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Sagen aus der Steiermark Robert Preis
Jakob Kirchmayr
Sagen aus der Steiermark
Sagen aus
der Steiermark
Erzählt von
Robert Preis
Zeichnungen von
Jakob Kirchmayr
Tyrolia -Verlag · Innsbruck –Wien
widmung
Robert für Otto, Emil und Clara,
seinem Lieblingspublikum
Jakob für Nikhil und Jay
Die Drucklegung dieses Werkes wurde unterstützt durch die
Abteilung Kultur, Europa, Außenbeziehungen, Referat Volkskultur
im Amt der Steirischen Landesregierung.
2017
© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Typografie und Satz : Michael Karner, Gloggnitz
Lithografie : pixelstorm, Wien
Druck und Bindung : Theiss, Wolfsberg
isbn 978-3-7022-3604-5
E-Mail : [email protected]
Internet : www.tyrolia-verlag.at
Vorwort
Eigentlich sagt man ja, am Land reden die Leute nicht gern. Da
und dort mag das auch durchaus zutreffen, grundsätzlich würde
ich uns Steirer aber als geselliges Volk bezeichnen. Wir reden gern
und sind auch gute Zuhörer.
Kein Wunder, wenn man sich unseren Schatz an Geschichten an-
schaut. Geistwesen, alptraumhafte Kreaturen, aber auch Helden-
geschichten und Liebesmärchen – wir haben alles im Überfluss
und jede Erzählung in mannigfaltiger Abwandlung.
In der vorliegenden Sammlung habe ich mich um einen unkon-
ventionellen Zugang bemüht. Hin und wieder ein wenig Ironie,
ab und zu eine Art Tatsachenbericht in altertümlich anmutender
Sprache. Und so zeigt sich : Viele Sagen sind heute noch groß artige
Gute- Nacht-Geschichten, manche wohl aber selbst Erwachsenen
am Lagerfeuer zu schaurig.
Ich habe mich bei der Recherche an die Literatur gehalten, ver-
traute aber vor allem auf die Erzählkunst von Bekannten und
durch die Sagenwelt mir bekannt Gewordenen.
Dass das Buch überhaupt zustande kam, ist vor allem meiner Frau
Kerstin zu verdanken. Sie hat das Projekt von Anfang an unter-
stützt und sich die Geschichten monatelang geduldig angehört.
Weiters gilt mein Dank Annelies Kainer für die Vermittlung,
Christian Wurzer für das Vertrauen und Jakob Kirchmayr für
seine wunderbaren Visualisierungen. Außerdem danke ich Her-
bert Blatnik, Ingrid Fleischhaker, Hannes Naschenweng, Chris-
tian Teissl und Ilse Pötscher.
Inhalt
Liezen – Ennstal
Am Restner Bühel – Donnersbachwald . . . . . . . . 13
Am Totenbett – Ennstal . . . . . . . . . . . . . 15
Die sprechenden Ochsen – Bad Mitterndorf . . . . . . 17
Kitzwampi Victl – Untertal/Planai . . . . . . . . . 19
Leoben – Eisenstraße
Das Buch – Kalwang . . . . . . . . . . . . . . 25
Das habgierige Kräuterweibl – Eisenerz . . . . . . . . 27
Das Tränenkrüglein – Leoben . . . . . . . . . . . 29
Das versunkene Kloster von Eisenerz – Eisenerz . . . . 31
Der Büffelschmied – Erzberg . . . . . . . . . . . 35
Der gute Berggeist – Eisenerz . . . . . . . . . . . 36
Die Strafe der Frau Percht – Eisenerzer Alpen . . . . . . 38
Die Tanzlacke – Radmer . . . . . . . . . . . . . 41
Die Wilderer – Hinterradmer . . . . . . . . . . . 43
In der Höll – Kalwang . . . . . . . . . . . . . . 45
Von der Liebe am Heiligen Abend – Erzberg . . . . . . 47
Wie der Erzberg entstand – Eisenerz . . . . . . . . . 50
Murau – Oberes Murtal
Der Frauentaler – Oberwölz . . . . . . . . . . . . 53
Der schwarze Melcher – Murau . . . . . . . . . . 55
Die böse Stiefmutter – St. Peter am Kammersberg . . . . 60
Die verschneite Alm – Zirbitzkogel . . . . . . . . . 63
Das Gnomenkreuz – Gaal . . . . . . . . . . . . 65
Das heidnische Heer – Aichfeld . . . . . . . . . . . 68
Das Ungeheuer im Berg – Größenberg/Aichfeld . . . . . 74
Der Graf von Jagershausen – Obdach . . . . . . . . . 77
Die Hexe von Graden – Graden bei Seckau . . . . . . . 81
Die Hölltaler Habergeiß – Judenburg/Obdach . . . . . 83
Bruck – Mürztal
Der Bauer und der Teufel – Mürztal . . . . . . . . . 85
Der Drachentöter von Mixnitz – Bärenschützklamm . . . 88
Der Lindwurm – St. Marein im Mürztal . . . . . . . . 97
Der rote Mann – Tragöß . . . . . . . . . . . . . 101
Die Stiefel im Saggraben – Frein an der Mürz . . . . . . 104
Wilde Frauen – Krieglach . . . . . . . . . . . . . 107
Die Geistermesse von St. Ruprecht – Bruck/Mur . . . . 111
Seewiesen – Seewiesen . . . . . . . . . . . . . . 114
Voitsberg – Weststeiermark
Greißenegg und der Wahrsager – Kainachtal . . . . . . 119
Auf der Jagd – Krottendorf-Gaisfeld . . . . . . . . . 123
Der Geist von Krems – Krems bei Voitsberg . . . . . . 126
Der Schabbock – Hirschegg . . . . . . . . . . . . 128
Der Wassermann von Salla – Maria Lankowitz . . . . . 132
Die Törin – Voitsberg . . . . . . . . . . . . . . 135
Wilgefortis – Geistthal . . . . . . . . . . . . . . 137
Rund um Graz
Das Fest – Peggau . . . . . . . . . . . . . . . 141
Das Frauenloch – Semriach . . . . . . . . . . . . 144
Das wundersame Kreuz aus Holz – Straßengel . . . . . 147
Der letzte Ritter von Waldstein – Übelbach . . . . . . 149
Die Kirche von Stiwoll – Stiwoll . . . . . . . . . . 153
Die tapfere Agnes – Frohnleiten . . . . . . . . . . . 155
Rabenstein – Frohnleiten . . . . . . . . . . . . . 159
Die Gjoa – Hitzendorf . . . . . . . . . . . . . . 163
Das Gespenst – Hausmannstätten . . . . . . . . . . 169
Schöcklland
Der Schatz der Stubenberger – Schöckl . . . . . . . . 173
Wetterhexen – Schöckl . . . . . . . . . . . . . . 178
Heßgrueber und der Stubenberger Schatz – Schöckl . . . 180
Wie der Schinderjakl den Gottscheberseppl traf – Schöckl . 184
Graz
Die Nixe und das Schloss – Andritz . . . . . . . . . 187
Der steinerne Hund – Schlossberg . . . . . . . . . . 190
Dunkle Mächte – Graz . . . . . . . . . . . . . . 192
Der Türke in Grätz – Sporgasse . . . . . . . . . . . 199
Der Schrattel – Weinzödl . . . . . . . . . . . . . 202
Die Greifgrube – Straßgang . . . . . . . . . . . . 204
Die drei Raben – Schloss Eggenberg . . . . . . . . . 207
Das Hollermandl – Andritz . . . . . . . . . . . . 211
Der Jungfernsprung – Gösting . . . . . . . . . . . 213
Südweststeiermark
Das Lahnwaberl – Groß Sankt Florian . . . . . . . . . 215
Die Nachtwand – Eibiswald . . . . . . . . . . . . 220
Wegschoad-Sitzen – Koralmregion . . . . . . . . . 222
Südsteiermark
Der Weltuntergang – St. Johann im Saggautal . . . . . . 227
Der Wilde Mann – Wildon . . . . . . . . . . . . 231
Der Zigeunerfranzi – Arnfels . . . . . . . . . . . 237
Südoststeiermark
Berta und Guibert – Bad Radkersburg . . . . . . . . 237
Das Nachtahnl – Murfeld . . . . . . . . . . . . . 241
Das Rätsel – St. Peter am Ottersbach . . . . . . . . . 242
Die Legende der Unifrauen – Straden . . . . . . . . 244
Oststeiermark
Die Irrlichter vom Göbersgraben – Ilz . . . . . . . . 247
Der Teufelsstuhl – Hartberg . . . . . . . . . . . . 250
Die Geister-Kutsche – Ludersdorf/Wilfersdorf . . . . . . 253
Die Heldin von Oltenberg – St. Ruprecht an der Raab . . . 258
Die Drud – Arzberg . . . . . . . . . . . . . . . 261
Das Gösserkreuz – Passail . . . . . . . . . . . . 264
Heidenwiesen – Passail . . . . . . . . . . . . . 266
Literaturhinweise 269 / Der Erzähler 270 / Der Zeichner 271
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Liezen – Ennstal
Am Restner BühelDonnersbachwald
Der Weg nach Donnersbachwald führte einst über den stei-
len Restner Bühel. Immer wieder war zu beobachten, wie sich
hier die Fuhrwerke abmühten. So sehr man an den Pferden zog
oder sie antrieb, wenn der Boden weich war, dann war es zum
Ver gessen. Am besten, man kehrte um. Zumal es in früheren
Zeiten sogar vorkam, dass am Wegesrand plötzlich seltsame
Figuren auftauchten. Immer dann, wenn man sie am wenigsten
brauchte.
Einem Weinhändler aus Oberwölz ist einmal passiert, dass eine
solche Figur vorwitzig raunte, sie wette mit ihm, dass sie des
Weinhändlers prall mit Fässern gefüllten Karren ganz allein über
den Bühel zu zerren vermöge.
Der Weinhändler zog seine Stirn in Falten und blickte zum Him-
mel. »Bist am End’ der Teufel, weilst so a Wette vorschlagst?«,
wollte er wissen.
Der Fremde lächelte. »Wenn ich den Karren bis hinauf zieh’, ge-
hört dei Seel’ mir. Wenn nicht, bist reich bis ans Lebensend’.«
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Der Händler betrachtete den Teufel und wog seine Möglichkeiten
ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihn der böse Kerl gleich auf der
Stelle in einen Haufen Asche verwandelte, war groß. Andererseits :
Der Teufel war ein Spieler.
»Meinetwegen«, tat der Händler deshalb gleichgültig. »Hinauf
mit eingeschliffenen Rädern und hinunter mit ausgeschliffenen.
Ich will ja, dass meine Ware heil unten ankommt.«
Der Teufel blitzte ihn an. »Deine Seel’«, zischte er, »gehört mir.«
»Werma sehn«, murmelte der Händler leise, »das werma sehn«.
Natürlich hatte der Teufel übermenschliche Kräfte. Sein Schädel
wurde dennoch rot und der Schweiß tropfte ihm über den mus-
kelbepackten Oberkörper. Er zog den Wagen Schritt für Schritt
bergauf.
Der Händler, der ihm folgte, hatte die Hände instinktiv zum Ge-
bet gefaltet und überlegte sich schon, wie es sich anfühlte – so
ganz ohne Seele.
Oben angekommen, grinste der Teufel und schnaufte. »Deine
Seel’, Händler«, und mit dem Zeigefinger zeigte er auf sich selbst.
Dann löste er die Räder, stellte sich vor den Wagen und ließ ihn hi-
nabrollen. Doch so steil der Bühel auf der einen Seite war, so steil
war er auch auf der anderen und so lag das Gewicht des Wagens
mächtig auf des Teufels Schultern. Mehr noch. Es schob ihn vom
Berg.
Immer schneller bewegten sich die Beine des Teufels und immer
mächtiger drückte das Gewicht, und irgendwann ging es nicht
mehr anders. Er konnte den Wagen nicht mehr halten und raste
stattdessen mit ihm in wilder Jagd den Hügel bergab. Funkensprü-
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hend donnerte das Fuhrwerk den vorüberrauschenden Donners-
bach entlang und schlug, im Tal angekommen, direkt in den Stein
hinein. Heute noch ist das große Loch zu sehen, das beim Aufprall
des Wagens entstand.
Der Händler aber kehrte – ohne Fuhrwerk zwar, dafür aber reich
beschenkt – nach Oberwölz zurück.
Am TotenbettEnnstal
In die Flanke eines Ennstaler Berges gepresst, befindet sich ein
Hof namens »Rabenhaupt«. Einst lebte hier ein frommer Knecht,
der es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, sooft er bei einem
Kreuz vorbeiging, zu beten. Jedes Mal bekreuzigte er sich, mur-
melte ein paar Worte, blickte zum Himmel und nickte dann. So
als hielte er kurze Zwiesprache. Als wisse er ganz genau, gehört
worden zu sein. Nein, mehr noch, als erhielte er Antwort.
Jedenfalls : Was manche als gar zu fromm abtaten, war für ihn ganz
normal.
Eines Tages lag dieser Mann im Sterben. Es ging ganz plötzlich. Er
wurde krank, musste ins Bett, wurde versorgt, konnte nicht mehr
aufstehen. Es stand schlecht um ihn, kaum, dass er die Augen auf-
brachte. Und doch, als er so in Ohnmacht dalag, formte sein Ge-
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sicht ein Lächeln. Ein schelmisches Lächeln. Als erinnerte er sich
eines Scherzes.
Einmal noch wachte der Knecht aus dieser Ohnmacht auf und die
umstehenden Bauersleute fragten ihn, was ihn denn zum Lächeln
gebracht habe. Da schaute der Knecht vom einen zum anderen
und hauchte mit schwacher Stimme: »Das ganze Haus war voller
Teufel. Eine ganze Schar war da. Sie sind zwischen euch durch auf
mich zu und wollten mich holen.«
Entsetzt starrten ihn die Bauersleute an und baten den Priester,
doch schnell das Zimmer zu weihen, nein, gleich das ganze Haus.
Da winkte der Knecht den Priester zurück und bat ihn, wieder
Platz zu nehmen. »Es ist alles gut«, sagte der Sterbende : »Mir
träumte, im ganzen Haus stünden all die Kreuze, vor denen ich
mein Lebtag gebetet hab. Die Bösen sind nicht in meine Nähe ge-
kommen und huschten wieder fort. Die Kreuze aber, die sind im-
mer noch überall. Und haben mich gerettet. Brauchts keine Angst
haben. Brauchts nicht. Glaubts mir. Ich hab so viel gebetet, das
reicht für uns alle.«
Da schloss der Knecht die Augen und starb. Mit einem Lächeln auf
den Lippen.
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Die sprechenden OchsenBad Mitterndorf
In Bad Mitterndorf erlebte ein Bauer, was sich viele, viele Men-
schen alljährlich zu Weihnachten erhoffen. Seine Tiere redeten
miteinander und er verstand tatsächlich jedes Wort.
Wie gern würden sich die Leute einmal im Jahr mit Hund und Katz
unterhalten. Bei den meisten käme dabei auch bestimmt eine net-
te Unterhaltung heraus. Gerade das konnte der Bauer aber nicht
behaupten. Gut, jetzt behauptet er gar nichts mehr, und das kam
so.
In der Christnacht ging er in den Stall und wurde stutzig. Er hör-
te Stimmen. Dunkle, rauchige Stimmen, die er zuvor noch nie ver-
nommen hatte. War etwa jemand in seinem Stall ? Hausierer viel-
leicht, oder »Umitreiber«, die Unterschlupf suchten. Na wartets,
dachte der Bauer. Nicht mit mir.
Er schlich leise heran, schaute und – glotzte schließlich regel-
recht – als er erkannte, dass sich die beiden Ochsen miteinander
unterhielten. Und nicht nur die, auch die Kühe plauderten mun-
ter drauflos und – gut, das hörte sich wirklich seltsam an – brach-
ten einander zum Lachen. Der Bauer stand eine Weile so da und
lauschte und stellte alsbald fest : »Das bringt sich nichts, wenn
Viecher reden. Ist genauso ein Unsinn wie bei die Menschen.«
Doch kaum hatte er dies gedacht, hörte er, wie die Stimme eines
der beiden Ochsen plötzlich sehr streng wurde. »Du«, sagte er,
»unser Bauer, der ist ein Schinder. Wir plagen uns wie nur was,
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aber immer ist es ihm noch zu wenig. Dann drischt er auf uns ein.
Als ob schlagen was bringen tät.«
»Hast recht«, sagte darauf der andere Ochse, »das lassen wir uns
nimmer gefallen. Weißt du was : Den Schinder bringen wir um!«
Der Bauer wagte kaum noch zu atmen und schlich auf leisen Soh-
len zurück ins Haus. Am nächsten Tag ließ er seine Frau die Och-
sen zum Brunnen treiben und gab vor, viele andere Dinge, wich-
tigere zu tun zu haben.
Doch bald schon hörte er die Rufe der Bäuerin und als er aus dem
Fenster blickte, sah er auch, warum. Die beiden Ochsen stießen
einander und rauften, denn offenbar, so mutmaßte der Bauer, wa-
ren sie sich doch nicht in allem so einig wie in der Nacht zuvor.
Als der Bauer hinauslief, um die Tiere auseinanderzutreiben, da
drehten sie sich plötzlich um, senkten ihre Köpfe und spießten
ihn auf.
Und noch im Sterben dachte sich der Bauer, dass es wirklich gar
nichts brachte, die Tiere beim Sprechen zu belauschen, wenn man
nicht richtig zuhörte.
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Kitzwampi VictlUntertal/Planai
In den meisten Regionen vergilbt die Erinnerung irgendwann zu
einer dunklen Masse. Geschichten von Krieg und Not machen aus
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft nur ein Schreckgespenst
der Vergangenheit. Den Menschen von Untertal auf der Planai
zaubert die Erinnerung aber manchmal auch ein Lächeln auf die
Lippen. So etwa Reinhard Keinprecht, der sich an eine Frau erin-
nert, die längst zur Legende geworden ist. »Victoria Bachler, die
Frau des weithin bekannten Hochzeitsfotografen Anton Bachler,
war hübsch«, lacht er, »und sonderbar. Und man nannte sie Kitz-
wampi Victl«.
Und die Legenden um sie sind heute Stoff für zahlreiche Anekdo-
ten. Erinnerungen sind selten geordnet. Und selten immer gleich.
Diesmal fängt eine so an :
Eines Tages kam die Victl von der Alm heruntergestürmt und ern-
tete dafür ungläubiges Staunen. Erst vor ein paar Tagen war sie
mit Sack und Pack hinaufgezogen, so wie sie es jedes Jahr tat. Üb-
licherweise blieb sie im Sommer mit ihren Geißen auf der Alm bei
den Krahberghütten, richtete sich notdürftig in einer Unterkunft
ein, in der das Ofenrohr mitten durch den Raum mit dem trocke-
nen Futter ragte, und kehrte erst im Herbst wieder zurück. Sie
war es gewohnt, karg zu leben, noch ärmlicher als die Bewohner
in Untertal.
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Fast waren die Menschen immer wieder aufs Neue verwundert da-
rüber, dass sie überhaupt zurückkehrte. Diesmal aber waren gera-
de einmal drei Tage vergangen, als sie wieder in Untertal eintraf.
Völlig außer sich, schweißüberströmt – und ohne ihre Geißen.
Ein heftiger Wind, der die Hitze vor sich hertrieb, fegte durchs
Tal. Die Röcke bauschten sich auf und die Männer hielten ihre
Hüte fest.
Eine Ahnung hatte die Victl vom Berg heruntergetrieben, rief sie.
Eine Ahnung.
Wild gestikulierend und schreiend, trieb sie die Kinder auseinan-
der, die um sie herumtollten, und stürmte in ihr Haus. Dort fand
sie ihren Mann vor. Und er lebte. Gerade noch.
Nur baden habe er wollen, erzählte er, dabei sei er mit dem Gesäß
voraus ins Butterfass gefallen und in dieser unglücklichen Lage –
Arme und Beine ragten aus dem Wassertrog heraus – steckenge-
blieben. Verzweifelt hatte der Mann nun schon seit drei Tagen da-
mit gekämpft, aus diesem Fass herauszukommen. Vergeblich, und
niemand hatte seine Hilfeschreie gehört. Nach und nach hatten
ihn zudem die Kräfte verlassen. Und irgendwann war er in sich
zusammengesackt und bereit gewesen, in dieser unwürdigen Po-
sition zu sterben. Der Mann hatte Glück. Im alten Schladmin-
ger Krankenhaus stellten die Ärzte später fest, dass nicht nur sein
Leben, sondern auch das bereits ganz blau angelaufene Bein des
Mannes gerade noch zu retten gewesen waren. Gerade noch.
Anton Bachler hatte also eine Frau, die übersinnliche Kräfte besaß.
Überhaupt wurden dieser Frau eine ganze Menge weitere Künste
nachgesagt. Sie galt etwa als ganz hervorragende Köchin. Zumin-
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dest behaupteten das jene, die sie nicht so gut kannten. Die ande-
ren, nun – die schmunzelten darüber.
Bösartige Untertaler behaupteten etwa seinerzeit, dass ihr Salat
vor allem bei vielen Schladmingern sehr beliebt gewesen sein soll.
Jener Jäger, der die Victl eines Tages beobachtet hatte, wie sie das
schmackhafte Gemüse im Garten mit dem vollen Nachttopf goss,
behielt sein Geheimnis allerdings lange Zeit für sich.
Außerdem waren Victls Nockerl weithin bekannt – auch wenn sie
das eine oder andere Mal versehentlich ihren Abwaschfetzen mit-
gekocht haben soll. Und es gilt als belegte Anekdote aus jener Zeit,
dass ihr selbstgemachter Steirerkäse zwar wirklich hervorragend
schmeckte, leider aber auch beliebter Wohnort von Würmern und
anderem Kleingetier war.
Ja, in der Erinnerung der Menschen war sie eine eher unorthodo-
xe Frau, die Nahrungsmittel im Plumpsklo aufbewahrte, in un-
vorstellbarem Dreck hauste und die meiste Zeit des Jahres auf dem
Berg oder im Talbachweg unweit von Untertal in einem Unter-
stand lebte. Dort sah sie jeder, der in den Ort wanderte. Die meis-
ten blieben auch stehen, plauderten mit ihr, kauften dies und das.
Meist Ziegenmilch. Wie gesagt : Die Zeiten waren schlecht.
Reinhard Keinprecht erinnert sich, dass er auch selbst nach der
Schule oft bei ihr gewesen war, um ihren Geschichten zu lauschen.
Ihren Spitznamen hatte Victoria Bachler allerdings einer ganz an-
deren Gewohnheit zu verdanken : Wie die Bauern jener Gegend
seit jeher die Eigenheit haben, einen Gast zum Abschluss seines
Besuchs in den Stall zu führen, so zeigte die merkwürdige Dame
Besuchern jedes Mal den Inhalt ihres Kleiderschranks. Dort be-