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Prof. Ludwig Siep - Einführung in die politische Philosophie 1 Prof. Dr. Ludwig Siep Grundkurs IV: Politische Philosophie Wiederholung: Probleme des gerechten Krieges III. Das Völkerrecht und die modernen Kriege 1. Michael Walzer, Just and Unjust Wars (1977) 2. Völkerrechtliche Bestimmungen 3. Die „neuen Kriege“ (Herfried Münkler)

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Prof. Ludwig Siep - Einführung in die politische Philosophie 1

Prof. Dr. Ludwig SiepGrundkurs IV: Politische Philosophie

Wiederholung: Probleme des gerechten Krieges

III. Das Völkerrecht und die modernen Kriege

1. Michael Walzer, Just and Unjust Wars (1977)

2. Völkerrechtliche Bestimmungen

3. Die „neuen Kriege“ (Herfried Münkler)

Prof. Ludwig Siep - Einführung in die politische Philosophie 2

Wiederholung: Probleme des gerechten Krieges

Voraussetzungen:

• Gewalteinsatz von Individuen und Gruppen (Staaten) gegen andere Individuen und Gruppen kann gerechtfertigt sein (einschließlich Tötung)

• Krieg kann durch Regeln (Verbote, Erlaubnisse, Rechte, Pflichten) eingeschränkt werden (gegen „inter arma silent leges“, „war is hell“).

Unterscheidung „gerechter Krieg“

• Durch Gründe auch für Feinde und Dritte zur rechtfertigender Krieg (bellum justum)

• Krieg für eine gerechte Sache (justa causa), für die Verbreitung der Gerechtigkeit (auch: die Abschaffung des Krieges), unter Umständen auch durch Angriff.

Prof. Ludwig Siep - Einführung in die politische Philosophie 3

Unterscheidungen der Arten des Kriegs- bzw. Völkerrechts

• Recht zum Krieg (jus ad bellum)• Recht im Krieg (jus in bello)• Recht nach dem Krieg (jus post bellum)• Recht im Frieden

(Achtung: Das Recht nach dem Krieg ist auch das der Kriegsbeendigung. Andererseits überschneidet es sich mit dem Recht im Frieden)

Klassische Resultate und Probleme:

Ad 1. Kriegsgründe: Verteidigung gegen Angriff, Ahndung von Schädigung und Rechtsverletzung, Gewaltsame Wiedergutmachung bzw. Rückeroberung. Kriegserklärung durch rechtmäßige Autorität, Zustimmung der Bevölkerung (Republik). Schaden abschätzen, Vermeidungsmöglichkeiten ausschöpfen (ultima ratio).

Prof. Ludwig Siep - Einführung in die politische Philosophie 4

Unterschiede des Kriegsrechts (2)

Probleme: Wer entscheidet über die Rechtsverletzung? Wie weit muss man zurückgehen (z.B. bei Rückeroberung)? Darf man bei schwerem Unrecht (Tyrannis, Völkermord, Menschenrechtsverletzung) intervenieren? Wie weit geht das Recht auf Prävention (Gebietserweiterung, Aufrüstung, Vorbereitung, Beginn etc.) Wer ist zur Kriegserklärung berechtigt? Verteidigung bei Überraschung und gegen nicht erklärte Angriffe (executive privilege)?

Ad 2. Recht im KriegRegeln: Rechte der Zivilisten und Kombattanten unterscheiden. Den Gegner in

seinen Rechten achten (u.U. von dessen Unschuldsüberzeugung ausgehen).Bestimmte Waffen nicht benutzen (Gift, Biowaffen, Nuklearwaffen etc.). Sich an Absprachen halten, keine Rache erzeugen, Frieden ermöglichen.

Probleme: Nicht beabsichtigte Nebenschäden. Druck auf die Bevölkerung zur Kriegsverkürzung. Krieg gegen Übermacht (Besatzung) bzw. gegen nicht-unterscheidbare Feinde (Partisanen etc.). Extreme Bedrohung (Nuklear).

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Unterschiede des Kriegsrechts (3)

Ad 3. Recht nach dem Krieg.

Regeln: Kriegsbeendigung ohne List und Vorteilsnahme. Vertrauensbildende Schritte (Feuerpause, Waffenstillstand, Rückzug, Demobilisierung, Beendigungsvertrag, Friedensvertrag)

Probleme: Mißtrauen, Zeitgewinn (Erholung, Zermürbung, Sanktionswirkung).Garantie (durch Dritte, Sanktionsaufhebung, rechtliche Legitimierung etc.).Kriegsgerichte, Reparationen, Schwächung der Unterlegenen und Revanchismus ( z.B. „Versailler Diktat“ und „Dolchstoßlegende“)

Ad 4. Recht im Frieden

Regeln: Neutralität, Recht auf Verteidigungsbündnisse, Rüstung, ökonomischer Wettbewerb.

Probleme: Pflicht zur Verteidigung Dritter? Recht auf Mißachtung von Neutralität im Notfall? Einkreisung durch Bündnisse und „Nicht-verbreitung“? Gleichgewichtsbedrohung? Sanktion des Völkerrechts?

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III. 1 Michael Walzer, Just and Unjust Wars (1977)

Allgemeine Voraussetzung: Krieg kann gerechtfertigt sein, aus verschiedenenGründen (Verteidigung, Befreiung etc.). Soldaten können also aus subjektivberechtigten Gründen Krieg führen (sind keine „Mörder“). Es gibt Regeln, andie man sich halten muss. Die wichtigste: Kämpfer von Nicht-Kämpfern zuunterscheiden und letztere zu schonen. Besondere Probleme der Moderne:

A. Bombenkrieg („Massenvernichtungswaffen“) und Zivilbevölkerung

B. Partisanen-, Guerilla- und Befreiungskriege

C. Terrorismus

D. Nukleare Abschreckung

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A. Massenvernichtungswaffen und Schutz der Zivilbevölkerung

Grundsatz des Kriegsrechts („in bello“): Zivilbevölkerung möglichst vonKampfhandlungen verschonen. Kollidiert mit

a) moderner Kriegstechnik: Waffen von immer größerer Zerstörungskraftb) moderner Kriegsführung: Artilleriekrieg, Luftkrieg, Kommunikationc) moderner Rüstungsindustrie: Fabriken, Zulieferer, Transport d) „totalen“ Kriegen: Wirtschaftskraft entscheidend

Theorie der Doppelwirkung: Intendierte Zerstörung von Kampfkraft und in Kauf genommene „Kollateralschäden“

Walzer: Es kommt darauf an, Krieg nicht einfach als gesetzlose Katastrophe zu verstehen („war is hell – anything goes“), sondern die Unterscheidung zwischen unvermeidbarer Nebenwirkung und Terror gegen die Zivilbevölkerung aufrecht zu erhalten.

Konsequenzen: Evakuierung für Zivilisten bei Belagerung, Wirtschaftsblockade nur gegen Kriegsgüter, nicht gegen Ernährung, Arzneimittel („smart sanctions“). Zerstörung nur von Rüstungsindustrie. Heute: Entwicklung zielgenauer Waffen, Nichtverbreitung von Nuklearwaffen (Problem: preemptive strike, Monopol).

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B. Partisanen-, Guerilla-, Befreiungskriege

Problem: Können in einem unerklärten Krieg der Schwachen gegen die Starken (Besatzer) alle Mittel der Überraschung und der Täuschung benutzt werden?

Kriegsrechtliche Unterscheidung zwischen Kriegs-, Waffenstillstands- und Friedenszeit verleiht den Kämpfern „Kombattanten-Status“ und den Zivilisten Rechtsgarantien. Die Aufhebung berechtigt die Überfallenen, Zivilisten wie Kämpfer zu behandeln und Gefangene wie gewöhnliche Verbrecher.(Vorrecht der Kriegsgefangenen: Keine Straftat, „benevolent quarantine“)

Walzer: Die Unterscheidung kann eingeschränkt aufrechterhalten werden, wenn die Kämpfer politische und militärische Einrichtungen bzw. Personen attackieren.Beispiele für internes Kriegs“recht“ der Guerilla (Mao, Cuba – vgl. Walzer 181).

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B. Partisanen- etc. Kriege (2)

Walzer: 1. Wenn Guerillakämpfer die Unterstützung der Bevölkerung haben, steht ihnen die Anerkennung als Kriegsrechtssubjekte zu.

2. Wenn das ganze Volk sich am Befreiungskrieg beteiligt, dürfen die Besatzer nicht mehr Krieg führen (weil keine kriegsrechtliche Unterscheidung möglich ist)Beispiel: Der amerikanische Krieg in Vietnam unterschied am Ende nicht mehr zwischen Guerillas, Unterstützern (supporters) und neutraler Zivilbevölkerung, sondern bekämpfte undifferenziert die Landbevölkerung.

An dieser Stelle wird die Unterscheidung Recht zum Krieg vs. Recht im Krieg aufgehoben: Zu einem solchen „kriegsrechtlosen“ Krieg gibt es kein Recht mehr.Ein Krieg direkt gegen die Zivilbevölkerung hat kein Recht „gewonnen zu werden“(196)

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C. Terrorismus

Terror ist die Anwendung von Gewalt gegen Zivilisten, um durch Angst undSchrecken (terror) Druck auf Bevölkerungen und Regierungen (evtl.Besatzungsmacht und „Stellvertreterregierung“) auszuüben („Fortsetzungdes Kriegs mit politischen Mitteln“). Wahllose Tötung zufällig an einem Ortbefindlicher Menschen wegen Zugehörigkeit zu einem Regime, Volk, Rasse,Glauben („Ungläubige“)

Terror kann ausgeübt werdena) von Staaten gegen die eigene Bevölkerung (Jakobiner, Faschismus,

„Todesschwadrone“) b) von Staaten gegen Zivilbevölkerung anderer Staaten (unbegrenzter U-

Bootkrieg, Bombenkrieg, Atombombenabwurf)c) von Guerillakämpfern bzw. –organisationen (Irische Aufständische und

russische Anarchisten im 19./20. Jh., seit dem 2. Weltkrieg verbreitet in allen Erdteilen)

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C. Terrorismus (2)

Kriegsrechtliche und moralische Bewertung (nach Walzer): Irreguläre Gewalt, sogar geplante Tötung kann eingeschränkt moralisch respektiert werden, wenn sie sich gegen militärische oder hochrangige politische Träger einer unterdrückenden Macht richtet (Problem der Objektivierung der Kategorie „Unterdrückung“).

In dem Maße, in dem sie den Kreis ausweitet (alle Staatsbeamten, alle Unterstützer, alle Steuerzahler, alle Angehörigen des unterdrückenden Staates, eines Volkes, einer Religion, einer Rasse), verliert der Kampf jede kriegs-rechtliche Rechtfertigung und Anspruch auf moralische Billigung (völlige Instrumentalisierung von Menschen).„In seiner modernen Form ist Terror die totalitäre Form von Krieg und Politik“ (203).

Revolutionärer Kampf zeichnet sich dagegen durch Selbstbeschränkung in der Wahl der Mittel und der Feinde aus. Befreiungskrieger müssen sich zumindest teilweise an das Kriegsrecht halten und sich moralischen Gesetze unterstellen.

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D. Nukleare Abschreckung

Nuklearbombeneinsatz ist unmoralisch, a) weil unbestimmte Massen von Nicht-kämpfern getötet werdenb) weil Soldaten auf qualvolle Weise getötet werden (vgl. Gift, Chemie)

Der erste Einsatz (Hiroshima) stellte die politische Aufgabe, Wiederholung zu verhindern. Eine Lösung: Abschreckung durch Drohung nuklearer Antwort. Also Drohung mit etwas selber Unerlaubtem, Unmoralischem.

Das gilt auch für begrenzte Nuklearwaffen. Entweder dürfen sie in derWirkung konventionelle Waffen nicht überschreiten, dann sind sie überflüssigund gefährlich. Oder sie lösen eine Eskalation aus, dann sind sie verboten.

Dass man sie nicht wirklich einsetzen will, entschuldigt die nukleare Drohungnicht, weil der Einsatz nicht ausgeschlossen werden kann. NukleareAbschreckung ist ein unmoralisches letztes Verteidigungsmittel gegenErpressung. Abrüstung moralisch geboten. Aber: Ohne Sanktion, ohneWeltpolizei nicht endgültigdurchführbar.

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III. 2. Völkerrechtliche Bestimmungen (1)

Quellen des Völkerrechts sind Gewohnheitsrecht und Verträge zwischen den Staaten. Wichtige Beispiele: Pariser Seerechtsdeklaration (1856)

Genfer Konvention von 1864, Genfer Abkommen von 1925, 1929 und 1949 Haager Abkommen von 1899 („Landkriegsordnung“) und 1907Völkerbund (1919) und UN-Charta (1949), UN-ResolutionenAbrüstungsverträge zwischen USA und UDSSRVerbot der Antipersonenminen von 1997Urteile des Internationalen Gerichtshofes (IGH)

Entwicklung des modernen Völkerrechts: „Während sich das jus in bellowährend des 19. Jh. erheblich weiterentwickelte, war die Lehre von der Indif-ferenz des Rechts zum Krieg bis zum Ersten Weltkrieg positives Recht“(M. Bothe in Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2001)

Der Völkerbund führte ein Verfahren zur Kriegsverhinderung ein, kein Kriegsverbot.Zwangsmaßnahmen gegen den, der sich dem Verfahren nicht unterwirft.

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III. 2 Völkerrechtliche Bestimmungen (2)

Erste Verurteilung des Krieges im Briand-Kellog-Pakt 1928. Aber: Keine Sanktionen,nicht gegen unerklärte Kriege, Selbstverteidigung berechtigt.

UN-Charta von 1949: Androhung oder Anwendung von Gewalt zwischen Staaten ver-boten. „Vom Kriegsverbot zum allgemeinen Gewaltverbot“. 1986 vom IGH als zwischenstaatliches Gewohnheitsrecht bestätigt.(Probleme: Auch Angriff auf Stützpunkte? Wann ist Grenzverletzung „Gewalt“?)

UN-Resolution von 1970: Unterdrückung des Selbstbestimmungsrechts von Kolonienist Verstoß gegen Gewaltverbot. Schwere Menschenrechtsverletzung bisher als „Friedensbedrohung“, aber nicht alsVerstoß gegen Gewaltverbot anerkannt.Begriff der „Drohung“ unklar. Drohung mit Angriffskrieg rechtswidrig. Aufrüstungfraglich. Entwicklung und Erwerb von Massenvernichtungswaffen unter Verletzungvon Verträgen zur Rüstungskontrolle „unter Umständen rechtswidrig“. NukleareAbschreckung umstritten.

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III. 2. Völkerrechtliche Bestimmungen (3)

Rechtfertigungsgründe für Gewalt:

(1) Selbstverteidigung, auch Beistand (aber: Verhältnismäßigkeit).Angriff muss aber vorliegen, präventiv unzulässig (umstritten).

(2) Ausübung des Selbstbestimmungsrechts (nicht einhellig, aber mit Mehrheitin einigen Resolutionen). Umstritten: Hilfe dazu von anderen Staaten.

(3) Schutz eigener Staatsangehöriger in fremden Staaten. Aber: Zustimmung des betroffenen Staates

(4) Humanitäre Intervention. Bei blutiger Unterdrückung und schwerer Verletzungder Menschenrechte. Umstritten. Breit akzeptiert nur bei Zustimmung des Sicher-heitsrates (Somalia, Ruanda, Haiti etc.).

(5) Entscheidung Internationaler Organisationen (UNO). Entspricht der UN-Charta. Aber bisher nur: Beauftragung von Staaten, notwendige Maßnahmen zur Sicherung von Selbstverteidigung (Kuwait) oder Menschenrechten (Somalia etc.) zu ergreifen.

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III. 2. Völkerrechtliche Bestimmungen (4)

Recht im Krieg

Allgemeiner Grundsatz: Legitime militärische Ziele dürfen nur mit legitimen Mitteln angegriffen werden. Legitim: den anderen Staat in seiner militärischenWiderstandskraft schwächen. Verbot „überflüssiger Leiden“. Der Umgang mit Zivilisten und Kombattanten unterliegt dem Völkerrecht, den Grundsätzen der Menschlichkeit und den „Forderungen des öffentlichen Gewissens“.

1. Schutz der Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen. Auswahl der Ziele muss notwendig sein. Flächenbombardements verboten. Angriff auf Infrastruktur vonGroßstädten umstritten. Geschützte Objekte: Krankenhäuser, Kulturgüter, Dämmeund Deiche, Kernkraftwerke, „Umwelt“ (schwierig)

2. „Perfidieverbot“. Vortäuschen einer besonderen Schutzsituation (Rotes Kreuz). Gift- und Mordverbot

3. Verbot besonderer Waffen: Explosivgeschosse der Infanterie, Minen, Brandwaffenchemische Waffen (Gas), Biowaffen, Laserwaffen gegen Personen, Strahlenwaffen(taktische Nuklearwaffen nicht endgültig geklärt)

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III. 2 Völkerrechtliche Bestimmungen (5)

Recht im Krieg (2)

4. Schutz der Wehrlosen.Verwundete und Kranke, wer sich ergibt, Zivilisten schonen und durchHilfsaktionen unterstützen.Besonderes Recht der Kriegsgefangenen: Sachen und Gebrauchsgegenstände behalten, Lager entfernt von Kampfhandlungen, religiöse, geistige und körperlicheBetätigung, Disziplinar- und Strafrecht des Gewahrsamsstaates mitvölkerrechtlichen Garantien, Freilassung nach Kriegsende.Zivilisten befeindeter Staaten: Recht das Land zu verlassen, notfalls Internierung, Rechte analog Kriegsgefangene.Kriegerische Besetzung: Besatzungsmacht ist für die Wohlfahrt verantwortlich. Rechtsordnung soll intakt bleiben, Privateigentum respektieren, notfalls entschädigen. Keine eigenen Bürger ansiedeln.

Sanktionen: „Repressalien“ (Sanktionen), Internationale Ermittlungskommissionen,Internationale Gerichtshöfe.

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III. 3 Die neuen Kriege

Begriff: „Neue“ Kriegea) nicht mehr von Staaten gegen andere Staatenb) überwiegend unter Verletzung von Kriegsrecht

Historisch: In der europäischen Geschichte und dem Völkerrecht ist vom Ende des 30jährigen Krieges bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts der Krieg „zivilisiert“ („gehegt“ etc.) worden. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges gibt es eine Regression: Zunahme an antikolonialen Befreiungskriegen, Bürgerkriegen, Stammeskriegen, gewaltsamen ethnischen und religiösen Konflikten. Die Kriegführung in diesen Kriegen wird ohne hohen technischen Aufwand und Kosten für die Rekrutierung und Entlohnung von Soldaten geführt. Ihre Hauptabsicht ist oft der Druck auf die Zivilbevölkerung bis hin zu systematischer Folter (Vergewaltigung etc.).

(Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Hamburg 2002)

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III. 3 Die neuen Kriege (2)Bedingungen: a) Politisch: Zerfall staatlicher Gewaltmonopole. Vergeblicher Versuch des Aufbaus

eines Staates in entkolonialisierten oder von Großstaaten (Sowjetunion) befreiten Ländern. Rückkehr der Macht von religiösen Verbänden in säkularisierten Staaten („Fundamentalismen“ vs. Modernisierung, Gegensätze von Stammesreligionen oder von Konfessionen). Möglichkeit der Medienbeeinflussung (Druck auf die Weltöffentlichkeit).

b) Ökonomisch: Möglichkeit der Kriegführung mit technisch einfachen („leichten“) und preiswerten Waffen (Pick-up, Kalaschnikoff, Handy, PC). Reservoir arbeits-und perspektivloser Jugendlicher. Einnahmen durch Plünderung und Erpressungs-gelder (Schutz von Hilfsgüterkonvois, Flüchtlingslager). Unterstützung durch Glaubensgenossen (Petrodollars), Finanzierung durch Rauschgifthandel. Parasitäre Teilnahme an internationalen Finanz- und Rohstoffspekulationen.

c) Psychologisch: Erniedrigung durch Ausschluß von ökonomischem und technischem Fortschritt. Zusammenprall von Kulturen (liberal-säkular vs. traditionell-religiös, Patriarchat vs. Emanzipation). Verlust historischer Bedeutung (arabische Welt, Türkei, Sowjetunion). Verletzung durch körperliche Kriegseinwirkungen, Folter, Vertreibung (Rache, Kompensationen).

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III. 3 Die neuen Kriege (3)

Verhältnis zum Völkerrecht und zur Moral

1. Keine autorisierten Militärführer2. Keine erklärten Kriege3. Keine Unterscheidung Zivilisten vs. Kombattanten4. Terrorisierung von Zivilisten, besonders Frauen, als militärisch-politisches Ziel5. Benutzung verbotener Waffen (Autobomben, Giftgas, Biowaffen)6. Interner Terror (Liquidierung von Konkurrenten und Abtrünnigen)

Möglichkeit der Eindämmung1. Versuch der Herstellung stabiler Staaten mit „demokratischen“ Strukturen

(Teilautonomien, Repräsentation, gemeinsame Ressourcennutzung, Zugang zu Märkten und Verteidigungsbündnissen).

2. Vermittlung durch Dritte (UNO, Staatenbünde, Supermächte).3. Militärische Interventionen zum Schutz von Minderheiten, Menschenrechten

(humanitäre Intervention), gegen atomare Bedrohung, gegen Monopolea) durch Völkergemeinschaft (UNO) b) durch Einzelstaat als Weltpolizei