauer Erich 1925 Kloster- 1936 § 3 22.6.38 19.128 ? 8.867neuburg

Köhler Alfred 1917 Wien 7 1931 § 3 22.6.38 67.731 ? 3.342

Laufer Paul 1926 Wien 1 1926 § 3 31.3.39 96.781 25.100 16.036

Mahlknecht Carl 1937 Wien 1 1937 § 3 31.1.39 11.167 34.471 4.456

Mally Ludwig 1933 Wien 16 1933 § 4 14.3.38 429.705 59.286 ?

Perten Paul 1919 Wien 1 1922 § 4 22.6.38 134.939 ? 4.456

Schenk Eugen 1919 Wien 1 1922 § 3 23.6.38 11.603 ? 85

Ullmann Julius 1917 Wien 1 1917 § 3 22.6.38 290.082 ? 4.214

Wiener Heinrich 1934 Wien 1 1934 § 3 14.8.38 5.000 29.114 4.312

280 Umrechnungsschlüssel: 1 RM = 2,5 öS, 1 neuer öS = 2 alte öS.

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Zwei Erhebungsfälle

Dr. Wiener Heinrich / Weener Henry

geboren am 31. Dezember 1889 in Wiengestorben am 2. März 1973 in Salem, Oregon, USA1938 wohnhaft in Wien 2, Heinestraße 35mosaischverheiratet (Gattin: Leopoldine, römisch-katholisch)Vater Beamter der k.k. StaatsbahnenAusbildung: keine Angabenseit 1934 als Notar zugelassen in Wien 1, Börseplatz 6 (zusammen mitHans Bermann)enthoben nach dem Verfassungsgesetz über personalpolitische Maßnah-men vom 21. März 1938, GBlÖ Nr. 11/1938 (Datum unbekannt)

laut Vermögensanmeldung im Juli 1938 ohne Stellungdefinitive Enthebung ohne Entschädigung auf Grund § 8 in Verbin-dung mit § 3 BBV mit 20. Oktober 1938 – das Notariat wurde nichtnachbesetzt, sondern mit 31. Dezember 1938 aufgelöstVermögen laut VA: Betriebsvermögen 4.312 RM, Wertpapiere 8.912RM, Wertgegenstände 480 RM, Sparguthaben 3.584 RM, Renten/Kapitalversicherung 100 RM – Gesamtsumme 17.388 RMVermögen der Gattin: Aktiva 17.707 RMJahreseinkommen 1937 etwa 29.114 öSFlucht mit Ehefrau am 31. Oktober oder 1. November 1939 in dieUSA, bis 25. Juli 1940 in New York, dann bis 1948 in Portland;schließlich nach Salem Oregon, arbeitete dort als OptikerEntschädigungen: NHF grün, AHF

Dr. Felix Baltinester

geboren am 14. Juli 1878gestorben am 10. März 1949 in Baden, Niederösterreich1938 wohnhaft in Baden bei Wien, Weihburgstr. 49Römisch-katholischverheiratet seit 1910 (Gattin Marie geb. Mainl, geboren 1891,römisch-katholisch, arisch laut VA)Zwei Kinder

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Vater Dr. Alfred Baltinester, Notar in Graz, römisch-katholisch, ge-storben 1933Mutter Rosalie geborene Horwitz, römisch-katholisch, gestorben 1919Funktionär der Bezirksbauernkammer Baden vor 1938seit 1910 als Notar zugelassen, seit 1921 Notar in Baden, Karlsplatz 13

laut Akten der Notariatskammer Wien 4 „volljüdische Großeltern“Auf der ersten Seite des VA-Formulars ist maschinschriftlich hinzu-gefügt: „und melde ich für den Fall, als ich nach dem Gesetz alsVolljude gelten sollte, was mangels beschaffbarer Dokumente meinerverst. Großeltern noch nicht feststellbar ist, mein Vermögen an“281

enthoben nach dem Verfassungsgesetz über personalpolitische Maß-nahmen vom 21. März 1938, GBlÖ Nr. 11/1938 und Kundmachungvom 4. April 1938, GBlÖ Nr. 64/1938, mit 29. Oktober 1938, defi-nitiv enthoben laut § 8 in Verbindung mit § 3 BBV mit 31. Dezem-ber 1938; sein Antrag auf Versetzung wird abgelehnt; das Notariatsubstituiert Dr. Herwig Pichler, Übernahme durch Dr. Franz ZaleiskyÜbergabeprotokoll der Kanzlei vom 5. November 1938: 695 RMJahreseinkommen 1937 etwa 10.243 öSVermögen laut VA: Grundvermögen 16.330 RM, Betriebsvermögen2.590 RM, Wertpapiere 400 RM, Sparguthaben 3.762 RM,Geschäftsguthaben 67 RM, Wertgegenstände 200 RM, Passiva 8.065RM – Gesamtsumme 15.284 RMVermögen Gattin 16.100 RM (Immobilien)20. Mai 1946 Wiederübernahme des Notariats von Dr. Franz ZaleiskyInhaber eines niederösterreichischen Opferfürsorgeausweises

Die im Vergleich zu anderen Berufsgruppen ausgezeichnete Quellen-lage erlaubt jedoch nicht nur, die Fragen nach dem Umfang von Enthe-bungen und Vermögensverlusten so gut wie sonst kaum zu behandeln,sondern auch noch detailliertere Untersuchungen der näheren Umständenationalsozialistischer Berufsschädigungen. Der Fall der Salzburger Kammersoll in dieser Perspektive eigens behandelt werden. Eigene Forschungenzur ihrer Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus liegen bislangnoch nicht vor.282

281 ÖStA AdR 06, VVSt, VA Nr. 674, gedruckt 45486, Dr. Felix Baltinester.282 Vgl. August Meyer: Aus der Geschichte der Salzburger Notare. Salzburg 1998.

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Im Archiv der Salzburger Notariatskammer existiert kein Verzeichnisihrer Notare und Kandidaten. Dass ein solches zumindest noch bis in dieMitte der 1920er Jahre, wahrscheinlich sogar noch nach 1945 geführtwurde, lassen einzelne Blätter aus diversen Personalakten vermuten.283

Ende der 1950er Jahre jedoch scheint die Kammer nicht mehr über dieVerzeichnisse verfügt zu haben.284

Die Gesamtzahl der Salzburger Notare und Notariatskandidaten kannzwar einerseits über die vom Delegiertentag herausgegebenen Verzeichnis-se, andererseits über die im Salzburger Amtskalender jährlich abgedruckteListe der Notare und Kandidaten eruiert werden. Anfang des Jahres 1938zum Beispiel hatte die Kammer 28 Mitglieder. Detaillierte Informationenüber persönliche Daten, Ausbildung und Berufskarriere fehlen jedoch inForm einer normierten Übersicht.

Nicht erhalten sind die Kammersitzungsprotokolle der Jahre 1938 bis1945. Ebenso fehlen Informationen zur Einhebung der Kammerumlage,die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Notare und Kandi-daten erlauben könnte, Informationen zu den Vermögensverhältnisseninsgesamt, aber auch zu den Angestellten der Kammer und der einzelnenKanzleien. Erhalten sind zum Großteil die Personalakten. Allerdings stelltesich heraus, dass gerade in den Akten jener Personen, bei denen eine na-tionalsozialistische Berufschädigung zu vermuten ist, Dokumente aus derNS-Zeit nicht vorliegen – dazu gab es kammerintern nach 1945 umfang-reiche Recherchen.

Im Zuge der in der Kammer geführten Debatten über die ZulassungNS-belasteter Standeskollegen verlangte Dr. Konrad Stöcklinger die Be-schaffung der Personalunterlagen aus dieser Zeit – Stöcklinger war näm-lich 1938 als kommissarischer Kammerpräsident eingesetzt worden, unddie Kammer beriet im Frühjahr 1946 über seine Löschung aus der Notar-liste. Der damalige Kammerpräsident Dr. Karl Gamperle antwortete, erlaufe den Akten selbst schon seit längerer Zeit nach und werde nur von

Notare 181

283 Vgl. Archiv der Notariatskammer Salzburg, Personalakten Robert Wolf (Wolf war bis1926 Notariatskandidat) und Dr. Konrad Stöcklinger.

284 Darauf deutet eine Anfrage an den Sohn des kurz vor seiner Amtsenthebung stehen-den Notars Dr. Hans Seethaler hin, in der die Kammer um die Bekanntgabe persön-licher Daten wie Geburtsdatum, Studienzeit und -ort und zur beruflichen Karriere(Kandidaten- und Notarstellen) bittet; vgl. Schreiben des Dr. Rudolf Seethaler, Salz-burg, an die Notariatskammer Salzburg vom 21. November 1958, NotariatskammerSalzburg, Personalakt Dr. Hans Seethaler.

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Tag zu Tag vertröstet.285 Jahre später, in einem Schreiben vom 15. Februar1954, bat der neue Kammerpräsident Dr. Hubert Haupolter den NotarDr. Karl Gamperle um Aufklärung in Bezug auf diese Akten:

„Bei den Akten der Notariatskammer fehlen seit 1945 unter anderemdie Personalakten jener Standesangehörigen, die während der NS-Zeit ge-maßregelt waren [...] Vermutlich mussten diese im Sommer oder Herbst1945 diversen Stellen vorgelegt werden und sind sie von dort nicht mehrzurückgelangt. Da Sie damals kommissarischer Kammerpräsident waren,ersuchen wir Sie um Bekanntgabe aller Stellen, denen diese Akten etwavorgelegt worden sein könnten und wann dies geschehen sein dürfte, da-mit sich die Kammer an jene Stellen um Rücksendung jener Akten wen-den könne.“286

Gamperle antwortete, dass er von seinem Vorgänger Dr. Konrad Stöck-linger, Kammerpräsident in den Jahren 1938/39, die Akten der Gemaß-regelten verlangt habe, worauf ihm von diesem jedoch erklärte worden sei,er habe alle Personalakten an die Kammer in Innsbruck abgegeben, mitder die Salzburger Kammer 1939 zusammengelegt worden war. Gamperleweiter:

„Die Innsbrucker Kammer wiederum erklärte, daß in der Nazizeit diePersonalakte der von den Nazi gemaßregelten Standesangehörigen an dasOberlandesgericht in Innsbruck abgegeben worden seien. Beim Oberlan-desgericht – ich beteiligte mich persönlich bei der Suche – konnte abernichts gefunden werden und konnte mir auch nicht bestätigt werden, daßseinerzeit die Personalakte von der Kammer an das Oberlandesgerichtübergeben wurden. Ja ein Herr – der Name ist mir nicht mehr geläufig, ichglaube es war ein Sekretär, dem Richterstande gehörte er nicht an – sagte,er vermute, daß die Akten vernichtet worden seien, da wahrscheinlicheinzelne Herren befürchten, daß ihnen wegen ihrer Haltung Unannehm-lichkeiten erwachsen könnten.“287

285 Vgl. Schreiben des Kammerpräsidenten Dr. Karl Gamperle, Salzburg, an den NotarDr. Hans Seethaler, Salzburg, o.D. [vermutlich Anfang April 1946], NotariatskammerSalzburg, Personalakt Dr. Konrad Stöcklinger.

286 Schreiben des Kammerpräsidenten Dr. Hubert Haupolter, Notariatskammer Salzburg,an den Notar Dr. Karl Gamperle, Salzburg, vom 25. Februar 1954, NotariatskammerSalzburg, Personalakt Dr. Alois Nekarda.

287 Schreiben des Notars Dr. Karl Gamperle, Salzburg, an die Notariatskammer Salzburgvom 19. Februar 1954, Notariatskammer Salzburg, Personalakt Dr. Alois Nekarda.

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Noch bevor die rechtlichen Grundlagen für den Ausschluss uner-wünschter Notare und Notariatskandidaten geschaffen wurden, gab eseine Phase nicht administrativ autorisierter Entlassungen und Enthebun-gen. Nach dem Anschluss wurde Dr. Konrad Stöcklinger, Notar in Salz-burg und illegaler Nationalsozialist, als kommissarischer Kammerpräsidenteingesetzt. Der erste Berufsausschluss traf Dr. Alois Nekarda (s.u.). BereitsEnde März, Anfang April 1938 wurden dann die einschlägigen Gesetzeund Verordnungen erlassen. Nach den vorliegenden Quellen kam die Ver-ordnung über die Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Verteidiger, Notareund Patentanwälte in Österreich vom 31. März 1938 in Salzburg aller-dings nicht zur Anwendung.

Die zweite Enthebung in Salzburg wurde auf der Grundlage des Ver-fassungsgesetzes über personalpolitische Maßnahmen vom 21. März 1938288

vorgenommen. Dieses Gesetz betraf die wilden Amtsenthebungen der An-schlusstage, die nunmehr einer Bestätigung durch den Reichsstatthalterbedurften. Für diese Bestätigungen war ein eigener Staatskommissar zu-ständig. Nach der Verordnung zum zitierten Gesetz vom 4. April 1938289

war der Staatskommissar auch berechtigt, von sich aus personelle Verän-derungen im Bereich der Gebietskörperschaften, der öffentlich-rechtlichenKörperschaften und der öffentlichen Fonds vorzunehmen. Der SalzburgerNotar Dr. Karl Gamperle wurde gemäß dieser Verordnung enthoben.

Die BBV war, wie schon ausgeführt, Folge und Bedingung einer syste-matisierten völkischen Neuordnung des Berufs. War eine Enthebungbeziehungsweise Entlassung bereits erfolgt, so diente sie zu deren nach-träglicher Bestätigung. Nekarda etwa musste auf Betreiben des Standes-führers von seinem neuen Arbeitgeber sofort entlassen werden. Ein Bescheidüber diese Entlassung wurde ihm erst mit 14. November 1938 ausgestellt.Ebenso erhielt der bereits am 29. Juli enthobenen Notar Gamperle seinenBBV-Bescheid erst Ende Oktober 1938. In den übrigen Fällen konntendie Betroffenen ihre Berufstätigkeit während des BBV-Verfahrens fort-setzen.

Die Versetzung von Notaren nach § 5 der BBV wird im Kommentarvon Richard Schneider als möglich dargestellt: „Daß die Notare auch denBestimmungen des § 5 unterliegen, also an einen anderen Sprengel ver-setzt werden können, besagt die Verordnung zwar nicht ausdrücklich, ist

Notare 183

288 Vgl. GBlÖ Nr. 11/1938.289 Vgl. GBlÖ Nr. 60 /1938.

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aber ohne weiteres anzunehmen, da die Notare gem. § 2 wie die Beamtenzu behandeln sind.“290 Die gegen den Notar Dr. Seethaler mit Bescheidvom 22. Dezember 1939 ausgesprochene Versetzung wurde jedoch am29. Februar 1940 mit der Begründung aufgehoben, dass dieser § 5 aufNotare nicht anwendbar sei.

Die Arisierungen von Notarkanzleien betrafen über die Notare undKandidaten hinaus auch die Kanzleiangestellten. Im Februar 1939 muss-ten diese einen Fragebogen ausfüllen, in dem Abstammung und politischeBetätigungen anzugeben waren. Über die Kündigung von Kanzleiange-stellten im Verwaltungsbereich der Salzburger Notariatskammer liegenallerdings keine Quellenangaben vor.291

Die Umordnung der Kammerorganisation führt zur Auflösung derSalzburger Kammer: Salzburg gehörte nun zum Sprengel des Oberlandes-gerichts Innsbruck. Die Salzburger Notare und Assessoren (Kandidaten)wurden der Innsbrucker Kammer unterstellt.

Zum Zeitpunkt des Anschlusses waren im Bundesland Salzburg 19Notare und neun Notariatskandidaten verzeichnet, im Notarverzeichnisvon 1939 wurden 17 Notare und vier Kandidaten genannt: Nicht mehrverzeichnet waren die folgenden sieben Personen:

– Dr. Franz Doppler, Notar in St. Johann,– Dr. Karl Gamperle, Notar in Salzburg,– Dr. Hermann Schmalnauer, Notar in Oberndorf,– Dr. Roland Weinlich, Notar in Zell am See,– Dr. Otto Hauser, Kandidat in der Kanzlei Czerny, Hofgastein,– Dr. Franz Hoffmann, Kandidat in der Kanzlei Schmalnauer,

Oberndorf und– Dr. Alois Nekarda, Kandidat und Verweser des Notariats Thalgau.

Die Notare Doppler und Schmalnauer verstarben im August bezie-hungsweise Mai 1938. Hoffmann wurde nach dem Tode Schmalnauersals Verweser des Notariats Oberndorf eingesetzt und verzog 1939 nachWien. Otto Hauser scheint 1939 auch in anderen Länderlisten nicht mehrauf, sein Verbleib ist ungeklärt. Zu den übrigen drei Personen bemerkteDr. Nekarda 1947: „Feststeht ferner, daß im Lande Salzburg nur Präsident

290 Schneider und andere, Neuordnung, S. 63.291 Vgl. Stammblatt für Notariatsangestellte, Notariatskammer Salzburg, Personalakt

Grosser.

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Dr. Gamperle, Dr. Weinlich und ich im Sinne der Richtlinien des Verban-des politisch Gemaßregelter und Häftlinge gemaßregelt sind.“292

Aus welchen Gründen Dr. Hubert Haupolter, Notar in Hallein, mit14. November 1941 auf sein Amt verzichtete, konnte nicht eruiert werden.Nach 1945 wurde Haupolter jedoch zum Vizepräsidenten und ab 1949zum Präsidenten der Notariatskammer berufen.

Drei FälleZu den drei von Nekarda genannten enthobenen Notaren ließ sich Fol-gendes aus den vorhanden Akten feststellen. Dr. Alois Nekarda wurde1907 in Böhmisch-Leipa geboren.293 Nach dem Abschluss eines rechts-wissenschaftlichen Studiums trat er in Salzburg in die Kanzlei Zeilingerals Notariatskandidat ein und wurde nach dem Tod seines Arbeitge-bers im Juli 1937 von der Notariatskammer mit der Substitution derKanzlei betraut. Nach einer Sachverhaltsdarstellung Nekardas aus demJahr 1947 war er seit dem 1. März 1938 Substitut des Notariats Thal-gau, das nach der Versetzung des Notars Dr. Karl Gamperle nachSalzburg vakant war. Nach dem Anschluss wurde Nekarda über An-trag der Notariatskammer Salzburg mit Beschluss des Präsidiums desLandesgerichts Salzburg vom 22. März 1938, Zl. IV 1056 4 Pers./38,ohne Angabe von Gründen des Amtes enthoben.Daraufhin bot Dr. Roland Weinlich, Notar in Zell am See, Nekardaeine Anstellung als Notariatskandidat in seiner Kanzlei an. Nach derGenehmigung durch die Salzburger Kammer trat Nekarda mit 1. April1938 diese neue Stelle an. Mit dem Rundschreiben Nr. 134 vom 11.Juni 1938 informierte die Kammer ihre Mitglieder, dass der Standes-führer Dr. Ludwig Hauer mit einem Schreiben vom 7. Juni 1938 an-geordnet habe, die Dienstgeber von Notariatskandidaten, „die unterdie Bestimmungen der Verordnung vom 31. Mai 1938, GBlÖ Nr.160/38, fallen, zur sofortigen Auflösung des Dienstverhältnisses mitdem betreffenden Notariatskandidaten [...] zu verhalten“. Das Rund-schreiben der Kammer enthielt den Zusatz, dass dies insbesondere fürDr. Nekarda gelte. Weinlich löste das Dienstverhältnis mit Nekarda

Notare 185

292 Vgl. Kurze Sachverhaltsdarstellung [1947], Notariatskammer Salzburg, PersonalaktDr. Alois Nekarda.

293 Zum Folgenden vgl. Kurze Sachverhaltsdarstellung [1947] und Qualifikationstabelle[1948], Notariatskammer Salzburg, Personalakt Dr. Alois Nekarda.

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mit 15. Juni 1938 und bestätigte im Entlassungsschreiben, dass dieAuflösung des Dienstverhältnisses „lediglich auf Grund des erhaltenenAuftrages erfolgte“.294 Nekarda blieb nach eigenen Angaben danachstellenlos.Das Dienstverhältnis wurde schließlich mit Verfügung des Reichsstatt-halters vom 14. November 1938, Az. STK/I-13517, gemäß § 8 Abs.4 in Verbindung mit § 4 BBV für aufgelöst erklärt und ein Abferti-gungsanspruch nicht zuerkannt. Nekarda erklärte, auf seine Anfragehabe Standesführer Dr. Hauer ihm in einem Schreiben vom 30. Sep-tember 1938 mitgeteilt, dass er ihn „solange nicht für den Notariats-stand als geeignet betrachten kann, als nicht die Vertrauensmännerder Partei in Salzburg mit meiner Aufnahme einverstanden seien“.Nekarda fand im Frühjahr 1939 im Sudetenland als Buchhalter undPlakateur eine Anstellung, bei der er ein monatliches Nettogehalt von200 RM verdiente. Dieses Gehalt sei so gering gewesen, vermerktNekarda, dass seine Frau eine Beschäftigung als Kanzleiangestelltehabe annehmen müssen. Mit 30. April 1940 wurde er zur Wehrmachteingezogen.Nach Kriegsende wurde Nekarda mit dem Substitut des NotariatsSalzburg betraut, dessen Amtsinhaber Dr. Konrad Stöcklinger im Zugeder Entnazifizierung enthoben worden war. Die Verleihung diesesNotariats im Wiedergutmachungsweg gemäß § 10 Abs. 3 der Notariats-ordnung wurde vorerst abgelehnt. Nekarda erhielt mit Erlass des Bun-desministeriums für Justiz vom 29. Juni 1948, Zl. 6254/48, eine neugeschaffene Notarstelle in Salzburg. Er war Inhaber eines Opferfür-sorgeausweises.295 1951 wurde er zum Vizepräsidenten der Kammergewählt; 1963 bis 1975 war er Kammerpräsident. Mit Ablauf desJahres 1977 schied Nekarda altersbedingt aus dem Amt.Im Personalakt von Dr. Roland Weinlich fehlen sämtliche Unterlagenaus der Zeit vor 1945. Weinlich, geboren 1905, war 1936 auf dasNotariat in Zell am See berufen worden. Nach dem Anschluss wurdegegen ihn ein BBV-Verfahren eingeleitet und mit 30. November 1938die Entlassung nach § 8 Abs. 3 mit Bezug auf § 4 ausgesprochen. Über

294 Schreiben des Notars Dr. Roland Weinlich, Zell am See, an Dr. Alois Nekarda, Salzburg,vom 16. Juni 1938, Notariatskammer Salzburg, Personalakt Dr. Alois Nekarda.

295 Nr. 5, ausgestellt von der Landesregierung Salzburg am 10. Dezember 1947, Bescheidnach dem OFG, Zl. 7486/VII/47.

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das weitere Schicksal Weinlichs bis 1945 ist nichts bekannt. Er wurdemit Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 13. Juni 1946, Zl.4299/46, im Amt bestätigt,296 war bereits mit Dekret des Landesge-richtspräsidenten in Salzburg vom 9. August 1945, Jv 141/13n/45,provisorisch zum Substituten des Notariats Hofgastein bestellt wordenund daneben auch noch zum Substitut des Notariats Mittersill undBürgermeister von Zell am See. Er dürfte eine Amtsbescheinigungnach § 4 Opferfürsorgegesetz beantragt haben. In Salzburg existiertjedoch kein Opferfürsorgeakt. Weinlich hat mit Ende des Jahres 1972seine Amtstätigkeit beendet und verstarb 1973.Im Akt von Dr. Karl Gamperle fehlen ebenfalls die Dokumente ausder NS-Zeit. Dieser Fall ist jedoch über die Unterlagen zu einem lang-jährigen Disziplinarverfahren dokumentiert. Gamperle, geboren 1879,wurde 1924 zum Notar in Thalgau ernannt und mit 1. März 1938nach Salzburg versetzt.297 Nach eigenen Angaben war er Bezirksführerund Mitglied der Landesleitung der Vaterländischen Front sowie Mit-glied des Fachbeirats des österreichischen Notariats.298 Nach dem An-schluss wurde er mit Bescheid des Reichsstatthalters vom 29. Juli1938 auf Grund des § 2 der Verordnung vom 4. April 1938, GBlÖNr. 60, mit sofortiger Wirksamkeit des Amtes enthoben und mit 31. Oktober 1938 gemäß § 8 Abs. 3 BBV definitiv aus dem Amt aus-geschieden. In der Folge stand Gamperle unter Hausarrest und wurdeauch mehrmals verhaftet.299

Nach der Befreiung wurde Gamperle im Einverständnis mit der ameri-kanischen Militärregierung zum Präsidenten der Notariatskammerernannt und übte diese Funktion bis 1949 aus. Von 1948 bis 1954stand er im Zentrum eines umfangreichen Disziplinarverfahrens, in

Notare 187

296 Schreiben der Notariatskammer Salzburg an Dr. Roland Weinlich, Zell am See vom25. Juni 1946, Notariatskammer Salzburg, Personalakt Dr. Roland Weinlich.

297 Vgl. Schreiben des Oberlandesgerichts Innsbruck an die Notariatskammer Salzburgvom 4. Februar 1938, JV 1120-13 B/38, Notariatskammer Salzburg, PersonalaktGamperle.

298 Vgl. Schreiben des Dr. Karl Gamperle, Thalgau, an das Bundesministerium für Justiz,Wien, vom 20. September 1937 betreffend Bewerbung um die Notarsstelle des ver-storbenen Notars Dr. Rudolf Zeilinger in Salzburg, Notariatskammer Salzburg, Per-sonalakt Gamperle.

299 Vgl. Schreiben des Dr. Karl Gamperle, Salzburg, an den Bundesminister für Justiz,Wien, vom 9. Februar 1954 betreffend Verlängerung seiner Amtszeit, Notariatskam-mer Salzburg, Personalakt Gamperle.

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dem auch sein Verhalten während der NS-Zeit beziehungsweise nachder Befreiung thematisiert wurde. Das Verfahren wurde von der Kam-mer wegen der Schwere der Vorwürfe an das Disziplinargericht beimOberlandesgericht Linz abgetreten, dort jedoch auf Antrag des Staats-anwalts eingestellt und an die Kammer zurückverwiesen.300 Gamperlewurde unter anderem vorgeworfen, unrichtige Angaben über seineHaftzeit und unberechtigte Forderungen in einem Rückstellungsan-trag geltend gemacht, mehrere Personen als Nationalsozialisten denun-ziert und im Juni 1945 die Beschlagnahme der Kanzlei des NotarsDr. Franz Giger mit dem Hinweis auf dessen NS-Vergangenheit er-wirkt zu haben.301 Ende Juni 1955 schied Gamperle altersbedingt ausdem Amt.Neben diesen drei Fällen sind noch drei weitere dokumentiert, in denendie BBV zur Anwendung kam. Das Verfahren gegen Dr. HeinrichEckmann, Notar in Radstadt, wurde mit 24. Februar 1939 fallengelassen. Eine politische Beurteilung Eckmanns aus dem Jahr 1940führte zwar seine politische Betätigung für den Ständestaat an, kamjedoch zu dem Schluss, Eckmann sei „nie gehässig gegen die Bewe-gung aufgetreten“ und bejahe seit dem Umbruch den NS-Staat.302

Wie aus dem Antrag der Notariatskammer Salzburg hervorgeht, warEckmann sei Oktober 1938 Mitglied der SA und seit Anfang 1940auch der NSDAP.303 Dr. Hans Seethaler, Notar in Salzburg, war be-reits Ende Juni 1938 eine Versetzung angekündigt worden. Der Be-scheid vom 22. Dezember 1939 wurde jedoch, wie schon erwähnt,am 29. Februar 1940 aufgehoben.304 Seethaler konnte seinen Beruf

300 Vgl. Beschluss des Disziplinargerichts beim OLG Linz vom 23. August 1951, Ds14/48, Notariatskammer Salzburg, Personalakt Gamperle.

301 Vgl. Bericht des Notars Dr. Ernst Czerny, Hofgastein, zum Disziplinarakt Gamperle,[Sommer 1955], Notariatskammer Salzburg, Personalakt Gamperle.

302 Schreiben der NSDAP, Gau Salzburg, Kreisleitung Bischofshofen, an den Präsidentender Notariatskammer, Innsbruck, F/B Zl. 333, vom 11. März 1940 betreffend polit.Beschreibung von Dr. Heinrich Eckmann, Notariatskammer Salzburg, PersonalaktEckmann.

303 Vgl. Schreiben der Notariatskammer Salzburg an das Bundesministerium für Justiz,Wien, ohne Datum, betreffend Antrag, das Amt des Notars Dr. Heinrich Eckmannin Radstadt gem. § 4/2 NO 1945 für erloschen zu erklären, Notariatskammer Salz-burg, Personalakt Eckmann.

304 Vgl. Schreiben des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit demDeutschen Reich, Stab, Ref. D-HE, Wien, an Dr. Hans Seethaler, Salzburg betreffend

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weiterhin ausüben und wurde 1946 im Amt bestätigt. Gegen den seit1926 in Saalfelden amtierenden Notar Dr. Robert Edward Wolf warebenfalls ein Verfahren nach der BBV eingeleitet worden, das mit 29.April 1939 eingestellt wurde. Wolf wurde 1939 als Verweser derKanzlei des enthobenen Dr. Roland Weinlich eingesetzt.

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Maßnahmen auf Grund der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufs-beamtentums, Notariatskammer Salzburg, Personalakt Seethaler.

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192 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

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194 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

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Page 195: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

3.2. RechtsanwältInnen

Die Recherchen zur österreichischen Rechtsanwaltschaft erschienen imLichte der Ausgangsfragen komplizierter. Der Bestand dieses Berufs warviel größer als der des Notariats, so dass eine Totalerhebung nicht in Fragekam. Darüber hinaus war die Rechtsanwaltschaft zwar in ausgeprägterSelbstverwaltung organisiert, doch per definitionem vom Staat unabhän-gig – de facto nicht ganz, aber fast vollständig. Der Zugang zu einschlä-gigen Archivalien stellte sich daher um einiges schwieriger dar. So wurdemit den Erhebungen in der Wiener Rechtsanwaltskammer begonnen, dadort die weitaus meisten Berufsmitglieder geführt wurden. Da die WienerKammer über keine verwendbaren Personalakten verfügt, konnten dieRecherchen, die als Zufallsstichprobe aus den in Folianten aufliegendenZulassungslisten angelegt wurde, zügig durchgeführt werden. Die Erhe-bungen in den Bundesländern wurden auf Tirol und Salzburg beschränkt.Zu Notaren und RechtsanwältInnen fanden sich auch Bestände im Öster-reichischen Staatsarchiv (Bürckel, BMJ) sowie in den Landesarchiven, dieauf relevantes Material gesichtet wurden.

Die erste gesamtösterreichische Advokatenordnung wurde bereits 1849erlassen und brachte die Einführung von Advokatenkammern als Organder Selbstverwaltung.308 Als freier Beruf wurde die Advokatur (und spätereRechtsanwaltschaft) durch die bis heute geltende Advokatenordnung von1868 begründet.309 Im Gegensatz zu den Notaren waren die staatlichenInterventionen sehr gering. Nicht umsonst galt die Rechtsanwaltschaft(mehr sogar noch als die Ärzteschaft) als das Beispiel eines Freien Berufsmit eigener Kammerorganisation, Selbstverwaltung der Standesdisziplinund des Berufszugangs. Und dies, obwohl die Autonomie der Advokaturschon zu Zeiten des Ständestaates eingeschränkt worden war.

Die ersten Maßnahmen gegen Kammermitglieder basierten auf derbestehenden Rechtsanwaltsordnung. Erst die Verordnung vom 31. März1938 schuf eine gesetzliche Basis für das Ausscheiden jüdischer Rechtsan-wälte. Die Zweite Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte

RechtsanwältInnen 195

308 Vgl. Kaiserliche Verordnung vom 16. August 1849, RGBl Nr. 364 (provisorische Ad-vokatenordnung), auch Friedrich Kübl: Geschichte der österreichischen Advokatur.Wien 1981, S. 106.

309 Vgl. Advokatenordnung vom 6. Juli 1868, RGBl Nr. 96, auch Kübl, Geschichte derösterreichischen Advokatur, S. 115.

Page 196: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

196 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

und Notare im Lande Österreich vom 11. Juni 1938310 beseitigte die Grund-lagen der Anwaltschaft als selbständigen und freien Beruf, indem die Zulas-sung zur Rechtsanwaltsprüfung und die Entscheidung über die Eintragungin die Rechtsanwaltsliste dem Reichsjustizminister zugesprochen wurde.

In ganz Österreich wurde allein im März 1938 1.297 von insgesamt3.392 RechtsanwältInnen die Ausübung ihres Berufs untersagt und wenigspäter deren Streichung aus den Kammerlisten verfügt.311

In einem Bericht des Staatskommissars Dr. Wimmer im Ministeriumfür innere und kulturelle Angelegenheiten an die österreichische Landes-regierung über den Stand der Angleichung des österreichischen Rechts andas deutsche Reichsrecht äußert dieser die Ansicht, dass mit den beiden Ver-ordnungen vom 27. September 1938 „die Lösung des Judenproblems imBereiche der Rechtsanwaltschaft einem entscheidenden und abschließen-den Stadium zugeführt“312 werde.

Die Angleichung der gesetzlichen Grundlagen der Rechtsanwaltschaftan das Reichsrecht wurden fortgesetzt. Im April 1941 ersetzte die Reichs-rechtsanwaltsordnung die zum Großteil noch immer geltende österreichi-sche Rechtsanwaltsordnung. Im Zuge des totalen Krieges wurden schließ-lich die letzten Reste der Selbstverwaltung beseitigt; nach § 66 der ZweitenKriegsmaßnahmenverordnung vom 27. September 1944 erlosch das Amtder Mitglieder der Rechtsanwaltskammern, und die Geschäfte wurden nurmehr vom Präsidenten geführt.313

Die Untersuchung der Berufsschädigungen in der Rechtsanwaltschaftwurde in Wien begonnen. Durch den Vergleich von zwei Berufslisten ausden Jahren 1937 und 1938 konnte eine Liste ausgetragener AnwältInnenerstellt werden. Das Archiv der Rechtsanwaltskammer für Wien, Nieder-österreich und Burgenland in Wien verfügt zwar über keine Personalakten,die vom Projekt verwendet werden konnten,314 die vollständig erhaltenen310 Vgl. RGBl I S. 622.311 Vgl. Christian Broda: 1938 – 1974: Was ist geblieben? Rede bei der Jahresversamm-

lung des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes am 11. März1974 in Wien, in: Zeitgeschichte (1974), S. 181–186, hier: 183.

312 ÖStA AdR 05, Zl. 194.565-I/1938.313 Vgl. Verordnung über außerordentliche Maßnahmen auf dem Gebiete des bürgerli-

chen Rechts, der bürgerlichen Rechtspflege und des Kostenrechts aus Anlass destotalen Krieges (Zweite Kriegsmaßnahmenverordnung) vom 27. September 1944,RGBl I S. 229.

314 Gemäß den ursprünglichen Auskünften von Seiten der Kammer wurden die Perso-nalakten der Mitglieder erst ab 1980 systematisch archiviert, so dass für die Projekt-

Page 197: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

Folianten mit den Mitgliederlisten (getrennt nach AnwältInnen und An-wärterInnen) erwiesen sich jedoch völlig unerwartet als relativ reichhaltigeQuelle. So wurde es möglich, mehrere Datenbanken zu entwerfen.

Nach diesem Vorbild und mit Hilfe der in Wien erarbeiteten Recher-chetabellen gestalteten sich die Erhebungen in den Bundesländern, wo sichin den Kammerarchiven zumindest noch einige Personalakten und Doku-mente zur Kammerpolitik während der in Frage stehenden Jahre (offizielleRundschreiben, Verlautbarungen zur Rechtsangleichung und ähnliches)fanden. Die dazu nötigen Geschädigtenlisten konnten mit Hilfe der in denMitteilungen der Reichsrechtsanwaltskammer (Jahrgänge 1938 bis 1941)regelmäßig erscheinenden Personalnachrichten (Angaben über Berufsver-bote, Löschungen, Verzichtleistungen usw.) und Informationen aus ande-ren gedruckten Quellen315 erstellt werden. Nur für Salzburg und Vorarlbergwar auf diese Art ein (auch numerischer) Überblick nicht zu erarbeiten.

Vorweg soll jenes Bild präsentiert werden, dass nach den statistischenAngaben der genannten Publikation für die Bestandsentwicklung bei denösterreichischen AnwältInnen und AnwärterInnen von Anfang 1938 bisEnde 1939 entworfen werden kann.316

Tabelle 15: Bestandsveränderungen in der Rechtsanwaltschaft 1938 bis 1940317

1. AnwältInnen: BestandKammersprengel 1. Jänner 1938 1. Jänner 1939 1. Jänner 1940

Feldkirch 47 44 44 Graz 303 262 244 Innsbruck 163 149 138 Klagenfurt 103 79 78 Linz 201 169 157 Salzburg 82 74 66 Wien 2.521 767 829

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RechtsanwältInnen 197

fragestellung einschlägige Dokumente nur für jene Rechtsanwälte zur Verfügungstehen, die sich nach 1945 wieder in die Liste ein- und erst nach 1980 aus der Listeaustragen ließen. Der eine als Beispiel eingesehene Akt enthielt darüber hinaus so gutwie überhaupt keine Informationen.

315 Zeitungsartikel, Listen im ÖStA AVA, BMJ und Listen der FLD Graz.316 Die folgenden Angaben bedürfen einer Korrektur durch die Bestände der Länderkammern.317 Vgl.Mitteilungen d.Reichsrechtsanwaltskammer, Nr.2 (1939), S.31 u. Nr.3 (1940), S.35.

Page 198: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

318 Vgl. etwa Friedrich Kübl: Geschichte der jüdischen Advokaten und Rechtsgelehrtenin Österreich, in: Hugo Gold, Hg.: Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenk-buch. Tel Aviv 1971, S. 117–125, hier: 123.

198 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

2. AnwältInnen: LöschungenKammersprengel 1938 davon „jüdische Anwälte“ 1939

Feldkirch 47 44 44 Feldkirch 5 – 3 Graz 61 18 26 Innsbruck 17 4 14 Klagenfurt 25 6 5 Linz 37 17 24 Salzburg 11 5 9 Wien 1.842 1.484 29

Gesamt 1.998 1.534 110

3. AnwältInnen: NeuzulassungenKammersprengel 1938 1939

Feldkirch 2 3 Graz 20 8 Innsbruck 3 3 Klagenfurt 1 3 Linz 5 12 Salzburg 3 1 Wien 88 91

Gesamt 122 121

4. AnwärterInnen: BestandKammersprengel 1. Jänner 1939 1. Jänner 1940

Feldkirch 5 – Graz 23 5 Innsbruck 14 2 Klagenfurt – – Linz 29 9 Salzburg 8 2 Wien 265 76

Gesamt 344 94

Diese Zahlen stimmen nicht mit den Angaben in der Literatur überein.318

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Auf zwei Quellen soll noch verwiesen werden, die gesichtet, aber fürdie Arbeit des Projekts nicht eigens relevant wurden. Der Bestand imÖsterreichischen Staatsarchiv BMJ, II/A-D 1926–, Rechtsanwälte, Notare[...] enthält Ansuchen von nationalsozialistischen Anwälten, Notaren,Staatsanwälten und Richtern um die Anrechnung von Zeiten in Partei-funktionen als Dienst- beziehungsweise Ausbildungszeiten, Ansuchenvon Enthobenen sowie Denunziationen. Er dokumentiert außerdem denParteiausschluss und den Rücktritt des Präsidenten der Wiener Rechtsan-waltskammer Dr. Georg Ettinhausen.319 Eine weitere, wichtige Quelle isteine Liste aus den Central Archives for the History of the Jewish People,welche die Namen der jüdischen Konsulenten von Juni 1942 bis Mai1944 auflistet.320

Das Gedächtnisprotokoll des Präsidenten der Tiroler Rechtsanwalts-kammer über eine Sitzung der ständigen Vertreterversammlung der öster-reichischen Rechtsanwaltskammern in Wien am 24. April 1938 vermerkt,dass die ehemals österreichischen Kammern ganz eigene Ideen entwickelten,die völkische Neuordnung des Berufs zu beschleunigen und selbständigzu organisieren.321 Dies implizierte auch einen Rückgewinn der kurz zuvorreduzierten Kammerautarkie. Damit gerieten sie allerdings in Konflikt mitden zentralen Behörden.

Ein eigenes Sitzungsprogramm, so lässt sich lesen, habe nicht vorge-legen. Neben der Wahl des Präsidenten der Vertreterversammlung sei vomPräsidenten der Wiener Kammer vor allem die „Judenfrage zur Diskussion“gestellt worden. „Es leuchtete aus den Ausführungen durch, daß man

RechtsanwältInnen 199

319 Der Bestand ist alphabetisch abgelegt. Kt. 4575 A-D, 4576 E-F, 4577 G-J, 4578 H-M,4579 N-Sp, 4580 T-Z; 5481II 1-8 + Vz 1926.

320 Vgl. Konsulenten nach dem Stand vom 15. September 1942, Liste der zugelassenenKonsulenten in Wien (mit Streichungen durch die Staatspolizei vom 2. Mai 1944),Jüdische Konsulenten nach dem Stande vom 15. Juni 1942, CAHJP, Jerusalem, A/U5 406 (4 Seiten in Kopie).

321 Anwesend bei dieser Sitzung waren die Präsidenten der Länderkammern (die Belangeder Kammer für Vorarlberg vertrat der Präsident der Tiroler Kammer), RechtsanwaltDr. Ammann als Landesführer des Rechtswahrerbundes, Rechtsanwalt Baron Dr.Mayr und Dr. Führer, vgl. Rechtsanwaltskammer in Innsbruck, Dr. Otto Ferraris-Occhieppo an Dr. Gottfried Riccabona, Präsident der Vorarlberger Rechtsanwalts-kammer in Feldkirch, über die am 24. April 1938 stattgehabte ständige Vertreterver-sammlung der österreichischen Rechtsanwaltskammern in Wien, Tiroler Rechtsan-waltskammer in Innsbruck, Einlaufstücke 1938.

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seitens der Regierung scheints nicht willens ist, die Judenfrage über denRahmen der gesetzlichen Bestimmungen hinaus einer schärferen Erledi-gung zuzuführen. Es wurde daher der Anregung beigepflichtet, daß vonÖsterreich aus dem Altreiche ein Auftrieb zur radikaleren Lösung dieserFrage gegeben werden soll.“322 Beschlossen wurde auf Vorschlag der LinzerKammer, analog zum Vorgehen in Bayern über die Zulassung jüdischerAnwältInnen mit Hilfe eines „Schlüssels“ zu entscheiden: „Es hat sichherausgestellt, daß bei der Wiener Kammer von 1800 Juden ungefähr dieHälfte verbleiben wird. Es wurde einstimmig beschlossen, daß in dem Sinnevom Präsidenten der Wiener Kammer in Verbindung mit dem Rechts-wahrerbund beim Minister für Justiz Dr. Hueber interveniert werde, daßeine Schlüsselzahl festgesetzt wird.“323

Zu den weiteren Themen zählte erstens die Vertretung jüdischer Man-danten durch arische Anwälte, die in allen Angelegenheiten gegen arischeStreitparteien sowie in allen Strafsachen und vor Polizeibehörden prinzi-piell verboten werden sollte. Nicht verboten habe demgegenüber die Ver-tretung von Juden gegen andere Juden zu sein. Die Arisierung einesjüdischen Unternehmens schließlich dürfe nur von arischen Anwältendurchgeführt werden. Zweitens ging es um die Überprüfung der Vertrau-enswürdigkeit von Anwälten:

„Um den Kammern die Möglichkeit zu geben, nicht nur sich der Judenzu entledigen, sondern auch derjenigen Anwälte, die sich als schwere Be-lastung für die Kammern, sei es durch ihr großes Vorstrafenregister, durchHandlungen, die disziplinär nicht zu erfassen waren, wie auch durch poli-tische Delikte, wurde beschlossen, dem Ministerium für Justiz den Wunschder Kammern auf Änderung des § 5 RAO zu unterbreiten, und zwar dahin,daß die Kammern jederzeit die Möglichkeit haben, die Vertrauenswürdig-keit eines Anwaltes zu prüfen.“324

Die Durchführung dieser Überprüfung sollte den Disziplinarrätenüberlassen bleiben. Beklagt wurde, dass im Justizministerium demgegen-über die Tendenz vorherrsche, möglichst wenige weitere Enthebungendurchzuführen. Ein anderer Tagesordnungspunkt der Sitzung bezog sich

322 Gzl. 305/38, Präsidium des Oberlandesgerichtes /Hermann Greinz an Tiroler Rechts-anwaltskammer in Innsbruck vom 12. April 1938, in: Tiroler Rechtsanwaltskammerin Innsbruck, Einlaufstücke 1938.

323 Ebenda.324 Ebenda.

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auf die Frage der Umschulung von Rechtsanwälten für eine zukünftigeVerwendung beim Bundesgerichtshof und in der Gerichtsverwaltung.

Die Fragebögen zur eigenen Herkunft und Familie sowie zu der desGatten beziehungsweise der Gattin mussten von den Kammermitgliedernbis zum 28. April 1938 dem Oberlandesgerichtspräsidenten vorgelegtwerden.325

Eine über die Berufsschädigung hinausgehende Repression traf dieRechtsanwältInnen verständlicherweise gerade auf Grund ihres Berufs. Sonennt zum Beispiel eine Liste des SD aus Berlin 80 der Wiener Berufs-mitglieder, die für die Internierung im Konzentrationslager Dachau vor-gesehen waren. Zur Begründung sind Bemerkungen angeführt wie„asozialer / unsauberer / übler Geschäftemacher“, „übler / großer Geschäf-teschieber / Schieber / Verschieber“, „Gauner“, „Kommunist“, „Aussauger“,„Betrüger“, „Abtreiberverteidiger“, „(asozialer) Wucherer“, „Kostenschin-der“, „Hetzer“, „Kriegsgewinnler“, „Boselprozeß“, „gefährlicher / gehässigerFreimaurer“, „asozialer Ausbeuter / asoziales Element“, „sensationslüsternerHetzjude“, „gefährlicher Ausbeuter“, „Urkundenfälscher“ und „gefährli-cher Jude“.326

Darüber hinaus wurde in der Bibliothek der Wiener Kammer in einemveröffentlichten Anwaltsverzeichnis ein Schreiben des Oberlandesgerichts-präsidenten vom 31. Jänner 1942 gefunden, in dem die Mischlinge undVersippten unter den RechtsanwältInnen aufgelistet wurden.327 Die völkischeNeuordnung des Rechtsanwaltsberufs war nach den umfangreichen Aus-merzemaßnahmen der ersten Jahre der NS-Herrschaft nicht abgeschlossen.

Die Untersuchung der in der Wiener Rechtsanwaltskammer auflie-genden Listen erlaubte die Auszählung und Zusammenstellung aller zwi-schen März 1938 und Kriegsende aus dem Beruf geschiedenen 1.944AnwältInnen.

RechtsanwältInnen 201

325 Ebenda.326 „Betr.: Unterbringung von Juden im Konzentrationslger Dachau, für die Überfüh-

rung nach Dachau werden folgende jüdische Rechtsanwälte namhaft gemacht:“ BABerlin ZB 7050 A.17, fol. 129–135.

327 Vgl. Verzeichnis der RA des Oberlandesgerichtsbezirkes Wien, die selbst oder deren Ehe-frauen auf Grund der 1. VO zum RBG vom 14. November 1935, RGBl I S. 1333,Juden beziehungsweise Mischlinge I. oder II. Grades sind, die mit solchen verheiratetwaren.

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Für diese Zählung wurde für jeden Anwalt und jede Anwältin folgendeMerkmale erhoben:

– Geschlecht (18 weiblich, 1.926 männlich)– Ort der Zulassung und– Grund der Streichung aus der Liste.

Aus der Eintragung in den diversen Listenbänden kann darüber hinausrelativ einfach und grob die Dauer der Berufsausübung bestimmt werden.Folgende Streichungsgründe ließen sich eruieren und abzählen (Mehrfach-nennungen möglich):

– Selbständiger Verzicht (284),– „Gelöscht gem. § 1, Buchst. B. Z. 1 u. § 7 der 5. VO zum Reichs-

bürgergesetz vom 27. 9. 1938, RGBl I S. 1403“ (1.422),– „Gelöscht gem. § 2 der 3. VO über Angelegenheiten der Rechtsan-

wälte, Rechtsanwaltsanwärter und Verteidiger in Strafsachen inÖsterreich v. 27. 9. 1938 RGBl I S. 1406“ (35),

– Resignation (41),– Ableben (125) und– Sonstiges (50).

Die aus der Kammerliste gelöschten AnwältInnen bilden jenen Teil derAnwaltschaft Wiens, Niederösterreich und des Burgenlandes, der defini-tiv auf Grund nationalsozialistischer Gesetzgebung den Beruf aufgebenmusste (1.457). Für jene, die entweder selbständig auf die Ausübung ver-zichteten oder resignierten (325), kann dies mit Eindeutigkeit nicht ge-sagt werden – es wird sich um übliche Berufsrücktritte (aus Altersgründen,oder um eine andere Karriere zu verfolgen) ebenso gehandelt haben wieum Rücktritte angesichts der beginnenden Repression und zum Beispielals Vorbereitung der Emigration. Dieselbe Unsicherheit muss für die Fälleeines Ablebens vor dem 1. September 1939 (Stichtag der Streichungen)gelten, das durch direkte oder indirekte nationalsozialistische Gewaltan-wendung eingetreten sein kann oder nicht (68). Allerdings können etlicheAustritte mit relativ großer Wahrscheinlichkeit aus der Zählung der erzwun-genen Streichungen herausgenommen werden, und zwar die Berufsrück-legungen auf Grund (Mehrfachnennungen möglich):

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– des Ablebens nach dem 1. September 1939 (67),– des Ausschlusses aus Disziplinargründen (9),– des Ausschlusses durch einen Ehrengerichtsbeschluss (3),– des Fronteinsatzes (1),– der Übernahme in den Staatsdienst (2) und– von sonstigen Maßnahmen (12).

Ebenso müssen die 13 widerrufenen Streichungen abgezogen werden,was insgesamt 102 Fälle ergibt.

So lässt sich formulieren, dass in der Rechtsanwaltschaft Wiens, Nie-derösterreichs und des Burgenlandes mindestes 1.457 und höchstens 1.842AnwältInnen auf Grund von repressiven NS-Gesetzen auf ihre Berufs-ausübung verzichten mussten.

Im Vergleich dazu werden in der Literatur folgende Zahlen genannt.Kübel beziffert den gesamten Abgang 1938/39 mit 1.770 und nimmtdabei 1.755 Fälle als Opfer nationalsozialistischer Politik an.328 Jahoda ver-merkt, dass zwischen dem 13. März und dem 31. Dezember 1938 1.834RechtsanwältInnen aus der Liste gestrichen wurden.329 In den zeitgenös-sischen Statistiken werden für das Jahr 1938 1.842 Löschungen genannt– wobei von diesen 1.484 auf Grund der „Rücknahme der Zulassungjüdischer Anwälte“ erfolgt sein sollen – und für 1939 29 Löschungen.330

Christian Broda nennt – allerdings nur für den März 1938 – 1.199 Lö-schungen, vor allem aus rassischen Gründen, aus der insgesamt 2.521Rechtsanwälte umfassenden Liste.331

Eine eigene Auszählung der publizierten Listen ergibt demgegenüberinsgesamt 1.508 Enthebungen:332 Auf Grund der Fünften Verordnungzum Reichsbürgergesetz vom 27. September wurde die Zulassung von1.408 jüdischen Rechtsanwälten aus Wien und von 69 aus Niederöster-reich und dem Burgenland zum 31. Dezember 1938 zurückgenommen.Auf Grund der §§ 1 und 3 der Dritten Verordnung über Angelegenheitender Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsanwärter und Verteidiger in Strafsachen

RechtsanwältInnen 203

328 Vgl. Kübl, Geschichte der österreichischen Advokatur, S. 179. Diese Angaben scheinenauf Auskünfte (Selbsteinschätzungen) der Kammer zurückzugehen.

329 Vgl. Ernst Jahoda: Geschichte der österreichischen Advokatur 1918 – 1973, nach demManuskript für die Veröffentlichung bearbeitet von Dr. Doris Ströher. Wien 1978, S. 49.

330 Vgl. Mitteilungen der Reichsrechtsanwaltskammer 3 (1939), S. 31 und 3 (1940), S. 35.331 Vgl. Broda, 1938 – 1974, S. 183.332 Vgl. Mitteilungen der Reichsrechtsanwaltskammer 2 (1939), S. 38 – 44.

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in Österreich vom 27. September 1938 wurden 14 jüdische Mischlinge,und auf Grund des § 2 22 Rechtsanwälte im Kammersprengel gelöscht.

Als nächste Datenbank konnte eine Stichprobe (n = 194) aus der Men-ge aller zwischen März 1938 und Kriegsende aus der Liste gestrichenenRechtsanwältInnen konstruiert werden. Als Auswahlkriterium musste aus-schließlich auf das Zufallsprinzip (jeder zehnte relevante Fall) zurückge-griffen werden, da eine Ergänzung zum Beispiel durch einen gezielten Zu-griff auf ausgewählte Namen durch den Aufbau der Listen (chronologischeReihung nach Zulassungsdatum) so gut wie unmöglich ist. Dieser Grund-stock wurde nur durch die Aufnahme einiger Fälle von Rechtsanwälten,die nicht aus den Listen gestrichen wurden (Kontrastgruppe), ergänzt, sodass das komplette Sample nunmehr 203 Erhebungseinheiten umfasst.

Folgende Merkmale wurden dabei erhoben:– Identifikatoren für die diversen Listen,– Name und Vorname,– Geschlecht,– Datum der Eintrag beziehungsweise Eidesablegung und – Datum und Grund der Löschung aus der Rechtsanwaltsliste.

Unter den Löschungsgründen wurden folgende nach standardisiertemWortlaut identifiziert:

– „Gelöscht gem. § 1, Buchst. B. Z. 1 u. § 7 der 5. VO zum Reichs-bürgergesetz vom 27. 9. 1938, RGBl I S. 1403“ (157),

– „Gelöscht gem. §§ 1 u. 3 der 3. VO über Angelegenheiten derRechtsanwälte, Rechtsanwaltsanwärter und Verteidiger in Strafsachenin Österreich v. 27. 9. 1938 RGBl I S. 1406“ (2),

– „Verzicht mit Beschl. vom ... [Datum] z. K. g. K.Ü. ... [Name desKanzleiübernehmers]“ (16),

– „resigniert am ... [Datum] K.Ü ... [Name des Kanzleiübernehmers],Beschluss vom ... [Datum]“ (4),

– „Die Anzeige von der Verzichtsleistung auf die Ausübung der R.A.wird zur Kenntnis genommen und mit Sitzungsbeschluß vom ...[Datum] Herr ... [Name] zum Kanzleiübernehmer bestellt“ (4),

– „verstorben am ... [Datum]“ (9) und– handschriftlicher Kommentare (1).

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Dieses Sample konnte danach mit Hilfe der in den Rechtsanwaltsan-wärterInnenlisten enthaltenen Angaben (vor allem zu Ausbildungs- undBerufskarrieren) wesentlich erweitert werden (s.u.). Einzelne Informationenwurden noch aus den veröffentlichten Verzeichnissen (Kanzleiadresse, Mit-gliedschaften in der wirtschaftlichen Organisation und/oder in der Sterbe-kasse der Anwaltschaft) hinzugefügt.

Die Untersuchung der RechtsanwaltsanwärterInnen gestaltete sichdemgegenüber einerseits interessanter, da die AnwärterInnenlisten eineviel größere Zahl an standardisierten Informationen enthalten, andererseitsals heikler, da für die Projektfragestellung wesentliche Angaben geradefehlen. So ließen sich die 417 zwischen März 1938 und Kriegsende aus-geschiedenen AnwärterInnen, die nicht in die Liste der RechtsanwältIn-nen übernommen worden waren, relativ leicht abzählen. In Ergänzung zu

– akademischen Titeln,– dem Geschlecht und– dem Datum des Austrittskonnten die Austrittsgründe jedoch leider in nur wenigen Fällen eruiert

werden. So findet sich folgende Bestandsverteilung:– ohne weiteren Kommentar (292),– Löschung „auf Grund der VO v. 30. 6. 1939 des RMJ“ oder „gelöscht

gem. Erl. d. RMJ v. 30. 6. 1939“ (48),– überhaupt kein Austritt eingetragen (5),– Kennzeichnung mit einem handgeschriebenen „J“ (61),– Ableben (8) und– diverse Gründe (3).

Abgesehen davon, dass für den größten Teil (circa 70 Prozent) keineAngaben vorliegen, konnten der genaue Inhalt der angesprochenen Rege-lungen und das mit „J“ (wohl für Jude) bezeichnete Procedere nicht er-mittelt werden.

Die Konstruktion einer Stichprobe unter den AnwärterInnen (97) er-laubte es, die Vielfalt an Informationen, die in den entsprechenden Listenenthalten sind, aufzubereiten. Für dieses Sample wurde wiederum voneiner Zufallskonstruktion ausgegangen (jeder zehnte Fall), da die Listenebenso chronologisch aufgebaut sind. Zusätzlich wurden 20 Kontrastfälleerhoben, AnwärterInnen, die während des Untersuchungszeitraums indie Rechtsanwaltschaft übernommen worden waren. Diese Teilgruppe

RechtsanwältInnen 205

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ist deshalb etwas größer gewählt, da sie verständlicherweise gleichzeitig alsKontrast für den Rechtsanwaltssample (Fälle von Neuzugängen) fun-gieren muss. Die 35 verbleibenden Fälle wurden zunächst irrtümlich auf-genommen und der Einfachheit halber im Sample behalten.

Die Konstruktion bezieht sich auf folgende Merkmale:– akademischer Titel,– Geschlecht,– Geburtsjahr,– Geburtsort,– Gemeindezuständigkeit,– Universität, an der die juristischen Staatsprüfungen abgelegt wurden,– Datum der Verleihung des juristischen Doktortitels,– Universität, an welcher der juristische Doktortitel verliehen wurde,– Berufspraxis (außer dem Gerichtsjahr und Anwaltsanwartschaften),– Zahl der Anwaltspraxen, in denen als AnwärterIn gearbeitet wurde,– Eintragung in die Verteidigerliste,– letzte als AnwärterIn zugewiesene Anwaltspraxis,– Ort der letzten als AnwärterIn zugewiesenen Anwaltspraxis,– Datum des Beginns der Anwartschaft,– Datum des Endes der Anwartschaft und– Gründe des Endes der Anwartschaft.

Unter den Austrittsgründen firmiert zusätzlich zu den sechs schon beider allgemeinen Zählung genannten (siehe voriger Punkt) nun natürlichauch ein siebenter, nämlich die Eintragung in die Rechtsanwaltsliste.

Die hierbei zugänglichen Angaben erlauben somit eine sehr dichteRekonstruktion von unterschiedlichen Ausbildungs- und Berufs- bezie-hungsweise Berufsvorbereitungskarrieren, was es auch ermöglichte, dieAnwärterlisten als Quelle für die Konstruktion des Rechtsanwaltssampleseinzusetzen (s.o.): Das heißt, dass sämtliche hier angeführten Fragen (Merk-male) auch in der Stichprobe der RechtsanwältInnen inkludiert sind.

Eine Einschätzung der Vermögensverluste durch die Enthebungenkonnte im Rahmen der Projektarbeit nicht vorgenommen werden. Einer-seits sind Dokumente der Versicherungen, Pensionskassen und ähnlicherEinrichtungen nicht greifbar – sie scheinen überhaupt nicht mehr zuexistieren. Andererseits fällt die finanzielle Einschätzung einer Rechtsan-waltskanzlei überaus schwer und wird nicht nur von gegenwärtigen Be-

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rufspezialisten, sondern wurde auch von den Zeitgenossen zumeist alsunmöglich verweigert. Und so ist es nicht verwunderlich, dass auch dieAngaben in den noch zugänglichen VA-Formularen ganz extrem variieren(von der Veranschlagung eines irgendwie angenommenen ideellen Wertseiner Kanzlei bis zur Summierung allein des Veräußerungswerts des Mobi-liars, das sich auf Schreibtisch und Telefonapparat beschränken konnte).

Für Steiermark und Kärnten wurden die Angaben aus den Mitteilun-gen der Reichsrechtsanwaltskammer über Löschungen zwischen 1938 bis1940 mit denen verschiedener Listen der Rechtsanwaltskammer Graz undanderem Material333 kombiniert. Die daraus resultierende Tabelle umfasst63 Einträge. Von 25 dieser AnwältInnen finden sich im Archiv der Finanz-landesdirektion Graz auch Vermögensanmeldungen. Die Auszählung dereruierbaren Streichungsgründe ergibt folgende Verteilung.

Tabelle 16: RechtsanwältInnen in Steiermark und Kärnten – Enthebungsgründe

Kärnten Steiermark

Gelöscht gem. §§ 1 u. 7 der 5. VO zum RBG vom 27. Sept. 1938 – 24

Gelöscht gem. ders. VO als jüdische Mischlinge – 2334

Gelöscht als jüdische Rechtsanwälte 6

Rücknahme der Zulassungen von Rechtsanwälten – 10 gemäß §§ 2 u. 4 der 3. VO über Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsanwärter und Verteidiger in Strafsachen in Österreich v. 27. Sept. 1938 („Feinde der NS-Bewegung“)

auf eigenen Antrag – 2

Mit Bescheid des RMJ gelöscht (aus politischen 15 –Gründen wie „Verräter“, „Überläufer“, „System-landesrat“, „Heimatschutz-Offizier“ u.a.)

Unklare Gründe 2 2335

Gesamt 23 40

RechtsanwältInnen 207

333 Reinigung des Kärntner Anwaltstandes. Streichung von 6 Juden und 15 System-An-wälten in Kärnten, in: Kärntner Grenzruf 103, 31. Dezember 1938, S. 7.

334 Davon nachweislich ein Rechtsanwaltsanwärter.335 Davon nachweislich ein Rechtsanwaltsanwärter.

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Im Lauf der Erhebungen im Archiv der Rechtsanwaltskammer für Tirolund Vorarlberg in Innsbruck wurden aus den vorhandenen Folianten(Mitgliederlisten) all jene AnwältInnen in eine Erhebungstabelle aufge-nommen, die einerseits zwischen 12. März 1938 und Ende April 1945aus der Kammer ausgeschieden oder andererseits zwar nicht aus der Listegelöscht, jedoch (zumindest für bestimmte Zeit) in Haft gewesen waren.Die so erstellte Erhebungstabelle umfasst 77 Einträge (inklusive der 14Personen der Kontrastgruppe)336 und wurde mit den Angaben aus denPersonalakten, die alphabetisch im Kammerarchiv abgelegt sind, zu einersehr dichten Datenbank ausgebaut.

Die Tabelle, die sich an der für die Recherche in der Wiener Kammerkonstruierten Datenbank orientiert, umfasst folgende Fragen, die natürlichnicht für jede Erhebungseinheit vollständig beantwortet werden konnten:

– Quellenangaben– Personendaten– laut Folianten: Nach- und Vorname, Titel, Geschlecht, Geburtsda-

tum und -ort, Zuständigkeit, Wohnsitz, Privatadresse, Sterbedatumund -ort

– laut Formular zum Ariernachweis: Beruf des Vaters, Religionsbe-kenntnis, Familienstand, Jahr der Verheiratung, Name der Ehefrau,Anzahl der Kinder, Beruf des Schwiegervaters

– Ausbildungsdaten laut Folianten und Personalakten: Ort der Staats-prüfung, Datum des Doktorates oder der letzten Staatsprüfung,Datum der Rechtsanwaltsprüfung, Ort des Doktorats, andere Praxis(außer der Gerichtspraxis), Anzahl der Praxisplätze, Eintragung indie Verteidigerliste, letzter Dienstgeber vor der Zulassung als selb-ständiger Rechtsanwalt (Name und Ort), Daten des Praxisbeginnsund -endes, Kommentar (zum Austritt), Kommentarspalte (Ort derZulassung als Anwalt)

– Berufliche Daten und Einkommensverhältnisse laut Folianten undPersonalakten: Datum des Eintrags beziehungsweise der Eidesable-gung, Kanzleiadresse, Grund und Datum des Berufsverbots oderAustritts aus der Kammer, eventuell Wiedereintragung nach 1945

– Jahreseinkommen (nur für die Kontrastgruppe der Jahre 1939– 42)

336 Davon lassen sich 13 als Bleiber und/oder Profiteure verstehen, eine Streichung warschon vor 1938 erfolgt.

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– Politische Aktivitäten (Kammerfunktionen, Parteizugehörigkeiten)laut Folianten oder Personalakten: vor 1938, von 1938 bis 1945,nach 1945

– Sonstiges: Einträge in den Mitteilungen der Reichsrechtsanwalts-kammer, Adressänderungen mit Datum

Insgesamt lassen sich so 63 Fälle von Enthebungen und anderen Berufs-schädigungen zählen.

Tabelle 17: RechtsanwältInnen in Tirol – Enthebungsgründe

Gelöscht gem. § 1, b, Z.1 u. § 7 der 5. VO zum RBG 4 vom 27. Sept. 1938, RGBl I 1403 (mit 30. Dezember 1938)

Löschung ohne Angabe von Gründen und div. Gründe337 9338

Gelöscht gem. §§ 1 u. 3 der Dritten VO über Angelegenheiten der 4339

Rechtsanwälte, Rechtsanwaltsanwärter u. Verteidiger in Strafsachenin Österreich v. 27. Sept. 1938, RGBl I 1406 (mit 5. Jänner 1939)

Löschung auf eigenen Antrag, „Verzicht“ 22

Verstorben 13

Versetzung in den Ruhestand auf Vorschlag des Präsidenten 5 des Oberlandesgerichtes (1943/44)

Verzogen innerhalb des Kammersprengels 1

Verzogen nach Wien 3340

Schutzhaft laut Ausschussprotokoll, ohne Löschung 2

Gesamt 63

Berufsverbote und Löschungen dokumentiert auch ein Bestand vonBescheiden (Zeitraum vom 14. März 1938 bis 12. Juli 1940) der TirolerRechtsanwaltskammer an die Landeshauptmannschaft für Tirol, der im

RechtsanwältInnen 209

337 Anhand der Personalakten ließen sich zumindest einige mögliche Streichungsgründeidentifizieren, und zwar: ohne Gründe (2), Haft und gerichtliche Verurteilung (2,davon ein Mischling ersten Grades), fehlende Vertrauenswürdigkeit und disziplinäreGründe (2), Löschung gemäß § 35 der Rechtsanwaltsordnung (2) und infolge Strei-chung gemäß § 19 II St. (1).

338 Davon einmal Schutzhaft laut Ausschussprotokoll vom 14. März 1938.339 Davon einmal Schutzhaft laut Ausschussprotokoll vom 14. März 1938.340 Davon einmal Schutzhaft laut Ausschussprotokoll vom 14. März 1938.

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Tiroler Landesarchiv gefunden werden konnte.341 In die für diese Quelle er-stellte Erhebungstabelle (43) wurden folgende Informationen eingearbeitet:

– Name des Rechtsanwalts /der Rechtsanwältin – Bescheid/e mit Datum – Betreff des Bescheides

– Anzeige einer Verhinderung 8 – Eintragung in die Liste 4 – Nichteintragung in die Liste 1 – Anzeige eines Verzichts 17 – Wiederaufleben der Eintragung 1 – Übersiedlungen 5 – Einstellung der Berufsausübung 3 – Löschungen gemäß den §§ 1 und 7 des RBG 4 – Löschung gemäß den §§ 2 und 4 der 4

DrittenVO über Rechtsanwälte – Vertretungsverbote 2

– Hinweis auf Paragraphen in der Rechtsanwaltsordnung – Daten zu eventueller Haft – Kanzleistellvertretung – Datum der Beendigung der Berufsausübung und – Kommentar.

Bei der in diese Aufstellung mit einbezogenen Auszählung (Mehrfach-nennungen möglich) ergeben sich insgesamt 23 belegte und zwei fraglicheLöschungen. Hier wird deutlich, wie nützlich die Quellenbestände derKammern sind, um die unterschiedlichen Gründe für Berufsschädigungenzu umreißen.

Von den meisten mit Berufsverbot belegten AnwältInnen sind keinePersonalakten mehr vorhanden. Im AllgemeinenBestand der Kammer(abgelegt unter Einlaufstücke 1938) finden sich jedoch in einem Kon-volut „Juden“ zumindest Formulare für den Ariernachweis der jüdischenAnwälte in Tirol sowie Korrespondenzen über die Liquidierung der Kanz-leien von den enthobenen Berufsmitgliedern – wichtige Quellen zurUntersuchung des praktischen Ablaufs der Berufsschädigungen.

341 Vgl. Tiroler Rechtsanwaltskammer, Bescheide an die Landeshauptmannschaft für Tirol,TirLA, Präs., Sonstiges 1-500–I 6/1938, Fasz. 635 und Präs, 86–I 6/1939, Fasz. 649.

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Tabelle 18: Tiroler RechtsanwältInnen – Jahreseinkommen aus selbständiger Tätigkeit1939 bis 1942

als Rechtsanwalt tätig Bruttoeinkünfte in RM bis Kommentar 1939 1940 1941 1942

Ritter Martin 01.12 1943 Ruhestand 174 136 510 454

Rhomberg Walter 19.02.1943 Tod 797 491 ? ?

Walde Volker 31.12.1938 Gerichtsdienst 1.963 ? 4.027 4.835

Stern Hermann 1939 Haft, Verurteilung 2.476 ? ? ?

Klepp Alfred nach 1945 ab 1942 auch Staatsanwalt 2.939 ? 1.654 2.400

Rainer Ludwig 31.07.1941 Verzicht 3.279 ? ? ?

Rainer Oswald 11.03.1945 Tod 3.279 3.365 5.234 6.886

Demattio Anton 01.11.1943 Ruhestand *4.262 ? *150 ?

Avanzini Anton 15.02.1941 Tod 4.500 ? ? ?

Waldbauer Hans 06.10.1938 nach Kufstein *4.887 *9.052 ? ?

Reisinger Artur 14.03.1938 kurzfristig Schutzhaft 7.210 3.528 ? ?

Schumacher Julius nach 1945 7.489 5.060 7.684 10.067

Lassenau Norbert 09.02.1941 Verhaftung, KZ 7.591 – – –

Köll Karl nach 1945 12.353 12.091 12.009 16.395

Atz Arthur 26.11.1942 Verzicht, ger. Verurteilung 13.283 ? ? ?

Huber Josef 14.03.1938 kurzfristig Schutzhaft 14.829 14.740 13.484 16.569

Bauer Anton nach 1945 *32.242 40.366 28.723 12.844

Cornet Anton nach 1945 68.468 ? 29.671 ?

Hämmerle Otto nach 1945 5.029 10.000 13.900 15.509

Formanek Hans nach 1945 Verweser Loewit – 862 1.034 ? ?

Frank Friedrich nach 1945 *6.416 *6.693 *6.483 *8.793

Bruttoeinkünfte aus dem Formular „Nachweisung des Rechtsanwalts [...] zur Festsetzungdes Zuschlags zum Grundbeitrag für das Geschäftsjahr [...]. 1. Angaben über die berufli-chen Einkünfte im Kalenderjahr [...]: Einkünfte aus der Anwaltspraxis und dem Notariat,Einkünfte aus der Tätigkeit als Pfleger, Vormund, Vermögensverwalter, Konkursverwalter,Steuerberater, Devisenberater, Wirtschaftsprüfer usw. ohne Abzug von Werbungskosten“* Angaben aus anderen Quellen des Kammerarchivs

Die detailreichen Akten des Kammerarchivs erlauben eine differen-ziertere Sicht auf die große Bandbreite der Berufsschädigungen. Erschei-nen hier die gegen jüdische AnwältInnen (mit Ausnahme der Mischlinge)verhängten Berufsverbote auf Grundlage der vorhandenen Informationen

RechtsanwältInnen 211

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212 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

oft als noch relativ unstrittige Vorgänge – nur die Konflikte um die Ab-wicklungsdauer, die von offizieller Seite meist „beschleunigt“ zu werdenhatte, werden in den Quellen wiederholt thematisieren –, so scheitertjeder Versuch einer einfachen Grenzziehung zwischen Tätern und Opfernbei politisch begründeten Berufsverboten sehr schnell. Nicht selten werdeneinige dieser Fälle über Jahre verhandelt, je nach politischer Lage fallen-gelassen und wieder aufgenommen.

Dem Rechtsanwalt Dr. Karl M. wurde zum Beispiel mit 17. Juli 1940„fehlende Vertrauenswürdigkeit“ attestiert. Er fand sich mit 22. August1941 von der Liste gelöscht, und sein Aufnahmeansuchen in die NSDAPwurde abgelehnt. Von 1942 bis 1945 war er laut Selbstauskunft von 1955Angestellter der politischen Verwaltung des Generalgouvernements imReferat für Wohnungs- und Räumungssachen. Von 1956 bis 1974 war erwieder als Anwalt tätig.342

Der Rechtsanwalt Dr. Artur R. wurde am 14. März 1938 in Schutz-haft genommen (er war Funktionär der Vaterländischen Front [VF] ge-wesen). Nach seiner Freilassung am 21. März 1938 blieb er ohne formellesBerufsverbot als Anwalt tätig und nahm später bis zum 31. Jänner 1945am Krieg teil. Am 24. Februar 1945 wurde er schließlich zum Staatsan-walt beim OLG Innsbruck bestellt.343

Ebenso unscharf stellen sich auch die Verzichte oder freiwillige Ver-zichtleistungen dar. Unter diesen Bezeichnungen wurden ganz unter-schiedliche Vorgänge vermerkt. Weil die bürokratische Eindeutigkeit dieSchädigungen jüdischer AnwältInnen als solche – und eben nicht mehrals notwendige Neuordnung der Rechtsanwaltschaft – natürlich erst er-möglichte, so erschwert oder verunmöglicht sie gar anhand der erhobenenMaterialien die Rekonstruktion der Perspektive der Geschädigten in derennichtoffizialisierten Dimensionen.

Die Untersuchung des Aktenbestands in der Innsbrucker Rechtsan-waltskammer eröffnete darüber hinaus auch einen Blick auf die Karrierenvon Rechtsanwälten in Politik und Öffentlichem Dienst – etwa in denStadt- und Bezirksverwaltungen (Bürgermeister von Innsbruck oder Leiterder Arisierungsstelle), bei Gerichten, in der Universität. Sie lieferte somit

342 Archiv der Rechtsanwaltkammer Tirol in Innsbruck, Mitgliederverzeichnis Bd. 2, S. 28,Eintrag 150 und Personalakt.

343 Archiv der Rechtsanwaltskammer Tirol in Innsbruck, Mitgliederverzeichnis Bd. 2, S. 99,Eintrag 303 und Personalakt.

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einen weiteren Beitrag zur Frage nach den Profiteuren nationalsozialistischerBerufsneuordnung.

Da die die RechtsanwaltsanwärterInnen betreffenden Folianten nochvorhanden sind, in denen allerdings vielfach weder Datum noch Gründeder Streichungen angegeben wurden, ließ sich wiederum eine Abganglisteerstellen. Mit relativer Sicherheit kann ein offiziell rassisch begründetesAusbildungs- beziehungsweise Berufsverbot nur bei einer Anwärterin nach-gewiesen werden, bei der dezidiert auf die Fünfte Verordnung des RBGverwiesen wurde. (Da die Personalakten der ausgetragenen AnwärterInnen,wie schon erwähnt, in der Regel nicht vorhanden sind, konnten weiterepolitisch oder rassistisch begründete Berufsverbote nicht bestimmt werden.)Die angelegte Erhebungstabelle der AnwärterInnen umfasst 43 Personen(inklusive einer Kontrastgruppe von zwölf Fällen). Die wenigen Daten,die vorhanden sind, weisen darauf hin, dass einige der Ausgetragenen indie öffentliche Verwaltung (vor allem der Stadt Innsbruck, bei Gericht, indie Universität) übernommen und einige zur Wehrmacht eingezogenwurden. Die Berechnungen der Reichsrechtsanwaltskammer geben mit 1.Jänner 1940 lediglich eine Zahl von zwei AnwärterInnen in Tirol an(gegenüber dem Stand von 14 für den Jänner 1939).

Angaben zur Vorarlberger Rechtsanwaltschaft konnten im Tiroler Kam-merarchiv nicht gefunden werden.

Einer Aufstellung der Rechtsanwaltskammer Oberdonau vom 31. De-zember 1938344 lassen sich folgende Angaben entnehmen. Den 201 zuBeginn des Jahres 1938 zugelassenen RechtsanwältInnen werden am Endedesselben Jahres 168 gegenübergestellt. Fünf seien neu dazu gekommen(vier durch Ernennung und einer zog aus einem anderen Kammerbezirkzu) und 38 weggefallen, unter diesen:

– 20 durch Streichung,– sieben durch „freiwilligen Verzicht“,– sechs durch Übersiedlung in einen anderen Kammersprengel und– fünf durch Tod.Außerdem sind vier Übersiedlungen innerhalb des Kammersprengelsvermerkt.

RechtsanwältInnen 213

344 Vgl. Ausschuss der RA-Kammer Oberdonau über den Gesch. Ausweis in Disz. Sachensowie über den Ausweis über die Zahl und Bewegung der ReAnw. i. J. 1938 vom31. Dezember 1938, ÖStA AVA, BMJ, Sign. Wien II/6, Zl. 1481-19/1939.

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214 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Für Oberösterreich und Salzburg wurden darüber hinaus ebenfalls dieAngaben aus den Mitteilungen der Reichsrechtsanwaltskammer zu einerErhebungstabelle verarbeitet, die 67 Einträge, 53 für Salzburg und 13 fürOberösterreich, umfasst.

Tabelle 19: RechtsanwältInnen in Oberösterreich und Salzburg –Enthebungsgründe

Oberösterreich Salzburg

Ausscheiden jüdischer Rechtsanwälte 16345 –

Löschung oder Zurücknahme der Zulassung 8346 –

Löschung auf eigenen Antrag, ohne weitere Angabe 13 2347

von Gründen, „Verzicht“

Verstorben 6 1

Verzogen innerhalb des Kammersprengels 3 –

Verzogen in anderen Kammersprengel (außer Wien) – 1

Verzogen nach Wien 7 2

„Laut Erlaß Zl. 14879/38 vom 16. Dezember 1938 hat – 5348

der Beauftragte, Minister Dr. Hueber, des Reichsjustiz-ministeriums, Abt. Österreich, die Löschung der folgen-denRechtsanwälte im Kammersprengel Salzburg verfügt“

„Gemäß Verfügung des R.Min. der Justiz v. 27. Juni 1939, – 2 Zl. Ip 8 /31767/1, wurden die Rechtsanwälte [...] nach§ 4 der 3. VO über Angelegenheiten der Rechtsanwälte,Rechtsanwaltsanwärter und Verteidiger in Strafsachenin Österreich vom 27. September 1938 in der Liste derRechtsanwälte mit Wirkung vom 30. Juni 1939 gelöscht.“

Gesamt 53 13

345 Davon sechs vor ihrer offiziellen Enthebung auf eigenen Antrag.346 Die Streichung von Dr. Otto Gottlieb-Zimmermann aus Steyr in den Mitteilungen

der Reichsrechtsanwaltskammer 1 (1939) unter dem Punkt „Ausscheiden jüdischerRechtsanwälte. Die Zulassung folgender jüdischer Rechtsanwälte ist zurückgenommenworden“ wurde in Nr. 2 (1939), S. 11 berichtigt: „Diese Mitteilung wird dahin rich-tiggestellt, dass Dr. Otto G. Z. in Steyr unter die gelöschten Rechtsanwälte einzuord-nen ist.“

347 Davon einer wegen Berufung in ein anderes Amt.348 Davon einer wegen Auswanderung, zwei mit Vertretungsverbot seit spätestens

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Obwohl die Salzburger Rechtsanwaltskammer bereits um 1850/51 insLeben gerufen wurde, existiert eine eigene Geschäftsstelle erst seit 1946.Die Agenden der Selbstverwaltung wurden bis dahin in der Kanzlei desjeweiligen Präsidenten bearbeitet; das Archiv musste, ähnlich wie bei derSalzburger Notariatskammer, immer wieder übersiedeln.349

Protokolle der Kammervollversammlungen für die Zeit von 1938 bis1945 fehlen, da die bereits 1935 eingeschränkte Selbstverwaltung nachdem Anschluss völlig außer Kraft gesetzt worden war.350 Im Archiv derKammer befindet sich nur ein Karton mit Quellen über die Zeit der NS-Herrschaft, unter anderem mit Anordnungen des Präsidenten der Reichs-rechtsanwaltskammer und verschiedenen Listen von RechtsanwältInnender ehemaligen Bundesländer. Im Bestand der Personalakten fehlen prak-tisch alle Akten von Personen, denen aus offiziell politischen oder rassi-schen Gründen die Berufsberechtigung entzogen wurde.351 Im zumindestüberhaupt vorhandenen Personalakt von Dr. Richard Weinberger, der alsJude aus der Liste gelöscht worden war, fehlen sämtliche Akten aus derZeit vor 1945.352 Ihr Verbleib konnte nicht geklärt werden.

Allerdings sind die Verzeichnisse der RechtsanwältInnen und Rechts-anwaltsanwärterInnen erhalten. Das für die Untersuchung herangezogeneVerzeichnis wurde am 1. Jänner 1936 begonnen und mit 70 Eintragun-gen am 31. Juli 1946 geschlossen. (Die Liste der Rechtsanwaltsanwärterwurde ebenfalls mit 1. Jänner 1936 begonnen, aber nur bis Juli 1945 ge-führt.)

Die Liste enthält folgende Felder:– Einlauftag,– Einlaufzahl,– Kanzleiadresse,– Personaldaten,– Nachweis der Erfordernisse für die Eintragung,

RechtsanwältInnen 215

15. September 1938 und weitere zwei seit spätestens 1. Dezember 1938 als jüdischeRechtsanwälte enthoben (einer mit Zulassung zum Konsulenten).

349 Vgl. Peter Putzer: Die Salzburger Rechtsanwaltskammer. Materialien zur Geschichteder Advokatur in Salzburg. Salzburg 1992, S. 24.

350 Vgl. S. 12.351 Vgl. Archiv der Salzburger Rechtsanwaltskammer (Archiv der Rechtsanwaltskammer),

Kt. 1944 /Historisches.352 Personalakt Weinberger, Archiv der Rechtsanwaltskammer Salzburg.

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216 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

– Tag der Eintragung in die Liste,– allfällige Disziplinarverfügungen und– Anmerkungen.

Die Eintragungen gliedern sich wie folgt:– fol. 1 – 87: vor dem Anschluss,– fol. 88 – 91: von April 1938 bis Ende 1939,– fol. 92 – 99: ohne Datum,– fol. 100 –104: April /Sept. 1940 (Notaranwälte) und– fol. 105 –112: Mai bis Juli 1945.

Von den 87 bis März 1938 eingetragenen RechtsanwältInnen wurdenfünf wegen Übersiedlung, Verzicht oder Ableben vor dem Anschluss ge-löscht, so dass zu diesem Zeitpunkt 82 Rechtsanwälte im BundeslandSalzburg eingetragen waren.353 Die gleiche Zahl vermerkt ein 1962 erstell-tes „Verzeichnis der Rechtsanwälte, eingetragen in die Liste am 13. März1938“.354

Für die RechtsanwaltsanwärterInnen sind die im kammerinternen Ver-zeichnis enthaltenen Informationen dürftig. Von den 16 Anfang März1938 in der Liste Geführten traten in der Folge sieben ohne nähere An-gabe von Gründen aus, und zwei wurden in die Rechtsanwaltsliste ein-getragen. Für den Juni 1941 finden sich nur mehr zwei Anwärter in derListe, Angaben zu den restlichen fünf fehlen.

Vom Anschluss bis Mai 1945 wurden aus der Salzburger Rechtsan-waltsliste 33 Anwälte endgültig oder zeitweise gelöscht, sechs von diesenwaren verstorben, acht weitere gingen laut den vorhandenen Angabeneinem anderen Beruf nach. Bei letzteren handelt es sich vor allem umRechtsanwälte, die sich zum Teil bereits vor dem März 1938 als illegaleNationalsozialisten betätigt hatten und ihre Karriere nun in Behördenfortsetzten, bei denen durch die nationalsozialistischen EnthebungenStellen frei geworden beziehungsweise neu geschaffen worden waren. Alsprominente Beispiele können hier die Rechtsanwälte Dr. Robert Lippertund Dr. Albert Reitter angeführt werden.

353 Vgl. Putzer, Rechtsanwaltskammer, S. 12.354 Das Blatt liegt dem Verzeichnis der Rechtsanwälte bei und ist mit 30. Oktober 1962

datiert. In dieser Liste fehlt Dr. Robert Aspöck, statt ihm scheint der in das Verzeich-nis erst am 12. April 1938 eingetragene Dr. Heinrich Schiestl auf.

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Lippert, der nach dem Anschluss zum kommissarischen Kammerpräsi-denten berufen worden war, setzte seine Karriere als Leiter der Reichsgau-kämmerei fort, ließ aus diesem Grund seine Anwaltschaft ab November1939 ruhen und verzichtete im April 1940 endgültig. Reitter war einer derHauptprotagonisten der nationalsozialistischen Machtergreifung in Salzburgund wurde bereits am 13. März 1938 zum Landesstatthalter ernannt. Erverzichtete Ende September 1938 auf die Ausübung der Anwaltschaft.355

Freiwilliger Verzicht scheint in vier weiteren Fällen als Löschungsgrundauf. Dr. Julius Bernhold verzichtet aus Altersgründen. Dr. Otto Troyerwurde auf eigenen Antrag gemäß § 56 Abs. 2 Disziplinarstatut gelöscht.Der Halleiner Rechtsanwalt Dr. Emmerich Zöls, der seit Anfang Augustzur Wehrmacht einberufen war, ließ seine Anwaltschaft ab März 1942 aufKriegsdauer ruhend stellen. Im Fall von Dr. Julius Pollak ist ebenfalls einfreiwilliger Verzicht mit Datum vom 27. Juli 1938 vermerkt – Pollak warallerdings bereits im März /April enthoben worden und in der Emigration.

In acht Fällen ist eine Übersiedlung in einen anderen Kammersprengel(alle bis auf eine nach Wien) vermerkt, die allerdings bei fünf mit einemBerufswechsel verbunden war. Für andere acht Rechtsanwälte – sie wurdenenthoben – wurde von der Kammer im März /April 1938 ein Stellvertre-ter gemäß § 28 lit. b der Rechtsanwaltsordnung bestellt. In einem Fall(Dr. Hans Asamer) wurde diese Maßnahme wieder aufgehoben.

In zwei weiteren Fällen wurde die Berufsausübung ohne Angabe vonGründen oder einer gesetzlichen Grundlage per einstweiliger Verfügungvom 3. Mai 1938 verboten. Diese Verfügungen blieben für Dr. RobertAspöck bis 10. Mai 1938 und für Dr. Wladimir Semaka bis 1. Juni 1938in Kraft. Nach einem Erkenntnis des Disziplinarrates des Oberlandesge-richts Wien vom 20. Mai 1940 wurde Semaka erneut zur Streichung ausder Liste verurteilt.356

In zwei Fällen, bei Dr. Franz Erich Grün und bei Dr. Ernst Langfelder,wurde ein Vertretungsverbot nach der Verordnung über die Angelegen-heiten der Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare und Patentanwälte in Öster-reich vom 31. März 1938357 ausgesprochen. Zwei Rechtsanwälte, die Ende

RechtsanwältInnen 217

355 Vgl. S. 19 und 133f.356 Vgl. Verzeichnis der Rechtsanwälte mit Stichtag 1. Jänner 1936, fol. 24: Dr. Wladimir

S. und fo. 77: Dr. Robert A., Archiv der Rechtsanwaltskammer Salzburg.357 Vgl. RGBl I, S. 353f.; Verzeichnis der Rechtsanwälte mit Stichtag 1. Jänner 1936, fol. 73:

Dr. Franz Erich G. und fol. 85: Dr. Ernst L., in: Archiv Rechtsanwaltskammer Salzburg.

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218 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

1938 als Juden aus der Anwaltsliste gelöscht wurden, Dr. Julius Pollakund Dr. Josef Weiß, fielen unter die Ausnahmeregelungen dieser Verord-nung, da sie bereit 1910 beziehungsweise noch im Juli 1914 eingetragenworden waren. Für den fünften jüdischen Rechtsanwalt in Salzburg, Dr.Richard Weinberger, ist eine vorläufige Untersagung der Berufsausübungnicht in der Liste vermerkt.

Tabelle 20: RechtsanwältInnen in Salzburg – Löschungen 1938 bis 1945

11.3.38 1.4.38 1.1.39 1.7.39 1.5.41 Summe– 31.3.38 – 31.12.38 – 30.6.39 – 31.4.41 – 4.5.45

Ruhen wg. neuer – – 2 2 – 4 Beschäftigung

Verzicht wg. – 2 2 2 2 8 neuer Beschäftigung

Ruhen/Verzicht aus – 1 – 2 1 4 anderen Gründen

Tod 1 – – 3 3 7

Übersiedlung nach – 3 2 2 – 7 Wien

Übersiedlung in – 1 – – – 1andere Orte

Emigration 2 – 1 – – 3

Stellvertreter gem. 8 – – – – 8§ 28 lit. b RAO

Aufhebung der 1 – – – – 1 Stellvertretung

Einstw. Verf. d. – 2 – – – 2 Berufseinschränkung

Aufhebung der Berufs- – 2 – – – 2einschränkung

Löschung wg. – – 1 – – 1 Disziplinarverfahren

Vorl. Berufsverbot – 2 – – – 2 gem. VO v. 31.3.38

Lö. gem. 5. VO z. – 5 – – – 5Reichsbürgergesetz

Lö. gem. § 2 der – – 2 – – 23. VO v. 27.09.38

Gesamt 12 18 10 11 6 57

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Endgültig gelöscht wurden die jüdischen Rechtsanwälte per Erlass desReichsjustizministeriums. Am 4. Jänner 1939 veröffentlichte die SalzburgerRechtsanwaltskammer folgende Meldung in der Salzburger Landeszeitungals Amtsblatt:

„Der Beauftragte Minister Dr. Hueber des Reichsjustizministeriums,Abt. Österreich, hat mit Zl. 14.879/38 vom 16. Dezember 1938 die Lö-schung der nachstehenden jüdischen Rechtsanwälte aus der Liste desKammersprengels Salzburg verfügt: Dr. Franz Grün, Dr. Ernst Langfelder,Dr. Julius Pollak, Dr. Josef Weiß, Dr. Richard Weinberger. Gleichzeitigwurde Dr. Josef Weiß mit Erlaß Zl. 15.205/38 als jüdischer Rechtskon-sulent vorläufig bestellt.“358

Die Entfernung politischer Gegner aus der Rechtsanwaltschaft erfor-derte mehr Zeit. Die Salzburger Kammer richtete mehrere Schreiben andie zuständigen Behörden in Wien, in denen sie um Verlängerung der mit31. Dezember 1938 festgelegten Frist ersuchte, um die „Bereinigung derRechtsanwaltschaft von politisch unzuverlässigen Anwälten“ durchzufüh-ren, da die Überprüfung der politischen Vergangenheit und Gesinnungder Kammermitglieder nicht fristgerecht beendet werden könne: Die Er-hebungen durch die Gestapo hätten nicht abgeschlossen werden könnenund es würden noch keine „Tatsachen“ vorliegen, „welche ein genügendeUnterlage für eine Löschung bieten würden“.359 Wahrscheinlich dürfte esin anderen, größeren Kammersprengeln ähnliche Probleme gegeben haben.Mit der Vierten Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte,Rechtsanwaltsanwärter und Verteidiger in Strafsachen im Lande Österreichvom 23. Februar 1939360 wurde jedenfalls die Frist für die Löschung als„Feind der nationalsozialistischen Bewegung“ bis zum 31. März 1939 ver-längert.

Ähnliche Probleme bei der fristgerechten Streichung der politischunzuverlässigen Rechtsanwälte gab es in Oberdonau. Die Aufforderung

RechtsanwältInnen 219

358 Salzburger Landeszeitung, 4. Jänner 1939, zit. nach: Widerstand und Verfolgung inSalzburg. Eine Dokumentation, Bd. 2, hg. vom Dokumentationsarchiv des österrei-chischen Widerstandes. Wien und Salzburg 1991, S. 451.

359 Reichsminister der Justiz (Schlegelberger) an Stellvertr. D. F. (Heß), Reichsministerdes Innern, RK (Bürckel) [Abt. IIIC] vom 28. Jänner 1939 und NSDAP GauleitungSbg /Gaurechtsamt an Reichsjustizministerium Abt. Österreich vom 30. Dezember 1938betreffend Durchführung der 3. VO, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/1 An-gelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare im Lande Österreich. 2., 3. und 4. VO.

360 Vgl. RGBl I S. 294.

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220 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

des österreichischen Justizministers vom 24. Oktober 1938, eine Listedieser Anwälte zu übersenden, scheiterte an behördlichen Missverständ-nissen, ihr konnte nicht fristgerecht nachgekommen werden.361

Auf Grund dieser Vierten Verordnung wurden in den Gauen Salzburgund Oberdonau 20 Rechtsanwälte gelöscht. An diesen Löschungen übteder Reichsminister für Justiz Kritik, da es an beweiskräftigen Tatsachenfehle und die Betroffenen nicht gehört worden seien.362 Es sei daher eineweitere Fristverlängerung zur Durchführung des Gesetzes notwendig. Füreine weitere Verlängerung bis 30. Juni 1939 gab es von Seiten der Reichs-statthalterei und des Braunen Hauses keine Einwände.

Die Fünfte Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte vom3. April 1939363 schob die Frist nochmals bis zum 30. Juni 1939 hinaus.Dann dürfte die Neuordnung der Salzburger Rechtsanwaltschaft nachnationalsozialistischen Kriterien tatsächlich zu einem ersten Ende gekom-men sein. Die Berechtigung der Rechtsanwälte Dr. Eduard Bittner undDr. Georg Holzer wurde mit 30. Juni 1939 mit einer Verfügung desReichsministeriums im Sinne der §§ 2 und 4 der Dritten Verordnungüber Angelegenheiten der Rechtsanwälte vom 27. September 1938 gelöscht.

Bis zu diesem Zeitpunkt war der Großteil der Löschungen im Ver-zeichnis der Salzburger Rechtsanwälte erfolgt, darunter alle Eintragungen,die sich explizit auf antijüdische Maßnahmen beziehungsweise auf Maß-nahmen gegen politische Gegner bezogen. Nach diesem Datum handeltes sich bei den Löschungen vor allem um Rechtsanwälte, die ihre Karrierein anderen Berufsbereichen fortsetzen konnten oder verstorben waren.

361 Vgl. Gauleiter und Landeshauptmann von Oberdonau / Linz an Reichsjustizminister(Gürtner) / Berlin vom 21. Jänner 1939 betreffend politisch unzuverlässige Rechts-anwälte, ÖStA AdR, Bürckel-Materie, 1815/10/1 Angelegenheiten der Rechtsanwälteund Notare im Lande Österreich. 2., 3. und 4. VO.

362 Vgl. Reichsminister des Innern (Hoche) Berlin an RK (Abtl. III) vom 24. März 1939betreffend Ausscheiden von politisch unzuverlässigen Rechtsanwälten im Lande Öster-reich; Übersendung eines Entwurfs zur 5. VO über Angelegenheiten der Rechtsan-wälte, Rechtsanwaltsanwärter und Verteidiger etc. im Lande Österreich und Reichsmi-nister der Justiz / Berlin (Vogels) an Reichsminister des Innern vom 22. März 1939betreffend Ausscheiden von politisch unzuverlässigen Rechtsanwälten im Lande Öster-reich, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/2 Angelegenheiten der Rechtsanwälteund Notare; 5. VO-Politische Unzuverlässigkeit.

363 Vgl. RGBl I, S. 708.

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224 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

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Page 226: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

226 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

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Page 227: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

3.3. PatentanwältInnen

Eigene Recherchen in Kammer- oder Landesarchiven konnten zu dieserBerufsgruppe nicht durchgeführt werden. Deshalb lassen sich nur jene An-gaben referieren, die sich in den Akten des Bürckel-Bestandes finden.364

In einem Schreiben vom 9. Juni 1938 an Reichskommissar Bürckelbeklagte der Leiter des österreichischen Patentamtes die schlechte Auf-tragslage, unter der die arischen PatentanwältInnen seit dem Anschlusszu leiden hätten: Deren reichsdeutsche BerufskollegInnen, aber auch„jüdische Patentanwälte in Berlin und Wien“ hingegen würden den Lö-wenanteil der Bearbeitungsaufträge erhalten. Der Schreiber bat Bürckelfür die arischen PatentanwältInnen im Land Österreich Partei zu ergrei-fen, das „wäre auch eine kleine Wiedergutmachung des Ausfalls an Arbeit,den die arischen Anwälte eben durch dieses nicht verständliche Festhaltender Altreichsunternehmungen an den Juden erlitten haben“.365 Dies trafmehr oder minder auch die schon referierte Einschätzung des Referentendes Reichskommissars, Barth (vgl. Kap. 3. Freie Berufe I: Recht, Medizin,Technik, S. 147). Von den NS-Behörden wurden 28 nichtarische Kanz-leien gezählt, von denen drei als im Zuge der Verordnung vom 31. März1938 geschlossen aufscheinen.366 Ein späterer Briefwechsel nennt eine Zahlvon 36 jüdischen Patentanwaltskanzleien gegenüber 26 arischen.367 Recht-lich funktionierten die Enthebungen wie die in der Rechtsanwaltschaft. ImZuge der Kanzleiauflösung verloren 125 Angestellte ihre Arbeitsstellen.

PatentanwältInnen 227

364 Vgl. Barth an Reichs- und Preussisches Ministerium des Innern, Berlin vom 30. April1938 betreffend Abänderung der Verordnung über Angelegenheiten der Rechtsanwälte,Verteidiger, Notare und Patentanwälte in Österreich vom 31. März 1938, Ausschaltungder jüdischen Patentanwälte, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/10/1 Angele-genheiten der Rechtsanwälte und Notare im Lande Österreich. 2., 3. und 4. VO. Ausdiesen Akten geht nicht hervor, ob es Patentanwältinnen gegeben hat.

365 Schreiben des Leiters des österreichischen Patentsamtes an Bürckel vom 9. Juni 1938,ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, 1815/13, zit. nach: Sedlak, Ausgrenzung, S. 30.

366 Vgl. Schreiben von Ludwig Zalesky an Bürckel vom 11. Mai 1938 betreffend diegekündigten arischen Angestellten jüdischer Patentanwaltskanzleien, ÖStA AdR 04,Bürckel-Materie, 1815/10/1 Angelegenheiten der Rechtsanwälte und Notare imLande Österreich, 2., 3. und 4. VO.

367 Reichsminister der Justiz /Berlin (Schlegelberger) an Reichsminister des Innern, Stellv.D.F. (Heß), Reichskommissar (Bürckel) vom 11. Juli 1938, Berlin betreffend Aus-scheiden der Juden aus der Patentanwaltschaft, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie,1815 /13 Patentanwälte in Österreich.

Page 228: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

228 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

3.4. ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen

Die Berufe der ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen konnten auf viel-fältigere Art ausgeübt werden als die freien Rechtsberufe: zumindest wieselbständiges Unternehmertum und/oder ein selbstverwalteter freier Berufund /oder in einem Angestelltenverhältnis. Auch fachlich war mehr Varia-tion möglich: zumindest in Referenz auf die Betriebswirtschaft, auf Kunstund /oder Wissenschaft und Technik.

Im Gegensatz zum Notariat, zur Rechts- und Patentanwaltschaft, beidenen jede kammerexterne Berufsausübung staatlich verboten war (waszum Beispiel der nicht enden wollende Kampf gegen die Winkeladvokatenebenso zeigt wie auch dessen fast schon immer gleicher Ausgang zugunstender offiziellen Rechtsanwaltschaft) war ein Großteil der freischaffendenArchitektInnen nicht Mitglied einer Kammer, wie die Durchsicht derWiener und Innsbrucker Adressverzeichnisse 1938 bis 1941 ergab. Mitgliedin einer Landeskammer zu werden war für ArchitektInnen eine freiwilligeOption, nicht Vorschrift. Befugnisse als PlanerInnen besaßen in jedemFall auch AbsolventInnen der Technischen Hochschulen, der Akademien,der künstlerischen Hochschulen, aber auch der Staatsgewerbeschulensowie Baumeister. Einen gesetzlichen Schutz der Bezeichnung Architektgibt es erst seit 1957.368

Am Beginn der Recherchen mussten daher die sehr unterschiedlichenListen und berufsspezifischen Verzeichnisse (Mitgliederverzeichnisse derKammern, Listen in Lehmanns Adressanzeiger und im Amtskalender) ab-geglichen werden. Danach konnte mit Hilfe der Personalakten aus demArchiv der Wiener Kammer die Konstruktion einer Erhebungsdatenbankbegonnen werden. Für die Bundesländer wurden die Recherchen aufTirol eingeschränkt, da in anderen Kammern kaum relevantes Materialvorhanden ist beziehungsweise in Graz die Benutzung der Archivalienverweigert wurde.

Anhand der im Bürckel-Bestand vorhandenen Mitgliederlisten derösterreichischen Ingenieurkammern369 wurde vorerst für Wien, Nieder-368 Vgl. Expertengespräch mit Dipl.-Ing. Dr. Erich Schlöss am 31.10. 2000 (Christa Putz);

weiters Ute Georgeacopol-Winischhofer und Manfred Wehdorn: Geschichte des Zi-viltechnikers in Österreich, in: Erich Schlöss, Hg.: Ziviltechniker und Wirtschaft,Wien 1983, S. 37 – 47.

369 Vgl. ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, Mp. 2175/3 Ingenieurkammern in der Ostmark.Alle weiteren Bestände der Bürckel-Materie zu ArchitektInnen (2466 /5 Eingliede-

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österreich und Burgenland eine Tabelle mit Personennamen, Berufsbezei-chnung und (Kanzlei-)Adressen berufsgeschädigter TechnikerInnen erstellt.Der Bestand enthält weiters auch Hinweise auf NSDAP-Mitgliedschaftenund vorläufige Streichungen der als nichtarisch vermuteten /behauptetenKammermitglieder (mit Stand vom 24. Juni 1938).370 All dies wurde in dieErhebungstabelle eingetragen (655 Zeilen).

Da ZiviltechnikerInnen und ArchitektInnen unter anderem auch nach§ 8 der BBV mit Berufsverbot belegt worden waren, ließ sich die Namens-liste anhand der BBV-Bescheide überprüfen. Außerdem wurde die Mit-gliederkartei der Kammer für Architekten und Ingenieurkonsulenten aufvorhandene Personalakten hin überprüft. In einem nächsten Schritt konnteeine Tabelle der enthobenen ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnenkonstruiert und gezielt durch Kontrastfälle ergänzt werden.

Auf diese Art gelang eine erste Annäherung an die Zahl der berufsge-schädigten TechnikerInnen. Nicht erfasst waren dabei allerdings erstensall jene im Beruf Tätigen, die nicht Mitglieder der Ingenieurkammernwaren, und zweitens jene anderen, die ihren Verzicht auf die Berufsaus-übung bereits vor Juni 1938 angezeigt hatten und daher in der kammer-internen Liste nicht mehr aufscheinen konnten. Über die freischaffendenArchitektInnen könnten sich verlässlichere Aussagen, wenn überhaupt,dann nur nach einer systematischen Bearbeitung von Aktenbeständen derReichskammer der Bildenden Künste machen lassen (bisher gelang es imübrigen kaum, Akten zu finden, die Berufsschädigungen von Architek-tInnen durch die Reichskammer der Bildenden Künste belegen, was vorallem für die Jahre zwischen 1940 und 1945 relevant wäre). Dazu ergabensich erhebliche Diskrepanzen beim Versuch, die Erhebungstabelle mit denAngaben im Wiener Adressverzeichnis Lehmann 1938 (Architekten) ab-zugleichen.

ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen 229

rung der ostmärkischen Architekten in die Reichskammer der bildenden Künste;2125 /4 Freischaffende Architekten) wurden gesichtet, enthielten jedoch kein für dasProjekt relevantes Material.

370 Vgl. ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, Mp. 2175/3 Ingenieurkammern in der Ostmark.Der Mitgliederliste liegt folgende Notiz bei: „Anmerkung zur Mitgliederliste der Wie-ner Ingenieurkammer: 1.) Nichtarier – soweit sie derzeit hier bekannt sind – sind rotdurchgestrichen; diese Anmerkungen sind jedoch vorläufig noch ganz ohne Gewähr,da die diesbezüglichen Meldungen bisher noch sehr lückenhaft einliefen. 2.) Partei-genossen sind mit „Pg.“ gekennzeichnet.“

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230 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Abweichungen lassen sich auch zwischen der von der Kammer erstell-ten Mitgliederliste (mit Stand vom Juni 1938) und der des Amtskalendersvon 1938 feststellen. In letzterer finden sich die Namen von mehrerenArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen, die entweder gar nicht (mehr)in der Mitgliederliste vom Juni 1938 aufscheinen beziehungsweise ent-hoben worden waren oder einen freiwilligen Verzicht auf die Befugnisangemeldet hatten, ohne dass dies in den Mitgliederlisten oder BBV-Bescheiden seinen Niederschlag gefunden hätte. Drei Kartons der Perso-nalakten wurden deswegen vollständig durchgearbeitet, in der Hoffnung,irgendwelche Regelmäßigkeiten in den Abweichungen zwischen den ver-schiedenen Listen zu entdecken – was nicht gelang.

Die Sichtung eines Bestands im Wiener Stadt- und Landesarchiv solltedie Recherche komplettieren, da die Berufsverbote von der Magistratsab-teilung 2 verhängt371 und im nachhinein (in der Regel im Oktober 1939)vom Reichskommissar für die Wiedervereinigung, Abteilung Wächter,bestätigt worden waren. Allerdings liegen gerade jene Zahlen, welche dieZiviltechnikerInnen und ArchitektInnen betreffen, nicht im Bestand ein.Die hier relevanten Bestände im AdR, die Befugniserteilungen der MA 2bis Mai 1938 enthalten,372 sind jedoch so stark beschädigt, dass die Aktennicht systematisch bearbeitet werden konnten.

Zur erweiterten Konstruktion der Datenbank wurde die Grunddaten-bank mit den Angaben aus dem Amtskalender 1938 (also um elf neueErhebungseinheiten) und dem Lehmann 1938373 (um 136 neue Erhe-bungseinheiten) ergänzt. Weiters wurden die Namen aus dem Findbuchder MA 2 (Zurücklegungen, Verzicht u.a.) eingearbeitet.

Die sachbezogenen Einträge des Findbuchs enthalten unter anderemHinweise auf die Vorstandssitzungen der Kammerleitung vom 17. März1938,374 einen Bericht der Ingenieurkammern an den Bürgermeister über

371 Die Magistratsabteilung 2 war für Personalangelegenheiten zuständig, vgl. dazu PeterCsendes: Geschichte der Magistratsabteilungen der Stadt Wien 1902 –1970, Bd. 1.Wien 1972, S. 88 – 90. Weitere Akten aus dem WrStLA betrafen berufsspezifischeVereinigungen von Ziviltechnikern und Architekten, die jedoch kein für das Projektrelevantes Material beinhalteten: Zl. 4746 /1929 Verein behördlich autorisierter Zivil-techniker, Zl. 9850 /1939 (Löschung); Zl. 1376 /1923 Verband der österr. Ingenieur-und Architektenvereinigungen (Stempel: Verein gelöscht).

372 Vgl. ÖStA, AdR, BMHuV, 103 /H, 1938, Zl. 68.001ff.373 Zumindest von den Buchstaben A bis M.374 Vgl. Eintragung 2036 vom 14. März 1938, Konsulentensektion der Ing. Kammer,

Berufung; Eintragung 2046 vom 16. März 1938, Einladung für den 17. März, All-

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„Entjudung“375 und über die Behandlung der ZiviltechnikerInnen nach derBBV376. Weiters verweisen Einträge auf eine Sammlung von Ariernach-weisen, die jedoch im Bestand nicht einliegen.377

Die Komplettierung der kombinierten Daten der kammerinternenListe und der BBV-Bescheide mit den Angaben aus den Einlaufbüchernder MA 2 hätte weitere Angaben über Berufsschädigungen liefern können.Der Bestand liegt jedoch nicht ein. In Einzelfällen – so Personalakten inder Kammer vorhanden waren – ließen sich weitere Informationen überZurücklegungen zusammenstellen. Um nur zwei konträre Beispiele zunennen: Hans Bernaschek legte laut Bescheid der MA 2 vom 18. August1938 mit 8. August 1938 seine Befugnis zurück, da er in den Reichsdienstals Sachbearbeiter des Luftgaukommandos Wien 17 eintrat. In den Find-büchern der MA 2 scheint seine Befugnis mit 13. August 1938 als ruhendauf, und die Quelle vermerkt ihn als mit 30. März 1939 verstorben.378

Hans Ritter von Karabaczek ist im Findbucheintrag vom 7. September1938 mit zurückgelegter Befugnis vermerkt. Laut Personalakten der Kam-mer nannte er am 3. Oktober 1938 als Grund für seine Resignation seinenichtarische Großmutter, seine Befugnis ruhte bereits seit 1932.379

Der so erweiterten Liste wurden dann noch vier prominenteArchitektInnen aus dem Band Visionäre und Vertriebene380 hinzugefügt.Ausgehend von dieser strukturalen Grundgesamtheit wurde durch die

ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen 231

gemeine Sektion, Vorstandssitzung; Eintragung 2047 vom 16. März 1938, Einladungfür den 17. März, Kammervorstandssitzung; und Eintragung 2048, Einladung fürden 17. März, Konsulentensektion Vorstandssitzung, WrStLA, Einlaufbücher MA 2(1938).

375 Eintrag 584 vom 13. Jänner 1939, Ingenieurkammer Entjudung, WrStLA, Einlauf-bücher MA 2 (1939).

376 Vgl. Eintrag 6166 vom 30. Mai 1939, Behandlung der Ziviltechniker nach der Berufs-beamtenverordnung (Wächter), WrStLA, Einlaufbücher MA 2 (1939).

377 Vgl. Einträge 6200 – 6286 vom 31. Mai 1939, Ariernachweise, WrStLA, Einlaufbü-cher MA 2 (1939).

378 Ing. Hans Bernaschek, Ruhen der Befugnis; Einlaufbuch MA 2, 30.3.1939 und Ing.Hans Bernaschek, Ableben, WrStLA, Einlaufbuch MA 2, 13.8.1938, Zl. 5088 undZl. 4181; Personalakt Ing. Hans Bernaschek, Kammer der Architekten und Ingenieur-konsulenten in Wien, Archiv.

379 Ing. Hans Karabaczek, Zurücklegung der Befugnis, WrStLA, Einlaufbuch MA 2,29.8.1938, Zl. 5576; Personalakt Dipl. Ing. Dr. tech. Hans Karabaczek, Kammer derArchitekten und Ingenieurkonsulenten in Wien, Archiv.

380 Vgl. Matthias Boeckl, Hg.: Visionäre und Vertriebene. Österreichische Spuren in dermodernen amerikanischen Architektur. Berlin 1995.

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232 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Kombination von einerseits Zufallskriterien (bestandsbezogen) und an-dererseits bestimmten inhaltlichen Kriterien (Grad der Prominenz, Be-rufspezifizierungen, Arbeitsort, Bestand, Verfolgungsgrund) ein Samplekonstruiert und (für 64 Fälle) um Angaben aus dem Bestand der Perso-nalakten sowie um Informationen aus dem Compass ergänzt, da sich vieleZiviltechnikerInnen ja auch als Unternehmer betätigt hatten. Hierbei wur-de auch auf die Konstruktion einer einschlägigen Kontrastgruppe Wertgelegt.

In Bezug auf die Personalakten muss vermerkt werden, dass die Inhalteder einzelnen Dokumente in Detailliertheit, Umfang und Dauer sehr starkvariieren. Personalbögen berühmter Vertreter des Berufs, vor allem von inkünstlerischer Hinsicht fortschrittlichen Architekten, waren beispiels-weise überhaupt nicht zu finden.

Das strukturale Sample stellt 64 Erhebungsfälle über folgende Fragen dar:– Geburts- und Sterbedaten,– Ausbildungsdaten (Studienort und -dauer),– Datum der Befugnisverleihung,– Hinweise auf Exilaufenthalte und– Art der Enthebung beziehungsweise des Verzichts.

Die Vielfältigkeit dieser Berufe zwischen Wirtschaft, Kunst und FreienBerufen wird schon in der großen Heterogenität der Informationen ausden Quellen deutlich. Ganz unterschiedliche Figuren werden für unter-schiedliche Erinnerungen und für die Verwaltung konstruiert. Was zumBeispiel für eine Künstlerbiographie wichtig ist und wie stark dies vonden Ergebnissen einer wissenschaftlich angeleiteten Recherche differiert,lässt sich aus der Gegenüberstellung des von Oswald Oberhuber undGabriele Koller präsentierten Felix Augenfeld mit dem durch die projekt-eigenen Recherchen konstruierten Felix Augenfeld ersehen.

Felix Augenfeld gemäß Oberhuber u. Koller: Vertreibung, S. 199:geboren 10. Jänner 1893 in Wienverstorben November oder Dezember 1984 in New York1910 bis 1914 Studium an der Technischen Hochschule in Wien,danach Kriegsdienst1920 Studienabschluss1921 bis 1938 freier Architekt in Wien, Bürogemeinschaft mit Karl

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Hofmann, 1931 Assistent von Oskar Strnad, als Bühnenbildner undTheaterarchitekt in Wien und Londonim Juni 1938 Flucht nach EnglandAugenfeld war Judelebte bis 1939 (befristete Aufenthaltsgenehmigung) in London alsfreischaffender Architekt und Designer.August 1939 Emigration in die USA, ab 1941 eigenes Büro in New York

Felix Augenfeld gemäß projekteigenen Erhebungen381:geboren 1. Oktober 1893österreichischer StaatsbürgerVater: Kaufmann (laut Geburtsschein der IKG Jude)Mutter (laut Geburtsschein der IKG Jüdin)Besuch der Staatsrealschule1910 bis 1922 Technische Hochschule WienWeltkriegsteilnehmer1922 Studienabschluss (Staatsprüfung)seit 1922 selbständiger Architekt in Wien, laut Kammergutachtenüber die Anrechnung der Praxis (1925) zuerst bei ArchitektFriedrich Mahler; seit 21. Juni 1926 Befugnis als Zivilarchitekt,Mitglied der Wiener Kammer der ZiviltechnikerBeteiligter an der Firma Hofmann und Augenfeld, Wipplingerstr.33, 1010 WienFachpresse-JournalistMitglied bei der Zentralvereinigung der Architekten ÖsterreichsWohnadresse Wien 19lebt alleinFamilienstand vor 1938 unklarEmigration im Juni 1938 nach England, dann New Yorkwird in der kammerinternen Liste vom 24. Juni 1938 als Nichtariermarkiertgibt nach 1945 als Verfolgungsgrund „Religion“ und „jüdisch“ anZahlungen aus dem Neuen Hilfsfonds Grün und dem Alten HilfsfondsEine der Verordnung über die Angelegenheiten der Rechtsanwälte, Ver-

ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen 233

381 Vgl. die Angaben in ÖStA AdR 06, Neuer Hilfsfonds grün 26.014/8; Alter Hilfsfonds22.935, und die in den Erhebungstabellen cp-Arch-WNB01.xls und ap-Künstler01.xlszusammengestellten Informationen.

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234 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

teidiger, Notare und Patentanwälte in Österreich vom 30. März 1938funktional entsprechende Bestimmung für den Beruf der Ziviltechni-kerInnen kam nicht zustande. Die Umsetzung eines Entwurfs des Handels-ministers vom April 1938, der entsprechende Bestimmungen enthielt (dieMöglichkeit einer vorläufigen Enthebung von Juden mit vom Ministerfür Handel und Verkehr zu exekutierenden Ausnahmebestimmungenfür Frontkämpfer und „Alt-Ziviltechniker“ sowie die Verweigerung derMöglichkeit zur Eidesleistung für Juden analog zu den Bestimmungenüber die Vereidigung der Beamtenschaft des Landes Österreich),382 schei-terte an „formalen Bedenken“ der Reichsstatthalterei, die sich auf Artikel16 der Bundesverfassung gründeten. Diese schlug vor, die Angelegenheitnicht im Verordnungs-, sondern im Gesetzesweg zu regeln.383

Ein Gesetzesentwurf wurde am 21. Juni 1938 dem Ministerium fürinnere und kulturelle Angelegenheiten übermittelt. Am 24. August 1938erschien der Abteilung 16 des Ministeriums „die Sache dringend“ und „zubeschleunigen“. „Bei den Beamten und den freien Berufen mit Ausnahmeder Ziviltechniker ist die Durchführung der Bestimmungen derRassengesetzgebung wenn nicht vollendet, so doch im Lauf. Lediglichbezüglich der Ziviltechniker, die öffentliche Agenden zu besorgen haben,konnte noch keine Maßnahme verfügt werden, da das Gesetz eben nochnicht erlassen ist.“ Die entsprechenden Fragebögen sollten über die Lan-deshauptmannschaften verteilt werden. Aus dem Akt geht weiters hervor,dass das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit neue Befugnisse nur ver-lieh, wenn der Bewerber „deutschen oder artverwandten Blutes“ war.Erwähnt wird ein Erlass des Ministeriums für Handel und Verkehr vom6. April 1938, dem gemäß Juden nicht vereidigt werden durften undseinerzeit ausgestellte Verleihungsbescheide wieder „abgenommen“ werdenmussten.384

382 Vgl. Ziviltechnikerverordnung, Abänderung (Arierbestimmung, Eid), ÖStA AdR,BMHuV, Geschäftszeichen 103, Gzl. 621551-1/1938, Zl. 66774-1/1938.

383 Vgl. Gesetz über Angelegenheiten der Ziviltechniker in Österreich, ÖStA AdR,BMHuV, Geschäftszeichen 103, GZl. 73871-1/1938; dem Akt liegt ein Fragebogen bei.

384 Wiener Magistrat, Magistratsabteilung 2, Zl. 1437/38 an Ing. Kafka Richard, Befug-nis eines Zivilingenieurs für Hochbau vom 24. Mai 1938, ÖStA AdR, BMHuV,Geschäftszeichen 103, Zl. 69046-1/1938: und Wiener Magistrat, Magistratsabteilung2, Zl. 1438/38, Ing. Dr. Mautner Viktor, Befugnis eines Zivilingenieurs für Hochbauvom 4. Juni 1938, ÖStA AdR, BMHuV, Geschäftszeichen 103, Zl. 68525-1/1938.

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Aus den Akten des Stillhaltekommissars geht hervor, dass dieser Ent-wurf nicht als Gesetz verabschiedet wurde. Am 14. Dezember 1938 sicherteIng. Gürke (NSDAP, Gauleitung Wien, Leiter des Amtes für Technik)dem Stillhaltekommissar Hoffmann zu, die „Bereinigung der Judenfragein den Kammern beschleunigt durchzuführen“.385 Die involvierten Funk-tionäre einigten sich vorerst auf die BBV (§ 8) als rechtliche Grundlagefür die Ausschlüsse. Ein weiterer Vorschlag war, doch von dem Recht desWiener Bürgermeisters Gebrauch zu machen, Kammermitgliedern ihreMitgliedschaft abzuerkennen.386 Im Jänner 1939 riet ein Beamter des Reichs-kommissariats auf eine Anfrage des Kammerpräsidenten Visintini, dieJuden mit sofortiger Wirkung aus der Kammer auszuschließen, selbstwenn Ausschlüsse auch nach wie vor nach der BBV möglich wären.387

In den Akten des Stillhaltekommissars über die Ingenieurskammernfindet sich außerdem noch die Erwähnung, dass auf Veranlassung Gürkesvon der Kammer ein Betrag von 3.334,67 RM für den Aufbau und dieOrganisation des Hauses der Technik abgeführt wurde: Es handle sichdabei um „die von den Juden im Jahre 1938 eingegangenen Gelder.“388

Auf Grund der besonderen Vielseitigkeit und Umstrittenheit der Berufs-definition, des Nichtvorhandenseins beziehungsweise der Nichtzugäng-lichkeit zentraler Bestände und der komplizierten, wechselnden Zustän-digkeiten für ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen (Reichskammerder Bildenden Künste, österreichische Ingenieurkammern, Bund Deut-scher Technik) kann eine genauere Zahl von Enthobenen nicht – oderzumindest nur grob für die verkammerten Berufsmitglieder – bestimmtwerden.

Laut Auskunft der Ingenieurkammer in Wien an das Ministeriumfür Wirtschaft und Arbeit waren in Österreich 961 ZivilingenieurInnenund IngenieurkonsulentInnen tätig (davon 286 ArchitektInnen). „Über-

ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen 235

385 NSDAP, Gauleitung Wien, Amt für Technik, Gürke an das Büro des Stillhaltekom-missars Pg. Hoffmann, z. Hd. Dr. Hellmann vom 14. Dezember 1938, ÖStA AdR,Stiko, 10 A, 60 – 63 (II).

386 Vgl. Ingenieurkammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Dr. Visintini anHerrn Dr. Kurt Helmann, vom 16. Dezember 1938, ÖStA AdR, Stiko, 10 A, 60 – 63.

387 Vgl. A/He/Bo an dem kommissarischen Präsidenten der Ingenieurkammer für Wien,Niederösterreich und Burgenland, Herrn Dr. Visintini vom 9. Jänner 1939, ÖStAAdR, Stiko, 10 A, 60 – 63 (II), IV.

388 Bericht. Betrifft: Wiener Ingenieurkammer, Wien 7, Zieglergasse 1/III vom 2. März1939 (gez. Rudolf Niedermeyer), ÖStA AdR, Stiko, 10 A, 60 – 63 (II).

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236 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

dies scheiden rund 130 Juden (nur in Wien) aus, hievon entfallen rund50 auf die Architekten“, so der Referent der Abteilung III/3, Miklauzhiz.389

Für Wien, Niederösterreich und Burgenland kann daher immerhin eineMindestanzahl an Enthobenen von 179 angegeben werden (BBV-Beschei-de und von der Kammer als Nichtarier kategorisierte Berufsmitglieder).

Tabelle 23: ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen in Wien, Niederösterreichund Burgenland – Bestandsveränderungen ab 1938

WrStLA, Einlaufbücher der MA 2 (n = 231, Mehrfachnennungen möglich)62 Zurücklegung, Verlust oder Erlöschen der Befugnis56 Ausfüllen von Fragebögen39 Ruhen der Befugnis, Nichtausübung der Befugnis, Verzicht24 Kanzleiverlegung19 Adressänderung15 Ableben7 Wiederaufnahme oder Wiedererteilung der Befugnis5 unklar, unleserlich, Sonstiges2 Verleihung der Befugnis1 Austritt aus der Kammer1 Erbringung des Ariernachweises

Personenbezogene Auswertung (n = 183)56 Ausfüllung von Fragebögen51 Zurücklegung, Verlust oder Erlöschen der Befugnis34 Ruhen der Befugnis, Nichtausübung der Befugnis, Verzicht19 Kanzleiverlegung18 Adressänderung14 Ableben6 Wiederaufnahme oder Wiedererteilung der Befugnis5 unklar, unleserlich, Sonstiges4 unklar2 Verleihung der Befugnis1 Austritt aus der Kammer1 Erbringung des Ariernachweises

389 Durchführung des Reichssiegelerlasses in Österreich vom 29. Dezember 1938, ÖStAAdR, BMHuV, Geschäftszeichen 103, Zl. 78.805-1/1938.

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Tabelle 24: Verkammerte ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen in Wien,Niederösterreich und Burgenland – Personenliste vom 24. Juni 1938(n = 655, keine Mehrfachnennungen)

Vermerke381 ohne Bemerkung133 „Parteigenosse“137 „Nichtarier“

2 Name durchgestrichen2 widersprüchliche Angaben

Berufsspezialisierung221 Architekten (darunter einer auch IK für Hochbau)128 ZI für Bauwesen (darunter ein IK für Vermessungswesen und ZI für

Hochbau, zwei IK für Bauwesen, 13 IK für Vermessungswesen undzwei ZI für Hochbau)

68 IK für Bauwesen (darunter einer auch IK für Elektrotechnik und 16IK für Vermessungswesen)

65 IK für Vermessungswesen (darunter ein IK für Bauwesen)36 IK für Maschinenbau (darunter zwölf auch IK für Elektrotechnik und

einer für Schiffbau) 31 ZI für Hochbau (darunter ein Architekt und zwei auch IK für Hochbau)30 ZI für Maschinenbau (darunter fünf auch ZI für Elektrotechnik und

einer ZI für Schiffbau)17 IK für Technische Chemie10 IK für Elektrotechnik10 IK für Forstwesen (darunter drei auch IK für Vermessungswesen)10 ZI für Elektrotechnik7 ZI für Hochbau beziehungsweise Architektur und Hochbau5 ZI für Kulturtechnik (darunter eine auch IK für Vermessungswesen)3 IK für Hochbau beziehungsweise Architektur und Hochbau3 IK für Kulturtechnik3 ZI für Forstwesen (darunter einer auch IK für Vermessungswesen)2 ZI für Technische Chemie2 Bergbauingenieure1 IK für Bergwesen und IK für Markscheidewesen1 IK für Markscheidewesen und Vermessungswesen1 IK für Schiffbau1 Zivilgeometer, ZI für Bauwesen und IK für Vermessungswesen

ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen 237

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390 Vgl. Ing. Karl Brandmaier, Ziviltechnikerbefugnis Rücklegung, StmkLA, 457 Bi 1/1939;und Dipl. Ing. Bittgen Leopold, Zivilingenieurprüfung, Abschrift des Ministers fürWirtschaft und Arbeit vom 6. April 1939, Zl. 51467-III/3b an die Landeshauptmann-

238 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

BBV-Bescheide87 ausgestellte Bescheide

davon71 enthoben nach § 8 in Verbindung mit § 35 enthoben nach § 6 oder § 8 in Verbindung mit § 66 enthoben nach § 4 Abs. 14 Verfahren eingestellt1 ausnahmsweise Belassung im Dienst

92 Nichtarier laut Personenliste ohne BBV-Bescheid45 Nichtarier laut Personenliste mit BBV-Bescheid42 Arier laut Personenliste mit BBV

davon26 davon enthoben nach § 8 in Verbindung mit § 35 davon enthoben nach § 6 oder § 8 in Verbindung mit § 66 davon enthoben nach § 4 Abs. 14 Verfahren eingestellt1 ausnahmsweise Belassung im Dienst

In derselben Logik lässt sich für die Bundesländer– trotz lückenhafterQuellenbestände und selektiver Recherche – zumindest ein Minimum vonsieben Enthebungen angeben.

Im Archiv der Architektenkammer für Oberösterreich und Salzburg,in dem als Einzigem nicht systematisch erhoben werden konnte, findensich abgesehen von einigen wenigen Personalakten, die erst nach 1945 an-gelegt wurden und für die Projektfragestellungen von nur beschränktemInteresse waren, noch gebundene Listen, in denen neben den Kammermit-gliedschaften auch einige Informationen zu Berufsstatus und -laufbahnenenthalten sind.

Da in der Kammer für Steiermark und Kärnten die Einsicht in Per-sonalakten bei einem ersten Besuch nicht gewährt wurde, hatte die Suchenach Beständen im Steiermärkischen Landesarchiv intensiviert zu werden.Es fanden sich jedoch nur Einzeldokumente390 und ein Hinweis auf dieÜbergabe eines möglicherweise umfangreichen Aktenmaterials zu Zivil-

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technikerInnen an die Abteilung 1 der Landesregierung, das jedoch bisherim Archiv nicht gefunden werden konnte.

Der Faszikel „Übergabe des Kanzleiplanabschnitts 457“ enthält eineÜbergabsschrift der Kanzlei 457 (Ziviltechnikerangelegenheiten) an die„Dir. [?] Abtlg. 1 (Personal): A) 1. Gesetzes- und Normaliensammlung imUmschlag 2. Verzeichnis der in Steiermark ansäßigen Ziviltechniker a) inForm von Katasterblättern b) in Buchform hiezu zwei alte Bücher undeine Sammlung erloschener Katasterblätter; 3) Drucksorten a) Befug-niserteilung b) Kundmachung einer erteilten Befugnis c) Eidesleistung4) Umschlag mit abgegebenen Eideserklärungen B) Ziviltechnikerprüfun-gen: 5) Normaliensammlung in drei Heften 6)Verzeichnis der abgelegtenPrüfungen [...] 8) Verzeichnis der reprobierten und nicht zugelassenenPrüfungswerber in Buchform 9) Drucksorten [...] 10) Drucksorten [Ge-setze und Verordnungen] 11) Faszikel mit Verzeichnissen der einschl. Ge-setzen und Verordnungen C) Ingenieurkammer 12. Normaliensammlung13) Verzeichnis der Hilfskräfte 14) Verzeichnis der Kammermitglieder ausverschiedenen Jahren“.391

Die Archivalien der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsu-lenten für Tirol und Vorarlberg in Innsbruck sind lückenhaft, betreffenausschließlich die Zeit nach 1945 und sind weder chronologisch nochalphabetisch geordnet. Deshalb lässt sich über die NS-Berufsschädigungenin diesen beiden Bundesländern nichts Genaueres aussagen. Immerhinfanden sich von elf der Personen, die mit Hilfe des Amtskalenders 1938eruiert wurden, Personalakten im Kammerarchiv. Es handelt sich bei diesenzum überwiegenden Teil um ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen,die als NSDAP-Mitglieder oder Inhaber diverser Funktionärsposten na-tionalsozialistisch belastet oder minderbelastet waren. Gesichert erscheintnur der Ausschluss des Zivilingenieurs für Berg- und VermessungswesenIng. Friedrich Reitlinger, der durch Selbstmord unmittelbar nach dem12. März 1938 jeder Verfolgung durch die Nationalsozialisten zuvorkam.

ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen 239

schaft Steiermark in Graz, wonach auf einen Erlass vom 24. Jänner 1939, Zl. 50107-III/3b Bezug genommen wird, in dem angeordnet wurde, dass „bis auf weiteres Judenund Mischlinge als Ziviltechniker nicht zuzulassen“ seien – dies gelte auch für jene,die die Prüfung ablegen wollten, StmkLA, 457 Ba 6/1939.

391 WrStLA, 457 U (?) 1/1939.

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240 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Tabelle 25: Verkammerte ArchitektInnen und ZiviltechnikerInnen außerhalbvon Wien, Niederösterreich und dem Burgenland 1938 bis 1945

Kammer-mitglieder davon

NSDAP- Nichtarier, BBV-Mitglieder gestrichen Bescheid

Steiermark und Kärnten 185 63 – 2392

Oberösterreich und Salzburg393 ? ? 2394 ?Tirol und Vorarlberg395 60 23 1396 2397

Von den in Innsbruck organisierten freischaffenden ArchitektInnen,die in den laufenden Adressbüchern der Landes- beziehungsweise Gau-hauptstadt erfasst sind,398 verließen 1938/39 drei und von 1939 bis 1941zwei ArchitektInnen die Organisation.399 Nähere Umstände konnten nichteruiert werden.

Dass Enthebungen beziehungsweise Verzichtleistungen auf eigenenAntrag vor Juni 1938 in all diesen Beständen nicht erfasst sind, lässt sichanhand eines Beispiels aus Kärnten aufzeigen: Der Architekt Dr. Ing. Karl

392 Robert Rapatz, Klagenfurt, enthoben nach § 8 in Verbindung mit § 4 BBV, und Ing.Arnold Schinzel, Rosenthal, Köflach, enthoben nach § 8 in Verbindung mit § 3 BBV.

393 Nach dem Stand vom 4. April 1938.394 Ing. Edwin Bächer, Zivilingenieur für Elektrotechnik in Linz und Ing. Otto Dub, Zivil-

ingenieur für Bauwesen in Linz mit ruhender Befugnis; unklar: Ing. Emanuel Vosyka,Zivilingenieur für Bauwesen mit ruhender Befugnis, zurückgelegt am 30. Juni 1938.

395 Nach dem Stand vom 1. Juni 1938.396 Ing. Friedrich Reitlinger, Ingenieurkonsulent für Vermessungswesen und Zivilingenieur

für Bauwesen; er verübte zusammen mit seiner Tochter am 12. März 1938 Selbstmord.397 Ing. Rudolf Schober, Zivilarchitekt (ruhende Befugnis 1938) wurde mit Ende Juni

1938 in seiner Funktion als Sektionschef nach § 4, Abs. 1 BBV (Bescheid vom 7. Juni1938) mit der Hälfte des Ruhegenusses in den Ruhestand versetzt; Studienrat Ing.Franz Schrangl, Zivilingenieur für Bauwesen, wurde ebenfalls nach § 4, Abs. 1 BBV(Bescheid vom 16. März 1939) mit Ende März 1939 von seiner Funktion als Direk-tor der Staatsgewerbeschule Bregenz mit der Hälfte des Ruhegenusses in den Ruhe-stand versetzt.

398 Vgl. Adreßbuch der Landeshauptstadt Innsbruck und der Nachbar-Gemeinden Höt-ting, Mühlau und Amras für das Jahr 1938. Innsbruck o.J., S. 5; Adreßbuch der Gau-Hauptstadt Innsbruck für das Jahr 1939. Innsbruck o.J., S. 5 und Adreßbuch der Gau-Hauptstadt Innsbruck für das Jahr 1941. Innsbruck 1941, S. 76.

399 Nämlich Dipl. Arch. Kurt Leschinger, Dipl. Arch. Walter Neubauer, Arch. Felix Torgg-ler, Arch. Ing. Lucia Pietsch und Arch. Ing. Karl Michel.

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Simon gab der Landeshauptmannschaft Kärnten am 28. April 1938 dasRuhen seiner Befugnis und die Verlegung seines Wohnsitzes nach Wienbekannt.400 Sein Name scheint weder in den Kammerdokumenten nochim Amtskalender von 1938 auf. Ebenso wenig scheint der hingerichteteArchitekt Herbert Eichholzer auf, der in der Steiermark als Vertreter derkünstlerischen Avantgarde prominent geworden war.401

3.5. ÄrztInnen

Erst als die Projektrecherchen schon sehr weit fortgeschritten waren, fieldie Bearbeitung der Ärzteschaft, die zunächst im Rahmen einer eigenen mitder Kommission assoziierten Recherche hätte stattfinden sollen, wiederan das Projekt zurück. Dies stellte das Projekt bei gegebenem Stand derErhebungsarbeiten doch vor einige Probleme. Immerhin war eine gewisseAnzahl von ÄrztInnen – ganz im Sinn des Forschungsprogramms – ohne-hin schon im Lauf der bis dahin erledigten Recherchen erfasst worden.Darüber hinaus liegen zur Ärzteschaft zumindest einige Publikationen vor,auf die sich die Versuche einer quantitativen-qualitativen Beurteilung derBerufsschädigungen stützen können. Das Projekt hat sich daher auf dieErstellung einer Materialsammlung beschränkt. Für die Schätzung derUmsetzung wie des Umfangs der Berufsverbote bei Ärzten und Ärztinnenzumindest für Wien sei auf die Arbeiten von Renate Feikes und MichaelHubenstorf verwiesen.402

Wie die Rechtsanwaltschaft stellte die Ärzteschaft gleichsam ein Para-debeispiel eines freien Berufes dar. Sie wies die älteste selbständige Berufs-organisation auf; ihre Kammern funktionierten wie Standesorganisationen.

ÄrztInnen 241

400 Vgl. ÖStA AdR, BMWA, 103 H, Zl. 67.296/1938.401 Vgl. dazu Friedrich Achleitner: Die geköpfte Architektur. Anmerkungen zu einem un-

geschriebenen Kapitel der österreichischen Architekturgeschichte, in: Oswald Ober-huber und Gabriele Koller, Hg.: Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich. ZurKulturpolitik des Nationalsozialismus. Wien 1985, S. 196 –198, hier: 197 und 205.

402 Vgl. zum Beispiel Renate Feikes: Veränderungen in der Wiener jüdischen Ärzteschaft1938. Dipl. Arb. Wien 1993; Michael Hubenstorf: „Der Wahrheit ins Auge sehen“.Die Wiener Medizin und der Nationalsozialismus – 50 Jahre danach, in: Wiener Arzt.Mitteilungen der Ärztekammer für Wien 5 (1995), S. 14 – 27; Michael Hubenstorf:„Medizin ohne Menschlichkeit“. Die Wiener Medizin und der Nationalsozialismus –50 Jahre danach, in: Wiener Arzt. Mitteilungen der Ärztekammer für Wien 6 (1995),S. 16 – 30.

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242 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Ebenso waren die ärztlichen Berufe auch von staatlicher Seite – vor allemüber die Ausbildungswege – einem stark normalisierenden Zugriff unter-worfen. Zusätzlich zur freiberuflichen Tätigkeit als ÄrztIn wurde der Be-ruf auch in Angestellten-, vor allem Beamtenverhältnissen ausgeübt.

Dass jeder nichtwissenschaftliche Gebrauch von Zahlen axiologischund logisch nicht neutral ist – ein Befund, der gewissermaßen das Gene-ralmotiv dieses Projektberichts darstellt –, wird von den medizingeschicht-lichen Forschungen Michael Hubenstorfs explizit herausgestrichen, waswirklich nicht allzu oft in der Geschichtsschreibung vorkommt.

„Bei völlig unterschiedlichen Zahlenangaben über die Wiener Ärzte-schaft des Jahres 1938, die zwischen 4700 und 5700 schwanken, wurdeso der Anteil „jüdischer“ Ärztinnen und Ärzte einmal (vor 1938) auf 85Prozent, dann wieder (nach 1945) auf 44 Prozent „geschätzt“.

Diese statistische Verwirrung ist selbst ein Teil des historischen Pro-blems. Wer immer eine scheinbar „objektive“ Zahl präsentiert, tut damitschon seine eigenen Vorurteile kund. Die Zahlenspielerei als solche warMittel des politischen, das heißt antisemitischen Kampfes, der den ärzt-lichen Alltag in Wien bis 1938 bestimmte.“403

Wie andere berufsspezifische Zeitschriften enthalten die Mitteilungender Ärztekammern Personalnachrichten (Listen von Adressänderungen,Neuanmeldungen, Übersiedlungen „nach auswärts“, Abmeldungen, Wie-deranmeldungen und Sterbenachrichten).404 Das Ärzteblatt enthält weitersauch Bekanntmachungen über die Arisierung von Heilanstalten undSanatorien.405 Eine Übersicht über den Bestand der praktischen, der Fach-und ZahnärztInnen im Jahr 1936 findet sich in der Ausgabe der Deutsch-Österreichischen Ärztezeitung vom 22. Mai 1938. (Graphik 17)

Wieder einmal war der Unterschied zwischen Wien und den anderenLändern schon rein quantitativ eklatant. Von den 8.197 ÄrztInnen desBundesgebietes entfielen 4.550 (56 Prozent) auf die Bundeshauptstadt.Für die Länder wurden zwischen 1.051 (Niederösterreich, 13 Prozent)und 122 (Vorarlberg, ein und einhalb Prozent) verzeichnet. Angesichts diesesextremen Ungleichgewichts führt die Untersuchung der nach ärztlichenSpezialisierungen aufgeteilten Bundesländerprofile doch zu einem uner-

403 Hubenstorf, Wahrheit, S. 15.404 Vgl. zB Deutsch-Österreichische Ärztezeitung 1. Jg. Folge 4, 22. Mai 1938, S. 72 – 73,

und Ärzteblatt für die Deutsche Ostmark 5, 8. Juni 1938, S. 89 – 90.405 Vgl. zB Ärzteblatt für die Deutsche Ostmark 15, 1. November 1938, S. 279.

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ÄrztInnen 243

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warteten Ergebnis. Der Gegensatz zwischen Fach- und praktischen Ärz-tInnen fand sich nämlich nicht einfach durch den zwischen Hauptstadtund Provinz verdoppelt: Überproportional viele FachärztInnen fanden sichnicht nur in Wien, sondern vor allem in Salzburg und auch noch in Tirol.Andererseits erwiesen sich Niederösterreich und ganz besonders das Bur-genland als die beiden ärztlich-fachlich am ehesten dominierten Bundes-länder.

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244 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Graphik 18: ÄrztInnen nach Bundesländern und Spezialisierung 1936 (unge-wichtete Abstände zur Unabhängigkeit, Bestand, geordnet nach PEM)407

407 Vgl. Tabelle 91, S. 658.

Slbg Wien T Stmk OÖ NÖVlbg Ktn Bgld Echelle = 82 PEM = 34 %

Fachärzte

Zahnärzte

praktische Ärzte

Von allen 8.197 ÄrztInnen waren1.917 in Heilanstalten,1.338 in öffentlichen Krankenanstalten,

579 in nichtöffentlichen Krankenanstalten,711 neben- oder hauptberuflich als Schulärzte

(mit Stand von 1934) und8 im Strafvollzug tätig.

Im Mai 1938, so liest es sich im genannten Artikel, war eine „genaueZahl der rein jüdischen und der Mischlingsärzte [...] vorläufig nicht anzu-geben“. In der Deutsch-Österreichischen Ärztezeitung wurde allerdingsim Oktober 1938 dann von 3.200 jüdischen unter den insgesamt 4.900Wiener ÄrztInnen geschrieben. Unter dem Titel „Überjudung des Arzt-berufes“ gibt der Autor, der Beauftragte des Reichsärzteführers Dr. RudolfRamm, folgende Zahlen für Wien an.

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Tabelle 26: ÄrztInnen in Wien – Oktober 1938 (Bestand)408

Gesamtzahl davon Juden Mischlinge

Praktiker 1.787 1.127 39 Fachärzte 982 526 32 von diesen Gynäkologen 141 82 –

Dermatologen 125 85 –

Diese Zahlen können nur als grobe Richtwerte angesehen werden, diesich diesmal allerdings keiner Auszählung von Angaben aus Kammerlistengegenüberstellen lassen, weil die dafür benötigen Mitgliederkarteikartennicht mehr im Wiener Kammerarchiv aufliegen.409

An der Wiener Universität wurden 153 von den insgesamt 197 medi-zinischen UniversitätslehrerInnen entlassen,410 an der medizinischenFakultät der Universität Graz mussten zehn von 32 Professoren, zweiPrivatdozenten, vier Assistenten, ein Lektor und vier andere Bediensteteihre Arbeitsplätze aufgeben411. Über die jüdischen Ärzte in öffentlichenKrankenanstalten und Privatsanatorien bemerkt Ramm nichts, die Anzahlder jüdischen Ärzte in den fachärztlichen Ambulatorien der Wiener Arbei-terkrankenkassen (55 von 80) hingegen skandalisiert er und geht auf dieabsehbaren Folgen der völkischen Neuordnung ein: Die Verkleinerung derWiener Ärzteschaft sollte durch die Ansiedelung arischer Ärzte aus denBundesländern kompensiert werden. Die Stadtverwaltung unterstütze dieseEntwicklung durch die frühestmögliche Kündigung von jüdischen Ärzten

ÄrztInnen 245

408 Vgl. Ramm (Beauftragter des Reichsärzteführers): Sechs Monate ärztliche Aufbauar-beit in der Ostmark, in: Ärzteblatt für die deutsche Ostmark 13, 1. Oktober 1938,S. 219 – 221. In dem Beitrag wird auch die Auflösung der Psychoanalytischen Gesell-schaft und des Psychoanalytischen Verlags erwähnt, bei der „15 Waggons“ mit Schrifteneingestampft worden seien.

409 Vgl. Feikes: Veränderungen, S. 7.410 Vgl. Michael Hubenstorf: Kontinuität und Bruch in der Medizingeschichte. Medizin in

Österreich 1938 bis 1955, in: Friedrich Stadler, Hg.: Kontinuität und Bruch 1938 –1945 – 1955. Beiträge zur österreichischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Wienund München 1988, S. 299ff., hier 312f.

411 Vgl. Gerald Lichtenegger, Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte des National-sozialismus an der Universität Graz, in: Grenzfeste Deutscher Wissenschaft. ÜberFaschismus und Vergangenheitsbewältigung an der Universität Graz, hg. von der Stei-rischen Gesellschaft für Kulturpolitik. Graz 1985, S. 48 – 71, hier 50, vgl. auch PeterMalina und Wolfgang Neugebauer: NS-Gesundheitswesen und -Medizin, in: Tálos undandere, NS-Herrschaft, 2000, S. 696 – 720, hier: 700 – 704.

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246 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

in Gemeindewohnungen. Arische Ärzte, die sich in Wien neu niederlassenwollen, würden weiters bei der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlandsein günstiges Darlehen von 2.000 RM erhalten (dementsprechend lassensich die Verzeichnisse verschiedener Krankenkassen als wesentliche Quellefür die Erfassung der arisierten ÄrztInnen verwenden412).

Nach der Ausschaltung der Juden aus der Ärzteschaft bleibe „lediglichdie Erziehung des politisch neutralen oder weltanschaulich gegnerischenArztes zu unserem Staat“. Folgt man diesen Ausführungen, dann wurdenpolitisch unliebsame ÄrztInnen offenbar eher zur Bewährung an andereOrte versetzt als aus dem Beruf ausgeschlossen:

„Die illegalen Kämpfer der Ostmark haben bei manchem Cevauer[Mitglied des Cartell-Verbandes, d. Verf.], der in der Systemzeit ein ge-hässiger Gegner der Nationalsozialisten war, Gnade vor Recht ergehenlassen. Es wurden manchem dieser Systemlinge seiner Frau und seinerKinder wegen die Ausübung einer Tätigkeit als Arzt – wenn auch manch-mal an anderen Orten – weiterhin gestattet. Wir erwarten von diesen oftzu gut behandelten Ärzten, daß sie unsere milde Einstellung ihnen gegen-über nicht als Schwäche auslegen. Mögen sie immer bedenken, daß ihnennur durch eine gewisse Duldung unsererseits noch einmal die Gelegen-heit geboten worden ist, ihr deutsches Herz in sich zu entdecken [...]Denjenigen aber, der seine frühere, unanständige Gesinnung durch Jagdauf Posten auch heute noch an den Tag legen zu müssen glaubt, wird dieganze Schärfe und Härte unserer geschriebenen und ungeschriebenenStandesgesetze treffen durch strenge Bestrafung oder sogar durch Aus-schluß aus dem ärztlichen Stande.“

Am 1. Juli 1938 verloren die jüdischen ÄrztInnen die Kassenzulassung,und mit der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. Juli1938413 wurden deren Approbationen mit 30. September 1938 für erlo-

412 Vgl. etwa Verzeichnis der arischen und der nach den Nürnberger Rassengesetzen nichtals Juden geltenden Allgemeinen Fach- und Zahnärzte (Nach den bisher vorliegendenAngaben der Ärzte), Anhang: Verzeichnis der arischen Zahntechniker, hg. von der Ar-beitsgemeinschaft der Angestelltenkrankenkassen Wiens. Wien 1938 und Verzeichnisder zum sozialärztlichen Dienst zugelassenen Allgemeinen Fach- und Zahnärzte undder Zahntechniker, gültig für die Rentner der Angestelltenkrankenkasse für Finanz-wesen und freie Berufe, Angestelltenkrankenkasse für Handel, Verkehr und öffentli-chen Dienst, Angestelltenkrankenkasse für Industrie und Gewerbe, Versicherungsanstaltder Presse, Ausgabe R vom September 1938. Wien 1938.

413 Vgl. RGBl I S. 969f.

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schen erklärt. Laut den Akten der IKG Wien wurden mit 1. Oktober1938 368 jüdische Ärzte als Krankenbehandler zugelassen,414 deren Namenim Ärzteblatt für die deutsche Ostmark veröffentlicht.415 Die meisten vonihnen waren über 50 Jahre alt: Ramm behauptete, dass die Teilnahme amErsten Weltkrieg ein wesentliches Kriterium für die Bevorzugung bei derZulassung darstellte – insbesondere wenn sie mit Auszeichnungen verbun-den war, wie der Vergleich mit den Listen der IKG darüber hinaus nahelegt:416 „Die Namensliste der zugelassenen jüdischen Krankenbehandlerwird nach Genehmigung durch das Reichsinnenministerium in der Tages-und Standespresse veröffentlicht. Ehemals jüdische Frontsoldaten habenbei der Zulassung den Vorzug bekommen.“417 Die Zahl der jüdischen Kran-kenbehandler wurde bis 1. Februar 1940 auf 201 herabgesetzt.418 Der Be-stand enthält weiters namentliche Listen ehemaliger jüdischer ÄrztInnenohne Zulassung mit Angaben über Adresse, Geburtsdatum, Geburtsort,Staatsangehörigkeit, Haft und Streichungen im Falle der Deportation.419

Die Niederösterreichische420 und Oberösterreichische Ärztechronik421

thematisieren die Berufsschädigungen ausschließlich im Hinblick auf dieUmstrukturierung der Berufsorganisation und der kassenärztlichen Praxis.

ÄrztInnen 247

414 Vgl. Feikes, Veränderungen, S. 27 und Jüdische Krankenbehandler mit Stand vom1. Oktober 1938, Altersschichtung und Konfessionelle Schichtung, CAHJP, A/W2613.

415 Vgl. Ärzteblatt für die deutsche Ostmark 13, 1. Oktober 1938, S. 225 – 231.416 Vgl. Israelitische Kultusgemeinde Wien, Ärzteberatung, Zulassung zur Behandlungen

jüdischer Patienten nach dem 30. September 1938, CAHJP, A/W 2611.417 Ramm (Beauftragter des Reichsärzteführers): Sechs Monate ärztliche Aufbauarbeit in

der Ostmark, in: Ärzteblatt für die deutsche Ostmark 13, 1. Oktober 1938, S. 219.418 Vgl. Jüdische Krankenbehandler, Stand vom 1. Februar 1940, Altersschichtung, Konfes-

sionelle Schichtung, CAHJP, A/W 2613.419 Vgl. Verzeichnis der jüdischen Krankenbehandler und ehemaligen Ärzte und Ärztinnen

nach dem Stande vom 5. März 1941, Verzeichnis der jüdischen Krankenbehandlerund ehemaligen Ärzte und Ärztinnen nach dem Stande vom 1. Jänner 1942, Ver-zeichnis der jüdischen Krankenbehandler und ehemaligen Ärzte und Ärztinnen nachdem Stande vom 1. Juli 1942, Verzeichnis der jüdischen Krankenbehandler und ehe-maligen Ärzte und Ärztinnen nach dem Stande vom 15. Oktober 1942 und Verzeichnis derjüdischen Krankenbehandler und ehemaligen Ärzte und Ärztinnen nach dem Standevom 1. Juni 1943, CAHJP, A/W 408.

420 Vgl. Berthold Weinrich: Niederösterreichische Ärztechronik. Geschichte der Medizinund der Mediziner Niederösterreichs. Wien 1990, v.a. S. 88 – 89.

421 Edmund Guggenberger: Oberösterreichische Ärztechronik. Linz 1962, v.a. S. 111.Unter der Überschrift „In Memoriam“ findet sich eine Liste der Verstorbenen der beidenWeltkriege, S. 122 –123.

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248 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Namentlich genannt werden nur die Kammerfunktionäre. Eine Ermittlungder von Berufsverboten betroffenen ÄrztInnen könnte jedoch über einesystematische Untersuchung des biographischen Teils der Chroniken ver-sucht werden. Im Ärzteblatt für die deutsche Ostmark finden sich Anga-ben über die Anzahl jüdischer Ärzte nur für Niederösterreich (170, daswaren ungefähr 15 Prozent aller ÄrztInnen422). „Diese waren bereits am1. Juli d.J. aus der Kassenpraxis entlassen und ohne Schwierigkeit durchdeutschblütige Ärzte ersetzt“ worden, heißt es dort.

Die IKG Graz übersandte am 12. September 1938 fünf Fragebögen,welche die Zulassung jüdische Ärzte zur Behandlung jüdischer Patienten be-trafen, an die IKG Wien.423 Ebenso schickte die IKG Linz vier entsprechendeFragebögen nach Wien, namentlich genannt werden hier ObermedizinalratDr. Bloch und Dr. Franz Kren. „In Steyr ist kein jüdischer Arzt mehr.“424

Weitere Ansuchen um die Zulassung von Krankenbehandlern reichten dieIKG Baden und St. Pölten ein.425 In Wiener Neustadt lehnten alle jüdischenÄrzte eine Zulassung als jüdische Krankenbehandler ab. Dr. Fritz Glaser,ein Psychiater, musste innerhalb von zwei Wochen seine Wohnung räumenund übersiedelte nach Wien II. Andere lehnten wegen der Pension ab, oderweil sie vorhatten auszuwandern. Zwei Ärzte, die als Halbjuden galten,zeigten kein Interesse an einer Zulassung als jüdische Behandler.426

Im Bestand der Central Archives for History of Jewish People findetsich des weiteren umfangreiches Material zu jüdischen Krankenschwesternund Krankenpflegerinnen.427

422 Vgl. Hubenstorf, Kontinuität, S. 313.423 Vgl. „Provinzangelegenheiten“, Israelitische Kultusgemeinde Graz Z. 798 an die Israe-

litische Kultusgemeinde Wien vom 12. September 1939, CAHJP, A/W 2611. DemBestand aus Jerusalem liegen nur vier Fragebögen bei, nämlich von Dr. GertrudKollitscher (Semmering, Kinderpension), Dr. Alexander Rosenberger (Linz), Medi-zinalrat Dr. Eugen Pollak (Graz) und Dr. B.(aruch?) Kohn (Purgstall /Erlauf ).

424 U/St. an die Israelitische Kultusgemeinde Wien, Auswanderungsabteilung vom 9. Sep-tember 1938 betreffend Provinzreferat, in: Jüdische Kultusgemeinde Linz, Zl. 701.

425 Vgl. Israelitische Kultusgemeinde Baden an das Provinzreferat der Israelitische Kultus-gemeinde Wien, Auswanderungsabteilung vom 9. September 1938; Vorstand derIsraelitischen Kultusgemeinde St. Pölten an die Israelitische Kultusgemeinde, Provinz-referat, Wien vom 11. September 1938, CAHJP, A/W 2611. Nur im zweiten Doku-ment wird ein Arzt namentlich genannt (Dr. Adalbert Szigeti).

426 Vgl. Israelitische Kultusgemeinde Wr. Neustadt an das Provinzreferat der IsraelitischeKultusgemeinde Wien vom 12. September 1938, CAHJP, A/W 2611.

427 Vgl. CAHJP, Jerusalem, A/W 2420.

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3.6. ApothekerInnen

ApothekerInnen gelten als Angehörige eines Freien Berufs, sind allerdingsebenso als Gewerbetreibende wie als Angestellte tätig. Ihr Status als Frei-beruflerInnen ist merkwürdig bedeutungslos, ja fast schon ein Paradox.Mit dem im Rahmen der freien Rechts-, Medizin und Technikberufehöchsten Anteil an Frauen (19 Prozent) und sehr hohen Anteil an Ange-stellten (61 Prozent) stellte sich die Apothekerschaft 1934 als verkammerterBeruf dar, der nicht nach dem dominanten Modell verkammerter Berufeorganisiert war. Kaum ein Beruf wurde staatlicherseits stärker kontrolliertund reglementiert. Im Gegensatz dazu konnte die Ärzteschaft durch ihreakademische Verankerung ein viel größeres Maß an Selbstverwaltung undAutonomie in Berufs- und Ausbildungsfragen erreichen. Der akademischeStatus der PharmazeutInnen war relativ jung, umstritten und stets auchvon der Dominanz der übermächtigen medizinischen Konkurrenz geprägt.Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts blieb daher auch die pharmazeu-tische Ausbildung ein bloßer „Appendix der medizinischen Ausbildungs-stätten“.428

1820 wurde der Apothekerberuf den bürgerlichen Gewerben gleichge-stellt und bis 1938 durch die später kaum veränderten und angepasstenGremialordnungen von 1833 und 1834 geregelt. In diesen Gremialord-nungen, die eine strenge Kontrolle durch den Staat vorsahen, herrschte,so formuliert es Otto Nowotny, „in jeder Hinsicht der alte Zunftgeist.“429

Gleichzeitig belegt die Existenz zahlreicher Fachzeitschriften eine zuneh-mende Autonomie und nicht zuletzt auch eine durchaus befriedigendeVermögenslage sowohl der einzelnen Apotheker als auch der gremialenStandesvertretungen. Diese führten Standeslisten und bauten Gremial-bibliotheken auf. 1838 gründete man einen Unterstützungsverein für armeund notleidende Pharmazeuten, der bis 1938 existierte.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein war jedoch der akademische Status derPharmazeuten umstritten. Denn die Studenten der Pharmazie waren aufder Universität – da sie keine Reifeprüfung absolvieren mussten – ledig-

ApothekerInnen 249

428 Vgl. Alois Kernbauer: Geschichte der pharmazeutischen Ausbildung in Österreich. Derösterreichische Apotheker- und Pharmazeutenstand in der Krise – Von der Mitte des19. Jahrhunderts bis in das Jahr 1922. Graz 1989, S. 397.

429 Otto Nowotny: 50 Jahre Österreichische Apothekerkammer, in: Österreichische Apo-theker Zeitung 19 (1997), S. 885 – 892, hier: 885.

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lich als außerordentliche Hörer zugelassen, und dem Titel Magister man-gelte es an allgemeiner Anerkennung. Das Apothekergesetz von 1906430

sah vor, dass man, um selbständiger Apotheker werden zu können, dasösterreichische Staatsbürgerrecht haben und sich im „Vollgenuß der bür-gerlichen Rechte“ befinden musste. Man musste weiters den akademischenGrad Magister der Pharmazie erworben und mindestens fünf Jahre – imFalle der Konzessionsvergabe für eine neu errichtete Apotheke sogar 15Jahre – „fachliche Tätigkeit“ nachweisen können.

Erst 1920 wurde schließlich die Reifeprüfung als Voraussetzung fürden Apothekerberuf obligat. Die Zahl der Pharmaziestudenten stieg gegenEnde der 1920er Jahre stark an. Diese Entwicklung veranlasste die Orga-nisation der Apothekenbesitzer Österreichs und den PharmazeutischenReichsverband für Österreich, 1928 einen Kollektivvertrag abzuschließen,der die Aspirantenausbildung erschweren und die Zahl der AspirantInnenverringern sollte.431

Das Apothekengesetz von 1906 unterschied zwischen Realapotheken,öffentlichen Apotheken, ärztlichen Hausapotheken und Anstaltsapothe-ken. Realapotheken waren „zu Recht bestehende radizierte und verkäuf-liche Apotheken“, die auf so genannten Realrechten beruhten – sie durftennicht neu gegründet werden. Öffentliche Apotheken waren an eine Kon-zessionsvergabe gebunden, und ihre Zahl richtete sich nach den Bedürf-nissen der Bevölkerung, nach der Zahl der Apotheken und der ärztlichenHausapotheken in einer bestimmten Gegend, die durch die Errichtungeiner neuen Apotheke in ihrem Bestand nicht gefährdet werden durften.Das traf auch auf die ärztlichen Hausapotheken zu, die nur dann geneh-migt wurden, wenn ein Bedürfnis in der Bevölkerung gegeben war undkeine andere Apotheke in der näheren Umgebung existierte. Anstaltsapo-theken konnten von öffentlichen Heil- und Humanitätsanstalten geführtund von den Krankenversicherungsanstalten ausnahmsweise genehmigtwerden.432

430 Vgl. Gesetz vom 18. 12. 1906 betreffend die Regelung des Apothekenwesens, RGBl1907, Nr. 5, § 3.

431 Kernbauer, Geschichte, S. 182ff; Otto Nowotny: Das österreichische Apothekenwesenzwischen 1918 und 1938, in: Österreichische Apotheker Zeitung 16 (1995), S. 708–714.

432 Vgl. Gesetz vom 18. Dezember 1906 betreffend die Regelung des Apothekenwesens,RGBl Nr. 5 (1907), §§ 9 – 10, 29 und 35.

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Tabelle 27: Apotheken in Österreich – 31. Dezember 1937 (Bestand)

Stamm- Saison- Anstalts-Apotheken433 Filialen Apotheken Apotheken Gesamt

Burgenland 29 – 1 – 30 Kärnten 35 – 1 1 37 Niederösterreich 141 – – 1 142 Oberösterreich 81 1 – 2 84 Salzburg 23 – – 1 24 Steiermark 83 – – 3 86 Tirol 26 1 – – 27 Vorarlberg 10 – – – 10 Wien 221 1 – 14 236

Gesamt 649 3 2 22 676

Um 1900 waren circa acht bis zehn Prozent aller Apotheker in Öster-reich jüdischer Herkunft. Zwischen 1900 und 1938 stieg die Zahl derApotheken in Wien von 109 auf 222, von denen ungefähr 32 Prozent alsjüdisches Eigentum galten.434 1938 waren in Österreich 157 jüdischeApothekerInnen aktiv.435 Angeblich war der Antisemitismus in der Pharma-zie besonders ausgeprägt, und zuweilen versuchen Historiker, diesen Um-stand durch die regionale Herkunft beziehungsweise deren kulturellenHintergrund zu begründen.436 Andere Faktoren scheinen jedoch minde-stens ebenso maßgebend gewesen zu sein, beispielsweise der Flaschenhals

ApothekerInnen 251

433 Diese Typen von Apotheken wurden im Apothekenkonzessionsgesetz von 1906 defi-niert. Mit Stammapotheke ist der Normalfall bezeichnet (die Apotheke eines Apo-thekers). Eine Filialapotheke ist eine zweite Geschäftstelle einer Stammapotheke, dieSaisonapotheke eine nur zeitweise betriebene zweite Geschäftstelle (Kurort, Sommer-frische usw.) einer Stammapotheke. Mit Anstaltsapotheke ist die Apotheke eines meistgrößeren Krankenhauses gemeint. Nicht genannt sind hier die so genannten Hausapo-theken, das heißt Apotheken von Ärzten, in deren näherer Umgebung sich keine regu-läre Apotheke befand. Zu den Hausapotheken finden sich jedoch keine Zahlen.

434 Vgl. Frank Leimkugel: Wege jüdischer Apotheker. Emanzipation, Emigration, Restitu-tion. Die Geschichte deutscher und österreichisch-ungarischer Pharmazeuten. Esch-born 21999, S. 71.

435 Vgl. S. 191.436 Leimkugel zum Beispiel erklärt den Antisemitismus folgendermaßen: „Ein Grund für

die Judenfeindlichkeit in der österreichischen Pharmazie mag gewesen sein, dass die

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der Konzessionsvergabe: Da die Zahl der öffentlichen Apotheken limitiertwar, konnte sich ein Teil der angestellten Apotheker, obwohl sie die for-mellen Bedingungen erfüllten, zwangsläufig nicht selbständig machen,sondern lediglich weiterhin als Angestellte in Apotheken, Forschungsein-richtungen oder in der chemischen Industrie Arbeit finden.

Die Apothekergremien versuchten, die Neugründungen zu reduzieren,um den bestehenden Apotheken ein sicheres Einkommen zu gewährlei-sten.437 Durch diese Maßnahmen bildeten sich für Apotheken, die relativhohe Erträgnisse abwarfen, vergleichsweise hohe Preise. Eine Apothekeerzielte beim Verkauf das eineinhalb- bis zweifache des Jahresumsatzes –in den letzten Jahren vor dem Anschluss wurde zuweilen sogar etwas mehrbezahlt.438

Tabelle 28: Arbeitsplatz Apotheke in Österreich 1934439

Angestellte insgesamt 1.807 davon männlich 1.032

davon leitende 57 davon weibliche 775

davon leitende –

Selbständige insgesamt 679 davon männlich 612 davon weibliche 67

Mehrzahl der jüdischen Wiener Apothekenbesitzer als Vertreter derjenigen Juden galt,auf die die antijüdische Propaganda mit besonderem Erfolg abzielte. Während diedeutsch-jüdischen Apotheker größtenteils aus Familien hervorgegangen waren, dieman bereits seit den Emanzipationsgesetzen von 1812 als Reichsbürger anerkannthatte, war ein großer Anteil der österreichisch-jüdischen Magister während des ErstenWeltkriegs aus den östlichen Provinzen des Kaiserreiches wie Galizien oder der Buko-wina geflüchtet und zählte somit zum so genannten ‚Ostjudentum‘.“ (S. 72).

437 Vgl. Nowotny, Apothekenwesen, 1995.438 Vgl. Schreiben RA Gutwenger an Reichskommissar Joseph Bürckel vom 23. Dezember

1938, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1.439 Vgl. Ergebnisse Volkszählung 1935, Textheft, S. 231 und 242.

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In Deutschland waren Juden und Jüdinnen nach der nationalsoziali-stischen Machtergreifung 1933 sukzessive aus dem Apothekerberuf ver-drängt worden. Zunächst 1933 aus dem Deutschen Apotheker-Vereinausgeschlossen wurde ihnen die Berechtigung als Prüfer entzogen, sie er-hielten ab 1934/35 keine Konzessionen mehr und wurden 1936 gezwungen,ihre Betriebe zu verpachten und schließlich 1939 zu verkaufen.

In Österreich gab es nach dem Anschluss keine schrittweise Entwick-lung, sondern es kam – wie auch in allen anderen Bereichen – zur sofor-tigen Entmachtung der bisherigen Berufsvertreter und zur Übernahmebeziehungsweise Auflösung der Berufsverbände und Vereine. Schon am28. März 1938 wurden die Vorstände der österreichischen Apothekergre-mien durch kommissarische Leiter ersetzt. Sämtliche 15 Standesorganisa-tionen und Verbände mit Ausnahme der Pharmazeutischen Gehaltskassewurden am 8. August 1938 aufgelöst beziehungsweise von Abteilungender deutschen Apothekerkammer und der Deutschen Apothekerschaftübernommen. Zahlreiche wichtige Funktionen der Apothekerverbändewaren schon vor dem Anschluss von nationalsozialistisch gesinnten Phar-mazeuten besetzt worden, denen es während des Ständestaates gelungenwar, ihre Gesinnung zu tarnen. Daher verlief die Abwicklung der Organi-sationen weitgehend friktionsfrei.

Tabelle 29: ApothekerInnen – Gesetzgebung 1933 bis 1939440

22. 4. 1933 Einführung des Arierparagraphen im Deutschen Apotheker-Vereinmit Bezug auf das Beamtengesetz

19. 8. 1933 Einführung des Ariernachweises für pharmazeutische Prüfer

8. 12. 1934 Prüfungsordnung für Apotheker: Nichtarier werden zur Prüfungnicht zugelassen.

17. 4. 1934 Nichtarier und Ehepartner von Nichtariern erhalten in Preußenkeine Apothekenkonzession mehr.

26. 3. 1936 1. VO zum Gesetz über die Verpachtung und Verwaltung vonöffentlichen Apotheken. Juden sind als Pächter nicht zugelassen.Öffentliche Apotheken, deren Inhaber Jude ist, unterliegen demVerpachtungszwang.

ApothekerInnen 253

440 Vgl. Joseph Walk: Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Heidelberg 21996.

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19. 6. 1936 Verleihung der Apothekenkonzession nur mehr an Arier.

20. 12. 1938 Ausschluss von Juden vom Apothekerberuf, Juden und Mischlinge1. Grades werden zur Ausbildung für den Apothekerberuf nichtzugelassen, die Bestallung als Apotheker ist ihnen zu versagen.

20. 5. 1939 Juden sind zu keinerlei pharmazeutischer Beschäftigung in Apo-theken mehr zugelassen und haben ihre Apothekenbetriebsrechtezu verpachten, solche Betriebsrechte sind bis zum 30. Juni 1939zu veräußern; die Verträge sind genehmigungspflichtig, wird keinVeräußerungsvertrag vorgelegt, ist ein Treuhänder zu bestellen, Per-sonalkonzessionen sind neu auszuschreiben.

1. 9. 1939 VO zur Bestallungsordnung für Apotheker: Juden und jüdischenMischlingen 1. Grades ist die Bestallung nicht zu erteilen, überErteilung an Mischlinge 2. Grades entscheidet der Innenministerim Einverständnis mit dem Stellvertreter des Führers.

Die Apothekergremien wurden durch zwei große Bezirksorganisationen,Donauland (die Leitung erhielt Pg. SA-Obertruppführer Franz Schwederin Wien, Stellvertreter wurde SA-Obertruppführer Franz Dittrich) undAlpenland mit Sitz in Innsbruck (die Leitung bekam Pg. SA-Obertrupp-führer Robert Bichler zugewiesen), abgelöst, die der Reichsapothekerkam-mer in Berlin unterstellt waren. Schweder übernahm auch die Leitung derApothekerkammer Donauland (Stellvertreter wurde SA-OberführerWolfgang Mitterdorfer).441 Die diversen Zeitschriften wurden vom Deut-schen Apotheker-Verlag übernommen und ihr Erscheinen eingestellt.Stattdessen erschien ab August 1938 eine neue Zeitschrift, die „WienerPharmazeutische Wochenschrift“. Zwecks einheitlicher Preisgestaltungwurde die Deutsche Arzneitaxe übernommen, was de facto eine starkeVerbilligung zahlreicher Produkte bedeutete, die in Österreich wesentlichteurer gewesen waren.442

441 Pharmazeutische Wochenschrift, 34, (1938), S. 2.442 Pharmazeutische Wochenschrift, 71, (1938), S. 28.

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Tabelle 30: ApothekerInnen – Auflösung von Vereinen und Verbänden443

Organisation, Verein Gründung Löschung

Pharmazeutische Gehaltskasse 1908 444 bestand weiterNotstandsfonds für Pharmazeuten 1921 ? Apothekergremium – Graz 24. 8. 1938 Apotheker Kreisgremium – Baden 24. 8. 1938 Unterstützungsverein des Wiener 24. 8. 1938 Apothekerhauptgremiums Ausschuss der konditionierenden Pharmazeuten – Wien 24. 8. 1938Ausschuss der konditionierenden Pharmazeuten – St. Pölten 24. 8. 1938 Frankfonds des Wiener Apotheker Hauptgremiums 24. 8. 1938Apothekerhauptgremium OÖ – Linz 25. 8. 1938 Wirtschaftsverband österreichischer Apotheker – Innsbruck 23 .6. 1938 Unterstützungsverein der Apotheker Salzburgs 20. 8. 1938Versicherungsanstalt für Pharmazeuten 1926 Wiener Apothekerhauptgremium 24. 8. 1938 Bund österreichischer Apotheker 1929 Österreichische Pharmazeutische Gesellschaft Pharmazeutischer Reichsverband für Österreich 1891 20. 8. 1938Pharmazeutischer Reformverband 1929 Apotheker-Klub 1885 20. 8. 1938 Österr. Apothekerverein – Org. d. Apothekenbesitzer 1861 20. 8. 1938Ausschuss der konditionierenden Pharmazeuten – Krems 20. 8. 1938Ausschuss der konditionierenden Pharmazeuten – Korneuburg 20. 8. 1938Ausschuss der konditionierenden Pharmazeuten – Vöslau 20. 8. 1938Apothekerfilialgremium – Krems 20. 8. 1938 Ausschuss der konditionierenden Pharmazeuten – Salzburg 20. 8. 1938 Ausschuss der konditionierenden Pharmazeuten OÖ – Linz 20. 8. 1938 Ausschuss der angestellten Apotheker in Stmk – Graz 20. 8. 1938Apothekergremium, Treibach/Kärnten 20. 8. 1938 Ausschuss der kond. Pharmazeuten in Kärnten – Klagenfurt 20. 8. 1938Apothekergremium Herzogenburg 20. 8. 1938 Apothekergremium Hollabrunn 20. 8. 1938

ApothekerInnen 255

443 Pharmazeutische Wochenschrift (Juni-September 1938); Otto Nowotny, 1938 – 1945.Die Zeit, in der es kein österreichisches Apothekenwesen gab, in: Österreichische Apo-theker Zeitschrift, 11 (1988), S. 207 – 208.

444 Ab 1919 verpflichtend, vgl. Nowotny, Apothekenwesen, 1995.

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Albert Hoffmann, der Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationenund Verbände, ordnete am 10. August 1938 die Auflösung der pharma-zeutischen Verbände und Vereine für den 20. August 1938 an. Deren Ver-mögen wurde „unter Ausschluß der Liquidation“ den BezirksverbändenDonauland der Deutschen Apothekerschaft überwiesen, mit der Auflage,die Mittel innerhalb der Ostmark zu verwenden.445

Schon im Mai 1938 hatte die Arisierung der jüdischen Apotheken be-gonnen. Die Durchführung der Enteignungsmaßnahmen stand unter derLeitung von SA-Obersturmbannführer Mag. Edwin Renner. Er selbst be-zeichnete es als ein „Novum“, einen kommissarischen Verwalter für sämtlichejüdische Betriebe einer Branche einzusetzen.446 Die betroffenen Apothekenwurden zu behördlich festgesetzten Preisen, die weit unter demVerkehrswert lagen, an ausgewählte Bewerber verkauft. Der Kaufpreis, dernicht dem Eigentümer zugute kam, sondern auf ein Sperrkonto über-wiesen wurde, errechnete sich folgendermaßen. Vom Umsatz 1937 zogman eine Pauschale von 30 Prozent ab (dies begründete man mit dem zuerwartenden Umsatzrückgang für 1938, da sich die Arzneimittelpreisedurch den Anschluss auf das um 30 Prozent niedrigere Preisniveau desAltreiches absenken würden). Vom Rest waren 60 Prozent an die Vermö-gensverkehrsstelle zu überweisen, die restlichen 40 Prozent gingen auf einSperrkonto des Verkäufers. Der Kaufpreis betrug somit 28 Prozent desJahresumsatzes von 1937. Normalerweise hatte man den Verkehrswerteiner Apotheke mit 250 Prozent des zuletzt erzielten Jahresumsatzes an-genommen. Es verblieben den Verkäufern 1938 somit lediglich zehn bis15 Prozent des eigentlichen Werts der Apotheken.

Zusätzlich waren die üblichen diskriminierenden Steuern (Reichsflucht-steuer, JUVA) zu zahlen. Nicht alle Apotheken wurden durch Verkaufarisiert: „Von 61 Apotheken, die innerhalb dieser Zeit von arischen Phar-mazeuten übernommen wurden, gelangten 72 % durch Kauf und 28 %Prozent durch Neuverleihung einer Konzession in ihren Besitz.“447

445 Pharmazeutische Wochenschrift, 34, 20. August 1938.446 Vgl. Edwin Renner: Arisierung der Apotheken in der Ostmark, in: Pharmazeutische

Wochenschrift 43 (1938), S. 327ff.447 Ebenda, S. 327 ff.

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Tabelle 31: Liste des kommissarischen Verwalters aller jüdischen Apotheken

Apotheken insgesamt davon in jüdischem Besitz

Wien 230 84 Niederösterreich 137 5 Oberösterreich 82 2 Steiermark 83 1

Österreich gesamt 654 92

Am 2. Februar 1939 waren alle bis auf drei Apotheken arisiert. In dreiFällen gab es eine Eingabe an das Reichswirtschaftsministerium. Auffal-lend ist, dass im Unterschied zu den Betrieben anderer Branchen keineeinzige Apotheke aufgelöst oder stillgelegt wurde. Nicht einmal die starküberschuldeten Apotheken wurden liquidiert. Edwin Renner, der kom-missarische Verwalter der Apotheken, behauptete, die „Bedürfnisfrage“sei überprüft worden und der Bedarf vorhanden: „Die Überschuldung derApotheken resultiert meistens aus dem hohen Lebensstandard der jüdi-schen Apotheker und daraus, daß die Gelder zum Ankauf von anderwei-tigen Objekten und Geschäften verwendet wurden. Es wurde festgestellt,daß der Jahresumsatz dieser jüdischen Apotheken den Betrag von 5,553Mio. Reichsmark im Jahre 1937 ausgemacht hat.“448

Mit 31. Januar 1939 erloschen alle Konzessionen und die Berufser-laubnis aller jüdischer Pharmazeuten. Jüdische StudentInnen wurden vomStudium der Pharmazie ausgeschlossen, Mischlingen ersten und zweitenGrades der Besitz oder die Leitung einer Apotheke untersagt.449

Die Berufsschädigungen betrafen – jeweils in unterschiedlicher Form –EigentümerInnen von Apothekern, PächterInnen, angestellte ApothekerIn-nen und das sonstige Personal, darüber hinaus auch jene, die ihre Praxis-jahre absolvierten und noch in Ausbildung standen.450 Zumindest das

ApothekerInnen 257

448 Edwin Renner an Gauleiter Bürckel betreffs Planung der Arisierung der jüdischen Apo-theken in der Ostmark, 31.1.1939, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 146, 2160/14/1.

449 Walk, Sonderrecht, S. 270; Edwin Renner an Gauleiter Bürckel betreffs Planung derArisierung der jüdischen Apotheken in der Ostmark, 31. 1. 1939, ÖStA AdR 04,Bürckel-Materie, Kt. 146, 2160/14/1.

450 Zu den angestellten ApothekerInnen und dem Apothekerpersonal existieren Unter-lagen bei der Pharmazeutischen Gehaltskasse. Personenbezogene Recherchen warenim Rahmen unseres Projektes allerdings leider nicht möglich, da ohne eine Namens-liste der Entlassenen eine gezielte Suche nicht möglich war.

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258 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

quantitative Verhältnis von Angestellten und Selbständigen war kaumanders als 1934 bei den ApothekerInnen insgesamt (vgl. Graphik 14, S. 156). Circa 120 ApothekerInnen emigrierten, von diesen kehrten nurwenige zurück. Allerdings hatten selbst diese wenigen Probleme bei derWiedererlangung ihrer Konzession. Sie mussten in ihrer eigenenApotheke ein Praxisjahr absolvieren. Manche Konzessionen wurden auchgar nicht wieder ausgestellt.451

Tabelle 32: Berufstatus jüdischer ApothekerInnen 1938452

Bestand Frequenz (in %)

Apothekenbesitzer 107 33,0 Angestellte Magister 208 65,0IndustrieapothekerInnen 5 2,0

Gesamt 320 100,0

Abgewiesen wurde etwa die Beschwerde, die Dr. Otto Lustig 1961 gegendie Konzessionsentziehung einbrachte. Lustig, geboren 1899, beteiligte sich1928 gemeinsam mit seiner Frau Dr. Hilde Lustig an der Apotheke ZumSalvator in der Kärntner Straße. 1935 wurde die Konzession auf ihn über-tragen, Eigentümer wurde 1936 Dr. Richard Kohn. Otto Lustig wurde ge-zwungen, am 8. November 1938 seine Konzession zurückzulegen. Zuvor waram 1. Juli 1938 die Apotheke von Mr. Kamillo Winter übernommen wor-den, im August 1939 kam sie unter die Verwaltung von Dr. Robert Baur.453

Dr. Josef Gutwenger war seit 1913 als Rechtsanwalt im Apotheken-wesen tätig. In einem an Gauleiter Bürckel gerichteten Brief kritisierte er,dass die Kaufpreise für die arisierten Apotheken nur noch 70 Prozent desjeweiligen Jahresumsatzes ausmachten. Er bezeichnete „diese Art der Apo-thekenentjudung als der nationalsozialistischen Lehre zuwiderlaufend“und behauptete, dass „hierdurch in der Apothekerschaft nur eine Miß-stimmung und Unzufriedenheit hervorgerufen werden kann“.454 Das

451 Vgl. Felix Czeike: Die Apotheke „Zum Salvator“, in: Wiener Geschichtsblätter, 5(1997), S. 257 – 263.

452 Leimkugel, Wege, S. 187.453 S. 263.454 Schreiben RA Gutwenger an Reichskommissar Joseph Bürckel vom 23. Dezember

1938, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1.

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Tabelle 33: Österreichische jüdische ApothekerInnen 1938 bis 1945455

Bestand Frequenz (in %)

Emigriert 91 51,0Emigriert und remigriert 29 16,0Als Arier anerkannt 1 1,0KZ überlebt 7 4,0 Deportiert – verschollen 27 15,0 Freitod 1 1,0 Krieg in Österreich nicht überlebt 18 10,0 In Österreich überlebt 4 2,0 Gesamt 178 100,0

Argument, die Erwerber der jüdischen Apotheken verfügten nicht überausreichende Mittel, ließ er nicht gelten. Der angemessene Preis könne imLaufe von 20 bis 30 Jahren zurückgezahlt werden.

Er wies darauf hin, dass alle ApothekerInnen, die vor dem Anschluss dasZweifache des jeweiligen Jahresumsatzes gezahlt hatten, sich nun benachtei-ligt und betrogen fühlten und forderte eine Überprüfung aller Arisierungen.

„Da es sich [...] durchwegs um sogenannte Mußgeschäfte handelt, derenBewertung mit Rücksicht auf die Eigenheit des Apothekenwesens keinebesonderen Schwierigkeiten und Umständlichkeiten erfordert, wäre hin-sichtlich aller einzelnen, in Frage kommenden Betriebe unter Festsetzungeines bestimmten Stichtages nach einer aufzustellenden Richtschnur nachbilligem Ermessen der Verkehrswert derselben festzustellen und die Dif-ferenz gegenüber den Uebernahmspreisen gegen niedrige Verzinsung undlangjährige Amortisation auf den einzelnen Betrieben samt Konzessionzugunsten des Reiches sicherzustellen. Herrenlose Werte erzeugen Habgierund Raffsucht! Die Demoralisation in der Ostmark hat einen bisher nochnicht dagewesenen Höhepunkt erreicht!“456

ApothekerInnen 259

455 Diese auf Leimkugel zurückgehenden Zahlenangaben sind widersprüchlich, da nichtimmer zwischen angestellten, besitzenden ApothekerInnen und PächterInnen unter-schieden wird. Sie sind daher lediglich als sehr grobe Orientierungsgrößen zu betrach-ten, vgl. Leimkugel, Wege, S. 195.

456 Schreiben RA Gutwenger an Reichskommissar Joseph Bürckel vom 23. Dezember1938, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1.

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260 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

Ein Fall457

Mr. Karl Jindrich, geboren 1879 in Kunradic, Böhmen, kam 1908nach Österreich und lebte seit 1911 in Wien. 1921 erhielt er die öster-reichische Bundesbürgerschaft und bekam die Konzession zum Betriebeiner öffentlichen Apotheke. Jindrich war neben seiner Arbeit ledig-lich Mitglied im Oesterreichischen Touristenklub (im Zentralausschuss),1934 wurde er Mitglied der Vaterländischen Front.1910 heiratete Karl Jindrich eine Frau mosaischen Glaubens, dieserEhe entstammte eine Tochter. Er beschäftigte in seiner Apotheke seit1925 einen Angestellten, den Pharmazeuten Mr. Franz Heger. ImJuni 1938 legte Heger seinem bisherigen Arbeitgeber Jindrich einenBescheid des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheitenvor, der ihm die Leitung einer jüdischen Apotheke übertrug. Hegerforderte nun die Auflösung des Dienstverhältnisses und eine entspre-chende Abfertigung (bei einer über zehnjährigen Anstellung handeltees sich nach dem Angestelltengesetz um das vierfache Monatsgehalt).Jindrich zahlte diese Abfertigung in der Höhe von 1.330 RM, obwohler nicht dazu verpflichtet gewesen wäre, da er Heger ja nicht gekün-digt hatte.Wenig später ließ sich Heger zum Kommissarischen Verwalter von Jin-drichs Apotheke bestellen. Dem Eigentümer wurde das Betreten derApotheke verboten. Jindrich protestierte erfolglos bei der Reichsstatt-halterei und beim Reichskommissar für Wiedervereinigung. Außer-dem reichte er beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien eineScheidungsklage ein. Am 21. November 1938 wurde er rechtskräftiggeschieden, die Schuld allein seiner ehemaligen Frau zugewiesen.Der Kommissarische Verwalter des Apothekengremiums, Edwin Renner,legte Jindrich bei einer Besprechung nahe, die Apotheke an Heger zuverkaufen. Er erhalte, so wurde ihm gesagt, wenn er sofort dem Ver-kauf zustimme, ausnahmsweise 70 Prozent des Umsatzes als Kauf-schilling. Später, so wurde ihm gedroht, werde er vielleicht gar nichtsmehr bekommen. Gründe oder einen Rechtstitel, warum er seine Apo-theke verkaufen müsse, wurden ihm verweigert. Jindrich wandte sich

457 Vgl. Schreiben RA Gutwenger an Reichskommissar Joseph Bürckel vom 20. Dezember1938, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 91, 2160/14/1.

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nun an den Rechtsanwalt Dr. Josef Gutwenger, der eine Eingabe an dasReichskommissariat für Wiedervereinigung verfasste. Offenbar hattedie Eingabe Erfolg: In den nachfolgenden Jahrgängen des Apotheker-registers scheint Jindrich nach wie vor als Besitzer seiner Apotheke auf.

Die Grundgesamtheit der erfassten Apotheken wurde aus den Anga-ben dreier Quellen konstruiert. Zum ersten findet sich in den Akten desReichskommissars für Wiedervereinigung (Bürckel-Materie) ein Berichtdes kommissarischen Verwalters aller jüdischen Apotheken, Mr. EdwinRenner, an Josef Bürckel. Dieser Bericht enthält nicht nur Angaben zurPlanung der Arisierung, sondern auch eine umfangreiche Liste der betrof-fenen Apotheken. Danach waren von 654 Apotheken in ganz Österreich„92 in jüdischem Besitz oder waren mit jüdischem Kapital angekauftworden.“458

Neben dieser umfassenden – aber gewiss nicht vollständigen – Listewurde zum zweiten eine kleine, aus dem Jahr 1961 stammende Liste mitApotheken gefunden, bei denen es zu Rückstellungsverfahren gekommenwar. Auf dieser Liste sind mehrere Apotheken verzeichnet, die in der erst-genannten nicht aufscheinen.459 Zum dritten haben weitere Rechercheneine Reihe von Rückstellungen bei Apotheken zu Tage gefördert, diewiederum auf keiner der beiden ersten Listen vorkommen. Insgesamterweitert sich damit die Reihe jener Apotheken, für die es Hinweise aufEnteignungen und Konzessionsentziehungen gibt, auf 108.

Der Verkaufserlös der arisierten Apotheken betrug nach dem BerichtRenners 3.876 Millionen RM. Davon wurden Schulden bezahlt, der Restging in Ratenzahlungen an die VVSt. Innerhalb von zehn Jahren erwarteteman 1,783 Millionen RM. Der Bericht bemerkte weiters, „daß der grössteTeil der jüdischen Apotheker bereits ausgewandert ist und ihre Auswande-rung von der h.o. Stelle bestmöglichst unterstützt und gefördert wurde.“460

Jeder Käufer hatte 60 Prozent des Übernahmewertes an die Pharma-cred, Wien 6, Laimgrubeng. 27, zu zahlen.461 Die Pharmacred vereinigte

ApothekerInnen 261

458 Vgl. Schreiben des Kommissarischen Verwalters sämtlicher jüdischen Apotheken derOstmark an Gauleiter Josef Bürckel vom 2. Februar 1939, ÖStA AdR 04, Bürckel-Ma-terie, Kt. 91, 2160/14/1.

459 Vgl. Bestand der Sammelstelle (Georg Weis), ÖStA AdR 06, VVSt, Kt. 1578, Anhang(unfoliert).

460 Vgl. Renner, Arisierung, 1938, S. 327ff.461 Edwin Renner an Gauleiter Bürckel betreffs Planung der Arisierung der jüdischen

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sich mit Stichtag vom 17. März 1944 mit der Apotheker Zentralkassareg. GenmbH., die ihrerseits den Firmenwortlaut am 6. September 1951in Österreichische Apothekerbank reg. GenmbH. umänderte.462 Sämtli-che Einzahlungen wurden an die VVSt weitergeleitet, zuweilen auch aufderen Weisung an Finanzämter überwiesen. Die auswandernden Vorbe-sitzer bekamen nur in Ausnahmefällen kleine Beträge ausbezahlt.463

Apotheken in der Ostmark, 31. 1. 1939, ÖStA AdR 04, Bürckel-Materie, Kt. 146,2160/14/1.

462 Vgl. Handelsregisterakt 135 Gen. 33/140.463 Vgl. Schreiben Dir. Raimund Kreuter (Österr. Apothekerbank) an Sammelstelle A vom

21. Februar 1961, ÖStA AdR 06, Sammelstelle A, Ordner 164 –199, Meldung Nr.641 („Meldungen Handel“).

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264 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

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Page 266: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

266 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

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268 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

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Page 272: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

464 Christine Gilli-Schwarzmayr: Die Entwicklung des Veterinärrechtes in Österreich mitbesonderer Berücksichtigung des Berufstandes der Tierärzte. Diss. Graz 1995, S. 12.

465 Die Wiener „K.k. Pferde-Curen- und Operationsschule“ wurde 1767 gegründet, vgl.Gilli-Schwarzmayr, Entwicklung, 1995, S. 37.

466 Dieser Verein und ähnliche Organisationen entstanden Ende der 1870er beziehungs-weise Anfang der 1880er Jahre ebenso wie erste tierärztliche Zeitschriften, vgl. Gilli-Schwarzmayr, Entwicklung, 1995, S. 129.

467 Vgl. Franz X. Wimmer: Die Genesis der Österreichischen Tierärztekammer, in: WienerTierärztliche Monatsschrift, 11/36. Jg. (1949), S. 641 – 646.

272 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

3.7. Tierärzte

Der Beruf des Tierarztes ist von seiner historischen Entwicklung her be-trachtet als Überschneidung verschiedener Bereiche und Tätigkeiten zusehen. Die Tierheilkunde wurde von „Schäfern, Hirten, Hufschmieden,Abdeckern, Scharfrichtern und Viehschneidern“464 und auch von Human-medizinern betrieben, ehe durch die Gründung von Veterinärschulen be-ziehungsweise Tierarzneiinstituten in den 1860er Jahren465 der Tierarztberufrechtlich und im Hinblick auf die Ausbildung zumindest ansatzweise regle-mentiert wurde. Solche Schulen wurden von Schmieden, Landwirten, Mili-tärs, Hirten, Jägern, Fleischbeschauern und graduierten Ärzten besucht,wobei sich nur letztere zu eigentlichen Tierärzten qualifizieren konnten.

Diese parallelen Ausbildungsgänge führten zu Unklarheiten über denberuflichen Status der Veterinärmediziner. Auch wenn Mitte des 19. Jahr-hunderts die Ausbildung auf drei Gänge beschränkt wurde, nämlich aufdie Ausbildung zum Kurschmied, zum Magister der Tierheilkunde undzum Tierarzt, gab es weiterhin Auseinandersetzungen und Konkurrenzzwischen Laien, denen oft mehr Vertrauen entgegenbracht wurde, undausgebildeten Tierärzten. Das Recht zur freien Ausübung der Tierheil-kunde konnte allerdings nur auf der Grundlage der Vollendung des vor-geschriebenen veterinärmedizinischen Studiums erworben werden. DasTierarzneiinstitut erhielt 1897 den Status einer Hochschule, die Ausbil-dung der nichtakademischen Kurschmiede wurde erst 1910 eingestellt.

Die Idee der Gründung von Tierärztekammern, nach dem Vorbild derStandesvertretungen der Ärzte, wurde vom Verein österreichischer Tier-ärzte466 erstmals 1908 angeregt und ein Gesetzesentwurf dem k. k. Ackerbau-ministerium vorgelegt.467 Diese Initiative blieb folgenlos. Ein neuerlicherVersuch wurde erst 1924 angestellt, doch die Interessengegensätzen warenzu groß, um eine Umsetzung des Plans zu erlauben:

Page 273: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

„[...] weder der von der Veterinärverwaltung des Bundesministeriumsfür Land- und Forstwirtschaft im Einvernehmen mit dem Reichsvereinder Tierärzte Österreichs im Jahre 1931 ausgearbeitete Entwurf eines Tier-ärztekammergesetzes noch der im Jahre 1936 von der Veterinärverwaltungunter Benützung eines Entwurfes, welcher im Zuge des berufsständigenAufbaues der freien Berufe vom Bundesministerium für soziale Verwal-tung dem Landwirtschaftsministerium übermittelt worden war, verfaßteEntwurf eines Tierärztekammergesetzes konnte den Weg aus den Stubender obersten Regierungsbehörden zu den gesetzgebenden Körperschaftenfinden.“468

Die berufliche und soziale Situation der Veterinärmediziner in den1920er und 1930er Jahren beschreibt Gilli-Schwarzmayr als einigermaßenprekär. Es gab vergleichsweise viele Tierärzte im Verhältnis zur Nachfrageund somit Konkurrenz zwischen Freiberuflern, Beamten und auch ohnebesondere Autorisierung praktizierenden Tierheilern, die mangels einer ent-sprechenden gesetzlichen Regelung – Tierheilkunde war kein Gewerbe –kaum belangt werden konnten und deshalb nicht eine fast schon illegaleExistenz führen mussten wie die Winkeladvokaten.

Alles in allem kann im Rahmen der freien medizinischen Berufe, dienatürlich insgesamt eine bestimmte Mindestnormalisierung aufweisen,von einer ziemlich inhomogenen Berufsgruppe gesprochen werden. Daswichtigste Kriterium stellte ein abgeschlossenes veterinärmedizinischesDiplom dar, was für sich genommen natürlich schon einen relativ starkausgeprägten Grad an staatlicher Normalisierung bedeutete. Es konnteallerdings kaum als wirklich verbindlich durchgesetzt werden.

Für die nationalsozialistischen Berufsschädigungen in der Tierärzte-schaft waren vor allem zwei staatliche Regelungen relevant:

– die Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeam-tentums (BBV) vom 31. Mai 1938, RGBl I S. 607 – 610, die nurbeamtete Tierärzte betraf, und

– die Verordnung über die Einführung der Reichstierärzteordnung imLande Österreich vom 13. November 1938, RGBl I S. 1608f.

Diese Verordnung bezieht sich auf die Reichstierärzteordnung vom3. Juli 1936, deren § 3 Abs. 2 besagte, dass die Bestallung den Bewerbernin folgenden Fällen zu versagen sei:

Tierärzte 273

468 Wimmer, Genesis, 1949, S. 642 – 643.

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469 Reichstierärzteordnung vom 3. Juli 1936, RGBl I S. 347.470 Eine vergleichbare Gesamtzahl für das Jahr 1928, nämlich circa 1.000, fand sich in der

Dissertation über die Entwicklung des Veterinärrechtes in Österreich von ChristineGilli-Schwarzmayr, siehe Gilli-Schwarzmayr, Entwicklung des Veterinärrechtes, 1995,S. 167

471 Darauf weisen zB Angaben in der Auswanderungskartei der IKG Wien, in LehmannsAdressanzeiger Wien oder in verschiedenen tierärztlichen Fachzeitschriften hin.

274 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

„1. wenn der Bewerber die bürgerlichen Ehrenrechte nicht besitzt;2. wenn sich aus Tatsachen ergibt, dass dem Bewerber die politische oder sitt-

liche Zuverlässigkeit fehlt, insbesondere wenn schwere strafrechtliche odersittliche Verfehlungen vorliegen;

3. wenn der Bewerber durch berufsgerichtliches Urteil für unwürdig erklärt ist,den tierärztlichen Beruf auszuüben;

4. wenn dem Bewerber infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegenSchwäche seiner geistigen oder körperlichen Kräfte oder wegen einer Suchtdie für die Ausübung des tierärztlichen Berufs erforderliche Eignung oderZuverlässigkeit fehlt;

5. wenn der Bewerber wegen seiner oder seines Ehegatten Abstammung nichtBeamter werden könnte. Der Reichsminister des Innern kann in Härtefällenim Einvernehmen mit der Reichstierärztekammer Ausnahmen zulassen.“469

Als Einstieg in die Bearbeitung dieser Berufsgruppe war vorgesehen,die Liste der Tierärzte aus dem Amtskalender von 1938 (1.070 Männer)470

mit einer oder mehreren äquivalenten Listen aus den Folgejahren zu ver-gleichen, um festzustellen, wie viele Tierärzte nicht mehr ihren Beruf aus-übten. Weiters sollte anhand verschiedener Quellen überprüft werden, wasdie Gründe für das Ausscheiden aus der Liste sein könnten. Die Listen ausdem Amtskalender 1938 erfassten nicht alle 1937 offiziell tätigen Tierärzte.So ergaben die Recherchen in anderen Quellen, dass zum Beispiel nichtsämtliche freiberuflich praktizierenden Tierärzte dort vermerkt sind.471

Das Vorhaben konnte in dieser Form nicht durchgeführt werden, dakeine berufsinternen Listen aus den Jahren ab 1939 zu finden waren.Einerseits bestand ja ein dem Amtskalender entsprechendes gesamtöster-reichisches Verzeichnis nicht mehr. Andererseits wurden 1938 die Tierärzteauf ehemals österreichischem Gebiet zum ersten Mal in Kammern erfasst,und zwar als Unterabteilungen der Deutschen Reichstierärztekammer,denen „der Charakter einer juristischen Person mit eigener Rechts- und

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Handlungsfähigkeit nicht zu [kam]“472. Die Unterlagen dieser Organisa-tionen (wie zum Beispiel die aus anderen Kammerarchiven bekanntenBerufslisten), liegen aber in den heutigen österreichischen Tierärztekam-mern, die erst 1949 gegründet wurden, laut deren Auskunft gar nichtauf.473

Auf Grund der spezifischen Zusammensetzung des Berufs, die wesent-lich vom Gegensatz zwischen den verbeamteten und den freiberuflichtätigen Tierärzten geprägt war, ist es so gut wie unmöglich, über alle Tier-ärzte die gleichen Informationen zu erhalten. Vor allem zu den freiberuflichTätigen konnten je nach Fall nur sehr unterschiedlich dichte Informatio-nen zusammengestellt werden. So wurde als Ausweg die Liste aus demAmtskalender von 1938 mit Angaben aus folgenden Quellen verglichen.

– BBV-Bescheide: Dieser Bestand betrifft nur Tierärzte, die im Öffent-lichen Dienst tätig waren.

– ÖStA AdR 05, Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft1. Republik, Veterinärangelegenheiten: Aus den Ministerialaktenwurden zum einen Personalveränderungen vom März 1938 ersicht-lich; zum anderen enthielten sie Namenslisten von 1939, in denenjene Tierärzte hervorgehoben wurden, die zur Sicherstellung derzivilen Versorgung unabkömmlich gestellt werden sollten. DieseListen von 1939 machen zumindest ersichtlich, wer zu dieser Zeitnoch den Tierarztberuf ausübte.

– Wiener Tierärztliche Monatsschrift (1938 bis 1940): Diese wissen-schaftliche Zeitschrift, die zweimal im Monat erschien, enthielt aucheine Rubrik über Personalangelegenheiten, in der Beförderungen,Versetzungen, Pensionierungen und Todesfälle (nicht aber Berufs-verbote und Entlassungen) verzeichnet wurden.

– Der Oesterreichische Tierarzt (1938): Diese Zeitschrift konnte ähn-lich wie die vorhergehende verwendet werden.

– Auswanderungskartei der IKG Wien (berufsspezifische Aufstellung):In der berufsspezifischen Abteilung der Auswanderungskartei derIKG Wien fanden sich die Namen von sechs Tierärzten, zwei davonwaren nicht im Amtskalender 1938 eingetragen.

– Handbuch des Reichsgaues Wien 1941: Es enthält ein Verzeichnisder städtischen Tierärzte.

472 Wimmer, Tierärztekammer 1949, S. 643.473 Gespräch von Therese Garstenauer mit Dr. Richard Elhenicky vom 20. November 2000.

Tierärzte 275

Page 276: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

– Lehmanns Adressanzeiger 1938 bis 1940: Lehmanns Adressanzeigerenthält einerseits eine Tierärzteliste, andererseits konnten Namenund Adressen von Wiener Tierärzten nachgeschlagen werden, überderen Schicksal sonst nichts bekannt war.474

– Amtskalender für den Gau Oberdonau für das Jahr 1939– Ämterführer von Graz und Steiermark 1939/40– Adressbuch Graz 1942Folgende Zusammenstellung präsentiert das Ergebnis der Erhebungen,

wobei berücksichtigt werden muss, dass über ca. 90 der aus dem Amts-kalender 1938 ersichtlichen Tierärzte keine Informationen zum beruflichenWerdegang während der NS-Herrschaft gefunden werden konnten.

Tabelle 35: Tierärzte – Enthebungsgründe

23 § 4 BBV – Pensionierung /Entlassung aus politischen Gründen475

16 § 5 Abs. 1 BBV – Versetzung auf einen anderen Dienstposten13 Berufsverbot als Jude oder NS-Mischling (nicht BBV)11 diverse Gründe (auch unklare Fälle)4 § 6 BBV – „im Interesse des Dienstes“ pensioniert2 § 3 BBV – Pensionierung aus rassischen Gründen2 § 4 Abs. 1 u. 3 BBV – Kürzung der Pension aus politischen Gründen auf 75 %2 § 5 Abs. 4 BBV – Aberkennung eines Titels

Eine fristlose Entlassung oder Pensionierung als beamteter Tierarztimplizierte nicht unbedingt ein generelles Verbot der Berufsausübung:Eine Reihe von Tierärzten wurden als Beamte pensioniert, praktiziertenaber als Freiberufler weiter. Auch fanden sich zwei Tierärzte, die trotz rassi-scher Einwände – einer galt als Mischling, der andere als mit einer halb-jüdischen Ehefrau verheirateter offizieller Arier – den Beruf weiter ausübenkonnten. In anderen Fällen folgte auf die berufliche die totale Verfolgung:Die Namen zweier anderer jüdischer Tierärzte sind in der namentlichenErfassung der österreichischen Holocaustopfer des DÖW enthalten.

474 Aussagekräftig ist der Fall des Wiener Freiberufstierarztes Samuel Wachs, der 1938 als„Samuel Wachs, Tierarzt“ im Lehmann verzeichnet ist, 1940 hingegen als „S. IsraelWachs, Priv.“

475 Davon sieben Auflösungen des Dienstverhältnisses, sechs fristlose Entlassungen, dreiRuhestandsversetzungen mit halbiertem Ruhegenuss, sechs mit auf 75 Prozent redu-ziertem Ruhegenuss.

276 Freie Berufe I: Recht, Medizin, Technik

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Zusammenfassend kann gesagt werden, dass im Vergleich zu anderenBerufsgruppen weder rassisch noch politisch begründete berufsrelevanteMaßnahmen in großem Umfang gesetzt wurden: die Schädigungen be-trafen ca. 70 von fast 1.100 Männern. Bemerkenswert ist auch, dass inder Wiener Tierärztlichen Monatsschrift vom 1. April 1938 unter Hoch-schulnachrichten bekannt gegeben wird, es hätte im Zuge des Umbruchsüberhaupt keine Personalveränderungen gegeben. Auch die Herausgeber-schaft dieser Zeitschrift blieb abgesehen von einem Todesfall dieselbe.

Tierärzte 277

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4. ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

Im österreichischen Berufsleben von 1934 wurden ArbeiterInnen undAngestellte vor allem als Stellungen im Beruf definiert. Die Karrieren imÖffentlichen Dienst galten dabei nicht als Berufs-, sondern als Wirtschafts-arten und -abteilungen und wurden als mögliche Arbeitsplätze von An-gestellten und ArbeiterInnen erfasst. Eine grobe Sekundäranalyse dieserDarstellungen kann einen ersten Überblick über die im Folgenden zu be-handelnden Berufsgruppierungen liefern.

Von den ausgezählten 1,975.726 ArbeiterInnen und Angestellten (Ratio77 : 23)476 wurde für die 1,384.988, die von ihnen „in Stellung befindlich“waren, eine Reihe an Merkmalen untersucht. So fanden sich unter diesendie beiden Geschlechter im Verhältnis von 67 : 33 ausgezählt, die beidenBerufstellungen in einem Verhältnis von 73 : 27. Die Arbeiter stellten dabeieinen Anteil von 49 Prozent, die Arbeiterinnen einen von 24 Prozent, diemännlichen Angestellten 18 Prozent und die weiblichen neun Prozent.477

In der Aufteilung zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Arbeitge-bern (also zwischen öffentlich Bediensteten in einem weiten Sinn sowieden Beschäftigten der Privatwirtschaft) fielen die Verhältnisse von Arbei-terInnen und Angestellten 53 : 47 beziehungsweise 80 : 20 aus.

Graphik 19: ArbeiterInnen und Angestellte nach Arbeitgebern 1934 (Bestand)478

476 Vgl. Ergebnisse, Tabellenheft, 1935, S. 66.477 Vgl. Ergebnisse, Tabellenheft, 1935, S. 99, eigene Berechnung.478 Vgl. Tabelle 92, S. 659.

1400000

1200000

1000000

800000

600000

400000

200000

0Gesamt öffentl. rechtl.

Arbeitgeberprivater

Arbeitgeber

ArbeiterInnen

Angestellte

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280 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

Die Unterscheidung zwischen Öffentlichem Dienst und Privatwirt-schaft lässt sich natürlich mit jeder der verwendeten Variablen nachvoll-ziehen. Sie war ja höchstoffiziell und genau als solche in die Statistik desösterreichischen Berufslebens übernommen worden. Ein Vergleich der Ver-teilungen nach öffentlichen und privaten Arbeitgebern, nach Wirtschafts-abteilungen, Geschlecht und Berufstellung kann dies verdeutlichen.

Graphiken 20: Öffentliche und private Beschäftigte (Angestellte und Arbei-terInnen) nach Wirtschaftsabteilungen 1934 (Bestand und Frequenzen in %)479

479 Vgl. Tabelle 92 – 93, S. 659 – 661.

Land- undForstwirtschaft

Industrie undGewerbe

Handel undVerkehr

Geld-, Kredit- und Versicherungswesen

Freie Berufe

Öffentlicher Dienst

Häusliche Dienste

Land- undForstwirtschaft

Industrie undGewerbe

Handel undVerkehr

Geld-, Kredit- und Versicherungswesen

Freie Berufe

Öffentlicher Dienst

Häusliche Dienste

BerufsträgerInnen insgesamt

davonArbeiterInnenAngestellte der Privatwirtschaft

undArbeiterInnenAngestellte im öffentlichen Dienst

0 200000 400000 600000 800000 1000000

0,00 10,00 20,00 30,00 40,00

BerufsträgerInnen insgesamt

davonArbeiterInnenAngestellte der Privatwirtschaft

undArbeiterInnenAngestellte im öffentlichen Dienst

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Die Verteilung für die Beschäftigten der Privatwirtschaft folgte imGroßen und Ganzen der Gesamtverteilung. Nur für Industrie und Ge-werbe war ein deutlich überproportionaler Anteil zu verzeichnen (und inder öffentlichen Verwaltung fehlte diese Kategorie de jure). Umgekehrtfolgte die Verteilungsstruktur der öffentlich Bediensteten der Gesamt-struktur gerade nicht. Den eher schwachen Anteilen an Land- und Forst-wirtschaft sowie Industrie und Gewerbe standen hohe Anteile in Handelund Verkehr, in den Freien Berufen und natürlich in der Verwaltung ge-genüber, also in Wirtschaftsabteilungen, die insgesamt eher geringe Anteileder statistischen Berufsträger auf sich vereinten. Diese Struktur lässt sichdurch Hinzunahme weiterer Variablen noch klarer herausarbeiten.

Graphik 21: ArbeiterInnen und Angestellte nach Wirtschaftsabteilungen,öffentlichen und privaten Arbeitgebern, Geschlecht und Berufstellung 1934(ungewichtete Abstände zur Unabhängigkeit, Bestand, geordnet nach PEM)480

ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen 281

480 Vgl. Tabelle 93, S 660 – 661.

Angestellte zusammen

Echelle = 3674 PEM = 47 % Echelle = 13570 PEM = 57 % Echelle = 9896 PEM = 44 %

ArbeiterInnen

ÖfDi

frBe

HaVe

Geld

LaFo

InGe

öff.weibl. privat weibl.öffl.männl. priv.männl.

öff.weibl. priv.weibl.öffl.männl. priv.männl.

öffl.männl. priv.männl.öff. weibl. privat weibl.

ÖfDi

frBe

HaVe

Geld

InGe

HäDi

LaFo

ÖfDi

frBe

HaVe

Geld

InGe

LaFo

HäDi

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282 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

481 Diese extreme Position verdankte sich vor allem dem Gegensatz zu Selbständigen undmithelfenden Familienangehörigen.

482 Vgl. Ergebnisse, Tabellenheft, S. 108 – 111; die freien Berufe ergaben sich aus der Zu-sammenfassung der Wirtschaftsgruppen XXI. Gesundheitswesen, XXII. Erziehung,

Graphik 21 – LegendeDer Aufbau der Graphik richtet sich nach dem Muster der Graphiken 5 und 6.Links finden sich die Verteilungen für die Angestellten, rechts die für die Arbei-terInnen, in der Mitte die Gesamtverteilung.

Die hier verwendeten Abkürzungen bedeutenfür die Zeilen:LaFo Land- und ForstwirtschaftÖfDi Öffentlicher DienstInGe Industrie und GewerbeFrBe freie BerufeHaVe Handel und VerkehrHäDi häusliche DiensteGeld Geld-, Kredit und Versicherungswesen.

und für die Spaltenöff. männl. im Öffentlichen Dienst beschäftigte Männeröff. weibl. im Öffentlichen Dienst beschäftigte Frauenpriv. männl. bei einem privatwirtschaftlichen Arbeitgeber beschäftigte Männerpriv. weibl. bei einem privatwirtschaftlichen Arbeitgeber beschäftigte Frauen

Die mittlere Verteilung der Graphik 21, also ArbeiterInnen und Ange-stellte zusammengenommen, ergibt dieselbe Ordnung der Wirtschaftsab-teilungen, die schon für die wirtschaftliche Zugehörigkeit der österreichi-schen Bevölkerung 1934 zu konstatieren ist (vgl. Kapitel 1.2. Das Berufs-leben der österreichischen Bevölkerung 1934, S. 78) – mit einer Ausnahme:das Geld-, Kredit und Versicherungswesen fungiert hier nicht als extremsteAusprägung einer dominanten dienstleistungsorientierten Wirtschaft,481

sondern vielmehr als neutrale Zwischenposition, als Übergang zwischenden beiden feststellbaren Polen öffentlicher und privater Erwerbsarbeit.Über die Untersuchung allein der ArbeiterInnen und Angestellten scheintsich so diese sekundäre (zumindest nachrangige) Differenzierung in derStruktur des österreichischen Berufslebens aufzeigen zu lassen.

So fanden sich einerseits (und in dieser Reihenfolge) die öffentlicheVerwaltung, die freien Berufe (die in diesem Zusammenhang vor allemdurch die Bediensteten des öffentlichen Gesundheitswesens und – nochwichtiger – des Unterrichtswesens gebildet wurden)482 sowie Handel undVerkehr, für die überproportional viele öffentliche Bedienstete zu verzeich-

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nen waren. Für Industrie und Gewerbe, die häuslichen Dienste und dieLand- und Forstwirtschaft galt genau das Gegenteil, wobei das Geld-,Kredit- und Versicherungswesen, wie gesagt, die Passage bildete. Nach Ge-schlechtern differenziert galt die stärkste positive Liaison für die öffentlichbediensteten Frauen in den freien Berufen (also Erziehung und Gesund-heitswesen), danach für die öffentlich bediensteten Männer in der Ver-waltung und bei Handel und Verkehr. Deutlich wenn auch nur geringerwar das männliche Übergewicht bei den Privatbediensteten vor allem inIndustrie und Gewerbe, danach noch in der Forstwirtschaft, wobei sichdie statistischen Männer und Frauen genau dieser Ordnung entsprechendgewichteten. Für die beiden letztgenannten Wirtschaftsabteilungen galtendarüber hinaus die stärksten negativen Liaisonen mit den öffentlich Be-diensteten beiderlei Geschlechts.

Diese Gesamtverteilung erfuhr in Bezug auf die Subpopulationen vonAngestellten und ArbeiterInnen einige, aber nicht grundlegende Verän-derungen und Spezifikationen. Die Angestellten (linke Verteilung derGraphik 18, S. 244) charakterisierten sich zunächst einmal durch ein viel aus-gewogeneres Verhältnis zwischen öffentlichen und privaten Beschäftigten(44 : 56 gegenüber 25 : 75 für die Gesamtverteilung). Das numerische Ge-schlechterverhältnis war bei den öffentlich Angestellten ausgewogener(32 : 68 gegenüber 21 : 79), bei den Privatangestellten ein klein wenigextremer als in der Gesamtverteilung (35 : 65 gegenüber 37 : 63). Die Pro-file nach Wirtschaftsabteilungen483 entsprechen im Grossen und Ganzender Struktur der Gesamtverteilung – bis auf einen Unterschied. Das Geld-Kredit- und Versicherungswesen besetzte nicht mehr eine neutrale Passa-genposition, sondern näherte sich klar dem privatwirtschaftlichen Pol an,ebenso wie auch Handel und Verkehr: Für die Angestellten war Öffent-licher Dienst vor allem Sache der Verwaltung und der freien Berufe, inalle anderen Wirtschaftsabteilungen waren sie mehr oder minder über-proportional privat (und gerade nicht öffentlich) beschäftigt. Oder anders:Für die Wirtschaftsabteilung Handel und Verkehr konnten Angestelltevor allem für die Wirtschaftsgruppe XVII. Handel verzeichnet werden,wobei die Frauen hier besonders überdeutlich vertreten waren.

ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen 283

Bildung, Kunst und Unterhaltung sowie XXIII. Rechtsberatung, Interessenvertretung,technische Büros, vgl. Ergebnisse, Textheft, S. 89.

483 Das Profil für die häuslichen Dienste fehlt, da in dieser Wirtschaftsabteilung keineAngestellten beschäftigt waren.

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284 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

Die Verteilung für die ArbeiterInnen war durch eine extreme Relationzwischen öffentlichen und privaten Beschäftigten gekennzeichnet (18 : 82im Vergleich zu 25 : 75 der Gesamtverteilung). Das statistische Verhältnisvon Männern und Frauen stellte sich ebenso genau umgekehrt zur Struk-tur der Angestelltenverteilung dar: Im Öffentlichen Dienst fanden sichbei den ArbeiterInnen umgleich mehr Männer als Frauen in Relation zurGesamtverteilung (11 : 89 gegen 21 : 79), bei den privaten Arbeitgebernwar es genau andersherum, aber wie auch bei den Angestellten nur sehrgering (38 : 62 gegen 37 : 63). Die Ordnung der Wirtschaftsabteilungs-profile entspricht der Ordnung in der Gesamtverteilung viel direkter alsdie für die Angestellten. Die vertauschte Reihenfolge von Land- und Forst-wirtschaft und den häuslichen Diensten fällt kaum ins Gewicht.

Wesentlicher sind hingegen die Vertauschungen der Spalten. Ging esbei den Angestellten von den öffentlich bediensteten Frauen (über dieöffentlich bediensteten Männer und dann die privat angestellten Frauen)zu den männlichen Privatangestellten, so organisiert sich die Ordnung beiden ArbeiterInnen von den männlichen öffentlich Bediensteten (über dieweiblichen, dann die privat beschäftigten Arbeiter) bis zu den Arbei-terinnen in der Privatwirtschaft. Galt für die ArbeiterInnen die Dominanzdes Öffentlichen Dienstes, der vor allem Domäne der Männer und dasgenaue Gegenteil der häuslichen Dienste von Arbeiterinnen war, so fürdie Angestellten genau umgekehrt die Dominanz der Privatwirtschaft, dasheißt der männlichen Angestelltenposten vor allem in Industrie undGewerbe, die den Beamtinnen diametral entgegenstanden. Diese zweitelegitimere Hierarchisierungsprinzip schlug auch teilweise auf die Gesamt-verteilung durch.

4.1. Öffentlicher Dienst

Der Öffentliche Dienst stellte einen äußerst umfangreichen, stark differen-zierten, dafür aber staatlich (wenngleich auch kaum in Selbstverwaltung)hochnormalisierten Bereich dar. Max Weber charakterisierte das Amt deröffentlich Bediensteten in idealtypischer Weise als eine spezielle Art vonBeruf: „Das Amt ist ‚Beruf‘. Dies äußert sich zunächst in dem Erforderniseines fest vorgeschriebenen, meist die ganze Arbeitskraft längere Zeit hin-durch in Anspruch nehmenden Bildungsganges und in generell vor-

Page 285: Mejstrik, Garstenauer, Melichar, Prenninger, Putz, Wadauer

geschriebenen Fachprüfungen als Vorbedingung der Anstellung. Ferner indem Pflichtcharakter der Stellung des Beamten, durch welchen die innereStruktur seiner Beziehungen folgendermaßen bestimmt wird: dieInnehabung eines Amts wird rechtlich und faktisch nicht als Besitz einergegen Erfüllung bestimmter Leistungen ausbeutbaren Renten- oder Spor-telquelle [...] und auch nicht als ein gewöhnlicher entgeltlicher Austauschvon Leistungen wie im freien Arbeitsvertrag behandelt. Sondern der Ein-tritt in das Amt gilt [...] als Uebernahme einer spezifischen Amtstreue-pflicht gegen Gewährung einer gesicherten Existenz.“484

Beruf referierte hier einerseits auf Ausbildung und autorisierte Fest-stellungen der erlangten Fachkompetenz, andererseits auf Pflicht undLoyalität. Worum es dagegen nicht gehen sollte, war ein vertraglich ge-regelter Tausch von Leistung gegen Entgelt, ein bloßes Verdienen deseigenen Lebensunterhaltes oder schöpferisches Wirken. Das Einkommender BeamtInnen war und ist nicht nach dem Leistungs-, sondern nach demAlimentationsprinzip geregelt, das heißt die Bezüge sind so zu bemessen,dass sie einen je nach Dienstrang, Bedeutung und Verantwortung desAmtes angemessenen Lebensunterhalt gewähren und die Voraussetzungdafür bieten, dass sich die BeamtInnen möglichst ein Leben lang undohne Nebenbeschäftigungen dem Öffentlichen Dienst als solchem widmenkönnen: Denn um einen Dienst handelte es sich, der per definitionemjener Allgemeinheit gegenüber verantwortlich war, die als Staat zur wirk-samsten aller Universalien werden konnte485.

Das BeamtInnentum war und ist einerseits nach Tätigkeitsbereichenund andererseits nach Rangordnungen und Verteilung von Befehlsgewaltdifferenziert. Der Status des Beamten oder der Beamtin spiegelte sich imvielfältigen System der Amtstitel, Dienst- und Besoldungsklassen wider.486

Was BeamtInnen von Privatangestellten, FreiberuflerInnen und auch vonden Vertragsbediensteten im Öffentlichen Dienst unterscheidet, ist, dasssie vorbehaltlich der fachlichen Eignung durch einen Verwaltungsakt –die Ernennung – in ihr Amt gesetzt werden. Unter einem Amt wurde

Öffentlicher Dienst 285

484 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie.Fünfte, Revidierte Auslage, besorgt von Johannes Winckelmann. Tübingen (11921)51980, S. 552 – 553.

485 Vgl. Bourdieu, Esprits.486 Zu den Amtstiteln vgl. Jürgen Tschandl: Funktion. Legitimation und Entwicklung

der österreichischen Amtstitel, Dipl.Arb. Graz 1996.

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286 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

und wird dabei „ein bestimmter, umgrenzter Anteil an der Kompetenzdes Dienstherrn“487 verstanden. Zur „Amtstreuepflicht“ müssen sich dieBeamtInnen durch einen Eid verbindlich bekennen, dessen Formel imLauf der Zeit Veränderungen unterworfen war. Gertrude Enderle-Burcelmerkt im Vorwort zu ihrer Studie über Sektionschefs in der Ersten Repu-blik an, dass im Hinblick auf die Dienstpragmatik der staatsrechtlicheÜbergang von der Monarchie zur parlamentarischen Demokratie ledig-lich mittels Änderung des Diensteides vollzogen wurde. In der Eidesfor-mel von 1919 werden in detaillierter Weise die verschiedenen Facettender Pflichten eines Staatsdieners gegenüber Staat, Gesetz, Vorgesetztenund Staatsbürgern benannt. Um diese Richtlinien, die für die 1920er und1930er Jahre – zumindest auf dem Papier – gelten sollten, darzulegen, sollhier die Formel von 1919 in voller Länge angeführt werden:

„Sie werden bei Ihrer Ehre und bei Ihrem Gewissen schwören, derdemokratischen Republik Österreich treu und gehorsam zu sein undderen Gesetze unverbrüchlich zu beobachten. Sie werden ferner schwören,sich mit aller Kraft und mit allem Eifer dem Dienste zu widmen und injeder Diensteigenschaft die Pflicht Ihres Amtes gewissenhaft, unparteiischund uneigennützig zu erfüllen, jederzeit auf die Wahrung der öffentlichenInteressen bedacht zu sein, alles zu vermeiden und nach Kräften hintan-zuhalten, was diesen abträglich sein oder den geordneten Gang der Ver-waltung beeinträchtigen könnte sowie bei Ausübung Ihres Dienstes dieRechte und die Würde jedes Staatsbürgers zu achten. Insbesondere wer-den sie schwören, den dienstlichen Anordnungen Ihrer VorgesetztenGehorsam zu leisten, bei deren Durchführung die Ihnen anvertrautenInteressen des Dienstes nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen,das Amtsgeheimnis treu zu bewahren und bei Ihrem Verhalten in undaußer Dienst die Ihnen durch das Gesetz auferlegten Pflichten auf dasgenaueste zu beobachten. Auch werden Sie schwören, daß Sie einer aus-ländischen, politische Zwecke verfolgenden Gesellschaft weder gegen-wärtig angehören, noch einer solchen Gesellschaft in Zukunft angehörenwerden. Was mir soeben vorgehalten wurde und was ich in allem recht

487 Josef Isensee: Beamte, in: Staatslexikon, Recht Wirtschaft Gesellschaft. 7. völlig neubearbeitete Auflage. Freiburg, Basel und Wien 1985, S. 584, zit. in: Sigrun Mühl-Benninghaus: Das Beamtentum in der NS-Diktatur bis zum Ausbruch des ZweitenWeltkrieges. Zu Entstehung, Inhalt und Durchführung der einschlägigen Beamten-gesetze. Düsseldorf 1996, S. IX.

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und deutlich verstanden habe, dem soll und will ich getreu nachkommen.Dies bekräftige ich durch meinen Eid.“488

Diese Formel erfuhr im Mai 1933 eine Abänderung. Nunmehr begannsie mit den Worten: „Sie werden einen Eid zu Gott dem Allmächtigenschwören und bei Ihrer Ehre und Ihrem Gewissen geloben, dem Bundes-staat Österreich treu und gehorsam zu sein und die Gesetze der Republikunverbrüchlich zu beobachten.“ Weiters musste man nicht mehr nur dendienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzten, sondern auch „der vomBundespräsidenten bestellten Bundesregierung treu und gehorsam [...]sein“. Als vorletzter Satz wurde „So wahr mir Gott helfe“ eingefügt.489

Die – weitaus kürzeste – Formel, mit der die österreichischen Beam-ten ab dem März 1938 auf Adolf Hitler vereidigt wurden, beinhalteteaußer dem Treuegelöbnis an den Führer nur mehr das Versprechen dieGesetze zu beachten und seine Pflicht zu erfüllen. Es endete wie dieständestaatliche Formel mit den Worten „So wahr mir Gott helfe.“490

Im Öffentlichen Dienst kam es zu weitreichenden Personalverände-rungen aus rassischen, politischen, verwaltungstechnischen und anderenGründen.491 Die Bedeutung einer loyalen und kompetenten Verwaltungfür den völkischen Staat betonte der damalige Bürgermeister von Wien,Hermann Neubacher, in einer Rede vom 17. März 1938 vor den Vertre-tern der in- und ausländischen Presse:

„Der korrekte, fachkundige Beamte ist für uns Nationalsozialisten,die wir auf dem extremen Leistungsprinzip stehen, das Fundament desverwaltungsmäßigen Handelns der Gesellschaft. [...] Ohne diese korrekteMaschinerie könnten wir nicht einmal Umstürze machen, denn irgendwiemuss die Gesellschaft auch weiter amtsmäßig bedient werden.“492

Bei den BeamtInnen handelte es sich um eine sehr große Berufsgruppe,die ein vielfältiges Spektrum von Posten, Funktionen, Tätigkeiten – von derBriefträgerin bis zum Sektionsleiter – umfasste. Auch die (nichtbeamteten)

Öffentlicher Dienst 287

488 Verordnungsblatt Nr. 13, Zl. 23725 des deutsch-österreichischen Staatsamtes für In-neres und Unterricht vom 2. Juli 1919, zit. nach Gertrude Enderle-Burcel und MichaelaFollner: Diener vieler Herren. Biographisches Handbuch der Sektionschefs der ErstenRepublik und des Jahres 1945. Wien 1997, S. 10.

489 Enderle-Burcel und Follner, Diener, 1997, S. 14.490 Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereidigung der Beamten des Landes

Österreich. Vom 15. März 1938, RGBl. I, S. 245 – 246, hier: S. 245.491 Ein erster kurzer Überblick findet sich in Sedlak, Ausgrenzung, S. 7 – 22.492 Neues Wiener Abendblatt, 17. März 1938, S. 6, zit. in: Botz, Nationalsozialismus, S. 87.

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288 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

öffentlich Bediensteten waren äußerst zahlreich, so dass sich jeder Versucheiner Gesamterfassung aller nationalsozialistisch induzierten berufsver-ändernden Maßnahmen schon allein aus diesem Grund als illusorischerweisen muss. Jede der diversen Untergruppierungen war in sich wiederaufgefächert: ein Zusammenhang äußerst vieler und vielfältiger Hierarchien,so wie ein kurzer Blick zum Beispiel auf einige Differenzierungen der Mi-nisterialbeamtInnen zeigen kann.

Tabelle 36: Die Ministerialbeamten 1931 (Bestand)493

Verwaltungsbeamte Hilfsbeamte Zusammen

Bundeskanzleramt 44 44 88 BM f. Äußeres 86 79 165 BM f. Inneres 85 77 162 BM f. Soziale Verw. 169 143 312 BM f. Land- u Forstw. 140 81 221 BM f. Handel, Verkehr 310 201 511 BM f. Finanzen 221 173 394 BM f. Justiz 59 36 95 BM f. Unterricht 94 62 156 Gen. Dir. f. öff. Sicherh. 22 20 42

Gesamt 1.230 916 2.146

In der statistischen Konstruktion des österreichischen Berufslebensfand sich neben der Unterscheidung von ArbeiterInnen und Angestellten– andere Berufsstellungen wurden für den Öffentlichen Dienst nicht ver-zeichnet494 – eine Unterteilung nach Dienstgebern, die eigens für die öf-fentlich Bediensteten in die Auswertungen aufgenommen worden war.Der besonders hohe Grad an Registrierung und Verwaltung – Selbstver-waltung also – des Öffentlichen Dienstes ermöglichte eine detailliertereVariablenkonstruktion als für andere Teile des Berufslebens von 1934. Sieeiner groben Sekundäranalyse zu unterziehen wird helfen, wesentliche Struk-turbestimmungen des Öffentlichen Dienstes vor 1938 zu beschreiben.

Von den 350.074 Bediensteten öffentlich-rechtlicher Dienstgeber waren297.535 (85 Prozent) in staatlichen öffentlichen Diensten aller Ebenen –

493 Vgl. Melichar, Bürgerlichkeit im Raum der Habsburgermonarchie.494 Vgl. Ebenda.

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189.132 (64 Prozent) beim Bund, 32.649 (elf Prozent) bei einem Bundes-land und 70.021 (24 Prozent) bei einer Gemeinde – tätig. Die 349.135aktiven öffentlich Bediensteten – ArbeiterInnen, Angestellte und BeamtIn-nen –, die für die sieben Wirtschaftsabteilungen der berufsständischenOrdnung verzeichnet wurden, lassen sich zunächst einmal auf ihre Dienst-geber hin genauer beschreiben.

Die Referenzverteilung für die beiden Graphiken 22 und 23 stellt dieKreuzung der Variablen berufständische Wirtschaftsabteilungen (zurGrundverteilung vgl. Graphik 20, S. 280) mit der Variablen öffentlicherDienstgeber dar. Letztere wurde mit den Ausprägungen Bund, Land, Ge-meinde oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaft konstruiert, derengegenseitiges numerisches Verhältnis sich mit 54 : 9 : 20 : 16 darstellte. DieVerteilung war durch die grundlegenden Gegensätze der Profile Handelund Verkehr sowie freie Berufe einerseits und Bund sowie Land anderer-seits geprägt. Oder anders: Handel und Verkehr war gerade nicht eine Sachevon Gemeinde- und Länderverwaltungen, die freien Berufe hingegen, dasheißt hier vor allem die Berufe des Gesundheits- und Unterrichtswesens,gerade nicht Sache des Bundes (vgl. Graphik 22, S. 290). Die anderenProfile bildeten einen eher graduellen Übergang zwischen diesen beidenPolen des Öffentlichen Dienstes: von der Verwaltung im engen Sinn, diedem Handel und Verkehr nebengeordnet erscheint, über die häuslichenDienste und die Land- und Forstwirtschaft, die hier noch am ehesten einneutrales Verteilungszentrum bildeten, zu Industrie und Gewerbe sowiedem Geld-, Kredit und Versicherungswesen, die sich dem länderbetontenModell der freien Berufe annäherten. Die außergewöhnlichste Informa-tion dieser Verteilung stellte dabei eindeutig der starke Zusammenhangim föderalistischen Modell zwischen Gesundheits- und Unterrichtswesenund Länderverwaltung dar.

Es war also der Gegensatz zwischen einer zentralisierten und einerföderalistischen Verwaltung, der ein Kontinuum von Handel und Verkehrzu den freien Berufen sowie vom Bund als Dienstgeber zu einem Landstrukturierte. Zusätzlich stellte sich der Übergang zwischen diesen beidenPolen als durchaus eigenständige Position dar, die im positiven Zusam-menhang vor allem von Industrie und Gewerbe und Beschäftigung aufGemeindeebene charakterisiert wurde. Kurz: Einem dominanten ModellÖffentlichen Dienstes als zentralistischer Bürokratie und Dienstleistungs-verwaltung stand ein dominiertes Modell föderalistischer Kulturverwaltung

Öffentlicher Dienst 289

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290 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

Graphik 22: Öffentlich Bedienstete nach Wirtschaftsabteilungen, Dienstgebernund Geschlecht 1934 (ungewichtete Abstände zur Unabhängigkeit, Bestand,geordnet nach PEM)495

Graphiken 22 und 23 – LegendeDer Aufbau der Graphik richtet sich nach dem nun schon bekannten Muster (vgl.Legende zu den Graphiken 5 und 6). In der Graphik 19 findet sich links die Ver-teilungen für die Männer, rechts für die Frauen, in der Graphik 20 sind links diestatistischen Angestellten und rechts die statistischen ArbeiterInnen behandelt. Inder Mitte beider Graphiken findet sich dieselbe Gesamtverteilung, in der nichtnach Geschlecht oder Berufsstellung spezifiziert ist.

495 Vgl. Tabelle 93, S. 660 – 661.

Männer zusammen

Echelle = 2760 PEM = 51 % Echelle = 3491 PEM = 49 % Echelle = 732 PEM = 48 %

Frauen

HaVe

öfDi

LaFoHäDi

InGe

Geld

frBe

Bund Gemeinde LandSonst

Bund Gemeinde LandSonst

Bund Sonst LandGemeinde

HaVe

öfDi

HäDiLaFo

InGe

Geld

frBe

HaVe

InGe

Geld

öfDi

LaFoHäDi

frBe

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für die Zeilen:LaFo Land- und ForstwirtschaftÖfDi Öffentlicher DienstInGe Industrie und GewerbeFrBe freie BerufeHaVe Handel und VerkehrHäDi häusliche DiensteGeld Geld-, Kredit und

Versicherungswesen.

und für die Spalten:Bund beim Bund beschäftigtLand bei einem Bundesland

beschäftigtGemeinde bei einer Gemeinde

beschäftigtSonst bei einem ständischen

Dienstgeber oder bei einer sonstigen Körperschaft öffentlich-rechtlichen Charakters beschäftigt

Öffentlicher Dienst 291

496 Vgl. Tabelle 93, S. 660 – 661.

Angestellte zusammen

Echelle = 1643 PEM = 49 % Echelle = 3491 PEM = 49 % Echelle = 1848 PEM = 51 %

Arbeiter

HaVe

LaFo

öfDi

InGe

Geld

frBe

Bund Gemeinde LandSonst

Bund Gemeinde LandSonst

Bund Gemeinde LandSonst

HaVe

öfDi

HäDiLaFo

InGe

Geld

frBe

HaVe

öfDi

HäDi

InGe

LaFo

frBe

Geld

Graphik 23: Öffentlich Bedienstete nach Wirtschaftsabteilungen, Dienstgebernund Stellungen im Beruf 1934 (ungewichtete Abstände zur Unabhängigkeit,Bestand, geordnet nach PEM)496

Die hier verwendeten Abkürzungen bedeuten

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292 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

entgegen, wobei im Spannungsfeld genau dazwischen das Modell eineswirtschaftlich orientierten Öffentlichen Dienstes auf Gemeindeebene aus-gemacht werden konnte.

Nach Geschlechtern spezifiziert ergab sich ein besonderes Bild. DieMänner stellten (bei einer Geschlechterration von 79 : 21) das Gros deröffentlich Bediensteten. Die quantitative Verteilung dieser Subpopulationauf die vier Dienstgeber entsprach dem Verhältnis von 61 : 8 : 20 : 11 (gegen54 : 9 : 20 : 16 in der Gesamtverteilung): Männer fanden sich demnach eherbeim Bund und weniger in einer der sonstigen öffentlich-rechtlichen Kör-perschaften beschäftigt. Die Struktur der Kontingenzverteilung nach Män-nern entsprach mit geringen Ausnahmen sehr eng der Gesamtverteilungs-struktur. Nur die Reihenfolge zwischen der Land- und Forstwirtschaft warvertauscht (was, da beide ja eine neutrale Passage der Struktur markieren,kaum wichtig ist), und es fand sich eine positive Liaison zwischen Industrieund Gewerbe und dem Dienst in einer der sonstigen Körperschaften.

Deutlich anders hingegen funktionierte diese Ordnung für die zu-nächst einmal nicht sehr zahlreichen Frauen im Öffentlichen Dienst. De-ren Verteilung nach den vier Dienstgeberkategorien war im weiteren mit27 : 16 : 19 : 37 doch deutlich von der Gesamtverteilung unterschieden:Frauen waren viel mehr bei den sonstigen öffentlich-rechtlichen Körper-schaften, etwas mehr bei den Ländern und sehr deutlich weniger beimBund beschäftigt als vom Gesamtzusammenhang her zu erwarten gewesenwäre. Wenn sich der Gegensatz zwischen einer zentralistischen und einerföderalistischen Verwaltung (manifestiert in dem zwischen den Bundesbe-diensteten in Handel und Verkehr und den Landesbediensteten vor allemin den freien Berufen) auch für die weibliche Subpopulation als grund-legend erwies, so stellte sich die Passage zwischen diesen Polen doch aufpartikulare Weise dar. Erstens fand sich die Zwischenposition wenigerdurch die Gemeindeverwaltungen als durch die Beschäftigungen in sonstigenöffentlich-rechtlichen Körperschaften sowie gerade nicht durch Industrieund Gewerbe, sondern stattdessen durch die Bürokratie im engen Sinnmarkiert. Stattdessen galt für die weiblichen öffentlich Bediensteten eindeutlich krasserer Gegensatz von Bundesdienst zu allem anderen. Bundes-dienst bedeutete für Frauen vor allem eine Beschäftigung in Produktionund Zirkulation von Gütern, eine Beschäftigung in der öffentlichen Ver-waltung hingegen vor allem Tätigkeit bei religiösen Diensten.497

497 Vgl. Ergebnisse, Tabellenheft, S. 110 – 111.

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Öffentlicher Dienst 293

Dieselbe Struktur zeigt sich auch bei der Differenzierung der Berufs-stellungen. Angestellte und ArbeiterInnen standen im Öffentlichen Dienstquantitativ ja wie gesagt in einem relativ ausgewogenen Verhältnis von47 : 53. Die Verteilung der Angestelltenbeschäftigungen auf die öffentli-chen Dienstgeber entsprach einer Ratio von 47 : 15 : 17 : 24, die sich von derGesamtratio 54 : 9 : 20 : 16 nicht allzu viel unterschied. Immerhin konntebeim Bund und bei den sonstigen Körperschaften eine leichte Unterpro-portionalität (von sieben respektive drei Prozent) verzeichnet werden, beiden Gemeinden und Ländern hingegen eine geringfügige Überproportio-nalität (von sechs beziehungsweise acht Prozent). Die Profilstruktur ent-spricht genug der Referenzstruktur, um nicht eigens besprochen werdenzu müssen. Immerhin sei darauf hingewiesen, dass sich die Angestellten-verteilung für die öffentlichen Verwaltungen dem bei den Frauen vorge-fundenen Muster nähert, bei Industrie und Gewerbe hingegen eher demfür die Männer gültigen. Die Angestellten wiesen insgesamt gesehen fürbeide Hauptpole der Struktur viel größere Abstände zur Unabhängigkeitauf als die ArbeiterInnen (eine Differenz, die sich für die Geschlechternicht konstatieren lässt): Sie trugen den Gegensatz von zentralistischer zuföderalistischer Verwaltungsart ganz wesentlich.

Die Verteilung zuletzt der statistischen ArbeiterInnen über die Dienst-geber von 63 : 4 : 22 : 10 differiert doch deutlich stärker von der Referenz-verteilung 54 : 9 : 22 : 16 ArbeiterInnen waren (wie schon gezeigt auch dieMänner) beim Bund überproportional beschäftigt und bei den sonstigenöffentlich-rechtlichen Körperschaften unterproportional. Im Vergleich zuden Angestellten trugen sie deutlich weniger ausgeprägte Unterschiede zurKonstitution der Gesamtstruktur bei. Wiederum entspricht die arbeiterIn-nenspezifische Verteilung doch klar dem Muster der Gesamtverteilung.Nur fanden sich ArbeiterInnen bei den religiösen Diensten klar wenigerund bei sonstigen Körperschaften in Industrie und Gewerbe klar mehrbeschäftigt als zu erwarten gewesen wäre. Die Länder trugen als Dienst-geber überhaupt die hervorstechendsten Informationen zu dieser Verteilungbei: einerseits durch ihre positiven Zusammenhänge mit Beschäftigungeneben in Industrie und Gewerbe sowie den freien Berufen und andererseitsdurch ihre negativen Zusammenhänge mit Beschäftigungen in Handelund Verkehr sowie in der öffentlichen Verwaltung.

Im Rahmen dieser Grundstruktur waren eine ganze Reihe von weiterenDifferenzierungen möglich und gängig, die jedoch allesamt von immer

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294 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

nur begrenzter Reichweite und geringerer Wirksamkeit im Gesamtzusam-menhang des Öffentlichen Dienstes erschienen. So sei zumindest nochauf jene wichtige Unterteilung nach Wirtschaftsarten verwiesen, welchedie Berufe der öffentlichen Verwaltung, also der Bürokratie im engerenSinn, charakterisierte.

Graphik 24: Bedienstete der Wirtschaftsabteilung „XXIV. öffentliche Verwal-tung, Heerwesen, religiöse Dienste“ nach Wirtschaftsarten 1934 (Bestand)498

498 Vgl. Tabelle 94, S 662.499 Vgl. Pierre Bourdieu: Droit et passe-droit. Le champ des pouvoirs territoriaux et la

mise en œuvre des règlements, in: Actes de la recherche en sciences sociales 81 – 82(1990), S. 86 – 96.

35000

30000

25000

20000

15000

10000

5000

0Bund Land Gemeinden Justiz Heer Religiöse ausl.

Dienste Hoheitsverw.

Im Folgenden sollen die relevanten gesetzlichen Bestimmungen dernationalsozialistischen Berufsschädigungen sowie die praktischen Maß-nahmen ihrer Umsetzung dargestellt werden. Dabei werden wieder ein-mal jene spezifische Manipulierbarkeit und Flexibilität deutlich werden,die Gesetze immer dann auszeichnet, ja sogar auszeichnen muss, wenn sieverwirklicht werden sollen.499 Zahlenmaterial, das die Personalneuordnun-gen im Öffentlichen Dienst beschreiben hilft, wird danach beispielhaftpräsentiert.

Die Erhebungstätigkeit zu den BeamtInnen ging in zwei Richtungen.Einerseits wurde versucht, die Veränderungen bei einzelnen Dienstgebern(Ministerien, Länder, Gemeinden) im Überblick zu erfassen. Listen mit

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Informationen, die zur Beantwortung solcher Fragen dienen können, fandensich in manchen Fällen (zum Beispiel in den diversen Landesregierungs-Präsidialakten unter Titeln wie Personalangelegenheiten, Beamtenange-legenheiten oder Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufs-beamtentums) freilich kaum in gewünschter Vollständigkeit.

Andererseits wurden konkrete personenbezogene Erhebungen zur Kon-struktion einer berufspezifischen strukturalen Grundgesamtheit durch-geführt. Dazu konnten – vorbehaltlich ihrer Verfügbarkeit – vor allemPersonalakten verwendet werden, die Informationen über Ausbildung,Karriere, familiäre Verhältnisse, Einkommen und politische Einstellungder BeamtInnen und öffentlich Bediensteten enthalten. Diese Akten stam-men aus dem Bundeskanzleramt, dem Bundesministerium für Justiz undden Wiener Magistraten, von der Oberösterreichischen, der Niederöster-reichischen und der Steiermärkischen Landesregierung sowie vom LG Linz.

Von all den Akten, die bei der und für die Durchführung der Verord-nung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums (BBV)entstanden, sind als zentrale Archivalien heute lediglich die Durchschlägeder Bescheide verfügbar, die den BeamtInnen zugestellt wurden, um sievon der sie betreffenden Maßnahme zu informieren.500 Die Akten des mitder Durchführung der BBV betrauten Staatskommissars Wächter wurdenangeblich zusammen mit den Berichten der Untersuchungsausschüssebereits 1940 nach Berlin gebracht.501 Wo sie sich heute befinden, bezie-hungsweise ob sie überhaupt noch existent sind, ist unbekannt. Nur ver-einzelte Akten der Untersuchungsausschüsse wurden gefunden, etwa inPersonalakten von LandesbeamtInnen.

Im NÖLA finden sich allerdings Materialien der Untersuchungsaus-schüsse für ArbeiterInnen und Angestellte im Landesdienst: Da für dieMaßnahmen gegen nichtbeamtete öffentliche Bedienstete nicht Staats-kommissar Wächter, sondern der jeweilige Dienststellenleiter zuständigwar, kann auf die entsprechenden Akten zugegriffen werden. So lassensich die Konflikte darüber, ob und inwiefern jemand in welcher Weisepolitisch, rassisch oder auf andere Art untragbar für den völkischen Staats-dienst sein sollte, zumindest im Ansatz nachvollziehen.

Die gesammelten BBV-Bescheide fungierten als wichtigste Grundlagefür die Konstruktion der berufspezifischen strukturalen Grundgesamtheit.

Öffentlicher Dienst 295

500 Vgl. ÖStA AdR 04, BBV.501 Vgl. Rot-Weiß-Rot-Buch, S. 77.

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296 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

Eine reine Zufallstichprobenziehung hätte in diesem Zusammenhang nurbeschränkten Sinn gemacht. Es bestünde dabei ja die Gefahr, wesentlicheinterne Hierarchisierungen und Differenzierungen des untersuchten Ge-genstandes zu übersehen. Um dem vorzubeugen, empfahl es sich, unter-schiedliche Auswahltechniken zu kombinieren. Die zu untersuchendenBeamtInnen unterschieden sich nach Merkmalen wie Alter, Geschlecht,Wohn- und Arbeitsort, Dienstzweig, Dienstklasse, Maßregelung usw., diein möglichst vielen Ausprägungskombinationen erhoben werden sollen.

Sind die BBV-Bescheide die wichtigste Konstruktionsgrundlage, sonicht die einzige. Sie stellen ja eine juristisch-administrativ vorkonstruierteGrundgesamtheit dar – zumindest was die auf Grund der erwähnten Ver-ordnung gemaßregelten BeamtInnen betrifft, und mit allen Vor- undNachteilen für die Forschung, die solch einem Vorkonstrukt zu eigen sind– und umfassen alle möglichen Verwaltungsbereiche und Dienstklassen.Außer den BeamtInnen – vom Eisenbahner bis zur höheren Ministerial-beamtin – fielen unter die Bestimmungen der BBV auch Beamten-Aspi-rantInnen, ArbeiterInnen und Angestellte im Öffentlichen Dienst sowieZiviltechniker, Notare und Notariatskandidaten, GemeindeärztInnen undBedienstete der RAVAG.

Allerdings fehlen andererseits auch zwei Arten von öffentlich Bedien-steten, die in einer Darstellung der nationalsozialistischen Berufsschädi-gungen nicht negiert werden dürfen. Zum einen handelt es sich um jenePersonen, die ihren Beruf aus politischen oder rassischen Gründen nichtmehr ausüben konnten, ohne von den Maßnahmen der BBV betroffen zusein, weil sie schon früher emigriert, verhaftet oder getötet worden waren.Es finden sich ja auch immer wieder mehr oder weniger freiwilligeAnsuchen um Pensionierung aus der Zeit von März bis Juni 1938. Zumanderen geht es um Personen, die nicht gemaßregelt wurden, aber zuKontrastierungszwecken ein unerlässlicher Bestandteil der Grundge-samtheit sind. So wird erst erkennbar, wie ungestörte oder/und offiziellerfolgreiche BeamtInnenkarrieren verlaufen konnten.

Informationen, mit denen diesem Bias begegnet werden kann, lassensich in den oben erwähnten Überblicksakten finden. So gibt es häufigListen, die zeigen, wer entlassen, beurlaubt oder verhaftet wurde und werdie nun freien Posten in der Folge übernahm. Angaben zu den unver-ändert im Dienst verbleibenden BeamtInnen konnten in den archiviertenPersonalakten gefunden werden. Eine weitere zentrale Quelle stellt der

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Österreichische Amtskalender für 1938 dar, der im Groben den Statusquo der höheren VerwaltungsbeamtInnen auf Bundes- und Landesebenedefiniert.

Zu den Arisierungen der hohen Beamtenschaft auf Bundes- und Lan-desebene existiert eine unpublizierte Studie von Gerald Stourzh undMichael Dippelreiter aus dem Jahr 1986,502 die einigen Recherchen alswesentlicher Anhalts- und Ausgangspunkt diente. Wie die Autoren selbstanmerken, sind allerdings – allein schon auf Grund der oft eingeschränk-ten Zugänglichkeit der Archivalien – manche der Angaben über die Maß-nahmen gegen BeamtInnen lückenhaft oder ungenau. Der Studie überSektionschefs der Ersten Republik und des Jahres 1945 von GertrudeEnderle-Burcel und Michaela Follner503 konnten wichtige Informationenzu einzelnen Erhebungsfällen entnommen werden. Personalveränderungenin den Verwaltungsbehörden der Bundesländer finden sich in diversenlandeshistorischen Publikationen dargestellt.504

Die personellen Veränderungen im Öffentlichen Dienst gingen inmehreren Phasen vor sich. Unmittelbar im Zuge der nationalsozialistischenMachtübernahme kam es zu zahlreichen Beurlaubungen und Enthebun-gen von öffentlich Bediensteten, die im Sinne der neuen Machthaber ausvölkischen Gründen nicht tragbar waren.

Öffentlicher Dienst 297

502 Vgl. Michael Dippelreiter und Gerald Stourzh: Säuberungen in der Bundesregierung,den Landesregierungen und der hohen Beamtenschaft durch die NS 1938/39. For-schungsprojekt des Karl v. Vogelsang-Instituts. Unveröffentlichtes Manuskript Wien1986.

503 Vgl. Enderle-Burcel und Follner, Diener, 1997.504 Zum Beispiel für Kärnten vgl. Rudolf A. Freisitzer: Der Beginn des NS-Terrors. Ver-

haftungen, Dienstentlassungen und Agitation gegen alte und neue Gegner, in: Hel-mut Rumpler, Hg.: März 1938 in Kärnten. Fallstudien und Dokumente zum Weg inden Anschluss. Klagenfurt 1989, S. 212 – 246, für Niederösterreich Ernst Bezemek: ZurNS-Machtübernahme in Niederösterreich. Politische, administrative und personelleAspekte bei der Eingliederung Niederösterreichs in den Verwaltungsaufbau desDritten Reiches 1938, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 50/51.(1984/85), S. 181 – 205, für die Steiermark Dieter A. Binder: Einige Beobachtungenzur Geschichte von Justiz, Exekutive und Landesverwaltung während des Jahres 1938,in: Graz 1938 (Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 18/19). Graz 1988, S. 109 – 123,Gerald Gänser: Kontinuität und Bruch in der steirischen Landesverwaltung, in: Graz1938, S. 125 – 136 und Stefan Karner: Die Steiermark im Dritten Reich. Aspekte ihrerpolitischen, wirtschaftlich-sozialen und kulturellen Entwicklung. Graz 1986.

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298 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

Entsprechend dem Erlass des Führers und Reichskanzlers über dieVereidigung der Beamten des Landes Österreich vom 15. März 1938505

mussten BeamtInnen einen neuen Diensteid leisten: „Ich schwöre: Ichwerde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treuund gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten ge-wissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“506 Wer sich weigerte, den Eidzu leisten, wurde des Dienstes enthoben. BeamtInnen, die nach denNürnberger Rassegesetzen (Erste DFVO) als jüdisch galten, waren vonder Vereidigung von vornherein ausgeschlossen:

„§4 Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großelternabstammt. Als Volljude gilt ein Großelternteil ohne weiteres, wenn er derjüdischen Religionsgesellschaft angehört hat. Als Jude gilt der von zwei voll-jüdischen Großeltern abstammende jüdische Mischling, a) der am 16. September 1935 der jüdischen Religionsgesellschaft angehört

hat oder danach in sie aufgenommen wird,b) der am 16. September 1935 mit einem Juden verheiratet war oder sich

danach mit einem Juden verheiratet.“507

Zu diesem Zeitpunkt mussten BeamtInnen noch selbst entscheiden,ob sie als jüdisch gelten sollten.508 Allerdings wurden für den Fall, dassjemand, der aus rassischen Gründen nicht zugelassen war, den Diensteidtrotzdem ablegte, schwere Sanktionen angedroht. Die bürokratisch kontrol-lierte Festlegung, wer (beziehungsweise wessen Gatte oder Gattin) Jude,Jüdin oder Mischling zu sein hatte, geschah für die BeamtInnen allerdingsbereits sehr bald nach der nationalsozialistischen Machtübernahme (es fin-den sich entsprechende Listen, deren Erstellungsmodus allerdings unklarist), auch wenn die konkrete „Überprüfung der Abstammung“ in einigenFällen erst im Laufe der folgenden Jahre durchgeführt wurde.509

505 Vgl. RGBl I S. 245.506 Zit. in: Schneider und andere, Neuordnung, S. 18.507 Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereidigung der Beamten des Landes

Österreich. Vom 15. März 1938, RGBl I S. 245f.508 Darauf verweist Botz, Nationalsozialismus, S. 82; detailliert vgl. auch Labbé, „Race“,

1998.509 In Beständen des StmkLA fanden sich Ansuchen um Fristverlängerung für die Erbrin-

gung der Ariernachweise, die sich für einzelne Vertragsangestellte bis Herbst 1943erstreckten, vgl. StmkLA, LReg 66 A 16 1938, Abstammung: Überprüfung.

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Die Erste Verordnung zum Verfassungsgesetz über personalpolitischeMaßnahmen vom 21. März 1938 verfügte, dass personelle Veränderun-gen im Öffentlichen Dienst nunmehr ausschließlich in die Zuständigkeitdes Staatskommissars beim Reichsstatthalter fallen sollten und dass sämt-liche seit dem 11. März 1938 vorgenommenen Umbesetzungen leitenderPosten in öffentlichen Dienststellen dem Staatskommissar bekannt zugeben seien. Gerhard Botz verweist in seiner Studie über die nationalso-zialistische Machtübernahme in Wien auf eine „hektische Postenjagd“ inden Tagen nach dem Umbruch, gegen die Reichsstatthalter Bürckel ein-zuschreiten versuchte. In einem Erlass vom 22. März 1938 verfügte dieser:

„Die Zahl der Anwärter, die sich für geeignet halten, bestimmte Postenin den Ämtern von Staat und Partei einzunehmen, ist in den letzten Tagenin einer Weise gewachsen, daß ich mich veranlaßt sehe, folgendes bekannt-zugeben:

1. Wer die Umbesetzung einer Stelle verlangt, kann niemals Anwärterauf dieselbe Stelle sein.

2. Um überhaupt Postenjäger dieser Art unschädlich zu machen, habeich heute zwei solche Antragsteller sofort in Haft nehmen lassenund werde in der Folge in der gleichen Weise verfahren.“510

Bis zum 1. Juli 1938 wurden 183 jüdische LehrerInnen in Wien ent-lassen,511 allein zwischen 15. und 18. März fanden in den Pflichtschulen49 Dienstenthebungen von SchuldirektorInnen statt, im Juli sollten dannweitere 135 Schulleiterstellen für Pflichtschulen ausgeschrieben werden.512

In der Justizverwaltung wurden im März 1938 von insgesamt 1.550 Rich-tern und Staatsanwälten 205 außer Dienst gestellt, von denen in Folge diemeisten zwangspensioniert oder entlassen wurden. Von diesen gehörtenam 11. März 1938 an:

dem Obersten Gerichtshof und der Generalprokuratur 7,dem Oberlandesgerichtssprengel Wien 130,dem Oberlandesgerichtssprengel Graz 37,dem Oberlandesgerichtssprengel Innsbruck 31.

Öffentlicher Dienst 299

510 Erlass Josef Bürckel vom 22. März 1938, zit. in: Botz, Nationalsozialismus, S. 85.511 Vgl. Botz, Ausgliederung, S. 291.512 Vgl. Ursula Patzer: Die Wiener Schulen im März und April 1938, in: Wien 1938,

S. 286 – 292, hier: S. 289.

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300 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

Dazu wurden nach der Okkupation 197 nichtrichterliche Bediensteteund 80 Justizwachebeamte wegen mangelnder Verlässlichkeit aus dem Dienstentfernt.513

Der nächste Schritt bestand in der Umsetzung der BBV. Diese Verord-nung lag dem größten Teil der personellen Umgestaltungen im Öffentli-chen Dienst zu Grunde. Mit ihrer Durchführung wurde der am 11. Juni1938 eingesetzte Staatskommissar für Personalangelegenheiten SS-Stan-dartenführer Dr. Otto Wächter betraut.

In einem Kommentar zur BBV werden die Intentionen der Verord-nung folgendermaßen erläutert:

„Diese gewaltigen Aufgaben des Aufbaus und der NeugestaltungOesterreichs können aber, soweit die öffentliche Verwaltung an ihrer Er-füllung beteiligt ist, nur mit Hilfe einer rassisch und politisch völlig ein-wandfreien österreichischen Beamtenschaft gelöst werden. Deshalb mußzunächst, wie es auch im Jahr 1933 im alten Reich geschehen ist, dasösterreichische Berufsbeamtentum wiederhergestellt werden. Denn ihmist es ebenso wie dem Berufsbeamtentum im Reich ergangen: fremdras-sige Elemente, wesensfremde Personen, Menschen, die ohne die notwen-dige Vorbildung und Ausbildung zum Beamtenberuf nur auf Grund ihrerZugehörigkeit zu politischen Parteien zu den höchsten Aemtern gelangtwaren, hatten seit dem Umsturz des Jahre 1918 das österreichische Berufs-beamtentum immer mehr zersetzt und es an den Abgrund geführt. Jetztgilt es, die österreichische Beamtenschaft, die mit Recht eine schnelle Be-seitigung der unerträglichen Mißstände erwartet, von diesen Schädlingenzu befreien und ihr ihre Ehre und ihren guten Ruf wiederzugeben.“514

Die Verordnung folgte in ihrer Zielsetzung – der Schaffung „einer ras-sisch und politisch völlig einwandfreien österreichischen Beamtenschaft“– dem bereits am 7. April 1933 in Deutschland erlassenen Gesetz über dieWiederherstellung des Berufsbeamtentums. Die österreichische Beam-tenschaft sollte also zum einen judenrein gemacht werden, zum anderensollten alle Beamten entfernt werden, die „nicht die Gewähr dafür bieten,daß sie jederzeit für den nationalsozialistischen Staat eintreten“,515 und/oder den neuen Effizienzvorgaben nicht entsprachen. Weitere Paragraphender Verordnung regelten die Versetzung von BeamtInnen auf andere

513 Vgl. Broda, 1938 – 1974, S. 182.514 Schneider und andere, Neuordnung, S. 5f.515 S. 6.

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Dienstposten, die Aberkennung von Beförderungen und die Pensionie-rung von BeamtInnen aus Gründen der Vereinfachung der Verwaltung.

§ 3 der BBV betraf die Entfernung von Juden, jüdischen Mischlingenund mit Juden oder Mischlingen verheirateten – jüdisch versippten –BeamtInnen aus dem Öffentlichen Dienst.

„Unverhältnismäßig hoch ist die Zahl der jüdischen und jüdisch ver-heirateten Beamten. Sie können nimmer Träger eines öffentlichen Amtesoder Inhaber eines Dienstposten bleiben. Deshalb schreibt die Verordnungihre zwangsweise Entfernung aus dem öffentlichen Dienst vor. Aber dieMilde der von jedem Rachegefühl fernen nationalsozialistischen Staats-führung gegenüber dem größten Schädling der Deutschen Nation, demJudentum, ist groß. Die jüdischen Beamten werden nicht ohne weiteresentlassen, sondern sie werden in den Ruhestand versetzt und erhalten Zeitihres Lebens Ruhegenuß.“516

Ganz im Kontrast zu dieser hochoffiziellen Darstellung ist eine Bemer-kung, die in einer Besprechung zwischen dem damaligen Kommissär fürPersonalangelegenheiten Erich Gruber und Vertretern der Ministerien am7. April 1938 fiel. Gruber erwähnt das Deutsche Gesetz zur Wiederher-stellung des Beamtentums von 1933 und meint in Bezug auf die jüdischenBeamtInnen: „Die 2. Gruppe, die haben wir, sie spielt aber keine beson-dere Rolle.“517

Anspruch auf Ruhegenuss hatten allerdings nur BeamtInnen, die min-destens zehn Jahre im Dienst gestanden waren. Ausnahmsweise Belassun-gen im Dienst gab es zunächst für versippte BeamtInnen, die schon am1. August 1914 im Staatsdienst gewesen waren, und für Frontkämpferdes Ersten Weltkrieges. Diese Ausnahmeregelungen wurden aber bereitsmit 15. Juni 1938 abgeschafft. In Einzelfällen konnte um ausnahmsweiseBelassung im Dienst angesucht werden, wobei eine positive Bearbeitungnur dann in Frage kam, wenn :

„a) Der Betroffene sich bereits durch seinen Einsatz für die national-sozialistische Bewegung so erhebliche Verdienste erworben hat, daß eineAusnahmsbehandlung gerechtfertigt ist. Ein lediglich loyales Verhaltenreicht hiefür nicht aus.

b) Wenn es sich um Fachleute besonderer Art handelt, die ohne weiteresnicht ersetzt werden können. In solchen Fällen hat die zuständige Verwal-

Öffentlicher Dienst 301

516 Ebenda, S. 12.517 ÖStA AdR, BMHV, Präsidium 1938, Zl. 12849.

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302 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

tungsbehörde diese dienstliche Unentbehrlichkeit eingehend zu begründen.Politische Unbedenklichkeit ist auch in diesen Fällen Voraussetzung.“518

Der zeitliche Rahmen für die Entfernung jüdischer BeamtInnen ausdem Öffentlichen Dienst wurde mit Ende 1939 gesetzt. Ausdrücklich wirddabei darauf hingewiesen, dass die Versetzung in den Ruhestand nach § 3BBV eine zwingende Maßnahme darstellt, während die anderen Paragra-phen (4, 5 und 6) Kann-Vorschriften darstellen würden.519

§ 4 der BBV verfügte die Pensionierung oder Entlassung von BeamtIn-nen, „die nach ihrem bisherigen politischen Verhalten nicht die Gewährdafür bieten, jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staatein[zu]treten“. Maßgeblich für dieses bisherige politische Verhalten wareneinerseits der Verhalten gegenüber illegalen NationalsozialistInnen vordem Anschluss, andererseits die Zugehörigkeit zu nunmehr verfolgtenGruppierungen wie zum Beispiel Freimaurerlogen, Schlaraffen, marxisti-schen, pazifistischen, anthroposophischen oder legitimistischen Gruppensowie Vereinen des politischen Katholizismus. Dem Fragebogen für dieDurchführung der BBV, den die BeamtInnen ausfüllen mussten, lag eineausführliche Liste von Organisationen bei, deren Mitglieder mit einerBehandlung nach § 4 BBV rechnen mussten. Dies bedeutete die stärkstenSanktionierungen durch die Verordnung, wie etwa fristlose Entlassungoder Streichung einer bestehenden Pension. Für den Fall, dass Voraus-setzungen für die Anwendung sowohl von § 3 als auch 4 vorlagen, war diehärteste Maßnahme zu wählen.

In den Kommentaren zur BBV wurde auch darauf hingewiesen, dassunterschiedliche Maßstäbe anzulegen seien, je nach dem, ob es sich umBeamtInnen in mehr oder weniger einflussreicher Position handle oder nicht:Leitende und höhere BeamtInnen sollten hinsichtlich ihrer politischen Trag-barkeit für den nationalsozialistischen Staat strenger überprüft werden alsdie „Masse der Beamten, die oft nur dem ihnen gegebenen Beispiel gefolgtoder dem auf sie ausgeübten Druck erlegen und deshalb als Verführte an-zusehen sind.“520 Der zeitliche Rahmen für die Entfernung politisch untrag-barer BeamtInnen wurde mit 31. Dezember 1938 festgelegt, tatsächlichfinden sich Bescheide über eine Maßregelung nach § 4 bis Ende März 1939.

518 Rundschreiben des Reichsstatthalters vom 30. Dezember 1938 StK/I Nr. 19, Kt.ÖStA AdR 03, Soziales, 338, Zl. 500.094/1939.

519 Schneider und andere, Neuordnung, S. 35.520 Ebenda, S. 47.

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Nach § 5 Abs. 1 der BBV konnten BeamtInnen auf einen anderenDienstposten versetzt werden. Dies betraf Personen, die zwar nicht poli-tisch untragbar waren, was ja ein Vorgehen nach § 4 erforderte, jedoch alspolitisch unverlässlich galten. Die Betroffenen wurden per Bescheidbenachrichtigt, dass ihre Versetzung auf einen anderen Dienstposten der-selben oder einer niedrigeren Dienstklasse (bei Beibehaltung des Gehaltesund des Amtstitels) beabsichtigt wurde. Gegen diesen Bescheid konntensie Einspruch erheben.

§ 5 Abs. 4 verfügte eine Rückgängigmachung von Beförderungen oderdie Aberkennung von Titeln, wenn Grund zu der Annahme bestand, dassbei diesen „die politische Einstellung des Beamten wesentlich mitgewirkthat.“ Eine solche Pensionierung stellte ebenso wenig eine Maßregelungaus politischen Gründen dar, wie die Maßnahmen nach § 6, der besagte,dass der/die Betroffene „im Interesse des Dienstes“ oder „zur Vereinfachungder Verwaltung“ in den Ruhestand versetzt wird. Allerdings wird in derErläuterung zur Verordnung bemerkt:

„Besonders bei der infolge der Vereinigung Oesterreichs mit dem Reicheerfolgenden Auflösung von Behörden oder Verschmelzung einer Behördemit einer anderen werden viele Beamte überflüssig werden; aber von einersolchen Maßnahme werden politisch zuverlässige Beamte nicht betroffenwerden, sondern sie werden anderweitig im öffentlichen Dienst Verwen-dung finden.“521

Das implizierte zwar gewissermaßen, dass nach § 6 BBV behandelteBeamtInnen als politisch nicht völlig einwandfrei zu betrachten sind.Nichtsdestoweniger besagt der § 10 Abs. 2: „Bei Verfügungen nach § 6kann dem Betroffenen auf Antrag eine Bescheinigung darüber ausgestelltwerden, dass die getroffene Maßnahme für ihn eine Belastung in politi-scher Hinsicht nicht bedeute.“522 Denn hier handelte es sich um Korrekturenvon Berufslaufbahnen, die nach völkisch anerkennbaren Leistungskriteriennicht zu rechtfertigen waren, weil sie aus irgendwelchen leistungsfremdenGründen (zuerst einmal politische Protektion) zu schnell verlaufen waren.Hier ging es nicht um politische Unzuverlässigkeit oder Feindseligkeit,die in nationalsozialistischer Logik radikal ausgemerzt gehörte, sondernum leicht behebbare Ordnungs- und Aufstiegsfehler, die den falschen

Öffentlicher Dienst 303

521 Ebenda, S. 14.522 Ebenda, S. 68.

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304 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

politischen Ordnungen zu verdanken waren. Der § 10 der BBV sahdarüber hinaus für Fälle, in denen die Entlassung oder Auflösung desDienstverhältnisses „unbillige Härten“ zur Folge hatte, finanzielle Beihil-fen vor.

Tabelle 37: Öffentlicher Dienst – mögliche Maßnahmen nach der BBV

BeamtInnen– Versetzung in den Ruhestand nach § 3, 4 oder 6 mit Ruhegenuss– Entlassung ohne Ruhegenuss nach § 4 Abs. 1– Kürzung des Ruhegenusses um 25 oder 50 Prozent nach § 4 Abs. 1 und 3– Streichung des Ruhegenusses nach § 4 Abs. 1 und 3– Ausscheiden aus dem Dienst mit Abfertigung (betrifft BeamtenanwärterIn-

nen und Gleichgestellte) nach § 4 Abs. 2– Ausscheiden aus dem Dienst ohne Abfertigung (betrifft Beamtenanwärter

und Gleichgestellte) nach § 4 Abs. 2– Versetzung im Bereich des Dienstherren auf einen anderen Dienstposten

ihres Dienstzweiges oder eines anderen Dienstzweiges der gleichen Verwen-dungsgruppe nach § 5 Abs. 1

– Versetzung auf einen Dienstposten einer niedrigeren Dienstklasse nach § 5 Abs. 1

– Rückgängigmachung von Ernennungen und Aufschiebung der Wirkungvon Ernennungen sowie Rückgängigmachung von Vorrückungen nach § 5 Abs. 4

Angestellte und ArbeiterInnen– Fristlose Entlassung mit Abfertigung nach § 7 in Verbindung mit § 4– Fristlose Entlassung ohne Abfertigung nach § 7 in Verbindung mit § 4– Kündigung des Dienstverhältnisses mit Fristsetzung und Abfertigung

nach § 7 in Verbindung mit den §§ 3 und 6– Versetzung auf einen anderen Dienstposten nach § 7 in Verbindung mit § 5

Die verschiedenen Dienststellen mussten der für die Neuordnung desösterreichischen Berufsbeamtentums zuständigen Behörde Listen allerBeamtInnen mit Stand vom März 1938 übersenden, außerdem die seitdem Anschluss verfügten Enthebungen, Entlassungen, Versetzungen inden zeitlichen Ruhestand bekannt geben. Weiters wurden Listen jenerBeamtInnen verlangt, die als jüdisch, als Mischlinge oder versippt galten

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und somit für den Öffentlichen Dienst im völkischen Staat nicht mehr inFrage kamen.

Die zur Durchführung der Verordnung von den BeamtInnen selbstauszufüllenden Fragebögen mit Angaben zu deren beruflicher, politischerund familiärer Situation mussten zusammen mit einem eigenhändig un-terfertigten Lebenslauf (nicht länger als zwei Maschinschreibseiten) sowiedrei Passfotos beim Staatskommissär beim Reichsstatthalter in Wien ein-gereicht werden.523 Außerdem mussten die BeamtInnen einen Nachweisihrer Abstammung, den „kleinen Ariernachweis“ erbringen, das heißtGeburten- und Trauschein beziehungsweise Auszüge aus Taufmatrikender Eltern und Großeltern vorlegen524 – ein wesentlicher Schritt hin zurstaatlich kontrollierten Festlegung der nationalsozialistischen Rasse.

Untersuchungsausschüsse, die für die Vorbereitung der BBV-Maßnah-men zuständig waren, wurden auf verschiedenen Ebenen gebildet, undzwar beim Reichsstatthalter für Österreich, bei den Landeshauptleuten,bei den Dienstherren für ArbeiterInnen und Angestellte, und es gab Son-derausschüsse für die Polizei- und Gendarmeriebeamten. Ein solcher Aus-schuss bestand aus einem Vorsitzenden, der vom Leiter der jeweiligenEbene (Reichsstatthalter, Landeshauptmann usw.) bestimmt wurde, einemVertreter der NSDAP und einem Beamten der für die Personalangelegen-heiten der/des Untersuchten zuständigen Dienststelle. Außerdem wurdeauf Vorschlag des Reichsstatthalters ein Berichterstatter bestimmt, der demUntersuchungsausschuss die Fälle vortrug.525

Dass bei aller Normierung die Begründungen für Maßregelungen nichtimmer eindeutig geliefert werden konnten, sondern konfliktiv und oftauch mehr oder weniger unklar waren, soll an einigen Beispielen für Be-urteilungen im Rahmen von BBV-Verfahren demonstriert werden. ImBBV-Verfahren einer Beamtin des oberösterreichischen Landesmuseums,die als Mischling galt, wurde erwogen, ob auch eine Entlassung aus poli-tischen Gründen in Frage käme. Folgende Beurteilung wurde von einemInformanten des Untersuchungsausschusses verfasst:

Öffentlicher Dienst 305

523 Vgl. StmkLA, LReg 66 Pe 13 1938, Personalpolitische Maßnahmen (Fragebögen).524 In einigen Fällen war es eine ziemliche langwierige Angelegenheit, die Informationen

für den Ariernachweis zusammenzutragen, etwa wenn die Großeltern aus abgelegenenDörfern in den Nachfolgestaaten der Österreich-Ungarischen Monarchie stammtenund die Matrikeln dementsprechend schwer zugänglich waren.

525 Vgl. Schneider und andere, Neuordnung, 1938.

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306 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

„Taub ist nach Angaben von Parteigenossen Halbjüdin. Sie war Ob-männin der katholischen Frauenorganisation und hat in dieser gegen denNationalsozialismus in Schulungskursen gearbeitet. Als Schulungsleiterinhat sie versucht dem System bei jeder Gelegenheit die volle Existenzbe-rechtigung zuzusprechen, während sie der nationalsozialistischen Weltan-schauung gemäß ihrer charakterlichen Beschaffenheit entgegen trat.“526

Die Beamtin wurde letztendlich mit Ende September 1938 nach § 3der BBV in den Ruhestand versetzt. Sie musste und konnte sich im weite-ren als freischaffende Fotografin ihren Lebensunterhalt verdienen.

In einem Schreiben von der Gauleitung der NSDAP Tirol-Vorarlbergan die Behörde des Landeshauptmanns von Tirol vom 11. Oktober 1938wird dem enthobenen Sicherheitsdirektor von Tirol Anton Mörl folgendepolitische Beurteilung erteilt:

„Obgenannter ist ein fanatischer Klerikaler und Legitimist und gilt als100 Prozentiger Systemanhänger. Er war in seiner Stellung als Sicherheits-direktor von Tirol voll verantwortlich für die fanatische Verfolgung derNationalsozialisten und es ist ihm zu verdanken, daß die Sicherheitsdirek-toren in der Art ihres Vorgehens gegen Nationalsozialisten vollkommenfreie Hand hatten. Hervorzuheben ist seine Rücksichtslosigkeit, ja Brutali-tät, mit der er Frauen, die entweder selbst angeklagt waren oder für ihre ein-gekerkerten Männer intervenierten, behandelte. Es ist bekannt, daß Mörlselbst am Tage des Umbruchs noch den Befehl gab, gegen die aufmarschie-renden Nationalsozialisten von der Waffe Gebrauch zu machen. [...] Unter-stützung der Habsburger-Propaganda-Aktionen, die durch Erzherzog Eugendurchgeführt wurden [...] Typisch sind seine Erlässe und Rundschreiben,die seine kindische Angst vor dem Erstarken der nationalsozialistischenBewegung zum Ausdruck bringen. [...] Trotzdem es schwer ist, konkretesAnklagematerial gegen Mörl zu erbringen, steht doch eindeutig fest, daßer für den nationalsozialistischen Staat vollständig untragbar ist.“527

Der bereits seit dem 12. März 1938 beurlaubte Sicherheitsdirektorwurde mit 17. Oktober 1938 nach § 4 Abs. 1 der BBV fristlos entlassen.528

Über einen Betriebsleiter des städtischen Kraftfahrlinienbetriebes inNeunkirchen heißt es:

526 Politische Beurteilung vom 23. August 1938, OÖLA, Personalakt LReg. 244/4162.527 Vgl. TirLA, Tiroler LReg, Präsidium, 1 – 50, Abt. I 5/1938 (Beamtengesetz, Unter-

suchungsausschuss), Zahl 33 UA.528 Vgl. Dippelreiter und Stourzh, Säuberungen, 1986, S. 85.

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„August Richter äußerte sich über den Führer und die Bewegung stän-dig in niederträchtiger Art. Ist völlig haltlos und als starker Trinker bekannt.Ist zu seinen Untergebenen brutal und unsozial. [...] Schloss sich immerder jeweiligen Regierung an und war dann begeisterter Anhänger derselben.Gegen Nationalsozialisten war er ablehnend. Ist Legitimist, vollkommenuntragbar. Aus seinem Fragebogen geht die Mitgliedschaft zur soz. dem.Partei hervor.“529

Diese Angaben hätten eine Maßregelung nach § 7 in Verbindung mit§ 4 Abs. 1 der BBV rechtfertigen können, der Betriebsleiter wurde jedochnach dem Angestelltengesetz entlassen. Diese Entscheidung wurde damitbegründet, dass er bei Auflösung des Dienstverhältnisses nach der BBVAnspruch auf eine höhere Abfertigung gehabt hätte.530

Folgendes wurden in der politischen Beurteilung eines nach § 5 Abs. 1auf einen anderen Dienstposten versetzten oberösterreichischen Beamtenins Treffen geführt:

„Dr. Zehetner war im CVer Verband Vorsitzender des Landesbundesfür OÖ und gehörte ausserdem der christl. soz. Partei, dem christl. d.Turnverein und der VF von 1933 bis zum Umbruch an. Als Direktor desLandesjugendamtes hatte er auch das Kinderferienwerk der VF durchzu-führen. Er war bedingt durch seine weltanschauliche Einstellung stets einausgesprochener Gegner der NSDAP und soll sich auch für Angeberdiensteherbeigelassen haben. Nach der Machtübernahme wurde er vorübergehendin Haft genommen, jedoch später wieder auf freien Fuß gesetzt. Zehetnerwar auch während der Systemzeit Landtagsabgeordneter im OÖ Landtag.Nach dem Umbruch hat er sich aus beruflichen Gründen umgestellt undgibt sich derzeit den Anschein, dem NS-Staate positiv gegenüber zu stehen,doch ist er weltanschaulich gesehen alles andere, nur kein Nationalsozialist.Er ist heute noch konfessionell gebunden und bietet daher keinesfalls dieGewähr, daß er jederzeit rückhaltlos für den NS-Staat eintreten wird. Diepolitische Zuverlässigkeit kann demnach nur mit großem Vorbehalt beilängerer Bewährungsfrist bejaht werden.“531

Öffentlicher Dienst 307

529 NÖLA, Politische Beurteilungen von Gemeindebediensteten, Statthalterei 1938, Kt.48.

530 Ebenda. 531 Politische Beurteilung vom 15. November 1940, OÖLA, Personalakt LReg. 274/

4687.

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308 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

Im politischen Führungszeugnis der Wiener Neustädter Gemeinde-beamtin Viktoria Lang vom 23. November 1938 liest man Folgendes:

„Es wird hiermit bestätigt, daß L. politisch bedenklich ist. Die FamilieLang ist streng katholisch und besuchten die Töchter täglich die Kirche[...] Bei Sammlungen verhalten sich dieselben ablehnend, L. war in derSystemzeit sehr aktiv für die VF tätig und war die rechte Hand des Bür-germeister Z. Das Verhalten gegenüber Partei war stets ablehnend.“532

Diese Attestierung politischer Bedenklichkeit hatte zwar keine Maß-regelung nach dem § 4 Abs. 1 der BBV zur Folge, die Beamtin wurdejedoch mit 30. April 1939 nach § 6 „im Interesse des Dienstes“ in denRuhestand versetzt.533

Eine in der Bürckel-Materie einliegende Aufstellung enthält einen Über-blick über sämtliche Vorgänge nach der BBV zwischen Juli 1938 undJänner 1939. Nach den bisherigen Ausführungen ist klar, dass solche Ka-tegorisierungen nicht einfach eine klare Auskunft über die Fälle geben,sondern nur Hinweise zu deren offiziellen Konstruktionen darstellen, diezwar am meisten, aber beileibe nicht allein über ihre Realität bestimmten.Sie können jedoch verwendet werden, um ein Bild dieser Konstruktionenzu bestimmen.

Insgesamt sind in dieser Aufstellung 1.187 Vorgänge nach § 3 ausge-zählt, 1.940 nach § 4, 912 nach § 5, 550 nach § 6, 448 nach § 8 undzuletzt 1.181 Verfahrenseinstellungen. Im Zeitverlauf ergaben sich für diesieben Monate folgende Vorgangszahlen.

532 NÖLA, Politische Beurteilungen von Gemeindebediensteten, Statthalterei 1938, Kt.48.

533 Ebenda.

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Graphik 25: Öffentlicher Dienst – Vorgänge nach der BBV nach Monaten(Bestand)534

Öffentlicher Dienst 309

534 Vgl. Tabelle 95, S 662.535 Ebenda.

Graphik 26: Öffentlicher Dienst – Vorgänge nach der BBV nach Monatenund Resultaten (ungewichtete Abstände zur Unabhängigkeit, Bestand)535

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Juli 38 Aug. 38 Sep. 38 Okt. 38 Nov. 38 Dez. 38 Jän. 39

7/38 9/38 11/38 12/38 1/398/38 10/38

Echelle = 62

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310 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

Eine Untersuchung der ungewichteten Abstände zur Unabhängigkeitdieser Verteilung (vgl. Graphik 23, S. 291) lässt die unterschiedlichenSchwerpunktsetzungen in der Verfolgung gut erkennen. Der Beginn warklar von der Wichtigkeit der Vorgänge nach § 8 gekennzeichnet, die „Ehre-namtlich bestellte oder nicht hauptberuflich tätige Träger eines öffentli-chen Amtes“, „die Bediensten der österreichischen Radio-Verkehrs-A.G.(Ravag)“ sowie Notare und Notariatskandidaten betrafen. Die §§ 3 bis 6folgten mit ihren Spitzen aufeinander: § 3 vor allem im August, § 4 vorallem im Oktober, die §§ 5 und 6 vor allem im Dezember, und die ineben diesem Monat stark vermehrten Verfahrenseinstellungen wurdendann noch im ersten Monat des Jahres 1939 besonders wichtig. Auch hiermanifestierte sich somit die für die völkischen Berufsneuordnung insge-samt geltenden Ausgrenzungs- und Verfolgungsprioritäten: zuerst dierassische Ausmerze mehr oder minder zugleich mit der politischen unddanach die Kontrolle, Korrektur und Durchsetzung der neuen Laufbahn-und Leistungsanforderungen, wobei die staats- und öffentlichkeitswich-tigen Berufe allen anderen zeitlich vorgezogen wurden. Die hohe Zahl anVerfahrenseinstellungen zu Ende der ausgezählten Periode schien sich ausden Notwendigkeiten zu ergeben, mit der völkischen Personalneuordnungzu einem Ende zu kommen.

Das 1946 erschienene „Rot-Weiß-Rot-Buch. Gerechtigkeit für Öster-reich“ enthält Zahlenangaben zu entlassenen BeamtInnen, deren für Er-klärungen problematischer Status schon diskutiert wurde (vgl. Kapitel2.1. Drei Schätzungen, S. 97). Immerhin ist zu vermuten, dass für diesePublikation der Bestand der BBV-Bescheide ausgewertet wurde –angegeben wird allerdings keine Quelle.

Alles in allem, so ist zu lesen, sollen insgesamt 16.237 Fälle von Beam-tenmaßregelungen vorgenommen worden sein. Unter diesen finden sichfolgende Entlassungen beziehungsweise Außerdienststellungen.

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Tabelle 38: BeamtInnen – Entlassungen nach Institutionen536

Sicherheitsdienst 3.600Unterrichtswesen 2.281Postdienst 1.467Justizdienst 1.035Finanzdienst 651Bundeskanzleramt 238

Eine weitere zeitgenössische Schätzung findet sich in den Akten zurVorbereitung und Konzeption gesetzlicher Regelungen für Entschädigun-gen aus Dienstverhältnissen im Zusammenhang mit dem 7. RStG von1947: Man rechnete mit 20.000 Geschädigten im Öffentlichen Dienst.537

Diese Zahlen können kaum mehr sein als grobe Richtwerte. Versuchtman zu einer eigenen Schätzung durch die Recherche in den einzelnenVerwaltungseinheiten und -institutionen zu kommen, so zeigt sich schnell,dass die noch vorhandenen Angaben zu den Berufsschädigungen vonBeamtInnen und öffentlich Bediensteten sehr lückenhaft und ungenausind. Von den 140 BeamtInnen (inklusive Aspiranten und Gleichgestell-ten) der Zentralleitung des Unterrichtsministeriums zum Beispiel fandensich im März 1938 21 enthoben.538 Ebenso wurde das Ausscheiden von25 BeamtInnen gefordert, bei fünf aus rassischen Gründen. Die nach-stehende Liste umfasst 125 der insgesamt 430 Beamten der Zentralstelledes Ministeriums für Handel und Verkehr, und zwar die höchsten Amtsti-tel (Sektionschefs und Ministerialräte). Nach den vorliegenden Materialienwurden 35 von ihnen in Folge der nationalsozialistischen Machtübernah-me pensioniert, 23 von diesen aus rassischen Gründen.

Öffentlicher Dienst 311

536 Vgl. Rot-Weiß-Rot-Buch, S. 77.537 Vgl. BMF-VS (Schwabe) an das BKA, 19. 1. 1947, ÖStA AdR 06, BMF-VS, 21.944-1/

1947, Kt. 20, dazu ausführlicher das Kapitel 2.1. Drei Schätzungen.538 Personal- und Geschäftseinteilung: Personalveränderungen aus Anlaß der Wiederver-

einigung mit dem Deutschen Reiche, ÖStA AVA Unterricht, BM für Unterricht: Prä-sidium 1938, 342.

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312 ArbeiterInnen, Angestellte, BeamtInnen

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