das wesen des dunkels

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Das Wesen des Dunkels. Zugleich eine Antwort auf die Bemerkungen des Herrn Prof. Dr. J. Ohm zu meiner Theorie des photisehen Dunkels. Von Dr. Jac. van Essen, Paris. Was ]st Dunkel ? Mit dieser Frage nimmt Herr ProL Ohm Stellung zu me]her in Band 139 dieses Archives gegebenen Auseinandersetzung fiber .,Begri// und Bedeutung des photischen Dunkels". Was mir dabei in erster Linie auff~llt, ]st, dM~ es mir ]eider nicht gelungen ]st, reich so auszudrficken, dal~ Prof. Ohm reich verstehen konnte. Es schwebte mir beim Schreiben des Aufsatzes wohl tin Bild vor Augen, das der bekannten Kluft zwischen Sinnespsychologie und Sinnesphysiologie in engerem Sinne, zu wenig Rechnung trug! Denn dab er mich gerade in demjenigen nicht verstanden hat, was mir die Hauptsache war, geht schon gleich daraus hervor, dM~ er auch nach dem Stud]urn me]net Arbeit noch ]tamer unter ,,Dunkel" objektiv die Abwesenheit yon Licht, d.h. ,,Atherwe]len gewisser Wellenls und unter ,,Blind" nicht etwa Blendung, sondern ,,die Unfi~higkeit, das Licht wahrzunehmen", versteht. In Hinsicht darauf werde ich jetzt versuchen, das Wesen des Dunkels ganz im al]gemeinen schs zu umgrenzen. Ich werde dann ja desto besser imstande sein, das Meinige zu den weiteren Bemerkungen Prof. Ohms zu sagen. Dieser Versuch findet jedoch nicht seinen eigentlichen Ursprung in den Bemerkungen Prof. Ohms zu meiner Arbeit fiber das photische Dunkel. Er war ja schon li~ngst geplant und das Material dazu lag schon seit einiger Zeit fertig da, wit meine im Erscheinen begriffenen ,,J~tudes psychophysiologiques sur l'obscuritd" ohne weiteres belegen. Die Be- merkungen Prof. Ohms haben reich nur dazu veranlaGt, den Lesern des Archives etwas friiher dieses Material zur Kenntnis zu bringen, Ms urspriinglich beabsichtigt war, w~hrend jetzt das Ganze hie und da ein Gepr~ge bekommt, das den Bemerkungen Prof. Ohms Rechnung tr~tgt. :Noch etwas ganz Wichtiges will ich bier vorausschicken: Ich werde gelegentlich auch das Akustische zum Vergleich heranziehen; wie ich andererseits in meiner Arbeit fiber ,,Die Erscheinungsweise der St]lie", die der Zeitschrift fiir Ohrenheilkunde fibergeben ]st, ebensowenig das Optische vergessen babe. Ich bin n~mlich auf einem sehr vie] weiteren Plan in der Problematik des Dunkels interessiert, als vielleicht aus me]net Arbeit fiber das photische Dunkel hervorging. Ich bin ja kein in optoneurologischen Sachen interessierter Augenarzt, wie Prof. Ohm, sondern ein psychologischer Forscher, der sich mit den Prinzipien des sinnlichen Empfindens und Erlebens besch~ftigt.

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Page 1: Das Wesen des Dunkels

Das W e s e n des Dunkels . Zugleich eine Antwort auf die Bemerkungen des Herrn Prof. Dr. J. Ohm

zu meiner Theorie des photisehen Dunkels. Von

Dr. Jac. van Essen, Paris.

Was ]st Dunkel ? Mit dieser Frage nimmt Herr ProL Ohm Stellung zu me]her in Band 139 dieses Archives gegebenen Auseinandersetzung fiber .,Begri// und Bedeutung des photischen Dunkels".

Was mir dabei in erster Linie auff~llt, ]st, dM~ es mir ]eider nicht gelungen ]st, reich so auszudrficken, dal~ Prof. Ohm reich verstehen konnte. Es schwebte mir beim Schreiben des Aufsatzes wohl t in Bild vor Augen, das der bekannten Kluft zwischen Sinnespsychologie und Sinnesphysiologie in engerem Sinne, zu wenig Rechnung trug! Denn dab er mich gerade in demjenigen nicht verstanden hat, was mir die Hauptsache war, geht schon gleich daraus hervor, dM~ er auch nach dem Stud]urn me]net Arbeit noch ]tamer unter ,,Dunkel" objektiv die Abwesenheit yon Licht, d .h . ,,Atherwe]len gewisser Wellenls und unter ,,Blind" nicht etwa Blendung, sondern ,,die Unfi~higkeit, das Licht wahrzunehmen", versteht.

In Hinsicht darauf werde ich jetzt versuchen, das Wesen des Dunkels ganz im al]gemeinen schs zu umgrenzen. Ich werde dann ja desto besser imstande sein, das Meinige zu den weiteren Bemerkungen Prof. Ohms zu sagen.

Dieser Versuch findet jedoch nicht seinen eigentlichen Ursprung in den Bemerkungen Prof. Ohms zu meiner Arbeit fiber das photische Dunkel. Er war ja schon li~ngst geplant und das Material dazu lag schon seit einiger Zeit fertig da, wit meine im Erscheinen begriffenen ,,J~tudes psychophysiologiques sur l'obscuritd" ohne weiteres belegen. Die Be- merkungen Prof. Ohms haben reich nur dazu veranlaGt, den Lesern des Archives etwas friiher dieses Material zur Kenntnis zu bringen, Ms urspriinglich beabsichtigt war, w~hrend jetzt das Ganze hie und da ein Gepr~ge bekommt, das den Bemerkungen Prof. Ohms Rechnung tr~tgt.

:Noch etwas ganz Wichtiges will ich bier vorausschicken: Ich werde gelegentlich auch das Akustische zum Vergleich heranziehen; wie ich andererseits in meiner Arbeit fiber ,,Die Erscheinungsweise der St]lie", die der Zeitschrift fiir Ohrenheilkunde fibergeben ]st, ebensowenig das Optische vergessen babe. Ich bin n~mlich auf einem sehr vie] weiteren Plan in der Problematik des Dunkels interessiert, als vielleicht aus me]net Arbeit fiber das photische Dunkel hervorging. Ich bin ja kein in optoneurologischen Sachen interessierter Augenarzt, wie Prof. Ohm, sondern ein psychologischer Forscher, der sich mit den Prinzipien des sinnlichen Empfindens und Erlebens besch~ftigt.

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818 Jac. van Essen:

Es soll aus diesem Gest/~ndnis jedoeh nieht der Eindruck entstehen, dab ieh jenseits der exakten Natufforsehung stehe. Im Gegenteil: ich habe einerseits im philosophischen Seminar, andererseits aber nicht weniger im physiologischen Laboratorium gearbeitet.

Wenn ieh reich also dazu veranlaBt sehe, den urspriinglichen Wort- inh~lt yon Begriffen wie ,,Dunkel" und ,,Stille", wieder aufzusuchen und sic in Ansohlul~ daran welt iiber die Grenze des momentanen Wort- gebrauches in Anwendnng zu bringen, so nicht, weft ieh bloB Diatektik treiben will, sondern weft ich ernsthaft bestrebt bin, um au/Grund der exa/ct gegebenen Tatsachen die Problematik des Sehens und des H6rens zu f6rdern.

Prof. Ohm unterseh~tzt denn auch sehr die Tragwei~e meiner Beweis- ffihrung, wenn er z. B. meinem Zuriickgreifen auf die urspriingliche Be- deutung des Wortes ,,Dunkel" nicht folgen will und dies einfaeh damit begriindet, dab er welter an dem Wortgebrauch festhi~lt, ,,wie es in der Angenheilkunde gebrauchlich ist".

MSgen die folgenden Seiten ibm das deutlieher zeigen! Und m6gen sic ihn aueh d~von fiberzeugen, dal3 ich reich in bezug auf meine Theorie des photischen Dunkels nicht wegen einer zuf~llig mir iiberkommenen guten Idee zum Schreiben gesetzt habe, sondern reich damit auf Grund eines langj~ihrigen theoretischen und praktischen Studiums der gesamten Problemlage durchaus im Rahmen der internationalen wissenschaft- lichen Diskussion des Sehproblems befand.

Was ist Dunkel ? Man frage es den Physiker u n d e r wird antworten, dab man darunter die Abwesenheit yon objektivem Licht, also Licht- losigkeit verstehen soil 1. Er meint dabei ganz im allgemeinen mit ,,Licht" diese merkwiirdige, den leeren Raum durchdringende elektromagnetische Energiestrahlung, die uns das Erlebnis des Sehens gibt, wenn sic unsere Netzhaut trifft 2. Dies hat die alten Sinnesphysio]ogen dazu veranlaBt, ihrerseits unter ,,Dunkel" die Abwesenheit yon dem der Retina yon aul~en auffallenden Lichte zu verstehen. Sie waren ihrer Einstellung nach ja durchaus Physiker, Physiker des Organischen.

Es liegt aber klar auf der Hand, dab sic sinnesphysiologisch damit auf falschem Wege waren. Auf diese Weise konnten sie den iiberaus vielen Fs worin zwar objektiv Lichtlosigkeit vorherrscht, subjek~iv jedoch yon Lichteindruckslosigkeit gar keine Rede ist, nicht gerecht

1 ,,Lichtlosigkeit" bedeutet dem Wortlaut nach ,,Lichtverlorenheit", denn der das Wort beherrschende Ausgang ,,-los" sagt ,,verloren". Welt richtiger w~re es also, bier etw~ yon ,,Unlichtigkeit" zu reden, weft ja nicht alles physisch licht- los Genannte in einem frtiheren Stadium das Licht besessen hat.

Wie beka~mt, versteht er dabei im besonderen unter ,,Licht" sehr viel mehr, n/~mlich auch die als solche vollkommen unsichtb~re ultraviolette and infrarote Energiestrahlung.

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werden. Sie haben diese F/tlle meis tens denn aueh gar n ich t gesehen oder nur als merkwii rd ige , ziemlich unwicht ige Ausnahmen der sons t felsenfest bes tehend gedach ten d i rek ten Zuordnung yon L ich t und Sehen ve rwer ten k6nnen 1. Man schlage e inmal eine a l t e Auflage yon Hermanns Lehrbuch nach. Es behande l t z . B . die Phosphene als voll- k o m m e n nebens~ehl iehe Merkwi i rd igkei ten und yon einem Eigenl icht der R e t i n a weiB er eigentl ich noeh gar nichts .

A m E n d e des vor igen Jahrhunder~s entwiekel te sieh dann die Sinnes- psychologie, Fechner nann te sie , ,Psychophysik" und mein te dami t eine neue Wissenschaf t , die das gegenseit ige, yon gewissen Gesetzen be- s t immte Verhs yon Sinnesreiz und Sinnesempf indung eingehend s tud ieren sollte.

W u r d e bisher also die S innesempf indung rein als Folge s Reizung be t r ach t e t und danaeh auch bemessen, j e t z t wurde sie als etwas selb- st/~ndig Reales neben dem /~ul?eren Sinnesreiz anerkann t . Nieht , dab m a n dadureh die S innesempf indung ganz ,,los" vom Reiz maehte2! Aber m a n vers tand , dag es aneh z. B. eine die en tspreehende Sinnes- empf indung auslSsende Reizung der Sinnesfl/~ehe yore K6rper aus gibt , also eine subjekt ive , innere, physiologisehe, , ,propr iozept ive" , wie m a n wohl sag t ~.

F i i r die Theorie des Dunke]s bedeu te te dies in zweierlei Hins ich t einen i iberaus grogen Fo r t s eh r i t t .

Ers tens en tdeck te man, dab es ganz normalerweise in absolu ter Licht los igkei t Photisches zu er leben gibt 4. DaB im s innl ieh-opt isehen Empf inden , ,Dunkel" sieh b e s t i m m t n ieht ohne weiteres mi t so etwas wie , , aphot i sehem" E m p f i n d e n deck t und also der physische Gebraueh dieses Wor te s psychophysiologisch viel zu eng ist, der ~4rkliehen Sach- lage nur ha lb gereeht wird. Man vergegenw~rt ig te sieh ~4ssentlieh, dag aucla in der ob j ek t iv s toekf ins teren N a e h t des Dunke lz immers sich

1 Es hat sogar eine Theorie gegeben, nach der z. B. Druckphosphene dadurch entstehen, dab die dabei mechaniseh zum Vorschein kommende Reibungsw~rme innerhalb des Auges objektives Lieht erzeugt!

2 Dieser Versueh ist u. a. m.' yore schottisehen Psychologen G.F. Stout ge- macht worden. Seine sog. physiologiefreie ,,pure psychology" kann jedoch als miBlungen betraehtet werden.

3 Job. Miiller baute darauf seine bekannte Theorie der spezifischen Sinnes- energie, nach der z.B. Lichtempfindung als Folge mechaniseher Reizung des Optieus entstehen kann, weft dadurch in derselben Weise eine Art nerv6se Licht- sinnenergie angeregt wird, wie sonst in der Netzhaut dutch das auffallende Licht. Diese Theorie ist tiberholt, seit wir verstanden haben, da6 dasselbe sieh auch dutch die spezifisehe Lokalisation yon Netzhaut und Options im GroBhirn erklgren 1/~6t.

Ieh gebrauehe hier also den Ausdruek ,,photisch" in Ubereinstimmung mit dem daran zugrunde liegenden griechischen Wort ~o~, gen. ~0wTd~, was ,,Lieht" im Sirme yon ,,Glanz des Tages oder der Sonne" bedeutet. Fiir die alten Grieehen war das Licht ja nicht eine elektromagnetisehe Energiestrahlung, sondern Emp- fundenes und gerade damit hat die Psychophysiologie des Sehens zu tun.

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820 Jae. van Essen:

immer ein , ,entoptischer Schimmer" oder , ,subjektives Augengrau" der Seele aufdr/ingt, und zwar ununte rdr f iekbar und ohne dab auch nur im geringsten etwas Pathologisches vorliege, obschon das Ph/ tnomen natfirlich pharmakologiseh beeinf lugbar ist, wie auch Prof. Ohm richtig bemerkt . Man ha t es , ,Eigenlicht der R e t i n a " oder , ,zentrales Augen- grau" genannt , n~mlich je nachdem man eine periphere oder zentrale I-[erkunft behauptete . Ieh werde hier im weiteren nur ganz ne u t r a l yon , ,Dunkelsehimmer" reden, je nachdem mi t dem Adjekt iv , ,endogen", , ,subjektiv", , ,entoptisch", ,,physiologisch", well ieh jetzt n ieht die Frage nach dem l%eizgrund dieses Phgnomens ins Auge fasse 1.

Zweitens entdeckte man, dab es in der objekt iven Lichtlosigkeit auch noch etwas ganz anderes als den endogenen Dunkelschimmer zu erleben gibt, und zwar etwas, das seiner Na tu r nach n icht weniger opti- ~'chen Gehalts ist, n icht weniger wirklich gesehen wird, jedoch bes t immt nichts Photisches an sieh hat, wesentlich mit Lichtempfindung nichts zu t un hat . Ich meine das Schwarz. Ich habe schon ganz im Anfang meiner Arbei t tiber das photische Dunkel nachdrficklieh darauf hin- gewiesen, dab das Schwarz des Dunkelz immers nicht etwa mi t Nicht- sehen - - Vision nulle - - zu t u n hat , sondern ein iiberaus pogtiv optisches Erlebnis ist 2.

Es waren vor allem Aubert und Helmholtz, die zuerst darauf hin- gewiesen haben. Prof. Ohm zitiert eine darauf bezfigliche Aussprache Tschermalcs aus der Nachkriegszeit, die aueh mir n icht en tgangen war. Aber in Wirklichkeit l inden sich oft schon vor dem Ende des vorigen Jahrhunder t s derartige Aussagen und auch fiber die nervenphysiologische

1 Ich werde die :~'rage erst in meiner in Vorbereitung seienden Arbeit fiber ,,Das Eigenlicht der Retina, in seiner physiologischen Bedeutung" tun, weil sie zu wichtig ist, um sie, wie jetzt nur der Fall sein k6nnte, nebenbei zu behandeln, wahrend sie andererseits in bezug auf der~ Gegenstand dieser Arbeit ruhig eine offene Yrage bleiben kann. Mein Verziehten auf die Besprechung dieses iiberaus interessanten Problems bedeutet also nicht, dab ich zu den darauf bezfigliehen Bemerkungen Prof. Ohms niehts zu sagen hgtte! Ich versehiebe meine Stellungnahme nur auf einen etwas spateren Zeitpunkt and werde dann wohl auch in der Lage sein, zu begrfinden, warum ich das Augenzittern, das Prof. Ohm eine hier wichtige Quelle der Erkenntnis nennt, bis jetzt nicht herangezogen habe, obsehon, wie ieh ihm ver- sichern karm, die Aufschrift ,,Nystagmus" nicht in meiner Kartothek fehlt.

5~ =])as Sehen. ,,Optisehes" bedeutet also ,,Gesehenes", was als solches auf die Anwesenheit yon objektivem Lieht gar keine t~iieksieht nimmt.

Prof. Ohm erinnert daran, dag besonders die Diehtung Sehwarz und Dunkel als etwas Positives verwertet und zitiert u. a. m., dag altbiblische ,,Finsternis lag fiber der Tiefe". In der Tat steht aueh sehon ganz im Anfang der Dharma Shstra, das Altbrahmanisehe Gesetzbuch des Lebens: ,,Diese Welt war in Dunkelheit - - Tamas - - versunken." Ich erwi~hne das nur, um darauf hinzuweisen, dal~ naeh sprachwissensehaftliehen und kulturgeschiehtliehen Vorlagen die Lyrik des Sehens und des Licbtes and damit auch diejenige des Dunkels in erster Linie indogermani- sehes Erbgut ist - - das Sonnenrad des Ixions ! - - and nieht, wie man sonst der Be- merkung Prof. Ohms entnehmen wfirde, Semitisehes.

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Basis dieses Phs hat man sich in den letzten 50 Jahren viel- fach ge~ul~ert. Jedoeh aueh darfiber werden wir erst sps reden.

Die Problematik der Stille hat eine s Vorgesehiehte. Nur dal~ man bis in unserer Zeit, sogar in gewissen psychologischen Kreisem noeh dem alten Harlefl zustimmt, nachdem die Empfindung der ,,l~uhe des Sinnesnerven", worunter er gegebenenfalls die objektive Reizlosig- keit des betreffenden Sinnesorganes versteht und welche er beim Ge- sichtssinn naehdrficklieh Gegenstand der Beobaehtung nennt, dem GehSrsinn vSllig abgeht. Man soll sich dariiber recht wundern, weft das sog. entotische Summen, da~ sieh linea recta mit dem subjektiven Dunke]schimmer vergleiehen l~l~t, im Stillezimmer doeh besonders deut- lich hSrbar ist und aueh der aphonisch-stille, jedoch unbedingt akustisch seiende Empfindungshintergrund desselben - - die Stille in engerem Sinne - - , sieh n ich t weniger ansgeprs dem Bewul~tsein aufdrs a|s das Sehwarz der Naeht, worin der subjektive Dunkelschimmer ge- better ist. Man ist in bezug auf die Stille sehr lang im falschen Vor- urteil stecken geblieben, dab sie eine sinnliche Empfindungsleere ware, dem Nichts objektiver Laut]osigkeit ein NichthSren zugesellt sei.

Die Entdeekung des subjektiven Dunkelsehimmers, welcher sich bei objektiv vollst~ndiger Abwesenheit yon Lieht dennoeh feststellen l ~ t , hat den Sinnespsyeho]ogen dazu veranla~t, auf die Suche naeh dem absolut aphotischen Dunlcel zu gehen.

So finden sich einerseits Angaben fiber das Erlebnis votllcommener Finsternis, andererseits Angaben fiber ein versuehsweise hergestelltes rei~es Schwarz.

Das Erlebnis vollkommener Finsternis glaubte man im sog. negativen Blendungsphs gefunden zu haben. Wenn die optisehe Situation plStzlieh yon hellem Tage in stoekfinstere Nacht iibergeht, empfindet man sieh wie bekannt wesentlieh ebensogut geblendet, wie wenn man aus dem Dunkel ans grelle Tageslieht tri t t . Physiologisch lal3t sieh das wohl so verstehen, dal~ man dann ja yon den Zapfen auf die St~behen umsehalten muG. Es wurde nun behauptet, dab in diesem Augenbliek die vollkommene Finsternis erlebt wird, und das damit begrfindet, dal3 dann doch die Netzhau~ naeh aufien hin ganz entreizt ist, ws yon innen aus die Adaptat ion an dem endogenen Dunkelschimmer noeh nieht stattgefunden hat.

Ich bin nun der Saehe selbst experimentell naehgegangen und habe obige Behauptung nieht bests gefunden. Wenn die optische Situa- tion plOtzlich yon hellem Tage in stoekfinstere l~aeht fibergeht, so sieht man im a]|erersten Augenbliek - - wir kSnnen da yon Initialstadium reden - - fiberhaupt gar nichts, d .h . aueh nicht die Finsternis. Man durehlebt dann einfaeh eine Art yon optiseher Entwurzelung, wenn ich reich so ausdrficken daft. I m ns Moment setzt dann kr&ftig das Nachbildsehen ein, das eine ziemlieh lange Zeit dauert und dessen

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Dynamik ich hier wohl nieht zu sehildern brauehe. Lange nun, bevor der Naehbildzug ganz zu Ende ist, sieht man sehon den subjektivell Dunkelschimmer. Manehmal ist es einem sogar, als ob das eine un- merkbar in dem anderen erliseht, sieh darin aufl6st.

Beim H6ren l~gt sieh ~hnliches feststellen. Im ersten Augenbliek, aachdem alle Laut und L~rm aufgeh6rt hat und also leidlich vollst~ndige TrommeffellverstJillung eingetreten ist - - z. B. dadurch, dab man sehnell die T fir des Stillezimmers hinter sich sehliegt - - , erlebt man einen akusti- sehen Objektverlust, worin es weder Laut noeh Stille gibt. Dann setzt der subjektive Nachhall des soeben noeh objektiv Geh6rten ein und bevor dieser halbwegs verklungen ist, h6rt man schon das bekannte entotisehe Sualmen. Man wird das im weiteren nur los, wenn man die Aufmerksamkeit willkfirlieh oder unwillkfirlieh ganz yore H6ren ab- wendet, so dal~ man dann aueh nieht die vollkommene Stille erlebt!

Versuehe fiber die Herstellung eines reinen Sehwarz wurden vor allem mittels des sog. Sehwarzrohres angestellt. Wie bekannt, besteht dieser Apparat aus einem metallenen Hohlzylinder, dessen Innenwand und Boden mit sehwarzem Saint ausgekleidet ist, w/thrend er so laag ist, dab er bei m/~giger Belenehtung der Umgebung und auf einige Ent- fernung betraehtet, im Innern tiefsehwar'z aussieht.

Sieht man auf diese Weise also in einem Aussehnitt des gesamten @esiehtsfeldes ein reines Sehwarz als farbigen Inbegriff eines absolut aphotisehen Dunkels ? Es wurde hie und da ernstlich behauptet, was ieh bei experimenteller Naehprtifung jedoeh ebensowenig best~tigt ge- funden habe.

Hat das Rohr einen relativ grol3en Umfang, so sieht man gegen den tiefsehwarzen Hintergrund deutlich den subjektiven Dunkelsehimmer. Man kann dann also sagen, ffir einen Tell des Gesiehtsfeldes die optisehe Situation des Dunkelzimmers hergestellt zu haben, was unbedingt inter- essant ist, aber eher weiter als n/~her dem gesteekten Ziel.

Hat das Rohr einen relativ geringen Umfang, so kann es sein, dab der entoptisehe Sehimmer sieh in der Tat nicht sehen 1/~Bt. Es handelt sieh dana zweifellos um eine Kontrastwirkuag mit der liehten Um- gebung. Abet damit ist man andererseits erst reeht ins Uasiehere ge- kommen! Denn jetzt breitet das Leuehten der Umgebung sieh wie eine leiehte, weiBe Wolke fiber das sehwarze Loeh aus, und man hat also den subjektiven Sehimmer einfaeh mit einem objektiven vertauseht, der iiberdies welt aufdringlieher ist.

Aber n/~her betraehtet ist es ja aueh theoretiseh unm6glieh, mittels eines Sehwarzrohres ein absolat reines Sehwarz herzustellen. Man braueht doeh nut daran zu denken, dab jeder die Netzhaut treffende Liehtstrahl mehr oder weniger diffus reflektiert wird, so dab man sieh sehon aus dioptrisehen Grtinden gar nieht vorstellen kann, wie ein kleiner Tell der Netzhaut ganz ohne Beliehtung bleiben kann, wghrend auf den

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grol~en Rest gleichzeitig Licht f/~llt, sei es auch nur m/*13ig. Jedoch auch aus neurologischen Grfinden liegt eine Unm6glichkeit vor. Die Netz- haut bildet ja eine funktionelle Einheit , so dab man sieh auch nieht vor- stellert kann, wie teilweise eine vollkommene ,,l~uhe" dieses Organes bestehen kann; w~hrend im weiteren der Optieus zwar Parallelleitung ha t als Grundlage unseres optiseh-r~tumlichen Unterscheidungsverm~Sgens, jedoch andererseits alles weniger als ein Telegraphenkabel ist.

Dasjenige, was sich gfinstigenfalls mit einem Sehwarzrohr herstellen l~l~t, ist bloB ein leidlieh gleiehes, raumfarbiges Sehwarz, d.h. ein Schwarz, dessert R/~umliehkeit keine ,,Oberfl/~che" hat und aueh nicht mit dem k6rnig-wolkigen Dunkelsehimmer fiberdeckt ist 1.

U m dieses Schwarz herzustellen, ohne, wie beim schmalen Schwarz- rohr, zugleieh die Tiefe der Farbe zu beeintr/~chtigen, geht man meiner Er fahrung nach am besten in folgender Weise vor : Man fixiere in einem sonst g/~nzlich lichtloser/ Zimmer einen kleinen, schwachen Lichtpnnkt . Wenn dann das Auge geniigend lange am Dunkeln adapt ier t ist, sieht man um den Lich tpunkt herum einen tiefsehwarzen Hof, der ganz frei yon dem entoptisehen Sehimmer ist. Es handel t sich hier wohl ohne weiteres um eine auslSschende Kontras twirkung, yon dem Lich tpunkt auf dem sehwachen entoptischen Sehimmer in seiner direkten N/~he ausgeiibt. Es w/*re aber best immt verfehlt, diesen tiefsehwarzen Hof vol lkommen gleieher Besehaffenheit als vol lkommen reines Sehwarz, d . h . als die farbige Verwirklichung eines absolut aphotischen Dunkels, zu betrachten. Denn ganz abgesehen yon den aueh jetzt bestehenden nervenphysiologischen Sehwierigkeiten hal dieses Schwarz fiir meine Augen noeh unbedingt seine Helle, seine durehaus photische Leuchtung.

So bin ich auf Grund meiner Beobaehtungen nnd {}berlegungen zu dem Sehlul~ gelangt, dal~ das absolute aphotische Dunkel, als Inbegriff vollkommener Finsternis oder gar reines Sehwarz, ftir den optisch sinnes- gesunden Mensehen i iberhaupt keine erfahrbare Tatsaehe ist, i iberhaupt nicht z u seiner sinnlichen Wirkliehkeit geh6rt 2. Kurz und gut : Uns ist wesentZic~ nu t das photische Dunkel gegeb~n !

1 Ich weise dar~uf hin, d~l~ in der F~rbenlehre Gleiehheit und Reinheit - - Ab- solutheit - - m~nchm~l zu Unrecht miteinander verweehselt werden. M~n vet- gil]t dann, d~B Gleiehheit ein ph~nomen~ler Begriff ist, d. h. etw~s auss~g~ fiber die r~umliehe Ers~heinungsweise der F~rbe, fiber ihr ,,Relief"; w~hrend t~einheit oder Absolutheit hier nur Qualit~tsbegriffe sein k6nnen, etwas ~ussagen fiber die qualitative Em~[indungsweise einer F~rbe, ob sie z.B. g~nz rot oder blau usw. ist. Es war G. E. M~dler, der uns zuerst d~r~uf a~merks~m gemaeht h~t.

Es l~Bt sieh hierfiber vieles sugen. Ich will d~r~uf bezfiglieh jetzt nur die Be- merkung m~ehen, d ~ j~ ~lles ,,Absolute" im Empfinden und Erleben uns ver- sehlossen ist. So h~t die hier besprochene T~ts~ehe ihr Gegenst~ek darin, d~B ~ueh absolute Helle ffir uns nicht besteht; wir wi~den d~rin erblindend ~ergehen, wie wir ju ~ueh an ~bsolutem Schmerz oder F~'eude nut sterben k6nnten. Nieht urn- sonst verlegen die Dichter ~lles Absolute, ger~de ~uch ~uf dem Gebiete des Emp- lindens und Erlebens, ins G6ttliche.

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Bei totaler Abwesenheit yon Licht handelt es sieh ailerdings um ein Dunkel, dessen photisches Moment rein ,,subjektiver" Art ist, d. h. yon einer ,,inneren" Reizung des optischen Sensoriums stammt, wghrend ich in meiner in Band 139 dieses Archives erschienenen Arbeit nnr ein ,,objektives" photisches Dunkel in Betracht gezogen habe. 1)berdies befindet sich bei totaler Abwesenheit yon Licht das subjektive photische Moment, seiner normalerweise geringen Aufdringlichkeit wegen, mehr oder weniger im tt intergrund des BewuBtseins, wghrend das objektive photische Moment das Sehen meistens vollkommen dominiert. Es liegt datum auf der Hand, hier einen Benennungsunterschied beiztibehalten. So werde ich im weiteren den Ausdruck ,,Finsternis" gebrauchen, wenn es sich um ein photisches Dunkel handelt, wobei das aphotische Moment vorherrscht. Dies braucht, wie bekannt, nicht notwendig bei totaler Abwesenheit yon obiektivem Licht der Fall zu sein. Es gibt ein ,,ob- jektiv" photisches Dnnkel, wobei die gul~ere l~bizung des optisehen Sensoriums durch das die Netzhaut treffende Licht einen Empfindungs- effekt hat, der kaum gr61]er ist als derjenige der inneren I~eizung. Dann werden wir -con ,,photisches Dunkel in engerem Sinne" reden, wenn das photische Moment die Dunkelsituation beherrscht. Im allgemeinen ist das der Fall, wenn die Netzhaut leidlioh beleuchtet ist, wie in meiner obengenannten Arbeit ausffihrlich dargestellt. Im Sonderfall aber auch, wenn die innere Rcizung des Optosensoriums besonders stark ist, ngm- lich bei Phonismen und sonstigen hellen wolkigen Gesichtshalluzinationen. Es handelt sich dann also um ein ,,subjektiv" photisches Dunkel in engerem Sinne und nicht etwa um Finsternis.

Ich erwghne das nnr, um darauf hinzuweisen, dab der hier gemachte Unterschied zwischen ,,Finsternis" und ,,photischem Dunkcl in engerem Sinne" wesentlich nicht auf einer inneren oder guferen Herkunft des optischen Momentes beruht, sondern einzig darauf, dab in der ,,Fin- sternis" das aphotische und im ,,photischen Dunkel" das photische Moment obliegt, in der Finsternis das 8chwarz, im photisehen Dunkel dagegen das Weig oder eine bunte Farbe vorherrscht, sei es aus ob- jektiver oder subjektiver Ursache.

Aber wie es auch sei, man wird wohl mit mir einig sein, daft das jetzt zur Sprache Gekommene fast noch nachdrficklieher dazu mahnt, end- lieh ganz damit aufzuhSren, die Empfindung des Dunkels tier physi- schen Liehtlosigkeit oder gar auferen Entreizung der Netzhaut gleich- zustellen. Das Dunkel ist eine optische Sinneserfahrung, die wir uns nur in ideeller Abstraktion aphotisch denken k6nnen, wahrend sie in der sinnlichen Wirklichkeit des Sehens immer mehr oder weniger photisch ist.

Es ist bier nur gestattet, innerhalb der photischen Dunkeleffahrung im ganzen, systematisch dienliche Unterseheidungen vorzunehmen.

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Damit erhebt sich aber zugleich die Frage nach dem eigentliehen Kriterium, auf G r u n d dessen die Dunkelheit sich yon ihrem geraden Gegenteil, also v o n d e r Klarheit, abgrenzen lgl~t 1.

Das Sehen ist es nicht, denn aueh in der Dunkelheit wird gesehen, sogar ganz abgesehen yore Photischen. Denn das Sehwarz stockfinsterer Nacht ist eine positiv optische Empfindung; auch abgesehen davon, dal~ es kein absolutes Schwarz ist. Schwarz als solehes ist ja selbst schon etwas Gesehenes, etwas Farbiges.

Weiter ist das Helle es ebensowenig. Denn das f fir den Menschen als optisches Empfinden erfahrbare Dunkel hat immer sein photisehes Moment, sei es auch, wie in der Finsternis, yon subjektiver Herkunft und yon verhs sehr sehwacher Intensit~t.

So bleibt uns nur ein einziger Unterscheidungsgrund fibrig, n~mlich die jedes Dunke], sei es Finsternis oder photisches Dunke] in engerem Sinne, immer kennzeichnende optisch-riiumliche Ununterscheidbarlceit.

Ich babe sehon friiher belegt, da~ dies vollkommen mit dem ursprfing- lichen Begriffsinhalt des Wortes ,,Dunkel" in Einklang steht. Denn dieses Wort hat einen urgermanischen Stamm, welcher ,,neblig, trfibe" bedeutet und mit demjenigen yon ,,Dampf" verwandt ist. Es bedeutet ursprfinglich also ohne weiteres die Erlebnisweise des diffusen, raum- farbigen Sehens, was auch die Farbe des Gesehenen ist, d.h . ob sie nun diejenige tiefsehwarzer Naeht oder diejenige eines hellweiBen •ebels sei.

Nut dal~ sich ]un]ctionell, d. h. in seiner praktischen, optomotorisehen Auswirkung, ein erheblicher Untersehied zwischen dem einen und dem anderen festste]len Is Dieser Unterschied besteht darin, dab man im photischen Dunke] in engerem Sinne eine merkbar grSl~ere Bewegungs- bereitsehaft hat als in der Finsternis, d .h . wenn die Netzhaut objektiv ganz oder fast ganz entreizt ist. Ieh babe das in meiner Arbeit fiber ,,Bewegungsbereitscha]t und Netzhautbeleuchtung" einwandfrei an der Hand eigener Versuche be]egt. Aber nicht nur das. Ieh habe in dieser Arbeit auch eine ganze Anzahl Autoren angeffihrt, deren experimentelle Ergebnisse vollkommen mit den meinigen iibereinstimmen, wenn sie auch experimentell anders vorgingen als ich. Es hat denn auch gar keinen Sinn, zu sagen, da6 ieh, wie Prof. Ohm es ausdrfickt, ,annehme", dal~ die ]~etzhaut enthemmend auf die Psychomotorik wirkt". Ich weil~ es ja ganz sicher und drfiekte reich denn auch in der Zusammenfassung tier obengenannten Arbeit in folgender Weise kategorisch aus: ,,In allen

1 Ich habe schon frfiher - - siehe Graefes Arch, 119, 105 - - darauf hingewiesen, dal~ der Gegenbegriff yon Dunkel nicht etwa ,,Lieht", sondern vie]mehr ,,Klar" ist. Gegenfiber ,,Licht" steht ,,Finsternis", w~hrend es weiter Wechselbegriff yon ,,Hell" ist, dem ,,Matt" oder ,,Dumpf" gegenfibersteht. Aber man weiB ja, dab diese Unterscheidung in dem gemeinen Wortgebrauch verlorengegangen ist. Das t~gliehe Leben braucht sie ja nicht, die Wissenschaft des Sehens jedoch um so dringender !

2 Es handelt sich hier wohl um die ad~quat dureh das Licht gereizte Netzhaut.

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untersuehten F~tllen wurde gefunden, dab ad/iquate Netzhautreizung stimulierend, anregend, enthemmend auf die Motorik wirkt." Ich bin in gewisser Hinsicht zwar naturwissenschaftlicher Theoretiker, aber nut so, dab ich in physiologischen Sachen als Grundlage meiner {}berlegungen nie Annahmen, sondern immer feststehende Tatsaehen nehme.

Relativ dem Ausmal3 an optomotorischer Bewegungsbereitschaft bei geniigender Netzhautbeleuehtung herrseht natfirlich w/thrend der Netz- hautverdunklung, d.h. in der Finsternis, eine gewisse Hemmung vor. Prof. Ohm ist jedoeh durchaus auf falschem Wege, wenn er dies so auf- fMlt, als ob bier meiner Ansieht naeh yon einer ,,psychischen Hemmung" g'eredet werden soil, die gegebenenfalls die Motorik in Zaum hglt. ~Vie konnte ich fiberhaupt so etwas gemeint haben! Denn ich babe zwar wissentliches Bewegen, d .h . bewuBtes Handeln geprfift, abet die Sache doeh ganz yore K6rper aus betraehtet, nur das energetische GescheheIl in dem optomotorisehen Funktionskreis ins Auge gefaBt. Was dies anbelangt, g ib tes doeh far keinen Unterschied zwisehen ,,Reflex" und ,,Willenshandlung". Oder glaubt er vlelleieht, dab es bei der Willens- handlung irgendwo im Physiologischen eine Unterbrechung gebe, die yon so etwas wie einer unstoffliehen Seele energetisch iiberbriiekt wird ? [ch muB denn betonen, dal~ das Willensmoment an einer Handlung in einer ganz anderen Sphgre menschlieher Erkenntnis steht, als in derjenigen, worin man fiber ,,Netzhautreizung" u. dgl. mehr redet. Es ist zwar richtig, dab man sich in der Finsternis motoriseh - - und nieht nur sol - - mehr gehemmt fiihlt als im Lieht. Ich babe ja nieht nach- gelassen, das bei verschiedener Gelegenheit zu betonen. Abet diese [-Iemmung ,,fiberkommt" einem, d.h. sch6pft die physiologische Hem- mung nieht, sondern sie wird ,,interpretiert" als Erlebtes konform der momentanen Bewul3tseinslage.

In meiner Arbeit fiber ,,Die Funktion des Tapetum luciclum" babe ictl naehgewiesen, wie iiberaus grol3 die Bedeutung der motorisch enthem- menden Wirkung ad/*quater Netzhautreizung ist und dab es darauf be- zfiglich im Tierreich eine groBe Menge Vorrichtungen gibt, die daffir Sorge tragen, dab bei dem Aufenthalt im Dunkeln das Tier m6glichst wenig an Bewegungsbereitsehaft einbiiBt. Der interessierte Leser soll dies selbst in der obengenannten Arbeit naehsehen. Ich habe sie fiberdies in meiner in diesem Archly erschienenen Arbeit fiber ,,Begri// und Be- deutung des pltotischen Dunkels eingehend referiert 1. Aueh die dort

1 Ieh babe inzwisehen neben dem Tapetum lueidum yon Katzen und I-Iuf- tieren und den Selbstbeleuehtungsorganen geveisser hoehentwiekelten Tiefseetiere noeh eine Menge andere ,,Organe des photischen Dunlcels gefunden, woriiber ieh in ~lgehster Zeit ebenfalls in der Zeitsehrift~ fiir Sinnesphysiologie Ngheres mitteilen werde. Es wird dann wieder manche merkwiirdige dioptrische Vorriehtung ihren hmktionellen Sinn bekommen, die bis jetzt fast nur als ein unverstgndliehes Spiel der Natur befrachtet wurde.

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angefiihrten Tatsachen werden ihn ohne Zweifel davon iiberzeugen, dab der Ausdrnck ,,photisches Dunkel" nicht eine Errungenschaft der aller- letzten biologischen Begriffsbestimmung ist, der man aus freiem Willen bejahend oder verneinend gegenfiberstehen kann, sondern eine yon mir entdeekte sensophysiologisehe Realit~t yon iiberans gro~er Be- deutung.

Wenn die Netzhaut nach an[ten bin ganz entreizt ist, ist bei Mensch und Tier die Bewegungsbereitsehaft im ganzen geringer als sonst. Neuro- physiologisch Is sieh das wohl restlos so erkl~ren, dab dadureh die Reaktionsschwelle der optomotorischen Neuronen erh6ht ist. Weiter in bezug auf die funktionelle Einheit des ganzen Nervensystems und die iiberaus grol~e Bedeutung des Optomotoriums in der Totalits der Nerventgtigkeit auch so, dal~ dadurch die t~eaktionsschwelle aller moto- rischen Fnnktionskreise mehr oder weniger beeintrgchtigt ist, Ffir viele Tiere, die ihrer Lebensart nach in D~mmerung nnd Nacht ebenso rege sein miissen wie am Tage - - Raubtiere, Beutetiere - - , mu[~ darauf be- ziiglich ohne weiteres Abhilfe geschaffen werden. So finden wir bei ihnen z. B. ein Tapetum lueidum, d. h. eine retinale Vorriehtung, die das wenige yon au6en noch ins Ange fallende Lieht mehrmals reflektiert und damit diffus fiber die INetzhaut zerstreut. Solche Tiere leben in der Naeht - - natiirlich nicht bei voIIsti~ndiger Abwesenheit yon Au6en- licht! - - in einem objektiv photisehen Dunkel. Das Lieht, das ihre Netzhaut aufhellt, gestattet ihnen fast keine optiseh-r/~umliche Unter- scheidung. Abet das brauchen sie auch kanm, denn nicht nur in der Naeht verlassen sie sich gern auf ihren Geruch, ihr Geh6r und Getast. Das Licht, das ihre Netzhaut aufhellt, sorgt jedoeh daffir, dab sie bei Naeht m6glichst wenig Bewegungsbereitschaft einbiil]en.

Dies ist meiner Ansieht nach der funktionelle Sinn des n~chtliehen Augenleuchtens so vieler Tiere. Ich habe anderswo ebenfalls belegt, dal~ die in der stockfinsteren Nacht des Tiefsees lebenden Augentiere zum gleiehen Zweek mit Selbstbeleuchtungsorganen versehen sind, die ihr Licht ins Ange fallen lassen, bisweilen sogar auf eine besonders dazu dienende N e t z h a u t ' u n d ohne dal~ das Lieht nach aul~en t r i t t bzw. naehdriieklieh ebenfalls die Funktion hat, die Umgebung zu dureh- leuchten.

In meiner Arbeit fiber ,,Bewegungskoordination bei monokuliirer Ganz/eldbeleuchtung", in Band 66 der Zeitschrift ffir Sinnesphysiologie erschienen, habe ich Versuehsergebnisse mitgeteilt, die uns gestatten, etwas tiefer in den neurophysi01ogischen Zusammenhang yon photisch- dunkler Netzhautreizung und psychomotorischer Reaktion einzudringen: Es handelte sieh um Versuche am Mensehen, wobei koordinierte Bewe- gungen ausgefiihrt wurden, w~hrend das eine Ange einem weil~en, das andere einem schwarzen Dunkel ausgesetzt war. Es zeigte sich eine Tendenz zu homolateraler Mehrleistung in bezug auf dem beleuchteten

v. Graefes A~'chiv f i t r Ophthalraologie . 139. Bd. 54

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Auge. Auch hier hande l t es sich also n icht um eine , ,Annahme" meiner- sei ts , ~4e Prof. Ohm sag t , sondern um experJmenteU einwandfrei belegte Ta tsachen , die i iberdies ihrem Pr inz ip nach durch die L i t e r a tu r ohne weiteres bes t~ t ig t werden. I ch er innere nur daran , dab Emil Radl sehon im J a h r e 1911 bei seinen Versuchen fiber die L ich t r eak t ionen der Ar th ropoden _~hnliches gefunden h a t 1. Der franzSsische Physiologe R. Dubois h a t sogar schon im J a h r e 1885 genau dasselbe bei Py rophorus noc tu l icus , dem berf ihmten Leuchtk~fer der Ant i l len, fes tgeste l l t 2.

Man k a n n sich diese Sachlage wohl a m bes ten dadurch erkl~ren, in- dem man ann immt , da~ dem funkt ionel len Zusammenhang yon Psycho- mo to r ium und opt ischer Sinnesfl~tche die bilaterale Symmetrie des KSrpers [olgt. Es k o m m t demnach der durch Ne tzhau t re i zung induzier ten all- gemeinen TonuserhShung des motor i schen Nervensys tems also in ers ter Linie den Motoneuronen der gleichen KSrperseite zugute. Dies h a t bio- logisch durchaus seinen Sinn, wie ich anderswo schon darge leg t habe. Denn dadurch bes teh t eine spontane, oder sagen wir ref lektor isch un- wissentl iche Neigung, nm sich nach der jenigen Seite b in zu drehen bzw. motor isch einzustellen, wo sich Sichtbares befindet . Beim Menschen, wo beide Angen grS~tentei ls ein gemeinsames Gesichtsfeld haben, is t das viel leicht n icht ganz so wichtig. Aber es k a n n ja sein, dab dieser als solche wohl f iberaus p r imi t ive optomotor i sche Funk t ionskre i s sich aus einer Zei t h in i ibe rgere t t e t hat , worin nnsere Augen noch, wie bei den meis ten Wirbe] t ieren, sei tws am Kopf s tandenS!

Kehren wir j e t z t aber ~deder nach unserer Def ini t ion des Dunkels zurfick 4.

Die einzige MSglichkeit , sagte ich, um die Dunke lhe i t den gegebenen Ta t sachen nach s t reng yon ihrem geraden Gegenteil , den m a n die

1 Radl, Emil: Pflfigers Arch. 87 (1901). 2 Siehe sein Buch ,,La vie et la lumi~re", p. 141. Paris 1914.

Fiir das Tier ist dieses Ph~nomen Ausdruck d e r n u r ausnahmsweise nicht geltenden Lebenswahrheit: Wo Licht ist, ist Leben. Denn wo Licht ist, wachsen die Pflanzen, d. h. finder sich Nahrung und Beute, linden sich die anderen ebenfalls.

So ist der yon mir aufgedeckte Funktionskreis wohl die Grundlage der sog. positiven Phototropie, die sich bekanntlich nicht nur bei Insekten usw. findet, sondern auch bei den Wirbeltieren, gerade nicht weniger, wenn sie sog. ~Nachttiere sind. Biologiseh schfitzt das Nachttier sich ja vor dem Tageslicht nicht etwa, weft es ihm die Augen schmerzt, sondern um sich ihrer Anziehungskraft, ihrer motorisch aufwfihlenden Wh'kung zu entziehen. Es verffigt fiber die ererbte Erfahrung, dal] die ffir ihn beste und reichlichste Nahrung in I)i~mmerung und ~Nacht zu finden ist. Durehkreuzt man diesen Instinkt, z.B. dadurch, dab man einer ge- fangen gehaltenen Fledermaus ausschliel~lieh am hellen Tage Nahrung zur Ver- ffigung stellt, so gewShnt das w~rmeliebende Tier sich gem an ein sonniges Pl~tz- chen, kommt die unterdriickte positive Phototropie vo]Jauf zum Vorschein.

Ich will nur noch feststellen, da~ diese Versuche natfirlich nicht den Eiu- flult ,,momentaner" diffuser Be]euchtung zum Gegenstand hatten, wie Prof. Ohm ganz unverst~ndlicherweise schreibt.

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,,Klarheit" nennen kann, abzugrenzen, ist ihre Auffassung als optisch- r~umliche Ununterseheidbarkeit.

Was dies anbelangt, mSchte ieh betonen, dab der Begri~f ,,Ununter- scheidbarkeit" bier seiner Natur nach zweideutig ist.

Wir reden auf dem Gebiete des Sehens erstens dann yon Ununter- scheidb~rkeit, wenn es iiberhaupt im Gesichtsfeld nichts Unterseheid- bares gibt. So vorztiglich in der Finsternis und weiter nicht weniger in dem optischen Dunkel, worin man starrt, wenn man meine Lichtbrille tr~gt. Ich kann Prof. Ohm darauf bezfiglich versichern, dab es sieh bei meiner Lichtbrille wirklich um eine diffuse Reizung der Netzhaut handelt, die sich fiber ihre ganze Oberfls erstreekt und wobei also die Peri- pherie nicht vergessen ist. Ich hs sonst doch nicht gleieh in dem Titel meiner obengenannten Arbeit yon ,,Ganzfeldbe]euchtung" geredet. Mein Appara t hat denn auch nur ganz wenig mit der Leuchtbrille Frenzels zu tun 1, wie Prof. Ohm fibrigens selbst sehon mitteilt. Diese Leueht- brille besteht aus zwei temporal am Kopf angebrachten Li~mpehen, die so stark brennen, dab sie blenden, so dab Fixation und wohl aucb ruhiges Sehen nicht mehr m6glich ist und zugleich eine exzentrische Reizverteilung fiber die ~etzhautoberfl~che ohne weiteres vorliegt, Bei meiner Lichtbrille jedoeh kann nicht nur die Beleuchtungsst~rke yon grell bis fas t unmerkbar abgestuft werden, sondern auch die Farbe des ganz und gar gleichms dii~fusen Gesiehtsfeldes beliebig gews werden durch Ausweehslung der Celluloidscheiben.

Wie meiner Arbeit fiber Bewegungsbereitschaft und Netzhautbe]eueh- tung zu entnehmen ist, habe ieh anfi~nglieh meine Lichtbrille nicht kon- struiert, um beliebig ein photisches ])unkel herstetlen zu kSnnen. Worum es mir damals zu tun war, ist folgendes: Ieh war durch Versuche fiber tierische Aktivit~t und Tageskreis au~erordentlich daran interessiert, ob die grSBere Aktivits am Tage dadurch bedingt wird, dal~ die Seh- dinge dem Subjekt HandlungsmSglichkeiten anzeigen und so die Motorik tonisieren, enthemmen, oder einf~ch dadurch, dab das Tageslicht sui generis, d.h . ganz abgeSehen yon der Bedeutung des Gesehenen fiir das Subjekt, die Motorik durch ihre Netzhautreizung anregt. Sind Menseh und Tier im Liehte da tum soviel mehr motorisch wach als i~ der Finsternis, weft ihre Augen ihnen am Tage normalerweise eine Un- menge yon Handlungs: und sonstigen Bewegungsm6glichkeiten an- zeigen, oder, wie ieh vermutete, weft adequate Netzhautreizung durch das Lieht i~berhaupt enthemmend auf die Motorik wirkt ?

Um dies beim Mensehen-aufzukli~ren, muBte ieh die motorisehe Leistungsf~higkeit meiner Versuehspersonen bei objektiv gereizter und

1 Mit dieser Leuchtbrflle wurde ieh leider erst bekannt dureh das damals im Zbl. Ophthalm. fiber meine Arbeit ,,Bewegungsbereitschaft und ~etzhautbeleueh- tung" aufgenommene Referat. Es versteht sich yon selbst, dab ich sonst sehr viel friiher dazu Stellung genommen h~t~e.

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ungereizter Ne tzhau t messen 1. I m 1. Falle aber, ohne dab das Gesehene einen Signalwert in bezug auf Handlungsm5gl ichkei ten hatte , was in der Ta t der Fal l ist, wenn m a n meine Lichtbri l le tr~Lgt.

Wie bekannt , babe ich obige Vermutung vollauf best~Ltigt gefunden. Aber die Meinung, die Prof. Ohm mir zuschreibt, n~mlich, dab meine Versuchsergebnisse auf der Ausschal tung des , ,Signalwertes" beruhen, iieg t mir nat i i r l ich fern2! I m Gegentefl, der Theorie nach ist meinen Versuchsergebnissen sogar zu en tnehmen, daI3 die motorische Leistungs- f~higkeit bei gewShnlichem Tagessehen noch etwas grSBer sein wird als beim Sehen mi t der Lichtbrille/ Denn d a n n wird die die Psycho- motorik tonisierende Wirkung der Sehdinge ohne weiteres auf die yon mir mi t der Lichtbril le un te rsuchte Tonisierung der Psychomotorik durch Lichtreizung der Ne tzhau t sui generis , superponiert .

I n AnschluB hieran d a n n der zweite Fall, worin m a n auf dem Ge- biete des Sehens yon Ununtersche idbarke i t redet : Wir reden auch davon, wenn es im Gesichtsfeld zwar vieles Unterscheidbares gibt, jedoch das- jenige, was wir gerade unterscheiden mSchten, sich unserem Blicke ent- zieht. So wenn wir etwas am Horizont suchen, das wir dort anwesend wissen, w~hrend es sich jedoch nicht vor unseren Augen auf tut . Oder auch vorziiglich, wenn wir yon einem gut durchleuchte ten Zimmer

1 Bei den Tieren ging es darum, ihre Aktivit~t in der Finsternis zu vergleiehen mit ihrer Aktivit~t unter gewShnliehen Liehtverh~ltnissen, jedoch w~hrend die Sehwelt so ,,eintSnig" wie mSglich struktnriert war. Man kann einem Tiere ja keine Liehtbrille anlegen. Ich komme tibrigens auf diese Versuche lloch anderswo zuriiek.

Prof. Ohm finder sich gar nieht mit dem Begriff ,,Signal" zureeht. So sag* er, die Netzhaut mit groBen und kleinen elektrisehen Lampen zentral und peripher gereizt zu haben und fiig* denn hinzu: d.h. ,,mit Signalen". Eine Lampe kann jedoch nur dann Signal genamlt werden, wenn sie als solche aueh gebraueht wird, oder sagen wir, wenn das der momentanen Situation nach ihre Funktion isto Erwin Straus hat uns in seinem Buch ,,vom Sinn der Sinne" dazu die richtige Theorie gegeben, indem er ,,SignM" definiert als das mittlere Glied einer dreigliederigen Situation, ein ,,Zwischenph~nomen", das mitten in der Bedeutungslosigkeit die kommende Bedeutsamkeit anzeigt.

So haben die Sehdinge filr uns d.arum ihrer Eigenart nach einen - - motorisehen - - Signalwert, weft sie uns, auf Grund der mit ihr oder hhnliehem schon friiher ge- maehten Erfahrung, Bet~,tigungsmUglichkeiten anzeigen, d.h. kommende Bet~ti- gmlg in einer Situation yon Bet~tigungslosigkeit. Es ist dabei nattirlieh ganz gleiehgtiltig, ob wit infolgedessen auch wirklieh zu Bets iibergehen, mit ihnen tatsaehlieh zu manipulieren anfangen usw. Unwissentlieh, oder sagen wir der Einstellung nach, tun wir es bestimmt, weil das Sehding ,,reflektoriseh" unsere Motorik tonisiert, wodureh die Bet~tigmlg wenigstens ,,virtuell" vollfiihrt wh'd. Palagyi hat wahrseheinlich gemacht, dait diese motorische Einstellung wohl der wichtigste Teil des Sehaktes im ganzen ist, ohne dessen wir seelenblind sein wtirden, well unser Bewul~tsein sonst keinen Anhaltspunkt haben wtirde, um sieh den ]3e- deutungsgehalt der Sehdinge richtig zu vergegenw~irtigen und sich ihrer Anwesen~ heir fiberhaupt inne zu werden. Als theoretische Voraussetzung finder dies sich schon bei Mach nnd Mi~nsoerberg.

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durch das Fenster hinaus in die ngehtliehe Landsehaf t hineinsehen. Ill diesem Falle er|eben wir an der Finsternis der Naeht etwas, was bls jetzt noch nicht Zur Sprache kam, jedoch eine fiberaus gro{~e Rolle in ]eder Dunke l s i tua t ion spielt: Wi t erleben eine Art yon phgnomenaler Ausgeschlossenheit aas der Wel t des Sichtbaren. Wi t sehen in die n~cht- liehe Landschaf t hinaus, die wit vielleieht vol lkommen ihrer Tages- ~nsicht nach kennen a nd worin wit fiber Tag ganz gu t zu Hause sind~ ws sie sich jetzt unserem Blicke entzieht, uns yon sich ausschlie{]t und uns nu t ,,innerlich" wissen l~Bt, d. h. je naeh unserer pers6nlichen Veranlagung nur ahnen oder glauben oder hoffen ls dal~ sie da ist.

Wir befanden uns gegebenenfalls jedoch immer noeh in einem gut durchleuchteten Zimmer, also g~nz ausgeschlossen aus der realen Welt der Sehdinge waren wir nicht. Das sind wir jedoch wohl, wenn das Licht pl6tzlich einmal ausgelSscht wird. Das g~nze Gesichtsfeld bekommt dann gleieh die schwarze EintSnigkeit des Fensters, worin sich nichts sehen ls als etwa die phenomenal vol lkommen bedeutungslosen sub- jektiv-photischen Strukturelemente des entoptischen Dunkelsehimmers. Das Gesehene ha t jetzt jeden Signalwert in bezug auf Sichtbares al8 solches verloren: Es lg[~* sieh niehts mehr unterseheiden.

Das ist je tzt abet nicht mehr alles, l%ichtig bet raehte t tg~t sieh in dieser Situation ja gerade dasjenige nicht mehr unterseheiden, was uns zu sehen immer am allerwichtigsten ist, was sogar den Sinn des Sehens

a u s m a e h t , ns die rea]e Welt der Sehdinge, worin wir leben, die uns Zimmer oder Landschaf t oder was sonst ist.

Dies ist wohl das psychophysiologisch allerwiehtigste an der Finsternis als optisch-r~nmliche Ununterscheidbarkei t : I n ihr haben wit optiseh keinen K o n t a k t mehr mit unserer Umgebung: ihre Ununterscheidbar- keit bedeutet vor allem eine photisch-]unlctionetle , d . h . optomotorische Ausgeschlossenheit aus der realen Welt des s innl ichen E m p f i n d e n s und E~lebens 1.

Das obenstehende gilt im Prinzip natfirlich nieht weniger aueh ffir das photische Dunkel in engerem Sinne, sei es dasjenige eines weil~en Nebels oder dasjenige, worin m a n starrt , wenn man die Lichtbrille trggt. Knrz und gut : Es grit ]i~r ~edes Dunlcel i~berhaupt/

1 Soweit es sieh nachspih'en l~13t, ist diese Tatsache nicht in der urspriing- lichen Bedeutung des Wortes ,,Dunkel", englisch ,,D~rk", holl~ndisch ,,Dol~ker" usw. mit eingesehlossen. Desto deutlieher jedoch in dem franzSsischen Wort ,,Obscurilg". Wie bekannt, ist dieses Weft eine Romanisierung yon ]ateinisch ,,Obscnritas". Das nun besteht sus ob ~ ,,Auf", griechisch s und scuro = ,,Be- deckung", griechisch aZ(~o ~. So l~Bt sieh in franzSsisehem Sinne das Dumkel etymologisch umsehreiben als eine optische Situation, wo~'in die Sehdinge dem Bl~cke entzogen - - enlev~ de la rue - - sind, w~s ullenfalls ebensowenig mit Niehtsehen ~ls solches - - Vision nulle - - zu tun hat als ,,Dunkel" im Sinne yon ,,neblig, triibe". So redet ja auch der Philosoph nicht yon ,,l%atio in obscura", wenn er meint, dal~ es iiberhaupt keinen ,,Grund" gibt, sondern weil der Grund ihm ver- bo~rgen ist, d.h. das Gegenteil yon ,,clare et distinete".

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Die Konsequenzen, wozu diese Sachlage fiihrt, sind iiberaus groin. So ist es yon bier aus z. B. gar nicht mehr so wichtig, daI~ das Gesichts- feld in objektiver Finsternis oder in dem ph0tischen Dunkel der Licht, brille ph~.nomenal, d. h. ihrer Erscheinungsweise nach, die Struktur des Dfffusen, ~TebelhMten, l~aumfarbigen hat. Ma.n k5nnte sich ja vor- stellen, dal] in der objektiven Finsternis die photischen Strukturele- mente subjektiver Herkunft, sich mit Hilfe des aphotischen Schwarz zu Dingen oder Gestalten oder vielleicht zu einer ganzen Sehwelt aus- gestalteten. Die Ausgeschlossenheit aus der realen Welt der Sehdinge wtirde nicht geringer sein, die die Dunkelheit am allermeisten kenn- zeichnende Form yon optisch-ri~umlicher Unterscheidbarkeit wfirde psychophysiologisch noch immer die Situation beherrsehen: Es wigrde realiter dunkel bleiben.

So ist der Raum, worin die optischen Halluzinationen Vergifteter oder Nervenkranker erscheinen, nicht n u r d e r Bewu$tseinslage naeh, sondern nicht weniger auch psychophysiologisch, sagen wir also opto- funktionell, ohne weiteres ein Dunkelraum.

Deshalb soll nicht n u r d e r Psychopathologe 1, sondern aueh der wissenschaftliche Okulist sich ffir diese Sachlage interessieren, d. h. damit aufh6ren, um aus Grfinden des ,,MSgens" unter , ,Dunkel" nur die ob- jektive Abwesenhei~ yon Licht zu verstehen, wie es bis jetzt ,,in der Augenheilkunde gebr/~uchlich ist". Es sind bier ja nicht nut Gemiits- verfassungen zu studieren, sondern 8innesphysiologisch durchaus reelle Zuordnungsmechanismen yon Sehen und Bewegen.

Der wissenschaftliehe Okulist sage auch nieht, dab dieses Grenz- gebiet ophthalmologischer Begriffsbildung praktisch fast wertlos ist. Im Gegenteil, er hat bis jetzt nieht darum noeh nichts ftir den halluzi- nierenden Menschen getan, well der keine Abhilfe braucht, sondern weil er bis jetzt nichts damit anzufangen wuBte. Und dies bestimmt aueh deshalb, well er sich bis jetzt noch gar nicht vergegenw/~rtigt hat, was der Begriff ,Dunke l" physiologisch eigentlich sagt. Es gab eine Zeit, worin der jetzt ganz selbstversts Dunkelzimmerdioptrik treibende Arzt mit einem dioptrisch sehkranken Menschen ~_ichts anzufangen wuSte, weft die Bril]e noch nicht erfunden war. Also nicht weil der Dysopische damals noch keine Abhilfe brauchte, sondern weft noch

1 Prof. Ohm sagt, dab ich in meiner in Bd. 139 dieses Archives aufgenommenen Arbeit die Frage nach dem Wesen des Dunke]s in erster Linie vom patho]ogischen Standpunkt aus behandle. Das ist nicht richtig, denn ieh bin wie gesagt psycho- logischer 1)rinzipienforscher des sinnliehen Empfindens und Eflebens, der grund- s~tzlich nie yon der Patho]ogie ausgeht - - es praktisch auch nichb kann ? --, sondern nur das Pathologisehe nOtigenfalls zur Analyse oder Illustrierung herbeizieht.

Es war w~hrend meiner fast 10jahrigen Ti~tigkeit als wissenschaftlieher Mit- arbeiter in einer hol]/~ndisehen psychiatrisch-neurologischen Universit~tsklinik, dal~ ich die ~'uchtbarkeit und wohl auch Notwendigkeit dieses Herbeiziehens ver- standen babe.

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keiner daran gedacht hatte, da~ das dysopische Auge sich mit einem Glasfenster bestimmter Beschaffenheit leidlich korrigieren l~Bt. Viel- leicht gibt es in Zukunft noch einmal einen Ophthalmologen, der in bezug auf den halluzinierenden Menschen gegebenenfalls das richtige rut. Es wird dann jedoch nicht einer sein, der weiter unter ,Dunkel" dasjenige verstehen will, wie es leider bis jetzt in der Augenheilkunde gebr~uchlich ist.

Die Tatsaehe, dab das Wesen der dunkelhaften Ununterseheidbarkeit die photisch-funktionelle Ausgeschlossenheit aus der realen Welt der Sehdinge betrifft, macht es wie gesagt ebenso ftir das photische Dunkel in engerem Sinne nicht mehr so wichtig, dal~ es in seiner Erscheinungs- weise die Struktur des Diffusen, Nebelhaften, Raumfarbigen hat. Man kann sich z. B. vorstellen, daI3 die Celluloidscheiben mit allerhand Sachen bemalt waren, oder dab es sogar eine Lichtbrille gab, wobei ein stereo- skopischer E~fekt ~ngewandt wurde, so d ~ man etwa wie in einer Land- schaft hineinsah. Man wiirde damit dennoch der realen Welt der Seh- dinge nicht n~her gekommen sein, sondern sich in einer irrealen, trauln- haften Welt verirren, die Io]gerichtig durchaus wieder eine Dun~elwelt hefl3en sell. Optomotorisch wird sie yon dem ,,gew6hnlichen" oder nebe]haften optischen Dunkel dadurch zu unterscheiden sein, daI3 die Motorik wieder etwas ausgiebiger enthemlnt sein wird, weil jetzt das Gesehene auch noch seinen motorisch tonisierenden Signalwert des Be- deutungshaften hat.

Es braucht uns darum z. B. nicht zu wundern, dal~ die mit offenea Augen am Tage halluzinierenden Nervenkranken zu den. motorisch meist ur~ruhigen geh6ren und die Kliniker bier etwa von einer ,,psychotischen Desorientierheit im Raume" reden. De r Kranke sieht dann ja in einen yon Sehdingen gefiillten, jedoch vollkomlnen illusorischen Raum, d. h. in einen ,,belebten Dunkelraum", ws zugleich seine optische Sinnes- fl~che objektiv der gew6hnlichen ads Lichtreizung ausgesetzt ist.

Dieses Reaktionsbild finder sein Gegenstiick ira Traum. Wenn der geistig gesunde Mensch schl~ft, halluziniert er gelegentlich nicht weniger als der Nervenkranke, welm er wacht. Wir sagen dann, dab er trs Die Traumbilder sind bekanntlich manchmal nicht weniger hell als beim gew6hnlichen Sehen. Funktionell besteht jedoch dieser iiberaus groBe Unterschied, dab die optische Sinnesfl~che des Trs n icht der gew6hnlichen Lichtreizung des Tages ausgesetzt ist, so da[~ er auch keiner optofunktionell bedingten Enthemmung der Motorik unterliegt. I s t es vielleicht such dadurch, dab die Tranmbilder den Schlafenden zwar bennruhigen - - sie ha])en den tonisierenden Signal- weft des Bedeutungshaften ! - - , abet fast nie imstande sind, die Paraly- sierung des Schlafes zu durchbrechen ?

Wie es auch sei, gerade derartige Beispiele belegen unzweideutig, wie fiberaus grol~ der wissenschaftliche Gewinn ist, wenn man sich

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eiranal ernstlieh and mfgliehst tiefgehend auf das Wesen des Dunkels besinnt.

Ieh werde das bier zuletzt noeh einraal an dera ph/~nomenologisehen Verh/iltnis yon ,,Dnnkel" und ,,Blind" aufhellen.

Prof. Ohm sagt, dab er, nngeaehtet raeiner darauf bezfigliehen Aus- einandersetzung in raeiner Arbeit fiber das photisehe Dunkel, ira weiteren unter Blind die Unf/~higkeit, das Lieht wahrzunehmen, versteht. Ieh babe raieh, ganz abgesehen yon raeinen eigenen Anffassungen fiber das Wesen der Blindheit, s tark fiber diese Definition gewundert, und nieht weniger aueh dariiber, dab er sie ,,in der Augenlieilkunde gebrS~uehlieli" nennt. Es kara rair ja gleieh die bekannte Definition yon Schmidt- Rimpler in den Sinn, naehdem in der augen~rztliehen Begutaehtung derjenige als ,,blind" betraehtet wird, der in 30 era Entfernung nieht die Finger seiner Hand z/~hlen kann. Das hat dera Wesen nach wohl gar niehts rait der Unf/~higkeit, das Lieht wahrzuneliraen, zu tun! Ira Gegenteil, es handelt sieh in dieser Definition aussehlieBlieh ura/ehlende Unterscheidungs/~ihigkeit! Prof. Ohm kann nieht antworten, dab es sieh hier nra eine sozusagen rein ,,soziMe" Definition zur Bestiramung der optisehen Invalidit~t eines Begutaehtungsfalles handelt. In Wahrheit steekt doeh sehr viel raehr daliinter. Ich weiB zwar, dal3 die raeisten Angen/~rzte sieh nur ganz wenig raehr urn die optisehen Erlebnisse eines Blinden kfiraraern, wenn der Fall seinen akuten Krankheitseharakter verloren hat and im weiteren hoffnnngslos ist. Sie haben anch das Reeht dazu, denn es bleibt dann eventnell nur noeh ein Problem der Ffirsorge oder der soziMen Hygiene zu 15sen fibrig. Abet ieh weiB aueh nieht weniger sicher, dab es eine Unraenge Mensehen gibt, die, wie in der Augenheilkunde gebriiuchlich, ,,blind" heiBen, abet niehtsdestoweniger noch irastande sind, das Licht wahrzunehraen. Nut dab sie, wie gesagt, nieht raehr fiber eine gen~gende Unterseheidungsf/~higkeit verffigen.

Man wird rah" in Hinsieht darauf wohl nieht fibel deuten, wenn ich sage, dab diese Mensehen in einera photischen Dunkel in engerem Sinne leben.

Hiermit ist dana zugleieh d e r t i e f e Sinn der Tatsaehe aufgedeekt, dal3 ,,blind" dera Wortursprung naeh ,,geblendet" bedeutet. Ura dies einzusehen, braucht man sieh nur einmal dera sog. positiven Blendungs- ph~nomen auszusetzen. Wenn die optisehe Situation plftzlieh yon stockfinsterer Naeht in hellen Tag fibergeht, empfindet raan ira Initial: stadinra ebensowenig etwas Optisehes als bei tier sog. negativen Blen- dung. Man erlebt nut eine Art yon optischer Entwurzelung. Es folgt dann im n~chsten Moment ein zweites Stadium, worin man recht deut- lich Licht sieht; fast allzu deutlieh, denn dieses Sehen sehraerzt. Man kann dann jedoch noeh gar niehts unterscheiden. Man hat einfach eine helle photische Erapfindung und es ist einem, als ob ihra ein leuch- tender Haneh auf den Augen liegt, so dab er sie nicht nnr wegen des

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Schmerzes ausreiben mSchte. Nachher, also in einem dritten oder End- stadium, kommt dann das ,,eigentliche" oder untersehiedliche Sehen.

Es liegt klar auf der Hand, da~ der Ausdruck ,,geblendet sein" sich auf das zweite Stadium bezieht. Und es liegt aueh nicht weniger klar auf der Hand, dab bier dieselbe Blindheitssituation vorliegt wie die, worin die vielen Menschen aus krankhafter Ursache st~ndig leben, die augen~rztlich ohne weiteres als blind betrachtet werden, w~hrend sie jedoch im Prinzip noch imstande sind, das Licht wahrzunehmen. Es kann sich hier nur um situationsbedingte, nicht um den Kern der Sache betreffende Unterschiede handeln, z. B. beziiglich der Stgrke der photischen Empfindung. Der friihe indogermanische Mensch, der yon ,,blind" und ,,geblendet" redete, als ob es einerlei war~ war also doch unbedingt ein ausgezeichneter Beobaehter des sinnlichen Empfindens und Erlebens! Ieh jedenfalls war dazu gezwungen, urn, zur Weiter- fiihrung der Problematik der Blindheit, auf seinem Sprache schSpfenden Wortgebrauch zuriickzugreffen !

Prof. Ohm wird mir j etzt j edenfalls der Idee nach vielleicht ein bigchen Recht geben, jedoch die Bemerkung machen wollen, dab esniehtsdesto- weniger auch eine vollst~ndige oder ,,echte" Blindheit gibt, wobei in 4er Tat jede Lichtwahrnehmung fehlt und worauf der frfihe indoger- manische Mensch also iiberhaupt keine Rticksicht genommen hat.

Es wird ihn dann wundern, da$ ich auch in bezug hierauf nicht auf- h6ren kalm, unsere Sprache sch5pfenden Ahnen zu loben. Denn auch hier zeigten sie sich als ausgezeichnete Beobaehter.

Um sich dies zu vergegenw~rtigen, soll man wieder einmal in Be- tracht ziehen, da{3 Sehen als solches optisch nicht nur photische Emp- findung des der Netzhaut auffallenden Lichtes ist, sondern erstens eben- falls die aus innerer l~eizung des Optosensoriums hervorgehende ,,sub- jektive"-photischeEmpfindung umfal~t und zweitens nicht weniger aus einer optischen Empfindung rein aphotischer Art besteht, d. h. dal~ das Schwarz ein sinnlicher Gegenstand des Sehens ist. Was dies nun an- belangt, kann es hier vollkolnmen dahingestellt bleiben, ob die ,,eeht" blind seienden Augenkranken in einer vollst~ndig schwarzen Finstarnis sehen, oder wenigstens noch unseren subjektiv photisehen Dunkel- schimmer habeu 1. In beiden F~llen ist die auch jede gewShnliche Blen- dung kennzeichnende objektive Ununterscheidbarkeit ohne weiteres evident.

Weiter habe ich gerade erw~Lhnt, dal~ es einem bei dem Ubergang von iNacht in Tag im sog. zweiten Stadium i st, als ob ein leuchtender Hauch auf den Augen liegt, der die optiseh rs Unterscheidung ver- hindert. Es ist dies der ,,eigentliche" Empfindungsgehalt des sog. posi- riven Blendungsph&nomens, dem es ja auch seinen Namen entlehnt.

1 Ich werde auch diese Frage erst in meiner kfinftigen Arbeit fiber die physio- logische Bedeu~ung des retinalen Eigenlichtes ~ufgreifen.

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Beim sog. negativen Blendungsph/~nomen, also bei dem Ubergang yon Tag in Naeht, erlebt man jedoeh etwas ganz ~_hnliehes. Aber dann ist es einem nieht, als ob sin leuehtender Hauch auf den Augen liegt, sondern eine finstere, obschon nieht vollkommen sehwarz seiende Mauer plStz- lich zwisehen Auge und objektiv-reMe Sehwelt auftaucht, oder pl6tzlieh ein schwarzer Sehleier fiber den Kopf geworfen wird. Ieh kann nieht umhin, zu behaupten, dab dies genau das Gegenstiiek des positiven Blendnngsph/~nomens ist. Wet hier nicht yon Blendnng reden will, vergegenw~rtigt sieh die Saehlage zu ungenau.

Es mag manehem Leser fremd vorkommen, dab also wesentlich aueh das Sehwarz der Finsternis blender, und zwar im Prinzip nicht weniger als das grelle Lieht des Tageg. Aueh weig ieh nieht, ob das schon je einem Augenarzt aufgefallen ist. Mir ist es jedoeh sehon manehmal auf- gefallen, n/~mlieh wenn ich einer Dunkelphobie big auf den Grund ging nnd meine Versuehsperson nieht eher in Ruhe lieg, his sie unter meiner Kontrolle einmal eingehend und deutlieh artikuliert festgestellt hatte, was ihr bis jetzt an der Finsternis denn eigentlieh go unangenehm, so unausweiehbar neurotisierend war. Ieh land dann immer zwei t taupt- momente: Erstens die Tatsaehe, dab das Sehwarz der Finsternis ihr yon anBerordentlieher, fas t erstickend-beengender sinnlicher Aufdring- liehkeit war, Man stelle sieh darauf bezfiglieh real vor, dab naeh den alten Sinnesphysiologen die Finsternis fiberhaupt kein Gegenstand optisehen Empfindens ist und Sehwarz denn aueh keine Farbe genannt werden diirfte! Zweitens dann die Tatsaehe, da6 die Finsternig das be- treffende Subjekt unertr~glieh-vollst&ndig aus der realen Welt der Seh- dinge aussehlieBt, es mit sieh selbst in einen optiseh dingleeren I%aum allein 1/~gt. ,,Wenn ich nut ein kleines Liehtpfinktehen sehe, so verlier~ das restliehe Sehwarz sehon das Bedrfiekende und bin ieh wenigstens beruhigt", gagt der eine. ,,Wenn man nut sts zu mir redet, so babe ieh wenigsteng eeht Kontakt mit der Realit~t", sagt der andere. Wenn sehon, so 1/~gt sieh gerade an dem yon Skotophobie Besessenen das Wesen des Dunkels und der Blindheit studieren!

Hiermit will ieh aufh6ren, obsehon gerade fiber das Verh/~ltnis yon Dnnkelheit und Blindheit noeh vieles gesagt werden kann. Alles in Betraeht gezogen, erweist sieh ja die t/lindheit als niehts weniger als die eigentliche Erlebnis/orm der Dunkelheit. Derjenige, der ein Dunkel erlebt, sei es Finsternis oder optisehes Dunkel in engerem Sinne, ist der pgychophysisehen Situation naeh blind, denn er ist ausgesehlossen aus der realen Welt der Sehdinge, er ist dieser Welt gegenfiber der roll- st/indigen Ununterseheidbarkeit fiberliefert.

Nut noeh etwas Wiehtiges m6ehte ieh hinzuffigen: Meine experimen- tell gegtfitzte Begriffsanalyse /indert natfirlieh niehtS daran, dab die betreffenden Begriffe ffir den praktisehen Augenarzt in erster Linie einen krankheitsbezogenen Klang haben. Das soll aueh in Zukunft so

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bleiben. Aber wenn er behufs der Weiterftihrung seiner ophthalmo- logisehen Wissensehaft sieh daran setzt, das Ph/inomen des ])unkels zu studieren, oder aueh der Blindheit eine intimere Betraehtung zu widmen, so wird er dem yon mir hier aufgedeekten Sinnzusammenhang ohne weiteres l%eehnung tragen miissen.

Zusammenfassung.

Dunkel ist nicht identisch mit Lichtlosigkeit. Die Dunkelheit ist ja nicht physiseher Natur, sondern eine optische Sinnesempfindung, der also nieht so etwas wie ,Lichtigkeit", sondern etwa die optisehe Sinnes- empfindung der , ,Klarheit" gegenfibersteht.

~berdies ist bei fehlender Liehtreizung der optischen Sinnesfl~che hie yon vollst~ndiger Liehteindruckslosigkeit die t~ede, wie an der Hand yon experimentellen Ergebnissen belegt wird. Die dann bestehende Empfindung der Finsternis hat immer ihr photisches Moment, n~m- ]ich den sog. subjektiven ])unkelschimmer, dessen Reizgrund endogen- physiologiseh ist. Kurz und gut: Schon die Finsternis ist durchaus ein photisches Dunkd, wobei dann zwar das aphotische Moment, d .h . die Schwarzempfindung, vorherrscht. ])as schwache photische Moment macht jedoch nicht nur die Finsternis zu etwas Sichtbarem. Das aph0- tische Schwarz ist seiner Eigenart naeh ja auch eine sichtbare, farbige Begebenheit, d .h . als optische Begebenheit nicht weniger ein Erlebnis des Sehens, als das photische Wei6 und die bunten Farben.

Hiermit ist also weder die Helle, noch das Sehen t in Grund zur Unterscheidung yon Klarheit und ])unkelheit. N~her betrachtet finder sich dieser Grund in der die ])unkelheit kennzeichnenden optisch-ri~um- lichen Ununterscheidbarlceit. ])emnach kann jede darauf bezfigliche optisehe Situation ,,Dunkel" genannt werden, so vorzfiglich das Sell- feld der Lichtbrille, das ein photisches Dunlcel in engerem Sinne heiBen kann, well dabei nicht, wie in der Finsternis, das aphotische, sondern gerade das photisehe Moment vorherrscht.

Physiologiseh ist der Unterschied zwischen photisches ])unkel in engerem Sinne und Finsternis dies, dag in dem einen eine optomotorische Enthemmung des willkiirlichen Bewegungssystems vorliegt, wi~hrend in der anderen demgegeniiber gerade eine motorische Hemmung besteht. Die darauf bezfiglichen, schon vor einigen Jahren anderswo ver6ffent- lichten Versuehsberichte des Veffassers werden kurz erSrtert.

Es wird sodann darauf hingewiesen, dag der Begriff ,,Ununter- scheidbarkeit" hier ohne weiteres zweideutig ist.

Er deutet erstens die ph~nomenale Abwesenheit yon Unterscheid- barem, d. h. das Fehlen yon Sehdingen im Gesichtsfeld an. Dies finder tats~chlich Verwirklichung einerseits in der stockfinsteren Naeht, anderer- seits in dem blendend weiBen Nebel. So auch, und zwar experimentell beherrschbar, in dem diffus gleiehen Sehfeld meiner Lichtbritle. Es wird

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weiter da ran erinnert , dab diese Erseheinungsweise des Dmlkels voll- kommen mit dem ursprfinglichen Begriffsinhalt des Wortes , ,Dunkel" i ibereinst immt.

Der Begriff , ,Ununterscheidbarkei t" deute t hier zweitens die w/ihrend des Dunkels bestehende funktionel le Ausgeschlossenheit aus der realen Welt des sinnlich Er fahrbaren an. Von hier aus be t rachte t ist es also gestat tet , jede optische Situation, wobei keine Ubere ins t immung, kein K o n t a k t zwischen Gesehenes und Erfahrbares besteht, eine Dunkel- s i tuat ion zu nennen . Dies wird n/~her er5rtert an tier optischen Welt einer Waehhal luz ina t ion und derjenigen des Traumes.

Am Ende wird n0ch kurz er6rtert , dab das Phgnomen der Bl indhei t sowohl psychologisch als physiologisch aufs engste mi t demjenigen der Dunkelheit zusammenh~ngt . Blindheit ist die eigentliche Erlebnis/orm der Dunlcelheit.

Arbeiten des Verfassers (die den hier beh~ndelten Gegenstand betreffen).

1. Bew,~gungsbereitscha/t und Netzhautbeleuchtung. Z. Sinnesphysiol. 66, 146 bis 163 (1935). - - 2. Bewegungskoordination bei monokuliirer Ganz/eldbeleuchtung. Z. Sinnesphysiol.'66, 247--261 (1936). - - 3. Zur Funktion des Tapetum lucidum. Z. Sinnesphysiol, 67, 245--258 (1938). - - 4. Die Organe des photischen Dunkels. In Vorbereitung fiir die Z. Sinnesphysiol. - - 5..Begri]] und Bedeutung des photischen Dunkel~s. Arch. Augenheilk. 139, 105--117 (1938). - - 6. Das Wesen des Dunkels. Vorliegend. - - 7. Das Eigenlicht der Retina in seiner physiologischen Bedeutung. in Vorbereitung fiir das Arch. Augenheflk. - - 8. J~tudes psychophysiologiques s~tr l'Obscurite 1. Im Erscheinen begriffen. Paris 1939. - - 9. Die Erscheinungsweise der Stille. Mschr. Ohrenheilk. (1938). - - 1O. Das entotische Dauersummen in seiner /unkti~nellen JBedeutung. In Vorbereitung fiir die Mschr. Ohrenheilk.

1 D~s erste K~pitel behandelt mehr im allgemeinen ,,La perception sensorielle sans stimulation des sens", also die betreffende t)rob]emlage uuch in Hinsicht auf den anderen Sinnen.