28 stuttgart flair 333notiert rock am see magischetricks ... · jethro-tull-flötist iananderson...

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Wie altert man in Würde? Da findet je- der seine eigene Antwort. Der Kabaret- tist gründet eine Stiftung, der Politiker trägt Zylinder, und der Rocker, nun ja, der rockt einfach weiter. Als Jungspunde hatten sie eine große Klappe. Jethro-Tull-Flötist Ian Anderson fürchtete, mit 40 zu jung zum Sterben und zu alt für Rock’n’Roll zu sein, Neil Young wollte lieber ausbrennen als ver- blassen, und Pete Townsend von The Who lieber sterben, als alt zu werden. Heute stehen sie alle noch auf der Bühne, mit Sex und Drogen hat’s nachgelassen, aber zu Kuscheln und Doppelherz gibt’s immer noch Rock’n’Roll. Auch der dop- pelte Michael gibt keine Ruhe. Der Rockmob geht weiter um. Immerhin haben Michael Gaedt und Michael Schu- lig ihr Tun legalisiert. Ihre Auftritte als Gitarrenguerilla sind jetzt ganz ordent- lich genehmigt, nachdem zuletzt die Poli- zei die Spontankonzerte gerügt hatte – nicht wegen der lauten Musik, nein, we- gen des Verteilens von Flugblättern. Mit der amtlichen Erlaubnis zum Rocken ausgestattet, geht’s auf Tour. Eine Konzertreise haben Gaedt und Schulig ausgetüftelt mit den sinnigen Na- men: Rock im Park, Rock am See und Rock am Ring. Am Sonntag starten sie um 14 Uhr im Rosensteinpark vor dem Schloss, dann tuckert der VW-Bus zum Feuersee. Wie das bei Rock’n’Rollern so ist, man weiß nie, ob sie pünktlich sind, aber um 15.30 Uhr wollen sie vor der Jo- hanneskirche musizieren. Dann geht’s zum Schattenring, an der Salzhalle der Straßenmeisterei Leonberg werden ge- gen 17 Uhr die Instrumente ausgepackt. Muten sich die Michaels, beide mit 51 mittlerweile eher im Akkustikgitarren- Alter, da nicht zu viel zu? Blöde Frage. Unterschätze nie einen Rocker. Denn das Motto lautet: „Madeleine Schickedanz zit- tert, Maria Elisabeth Schaeffler ist es bang’, Wendelin Wiedeking zaudert – Mi- chael Gaedt und Michael Schulig wissen, wo es langgeht.“ Ein Rocker ist OB Wolfgang Schuster vor allem auf der Skipiste. Aber nach di- versen Knochenbrüchen hat er sich vom Bergabreiten verabschiedet. Dem Verneh- men nach widmet er sich jetzt ruhigeren Hobbys. Origami etwa, da lassen sich fast umsonst tolle Erlebniszentren falten. Oder Gartenarbeiten, wenn schon kein Tunnel unter der Kulturmeile, dann we- nigstens im Beet schaufeln. Nein, nein, wir wollen ihn noch nicht in den Ruhe- stand verabschieden. Aber es steht ein runder Geburtstag an: Auch wenn man es ihm nicht ansieht, im September wird Schuster 60. In Schwäbisch Gmünd war er einst OB, dort hat er jetzt schon vorge- feiert. In Gmünd gibt’s den Brauch, dass die 40-Jährigen durch die Stadt schrei- ten, um allen zu zeigen wie g’scheit sie ge- worden sind. Alle zehn Jahre wiederho- len sie die Parade. Nun beging Schuster sein Jahrgangsfest, festlich mit Zylinder. Und er hat sich wohlgefühlt. Dort wird nämlich gebuddelt auf Teufel komm raus. Ganz Gmünd ist eine Baustelle, die Stadt wird untertunnelt. So ein tolles Loch hätte Schuster auch gerne. Ob’s zum Sechzigsten mit Stuttgart 21 klappt? Wäre ja eine schöne Bescherung. Feiern für den Weltfrieden, das macht die High Society gerne. Komiker Chris- toph Sonntag hat eine neue Veranstal- tung fürs Salben des Gewissens gefun- den: Essen für Bildung. Heute wird im Hotel Le Méridien getafelt, Exlandesva- ter Lothar Späth moderiert und verstei- gert, Sonntag witzelt. Das Geld wird für Sonntags Projekt, ein Klassenzimmer am Max-Eyth-See, gespendet. Guten Appe- tit für einen guten Zweck. Rock am See Als kleiner Junge begeisterte er Verwandte mit Kunststücken aus dem Zauberkasten. Inzwischen ist aus dem Nachwuchsmagier ein professioneller Illusionist geworden. Damit hat sich ein Traum erfüllt. Bald wird ein zweiter wahr: Im Oktober eröffnet Thorsten Strotmann sein eigenes Zaubertheater. Von Susanne Rehm Wo ist nur die Herz-Fünf hin? Hoch konzen- triert versuche ich, die mit grünem Stift ei- genhändig signierte Spielkarte nicht aus den Augen zu lassen. Doch Thorsten Strot- mann ist ein Meister seines Fachs, der sich nicht so leicht überlisten lässt. Routiniert lässt er den Stapel Pokerkarten durch die Finger gleiten. Schließlich findet sich die Herz-Fünf: fein säuberlich gefaltet, in ei- nem mit Reißverschluss geschlossenen Fach eines etwas abseits auf dem Tisch liegenden Portemonnaies. Unglaublich! Versonnen lächelnd blickt Thorsten Strot- mann ins verblüffte Gesicht seines Gegen- übers. Andere mögen unfassbare Illusionen vollbringen, ganze Eisenbahnwagons ver- schwinden oder weiße Tiger erscheinen las- sen – der 36-jährige Magier aus Weissach mag lieber Zauberei pur. Kleine Tricks mit Karten, Münzen oder ausgeliehenen Gegen- ständen. Ein bisschen Mentalmagie. Die Menschen hautnah verzaubern. „Magie ist kein Rockkonzert“, pflegt Thorsten Strot- mann zu sagen. Nach diesem Motto funktio- niert auch das erste Close-up-Zauberthea- ter in Baden-Württemberg, das der Zauber- künstler im Oktober eröffnet. „Strot- manns“ wird das Baby heißen – Untertitel „Magic Lounge“. Der Magier hat es gemein- sam mit Ehefrau Claudia (37) konzipiert. „Ein eigenes Theater war schon immer mein Traum“, sagt der gelernte Industrie- mechaniker. Er hat dieses Ziel ebenso akri- bisch verfolgt wie seine künstlerische Kar- riere. Die begann einst mit einem Zauber- kasten aus dem Spielwarenladen, wie ihn viele einst im Kinderzimmerschrank stehen hatten. Thorsten Strotmann hat nicht nur wirklich damit gearbeitet, sondern kaufte sich zusätzlich Fachliteratur und übte wie wahnsinnig. „Die meisten Zauberkünstler sind Autodidakten“, sagt Strotmann und er- zählt, wie eine lockere Zivildienststelle als Hausmeister einst seine Kunst beflügelte. Bis zu acht Stunden täglich habe er trai- niert, das anschließende Studium der Be- triebswirtschaftslehre vernachlässigt. „Im Alter von 25 Jahren erkannte er, das BWL und Magie ungefähr dasselbe sind und machte sich selbstständig“, heißt es dazu auf seiner Website. Im Nachhinein betrachtet waren die weni- gen Semester an der Fachhochschule Pforz- heim jedoch nicht völlig vergebens – halfen ihm die dort erworbenen Kenntnisse doch nun beim Schreiben eines Wirtschaftsplans für das Close-up-Zaubertheater. Im Römer- kastell hat Strotmann den passenden Stand- ort für seinen langgehegten Traum gefun- den. Das ehemalige Neue Musiktheater des Staatstheaters Stuttgart wird für zauber- hafte Zwecke umgebaut. „Eine kleine Bühne, nur fünf Zuschauerreihen, knapp hundert Plätze. Da ist man wirklich ganz nah dran“, sagt Strotmann und zeigt stolz die Baupläne der in Form eines Atriums gestalteten Bühne. Er habe unglaublich Glück mit der insgesamt 500 Quadratmeter großen Halle gehabt, erzählt er, die passende Infrastruktur sei schon fast komplett vorhanden. Toiletten, Parkplätze, Garde- robe, alles bestens. Dennoch sind einige Umbauten notwen- dig, auch eine Bar wird einge- richtet. Insgesamt plant der 36-Jährige mit 150 000 Euro Baukosten. Die Summe möchte er nicht nur mit den drei- bis viermal die Woche stattfindenden Shows wie- der einspielen, sondern auch mit einem ausgeklügelten Sponso- renkonzept. In den ver- gangenen zwölf Jahren als Profizauberer hat Strotmann schließ- lich viele Kontakte geknüpft. 7000 Namen finden sich in sei- ner Kartei, 2000 Auftritte bei Fir- men hat er absolviert. Daim- ler, Porsche, IBM und auch viele mittelständi- sche Familienbe- triebe gehören zu seinen Kunden. Bei den Geburtstagen von Berti Vogts und Karlheinz Böhm trat er schon auf, ebenso beim Abschiedsspiel von Schalkes Fußballstar Olaf Thon. Sie alle hat er mit seiner Kunst verzaubert – nicht immer war die Herz- Fünf dabei im Spiel. www.strotmanns.com Von Verena Mönch Schillerplatz, Mörike-Gymnasium oder He- gelstraße – die Namen von berühmten Stutt- garter Autoren zieren bis heute das Stadt- bild. Doch nicht nur in der Vergangenheit hat Stuttgart Literaten hervorgebracht, auch heute gibt es einige junge Schriftstel- ler, die auf den Pfaden ihrer berühmten Vor- gänger wandeln möchten. Julia Lauter ist eine von ihnen. Die 23-jäh- rige Studentin der Philosophie und Politik- wissenschaft lebt seit drei Jahren in Tübin- gen, kommt aber aus der Umgebung von Stuttgart. Mit 15 Jahren besuchte sie zum ersten Mal die Schreibwerkstätten im Stutt- garter Literaturhaus und blieb bei den Thea- terstücken hängen: „Ich bin davon begeis- tert, weil die Sprache auf der Bühne eigenen Gesetzen unterworfen zu sein scheint.“ Lieblingsthemen, über die sie schreibt, hat sie keine. Aber neue Ideen erhält sie im- mer, wenn sie mit verschiedenen Menschen zusammentrifft, wie zum Beispiel beim Theater. Dabei spielt Stuttgart für sie eine große Rolle, weil „alle Menschen, die mir et- was bedeuten, hier wohnen“. Momentan schreibt sie im Rahmen des Autorenprojek- tes „6 and the city“ und hat so die Gelegen- heit auszuloten, inwieweit sie sich eine Kar- riere als Schriftstellerin vorstellen kann. Aber vor allem blickt sie positiv in die Zu- kunft: „Bisher hatte ich immer das Glück, von einem Projekt ins nächste zu stolpern.“ Dass Nikita Gorburov kein gebürtiger Schwabe ist, lässt sich unschwer am Namen erkennen. Nichtsdestotrotz ist der 25-jäh- rige gebürtige Moskauer von Stuttgart be- geistert, seit er nach der Wende hierherkam. Stuttgart war damals das Zentrum der deut- schen Hip-Hop-Szene, und so fing er an, Liedtexte zu schreiben und bei Poetry- Slams aufzutreten. Dies ist einige Jahre her. Inzwischen ist es dem Tontechniker wichtiger geworden, sei- nen Spaß am Schreiben mit anderen zu tei- len. Darum veranstaltet er regelmäßig Work- shops in Schulklassen aller Altersstufen. „Es gibt so viele unausgesprochene Worte, so viele ungeschriebene Sätze“, die er fest- halten möchte. Darum drückt er seinen Schülern Papier und Zettel in die Hand und wartet, was passiert. „Meistens entsteht dann etwas von ganz allein“, sagt er. In Stuttgart inspiriert ihn vor allem die Landschaft: „Ich liebe es, von einem Hügel in den Kessel zu schauen.“ Am liebsten tut er das vom Santiago-de-Chile-Platz aus, „von dem man einen fantastischen Ausblick über die Stadt hat“, sagt er. Aus dieser Vo- gelperspektive betrachtet er, sinniert und schreibt Geschichten, die höchstens drei Sei- ten lang sind, oder Lieder, die er demnächst auf einer CD veröffentlichen will. Und da- nach vielleicht ein Jugendbuch, das von ei- ner Zeitmaschine handelt. Nur Gedichte schreibt er nie. Das liege ihm nicht, sagt er. Als Tontechniker möchte er jedenfalls nicht mehr arbeiten. Doch auch seine Schriftstellerei wird ein bisschen warten müssen, denn momentan ist Gorburov vor al- lem eines: Vollzeitpapa seiner zehn Monate alten Tochter Mia. Hat er doch mal einen freien Abend, so ist er regelmäßig auf der Le- sebühne im Landespavillon sowie im Ju- gendhaus-Mitte als Moderator des Poetry- Slams anzutreffen. Auch der 18-jährige Markus Heller aus Ditzingen hat dort auf der Bühne gestanden und seine Gedichte vor Publikum vorgetra- gen. Wenn er auf der Suche nach neuen The- men ist, setzt er sich am liebsten in den Schlossgarten. „Dort schaue ich dem bun- ten Treiben zu“, sagt der Gymnasiast, der kurz vor dem Abitur steht. Manchmal reicht eine Fahrt mit der S-Bahn, bei der er Satzfet- zen aufschnappt, oder eine Meldung in den Abendnachrichten. „Wenn mir Sachen im Kopf rumgeistern, muss ich sie so schnell wie möglich aufschreiben“, erzählt er. Zwar hat er seine ersten Texte schon mit zwölf Jahren verfasst, doch erst ein Litera- tur- und Theaterkurs an seiner Schule, dem Gymnasium an der Glemsaue, ließ ihn ehr- geiziger werden. Dort lernte er, sich ein Thema zu suchen. „Ich habe da mitge- macht“, erzählt er, „weil ich wissen wollte, wie ich das, was ich sagen will, aufschreiben kann.“ Meistens befasst er sich mit politi- schen Themen, die Globalisierung ist nur eins davon. Was er nach seinem Abitur machen will, weiß er noch nicht. Eine Karriere als Berufs- schriftsteller kommt für ihn aber zurzeit nicht infrage, weil er befürchtet, nicht auf Knopfdruck schreiben zu können. Momen- tan trägt er sich eher mit dem Gedanken, Phy- sik zu studieren. Auf die Frage hin, wie das mit dem Interesse an Literatur zusammen- passt, lächelt er und sagt: „Ich bin genauso neugierig wie Faust und möchte wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält.“ Zwar war Goethe kein Stuttgarter, aber immerhin ein enger Freund von Schiller. Und deshalb dürfen ihn sich die Nachwuchs- autoren guten Gewissens zum Vorbild neh- men. Vielleicht stehen dann irgendwann auch ihre Namen an Stuttgarts Straßen, Gebäuden oder Plätzen. Magische Tricks hautnah im Römerkastell Magier Thorsten Strotmann eröffnet ein Zaubertheater Von Barbara Czimmer-Gauß Soziologen beschäftigen sich gern mit Völ- kern, die von der Zivilisation unbeein- flusst geblieben sind. Neuerdings drehen sie den Spieß um und nehmen Städter unter die Lupe – also Völker, die ihren Lebensstil zivilisatorischen Auswüchsen unterworfen haben. Silke Steets von der Technischen Uni- versität Darmstadt beispielsweise will wissen, wie man was macht in München, Leipzig oder eben in Stuttgart. „Fahren die Leute vor allem mit Bus und Bahn, ge- hen sie zu Fuß oder nehmen das Fahrrad“, fragt sie, und sie will wissen, ob wir Stutt- gart eher als Kulturmetropole oder Pend- lerstadt sehen. „Das ergibt viele Mosaik- steinchen und in der Summe ein Bild“, sagt die 35-jährige Soziologin. Wenn man das in verschiedenen Städten gemacht habe, könne man Entwicklungschancen ausloten. Ein Hersteller von High-Tech- Produkten beispielsweise könnte auf die- ser Basis entscheiden, wo er die besten Absatzmöglichkeiten hat. Die Betrachtung des Alltags erweitert die Vergleichsmöglichkeiten, für die man normalerweise nur Indikatoren wie Bevöl- kerung, Grünfläche, Bebauung hat. „Diese allein und isoliert betrachtet gleicht Stuttgart der Stadt Frankfurt am Main“, sagt Silke Steets. Und doch weiß jeder, dass beide Städte grundsätzlich ver- schieden sind – nicht allein, aber auch, weil am Main Äppelwoi und Würstchen serviert werden, am Neckar jedoch eher Maultaschen und Trollinger. Am Freitag, 3. Juli, 20 Uhr, kommt Silke Steets in den Hospitalhof, Gymnasi- umstraße 36. Die TU Darmstadt baut zur- zeit ein Forschungsprogramm mit dem Ti- tel „Eigenlogik der Städte“ auf, und die Landeshauptstadt wird darin zum For- schungsgegenstand. An dieser Stelle kann also noch keine erschöpfende Antwort auf die eingangs gestellte Frage gegeben werden. 333 notiert Bad in der Menge: Wolfgang Schuster fei- ert in Gmünd Foto: Heino Schütte Der Rockmob geht auf Tour: Michael Gaedt (re.), Michael Schulig Wie tickt Stuttgart und warum? Von Frank Rothfuß Telefon 07 11 / 7 20 57 - 333 [email protected] Buntes Treiben verführt zum Schreiben Nachwuchsautoren lassen sich von Stuttgart und seiner Umgebung inspirieren Was stimmt nicht? Kleiner Tipp, zählen Sie die Hände von Thorsten Strotmann Foto: ts Schreiben über ihre Stadt: Nikita Gorburov, Markus Heller (v. links) Foto: Piechowski 28 Nummer 148 • Mittwoch, 1. Juli 2009 Stuttgart Flair

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Page 1: 28 Stuttgart Flair 333notiert Rock am See MagischeTricks ... · Jethro-Tull-Flötist IanAnderson fürchtete, mit 40 zu jung zum Sterben und zu alt für Rock’n’Roll zu sein, Neil

Wie altert man in Würde? Da findet je-der seine eigene Antwort. Der Kabaret-tist gründet eine Stiftung, der Politikerträgt Zylinder, und der Rocker, nun ja,der rockt einfach weiter.Als Jungspunde hatten sie eine großeKlappe. Jethro-Tull-Flötist Ian Andersonfürchtete, mit 40 zu jung zum Sterbenund zu alt für Rock’n’Roll zu sein, NeilYoung wollte lieber ausbrennen als ver-blassen, und Pete Townsend von TheWho lieber sterben, als alt zu werden.Heute stehen sie alle noch auf der Bühne,mit Sex und Drogen hat’s nachgelassen,aber zu Kuscheln und Doppelherz gibt’simmer noch Rock’n’Roll. Auch der dop-pelte Michael gibt keine Ruhe. DerRockmob geht weiter um. Immerhin

haben Michael Gaedt und Michael Schu-lig ihr Tun legalisiert. Ihre Auftritte alsGitarrenguerilla sind jetzt ganz ordent-lich genehmigt, nachdem zuletzt die Poli-zei die Spontankonzerte gerügt hatte –nicht wegen der lauten Musik, nein, we-gen des Verteilens von Flugblättern.

Mit der amtlichen Erlaubnis zum

Rocken ausgestattet, geht’s auf Tour.Eine Konzertreise haben Gaedt undSchulig ausgetüftelt mit den sinnigen Na-men: Rock im Park, Rock am See undRock am Ring. Am Sonntag starten sieum 14 Uhr im Rosensteinpark vor demSchloss, dann tuckert der VW-Bus zumFeuersee. Wie das bei Rock’n’Rollern soist, man weiß nie, ob sie pünktlich sind,aber um 15.30 Uhr wollen sie vor der Jo-hanneskirche musizieren. Dann geht’szum Schattenring, an der Salzhalle derStraßenmeisterei Leonberg werden ge-gen 17 Uhr die Instrumente ausgepackt.Muten sich die Michaels, beide mit 51mittlerweile eher im Akkustikgitarren-Alter, da nicht zu viel zu? Blöde Frage.Unterschätze nie einen Rocker. Denn dasMotto lautet: „Madeleine Schickedanz zit-tert, Maria Elisabeth Schaeffler ist esbang’, Wendelin Wiedeking zaudert – Mi-chael Gaedt und Michael Schulig wissen,wo es langgeht.“

Ein Rocker ist OB Wolfgang Schustervor allem auf der Skipiste. Aber nach di-versen Knochenbrüchen hat er sich vomBergabreiten verabschiedet. Dem Verneh-men nach widmet er sich jetzt ruhigerenHobbys. Origami etwa, da lassen sichfast umsonst tolle Erlebniszentren falten.Oder Gartenarbeiten, wenn schon keinTunnel unter der Kulturmeile, dann we-nigstens im Beet schaufeln. Nein, nein,wir wollen ihn noch nicht in den Ruhe-stand verabschieden. Aber es steht einrunder Geburtstag an: Auch wenn manes ihm nicht ansieht, im September wird

Schuster 60. In Schwäbisch Gmünd warer einst OB, dort hat er jetzt schon vorge-feiert. In Gmünd gibt’s den Brauch, dassdie 40-Jährigen durch die Stadt schrei-ten, um allen zu zeigen wie g’scheit sie ge-worden sind. Alle zehn Jahre wiederho-len sie die Parade. Nun beging Schustersein Jahrgangsfest, festlich mit Zylinder.Und er hat sich wohlgefühlt. Dort wirdnämlich gebuddelt auf Teufel kommraus. Ganz Gmünd ist eine Baustelle, dieStadt wird untertunnelt. So ein tollesLoch hätte Schuster auch gerne. Ob’szum Sechzigsten mit Stuttgart 21klappt? Wäre ja eine schöne Bescherung.

Feiern für den Weltfrieden, das machtdie High Society gerne. Komiker Chris-toph Sonntag hat eine neue Veranstal-tung fürs Salben des Gewissens gefun-den: Essen für Bildung. Heute wird imHotel Le Méridien getafelt, Exlandesva-ter Lothar Späth moderiert und verstei-gert, Sonntag witzelt. Das Geld wird fürSonntags Projekt, ein Klassenzimmer amMax-Eyth-See, gespendet. Guten Appe-tit für einen guten Zweck.

Rock am See

Als kleiner Junge begeisterte erVerwandte mit Kunststücken aus demZauberkasten. Inzwischen ist aus demNachwuchsmagier ein professionellerIllusionist geworden. Damit hat sich einTraum erfüllt. Bald wird ein zweiterwahr: Im Oktober eröffnet ThorstenStrotmann sein eigenes Zaubertheater.

Von Susanne Rehm

Wo ist nur die Herz-Fünf hin? Hoch konzen-triert versuche ich, die mit grünem Stift ei-genhändig signierte Spielkarte nicht ausden Augen zu lassen. Doch Thorsten Strot-mann ist ein Meister seines Fachs, der sichnicht so leicht überlisten lässt. Routiniertlässt er den Stapel Pokerkarten durch dieFinger gleiten. Schließlich findet sich dieHerz-Fünf: fein säuberlich gefaltet, in ei-nem mit Reißverschluss geschlossenen Facheines etwas abseits auf dem Tisch liegendenPortemonnaies. Unglaublich!

Versonnen lächelnd blickt Thorsten Strot-mann ins verblüffte Gesicht seines Gegen-übers. Andere mögen unfassbare Illusionenvollbringen, ganze Eisenbahnwagons ver-schwinden oder weiße Tiger erscheinen las-sen – der 36-jährige Magier aus Weissachmag lieber Zauberei pur. Kleine Tricks mitKarten, Münzen oder ausgeliehenen Gegen-ständen. Ein bisschen Mentalmagie. DieMenschen hautnah verzaubern. „Magie istkein Rockkonzert“, pflegt Thorsten Strot-mann zu sagen. Nach diesem Motto funktio-niert auch das erste Close-up-Zauberthea-ter in Baden-Württemberg, das der Zauber-künstler im Oktober eröffnet. „Strot-manns“ wird das Baby heißen – Untertitel„Magic Lounge“. Der Magier hat es gemein-sam mit Ehefrau Claudia (37) konzipiert.

„Ein eigenes Theater war schon immermein Traum“, sagt der gelernte Industrie-mechaniker. Er hat dieses Ziel ebenso akri-bisch verfolgt wie seine künstlerische Kar-riere. Die begann einst mit einem Zauber-kasten aus dem Spielwarenladen, wie ihnviele einst im Kinderzimmerschrank stehenhatten. Thorsten Strotmann hat nicht nurwirklich damit gearbeitet, sondern kauftesich zusätzlich Fachliteratur und übte wiewahnsinnig. „Die meisten Zauberkünstlersind Autodidakten“, sagt Strotmann und er-zählt, wie eine lockere Zivildienststelle alsHausmeister einst seine Kunst beflügelte.Bis zu acht Stunden täglich habe er trai-niert, das anschließende Studium der Be-triebswirtschaftslehre vernachlässigt. „ImAlter von 25 Jahren erkannte er, das BWLund Magie ungefähr dasselbe sind und

machte sich selbstständig“, heißt es dazuauf seiner Website.

Im Nachhinein betrachtet waren die weni-gen Semester an der Fachhochschule Pforz-heim jedoch nicht völlig vergebens – halfenihm die dort erworbenen Kenntnisse dochnun beim Schreiben eines Wirtschaftsplansfür das Close-up-Zaubertheater. Im Römer-kastell hat Strotmann den passenden Stand-ort für seinen langgehegten Traum gefun-den. Das ehemalige Neue Musiktheater desStaatstheaters Stuttgart wird für zauber-hafte Zwecke umgebaut. „Eine kleineBühne, nur fünf Zuschauerreihen, knapphundert Plätze. Da ist man wirklich ganznah dran“, sagt Strotmann und zeigt stolzdie Baupläne der in Form eines Atriumsgestalteten Bühne.

Er habe unglaublich Glück mitder insgesamt 500 Quadratmetergroßen Halle gehabt, erzählt er,die passende Infrastruktur seischon fast komplett vorhanden.Toiletten, Parkplätze, Garde-robe, alles bestens. Dennochsind einige Umbauten notwen-dig, auch eine Bar wird einge-richtet. Insgesamt plant der36-Jährige mit 150 000 EuroBaukosten. Die Summemöchte er nicht nur mit dendrei- bis viermal die Wochestattfindenden Shows wie-der einspielen, sondernauch mit einemausgeklügelten Sponso-renkonzept. In den ver-gangenen zwölf Jahrenals Profizauberer hatStrotmann schließ-lich viele Kontaktegeknüpft.

7000 Namenfinden sich in sei-ner Kartei, 2000Auftritte bei Fir-men hat erabsolviert. Daim-ler, Porsche,IBM und auchviele mittelständi-sche Familienbe-triebe gehören zuseinen Kunden. Bei denGeburtstagen von BertiVogts und Karlheinz Böhm trater schon auf, ebenso beimAbschiedsspiel von Schalkes FußballstarOlaf Thon. Sie alle hat er mit seiner Kunstverzaubert – nicht immer war die Herz-Fünf dabei im Spiel.

www.strotmanns.com

Von Verena Mönch

Schillerplatz, Mörike-Gymnasium oder He-gelstraße – die Namen von berühmten Stutt-garter Autoren zieren bis heute das Stadt-bild. Doch nicht nur in der Vergangenheithat Stuttgart Literaten hervorgebracht,auch heute gibt es einige junge Schriftstel-ler, die auf den Pfaden ihrer berühmten Vor-gänger wandeln möchten.

Julia Lauter ist eine von ihnen. Die 23-jäh-rige Studentin der Philosophie und Politik-wissenschaft lebt seit drei Jahren in Tübin-gen, kommt aber aus der Umgebung vonStuttgart. Mit 15 Jahren besuchte sie zumersten Mal die Schreibwerkstätten im Stutt-garter Literaturhaus und blieb bei den Thea-terstücken hängen: „Ich bin davon begeis-tert, weil die Sprache auf der Bühne eigenenGesetzen unterworfen zu sein scheint.“

Lieblingsthemen, über die sie schreibt,hat sie keine. Aber neue Ideen erhält sie im-mer, wenn sie mit verschiedenen Menschenzusammentrifft, wie zum Beispiel beimTheater. Dabei spielt Stuttgart für sie einegroße Rolle, weil „alle Menschen, die mir et-was bedeuten, hier wohnen“. Momentanschreibt sie im Rahmen des Autorenprojek-tes „6 and the city“ und hat so die Gelegen-heit auszuloten, inwieweit sie sich eine Kar-riere als Schriftstellerin vorstellen kann.Aber vor allem blickt sie positiv in die Zu-kunft: „Bisher hatte ich immer das Glück,von einem Projekt ins nächste zu stolpern.“

Dass Nikita Gorburov kein gebürtigerSchwabe ist, lässt sich unschwer am Namenerkennen. Nichtsdestotrotz ist der 25-jäh-rige gebürtige Moskauer von Stuttgart be-geistert, seit er nach der Wende hierherkam.Stuttgart war damals das Zentrum der deut-schen Hip-Hop-Szene, und so fing er an,Liedtexte zu schreiben und bei Poetry-Slams aufzutreten.

Dies ist einige Jahre her. Inzwischen ist esdem Tontechniker wichtiger geworden, sei-nen Spaß am Schreiben mit anderen zu tei-len. Darum veranstaltet er regelmäßig Work-shops in Schulklassen aller Altersstufen.„Es gibt so viele unausgesprochene Worte,

so viele ungeschriebene Sätze“, die er fest-halten möchte. Darum drückt er seinenSchülern Papier und Zettel in die Hand undwartet, was passiert. „Meistens entstehtdann etwas von ganz allein“, sagt er.

In Stuttgart inspiriert ihn vor allem dieLandschaft: „Ich liebe es, von einem Hügelin den Kessel zu schauen.“ Am liebsten tuter das vom Santiago-de-Chile-Platz aus,„von dem man einen fantastischen Ausblicküber die Stadt hat“, sagt er. Aus dieser Vo-gelperspektive betrachtet er, sinniert undschreibt Geschichten, die höchstens drei Sei-ten lang sind, oder Lieder, die er demnächstauf einer CD veröffentlichen will. Und da-nach vielleicht ein Jugendbuch, das von ei-ner Zeitmaschine handelt. Nur Gedichteschreibt er nie. Das liege ihm nicht, sagt er.

Als Tontechniker möchte er jedenfallsnicht mehr arbeiten. Doch auch seineSchriftstellerei wird ein bisschen warten

müssen, denn momentan ist Gorburov vor al-lem eines: Vollzeitpapa seiner zehn Monatealten Tochter Mia. Hat er doch mal einenfreien Abend, so ist er regelmäßig auf der Le-sebühne im Landespavillon sowie im Ju-gendhaus-Mitte als Moderator des Poetry-Slams anzutreffen.

Auch der 18-jährige Markus Heller ausDitzingen hat dort auf der Bühne gestandenund seine Gedichte vor Publikum vorgetra-gen. Wenn er auf der Suche nach neuen The-men ist, setzt er sich am liebsten in denSchlossgarten. „Dort schaue ich dem bun-ten Treiben zu“, sagt der Gymnasiast, derkurz vor dem Abitur steht. Manchmal reichteine Fahrt mit der S-Bahn, bei der er Satzfet-zen aufschnappt, oder eine Meldung in denAbendnachrichten. „Wenn mir Sachen imKopf rumgeistern, muss ich sie so schnellwie möglich aufschreiben“, erzählt er.

Zwar hat er seine ersten Texte schon mitzwölf Jahren verfasst, doch erst ein Litera-tur- und Theaterkurs an seiner Schule, demGymnasium an der Glemsaue, ließ ihn ehr-geiziger werden. Dort lernte er, sich einThema zu suchen. „Ich habe da mitge-macht“, erzählt er, „weil ich wissen wollte,wie ich das, was ich sagen will, aufschreibenkann.“ Meistens befasst er sich mit politi-schen Themen, die Globalisierung ist nureins davon.

Was er nach seinem Abitur machen will,weiß er noch nicht. Eine Karriere als Berufs-schriftsteller kommt für ihn aber zurzeitnicht infrage, weil er befürchtet, nicht aufKnopfdruck schreiben zu können. Momen-tan trägt er sich eher mit dem Gedanken, Phy-sik zu studieren. Auf die Frage hin, wie dasmit dem Interesse an Literatur zusammen-passt, lächelt er und sagt: „Ich bin genausoneugierig wie Faust und möchte wissen, wasdie Welt im Innersten zusammenhält.“

Zwar war Goethe kein Stuttgarter, aberimmerhin ein enger Freund von Schiller.Und deshalb dürfen ihn sich die Nachwuchs-autoren guten Gewissens zum Vorbild neh-men. Vielleicht stehen dann irgendwannauch ihre Namen an Stuttgarts Straßen,Gebäuden oder Plätzen.

Magische Trickshautnahim RömerkastellMagier Thorsten Strotmann eröffnet ein Zaubertheater

Von Barbara Czimmer-Gauß

Soziologen beschäftigen sich gern mit Völ-kern, die von der Zivilisation unbeein-flusst geblieben sind. Neuerdings drehensie den Spieß um und nehmen Städterunter die Lupe – also Völker, die ihrenLebensstil zivilisatorischen Auswüchsenunterworfen haben.

Silke Steets von der Technischen Uni-versität Darmstadt beispielsweise willwissen, wie man was macht in München,Leipzig oder eben in Stuttgart. „Fahrendie Leute vor allem mit Bus und Bahn, ge-hen sie zu Fuß oder nehmen das Fahrrad“,fragt sie, und sie will wissen, ob wir Stutt-gart eher als Kulturmetropole oder Pend-lerstadt sehen. „Das ergibt viele Mosaik-steinchen und in der Summe ein Bild“,sagt die 35-jährige Soziologin. Wenn mandas in verschiedenen Städten gemachthabe, könne man Entwicklungschancenausloten. Ein Hersteller von High-Tech-Produkten beispielsweise könnte auf die-ser Basis entscheiden, wo er die bestenAbsatzmöglichkeiten hat.

Die Betrachtung des Alltags erweitertdie Vergleichsmöglichkeiten, für die mannormalerweise nur Indikatoren wie Bevöl-kerung, Grünfläche, Bebauung hat.„Diese allein und isoliert betrachtetgleicht Stuttgart der Stadt Frankfurt amMain“, sagt Silke Steets. Und doch weißjeder, dass beide Städte grundsätzlich ver-schieden sind – nicht allein, aber auch,weil am Main Äppelwoi und Würstchenserviert werden, am Neckar jedoch eherMaultaschen und Trollinger.

Am Freitag, 3. Juli, 20 Uhr, kommtSilke Steets in den Hospitalhof, Gymnasi-umstraße 36. Die TU Darmstadt baut zur-zeit ein Forschungsprogramm mit dem Ti-tel „Eigenlogik der Städte“ auf, und dieLandeshauptstadt wird darin zum For-schungsgegenstand. An dieser Stelle kannalso noch keine erschöpfende Antwortauf die eingangs gestellte Frage gegebenwerden.

333 notiert

Bad in der Menge: Wolfgang Schuster fei-ert in Gmünd Foto: Heino Schütte

Der Rockmob geht auf Tour:Michael Gaedt (re.), Michael Schulig

Wie ticktStuttgart undwarum?

Von Frank Rothfuß

Telefon07 11 / 7 20 57 - [email protected]

Buntes Treiben verführt zum SchreibenNachwuchsautoren lassen sich von Stuttgart und seiner Umgebung inspirieren

Was stimmt nicht? Kleiner Tipp, zählen Sie die Hände von Thorsten Strotmann Foto: ts

Schreiben über ihre Stadt: Nikita Gorburov,Markus Heller (v. links) Foto: Piechowski

28 Nummer 148 • Mittwoch, 1. Juli 2009 Stuttgart Flair