weitere studien über das wesen des anaphylaktischen zustandes

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Weitere Studien fiber das Wesen des anaphylaktisehen Zustandes. IV. Mitteilung. Untersuehungen iiber das Brechungsvermiigen des Serums vor und nach der Erstinjektion yon bluffremdem Eiweil~ und naeh dessen Reinjektion. Yon Emil Abderhalden und Ernst Wertheimer. (Aus dem Physiologischen Ins~itut der Universits Halle a. S.) (Eingegangen am 10. August 1922.) Wit haben kfirzlich mitgeteiltl), dab im anaphylaktischen Schock die Zellatmung stark herabgesetzt ist. Durch diese Feststellung er- f~hrt die Ansicht derjenigen Forscher, wie Bichet, D6rr u. A., die die Auffassung vertreten, dal~ die Ursache des anaphylaktischen Schocks nicht ausschliel~iich auf eine Ver~nderung im Blute selbst zurfickzu- ffihren ist, eine wesentliche Unterstfitzung. ])urch die Festste]lung, daft durch das Einspritzen yon blutfremdem Eiweil3 in die Blutbahn eine weitgehende StSrung des Zellstoffwechsels verursacht wird, ist natiirlich nicht ausgeschlossen, dal~ auch in der Bintbahn selbst Ver- ~nderungen eintreten; ja es ist sogar im voraus anzunehmen, dal~ diese besonders ausgesprochen sind. ])as Blut ist ja ein Gewebe wie jedes andere, nur mit der Besonderheit, dal~ seine Zellen in einer Fliissig- keit, dem Plasma, suspendiert sind. Wir haben uns die Frage gestellt, ob die erste und die wiederholte Zufuhr yon blutfremdem Eiweif~ Ver~nderungen des Blutplasmas be- dingt, die sich einerseits durch physikalische Methoden und anderer- seits dutch chemische feststellen lassen. Es ist wohl denkbar, dab im Gehalt des Plasmas an Eiweii~ Ver~nderungen eintreten. In diesem Fall ist es besonders verlockend, der Frage nachzugehen, wie sich die Globuline und die Albumine w~hrend einer l~ngeren Periode nach er- folgter parenteralen Aufnahme yon blutfremder Eiwei!~lSsung verhalten. Ferner ist es denkbar, daf~ Veri~nderungen auftreten, die die Eigenschaf- ten der im koUoiden Zustand befindlichen Plasmabestandteile betreffen. Die Zahl der Fragestellungen, die sich hier anknfipft, ist sehr groin. 1) EmilAbderhalden und Ernst Werthelmer, Pfliigers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 487. 1922.

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Page 1: Weitere Studien über das Wesen des anaphylaktischen Zustandes

Weitere Studien fiber das Wesen des anaphylaktisehen Zustandes.

IV. Mitteilung.

Untersuehungen iiber das Brechungsvermiigen des Serums vor und nach der Erstinjektion yon bluffremdem Eiweil~ und naeh

dessen Reinjektion.

Yon

Emil Abderhalden und Ernst Wertheimer.

(Aus dem Physiologischen Ins~itut der Universits Halle a. S.)

(Eingegangen am 10. August 1922.)

Wit haben kfirzlich mitgeteiltl), dab im anaphylaktischen Schock die Zellatmung stark herabgesetzt ist. Durch diese Feststellung er- f~hrt die Ansicht derjenigen Forscher, wie Bichet, D6rr u. A., die die Auffassung vertreten, dal~ die Ursache des anaphylaktischen Schocks nicht ausschliel~iich auf eine Ver~nderung im Blute selbst zurfickzu- ffihren ist, eine wesentliche Unterstfitzung. ])urch die Festste]lung, daft durch das Einspritzen yon blutfremdem Eiweil3 in die Blutbahn eine weitgehende StSrung des Zellstoffwechsels verursacht wird, ist natiirlich nicht ausgeschlossen, dal~ auch in der Bintbahn selbst Ver- ~nderungen eintreten; ja es ist sogar im voraus anzunehmen, dal~ diese besonders ausgesprochen sind. ])as Blut ist ja ein Gewebe wie jedes andere, nur mit der Besonderheit, dal~ seine Zellen in einer Fliissig- keit, dem Plasma, suspendiert sind.

Wir haben uns die Frage gestellt, ob die erste und die wiederholte Zufuhr yon blutfremdem Eiweif~ Ver~nderungen des Blutplasmas be- dingt, die sich einerseits durch physikalische Methoden und anderer- seits dutch chemische feststellen lassen. Es ist wohl denkbar, dab im Gehalt des Plasmas an Eiweii~ Ver~nderungen eintreten. In diesem Fall ist es besonders verlockend, der Frage nachzugehen, wie sich die Globuline und die Albumine w~hrend einer l~ngeren Periode nach er- folgter parenteralen Aufnahme yon blutfremder Eiwei!~lSsung verhalten. Ferner ist es denkbar, daf~ Veri~nderungen auftreten, die die Eigenschaf- ten der im koUoiden Zustand befindlichen Plasmabestandteile betreffen. Die Zahl der Fragestellungen, die sich hier anknfipft, ist sehr groin.

1) EmilAbderhalden und Ernst Werthelmer, Pfliigers Arch. f. d. ges. Physiol. 195, 487. 1922.

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86 E. Abderhalden und E. Wertheimer: Weitere Studien

Wir haben zun~chst das BrechungsvermSgen des Blutplasmas yon Tie- ren vor und nach der ersten Injektion yon blutfremdem Eiweil~ und ferner nach effolgter Reinjektion geprfift.

~achdem unsere Untersuchungen bereits zu einem gewissen Ab- schluB gelangt waren, erschien eine Mitteilung yon Wilhelm Bergerl), die sich mit der gleichen Fragestellung befaBt. Berger kommt zu dem Resultat, dab nach parenteraler EiweiBzufuhr die Refraktion und die Viscosit~tt des Blutserums zunehmen, und zwar beobachtete er eine Zunahme der gesamten EiweiBmenge. Er konnte ferner feststellen, dab zun~chst eine Vermehrung der Globulinmenge eintritt. Sp~ter kann dann eine Periode absoluter und relativer Albuminvermehrung folgen, die durch lange Zeit hindurch anh~lt. Berger spricht yon einer Hyperprotein~mie; zweckmhBiger ist die Bezeichnung Hyperproteino- plasmie (vgl. hierzu E. Abderhalden, Lehrbuch der physiologischen Chemie, 4. Auft., S. 587, 1920). Wir kSnnen die Beobachtungen von Berger und damit auch diejenigen yon anderen Autoren best~tigen. Auch wir konnten mittels des Re/raktometers und des Inter/erometers eine mehr oder weniger starlce ~nderung des BrechungsvermSgens des Serums yon Tieren /eststellen, denen parenteral blut/remdes Eiwei[3 zuge/i~hrt worden war.

Wir benutzten zu unseren Versuchen Kaninchen. Vor und nach der Erstinjektion und ferner nach der Reinjektion wurde Blur .ent- nommen. Wit bestimmten das Drehungsverm6gen und das re/ralctometrische und inter/erometrische Verhalten des Serums. Das Drehungsverm6gen zeigte keine ~nderungen0 dagegen lieB sich regelm~Big eine Zunahme des BrechungsvermSgens des Plasmas nach erfolgter parenteraler Zufuhr yon blutfremdem EiweiB nachweisen. Die Beobachtungen, wonach schon die erste Einspritzung yon blutfremdem EiweiB Ver~nderungen im Plasma bewirkt, stfitzt die Ansicht jener Forscher (DSrr u. A.), nach der bereits bei der Erstinjektion ein Zustand ausgelSst wird, d e r n u r graduell yon demjenigen verschieden ist, der bei der Reinjektion sich in so augenf~lliger Weise kundtut. Nach der Rein]elction erh(~lt man die gleichen Erscheinungen, wie bei der Erstinjektion, nut sind sie quan- titativ stark gesteigert.

Man kSnnte gegen die gezogenen SchluBfolgerungen den Einwand erheben, dab die Blutentnahme an und ffir sich zu Ver~nderungen fiihrt. Es ist bekannt, dab nach Blutentnahmen die Gerinnung des Blutes rascher erfolgt. Es liegen auch Beobachtungen fiber Veri~nde- rungen im Verh~ltnis yon Globulin zu Albumin nach wiederholten Blutentnahmen vor. Wir haben selbst in dieser Richtung Erfahrungen gesammelt. Betr~chtliche Unterschiede waren jedoch nur nach grSBeren Blutverlusten feststellbar. Zur Kontrolle der oben erw~hnten Versuche

1) Wilhelm Berger, Zeitschr. f. d. ges. exp. Med. 28, 1. 1922.

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~ fiber das Wesen des anaphylaktischen Zustandes. IV. 87

wurde normalen Kaninehen mehrmals ]e etwa 4 ccm Blur entzogen und dann im Serum das BrechungsvermSgen festgestellt. Es ergaben sich Unterschiede, die jedoch weir hinter jenen zurfiekblieben, die wir ~ach parenteraler Zufuhr yon blutfremdem EiweiB feststellen konnten. Der h6chste Untersehied, der zur Beobaehtung kam, bestand in 42 Trommelteilen bei Anwendung der interferometrischen Methode.

Ein weiterer Einwand, der gegen die Deutung der gemaehten Be- obachtungen i n Frage kommt, ist der folgende: Dem Blutplasma des Kaninchens wird in der Blutbahn eine ganz betr~chtliche Menge art- fremden Serums zugesetzt. Es kSnnte sehr wohl sein, dab allein da- dureh der Breehungswert des Serums des Blutes des vorbehandelten Tieres beeinfluBt wirdl). ]3er direkte Versueh, d. h. die Vermischung yon 1 ccm Kaninchenserum mit 0,6--0,8 ecm Rinderserum ergab, dab mit dem Interferometer keine ~mderung feststellbar war.

Wir haben aueh Untersuchungen fiber den Gesamtstiekstoffgehalt des Serums vor und im anaphylaktisehen Sehock durehgeffihrt. Die Untersehiede waren jedoeh nicht betr~ehtlich. Sie bereehtigen zu keinen endgfiltigen SchluBfolgerungen, weft die Zahl dieser Versuche klein ist. Wir haben sie nach dem Erscheinen der Arbeit yon Berger 2) nicht fortgesetzt. Berger betont in seiner Arbeit, dab f/ir eine humorale Umwandlung yon Albumin in Globulin keine Beweise dureh seine Versuehe gegeben seien. Wir m6chten darauf hinweisen, dab eine solehe Umwandlung bei der ganz verschiedenen chemischen Zusammensetzung der beiden Proteinarten auBerordentlieh unwahrseheinlich, ja eigent- lich unm6glich ist. So enth~lt Albumin kein Glykokoll, w~hrend diese Aminos~ure dem Globulin eigen ist. Wit mSchten auf Grund unserer Beobaehtungen der Ansieht zuneigen, dab die festgestellten ~mderungen im Brechungswert des Serums im wesentlichen auf einer Verhnderung des physikaliseh-chemischen Verh~ltnises der vorhandenen Stoffe und insbesondere der Proteine zur/ickzuffihren sind.

Versuch 1. Schwarzgraues Kaninchen. Gewicht 2300 g. Temperatur 39,3 o. Am I. VI. wird dem Tier Blur aus der Ohrvene entnommen. Das Serum wurde polarimetrisch, interferometrisch und refraktometrisch

untersucht. Die angegebenen Zahlen sind Mittelwerte aus 4 Ablesungen:

Polarimetrisch Interferometrisch Refraktometrisch (Trommelteile) (Skalenteile)

- - 0,65 ~ 1483 52,8 Gleich darauf wurden 6 ccm I~inderserum intravenSs eingespritzt. Die Injektion wurde ohne Erscheinungen ertragen. Am 2. VI. Blutentnahme. ])as Serum ergab jetzt folgende Werte-

1) Vgl. hierzu Emil Abderhalden, Pfliigers Arch. f. d. ges. Physiol. 193, 236. 1922.

~) 1. c.

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88 E. Abderhalden undE. Wertheimer: Weitere Studien tiber dasWesen usw.

Polarimetriseh Interferometrisch Refmktometrisch (Trommelt~ile) (Skalenteile)

- - 0,64 ~ 1507 53,7 Am 9. VI. Reinjektion yon 5 ecru Rinderserum intraven6s. Nach der Injektion zeigt das Tier ziemlieh ausgeprggte Atemnot mit ~lanken-

atmung. Die Temperatur fiel nur um 0,9 ~ yon 41,0 auf 40,1 ~ I~ach 20 Minuten wird dem Xaninehen Blut entnommen. Die Unt~rsuehung

ergab folgende Zahlen: Polarimetrisch Interferometrisch Refraktometrisch

- - 0,64 ~ 1586 56,3 Am 10. VL wird das Kaninchen sehr mat t vorgefunden. Es bestand starke

Atemnor Kurz vor dem Exitus wurde noehmals Blur entnommen. Das Serum ergab folgende Werte:

polarimetrisch: Interferometrisch: Refraktometrisch: - - 0,64 ~ 1689 58,6

Die Sektion ergab folgendes: Die Leber ist blab und verfettet; die Lungen leieht gebl/~ht. Die Darmgef/~Be sind m~Big gefiillt.

Versuch 2. Benutzt wird ein sehwarzbrauner Boek. Gewicht 2260 g. Tem- peratur 38,8 ~

Am 13. VI. wurden 4 ecm Rinderplasma intraven6s injiziert. Reinjekt;on der gleiehen Dosis am 21. VI. AuBer einer stark beschleunigten

Atmung zeigt das Tier keine auffallenden Symptome. Die Untersuchung der Sera ergaben folgende Resultat~:

Polarimetrisch Interferometrisch Refraktometrisch (Trommelteil) (Skalenteile)

Vorversuch am 13. VI. - - 0,640 1296 53,00 Versuch nach der Erst-

injektion am 15. VI. - - 0,64 ~ 1374 54,8 Versueh naeh der Re-

injektion am 21. VI. - - 0,64 ~ 1530 56,0 Zu Versuch 3 wurde ein brauner Boek mi t weiflem Bauch benutzt. Gewicht 2170 g. Temperatur 38,7 ~ Erstinjektion yon 3 ccm Rinderplasma intravenSs am 13. VI. Reinjektion der gleichen Dosis am 23. VL Nach der Reinjektion t r i t t auf-

fallende Atemmot ein. Untersuchung der Sera: Interferometrisch Refraktometrisch

(Trommelteile) (Skalenteile) Vorversuche am 13. VI. 1292 52,4 Versuch nach den :Erstinjektionen am 15. VI. 1421 53,6 Versuch nach der Reinjektion am 23. VI. 1550 54,6

Versuch 4. Es wurde ein bleigrauer Bock benutzt. Gewicht 3200 g. Tempe- ratur 38,8 o.

Am 27. VI. :Erstinjektion yon 5 ccm Serum intravenSs. Am 3. VII. Reinjektion yon 3 ccm l~inderserum intravenfs. Danach leichto

Atemnot. �9 Untersuehung der Sera: Serum in g :N in i ccm Interferometrisch Refraktometrisch

(Trommelt;eile) (Skalenteile) Vorversuch am 27. VL 0,01066 1470 53,8 Nach der Reinjektion (3. VIL) 0,01148 1536 55,2