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Mit Zuckerbrot und Peitsche gegen die FDLR Das Dilemma der UNO mit den ruandischen Hutu-Kämpfern im Kongo Die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) in der Demokratischen Republik Kongo hat angeboten, sich freiwillig zu entwaffnen. Die Staaten der Region haben dafür eine Frist gesetzt, die Uhr tickt. Die UN-Mission im Kongo (MONUSCO) hat eine Eingreiftruppe nach Ostkongo entsandt, um gegen Rebellen vorzugehen. Doch gegen die FDLR wurde noch kein einziger Schuss abgefeuert, weil diese sich inmitten der Bevölkerung versteckt. Ein Dilemma, das die UNO zuletzt an den Verhandlungstisch zwang. Ist dieses Angebot seitens der FDLR also nur eine Taktik, um Zeit zu gewinnen? Bereits in der Vergangenheit gelang es der FDLR stets, Verhandlungen und Entwaffnungsversprechen zu nutzen, um militärische Schwäche in politische Stärke umzuwandeln – ein gefährliches Spiel. Autoren: Dominic Johnson ist Auslandschef und Afrika-Redakteur der deutschen Tageszeitung taz. Simone Schlindwein ist taz-Korrespondentin in der Region der Großen Seen. Dieses Papier beruht auf Recherchen, die die beiden Autoren im Juli 2014 in Kinshasa und Goma durchgeführt haben, sowie auf den Erkenntnissen, die aus jahrelanger Beschäftigung mit der Region und insbesondere mit der FDLR gewachsen sind. Die taz verfolgt seit 2011 intensiv den Prozess gegen die FDLR-Führung in Stuttgart. Weitere Informationen unter: http://taz.de/!t28/ Kampala und Berlin, August 2014

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Mit Zuckerbrot und Peitsche gegen die FDLR

Das Dilemma der UNO mit den

ruandischen Hutu-Kämpfern im Kongo

Die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) in der Demokratischen Republik Kongo hat angeboten, sich freiwillig zu entwaffnen. Die Staaten der Region haben dafür eine Frist gesetzt, die Uhr tickt. Die UN-Mission im Kongo (MONUSCO) hat eine Eingreiftruppe nach Ostkongo entsandt, um gegen Rebellen vorzugehen. Doch gegen die FDLR wurde noch kein einziger Schuss abgefeuert, weil diese sich inmitten der Bevölkerung versteckt. Ein Dilemma, das die UNO zuletzt an den Verhandlungstisch zwang. Ist dieses Angebot seitens der FDLR also nur eine Taktik, um Zeit zu gewinnen? Bereits in der Vergangenheit gelang es der FDLR stets, Verhandlungen und Entwaffnungsversprechen zu nutzen, um militärische Schwäche in politische Stärke umzuwandeln – ein gefährliches Spiel.

Autoren:

Dominic Johnson ist Auslandschef und Afrika-Redakteur der deutschen Tageszeitung taz.

Simone Schlindwein ist taz-Korrespondentin in der Region der Großen Seen.

Dieses Papier beruht auf Recherchen, die die beiden Autoren im Juli 2014 in Kinshasa und Goma durchgeführt haben, sowie auf den Erkenntnissen, die aus jahrelanger Beschäftigung mit der Region und insbesondere mit der FDLR gewachsen sind. Die taz verfolgt seit 2011 intensiv den Prozess gegen die FDLR-Führung in Stuttgart. Weitere Informationen unter: http://taz.de/!t28/

Kampala und Berlin, August 2014

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1 Zweifelhaftes Treffen in Sant'Egidio Am 26. Juni 2014 fand in Rom auf Einladung der katholischen Kirchengemeinde Sant'Egidio ein denkwürdiges Treffen statt. Vier Delegierte der in der Demokratischen Republik Kongo stationierten ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) kamen mit den UN-Sonderbeauftragten für Kongo und die Region der Großen Seen, Martin Kobler und Mary Robinson, sowie Sonderbeauftragten von USA, EU und Belgien und Abgesandten der kongolesischen Regierung zusammen. Es war für die FDLR die erste derartige Gesprächsrunde seit 2005 und die höchstrangig besetzte in ihrer vierzehnjährigen Geschichte1.

Das Treffen war der vorläufige Höhepunkt einer Initiative, mit der sich die FDLR von einer „negativen Kraft“ im Kongo in eine politische Kraft in Ruanda zu verwandeln versucht – und dafür internationale Unterstützung verlangt.

Das etwa vierstündige Treffen war vertraulich, seine Vorbereitung ein geheimes Unterfangen. Am Morgen des 24. Juni war ein UN-Hubschrauber auf einem Fußballfeld im abgelegenen Dschungel-Dorf Buleusa in der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu gelandet. "Unser Präsident, sein Stabschef und zwei hochrangige Kommandeure wurden eingeladen, nach Kinshasa zu fliegen. Von dort aus sollte es weiter nach Rom gehen", berichtete FDLR-Sprecher Laforge Fils Bazeye2.

Der Präsident der FDLR ist übergangsweise seit der Verhaftung von Ignace Murwanashyaka in Deutschland im November 2009 Brigadegeneral Victor Byiringiro, der auch unter dem Namen Gaston Iyamuremye oder seinem Alias Rumuli bekannt ist. Sein Stabschef David Mukiza leitet die Präsidialadministration. Beide gehören dem politischen Flügel der FDLR an; auch wenn Byiringiro von seiner Laufbahn her Militär ist, trägt er dennoch stets zivile Kleidung und keine Pistole am Gürtel.

Doch auf Byiringiro lastet ein internationales Reiseverbot - auferlegt im Jahr 2007 vom UN-Sicherheitsrat. Damals war er bereits der zweite Vizepräsident der FDLR. Dennoch hatte die UN-Stabilisierungsmission im Kongo (MONUSCO) ihm jetzt ein UN-Flugticket ausgestellt, um den weißen UN-Hubschrauber besteigen zu dürfen. "Dass er innerhalb Kongos reist, liegt vollkommen innerhalb des UN-Regelwerks", verteidigte MONUSCO-Chef Martin Kobler später die Maßnahme3.

Angekommen in Kongos Hauptstadt Kinshasa nahm Byiringiros Reise ein jähes Ende. Ruandas Regierung, derzeit Mitglied im UN-Sicherheitsrat, ging auf die Barrikaden. Dass der Präsident ihrer Erzfeinde, unter deren Mitglieder sich mutmaßliche Völkermörder des Genozids 1994 tummeln, mit einem UN-Freiflug nach Europa reisen soll - das ging Kigali dann doch zu weit. Die Bitte der UN-Friedensmissionsabteilung DPKO an den zuständigen UN-Sanktionsausschuss, Byiringiro von den Reisesanktionen zu entbinden, sei „hochgradig fragwürdig, sowohl vom Verfahren als auch von der Motivation her“, sagte die ruandische Vertretung bei der UNO und sprach von einer „flagranten Bruch der relevanten UN-Sicherheitsratsresolutionen“ als „Teil eines Musters, seit zwei Jahrzehnten, das versucht, das kriminelle Wesen der FDLR zu leugnen und zu verharmlosen“ und „diese Völkermordtruppe als Gruppe mit legitimen politischen Forderungen zu behandeln“4. Der ruandische Protest stoppte das Unterfangen, indem Ruanda die Informationen vor dem Ende des 24-stündigen Schweigegebots leakte. Byiringiro konnte nicht weiterfliegen. Er war vorerst in Kinshasa gestrandet.

1 Die Autoren haben mit mehreren Teilnehmern des Treffens in Sant'Egidio gesprochen. Die genaue Liste der

internationalen Teilnehmer laut Sant'Egidio: Mary Robinson (UN-Sondergesandte), Ross Feingold (US-Sondergesandter), Koen Vervaeke (EU-Sondergesandter), Frank Denconinck (Belgiens Sondergesandter), Martin Kobler (MONUSCO). Eingeladene Vertreter der AU, SADC, ICGLR und Ruandas seien nicht erschienen.

2 Telefoninterview am 3.7.2014. 3 Interview mit RFI am 2. Juli 2014: http://www.rfi.fr/emission/20140702-rdc-martin-kobler-monusco-ban-ki-moon-

rwanda 4 Brief der ruandischen UN-Vertretung an UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, 26.6.2014.

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Auf den Weg nach Rom machten sich am 25. Juni Byiringiros Stabschef David Mukiza sowie die beiden FDLR-Militärkommandeure Oberst Jean-Paul Muramba sowie Oberst Andre Kalume. Ihre Namen stehen nicht auf der UN-Sanktionsliste. Ausgestattet mit kongolesischen Papieren, da die ruandischen Rebellen keine Reisepässe besitzen, und italienischen Visa in der Tasche, zu welchem ihnen die UNO verholfen hatte, sowie Tickets der Fluglinie Brussels Airlines flogen sie via Belgien nach Italien. Sant'Egidio trug die Kosten.

Bei den beiden FDLR-Kommandanten handelt es sich um mutmaßliche Kriegsverbrecher, die für Massaker, systematischen Terror und Massenvergewaltigungen im Ostkongo verantwortlich sind. Oberst Kalume - sein Geburtsname lautet Lucien Nzabamwita - ist Kommandant der FDLR-Reservebrigade, jener Einheit, die eigentlich dafür zuständig ist, das FOCA-Hauptquartier sowie die Kommandanten zu beschützen und nur dann zum Einsatz kommt, wenn spezielle Operationen ausgeführt werden sollen. Die Reservebrigade steht unter direktem Befehl von FDLR-Militärchef Mudacumura – Befehle, die in der Regel nicht mit der politischen Führung abgesprochen sind. Dies haben ehemalige FDLR-Kommandeure der Reservebrigade bei ihrer Aussage im Prozess gegen Präsident Ignace Murwanashyaka und den ersten Vizepräsidenten Straton Musoni vor Gericht in Deutschland ausgesagt.5

Als Chef der Reservebrigade war Kalume als ausführender Kommandeur für das Massaker im Dorf Busurungi verantwortlich, bei welchem FDLR-Kämpfer in der Nacht zum 10. Mai 2009 in einer Racheaktion mindestens 96 Kongolesen grausam töteten, schwangeren Frauen die Embryos aus dem Leib schnitten hatten, Menschen enthaupteten. Es war eines der schlimmsten Verbrechen der FDLR in jener Zeit.

Kalume hatte den Angriff vorbereitet, präzise geplant, vor Ort die Befehle gegeben: "Erschießt alle, brennt Busurungi nieder!", befahl Kalume seinen Soldaten bei der Einsatzbesprechung, berichteten später desertierte Kämpfer seiner Brigade.6 Als die Häuser von Busurungi in Flammen standen, funkte Kalume einen Bericht an Militärchef Sylvestre Mudacumura, der diese Nachricht weiter nach Deutschland schickte7.

Oberst Muramba, alias Junior Hamada oder Harerimana, ist als Kommandant der mittlerweile desolaten FDLR-Einheiten in Süd-Kivu für alle Attacken der FDLR in dieser Provinz direkt verantwortlich: Massaker, Vergewaltigungen, Terror, Erhebung von Steuern, Plünderungen. Beide Kommandeure sind in der FDLR-Struktur Mitglieder des Comité Directeur (Direktorenkomitee), jenes jährlich tagenden Organs der 32 wichtigsten militärischen und zivilen FDLR-Funktionäre, die die Führung wählen und über Krieg und Frieden, Angriff oder Verteidigung entscheiden.

Ebenfalls eingeflogen nach Rom kam der FDLR-Kommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Djuma Ntambara Ngirinshuti. Der Quasi-Außenminister der FDLR lebt in Frankreich und ist ein wichtiges Mitglied im europäischen Netzwerk der FDLR, zuständig für Kontakte zur internationalen Gemeinschaft.

Diese Delegation legte beim Treffen in Rom nach Angaben eines Teilnehmers die politischen Forderungen der FDLR vor: Dialog mit Ruandas Regierung und auch Reform der ruandischen Sicherheitskräfte mit Einzug ihrer Vertreter auf Kommandoebene. „Die SADC muss Druck auf Ruanda ausüben“, fasst FDLR-Sprecher Laforge später in einem Telefoninterview die Forderungen zusammen. Wenn Ruandas Regierung nicht bereit sei, sich mit ihren Oppositionellen an einen Tisch zu setzen, „dann wird niemand nach Ruanda zurückkehren, weder die FDLR noch unsere Flüchtlinge“, sagt er.8

Zur Antwort bekamen die FDLR-Vertreter von internationaler Seite nach Angaben eines Teilnehmers, man habe nicht das Mandat, einen Dialog in Ruanda herbeizuführen, sondern die

5 Stuttgarter Kriegsverbrecherprozess, Verhandlungstag 54 am 25.1.2012 und 67 am 31.3.2012. 6 Interviews mit verschiedenen Ex-FDLR-Offizieren, die den Angriff ausgeführt haben. 7 UN Groups of Experts Report 2009. 8 Interview Laforge3.7.2014.

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FDLR zu „neutralisieren“. Man werde die FDLR allerdings bei ihrem Prozess der Entwaffnung unterstützen und ermutige sie, diesen fortzuführen9.

Ein Verantwortlicher von Sant'Egidio führte in einer Stellungnahme aus, alle Teilnehmer – gemeint waren wohl in erster Linie die internationalen Teilnehmer – seien sich „über einige nicht verhandelbare Prinzipien“ einig gewesen: Auslieferung gesuchter FDLR-Führer; völlige Entwaffnung der FDLR innerhalb von drei Monaten; keine Unterstützung für FDLR-Kämpfer mit Ausnahme von entweder Repatriierung oder Überführung in andere Länder; sowie „absolute und unmissverständliche Absage gegenüber Versuchen, die Entwaffnung von irgendeiner Forderung nach einem politischen Dialog mit der ruandischen Regierung abhängig zu machen10“.

Ist das Gespräch von Sant'Egidio der Beginn eines Prozesses, der zum Ende des seit zwanzig Jahren andauernden Krieges der ruandischen Hutu-Kämpfer auf kongolesischem Boden führen kann? Oder ist er vielmehr ein Hindernis auf dem Weg zur Befriedung der Region der afrikanischen Großen Seen? Von der Antwort auf diese Fragen hängt die Zukunft der Region ab.

Dieses Papier versucht, dafür einige Elemente zu liefern.

2 Die neue politische Strategie der FDLR

2.1 Der Kontext: Diplomatische Offensive der FDLR

Das Treffen von Sant'Egidio hat eine Vorgeschichte. Am 30. Dezember 2013 hatte die FDLR in einer von Präsident Generalmajor Byiringiro unterzeichneten Erklärung zugesagt, sie „bekennen sich dazu, die Waffen niederzulegen und einen politischen Kampf zu führen.11“ Diese Erklärung bezeichnete die Miliz fortan als „Friedensangebotserklärung von Lusamambo“.

Was wie ein Bekenntnis zum Frieden aussah, war in Wahrheit einer vorangegangenen Drohgebärde gefolgt: "Die FDLR warnt die UN und die internationale Gemeinschaft", hatte die Miliz genau einen Monat vorher ein 20-seitiges politisches Papier getitelt.12 Darin war gedroht worden, dass „jeder Versuch einer bewaffneten Konfrontation mit der Intention, die FDLR zu vernichten, scheitern wird“, da er „das ruandische Volk“ zurück in die Konflikte der 90er Jahre treiben würde – eine verklausulierte Drohung mit einem neuen Völkermord. Die Welt müsse jetzt Druck auf Ruanda ausüben, um mit den „Freiheitskämpfern“ der FDLR zu verhandeln.

Dieses Selbstbewusstsein kam nicht von ungefähr. Erst wenige Wochen davor war der Krieg der Tutsi-geführten ostkongolesischen Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23.März), Erzfeind der Hutu-Milizionäre in der FDLR, mit einer militärischen Niederlage zu Ende gegangen. Die M23 hatte im Mai 2012 - laut UN-Ermittlern mit Rückendeckung aus Ruanda - im Ostkongo den Kampf gegen Kongos Regierung aufgenommen und im November 2012 kurzzeitig die Provinzhauptstadt Goma eingenommen. Damit zwang sie Kongos Regierung an den Verhandlungstisch. Aber ein Jahr später, im November 2013, gab sie angesichts einer erdrückenden Übermacht der kongolesischen Armee und der UN-Truppen den bewaffneten Kampf auf.

Der Sieg über die M23 war die direkte Folge einer neuen Strategie der UN-Mission im Kongo gegen bewaffnete Gruppen im Ostkongo. Die Einnahme Gomas durch die M23 war nicht nur für Kongos Armee, sondern auch für die MONUSCO eine Blamage gewesen. Die Blauhelme sahen einfach zu, wie die Rebellen an ihren Panzern vorbeimarschierten und winkten. Es war klar: Eine ganz neue Strategie und neue Instrumente mussten her.

So beschloss der UN-Sicherheitsrat am 28. März 2013 mit der Resolution 2098 erstmals eine

9 Gespräche in Goma, Juli 2014. 10 E-Mail von Francesco Tedeschi, Sant'Egidio, 26.7.2014. 11 FDLR-Presseerklärung 30.12.2013. 12„FDLR's Response to the Statement of UN Security Council President“ 30.11.2013; http://ddata.over-

blog.com/xxxyyy/2/23/08/90/FDLR/fdlr-respond-to-un_nov-2013.pdf

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„offensive“ Eingreiftruppe (FIB – Force Intervention Brigade) mit dem Mandat, bewaffnete Gruppen zu „neutralisieren“. Rund 3000 Blauhelme aus Südafrika, Tansania und Malawi (alles Mitglieder der SADC – Southern African Development Community, der auch Kongo, nicht aber Ruanda angehört) wurden in den Folgemonaten nach Goma entsandt. In ihrem Marschgepäck: Schwere Artillerie und Kampfhubschrauber – Ausrüstung für einen konventionellen Stellungskrieg. Im Sommer 2013 traten die Soldaten erstmals gegen die M23 an der Kriegsfront am nördlichen Rand von Goma in Aktion. Eine weitere Offensive folgte im Oktober 2013. Nach nur drei Wochen Gefechten gegen Kampfhubschrauber, Artillerie und Scharfschützen gab sich die M23 geschlagen und zog sich am 5. November 2013 nach Uganda zurück. Es war der erste Sieg der desolaten kongolesischen Regierungsarmee – mit Unterstützung der FIB wohlgemerkt – gegen eine Rebellenbewegung seit knapp einem Jahrzehnt. Es war vor allem ein symbolischer Sieg: Die M23 galt zu jener Zeit als die am besten ausgestattete und disziplinierte Miliz des Kongos. Laufende Friedensverhandlungen zwischen M23 und Kongos Regierung in der ugandischen Hauptstadt Kampala gingen daraufhin mit wenig verbindlichen separaten „Erklärungen“ der beiden Parteien sowie der Vermittler zu Ende, die am 12. Dezember 2013 in Nairobi unterzeichnet wurden13. Seitdem sind die mehr als tausend M23-Kämpfer und ihre Kommandeure in Uganda regelrecht gestrandet. Sie wurden von Ugandas Armee (UPDF) entwaffnet und in ein Militärtrainingscamp nach Bihanga verlegt worden. Die M23-Führung wurde in einem bewachten Haus in Kampala untergebracht. Offiziell hat sich die M23 zu einer politischen Partei umformiert.

Das Ende der M23 zwang auch die FDLR zu einer Neupositionierung. Denn einerseits richtete sich das offensive Mandat der FIB auch gegen die FDLR: zumindest Ruanda erwartete, dass nach der M23 die FDLR an die Reihe kommen müsste. Andererseits hatte der eineinhalbjährige Krieg zwischen Kongos Regierung und M23 der FDLR eine Atempause gegeben, neue Stärke zu sammeln, weil während dieses Zeitraums sämtliche Offensiven gegen die Hutu-Milizionäre eingestellt worden waren. „Ein Fenster für neue Möglichkeiten“ hatte FDLR-Oberst Ezekiel Gakwerere alias Stany Ende 2012 die Lage genannt und von hunderten frischen Hutu-Rekruten aus Ruanda geprahlt14.

Ende November 2012, als die M23 gerade Goma besetzt hielt und sich dabei maßlos überdehnt hatte, waren Stanys Einheiten weiter nördlich im toten Winkel durch den von M23-Truppen besetzten Grenzstreifen in Ruanda einmarschiert und hatten fünf ruandische Parkwächter getötet, bevor sie sich nach schweren eigenen Verlusten zurückzogen.

Mit dem Ende der M23-Friedensverhandlungen im Dezember 2013 war die Atempause für die FDLR vorbei. Die M23 war besiegt, die FIB sollte sich nun dem nächsten Ziel zuwenden – davon gingen alle aus. Doch dann kam es doch anders: Die Entscheidung wurde hinter verschlossenen Türen bei der MONUSCO in Goma getroffen, nicht die ruandische FDLR anzugreifen, sondern die ugandische ADF (Vereinigte Demokratische Kräfte), die seit vielen Jahren in den Rwenzori-Bergen des Distrikts Beni im Norden der Provinz Nord-Kivu an der ugandischen Grenze verschanzt ist. Aus verschiedenen Quellen wird bestätigt: Der Vize-Kommandeur der Blauhelme und Chef der MONUSCO-Polizei, General Pascal Champion, machte sich dafür stark, die ADF statt die FDLR anzuvisieren. General Champion ist Franzose. Frankreich ist traditionell gegen die RPF-Regierung in Ruanda eingestellt, hat aktiv während des Völkermordes in Ruanda 1994 die Hutu-Milizen unterstützt und bietet zahlreichen hochrangigen FDLR-Mitgliedern Asyl in Europa. Es gibt unzählige Quellen innerhalb der MONUSCO, die hinter vorgehaltener Hand dem UN-Sicherheitsratsmitglied Frankreich vorwerfen, die schützende Hand über die FDLR zu halten.15

Die ADF galt mit ihren einigen hundert ugandischen Kämpfern an der ugandischen Grenze als

13 Alle drei Erklärungen sind dokumentiert auf: http://blogs.taz.de/kongo-echo/2013/12/13/jetzt-doch-frieden-

unterzeichnet-in-nairobi/ 14 Interview mit Col. Stany am 15.10.2012. 15 Gespräche in Goma und Kinshasa, verschiedene Zeitpunkte 2014.

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vergleichsweise marginales Problem. Dennoch begannen zu Weihnachten 2013 die Operationen gegen die ADF: Kongos Armee an der Front, die FIB als Backup. Die Operationen dauern bis heute an. Es gab weniger direkte Stellungskämpfe als gegen die M23, und laut einem UN-Bericht blieb die ADF-Struktur intakt und sie nahm Hunderte kongolesische Zivilisten als Geiseln, obwohl sie all ihre Basen verlor., aber bis zum 7. Mai 2014 seien 217 FARDC-Soldaten und 531 ADF-Kämpfe getötet worden16.

Die FDLR hingegen erlitt nur symbolische Schläge. MONUSCO-Chef Kobler erklärte am 11. März 2014 zwar den Beginn der Militäroperationen, um „die FDLR und ihre Verbündeten zu neutralisieren“ und „die Wiederherstellung der staatlichen Autorität zu ermöglichen“17 Kongos Regierungssprecher Lambert Mende erklärte: „Wir werden nicht aufhören, bis sie ihre Waffen niederlegen. Allein oder mit der Unterstützung durch Monusco müssen wir dieser Bedrohung unserer Bevölkerung ein Ende setzen.18“ Doch es kam zu keinen direkten Kampfhandlungen. Blauhelme räumten die Straße von Goma in die rund 150 Kilometer nordwestlich gelegene Kleinstadt Pinga von FDLR-Straßensperren. Ein paar UN-Panzer wurden stationiert. Die FDLR-Kämpfer zogen sich von der Straße auf die Hügel zurück. Kein einziger Schuss wurde abgefeuert. Dasselbe auf der Route zwischen Kashebere und Tongo, wo die FDLR stets Wegzoll eingefordert hatten. Ernsthafte militärische Operationen - bis heute Fehlanzeige. Dies gab der FDLR Gelegenheit, sich neu zu orientieren.

Mittlerweile arbeitete die FDLR nämlich daran, sich als politisches Sammelbecken der ruandischen Exilopposition zu positionieren und stärker als in den vergangenen Jahren einen expliziten politischen Anspruch in Ruanda selbst zu formulieren. Direkt nach der „Friedensangebotserklärung“ vom 30. Dezember 2013 verkündete die FDLR am 12. Januar 2014 den „Beginn der Aktivitäten“ ihres neuen Bündnisses FCLR-Ubumwe (Gemeinsame Front zur Befreiung Ruandas) mit der ruandischen Oppositionspartei PS-Imberakuri (Sozialistische Partei). Die FCLR sei bereits am 1. Juli 2012 entstanden und am 4. Februar 2013 öffentlich gemacht worden, hieß es: ihr Ziel sei „der friedliche Machtwechsel in Ruanda“ und deswegen habe die FDLR aus freien Stücken beschlossen, die Waffen niederzulegen. “Aber, wenn die internationale Gemeinschaft ihr Leid weiterhin ignoriert, wird sie (die FDLR) keine andere Wahl haben, als alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen“, wie es in der von PS-Vizepräsident Alexis Bakunzibake und FDLR-Interimspräsident Byiringiro unterzeichneten Erklärung hieß19.

Wenige Tage später erklärte der ehemalige ruandische Premierminister Faustin Twagiramungu aus dem belgischen Exil, seine neue und in Ruanda nicht zugelassene Partei RDI (Rwanda Dream Initiative) habe mit der FCLR ein Bündnis geschlossen20. Und am 1. März verkündeten FDLR, PS, RDI und vier weitere Gruppierungen in Brüssel die Gründung des Dachverbandes CPC (Koalition ruandischer politischer Parteien für den Wandel) mit Twagiramungu als Präsident und einem FDLR-Vertreter – wie sich herausstellte FDLR-Interimspräsident Byiringiro – als Erster Vizepräsident21. Gewichtigstes zusätzliches Mitglied der CPC war die in Ruanda nicht zugelassene FDU (Vereinigte Demokratische Kräfte) der in Kigali inhaftierten Politikerin Victoire Ingabire, eine Nachfolgeorganisation der Exilpartei RDR (Republikanische Sammlung für Demokratie in Ruanda), aus der auch einst der politische Teil der FDLR hervorgegangen war. Die anderen drei stellten ihre Teilnahme am neuen Bündnis zunächst unter Bedingungen.

Von Seiten der ruandischen Regierung mehrten sich zudem Hinweise, dass der in Südafrika im Exil gegründete RNC (Ruandischer Nationalkongress) unter der Führung des ehemaligen ruandischen Armeechefs und Kagame-Vertrauten General Kayumba Nyamwasa Kontakte mit der FDLR-

16 UN Group of Experts Interim Report 2014, §10-11 17 “Martin Kobler annonce le soutien ferme de la MONUSCO aux opérations des FARDC contre les FDLR“;

Monusco, 11.3.2014. 18 U.N and Congolese troops attack Rwandan Hutu rebels, Reuters, 12.3.2014. 19 Communiqué de Presse 001/14/CR/FCLR-Ubumwe, 12.1.2014. 20 RFI, 17.1.2014. 21 RDU-UDR Press Release, 1.3.2014.

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Führung unterhalte und beide Gruppen gemeinsam für Anschläge in Ruanda verantwortlich seien.22 Der RNC arbeitet ebenfalls mit der FDU zusammen.

Dass Südafrika führende ruandische Regierungsgegner als Exilanten beherbergt, hat die Beziehungen zwischen Südafrika und Ruanda verschlechtert, insbesondere seit Kayumba Nyamwasa im Jahr 2010 knapp einem Mordanschlag in Südafrika entging und in der Silvesternacht 2013-14 sein Kollege Patrick Karegeya, ehemaliger ruandischer Geheimdienstchef, in Südafrika von unbekannten Tätern ermordet wurde. Für beide Taten wird in Südafrika Ruanda verantwortlich gemacht.

Tansania, der zweite FIB-Truppensteller im Kongo neben Südafrika, gilt ebenfalls als Verbündeter des ruandischen Exils. Tansanias Präsident Jakaya Kikwete forderte auf dem Gipfel der Afrikanischen Union am 26. Mai 2013 öffentlich von Paul Kagame, mit der FDLR zu verhandeln.23 FDLR-Vize-Militärchef General Stanislas Bigaruka soll sich seit Anfang 2013 freiwillig oder unfreiwillig in Tansania aufhalten Auch Faustin Twagiramungu hat als CPC-Präsident in Tansanias Hauptstadt politische Gespräche geführt. Tansanias Regierung bezeichnet die FDLR offiziell als „Freiheitskämpfer“24. Dies klang wie eine Kampfansage an Kigali. Die schlechten Beziehungen zwischen Ruanda und Tansania wirken sich bereits negativ auf die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) aus.

Aus ruandischer Perspektive fühlte man sich plötzlich politisch wie militärisch in einer „Sandwichsituation“: mit tansanischen Truppen auf beiden Seiten des ruandischen Staatsgebiets – als Truppensteller der FIB im Kongo und als Alliierter des Erzfeindes FDLR, der es gelungen war, alle wichtigen Oppositionellen zum Regime in Kigali zumindest theoretisch an einem Tisch zu versammeln. Der FDLR war es überdies gelungen, die SADC – und damit Tansania und Südafrika – als Schutzpatron ihrer Interessen auf ihre Seite zu bekommen. Sie hoffte darauf, sich dadurch als Verhandlungspartner für Ruandas Regierung in Stellung zu bringen, ähnlich wie zuvor die ICGLR der kongolesischen Regierung die M23 als legitimen Verhandlungspartner aufgezwungen hatte.

Mit diesem Bündnis versuchte die FDLR ihren Anspruch zu untermauern, als politische Kraft innerhalb Ruandas zu existieren. Dieser neue politische Ansatz geschah zeitlich nicht zufällig, sondern im Vorfeld des 20. Jahrestages des Völkermordes an den Tutsi, dem Ruandas Regierung seit Januar 2014 mit einer großangelegten Erinnerungskampagne gedachte. Am 7. April 2014, dem Tag der offiziellen Gedenkfeiern, blickte die ganze Welt nun auf dieses kleine Land im Herzen Afrikas wie selten zuvor. In den Tagen darauf wurden aber an verschiedenen Orten Ruandas Menschen unter dem Vorwurf der Kollaboration mit der FDLR bzw. dem RNC verhaftet, darunter der berühmte Musiker Kizito Mihigo und eine Reihe von Verantwortlichen im Nordwesten des Landes. Die zivile und militärische Exilopposition machte innerhalb Ruandas von sich reden in einer Weise, die Ruandas Regierung nicht gefallen konnte.

2.2 Das Vorspiel „Freiwillige Entwaffnung“: Demobilisierung oder Taktik?

Kaum waren die Gedenktage in Ruanda vorbei, startete die FDLR die nächste Stufe ihrer diplomatischen Offensive. Am 18. April 2014 erklärte die Miliz in einem von Interimspräsident Byiringiro unterzeichnetem Brief an UNO, SADC, EU, AU, ICGLR und Kongos Präsidenten, sie werde am 30. Mai an zwei Orten in Nord- und Süd-Kivu „ihre Waffen an die relevanten Autoritäten, nämlich SADC“ übergeben. Die Miliz wolle alle ihre Kämpfer unter SADC-Schutz stellen „bis der gewünschte und erhoffte inner-ruandische politische Dialog zwischen dem aktuellen ruandischen

22 Aussagen im Prozess gegen Ex-Leutnant. Mutabazi in Kigali, Interview mit RDF-Sprecher Gen. Joseph

Nzabamwita im Februar 2014. 23 http://allafrica.com/stories/201306020072.html. 24 „FDLR a politico-military organization whose combatants are exclusively freedom fighters originally from Rwanda

settled in DRC“: Tanzania Government Communication Unit, SADC/ICGLR Ministerial Meeting Press Release, 4.8.2014.

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RPF-Regime und der FDLR zusammen mit allen politischen ruandischen Oppositionsgruppen stattgefunden und wesentliche Folgen erbracht hat“. Das Ergebnis dieses „Friedensprozesses“ hänge von der Fähigkeit der Adressaten ab, „das aktuelle ruandische RPF-Regime“ von diesem Weg zu überzeugen25.

In Anwesenheit von Byiringiro, anderen hohen FDLR-Führern und hochrangigen UN- und SADC-Vertretern gaben tatsächlich am 30. Mai im Dorf Buleusa in Nord-Kivu 105 FDLR-Kämpfer 90 Waffen ab. In einer Rede vor den versammelten Diplomaten dankte der FDLR-Interimspräsident der kongolesischen Bevölkerung „für die Gastfreundlichkeit seit 20 Jahren, trotz aller Schwierigkeiten, die die Kongolesen erleiden mussten“26. 97 der Kämpfer ließen sich in ein UN-Lager nahe Kanyabayonga bringen. Eine weitere, kleinere Zeremonie ähnlicher Art, bei der sich 84 FDLR-Kämpfer übergaben, folgte am 9. Juni in Kigogo in Süd-Kivu. Unter den übergebenen Kämpfern war kein einziger höherrangiger Offizier dabei, es war reines Fußvolk.

Zunächst übten die internationalen Sonderbeauftragten scharfe Kritik an dieser Aktion und bezeichneten sie als ungenügend. In einer gemeinsamen Erklärung, die am 1. Juni verbreitet wurde, sprachen die Sonderbeauftragten Mary Robinson, Russ Feingold, Boubacar Diarra, Koen Vervaeke und Martin Kobler in Bezug auf die Übergabe von Buleusa von einer „unwesentlichen Anzahl niederrangiger Kombattanten“, erinnerten daran, dass die FDLR „eine illegitime bewaffnete Gruppe“ ist und drängten „weitere und vollständige Kapitulation aller FDLR-Kombattanten und hoher Führer in den kommenden Tagen“. Wer sich nicht ergebe, von Gewalt abschwöre und sich einer Demobilisierung unterziehe, „wird Ziel militärischer Aktion durch FARDC und MONUSCO bleiben“, hieß es.27

Gemäß dessen kam weder der von der FDLR gewünschte politische Verhandlungsprozess mit Ruanda in Gang, noch wurden die FDLR-Kämpfer unter SADC-Schutz gestellt. Die nach Buleusa angereisten SADC-Vertreter sollen der FDLR erklärt haben, es sei völlig ausgeschlossen, dass SADC-Eingreiftruppen im Kongo Kombattanten bewaffneter Gruppen schützen würden. Die Miliz solle der kongolesischen Regierung als SADC-Mitglied vertrauen und auch der UNO, „der wir alle angehören“28.

So ist bis heute unklar, was aus den FDLR-Kämpfern werden sollte, die seit ihrer Übergabe in Kanyabayonga (Nord-Kivu) und Walungu (Süd-Kivu) in UN-Lagern untergebracht wurden. Sie sind gemäß den Standards des UN-Demobilisierungs- und Repatriierungsprogramms DDRRR befragt und durchleuchtet worden. Es gibt unterschiedliche Aussagen zu den Ergebnissen dieser Befragung, aber es scheint, als seien die meisten tatsächlich taugliche Kämpfer. Die ansonsten bei DDRRR-Screenings übliche Frage nach Rückkehrwilligkeit nach Ruanda und Kontakten in ihrer Heimat beantworteten diese Kämpfer bislang nicht, da sie sich offiziell nicht dem DDRRR-Programm zur freiwilligen und individuellen Rückkehr nach Ruanda angeschlossen haben.29

Der ursprüngliche MONUSCO-Plan sah vor, die beiden entwaffneten FDLR-Gruppen aus Süd- und Nordkivu mit UN-Transportfahrzeugen in einem Transitlager in Kisangani zusammenzuführen und von dort aus in die westkongolesische Provinz Equateur nach Irebu zu fliegen, mehr als 1500 Kilometer entfernt von der ruandischen Grenze und von ihren noch nicht demobilisierten Kameraden im Ostkongo. Doch die FDLR-Führung verweigerte dies. Selbst über die Unterbringung im Transitlager in Kisangani wird derzeit noch gefeilscht.30

25 FDLR Pressemitteilung vom 18.4.2014. 26 „FDLR spielt Freilufttheater“, taz, 2. Juni 2014; http://taz.de/Ruandische-Hutu-Miliz-im-Kongo/!139606/ 27 Joint Statement by the Special Envoys for the Great Lakes on the FDLR, 1.6. 2014 28 Interview mit einem Beteiligten der Buleusa-Zeremonie, Goma, Juli 2014. 29 Gespräche in Goma, Juli 2014. 30 „Les FDLR conditionnent toujours leur relocalisation à Kisangani“, Radio Okapi, 24.7.2014.

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2.3 Die Geschichte der Friedensverhandlungen: Gott und die Krieger

Die Geschichte der vergangenen Friedensverhandlungen mit der FDLR ist fast ebensoalt wie die Existenz der Rebellenorganisation. Bislang sind alle Versuche, die FDLR als Organisation zum Aufgeben zu bewegen, kläglich gescheitert – vor allem dann, wenn sich Kirchenvertreter als Mittler anbieten. Die Kirchenvorsteher von Sant'Egidio haben eine lange Geschichte, sich in afrikanischen Kriegen zu engagieren. Sie ermöglichten die Friedensverhandlungen im Bürgerkrieg in Mosambik 1992 und engagierten sich auf dem Balkan. Auch im Kongo-Krieg sind die italienischen Geistlichen seit vielen Jahren als Friedensvermittler aktiv. Für die FDLR gelten die Geistlichen als vertrauenswürdig. Das hat seine Gründe. Die ruandischen Hutu-Kämpfer hatten schon vor Gründung der FDLR eine innige Beziehung zur katholischen Kirche. Die engen und institutionellen Beziehungen zwischen Ruandas katholischer Kirche und dem Einparteienregime von Präsident Juvénal Habyarimana vor 1994 sind bekannt. Während des Völkermordes hatten zahlreiche katholische Priester den mordenden Hutu-Milizen dazu verholfen, diejenigen Tutsi abzuschlachten, die unter Todesangst in den Kirchen Schutz gesucht hatten. Bis heute sind die meisten ruandischen Hutu zutiefst katholisch. So auch die FDLR. Es gibt kaum einen Kämpfer der FDLR, der keinen Rosenkranz um den Hals trägt. Sonntags wird im Rebellenhauptquartier und an allen Frontstellungen gebetet – da müssen auch Militäroperationen mal für ein paar Stunden eingestellt werden. Die Hutu-Miliz hat ihre eigenen Geistlichen, die nicht nur Taufen und Hochzeiten absegnen oder Schwerverletzten die letzte Salbung verpassen, sondern in den Gottesdiensten und FDLR-eigenen Schulen die FDLR-Hutu-Ideologie predigen: „Gott hat Ruanda nur den Hutu gegeben, deswegen müssen die Tutsi aus unserem gelobten Land verschwinden“, erklärte einmal ein ex-Kämpfer, der für die Organisation der Sonntagsgottesdienste an den Frontstellungen zuständig war.31 Im Geschichtsbild der FDLR sind die Hutu das „auserwählte Volk Gottes“, das aus dem „heiligen Land“ vertrieben wurde und sich nun – ähnlich wie die Israeliten in Ägypten im Alten Testament – im kongolesischen Exil als Sklaven verdingen muss. Nicht zufällig lautet der Name des ersten Kampfsektors, sprich der Fronteinheiten, der FDLR-Truppen „Sinai“, nach der ägyptischen Halbinsel. Dessen Kommandant gab sich neben seinem Kriegsnamen „Omega“ auch den Namen „Israel“. Mit diesem Namen unterzeichnet und stempelt er die Identitätskarten seiner Front-Soldaten.32 Der zweite FDLR-Sektor, weiter im kongolesischen Hinterland, erhielt den biblischen Namen Canaan – jenes Stück Land, das in der Bibel zum „gelobten Land der Israeliten“ erkoren ist.. Gott habe ihnen den Weg gewiesen, in ihr „gelobtes Land“ zurück zu kehren, so der Sermon im FDLR-Gottesdienst. Diese sektenhafte Ideologie bildet die Grundlage für den Kampf der FDLR gegen die sogenannte Tutsi-Regierung in Kigali, die sie mitunter in ihren Pressemitteilungen als „teuflisch“ oder „satanisch“ bezeichnet.33 Für die FDLR ist die Rückeroberung Ruandas ein „heiliger“ Krieg auf Gottes Geheiß. Daher ist es kein Wunder, dass die FDLR kirchlichen Einrichtungen Vertrauen entgegen bringt und sich von Kirchenvätern zu Gesprächen einladen lässt. Sie vertrauen darauf, dass Gott in ihrem Sinne den Ausgang dieser Verhandlungen beeinflusst.

31 Interview mit ex-FDLR im DDRRR-Lager in Goma 2010. 32 FDLR ID-Karten im Archiv der Autoren. 33 FDLR Pressemitteilungen 2008 und 2009.

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2.4 Das Vorbild: Die ersten Sant'Egidio-Gespräche 2005 Die italienische Kirchengemeinde Sant'Egidio steht bereits seit über zehn Jahren mit der FDLR-Führung im engen Kontakt. Pater Matteo Zuppi stand über all die Jahre hinweg im regelmäßigen Telefonaustausch mit FDLR-Präsident Murwanashyaka in Deutschland.35 Bereits Anfang 2005 hatte Sant'Egidio die FDLR zu Verhandlungen eingeladen. Quer aus Europa, auch aus Deutschland, sowie aus dem kongolesischen Dschungel kamen FDLR-Führer nach Rom geflogen. Wochenlang hatten sich damals FDLR-Präsident Murwanashyaka, der erste Vize Musoni und der damalige zweite Vize Byiringiro in dem schmucken Kloster im Stadtzentrum herumgetrieben, gebetet, Reden gehalten und für ihre Organisation verhandelt. Immer wieder war Murwanashyaka zwischendurch aus dem Saal gegangen, um Militärchef Mudacumura im Dschungel anzurufen, berichteten anwesende Zeugen.36 Die Gespräche von Sant'Egidio 2005 fanden in einem ähnlichem Kontext statt wie die von 2014. Ähnlich wie heute drohten der FDLR damals ernsthafte Militärschläge seitens internationaler Eingreiftruppen im Kongo. Nachdem die reibungslose Bildung einer geeinten nationalen kongolesischen Armee im Laufe des Jahres 2004 an einer Meuterei der Tutsi-Generäle Laurent Nkunda und Jules Mutebutsi gescheitert war und die Anwesenheit der ruandischen Hutu-Kämpfer im Ostkongo daraufhin als Stolperstein zur Befriedung der Region ersichtlich wurde, hatte Ruanda im November 2004 eine Reihe begrenzter Militärschläge gegen FDLR-Stützpunkte in Nord-Kivu geführt. Ende November 2004 hatte Ruanda der UNO vorgeschlagen, entweder das Mandat der damaligen UN-Mission im Kongo (MONUC) in Richtung gewaltsame Entwaffnung der FDLR zu erweitern, oder eine afrikanische Truppe zu mandatieren, um „die ex-FAR/Interahamwe“ zu entwaffnen, oder gemeinsame Operationen mit der kongolesischen Armee zu erlauben, oder ruandische Truppen entweder allein oder unter kongolesischem Kommando gegen die FDLR auf kongolesischem Gebiet vorgehen zu lassen37. Der AU-Sicherheitsrat bekräftigte daraufhin „die Notwendigkeit, das Problem der ex-FAR und Interahamwe und der anderen negativen Kräfte in der DR Kongo resolut anzugehen38“ und der EU-Sonderbeauftragte Aldo Ajello stellte EU-Finanzierung für eine entsprechende AU-Truppe in Aussicht39. Der turnusmäßige AU-Staatengipfel in Abuja Ende Januar 2005 beschloss förmlich einen solchen AU-Einsatz, dessen Umfang auf 5.000 Mann geschätzt wurde. Auf einem AU-Treffen in Addis Abeba am 15. und 16. März 2005 legte Kongos Regierung einen Plan dafür vor: zunächst politischen Dialog mit der FDLR, um sie zur freiwilligen Aufgabe des bewaffneten Kampfes zu bewegen; danach militärischen Druck auf diejenigen Kräfte, die sich dem nicht anschließen würden. Für solche militärischen Operationen gegen alle ausländischen bewaffneten Gruppen im Ostkongo wurden insgesamt 30.000 bis 45.000 Soldaten für nötig gehalten, einschließlich der damals 11.000 UN-Blauhelme – entweder als gemeinsame UN-AU-Truppe oder als zwei getrennte Truppen40. Während dieser ganzen Zeit fanden bereits parallel in Rom unter der Schirmherrschaft von 35 Stuttgarter Kriegsverbrecherprozess Verhandlungstag 25 am 14.9.2014: TKÜ 714 vom 4.1.2009. 36 Gespräch mit einem Teilnehmer der Verhandlungen 2005. 37 Report of the Chairperson of the AU Commission on the situation in the east of the DRC and the relations between

DRC and Rwanda, 10.1. 2005. 38 Resolution des AU-PSC, 10.1.2005. 39 „Union Européenne 'prête' à financer désarmement des Rwandais dans l'Est“, Misna, 22.1.2005. 40 Rapport de la Réunion Consultative sur le désarmement et la neutralisation des ex-FAR/Interahamwe et autres

groupes armés à l'est de la RDC, Addis Abeba, 15.-16.3.2005.

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Sant'Egidio Gespräche statt. Die politische Führung der FDLR bot an, den bewaffneten Kampf aufzugeben – wenn Ruandas Regierung bereit sei, sich für einen Dialog mit der FDLR zu öffnen, diese als politische Kraft anzuerkennen und ihr Sicherheitsgarantien bei einer Rückkehr nach Ruanda zu geben. Dann würde die FDLR friedlich in ihre Heimat zurückkehren, um sich dort als politische Partei zu formieren. Genau dieselben Forderungen wie heute. Von Kongos Seite führte damals Regionalminister Mbusa Nyamwisi die Verhandlungen. Ruandas Sondergesandter für die Region der Großen Seen, Richard Sezibera, gab sich im Interview „optimistisch“: Endlich habe die internationale Gemeinschaft die Notwendigkeit einer gewaltsamen Entwaffnung der FDLR eingesehen, „die Schlinge um die negativen Kräfte schließt sich zu“41. Aber man warte noch darauf, über die Ergebnisse der Gespräche von Sant'Egidio informiert zu werden, an denen Ruanda nicht offiziell teilnahm. Am 31. März 2005 veröffentlichte die FDLR eine von Präsident Ignace Murwanashyaka unterzeichnete „Erklärung von Rom“42 als Abschluss der Gespräche, in der sie „vor Gott, der Geschichte und dem ruandischen Volk“ folgende Verpflichtungen abgab: „1. Die FDLR verpflichten sich, den bewaffneten Kampf zu beenden. Die FDLR beschließen, ihren Kampf ab jetzt in einen politischen Kampf umzuwandeln. In dem Maße, wie die begleitenden Maßnahmen identifiziert und umgesetzt werden, akzeptieren die FDLR die freiwillige Entwaffnung und die friedliche Rückkehr ihrer Kräfte nach Ruanda“. Zweitens verurteilten sie den Völkermord von 1994, drittens den Terrorismus und andere Verbrechen, und viertens forderten sie die Rückkehr der ruandischen Flüchtlinge nach Ruanda. Ein am 1. April 2005 vorgelegter Terminplan sah vor, dass ein gemeinsamer Ausschuss von Kongos Regierung und FDLR die Repatriierungsoperation vorbereiten solle, die 35 Tage nach der Erklärung beginnen könnte. Nötig sei, die „Sektoren der Operation“ festzulegen, Sensibilisierung vorzunehmen, Transitzentren einzurichten und zu sichern, sowie die Flüchtlinge und Kämpfer zu identifizieren. Dann könnten diese ab dem 5. Mai in die Transitzentren gehen und dort entwaffnet werden, um dann entweder nach Ruanda zu gehen, Flüchtlingsstatus im Kongo zu erhalten oder in ein Drittland gebracht zu werden. Die gesamte Operation solle drei Monate dauern. Am 2. April 2005 legte die FDLR einen Forderungskatalog vor, wie sie sich die „begleitenden Maßnahmen“ in Ruanda vorstellte. Sie forderte unter anderem eine Reihe von Veränderungen der Verfassung und des Parteiengesetzes Ruandas, Immunität vor Verfolgung vor den Gacaca-Gerichten, UN-Menschenrechtsbeobachter in Ruanda, ein Ende der „Umerziehungslager“, ein Ende der „Local Defence“ genannten lokalen Selbstverteidigungsmilizen in Ruanda sowie finanzielle Unterstützung zu ihrer Umwandlung in eine politische Partei. Ruandas Außenministerium begrüßte in einer Erklärung am 1. April „die Verpflichtung der Gemeinschaft Sant'Egidio, sich der internationalen Gemeinschaft im Streben nach einer raschen Entwaffnung und Demobilisierung dieser Gruppen anzuschließen“ und sagte, man sei informiert worden, dass die FDLR „bedingungslos die Waffen niederlegen und nach Ruanda zurückkehren“ wolle. Ruanda sei bereit, sie aufzunehmen. Man verstehe auch, dass Kongos Regierung mit der FDLR spreche, sei aber „tief besorgt über die Information, dass die UNO, die EU und manche Länder planen, sich an einen Tisch mit einer Gruppe zu setzen, die den letzten schrecklichen Völkermord des 20. Jahrhunderts beging“43. In dieser und weiteren offiziellen Erklärungen wurde klar, dass Ruanda die politischen Forderungen und Bedingungen der FDLR ablehnt. Die UN-Mission MONUC sagte, sie habe sechs Sammelpunkte identifiziert, um

41 Colette Braeckman, Interview avec Richard Sezibera, Le Soir, 21.3.2005. 42 Alle Dokumente im Besitz der Autoren. 43 Republic of Rwanda, Ministry of Foreign Affairs and Cooperation, Communiqué 1.4.2005

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demobilisierungswillige FDLR-Kämpfer entgegenzunehmen. Genannt wurden Lubero, Sake, Kanyabayonga (Nord-Kivu); Hombo, Walungu, Sange (Süd-Kivu). An Transitpunkten auf dem Weg dorthin würden Lebensmittel bereitgestellt werden und „Sensibilisierung“ sei im Gange. „Monuc wird die FDLR auffordern, Kombattanten und ihre Angehörigen so zu organisieren, dass sie in vorab festgelegten Wellen kommen, damit rund 300 Personen am Tag durchlaufen. Die Kombattanten werden entwaffnet, registriert, verpflegt und verbringen eine Nacht im Lager, bevor sie am nächsten Tag repatriiert werden“44. Aber nichts geschah. In mehreren Interviews sagte FDLR-Präsident Murwanashyaka, man sei „noch nicht bereit“45 und „wir können unseren Truppen nicht sagen, einfach so nach Ruanda zurückzugehen“46. Ähnliche Vorsicht zeigte auch die internationale Gemeinschaft: Wie es die US-Botschaft in Kinshasa ausdrückte: „Weder wir noch Monuc noch die Kongolesen hegten Illusionen. Selbst wenn der Sant'Egidio-Prozess zu 100 Prozent erfolgreich ist, wird es immer noch die Notwendigkeit einer Aktion irgendeiner Art geben, um das Problem der verbleibenden harten Kerns im Ostkongo anzugehen. Die wahren Völkermörder, zusammen mit den Rastas, haben keine Intention, freiwillig irgendwo hinzugehen. Sie ziehen es vielmehr vor, zu bleiben, von den Kongolesen zu leben und die regionale Stabilität zu stören. Diese Gruppe, die Monuc auf 3.000-5.000 Kämpfer schätzt, wird konfrontiert werden müssen. Die Kongolesen arbeiten mit angolanischer Hilfe an der Ausbildung einer kleinen Gruppe kongolesischer Militärs, die mit Monuc kooperieren könnte, um dieses Problem anzugehen, mit oder ohne begleitende AU-Kräfte.47“ Obwohl es zu diesem Zeitpunkt bereits danach aussah, als sei der Sant'Egidio-Prozess festgefahren, ließ sich die MONUC darauf ein, FDLR-Präsident Murwanashyaka zu hofieren. Er traf am 28. April in Kinshasa ein, traf sich am 29. April mit Vertretern der kongolesischen Regierung und am 30. April mit MONUC-Vertretern. Anschließend ließ sich Murwanashyaka von der MONUC im Kongo herumfliegen, um seine Kämpfer zu „sensibilisieren“. Am 4. Mai 2005 trat er auf der wöchentlichen MONUC-Pressekonferenz in Kinshasa auf und sagte, in Ermangelung eines Folgemechanismus zur Umsetzung der Rom-Erklärung werde die Repatriierung seiner Kämpfer nicht wie geplant am 5. Mai beginnen48. Murwanashyaka ließ sich von der MONUC im Kongo herumfliegen, um seine Kämpfer zu „sensibilisieren“. Am 11. Mai floger zusammen mit dem Leiter des DDRRR-Programms, Peter Swarbrick, sowie Präsident Kabilas Sonderberater Samba Kaputo nach Süd-Kivu, um in Walungu und Hombo FDLR-Kämpfer zu treffen. Er traf auch die FDLR-Führung in Nord-Kivu. Der kongolesische Minister Mbusa Nyamwisi traf sich am 12. Mai mit Vertretern der US-Botschaft in Kinshasa und sagte, Murwanashyaka habe wenig Glaubwürdigkeit bei den FDLR-Kampfeinheiten, um sie zur Rückkehr nach Ruanda zu bewegen, und Berater des kongolesischen Präsidenten seien nicht gewillt, die Rückkehr zu erzwingen49. Am 17. Juni war die Repatriierung der FDLR Thema eines Botschaftertreffens mit der kongolesischen Präsidentschaft, und weitere Treffen folgten. „Die Probleme, die von den meisten Beobachtern identifiziert werden, drehen sich um einen Mangel an Glaubwürdigkeit der Europa-basierten 'Führung' bei den FDLR-Truppen im Feld und andauernde Opposition durch höherrangige Feldkommandeure, von denen viele vermutlich in den Völkermord in Ruanda 1994 verwickelt waren50“.

44 Kabel der US-Botschaft in Kinshasa 05KINSHASA735, 2.5.2005, veröffentlicht von Wikileaks. 45 IRIN, Interview with FDLR leader Ignace Murwanashyaka, 5.4.2005. 46 „Les FDLR, prêtes à désarmer, veulent des garanties, affirme leur président“, AFP 11.4.2005. 47 Kabel der US-Botschaft in Kinshasa 05KINSHASA646, 15.4.2005, veröffentlicht von Wikileaks. 48 „Les FDLR menacent les élections en RDC“, Le Potentiel, 5.5.2005. 49 Kabel der US-Botschaft in Kinshasa 05KINSHASA800, 13.5.2005, veröffentlicht von Wikileaks. 50 Kabel der US-Botschaft in Kinshasa 05INSHASA1078, 1.7.2005, veröffentlicht von Wikileaks.

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Was im Einzelnen bei Murwanashyakas Reise geschah, lässt sich anhand von Interviews mit Beteiligten sowie Zeugenaussagen beim Prozess gegen Murwanashyaka und Straton Musoni in Stuttgart rekonstruieren51. Murwanashyaka war zunächst mit den nötigen „Schmiermitteln“ ausgestattet worden: Kongos Regierung hatte eine halbe Million Dollar zugesagt, sollte die FDLR die Waffen niederlegen und in ihre Heimat zurückkehren. Dies war eine symbolische Geste: Nachträglicher Sold für die ruandischen Hutu-Soldaten, die 1998-2002 auf Seiten von Kongos Regierungsarmee im zweiten Kongo-Krieg gegen Ruanda mitgekämpft hatten. Die Hälfte wurde sofort ausgezahlt. Die andere Hälfte sollte übergeben werden, wenn die FDLR Kongo tatsächlich verlässt. Mit einem Koffer voller Bargeld war Murwanashyaka in den Dschungel gereist. In Gummistiefeln, Jogginganzug, Regenjacke und Baseballmütze marschierte er sechs Wochen lang durch den Urwald, um die Dollar-Bündel an seine Truppen zu verteilen, insgesamt $250.000. Zehn Dollar sollten pro Soldat ausbezahlt werden, der Rest ging an die Kommandanten. Als das Geld schließlich verteilt wurde, war der Ärger groß: Nur diejenigen Soldaten, die während des Krieges bis 2002 im Westen des Kongo auf Seiten der kongolesischen Regierungsarmee gekämpft hatten, wurden ausbezahlt; diejenigen, die im Ostkongo Guerillakrieg geführt hatten, gingen leer aus, weil Kongos Regierung ihnen kein Geld schuldete. Mudacumura nahm zwar das Geld dankbar an, doch verweigerte sich der Entwaffnung. Eine freiwillige Rückkehr nach Ruanda kam für den Militärchef ebenso wie für rund ein Dutzend hoher Kommandeure schlichtweg nicht in Frage: Sie müssen in ihrer Heimat damit rechnen, wegen ihren mutmaßlichen Taten während des Völkermordes 1994 belangt zu werden. Dies gilt bis heute. Murwanashyaka berief das Comité Directeur ein, erläuterte die Rom-Erklärung und forderte von den hochrangigen Kommandeuren, diese Option zu akzeptieren und sich der internationalen Justiz zu stellen. „Er sagte, wir sind in einem Prozess, Ruanda zu überzeugen, damit wir friedlich zurückgehen“, berichtete ein Teilnehmer des Treffens. Einem weiteren Teilnehmer zufolge war die Ablehnung von Murwanashyakas Vorschlag allerdings so breit, dass er ohne Abstimmung verworfen wurde. Sein Leibwächter, der alle Kommunikation mitverfolgen konnteerinnert sich an eine Liste, die in Kigali angefertigt worden sei und die mutmaßlichen Genozid-Täter benannte, darunter die hochrangigen FDLR-Kommandanten. Man habe diese Liste im Internet gefunden und in einem Internetcafe ausgedruckt. Sie sei bei der Besprechung herum gereicht worden, berichtet der Leibwächter und fügt hinzu: „Dies hätte bedeutet, dass nach erfolgreichen Verhandlungen fast alle Einheiten ohne Kommandeure dagestanden wären“. Einige Kommandeure seien aus Angst aus dem Kongo geflohen, selbst bis nach Frankreich. Militärchef Mudacumura habe daraufhin an dem Plan festgehalten, die Macht in Ruanda auf militärischem Wege zu ergreifen.53 Innerhalb der politischen Führung kam es zum Streit. Präsident Murwanashyakas Position war offensichtlich geschwächt. Andere politische Führer wie Dr. Jean-Marie Vianney Higiro und Felicien Kanyamibwa spalteten sich mit rund 400 Kämpfern von der FDLR ab. Am 24. Juni erklärte Oberst Jeribual Amohoro alias Amani die Führung der Organisation für abgesetzt und sagte, sie sei „provisorisch“ durch eine „Militärführung für den Wandel“ (CMC-FOPCA) ersetzt worden. Diese stehe „total“ hinter der Rom-Erklärung. Der außenpolitische Kommissar der FDLR und ihr Vizepräsident bei der Gründung, Christophe Hakizabera, schloss sich den Dissidenten an und erklärte sich am 27. Juni zum neuen FDLR-Präsidenten anstelle Murwanashyakas – damit verlor dieser einen seiner wichtigsten politischen Verbündeten, mit dem zusammen er in Rom die

51Interviews mit ehemaligem Leibwächter Murwanashyakas 2009 und 2012. Aussagen vor Stuttgarter

Kriegsverbrecherprozess, Verhandlungstag, verschiedene Verhandlungstage 2012 und 2014. 53 Interview mit Ex-Leibwächter 2009.

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Verhandlungen geführt hatte. Am 5. Juli setzten Kämpfe zwischen den rivalisierenden Fraktionen ein, während zugleich die UN-Truppen in Süd-Kivu die Militäroperation „Falcon Sweep“ gegen die FDLR starteten. Im Stuttgarter Verfahren spricht Murwanashyakas Verteidigung von jener Zeit als Phase des „Putsches“, in welchem er keine tatsächliche Führungsgewalt inne gehabt hätte54. Im Grunde genommen war diese Spaltung – aus der Murwanashyaka schließlich siegreich hervorgehen sollte - das Resultat der Rom-Verhandlungen. Die Dissidenten waren der Ansicht, man müsse mit den Tutsi in Ruanda eine Kohabitation anstreben und um die politischen Ziele der Bewegung zu erreichen, müsse man sich von den mutmaßlichen Genozid-Tätern innerhalb der FDLR/FOCA Ränge trennen. Letztlich ließ sich 2005 lediglich eine Einheit von rund 400 Kämpfern unter Kommandeur Amani Amohoro von der UNO entwaffnen und von ihren Stützpunkten in Süd-Kivu unter Schutz der UN-Blauhelme nach Ruanda bringen. Von der FDLR-Militärführung wurde Amohoro als Verräter beschimpft, Murwanashyaka soll auf ihn ein Kopfgeld von $5000 ausgesetzt haben. Damals umfasste die FDLR-Kampfstärke rund 6000 Mann. Der Verlust von Amohoros Bataillon war nicht wirklich gravierend. Doch die Folgen hätten beachtlich sein können. Amohoro hatte über Vermittler im Vorfeld mit Ruandas Militärgeheimdienst einen Deal eingefädelt: Er sollte als hochrangiger Offizier in die offizielle Armee integriert werden. Solche Deals stellt Ruandas Geheimdienst ihren Erzfeinden bis heute regelmäßig in Aussicht, um sie aus dem Busch zu locken. Als ehemalige FDLR-Offiziere sind sie – reintegriert in Ruandas offizielle Armee – eine strategisch entscheidende Quelle für Informationen über und Taktiken gegen die FDLR. Doch diese Vereinbarung ging 2005 gewaltig schief:Anstatt in Ruandas Armee endete Amani Amahoro vor einem der Gacaca-Laiengerichte, die Völkermordtäter von 1994 verurteilen. Er wurde angeklagt, zu jener Zeit als junger Offizier Befehle zum Massenschlachten gegeben zu haben. Er wurde verurteilt und bekam lebenslang. Bis heute sitzt er in Ruanda im Kerker. Der Fall Amohoro war letztlich ein Beweis für die FDLR, dass die Rückkehr in ihre Heimat schlimm enden kann, dass man den Zusagen Kigalis nicht trauen kann. Umgekehrt war das Scheitern der Rom-Verhandlungen für Kigali ein Beweis, dass man der FDLR nicht trauen kann. Die UN-Mission im Kongo ließ sich ausnutzen: Sie flog offiziell FDLR-Präsident Murwanashyaka im Kongo umher, der von seinen Truppen mit militärischen Ehren und Militärparaden empfangen wurde. Das verlieh ihm und letztendlich der gesamten Organisation bei den eigenen Leuten im Dschungel einen Status als international anerkannter Verhandlungspartner, ja sogar als anerkannte ruandische „Exilregierung“ auf kongolesischem Territorium. Die noch Anfang 2005 diskutierte Option einer AU-Militäroperation gegen die FDLR war vom Tisch, ohne dass die FDLR selbst substantielle Zugeständnisse umsetzen musste. Vielmehr konnte sie den Staat im Staate, den sie im Ostkongo errichtet hatte, weiter ausbauen. Als im Dezember 2005 die Kongolesen zu den Urnen gerufen wurden, um in einer Volksabstimmung ihre neue demokratische Verfassung abzusegnen, sicherten FDLR-Truppen in Absprache mit der MONUC den Wahlvorgang in ihren Hochburgen mit ab55. Damit wurde dieser FDLR-quasi-Staat fast förmlich anerkannt.

54 Prozessprotokolle des Stuttgarter Kriegsverbrecherprozesses im Archiv der Autoren. 55 Gespräche mit Monuc in Goma, Dezember 2005.

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3 Ausblick und Perspektiven Die Historie der Verhandlungen von Sant'Egidio 2005 zeugt von gravierenden Parallelen mit dem derzeitigen Verhandlungsprozess. Nicht nur die Akteure sowie die Orte und vorschnell getroffenen Vereinbarungen, sondern auch die Hindernisse und Forderungen von allen Seiten sind sich allzu ähnlich. Wird der derzeitige Prozess demzufolge ähnlich im Sande verlaufen? Seit dem Treffen in Sant'Egidio vom Juni 2014 hat es keine substantiellen Fortschritte mehr im Prozess der Entwaffnung und Demobilisierung der FDLR gegeben. Zugleich wird der aktuelle Schwebezustand von allen Seiten als nicht haltbar angesehen. Welche Perspektiven ergeben sich daraus? 3.1 Die regionalen Akteure sind untereinander gespalten Am 2. Juli 2014 beschloss ein Gipfeltreffen von ICGLR und SADC in Angolas Hauptstadt Luanda, der FDLR eine Frist von „ungefähr sechs Monaten“ zu geben, um freiwillig die Waffen niederzulegen56. Diese Entscheidung erfolgte auf Empfehlung der Regierung der Demokratischen Republik Kongo und gegen den Willen der Regierung Ruandas. Selbst Angola hatte eine Frist von drei Monaten empfohlen. MONUSCO-Chef Martin Kobler hatte sogar einen Zeitraum von lediglich 22 Tagen einräumen wollen, war damit aber bereits vor dem Sant'Egidio-Treffen gescheitert. Auf einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates zum Kongo am 7. August 2014 sagte Kobler, die FDLR habe die Sechs-Monats-Frist „als Aufruf, den Prozess zu blockieren“ interpretiert: „Außerdem hat die Wahrnehmung, dass es keinen militärischen Druck gibt, den Prozess eingefroren.“ Bezeichnenderweise habe die FDLR-Führung in der Woche nach dem ICGLR-SADC-Gipfel drei Treffen abgesagt, danach mehrere Delegationen der MONUSCO, SADC und des Kongo ignoriert und „jede weitere Entwaffnung verhindert.57“ Koblers pessimistische Einschätzung widersprach diametral der der kongolesischen Regierung. Deren Außenminister Raymond Tshibanda sagte dem UN-Sicherheitsrat, es gebe „quasi tägliche“ Treffen des für die Entwaffnung eingesetzten Folgemechanismus – wöchentlich für militärische Angelegenheiten, monatlich für „politische und strategische“. Das erste dieser letzteren Treffen habe ab 14. Juli stattgefunden, das zweite am 2. August und dabei sei beschlossen worden, eine Delegation zu schicken, um den Prozess zu evaluieren; Experten seien dabei, „Benchmarks“ zu entwickeln und am 2. September sei das nächste Treffen angesetzt58. Kongos Sichtweise wurde von Südafrika geteilt, das zur „Respektierung“ der Sechs-Monats-Frist aufrief, nicht aber von Angola, dessen Verteidigungsminister Joao Lourenco sich „besorgt über den langsamen Fortschritt“ zeigte und „kein greifbares Zeichen“ einer Entwaffnungswilligkeit der FDLR erkannte59. Die schärfste Kritik kam naturgemäß von Ruanda, dessen UN-Botschafter Eugène-Richard Gasana sagte: „Indem sie die weder neuen noch glaubwürdigen Ablenkungsmanöver der Völkermordkraft FDLR mitspielt, verkomplizieren und verlängern regionale internationale Akteure einen Konflikt, für den die Region bereits einen tragischen Preis gezahlt hat“. Dies „könnte die Bühne für weitere Konflikte in der Region bereiten, wenn einige Akteure mit verborgenen Absichten die FDLR-Präsenz ausnutzen, um ihre eigenen negativen Ziele zu verfolgen“60.

56 Second Joint ICGLR-SADC Ministerial Meeting, 2.7.2014, Communiqué. 57 Statement to the UN Security Council, Martin Kobler, New York, 7.8.2014. 58 Übertragung der UN-Sicherheitsratssitzung per UN-Web-TV, 7.8.2014. 59 Ibid. 60 Remarks by Minister of State in Charge of Cooperation, Eugene-Richard Gasana, at the UN Security Council

Debate on MONUSCO, 7. 8.2014.

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Vor Ort bewegt sich offenbar wenig. Nach den ersten FDLR-Entwaffnungszeremonien im Mai und Juni hatte Kongos Regierung für Nord- und Süd-Kivu jeweils eine „Gemischte Technische Kommission“ aus Angehörigen der Regierung, der FDLR und der MONUSCO eingerichtet, um den Prozess voranzutreiben61. Hochrangige FDLR-Kommandeure wie Oberst Stany sind darin Mitglied. Bei Treffen dieser Kommissionen soll vereinbart worden sein, dass bis zur Sicherheitsratssitzung am 7. August die FDLR zu 70 Prozent entwaffnet sein sollte und bis zum 20. August 80 Prozent - womit nicht nur die Anzahl an Kämpfern, sondern auch der Anteil an zurückzugebendem Territorium gemeint war. Diese Fristen werden offensichtlich nicht eingehalten und wurden jetzt auf Oktober verschoben. Mittlerweile ist nicht einmal der vereinbarte Transfer der bereits entwaffneten FDLR-Kämpfer aus Walungu und Kanyabayonga in ein Militärlager in Kisangani erfolgt. Die MONUSCO hatte zwar ein Flugzeug bereitgestellt, um die erste Ladung FDLR-Kämpfer aus Süd-Kivu nach Kisangani zu bringen, aber die Kämpfer sagten am 18. Juli, sie hätten von ihren Führern keinen Befehl erhalten, sich in Bewegung zu setzen, und wollten erst eine Sondierungsmission nach Kisangani schicken, um ihr Ziellager zu inspizieren62. Die Boeing 727 stand Anfang August weiterhin auf dem Flughafen Kavumu von Bukavu. Auch aus Kanyabayonga haben die Kämpfer den Transfer nach Kisangani verweigert. Dieser Boykott der Verlagerung der Kämpfer durch die FDLR zeigte, dass die FDLR-Kämpfer in den UN-Lagern keineswegs demobilisiert sind; sonst würden sie nicht mehr auf Befehle ihrer FDLR-Befehlshaber warten und hören. Sie werden aber dennoch, und obwohl sie sich nicht dem laufenden DDRRR-Programm der UNO zur Rückführung repatriierungswilliger ausländischer Kämpfer aus dem Kongo in ihre Heimatländer unterworfen haben, von der MONUSCO beschützt, bewacht und versorgt, womit die UN vermutlich viel Geld ausgibt, um eine mit UN-Sanktionen belegte negative Kraft zu ernähren: „Wir haben gemeinsam mit der FARDC Sicherheit, medizinische Dienstleistungen, fast 50 Sonderflüge und über 20 Tonnen Lebensmittel zur Verfügung gestellt“, so Kobler63. In der kongolesischen Gesellschaft kommt das nicht gut an. In den tatsächlich oder potentiell betroffenen kongolesischen Provinzen Nord-Kivu, Orientale und Equateur hat es Proteste gegen die angelaufene oder vorgesehene Stationierung von FDLR-Kämpfern gegeben, begleitet von Erklärungen zivilgesellschaftlicher Verbände. In Nord-Kivu verlangten Frauenverbände, die entwaffneten Kämpfer direkt nach Ruanda zu schicken64. In Kisangani organisierten zivilgesellschaftliche Gruppen am 25. Juli einen Generalstreik gegen den Transfer der FDLR in ihre Stadt, die im Jahr 2000 Schauplatz der blutigsten militärischen Auseinandersetzungen zwischen ruandischen und ugandischen Armeeeinheiten mit mehreren hundert zivilen kongolesischen Toten gewesen war; er wurde nicht befolgt, aber ähnliche Maßnahmen in anderen Städten der Provinz Orientale schon65. Es ist deutlich, dass sich eine tiefe Kluft zwischen MONUSCO und Kongos Regierung aufgetan hat, was den weiteren Vollzug des angelaufenen FDLR-Entwaffnungsprozesses angeht. Am 7. Juli hatte Kobler noch im Interview erklärt: „Wir haben jetzt eine große Chance, die FDLR auf friedliche Weise zu demobilisieren. Ich sehe zurzeit den Beginn eines Prozesses, der aber an

61 Interview mit Kommissionsmitglied in Goma und Auskünfte in Kinshasa, Juli 2014. 62 „Une commission mixte annoncée à Kisangani pour visiter les sites d'accueil des FDLR“, Radio Okapi, 20.7.2014 63 Erklärung vor dem UN-Sicherheitsrat, 7.8.2014. 64 „Les femmes du Nord-Kivu s'Äopposent au cantonnement des FDLR en RDC“, Radio Okapi, 8.6.2014. 65 „Kisangani : la journée ville morte pour protester contre l’arrivée des FDLR n’a pas été suivie“, Radio Okapi,

26.7.2014; „Relocalisation des FDLR: « journée ville morte » observée dans 5 territoires de la Province Orientale“, Radio Okapi, 29.7.2014.

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Glaubwürdigkeit noch erheblich gewinnen muss. Kriterien sind für uns: eine schnelle und bedingungslose freiwillige Entwaffnung von Kombattanten und die Übergabe der Waffen, die Übergabe von Territorium von der FDLR an die kongolesische Regierung sowie sofortiger Stopp aller Menschenrechtsverletzungen“.66 Am 7. August warf er hingegen öffentlich vor dem UN-Sicherheitsrat der FDLR vor, sie habe den Prozess „eingefroren“. Umgekehrt hatte Kongos Informationsminister Lambert Mende noch am 3. April gesagt, die FDLR werde „ohne Unterlass“ von Kongos Armee gejagt und das Ziel sei die „Auslöschung“ aller bewaffneten Gruppen einschließlich der FDLR67. Aber am 7. August lobte Außenminister Raymond Tshibanda das Bekenntnis der FDLR zur „freiwilligen Entwaffnung“ und sprach nicht von „Auslöschung“, sondern von einer „nicht verhandelbaren Option: wenn sie nicht nach Hause gehen, müssen die FDLR-Element, einmal entwaffnet und demobilisiert, unbedingt das kongolesische Staatsgebiet verlassen“68. Nicht einmal über die Bilanz der bisherigen Entwaffnungen und der Stärke der FDLR gibt es Konsens. Laut MONUSCO zählt die FDLR noch maximal 1500 aktive Kämpfer im Kongo, laut Mende weniger als 1000. Laut Kobler haben sich im Mai und Juni 186 FDLR-Kämpfer und 430 Angehörige der MONUSCO gestellt, laut Tshibanda 250 Kämpfer und 450 Angehörige. Solche Ungenauigkeiten und Widersprüche erzeugen Misstrauen bei Ländern wie Ruanda, die sowohl Kongo als auch der UNO immer wieder Komplizenschaft mit der FDLR unterstellen. Doch die Uhr tickt. Die von ICGLR/SADC gesetzte Sechs-Monats-Frist läuft Anfang 2015 ab. Bereits nach drei Monaten, im Oktober soll es eine Evaluierung geben, die angesichts der Differenzen zwischen den Parteien vermutlich zu unterschiedlichen Empfehlungen führen wird, was militärischen Druck auf die FDLR angeht – die MONUSCO, die USA, Ruanda und eventuell Angola sind für solchen Druck; die FDLR, Kongo, Frankreich und Südafrika sind dagegen. Die diametral entgegengesetzten Sichtweisen zeugen davon, dass es wieder einmal keinen internationalen Konsens zum Umgang mit der FDLR gibt. Ohne Konsens aber dürfte es schwer werden, eine koordinierte internationale Strategie gegenüber dieser Miliz zu entwerfen und umzusetzen, und ohne Strategie wird die MONUSCO nicht handeln können, egal wie sie selbst den Prozess bewertet. Dies weiß auch die FDLR und verhärtet ihre Position. In Reaktion auf Koblers Äußerungen vor dem Sicherheitsrat sagte sie, dass DDRRR „nur als Ergebnis eines politischen Dialoges zwischen der RPF-Kagame-Regierung und der FDLR-ruandischen Opposition angewandt werden kann und nie als Vorbedingung“e69. 3.2 Die FDLR steht mit dem Rücken zur Wand

Vergangene Erfahrungen lehren, dass Verhandlungsprozesse zu Differenzen innerhalb der FDLR führen. Und die Miliz ist derzeit ohnehin bereits unter starkem Druck. Sie war militärisch noch nie so schwach wie jetzt. Ihre effektive Kampfstärke ist auf schätzungsweise 1200 bis 1500 aktive Kämpfer unter Waffen geschrumpft. Die vergangenen Attacken auf Ruandas nordwestliches Grenzgebiet im Dickicht des Virunga-Parks sind kläglich gescheitert. Die Kampfmoral ist am Boden – aus mehreren Gründen:

− Ruandas Armee hat ihre Truppen entlang der Grenze voll aufmarschiert, jeglicher Angriff ist faktisch eine Selbstmordaktion. Bereits die Operation gegen Ruanda im November 2012 wurde als „Kamikaze“-Mission tituliert. Die angreifenden Kämpfer mussten von Oberst

66 Schriftliches Interview 7.7.2014. 67 Point de presse du Ministre des Médias, porte-parole du Gouvernement, le 3.4.2014. 68 Raymond Tshibanda auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrats, 7.8.2014. 69FDLR-Brief an Russ Feingold, gez. Victor Byiringiro, 8.8.2014.

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Stany regelrecht dazu gezwungen werden.70

− Zwischen den FDLR-Einheiten im Nord-Kivu und Süd-Kivu klafft seit 2012 eine Lücke von hunderten Kilometern, die sich nicht überbrücken lässt. Es gibt keinen physischen Kontakt zwischen den Einheiten. Die damit einhergehenden logistischen Herausforderungen sind enorm, die Süd-Kivu-Truppen fühlen sich faktisch marginalisiert, können auch an den Treffen der Leitungsgremien und des Oberkommandos nicht teilnehmen.71

− Selbst in Nord-Kivu kontrolliert die FDLR kein größeres zusammenhängendes Gebiet mehr. Die beiden Sektoren sind nur durch Korridore miteinander verbunden. Die FDLR-Kämpfer müssen Allianzen mit lokalen Milizen eingehen, um von den Frontstellungen im Virunga-Park in Rutshuru-Distrikt zum Hauptquartier im Distrikt Lubero zu gelangen.72

− Die wirtschaftlichen Tätigkeiten, sprich der Bereich „nonkonventionelle Logistik“, wie er bei der FDLR genannt wird, ist zusammengebrochen. Die FDLR verdient schon lange nicht mehr so viel Geld wie früher durch Besteuerung der Bevölkerung, Straßenblockaden, Kontrolle des Holzkohle-Handels oder durch Goldhandel.73

− Das brutale Vorgehen der Raia-Mutomboki-Miliz gegenüber den FDLR-Familien mit Massakern gegen Frauen und Kindern in den vergangenen Jahren, vor allem in Süd-Kivu, haben vielen Kämpfern die Moral genommen. Plötzlich war ihnen klar: Sie können nicht einmal mehr ihre eigenen Familien beschützen.

− Dies führte unter der politischen Führung zu einer Legitimitätskrise: Die Selbstdarstellung als Schutzmacht der ruandischen Hutu-Flüchtlinge bekam Risse. Der Schutz konnte nicht mehr garantiert werden. Damit formierte sich auch unter den ruandischen Hutu-Flüchtlingen Widerstand gegen die FDLR als politische und militärische Vertreter. Die Hutu-Flüchtlinge leiden unter den derzeitigen Bedingungen enorm: Krankheiten, Unterernährung, Mangelerscheinungen, Unterversorgung und die stetige Angst vor den Raia Mutomboki-Milizen ist Nährboden der Unzufriedenheit, auch gegenüber ihrer eigenen Schutzmacht.

− Die FDLR ist in Anbetracht all dieser Herausforderungen in sich zutiefst gespalten: Die zivile Führung des politischen Flügels unter Interimspräsident Byiringiro hat schon lange erkannt, dass der militärische Eroberungsfeldzug von Ruanda ein Wunschtraum bleibt. Sie präferieren eine politische Lösung, und dies ist das Ziel der Neupositionierung, die in den neuen Bündnissen mit ruandischen Exilparteien und in den Gesprächen von Sant'Egidio ihren Ausdruck gefunden hat. Nachdem die in Deutschland lebende politische Führung seit 2009 in Haft sitzt und das europäische Unterstützungsnetzwerk der FDLR sich teilweise aufgelöst hat, konnte sich Byiringiro – nach wie vor lediglich Übergangspräsident – mittlerweile vor Ort im Dschungel eine eigene Machtbasis aufbauen. Eine Machtbasis, die zunehmend mehr unabhängig vom militärischen Flügel der FDLR ist. Byiringiro und Militärchef Mudacumura gelten als Erzfeinde, die sich nicht ausstehen können und sich im Hahnenkampf gegenseitig zerfleischen. Für die politischen Allianzen der FDLR mit anderen ruandischen Gruppen ist der militärische FDLR-Flügel FOCA unter General Mudacumura eher eine Last als ein Gewinn, da er für Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und auch Mittäterschaft am ruandischen Völkermord steht; Mudacumura wird vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesucht und seine Auslieferung wird als Teil des Prozesses einer Entwaffnung der FDLR erwartet.

− Der militärische Flügel FOCA ist dadurch stark geschwächt. Militärchef Mudacumura gilt zudem als körperlich angeschlagen: Er ist stark diabetisch und alkoholkrank. Die sicheren

70 Interview mit einem gefallenen, verletzten FDLR-Kämpfer am 4. Dezember 2012 in Gisenyi. 71 Interview mit demobilisierten Offizieren des Süd-Kivu-Stabes, Februar 2013. 72 Interview mit einer Antenne – sogenannte Verbindungsoffiziere – zwischen den Sektoren und anderen Milizen,

Februar 2013. 73 Interview mit Ex-FDLR zuständig für Logistik in Nord-Kivu-Sektor, Februar 2013.

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Hauptquartiere in den Wäldern von Walikale musste die FOCA bereits 2012 räumen. Seitdem sind die Kommandanten auf der Flucht - mehr schlecht als recht beschützt von der Reservebrigade und dem Hauptquartier-Schutz-Bataillon, deren Kampfstärke ebenso nachgelassen hat. Vize-Militärchef Bigaruka ist 2013 von einer Mission nach Tansania nicht zurückgekehrt. Stabschef Mugaragu wurde 2012 von lokalen Milizen, die im Auftrag des ruandischen Geheimdienstes rekrutiert wurden, getötet. Insgesamt starben 2012 fast ein Dutzend entscheidender Kommandanten durch gezielte Tötungs-Kommandos. Der wichtigste: Oberst Sadiki. Das hat nicht nur die Moral zerstört, sondern zeitweilen ist die komplette Kommandokette kollabiert. Die FOCA musste sich 2011/2012 komplett neu strukturieren.74

− Die Desertionszahlen in den vergangenen Jahren waren relativ hoch: Im Durchschnitt rund 100 Kämpfer pro Monat. Die meisten aus den Truppen in Süd-Kivu. Viele Dutzende hochrangige Offiziere waren darunter, darunter auch Führungsoffiziere des Süd-Kivu-Stabes.75 Der einst straff organisierten Militärstruktur fehlt es seitdem an Offiziers-Nachwuchs. Diese Männer zu ersetzen – nicht nur in ihrer Kommandofunktion, sondern auch in ihrer Vorbildfunktion für die nächste Generation ruandischer Hutu-Kämpfer – ist schier unmöglich. Die FDLR-eigene Offiziersschule musste nach der Flucht aus dem Hauptquartier in Walikale geschlossen werden.

− Die FOCA ist nicht nur im kongolesischen Busch in Nord und Süd geteilt, sondern auch in ihrer Herkunfts-Abstammung in Ruanda selbst. Mudacumura stammt gebürtig aus dem Distrikt Rubavu in Nordwest-Ruanda, der Heimatregion des ehemaligen Hutu-Präsidenten Juvénal Habyarimana und der wichtigsten Hardliner, die 1994 den Völkermord organisierten. Andere einflussreiche Kommandanten wie z.B. Oberst Gakwerere alias Stany hingegen stammen aus Süd-Ruanda. Sämtliche Angriffsmöglichkeiten der FDLR aus dem Kongo heraus auf ruandisches Gebiet reduzierten sich in den vergangenen Jahren auf die Flanke bei Rubavu/Musanze – also gegen den Norden. Die Hoffnung, jemals ihre südlichen Heimatdörfer zurück zu erobern, haben die Kommandanten aus Süd-Ruanda schon lange aufgeben müssen. Daher gelten sie als verhandlungsbereiter und schlossen sich jüngst Byiringiro an.

− Die Zusammensetzung der FOCA-Truppen hat sich in den vergangenen 20 Jahren in Hinsicht der Generationen verschoben. Die FOCA rekrutiert nach wie vor junge ruandische Hutu, gibt sie zu. Doch diese sind nicht mehr kampferfahren wie die Kämpfer von vor 20 Jahren, die sich aus der ehemaligen ruandischen Regierungsarmee FAR zusammensetzten. Die FDLR-Militärschulen mussten nach der Flucht aus dem Hauptquartier 2009 ebenso mehrfach verlegt werden. Die Rekruten stammen heute hauptsächlich aus dem eigenen Nachwuchs innerhalb der ruandischen Hutu-Flüchtlingsgemeinde. Diese jungen Kämpfer sind zwar ideologisch in den FDLR-eigenen Schulen auf den Kampf gegen die Tutsi getrimmt worden, doch sie sind im Exil aufgewachsen und kennen ihre Heimat Ruanda kaum. Es ist eine Generation, die allein aufgrund ihres Alters nicht als völkermordverdächtig gelten kann, auch wenn Ruanda ihnen „Genozidideologie“ vorwerfen könnte. Diese jungen Kämpfer müssen also juristisch weniger befürchten als die alten, wenn sie entwaffnet nach Ruanda zurückkehren.

74 Recherchen der taz zu den Tötungskommandos 2012. 75 Demobilisierungsstatistiken der DDRRR im Besitz der Autoren.

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3.3 Der UNO sind die Hände gebunden

Eigentlich müsste die internationale Gemeinschaft die aktuelle Schwäche der FDLR jetzt taktisch ausnutzen, bevor sich die Organisation ihre Neuaufstellung abschließt. Die MONUSCO steckt jedoch nicht nur wegen der verfahrenen regionalen Lage in einer Zwickmühle, sondern auch in ihrer eigenen Strategiefindung. Denn um es mit der FDLR aufzunehmen, dazu wurde die FIB nicht konzipiert. Die FIB ist für konventionelle Stellungskriege konzipiert worden, wie zum Beispiel gegen die M23, die ebenfalls mit Artillerie bewaffnet war. Die FDLR jedoch verfolgt die Taktik des Rückzugs und vermeidet alle Stellungskriege. Aber innerhalb der MONUSCO will das offiziell niemand zugeben. Wer hier nach Antworten bohrt, stößt auf verlegenes Schweigen, peinliches Räuspern. Kurz: Verschwiegenheit an allen Ecken und Enden. Seit die FDLR im Dezember 2013 erklärt hatte, sie hätte die Waffen niedergelegt und sei bereit, eine friedliche Lösung zu verfolgen, sind der Eingreiftruppe FIB praktisch die Hände gebunden. Das MONUSCO-Mandat sieht als erstes Ziel den Schutz der Zivilbevölkerung vor. Rebellen ohne Waffen stellen keine direkte Bedrohung für die Bevölkerung dar. Sie sind zudem von der lokalen Zivilbevölkerung auf Anhieb nicht zu unterscheiden. Die meisten sprechen fließend Kisuaheli und bewegen sich nach nunmehr 20 Jahren im Dschungel wie Kongolesen. Solange sie also unbewaffnet in zivilen Klamotten in den Dörfern herumlungern, kann die Eingreiftruppe nicht einfach gegen sie vorgehen. Vor allem rund um das Dorf Buleusa, wo der UN-Hubschrauber die FDLR-Führer für Sant'Egidio abholte, bemühen sich die Kämpfer den Eindruck zu machen, sie seien ganz normale Leute, ruandische Hutu-Flüchtlinge im Exil im Kongo. Doch nur ein paar Dutzend Kilometer weiter, so bestätigen es Militärbeobachter, marschieren die FDLR-Kämpfer wieder in Uniform und mit Kalaschnikow umher. Ein Theaterspiel, der Welt weiszumachen, sie hätten die Waffen tatsächlich abgelegt. Wosind denn dann diese Waffen? Eine bislang gut bewaffnete Miliz, die ihre Kalaschnikow und Raketenwerfer im Dschungel vergräbt, um sie bei Bedarf wieder einzusetzen, kann nicht von sich behaupten, sie hätte „die Waffen niedergelegt“, wie FDLR-Sprecher Laforge dies stetig bekräftigt. Daraus ergibt sich das nächste Dilemma: Die FDLR kontrolliert schon lange kein größeres zusammenhängendes Gebiet mehr, wie früher. Sie lungern zerstreut in Dörfern und im Virunga-Nationalpark herum, kontrollieren vor allem Handelswege – in kleinen versprengten Einheiten. Mit einer konventionellen Kriegstaktik gegen sie vorzugehen, wie gegen die M23 im Jahr 2013, ist schier unmöglich. Das geben sämtliche Militärexperten der UN zu. Zudem hat sich die FDLR schon immer die Taktik zu Eigen gemacht, sich mitten unter der Bevölkerung zu bewegen. Nicht nur Kongolesen dienen als menschliche Schutzschilde, sondern auch die ruandischen Hutu-Flüchtlinge, als deren Schutzmacht sich die FDLR versteht. Meist sind es Frauen und Kinder der Kämpfer, die zusammen mit der FDLR in Lagern oder Dörfern leben. Die aktiven FDLR-Kampfeinheiten tragen wiederum kongolesische Armee-Uniformen, selbst mit Kongos Flagge an der Schulter.76 Sie sind von Kongos regulären Soldaten fast nicht zu unterscheiden. Stellungen mit Kampfhubschraubern zu bombardieren, Raketen auf Hauptquartiere abzufeuern, wie es bei den Operationen gegen die M23 und ADF der Fall war – das geht hier schlicht weg nicht. Das Risiko, Zivilisten zu töten, ist einfach zu groß. Damit würde die MONUSCO gegen ihr eigenes Mandat verstoßen. Ein gewaltiges Dilemma. Vor allem dann, wenn die Legitimation der FIB als neues Instrument des Peacekeepings und Peaceenforcements in Frage steht, weil mit ihr die UN zur Kriegspartei wird.. Die gemeinsamen Militäroperationen von Ruandas und Kongos Armee gegen die FDLR im Jahr

76 Fotos der Front-Truppen in kongolesischen Uniformen im Archiv der Autoren.

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2009 (Umoja Wetu) hatten damals brutale Kriegsverbrechen gegen Kongos Bevölkerung provoziert: Die FDLR hatte Massaker und Massenvergewaltigungen unternommen, um sich bei den Kongolesen zu rächen, sogenannte „Bestrafungsoperationen“, die sie meist per Brief vorher angekündigt hatte. Diese Befürchtungen stehen auch jetzt im Raum – man erinnere sich an den „Warnbrief an die UN“ der FDLR vom November 2013, einen Monat bevor sie angeblich die Waffen niederlegte und Verhandlungen forderte. Dies alles gibt der FDLR jetzt die Möglichkeit, die Unschlüssigkeit sowie die Spaltungen innerhalb der internationalen Gemeinschaft auszunutzen. Die Historie der Verhandlungsversuche mit der FDLR-Führung bezeugt: Die FDLR zeigt sich stets dann verhandlungsbereit, wenn sie unter militärischen Druck gerät. Sie vertraut den katholischen Mittlern, die mit Gottes Segen die Verhandlungen leiten sollen – zu Gunsten der FDLR. Die Umsetzung scheitert bislang jedoch stets an der inneren Gespaltenheit der Organisation, die sich dadurch noch mehr in sich selbst zerstreitet. Dies ist auch aktuell der Fall.

Durch Verhandlungsbereitschaft gelingt es der FDLR jedoch stets, ihre momentane militärische Schwäche durch politische Manöver in eine Stärke zu transformieren: Sie gewinnt Zeit, die im Busch genutzt wird, sich militärisch neu auszurichten und aufzustellen. Sie gewinnt Zeit, einen neuen inneren Konsens zu finden sowie sich mit ihren neuen Koalitionspartnern absprechen. Sie kann zudem nach außen ihre politische Legitimation stärken, indem sie Verhandlungsbereitschaft signalisiert und damit den Schwarzen Peter all denjenigen in die Schuhe schiebt, die sich nicht auf den angeblichen Verhandlungsversuch einlassen – allen voran Ruandas RPF-Regierung in Kigali.

3.4 Der Anfang vom Ende oder eine neue Spielrunde?

Betrachtet man das Innenleben der FDLR-Miliz sowie die Geschichte vorangegangener Verhandlungsversuche, dann kann man zu folgenden Schlüssen kommen:

− Die FDLR galt einst als die schlagkräftigste und stärkste ausländische bewaffnete Gruppe im Ostkongo, ist es aber nicht mehr. Im Gegenteil: Sie ist militärisch derzeit so schwach, dass sie bereits einen „taktischen Rückzug“ vollzogen hat, noch bevor die FIB oder Kongos Armee einen einzigen Schuss gegen sie abfeuerte. Sie zog sich unter die kongolesische und ruandische Hutu-Bevölkerung zurück – ein raffinierter Schachzug, weil sie somit für FIB und Kongos Armee unerreichbar bleibt. Gegenüber der FDLR bleibt die schwerstbewaffnete FIB ein zahnloser Tiger. Mit dieser Taktik gelingt es der FDLR erneut, aus ihrer derzeitigen militärischen Schwäche eine politische Stärke zu machen. Die internationale Gemeinschaft hat zwar angesichts der Verzögerungen der letzten Monate immer weniger Vertrauen in die Ehrlichkeit der FDLR. Dennoch bleibt ihr – trotz aller neuen Instrumente der UN-Eingreiftruppe und der teuren Drohnen zur Luftaufklärung – jetzt nichts anderes übrig, als sich mit der FDLR an den Tisch zu setzen. Ruanda lehnt dies zwar prinzipiell ab, denn das gesamte politische System Ruandas nach dem Völkermord baut auf dem Prinzip auf, dass den Tätern von 1994 und ihren ideologischen Verbündeten und Nachfolgern kein politischer Spielraum zu gewähren ist. Dennoch lassen sich alle internationalen Akteure darauf ein, die FDLR vorrangig als politisches und nicht als militärisches Gegenüber zu behandeln. Aus dem simplen Grund heraus: Sie wissen nicht, was man sonst mit der FDLR anstellen soll. Immer wieder droht die internationale Gemeinschaft verbal mit Militärschlägen und sagt, die militärische Option „bleibt auf dem Tisch“. Doch dass dies realistisch nicht umzusetzen sind, ist auch der FDLR-Führung klar, vor allem da sie gute Beziehungen zu Akteuren innerhalb Kongos Armee unterhält, die ebenfalls ihre Waffenbrüder nicht angreifen wollen.

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Im Anbetracht dieses Dilemmas kann man nur hoffen, dass die FDLR/FOCA sich untereinander wieder – ähnlich wie 2005 – so sehr zerstreitet, dass es zu Abspaltungen und Machtkämpfen kommt. Die Geschichte der FDLR zeigt aber auch, dass die Organisation durch eine stark religiös geprägte Ideologie zusammengehalten wird, deren „Endziel“ zukunftsgerichtet und vermeintlich von Gott geheißen ist. Die FDLR als Organisation als solche zu zerschlagen ist wohl schwieriger, als mit einzelnen Führungsfiguren umzugehen. Diesem Ansatz war bislang das DDRRR-Programm gefolgt, das in den vergangenen zwölf Jahren mehr als 11.000 FDLR-Kämpfer erfolgreich repatriiert hat. In den jüngsten Diskussionen über eine „freiwillige Entwaffnung“ der FDLR hat die MONUSCO aber einen möglicherweise folgenreichen Fehler begangen: Sie hat sich vom DDRRR-Programm als unverhandelbare, einzige Grundlage einer Demobilisierung der FDLR verabschiedet. Stattdessen will sie mit der Organisation als Ganzes zu einer Lösung kommen. Das vergangene Jahrzehnt hat jedoch gezeigt: Man kann nur mit gewissen Individuen oder Flügeln der FDLR verhandeln, nicht aber mit der Organisation als solche. Dazu muss die internationale Gemeinschaft aber wissen, mit wem sie da am Tisch hockt und welche Individualinteressen diese Akteure vertreten. Es ist also wichtig, innerhalb der FDLR die Spreu vom Weizen zu trennen. Denn es sind jene rund Dutzend mutmaßlichen Genozid-Verbrecher und Kriegsverbrecher im Oberkommando, allen voran Militärchef Sylvestre Mudacumura, die sich jeglicher Entwaffnung verweigern.

Im Hintergrund laufen derzeit Versuche, Mudacumura und weitere Hardcore-Kommandanten mit mutmaßlicher Genozid-Vergangenheit mit anderen Mitteln aus dem Busch zu locken: Die USA bieten im Rahmen ihrs Justice-Awards-Programms fünf Millionen Dollar Belohnung, sollte sich Mudacumura dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag stellen. Doch das ist nicht der erste solche Versuch. Wird der als brutal und jähzornig bekannte Sylvestre Mudacumura, der die FDLR-Kämpfer seit zehn Jahren eisen kommandiert, so enden wie Joseph Kony, Anführer der ugandischen LRA (Widerstandsarmee des Herren) , der sich in einem ähnlichen Alter und ähnlichen gesundheitlichen Zuständen befindet – aber jenseits des Zugriffsbereiches der entsandten Eingreiftruppen und damit unerreichbar selbst für US-Spezialeinheiten mit all ihrer Hightech-Ausrüstung? Oder wird er so enden wie Bosco Ntaganda, langjähriger Weggefährte Laurent Nkundas als Rebellenführer im Ostkongo und einer der Paten der M23, der im März 2013 nach einer waghalsigen Flucht aus seinem Versteck im Kongo an die Pforte der US-Botschaft in Ruanda klopfte, um sich freiwillig dem ICC zu stellen? Dazu kam es nicht zuletzt, weil er von seinen eigenen Waffenbrüdern der M23 gejagt wurde, als die Fraktion um General Sultani Makenga verstand, dass General Ntaganda das Haupthindernis für die eigene internationale Anerkennung darstellte. Oder wird er so enden wie Jonas Savimbi, historischer Führer der UNITA-Rebellen in Angola, der im Jahr 2002 nach 27 Jahren Guerillakrieg im Feld bei einem Angriff von Spezialkräfte starb und dessen Tod das Ende des bewaffneten Kampfes seiner Bewegung herbeiführte und Angola auf den Weg zum Frieden führte? Beim ICGLR-Ministertreffen in Angolas Hauptstadt Luanda am 14. August 2014, das die Sechs-Monats-Frist vom Juli bestätigte, griff Angolas Präsident Eduardo dos Santos – der Bezwinger Savimbis – zur entsprechenden Sprache, als er sagte, die FDLR habe die Wahl zwischen gewaltsamer Entwaffnung und „sofortiger und bedingungsloser Kapitulation“77.

Selbst falls die FDLR mit Mudacumura ähnlich umgeht wie die M23 mit Ntaganda, wenn er sich allzu sehr als Hindernis für das politische Endspiel erweist, stellt sich aber die Frage, wie dieses politisches Endspiel aussehen soll. Die FDLR verlangt nämlich als Gegenleistung die Anerkennung als politische Kraft in Ruanda und einen international garantierten Dialogprozess in Ruanda selbst. Sie hat dafür keinerlei Unterstützung. In Ruanda selbst ist dafür kein Platz – Ruandas Regierung und auch weite Teile der ruandischen Gesellschaft trauen den Hutu-Exilanten im Kongo nicht über den Weg und vermuten, sie wollen sich erst friedlich nach Ruanda einschleusen, um dann das „neue

77 Laut einem kongolesischen Regierungsbericht: „Le Président congolais Joseph Kabila présent au 2ème mini-

sommet de la CIRGL à Luanda“, www.primature.cd, 14.8.2014.

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Ruanda“ von innen zu untergraben. Im Kongo ist das Misstrauen ebenso groß – die meisten Kongolesen halten die Hutu-Kämpfer aus Ruanda für Besatzer und für die Schuldigen der Kriege, die sie seit zwanzig Jahren erleiden, und lehnen es ab, sie in ihre Gesellschaft zu integrieren, selbst wenn viele FDLR-Kämpfer inzwischen kongolesische Familien gegründet und kongolesische Ausweise erworben haben.

Eine organisierte, friedliche Rückkehr der derzeit unter FDLR-Kontrolle lebenden ruandischen Hutu-Flüchtlinge aus dem Kongo nach Ruanda erscheint als der dringendste und am einfachsten machbare nächste Schritt. Aber es ist zu bezweifeln, dass die Milizionäre „ihre“ Flüchtlinge, ihr letztes verbleibendes Faustpfand, tatsächlich bedingungslos aus der Hand geben wollen. Die von MONUSCO-Chef Kobler genannten Kriterien für einen Erfolg der FDLR-Entwaffnung erscheinen derzeit sehr fern der Realisierung: „Anzahl und Qualität der sich ergebenden Kämpfer und ihrer Waffen; Übergabe der mit Haftbefehl Gesuchten an internationale Gerichte; Wiederherstellung der Regierungsautorität über abgegebene Gebiete; sofortiges Ende von Menschenrechtsverletzungen; Abkehr von illegalen wirtschaftlichen Aktivitäten; Einstellung neuer Rekrutierungen“78. Betrachtet man die reine Überlebensfähigkeit der FDLR und ihrer verschiedenen Vorgängerorganisationen in den vergangenen 20 Jahren bleibt all das wohl reines Wunschdenken.

Im Allgemeinen müssen solche „Verhandlungsprozesse“ mit äußerster Skepsis betrachtet werden. Der derzeitige Stillstand der Umsetzung der Nairobi-Erklärung zwischen Kongos Regierung und der M23 zeigt, wie leicht all diese „Verhandlungen“ – wenn man sie denn als solche tatsächlich betiteln will – in Sackgassen enden können. Man wird mitunter das Gefühl nicht los, dass diese vermeintlichen Verhandlungen absichtlich in Sackgassen hinein manövriert werden - von gewissen Akteuren beider Seiten. Sie nutzen solche „Verhandlungsrunden“ als Auszeit vom militärischen Kampf zu ihrem Vorteil, um sich nach einer Ruhepause mit neuer Taktik und Strategie in eine erneute Spielrunde hinein zu wagen. Seit nunmehr zwanzig Jahren ist dies in der Region der Großen Seen der Fall.

78 Erklärung vor dem UN-Sicherheitsrat, 7.8.2014.