planung und organisation - technologieneinsatz von der bedarfsanalyse bis zur evaluation
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Kapitel des L3T Lehrbuch (http://l3t.eu)TRANSCRIPT
#organisa)on
#einfuehrung #paedagogikpsychologie
Version vom 1. Februar 2011
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Planung und OrganisationTechnologieeinsatz von der Bedarfsanalyse bis zur Evaluation
Taiga Brahm und Tobias Jenert
Quelle: ahisgeFhFp://www.flickr.com/photos/hisgeF/255816850/ [2011-‐01-‐10]
In diesem Kapitel wird beschrieben, wie die Planung und Organisa)on von Bildungsprozessen durch di-‐gitale Technologien unterstützt werden kann. Dabei werden, ausgehend von didak)schen Fragestellungen,beispielhaI verschiedene Tools vorgestellt, die den Bildungsprozess unterstützen. Der Bildungsprozesswird dabei gemäß dem Bildungszyklus in (1) die Bildungsbedarfsanalyse, (2) die Planung der Interak)ons-‐prozesse, (3) die Nachbereitung und die (4) Evalua)on des Lernprozesses aufgeteilt. In der Phase derPlanung des Lernprozesses können beispielsweise durch Technologieunterstützung die Erwartungen, Be-‐dürfnisse und Vorkenntnisse der Lernenden erfasst werden. Heterogene Anforderungs-‐ und Kompetenz-‐profile der Teilnehmenden lassen sich dadurch besser berücksich)gen und Lernprozesse gezielter unddamit effek)ver planen und evaluieren. Der Schwerpunkt dieses Kapitels liegt auf der Unterstützung derPlanung und Organisa)on von Bildungsprozessen durch digitale Technologien. Dabei wird anhand von An-‐wendungsfällen dargestellt, wie E-‐Porgolios, Social-‐Networking-‐Plahormen, Wikis, Weblogs, Videos undDiskussionsforen zur Unterstützung von Lernprozessen eingesetzt werden können. Wesentlich ist, dassTechnologien nicht zum Selbstzweck eingesetzt werden, sondern in Abs)mmung mit den gesetzten Lern-‐zielen und den Lernvoraussetzungen der Teilnehmenden entwickelt und implemen)ert werden.
2 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
1. Bildungszyklus als Ordnungsraster
Neben der Unterstützung der Interaktion von Ler-nenden und Dozierenden lassen sich digitale Techno-logien auch für eine effektive Planung und Organi-sation von Bildungsangeboten einsetzen. Technolo-gieunterstützung ermöglicht es, Erwartungen, Be-dürfnisse und Vorkenntnisse Lernender relativeinfach zu erfassen, indem Teilnehmende beispiels-weise bereits im Vorfeld einer Veranstaltung kontak-tiert werden. Dadurch können heterogene Anforde-rungs- und Kompetenzprofile besser berücksichtigtund Lernprozesse gezielter und damit effektiver ge-plant und evaluiert werden.
Abbildung 1 zeigt mit dem so genannten „Bil-dungszyklus“ ein heuristisches Modell zur Organi-sation von Bildungsprozessen entlang von fünfSchritten (Euler et al., 2009). Dieses Modell wird imvorliegenden Beitrag als Ordnungsraster genutzt. Beijedem Schritt werden Beispiele für einen möglichenTechnologieeinsatz vorgestellt. Vorwiegend wirddabei auf den Unternehmenskontext Bezug ge-nommen, wobei die Ausführungen prinzipiell auchauf andere Organisationen übertragen werdenkönnen.
Andere Autoren teilen den Bildungszyklus in diePhasen Bildungsbedarf analysieren, Bildungsziele ab-leiten, organisatorische und didaktische Planung, Rea-lisierung und Kontrolle von Bildungsmaßnahmen ein(zum Beispiel Arnold, 1996, 228).
Der Fokus dieses Kapitels liegt auf der Unter-stützung der Planung und Organisation von Bil-dungsprozessen durch digitale Technologien. Da in
anderen Kapiteln bereits auf die technologiebasierteDurchführung und Gestaltung von Bildungsveran-staltungen in unterschiedlichen Kontexten einge-gangen wurde, wird dieser Teil des Bildungszyklus(Abbildung 1, Schritt drei) hier nicht weiter behandelt(siehe Kapitel #schule, #hochschule).
2. Bildungsbedarf bes7mmen
Der erste Schritt bei der Planung eines Bildungspro-zesses besteht darin zu bestimmen, in welchen Be-reichen Bildungsbedarf vorhanden ist, das heißtwelche Kompetenzen der Lernenden (weiter-) entwi-ckelt werden sollen. Dabei kann es sich um fachliche,soziale oder um Selbstkompetenzen (zum BeispielArbeits- und Zeitplanung) handeln (Euler & Hahn,2007, 133-134). Hinsichtlich der unterschiedlichenKompetenzen bestehen noch weitere Typologien.Beispielsweise unterscheiden Erpenbeck und Sauter(2007) zwischen personalen, aktivitätsbezogenen,fachlich-methodischen und sozial-kommunikativenKompetenzen oder Kauffeld und Grote (2000) imRahmen des Kasseler-Kompetenz-Rasters zwischenFach-, Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz.Ausgehend von den festgestellten Kompetenzbe-
darfen lassen sich Lernziele ableiten, welche die Ge-staltung der Lernprozesse leiten (siehe Abschnitt 3). Der Soll-Zustand lässt sich mit Bezug auf unter-schiedliche Anspruchsgruppen bestimmen: Dabeinehmen zum Beispiel die persönlichen Bildungsinter-essen des Lernenden, Anforderungen der unmittel-baren Arbeitsumgebung (zum Beispiel eines Teams)oder die strategischen Ziele eines Unternehmens Ein-fluss (Domsch, 1993). Mit dem Soll-Zustand wirdfestgelegt, welches Wissen und welche Fertigkeitendie Lernenden zukünftig aufweisen sollen. ImKontext Schule und Hochschule können analog dazuverschiede Anspruchsgruppen ausgemacht werden,etwa Ansprüche der Fachwissenschaft sowie Erwar-tungen des Arbeitsmarktes an Schul- und Hochschul-absolvierende. Für die Durchführung einer Bildungs-bedarfsanalyse stehen unterschiedliche Instrumentezur Verfügung (ebenda): ▸ Personalplanungen, Arbeitsplatzbeschreibungen;▸ (betriebliche) Kennzahlen, zum Beispiel Fluk-
tuation, Kundenreklamationen, Fehlerquoten;
Abbildung 1: Bildungszyklus zur Strukturierung desdidaktischen Designs von Lernprozessen. Quelle: Euler et al., 2009, 14.
Der Bildungsbedarf ergibt sich aus einem Abgleichzwischen dem aktuell vorhandenen Kompetenzniveaueines oder einer Lernenden (Ist-‐Zustand) mit dem an-‐gestrebten Soll-‐Zustand (Kaufman, 2001, 85).
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Planung und Organisa)on. Technologieeinsatz von der Bedarfsanalyse bis zur Evalua)on — 3
▸ Befragungen der Mitarbeiter/innen und Füh-rungskräfte;
▸ Bedarfserfassung in Workshops; ▸ Unternehmensstrategie; ▸ Arbeitsplatzanalysen sowie▸ Mitarbeitergespräche. In der (betrieblichen) Praxis stellen sich bei der An-wendung dieser Instrumente verschiedene Herausfor-derungen, denen mithilfe digitaler Technologien be-gegnet werden kann. Speziell die flexible Erfassungindividueller Bildungsbedürfnisse einzelner Mitar-beiter/innen oder Teams gestaltet sich oft schwierig,weil sowohl die bereits vorhandenen Kompetenzenals auch künftige Entwicklungsbedürfnisse erhobenwerden müssen. Für die Bilanzierung und Planungder individuellen Kompetenzentwicklung von Mitar-beitenden bieten sich zum Beispiel E-Portfolios an.Portfolios ermöglichen es Mitarbeitern/innen, ihrebestehenden Kompetenzen darzustellen und Ent-wicklungsbedürfnisse zu reflektieren. Solche indivi-duellen Kompetenzbilanzen können dazu genutztwerden, Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung ge-zielt wahrzunehmen oder anzufragen. Für Führungs-kräfte sind Portfolios eine Möglichkeit, formelle undinformelle (Weiter-) Bildungsinitiativen eines Mitar-beitenden nachzuvollziehen und zu beurteilen.
3. Planung und Konzep7on didak7scher Interak7onen
Im Anschluss an die Bildungsbedarfsanalyse folgendie Planung und die Konzeption der eigentlichen di-daktischen Interaktion. Neben organisatorischenAspekten geht es darum, Ziele, Inhalte, Methodenund eingesetzte Medien festzulegen und vorzube-reiten. Besonders wichtig ist es in dieser Phase, dieVoraussetzungen der Lernenden sowie die organisa-torischen Rahmenbedingungen zu erfassen, indembereits im Vorfeld die Teilnehmenden kontaktiertwerden, um deren Vorkenntnisse sowie Anliegen ab-zufragen. Diese Informationen dienen als Grundlagefür die didaktische Gestaltung der Lernumgebung,die auf die angesprochenen Lernenden abgestimmtist (Götz & Häfner, 1998, 73). „Lernvoraussetzungenbezeichnen diejenigen Handlungskompetenzen, dievor Beginn eines Lernprozesses beim Lernenden alslernbedeutsam vermutet werden“ (Euler et al.,2009, 16). Gerade in technologieunterstützten Ler-numgebungen gehören zu den Lernvoraussetzungennicht nur die Vorkenntnisse der Lernenden in Bezugauf die angestrebten Lernziele. Vielmehr ist auch zueruieren, inwieweit die Lernenden über die notwen-digen Lern- und Medienkompetenzen verfügen, umdie eingesetzten technischen Werkzeuge sowie die ge-planten Lernprozesse sinnvoll zu nutzen.
In der Praxis : Bildungsbedarfserhebung bei IBMBeim Unternehmen IBM wird die Erhebung des Bildungsbe-‐darfs mit drei Instrumenten unterstützt (Seufert et al., 2007,82f.): einem (1) Personal Development (PD)-‐Tool zur Ein-‐schätzung der eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen, den(2) Personal Business Commitment (PBC)-‐Zielen, welche dieauf den eigenen Bereich herunter gebrochenen Unterneh-‐mensziele beinhalten, sowie dem (3) Individual DevelopmentPlan (IDP), welcher die zur Zielerreichung notwendigen Kom-‐petenzen dokumen)ert sowie aufzeigt, wie diese entwickeltwerden können. Für den einzelnen Mitarbeitenden bedeutetdies, dass er jährlich in Zusammenarbeit mit seiner Füh-‐rungskraI kurz-‐ und langfris)ge Ziele für das kommende Jahr
festlegt. Diese werden im Individual Development Plan (IDP)festgehalten. Gleichzei)g werden diese Ziele mit den ge-‐schäIlichen Verpflichtungen (Personal Business Com-‐mitment, PBC) verknüpI. Etwa zeitgleich erfolgt dieErfassung der eigenen Kompetenzen im Personal Deve-‐lopment (PD)-‐Tool. Anhand dieser beiden Einschätzungen(PBC und PD) werden die Entwicklungsmaßnahmen jederMitarbeiterin und jedes Mitarbeiters iden)fiziert und somitder Beitrag der einzelnen Mitarbeiter zur Erreichung der Un-‐ternehmensziele sowie der eigenen Karriereziele dokumen-‐)ert.
Welche (gegebenenfalls widersprüchlichen) Zielset-‐zungen stehen sich bei der ErmiFlung des Bildungsbe-‐darfs in einem Unternehmen gegenüber?
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Mit welchen Herausforderungen sind Bildungsverant-‐wortliche bei der Nutzung von digitalen Technologienzur Bedarfserhebung konfron)ert?
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Bei der Erfassung von Lernvoraussetzungen spielenTechnologien eine zweifache Rolle: ▸ Lerntechnologien können eingesetzt werden, umdie Lernvoraussetzungen von Mitarbeitenden fle-‐xibel und individuumsbezogen aufzunehmen. ▸ Die im Umgang mit Lerntechnologien notwen-‐digen Medienkompetenzen stellen selbst eineLernvoraussetzung dar, die es während derPlanung von Lernprozessen zu berücksich)gen gilt.
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4 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
Die Lernvoraussetzungen der Teilnehmendenhaben in mehrerlei Hinsicht Bedeutung für diePlanung des didaktischen Designs. Zwei wichtige Pla-nungsprozesse, bei denen auf die Lernvorausset-zungen zu achten ist, werden im Folgenden be-schrieben.
Lernziele als Planungsgrundlage
Aufbauend auf den Bildungsbedarfen (Abschnitt 2)sind entsprechende Lernziele zu bestimmen. DieseZiele dienen als Referenzrahmen für die Auswahl dereinzusetzenden Medien und Methoden. In der Praxisbleibt die explizite Verknüpfung von Lernzielen undeingesetzten Medien und Methoden häufig auf derStrecke. Zum Teil werden Werkzeuge eher um ihrerselbst willen eingesetzt (nach dem Motto: „hierwürde doch ein Blog gut passen“), als zum Erreichenbestimmter Lernziele.
Methoden-‐ und MedienwahlHier stellt sich die Frage, welches Medium oderwelche Methode sich für welchen Zweck eignet. Diessteht in direktem Zusammenhang mit der Ent-scheidung über die geeignete Kombination aus for-mellem beziehungsweise informellem Lernen. Unterformellem Lernen werden organisierte Lernprozesseverstanden, die in der Regel in institutionellen Set-tings stattfinden. Dagegen bezeichnet informellesLernen das selbstorganisierte Aneignen von Kompe-tenzen, das häufig in den Arbeitsprozess integriert ist(Straka, 2004). Heute wird gerade in Unternehmendavon ausgegangen, dass Blended-Learning-Settings,also die Kombination von E-Learning- und Präsenz-lernphasen, eine für viele Rahmenbedingungen ge-eignete Lernform darstellen. Wie genau diese Phasenkombiniert werden, hängt wiederum zu einem we-sentlichen Teil von den Lernvoraussetzungen ab: Ver-fügen die Lernenden über ausgeprägte Erfahrungen,etwa mit technologiegestützter Kollaboration,können beispielsweise virtuelle Teamarbeiten miteinem hohen Selbstorganisationsanteil geplantwerden. Handelt es sich um Lernende, die relativ ge-r inge Erfahrung im Umgang mit solchenLehr-/Lern-Settings haben, sind gegebenenfalls mehrPräsenzphasen oder stärkere Unterstützungsangebotevorzusehen. Prinzipiell bietet es sich an, bei Teamar-beiten Gruppen zu bilden, in denen Lernende mit
unterschiedlichen Lernvoraussetzungen zusammen-treffen. So können beispielsweise Defizite im Bereichder Medienkompetenz bis zu einem gewissen Gradmithilfe der Unterstützung von Mitlernenden ausge-glichen werden. Unabhängig davon, welche Techno-logien eingesetzt werden, sollten Einstiegshürdenmöglichst gering gehalten und der Nutzen des Tech-nologieeinsatzes deutlich aufgezeigt werden, damitdie Lernenden die unterstützende Funktion des Tech-nologieeinsatzes erkennen und nicht durch tech-nische Hürden demotiviert werden.
Folgender Anwendungsfall illustriert die Mög-lichkeit, Teilnehmende bereits vor der Präsenzveran-staltung einzubinden: In einem Unternehmen wirdzur Unterstützung der Planung und Konzeption vonLernprozessen bereits vor Beginn von Präsenzveran-staltungen eine Social-Networking-Plattform einge-setzt. Auf der individuellen Profilseite werden dieTeilnehmenden aufgefordert, Informationen einzu-tragen bezüglich ▸ ihrer Erwartungen an die Bildungsmaßnahme und
ihren individuellen Lernbedürfnisse, ▸ ihrem Kompetenzstand und absolvierter Weiter-
bildungen zum angesprochenen Themenbereich, ▸ Herausforderungen ihres Arbeitsalltags in Bezug
auf das Thema, ▸ ihrer Erfahrungen mit verschiedenen Lerntechno-
logien.
Die Trainerin nutzt diese Informationen für die ▸ Feinabstimmung der Lernziele und Inhalte, ▸ Einteilung von Lernerteams mit heterogenen Vor-
erfahrungen zur Gruppenarbeit im Kurs, ▸ Auswahl geeigneter Lerntechnologien und ▸ zur Planung von Einführungen und Tutorials zum
Umgang mit den entsprechenden Tools.
4. Nachbereitung des BildungsprozessesDer Nachbereitung von Bildungsveranstaltungenwird oft nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt.Gerade in Arbeitskontexten ist diese Phase jedochäußerst wichtig, um die Nachhaltigkeit von Lernpro-
Der Einsatz von Technologien ist in Abs)mmung zuden gesetzten Lernzielen zu planen. Bei der Fest-‐legung der Lernziele sollten auch die Medienkompe-‐tenzen berücksich)gt werden, die im Umgang mit deneingesetzten Lerntechnologien notwendig sind.
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Die festgestellten Lernvoraussetzungen sind ein wich-‐)ges Kriterium bei der Planung von Präsenz-‐ und E-‐Learning-‐Phasen im Lernprozess sowie für dieAuswahl der eingesetzten Medien. Bei der Organi-‐sa)on kollabora)ver Lernprozesse sollte darauf ge-‐achtet werden, Lernende mit unterschiedlichen Lern-‐voraussetzungen zu kombinieren. Gegensei)ge Peer-‐Unterstützung kann etwaige Kompetenzdefizite zueinem gewissen Grade auffangen.
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Planung und Organisa)on. Technologieeinsatz von der Bedarfsanalyse bis zur Evalua)on — 5
zessen sicherzustellen. Dabei geht es im Wesentlichenum die Unterstützung des Transfers vom Lern-kontext in den Anwendungskontext. Dies ist vorallem bei klassischen Bildungsangeboten, zum Bei-spiel Seminaren, notwendig.
In der Forschung zum Lerntransfer in Unter-nehmen wurden in verschiedenen UntersuchungenHürden identifiziert, die den Transfer von Wissenund Fertigkeiten beeinträchtigen oder verhindern(Holton III et al., 2003).
Besonders die flexibel einsetzbaren und einfachanzuwendenden Web-2.0-Technologien eignen sichgut, um im Nachgang einer Bildungsmaßnahme denTransfer in die (Arbeits-) Praxis zu begleiten. Im Fol-genden werden zentrale Möglichkeiten der Transfer-begleitung herausgegriffen und kurz erläutert.
Vernetzung der Lernenden
Bei unternehmensweit angebotenen Seminaren fehltim Nachgang zu Präsenzveranstaltungen oft dieMöglichkeit zum weiteren Austausch unter den Teil-nehmenden sowie für den gemeinsamen Zugriff aufDokumente, Erfahrungsberichte und ähnliches. Ins-besondere bei längerfristig angelegten Bildungsange-boten besteht hier einerseits ein Bedürfnis von Seitender Teilnehmenden, andererseits bieten Transfernetz-werke eine Chance für die Organisatoren von Bil-dungsprozessen, den Wissensaustausch zu unter-stützen (Brahm, 2009a).
Im Anschluss an eine Bildungsmaßnahme kann soein Wiki eingesetzt werden, um die Teilnehmendenim Arbeitsalltag zu vernetzen und den Austausch zufördern. Lernende, die gemeinsam einen Lernprozessdurchlaufen haben und sich auch nach Abschluss der
formellen Lernphase austauschen, können ihre Er-fahrungen in Bezug auf die praktische Anwendungdes Gelernten sammeln und gegebenenfalls Stra-tegien zur Überwindung von Transferhürden entwi-ckeln.
Förderung von Reflexion
Eine weitere Möglichkeit der Transferförderung be-steht in der gezielten Unterstützung von Reflexions-prozessen. Hierzu sollten Reflexionsfragen formuliertwerden, die bewusst zum Nachdenken über die An-wendung des Gelernten anregen. Reflexionen könnenden Blick auf mögliche Anwendungsfehler oder Bar-rieren in der Arbeitspraxis schärfen. Dadurch unter-stützen sie die Lernenden dabei, Anwendungsgele-genheiten für das Gelernte zu erkennen, diese gezieltzu planen, durchzuführen und anschließend zu be-werten. Die Anleitung für solche Reflexionsprozesseerfolgt idealerweise bereits in einer Präsenzphase.Damit verzahnen sie sich mit den Elementen derTransferförderung aus der Lernsituation (Burger,2005).
Das könnte beispielsweise werden, indem ein Wei-terbildungsseminar mit Weblogs begleitet wird. DieLernenden werden bereits im Präsenzteil aufge-fordert, regelmäßig ihre Erfahrungen und Eindrückezu reflektieren. Diese Reflexionspraxis wird auch inder Transferphase am Arbeitsplatz weitergeführt.Aufgabe des Lehrenden ist es dabei, die Reflexionmithilfe geeigneter Fragen systematisch anzuleitenund Feedback zu geben. Die Kommentar-Funktionermöglicht Rückmeldungen sowohl von anderen Ler-nenden als auch von der Lehrperson.
Integra7on von Lern-‐ und Anwendungsfeld
Generell gilt, dass digitale Tools zur Transferunter-stützung so in das didaktische Setting integriert
Transferhindernisse können auf unterschiedlichenEbenen liegen: (a) beim Lernenden selbst, (b) bei derLernmaßnahme und (c) im Arbeitskontext des Ler-‐nenden (weiterführende Hinweise zu den Transfer-‐hürden in Brahm, 2009a)
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In der Praxis: Transferförderung bei Hewlett PackardMit dem Hauptziel der Vernetzung unter den Mitarbeiter-‐/innen wurde bei der HewleF Packard GmbH eine Social-‐Networking-‐Plahorm eingeführt (Brahm, 2009b, 42-‐43). Aufder Plahorm verfügt jeder Mitarbeitende über ein voreinge-‐richtetes Profil, das die wesentlichen Informa)onen zurPerson enthält, zum Beispiel Name, organisatorische Zugehö-‐rigkeit und Kontaktdaten. Zusätzlich werden Beiträge aus an-‐
deren Kollabora)onsplahormen wie Blogs, einer internenwiki-‐basierten Enzyklopädie oder Foren in das Profil inte-‐griert. Damit erhält man schnell umfangreiche Informa)onenüber − zum Teil bislang unbekannte − Kollegen. Zur Profil-‐pflege werden innerhalb bes)mmter Kategorien so genannteTags angelegt, das heißt Schlagwörter, welche die eigenenKompetenzen, Interessen etc. beschreiben.
Welche weiteren Maßnahmen könnten in diesem Zu-‐sammenhang die Transfersicherung unterstützen? ?
6 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
werden sollten, dass eine Verbindung zwischen Lern-und Arbeitsfeld hergestellt wird. Technologien, die inder Transferphase eingesetzt werden, sollten daherbereits während einer Lernphase, zum Beispiel in derPräsenzveranstaltung, als Lernmedien eingesetztund/oder in der Vor- und Nachbereitung zur Unter-stützung der Teilnehmenden Verwendung finden(Brahm, 2009a).
Beispiel: In einem Unternehmen werden kurzeVideos zur Illustration der Lerninhalte zur Verfügunggestellt. Diese Videos stehen bereits in der Vorberei-tungsphase online zur Verfügung. In der Präsenz-phase werden sie in Kleingruppen diskutiert. In derTransferphase zur Veranstaltung werden die Videosmit weiteren inhaltlich verwandten Angeboten ver-bunden, zum Beispiel mit Seminaren. Ein bestimmtesMedium, beispielsweise ein Podcast, kann auch eineAnregung sein, das personalisierte Lernportal, dasheute in vielen Unternehmen zur Verfügung steht(siehe Kapitel #educast), aufzusuchen. Dort werdendann zum jeweiligen Lernbedarf der jeweiligen Mit-arbeiter passende Angebote vorgestellt.
5. Evalua7on des Bildungsprozesses
Die Evaluation von Bildungsprozessen ist vom As-sessment im Sinne der Leistungskontrolle abzu-grenzen (siehe Kapitel #assessment). Im vorlie-genden Abschnitt steht die Beurteilung des Bildungs-prozesses aus Sicht der Teilnehmenden sowie mitBezug zu didaktischen Gütekriterien im Vorder-grund. Dabei kann nach dem Zeitpunkt der Eva-luation zwischen summativer und formativer Eva-luation unterschieden werden (Kromrey, 2000, 118).
Forma7ve Evalua7on
Der große Vorteil formativer Evaluationen liegtdarin, dass erkannte Schwächen noch während derDurchführung einer Bildungsmaßnahme aufge-nommen und möglicherweise korrigiert werdenkönnen (Kemp et al., 2009, 162). Allerdings stelltdiese maßnahmenbegleitende Art der Evaluationauch eine Herausforderung dar, weil die eingesetztenEvaluationsinstrumente flexibel anpassbar undschnell auszuwerten sein müssen. Entsprechenddieser Herausforderungen bietet sich der Einsatz voneinfach zu nutzenden Evaluationstools an.
Zur formativen Evaluation wird bei einer Präsenz-veranstaltung beispielsweise Micro-Blogging, zumBeispiel mit Twitter, eingesetzt. Die Teilnehmendenkönnen, entweder direkt während des Seminars oderwährend der Pausen, über Twitter ihre aktuellen Ein-drücke mitteilen. Die Trainer haben die Möglichkeit,auf diese Rückmeldungen bereits während der Veran-staltung zu reagieren. Eine solche Art der formativenEvaluation stellt natürlich erhöhte Anforderungen andie Lehrpersonen, da diese nicht nur den eigentlichenLernprozess, sondern auch die Evaluation im Blickhaben müssen. Werden für eine Veranstaltungmehrere Trainer/innen eingesetzt, ist ein solches Sze-nario durchaus denkbar und kann zu einemMehrwert für die Teilnehmenden führen.
Bereits während des Designs von Lernprozessenist die Bedienbarkeit und Nützlichkeit der einge-setzten Werkzeuge zu erheben, um gegebenenfallsfrühzeitig Anpassungen vornehmen zu können.Hierfür bieten sich einerseits Usability-Analysen an,andererseits aber auch Pilottests mit einer geringenAnzahl an Nutzerinnen und Nutzern.
Tools zur Transferunterstützung sollten eine Brückezwischen Lern-‐ und Anwendungsfeld schlagen. Umdies zu erreichen, ist eine sorgfäl)ge Planung zur Ein-‐führung der entsprechenden Werkzeuge notwendig.Tools, mit denen die Lernenden in der Transferphasearbeiten, sind daher bereits während der Bildungs-‐maßnahme vorzustellen und anzuwenden. Weiterhinist es zur Transferförderung möglich, die Reflexion undVernetzung der Lernenden zu unterstützen.
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Handelt es sich um eine forma)ve Evalua)on, so wirddiese begleitend zum Bildungsangebot vorgenommenund hat in der Regel auch Auswirkungen auf den wei-‐teren Verlauf.
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Planung und Organisa)on. Technologieeinsatz von der Bedarfsanalyse bis zur Evalua)on — 7
Summa7ve Evalua7on
Die Wirkungen und der Nutzen eines Programmswerden durch die Teilnehmer/innen evaluiert(Tergan, 2000, 25). Summative Evaluation ermöglichtes, dass die Verantwortlichen eines Programms Ant-worten auf Fragen nach der Effektivität und der Ef-fizienz der Bildungsmaßnahme sowie nach den Reak-tionen bezüglich des Programms von Seiten der Ler-nenden, der Lehrenden und anderen beteiligten Per-sonen erhalten (Kemp et al., 2009, 262).
Zur summativen Evaluation einer Präsenzveran-staltung wird zum Beispiel in einem Unternehmenein Forum eingesetzt. Hier kann gegebenenfalls inanonymer Form mitgeteilt werden, wie die Lernver-anstaltung empfunden wurde. Um unterschiedlicheAspekte abzudecken, können im Evaluationsforumunterschiedliche Thementhreads vordefiniert werden.Es ist auch möglich, die Ergebnisse der Evaluationwiederum im Forum an die Teilnehmenden zurückzu spiegeln.
6. Zentrale Erkenntnisse
Im vorliegenden Kapitel wurden entlang des Bil-dungszyklus verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt,wie Planung und Organisation von Bildungsmaß-nahmen durch digitale Technologien unterstütztwerden können. Dabei wurden die Bildungsbedarfs-analyse, die Planung der eigentlichen Interaktion, dieUnterstützung des Lerntransfers sowie die Evaluationfokussiert. ▸ Bei der Planung und Organisation von Lernumge-
bungen sollten für die Verantwortlichen immer zu-nächst didaktisch-methodische Fragen im Vorder-grund stehen.
▸ Ausgehend von den erhobenen Bildungsbedürf-nissen sind Lernziele abzuleiten, entsprechende
Methoden und Medien auszuwählen und ein sinn-volles Arrangement des Bildungsprozesses zuplanen.
▸ Insbesondere auf die Nachbereitung von Präsenz-veranstaltungen im Anwendungsfeld ist Wert zulegen. Die Evaluation rundet den Bildungsprozessschließlich ab.
In allen Schritten des Bildungszyklus können digitaleTechnologien zum Einsatz kommen. Wesentlich ist,dass diese ausgehend von den (Lern-)Zielen der Bil-dungsmaßnahme eingeplant werden und nicht zumSelbstzweck werden.
Weiterführende Literatur
▸ Brahm, T. & Seufert, S. (2009). Kompetenzentwicklung mitWeb 2.0. Good Practices aus Unternehmen. In: scil Arbeitsbe-richt. St. Gallen: Universität St. Gallen, 5-5. URL: http://ww-w.scil.ch/index.php?id=250&L=0%252b%252b%25252F%25253Fdir [2010-12-05]
Literatur
▸ Arnold, R. (1996). Weiterbildung. ErmöglichungsdidaktischeGrundlagen. München: Vahlen.
▸ Arnold, R.; Krämer-Stürzl, A. & Siebert, H. (1999). Dozenten-leitfaden. Planung und Unterrichtsvorbereitung in Fortbildungund Erwachsenenbildung. Berlin: Cornelsen.
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▸ Brahm, T. (2009). Didaktisches Design von formeller und in-formeller Kompetenzentwicklung mit Web 2.0-Technologien:Synthese der Fallstudien. In: T. Brahm & S. Seufert (Hrsg.),Kompetenzentwicklung mit Web 2.0. Good Practices aus Un-ternehmen, St. Gallen: Universität St. Gallen, 89-106.
▸ Brahm, T. (2009). Unterstützung der informellen Kompetenz-entwicklung der Mitarbeiter durch Web 2.0-Technologien beiHewlett-Packard (unter Mitarbeit von Dr. Anke Hirning). In: T.Brahm & S. Seufert (Hrsg.), Kompetenzentwicklung mit Web2.0. Good Practices aus Unternehmen, St. Gallen: UniversitätSt. Gallen, 38-46.
▸ Burger, B. (2005). Lernen um anzuwenden: zur Förderung desPraxistransfers sozial-kommunikativer Kompetenzen. Pa-derborn: Eusl-Verlagsgesellschaft.
▸ Domsch, M. (1993). Personal. In: M. Bitz (Hrsg.), VahlensKompendium der Betriebswirtschaftslehre, Band 1, München:Vahlen, 522–580.
▸ Erpenbeck, J. & Sauter, W. (2007). Kompetenzentwicklung imNetz. New Blended Learning mit Web 2.0. Köln: Luchterhand.
▸ Euler, D. & Hahn, A. (2007). Wirtschaftsdidaktik. Bern: Haupt.
Da die Technologien ebenfalls Bestandteil der Ler-‐numgebung sind, sind diese gleichermaßen einemEvalua)onsprozess zu unterziehen. Beispielsweisekönnen Sta)s)ken, die automa)sch durch das je-‐weilige System generiert werden, Aufschluss über dieHäufigkeit und die Art der Nutzung der Technologiegeben. Weiterhin können Fragen zur Nutzerfreund-‐lichkeit der Technologie in einen allgemeinen Evalua-‐)ons-‐Fragebogen integriert werden.
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Eine summa)ve Evalua)on wird am Ende einer Maß-‐nahme durchgeführt. Damit verfolgt sie den Zweck,die Qualität eines abgeschlossenen Bildungsangebotszu beurteilen.
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8 — Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien (L3T)
▸ Euler, D.; Seufert, S. & Hasanbegovic, J. (2009). Lernen für diePraxis: Gestaltung transferorientierter Bildungsmassnahmen.Seminarunterlagen für das scil Fokusseminar 4/2009. St.Gallen: Universität St. Gallen.
▸ Götz, K. & Häfner, P. (1998). Didaktische Organisation vonLehr- und Lernprozessen. Ein Lehrbuch für Schule und Er-wachsenenbildung. Weinheim: Deutscher Studienverlag.
▸ Holton III, E. F.; Chen, H.-C. & Naquin, S. S. (2003). An Ex-amination of Learning Transfer System Characteristics AcrossOrganizational Settings. Human Resource Development Quar-terly, 14 (4, Winter), 459-482.
▸ Kauffeld, S. & Grote, S. (2000): Kompetenzdiagnose mit demKasseler-Kompetenz-Raster. In: Zeitschrift für Personal-führung, Heft 1/2001, 30-37.
▸ Kaufman, R. (2001). Assessing Needs. In: T. Bartscher & K. D.Wittkuhn (Hrsg.), Improving Performance. Leistungspotentialein Organisationen entfalten, Neuwied/Kriftel: Luchterhand,85‒92.
▸ Kromrey, H. (2000). Empirische Sozialforschung. Opladen:Leske + Budrich.
▸ Morrison, G. R.; Ross, S. M. & Kemp, J. E. (2007). Designingeffective instruction. Hoboken (NJ): Wiley.
▸ Seufert, S.; Brahm, T. & Hasanbegovic, J. (2007). FallstudieIBM. In: S. Seufert (Hrsg.), SCIL Benchmarkstudie II: Ergeb-nisse der Fallstudien zu transferorientiertem Bildungsmana-gement, St. Gallen: Swiss Centre for Innovations in Learning,Universität St. Gallen, 73-106.
▸ Straka, G. A. (2004). Informal learning: genealogy, concepts,antagonisms, questions. URL: http://www.itb.uni-bremen.de/downloads/Publikationen/Forschungsberichte/fb_15_04.pdf [2010-09-09].
▸ Tergan, S.-O. (2000). Grundlagen der Evaluation: ein Über-blick. In: P. Schenkel; S.-O. Tergan & A. Lottmann (Hrsg.),Qualitätsbeurteilung multimedialer Lern- und Informations-systeme: Evaluationsmethoden auf dem Prüfstand, Nürnberg:BW Bildung und Wissen, 22-51.