lÜscher, s - renaissance des ornaments [2007]
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Renaissance des Ornaments
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Renaissance des Ornaments.Die Fusion des Rationalen mit dem Verspielten
Samuel Lüscher
Inhalt 7 EinleitungundFragestellungen
Das Ornament: Definition und Erläuterung
12 EtymologischeundhistorischeDefinition 13 OrnamentundornamentaleMuster 14 DieOrnamentdebatteimLaufedes20.Jahrhunderts
Renaissance des Ornaments: Thesenteil
21 WeicheFaktoren:WieGeschmäckersichverändern 25 HarteFaktoren:DietechnologischeEntwicklung
Fallbeispiele: Standpunkte dreier Gestalterteams
28 Herzog&deMeuron:TextileFassade,tätowierterBeton 40 JongeriusLab:PrächtigeTradition,schöneBanalität 52 Omnivore:Detailverliebtheit,tierischeFreude
67 Fazit
Anhang
74 Abbildungsquellen 74 Literaturverzeichnis 77 Impressum
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DasOrnamenterfreutsichseiteinigenJahrenei-nerauffälligenPopularität,unddiesoffenbarquerdurchalleMedienundGesellschaftsschichten.VonwinzigenMusternimHintergrundeinerWebseite
übergepunktetesGeschirrhinzublumenberanktenWändenimlu-xuriösenVorzeigeladeneinerModelinie:EswimmeltvonVerzie-rungen,woehemalsschlichteFlächenüberwogen.DieseBeliebtheitistbemerkenswert,zumalStilbewusstseinfüreinenbeträchtlichenTeildes20.JahrhundertsvorallemmiteinerschmucklosenÄsthe-tikinVerbindunggebrachtwurde.DasneueornamentaleGeprängemachtindessenvorkeinemPreissegmenthalt;dieOpulenzscheintsichdengehobenenGeschmackzurückerobertzuhaben.WereinGeschäftdurchquertodereinMagazindurchblättert,demdürfteeskaumverborgenbleiben:OrnamentesindheuteallgegenwärtigundzueinemdominierendenAspektdervisuellenKulturgewor-den.DieErscheinunglässtsichnichtnurbeiKonsumgüternoderimpopkulturellenBereichbeobachten,sonderngleichermassenindenbildendenKünstenundderArchitektur.
DasDekorativewurde in derVergangenheit immerwiederzumGegenstandheftigerKontroversen.Knapp ein Jahrhundertistesher,seitdieunversöhnlichstenVerfechterderModernedieAnwendungvonOrnamentennichtnurfürverschwenderischhiel-ten,sonderngaralskriminellbezeichneten(s.u.).Esistdaherun-umgänglich,dieseDebatteineinerKurzübersichtzuwürdigenunddasOrnamentinseinenhistorischenKontexteinzuordnen.
Sicherlichistdavonauszugehen,dassGestaltungimmerdiegesellschaftlichenStrömungenihrerZeitreflektiert.InfolgedessenstelltsichdieFrage,welchekulturellenVeränderungendemOrna-menterlaubten,infrischerPrachtaufzublühen.Warumistesplötz-lichwiederallgemeinakzeptiert,sichderVerzierunghinzugeben,welcheRollespielendieKonsumenten,welchedieGestalter?In-wiefernhängtdietechnischeEntwicklungdamitzusammen?
NunändernsichdieGeschmäckerlaufend,undwasinderVer-gangenheitgefiel,wirdzyklischimRahmeneinerRetrowelleneuaufgewärmt.WasaberunterscheidetdieneueBeliebtheitdesOr-namentsvonanderenmodischenTrends?WasistdietiefereBedeu-tungdieseröffentlichenGeschmacksverschiebung?VerschiedeneIndizienweisendaraufhin,dassessichebennichtnurumeinevor-
Einleitung und Fragestellungen
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übergehendePhasehandelt,sondernumeinPhänomenvonbedeu-tenderenAusmassen.EinThesenteilwirddieseFragestellungenerörtern.
AusgehendvonderPrämisse,dasssichdiegestalterischenDis-ziplineninderPeripherieüberschneiden,werdenimanschliessen-denTeildreiGestalterteamsporträtiert,welchesichaufbesondersgeschickteWeisedesOrnamentsbedienen.DiesubjektiveAuswahlderBürosundWerkezieltdaraufab,einmöglichstbreitesgestalte-rischesSpektrumausverschiedenenBereichenaufzuzeigen,derengegenseitigeBerührungspunkteimGebrauchdesOrnamentsbeson-derssichtbarwerden.DabeiwerdendieRollevonOrnamentenjen-seitsihrerSchmuckfunktionunddieBeweggründederjeweiligenGestalterimVordergrundstehenunddieThesenbelegen.
DenAnfangmachendiebeidenBaslerArchitektenHerzog&deMeuron,welchebereitsseitJahrenFassadenmitOrnamentenversehen.StellvertretendfürdieornamentfreudigeniederländischeDesignszenewirddanachdieProduktgestalterinHellaJongeriusvorgestellt,welchenichtnurdurchbestickteBlumenvasenberühmtwurde.DasGestalterduoOmnivoreschliesslichhatinNewYorkerKreiseneinigenRuhmerlangtundführteindrücklichvor,dassdasDekorativeinderVisuellenKommunikationnichtblossausgeblüm-tenSchmuckrahmenbestehenmuss.NebeneinertieferenAusein-andersetzungmitobigenFragestellungenwirdsichindiesemTeilerweisen,dassOrnamentenichtnurvisuellkomplexundschönan-zuschauensind,sonderneinedurchausnichtzuunterschätzendefunktionaleKomponentehaben.Kurzum:InteressanteVerzierungleistetvielmehr,alslediglichihrenTrägerzuverschönern.
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Das Ornament: Definition und Erläuterung
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OfthandeltessichbeiOrnamentenumrepetitiveMuster,welcheflächendeckendoderalsornamen-taleBändereingesetztwerden.DasMusterkannindiesemZusammenhangalsUnterkategoriedes
Ornaments verstandenwerden.Die fundamentaleEinheit einesMusters,welchessichinderFlächewiederholt,wirdalsRapportbezeichnet.DasWort«Muster»legtbereitsnahe,dassessichbeisolchenOrnamentenumkopierbareGestaltungselementehandelt.SowurdeninvergangenenJahrhundertenklassischeOrnamenteen-zyklopädischdokumentiertundinFormvonMusterbüchernheraus-gegeben,welchezeitgenössischenGestalternalsInspirationsquelleundVorlagedienensollten.
Abstrakte symmetrischeMusterhabennicht sel-teneinespirituelleBedeutungsebene,siekönnenkosmischeOrdnungsprinzipiendarstellenoderder
Selbstvertiefungdienen.ProminenteBeispieleexistiereninöstli-chenKulturen,z.B.dieflächendeckendappliziertenmaurischenOr-namentemitreligiösemHintergrund,derenEntwicklungdurchdasBilderverbotimIslambegünstigtwurde.AberauchwestlicheDen-kermessendemOrnamentsolcheDimensionenzu,sozumBeispielHegel,derimOrnamentein«MittelzurSelbstbewusstwerdungdesGeistes»2sieht.
DasiefugenlosinderFlächefortgesetztwerdenkönnen,sindParkettmustermathematischforma-lisierbar.ManunterscheidetinderGeometriever-
schiedenesogenannteKongruenzabbildungen,vondenenvierzurHerstellungvonEndlosmusternangewendetwerden:Verschiebung,Spiegelung,GleitspiegelungundRotationum180,120,90oder60°.DarausabgeleitetlassensichdiehäufigstenTapeten-undParkett-musterklassifizierenunddensogenanntenebenen kristallografischen Gruppenzuordnen–imEnglischenpragmatischerals«WallpaperGroups»bezeichnet–vondenenes17möglicheVariantengibt.
SpirituelleBedeutungvonMusterninverschiedenenKulturräumen
DasWortOrnamentenstammtdemlateinischenor-nare,was«schmücken»und«verzieren»bedeutet.EsgibteinigevoneinanderabweichendeDefiniti-onen,denmeistengemeinistallerdings,dasssie
dasOrnament als einnachträglich seinemTrägerhinzugefügtes,schmückendesElementbeschreiben.InderkunsthistorischenTer-minologiestehtdasWortfüreineinzelnesverzierendesMotiv,einSystemvonOrnamentenbzw.derenAnwendungwirdalsDekora-tionbezeichnet.1AndereQuellenbezeichnendasDekoralsVerzie-rung,diekeinefunktionaleBeziehungzumTrägerhat,ganzimGe-gensatzzumOrnamentalsstrukturalemBestandteildesTrägers,wiebeispielsweiseeinemWebmuster.IndiesemTextwerdendieBegriffejedochsynonymischverwendet.
OrnamentefindensichaufunterschiedlichenOb-jekten,insbesondereanBauwerken,Textilien,aufKunst-oderGebrauchsgegenständen.Seitvorge-
schichtlicherZeithabenKulturenaufderganzenWelteineVielzahlvondekorativenStilenentwickelt,voneinanderübernommenundinverschiedenemAusmassformalisiert.TraditionelleOrnamentebestehenhäufigausabstrakten,geometrischenFormenoderaussti-lisiertenNaturmotiven,zumBeispielausLotusblüten,WeinrankenoderVögeln.ObwohldienarrativeFunktionsolcherVerzierungnichtunbedingt imVordergrundsteht, istsieoftkeinesfallssinn-entleert.DurchseinesymbolischeBedeutungkanneinOrnamentbeispielsweise auf dieFunktion einesGebäudes hinweisenoder,wieimFallvonheraldischenEmblemen,einenAutoritätsbereichmarkieren.
GängigeApplikationundhistorischeMotivevonOrnamenten
Etymologische und historische Definition
1 Wettstein 1996, S. 9
Ornament und ornamentale Muster
2 Brüderlin 2001, S. 21
GeometrischeAspektevonParkettierungundTapetenmustern
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ästhetischenÜberlegenheitwirdeinemoralischeabgeleitet,nichtzuletzthinsichtlicheinersozialenFortschrittsutopie:Dieschmuck-loseProduktionsolltevorallemaucherschwinglicheProduktefürdieniederenKlassenhervorbringen,obwohldiesesichdurchausgernweiteramDekorerfreuthätten.AllmählichbürgertsichdieSchlichtheitjedocheinundwirdzumStatussymbol.EsbildetsichgewissermasseneineneueZweiklassengesellschaftheraus,derenBildungsschichtmitgutem,danüchternenGeschmackvorangehenwill,währenddieVerzierungzumAttributeinervulgärenUnter-schichtwird.
GleichzeitigreiftdieBewegungderModerneher-an,undihrekompromisslosenGrundsätzewerdenbisweilenetwasmilderinterpretiert.Inden1950er
JahrengibtesVersuche,neueornamentaleFormenzuentwickeln,dienichtsmittraditioneller,organischerVerzierunggemeinhabenunddadurchnicht inVerdachtgeraten, rückständigzusein.Bei-spielsweiseschienengeometrischeVersuche,welcheaufErkennt-nissenüberQuarzkristalleberuhten,aufgrundihrerwissenschaft-lichenBasisdurchausakzeptabel.7DieAussage,dieExponentenderModerneseiengeschlossengegendasOrnamentpersegewesen,istalsonichtganzkorrekt–dieAblehnungrichtetesichvielmehrgegenbestimmteGestaltungsformenund,zumindestausdamaligereuro-päischerPerspektive,«falsch»eingesetzteVerzierung.
Endeder1960erJahrewerdenBlumenmusterundpsychedelische Ornamente schlagartig allgegen-wärtig.DievisuellenAttributederHippies, die
manalsaufflammendenAusdruckeiner jugendlichenRevoltege-gendasgraueBürgertumbetrachtenkann,gehen inderPopulär-kulturaufundbeeinflussendasDesignder70erJahre.PopArtundPostmoderneführendietraditionelleDekorationinKunstundAr-chitekturwiederein,allerdingsoftironischgebrochenoderdurchÜbertreibungverfremdet.DieVerzierungwirddamitimmerhinvo-rübergehendihresStigmasberaubt.
OrnamentaleGehversucheimEinklangmitdenGrundsätzenderModerne
FlowerPowerundPopArtsetzenbunteKontrapunkte
NeuentwickeltemaschinelleFertigungsmethodenermöglichtenesseitdemZeitalterderIndustriali-sierung,handwerklicheAbläufezuautomatisierenundkostengünstigallemöglichenOberflächenmitOrnamentenzuversehen.Zwangsläufigbestand
derenFunktionmitunterauchdarin,dieMinderwertigkeitvonPro-duktenzuvertuschen.InderinflationärenMassenproduktionvonOrnamentensahenkritischeZeitgenosseneineLüge,«dietraditi-onellenfloralenMotive,dieRanken,RosenundLilien,mitdenendieWarenverziertwurden,standeneinemehrlichenundsachlichenUmgangmitdenneuenProduktionsformenimWege.»3
ZwarbegannderDiskursüberdasOrnamentkei-neswegserstim20.Jahrhundert,docherreichteer1908einenpolemischenHöhepunktmitderStreit-
schrift«OrnamentundVerbrechen»ausderFederdesösterreichi-schenArchitektenAdolfLoos.GetreudemamerikanischenCredo«formfollowsfunction»–undgewissermassengegendendominie-rendenJugendstilrevoltierend4–formuliertederAutorseinegera-dezumilitanteAbneigunggegendieVerzierung.ErsahimOrna-menteinenAusdruckniedererGesinnungundhielt es für sozialunverantwortlich,daeseineVerschwendungvonRessourcendar-stelle,ohnejeglichenNutzenzuerbringen.Die«EvolutionderKul-tur,»someinter,«istgleichbedeutendmitdemEntfernendesOrna-mentsausdemGebrauchsgegenstande.»5 DabeigehtesihmsowohlumökonomischeRationalitätalsauchumTriebkontrolle.LoosundseineGesinnungsgenossenforderneineProduktionsästhetik,dieihrerZeitundderenProduktionsweisen angemessen sei.EinemProdukt,welchesdurcheineMaschineproduziertwürde,müssemandiesauchansehen,eshabe«klar,glattundschlicht»zusein.6 Loos’VorstellungensindverbreitetunterdenArchitektenundGe-staltern seinerZeit.DemselbenGeistverpflichtet sindbeispiels-weisedieLeitideendesBauhauses.DieForderungnachder«Mate-rialehrlichkeit»führtzuverputzlosemSichtbetonundklarenLinien.AvantgardistischeGestalterhabenfortandenAnspruch,ihreIdea-leallgemeindurchzusetzenundletztlichdieungebildeteSchicht—einschliesslichderBauherren–ästhetischzuerziehen.Ausdieser
3 Tietenberg 2005, S. 7
4 Lasky 2007, S. 16
5 Loos 1962, S. 276 f.
6 Tietenberg 2005, S. 7
7 Gloag 1974, S. 12
Die Ornamentdebatte im Laufe des
20. Jahrhunderts
AdolfLoos’SchlüsseltextinderDebatteanfangsdes20.Jahrhunderts
16 17
TrotzvorübergehenderAusschweifungenprägtederGeistderModernedas20.JahrhundertmitNachdruck.IhrerationalenEr-rungenschaftenbüssteninvielenGestaltungsdisziplinenbisheuteweniganStrahlkraftein.OffensichtlichistdiesamBeispielderNeu-enSchweizerTypografie,welchenatürlichebenfallsdiesemGeistentsprungenwarundingewissenKreisennachwievoralsMassderDingegilt.GeradeinjüngsterZeit–angesichtsgenerativerGestal-tungssystemeoderderkühlenVektorästhetikseitEndeder1990erJahre–verorteneinigeBeobachtereineArt«Neo-Moderne».8 WieimFolgendenbeschriebenwird,könnensichderenVertreteraller-dingsdurchausmitdemDekoranfreunden.
8 Twemlow 2005, S. 24
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Renaissance des Ornaments: Thesenteil
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KulturelleWandlungsprozessesindimAllgemei-nenschwerzumessen.Esistdaherauchnichtein-fach,absolutstichhaltigeGründefüreineTrend-wendezufinden,nochdazu,wennesumFragendesGeschmacksgeht.Grundsätzlichlässtsichzum
Zeitgeschmacksicherlichfeststellen,dassersichoftzyklischver-hält.SoerscheintunseinevisuelleSprache,dievorfünfzehnJahrengängigwar, imRückblickoftkuriosodergarkitschig–hingegenfindenwirdoppeltsoalteAusdrucksformenplötzlichdurchausmo-dernundderZeitangemessen.DieserUmstandliessesichschlichtalsGegenreaktionerklären,alsRevoltegegenalles,waszuallge-genwärtigwirdundunserenAlltagdominiert.
DasolcheTrendwendenimmeraucheinenMarktneubelebenkönnenundinderRegelvoneinergan-zenReihevongestaltendenIndustriezweigenbe-
feuertwerden,könntemandesgleichenpolemischfeststellen,dassdenstilbildendenGestalterneinfachkaummehretwasNeuesein-fälltundsieaufvorgestrigeModenzurückgreifenmüssen.Etwasmilderformuliert,müssenGestalter,umüberhauptnochauffallenzukönnen, periodisch eine visuelle Sprachefinden,welche sichmöglichstdeutlichvondengeradevorherrschendenGestaltungs-formenunterscheidet.DadieAnsätzederModerneinvielenGe-staltungsschulennachwievorpropagiertwerden,kommtindiesemFallausserdemdieprovokativeLustamRegelbruchhinzu,gewis-sermasseneine«FeierdesNutzlosen».9
SpezifischeeinzelneBeobachtungen,diedenak-tuellenZeitgeistausmachen,könnenebenfallshe-rangezogenwerden,umdieneueBeliebtheitdes
Ornamentszuerklären.ZumeinenistdieheutigeZeitvoneinemge-wissenMisstrauengegenüberderindustriellenMassenproduktiongeprägt.BeispielsweisebehagtesvielenBewohnernderwestlichenWeltnicht,dasseinigeTurnschuhproduzentenihreWarezumise-rablenArbeitsbedingungeninAsienherstellenlassen.GleichzeitigsehnensichvielegeradeunterdemEindruckeinerunaufhaltsamvoranschreitendenGlobalisierungnachVerwurzelungundHeimat-gefühlen.EineRückbesinnungaufalthergebrachtematerielleQua-litätensowiealtesKunsthandwerk,welchesengmiteinertraditio-
Retro-Gestaltung:ReinePhantasielosigkeitodereinAusdruckvonRebellion?
ZumVerhältnisvonIndividuumundIndustriegesellschaft
Wieobenbeschrieben, isteskaumzuübersehen:OpulenteMus-ter,floraleVerzierungen,durchausironiefreieZitatevonhistori-schenTapetenmotivenunddieApplikationillustrativerElementeaufverschiedensteOberflächensindheutzutagebeiGestalterninal-lenDisziplinenausgesprochenbeliebt.DieKonsumentenerfreuensichebenfallsandenscheinbarneuartiggeschmücktenProdukten.DochwoherkommtdieplötzlicheDekorationslust,nachdemeinekulturelleAvantgarde jahrzehntelangaufSchlichtheitundEntsa-gungpochte?WiebeiallenkulturellenErscheinungengibtesver-schiedeneErklärungsansätze,aufdie imFolgendeneingegangenwerdensoll.Dazukommeneinige technischeInnovationen,wel-cheebenfallsderErwähnungbedürfen.
9 Twemlow 2005, S. 25
Weiche Faktoren: Wie Geschmäcker
sich verändern
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OrnamentebedienenoffensichtlicheinprofundesemotionalesBedürfnis.Dabeilässtsichnichtein-malabschliessendbegründen,warumverschnör-
kelteMusterimEmpfindendermeistenMenschengewissermas-senaufmystischeWeiseeinebestimmteSaitezumKlingenbringen.DieErklärungdafüristmithinbeiwahrnehmungspsychologischenErkenntnissenzusuchen,zumBeispielbeiderEigenschaftunseresGehirns, inscheinbarchaotischenvisuellenStruktureneineOrd-nungherstellenzuwollen.12 GestalterwiebeispielsweiseHerzog&deMeuron(s.u.)spielenbewusstmitsolchenvisuellenAmbivalen-zen.MiteinemBlickaufdieGeschichtelässtsichausserdemfest-stellen,dassdieAllgemeinheitderprunkvollenVerzierungeigent-lichzukeinerZeitwirklichabgeneigtwar.DieAusgrenzungdesOrnamentswurdevoneinerSchichtvonVordenkern,welchesichdurcheinästhetisch-moralischesProgrammlegitimiertsahen,qua-sierzwungen.ZwarkannmanangesichtsderheutigenBilderflutsicherlichnichtbehaupten,dieAllgemeinheitseivisuellausgehun-gert.DennochwirddieneueÜppigkeitnachJahrzehntenderüber-wiegendenSchlichtheit inArchitekturundDesigndankbarange-nommen.
Der«Entkriminalisierung»13 desOrnamentsgehteinegrundlegendeVeränderungunsererAssozia-tionenvoraus.AlsFolgeeinerglobalenDurchmi-
schungverschiedensterkulturellerStrömungenunddesSchwindelerregendenTempos,mitdemeinTrenddennächstenablöstodermitbestehendenTrendsvermischtundneuaufgelegtwird,sind«alt»und«neu»zurelativenBegriffengeworden.DieGrenzenwerdenunscharf,GestalterbedienensichnachBeliebenauseinemlaufendwachsendenkulturellenRepertoire.Dabeiwirdsicherlichmanch-malunbedarftzitiert;wiedieFallbeispielezeigenwerden,gibtesallerdingsdurchausGestalter,diesichderVergangenheitmitBe-dachtanzunähernvermögen,sowieesbeispielsweiseHellaJonge-riuspraktiziert(s.u.).AngesichtseinessolchenKlimaswerdenfol-gerichtigauchTechnikendestraditionellenKunsthandwerksvonnegativenKonnotationenbefreit.MankannheutzutagetradierteGestaltungsmusterinseineArbeiteinbeziehen,ohnedeswegenalsreaktionärzugelten.DassdieseOffenheitgegenüberderTradition
ZweiterPunkt:DasOrnamentunddieVeränderungderLebenswelt
nellenAnwendungvonOrnamentenverbundenist,liessesichunteranderemalsGegenreaktionaufdiesesMissbehagenlesen–wobeibeivielenMenschenderWunschnachgünstigenProduktenweiter-hinüberwiegt.EinweiteresCharakteristikumunsererZeitistdasallgemeineBedürfnisnachIndividualität.AufdenKonsumübertra-genbedeutetdiesdenWunschnachUnikatenoderzumindestnachProdukten,welcheeineAuraderEinzigartigkeithaben.
SelbstverständlicherkenntdieIndustrieebenfallsdieBedeutungderartigerTrendsundentwickeltumgehendverschiedeneStrategien, den eigentli-
chenWiderspruchzwischenIndividualitätundMassenproduktionzuüberwinden.UmnurdieModebranchezunennen, lassensichbeispielsweiseTurnschuhe in limitiertenEditionen,welche vonGraffitikünstlernverziertwurden,bestensabsetzen,unddieRega-lesindvollvonkünstlichabgenutztenKleidungsstücken,gemuster-tenStoffenoderJeansmitStrass-Applikationen.Interessanterwei-semanifestierensichgleichbeideErscheinungen–dieAblehnungderIndustriegesellschaftsowiedasWechselspielzwischenIndivi-dualitätundGruppenzugehörigkeit–ebenfalls inderseiteinigerZeitäusserstpopulärenVerzierungdeseigenenKörpersdurchTä-towierungen.BereitsAdolfLoosstelltedieseAnalogieher,indemerdentätowierten,primitivenMenschenalsUrsprungdessenbe-schreibt,wasdieModernezuüberwindenhat.10
Solche allgemeinenErklärungsmuster haben fürdieRevitalisierungdesOrnamentsalsodurchausihreGültigkeit.Siegreifenjedochzukurz,denn
dasPhänomenistvongrössererBedeutungalseinebeliebigeMo-deerscheinung.Schliesslichhandeltes sichumeineKehrtwende,dieeinemhochkulturellenHaupttrendzuwiderläuft,welcherdengrösserenTeildes20.JahrhundertsprägteundweitmehralsnurästhetischeFragenaufwarf,denn:«WiedieGeschichtelehrt,geht,zumindestauseurozentrischerSicht,seitmehralshundertJahrenmitderFragenachdemDekorimmerauchdieFragenachderMoraleinher.»11 MehrerePunktemachendieseWendevoneinemblossenUmschwungdesöffentlichenGeschmacksunterscheidbar:
GrössereTragweitevonGeschmacksfrageninBezugaufdasOrnament
10 Taylor 1995, S. 57 ff.
11 Tietenberg 2005, S. 6
ErsterPunkt:DasOrnamentealsmenschlichesBedürfnis
12 Gregory 1997, S. 5 ff.
13 Twemlow 2005, S. 24
IndividualisierteMassenfertigungverkauftdieIllusionvonEinzigartigkeit
24 25
ImmerwiederbegünstigtentechnischeInnovatio-nendieEntwicklungvonOrnamenten:DieErfin-dungderFarblithografieermöglichtedieMassen-produktionvonMusterbüchern,SammlungenvonOrnamenten,welchebeispielsweiseArchitekten
als InspirationundVorlagedienten.Ferner führte,wieobenbe-schrieben,diemaschinelleProduktionsweiseimZugederIndustri-alisierungzueinerinflationärenVerzierungallermöglichenProduk-te.Gleichzeitigwurden dabeiTechnikenwie beispielsweise dieGravurzukostspielig.
DiemechanischenAnlagenvoneinstwerdenheuteweitgehendvoncomputergestütztenSystemener-setzt.Die seit einigen Jahrzehnten stetigweiter
perfektioniertedigitaleTechniklässtinderMaterialverarbeitungundVeredelungkaummehrWünscheoffen.SoftwaregesteuerteFräs-,Schneide-undGravursysteme,zumBeispielaufderBasisvonLaser-oderWasserstrahlen,ermöglichenheutediefiligraneVerzie-rungundPerforationvonsounterschiedlichenMaterialienwieMe-tall,Kunststoff,HolzoderLeder.NochvorkurzemhättemandafürKunsthandwerkerbeschäftigenmüssen.
DiedigitaleTechnologiehatallerdingsnichtnuraufderEbenederMassenproduktionvieleProzes-severeinfachtundverbilligt.Zweifelsohnehatsie
überdiesaufdieEntwurfsphaseeinenenormenEinfluss,daCompu-tersystemeeineArbeitsumgebungbieten,welchefürdasgestalteri-scheExperimentförderlichseinkann.ComputererlaubeneinerseitsschnelleresunddamitbreiteresEntwerfen;ornamentaleKomplexi-tätistleichterzumeistern.AndererseitserschliesstsichtechnischinteressiertenGestalternauchdieMöglichkeit, innerhalbvonpa-rametrischenodergenerativenSystemenEntwürfezuproduzieren,d.h.anhandvondigitalenModellenodergrammatischenRegelnEntwurfsforschungzubetreiben.GeradeineinemmathematischformalisierbarenGestaltungsbereichwiedemOrnamenteröffnensichdaneueWege.DiedigitalenWerkzeugesind«eineInspiration,dasOrnamentnichtmehralsetwasEntworfenes,sondernalsetwasProgrammierbaresaufzufassen.»15DasgegenwärtigeInteresseanOrnamentenistdementsprechendauchalslogischeFolgederheutefastausnahmsloscomputergestütztenGestaltungzubetrachten.
DigitaleTechnologieermöglichtdieProduktionkomplexerOrnamente
DieselbeTechnologiefördertauchdenExperimentiergeistvonGestaltern
mitErnsthaftigkeitpraktiziertwirdundnichtblossalsironischesStatementgemeint ist,unterscheidetsieallerdingsgrundsätzlichvonpostmodernistischenAnsätzen.
DasOrnamentwirdindergestalterischenPraxisweiterentwickeltundwächstdabeiübereineblos-seOberflächenverzierung hinaus. Eswird nicht
erstamEndedergestalterischenAuseinandersetzunghinzugefügt,sondernistTeildesgestalterischenProzesses:DieVerzierungistzueinemintegralenBestandteilinderKonzeptionundErfahrungvonProduktengewordenundreflektiertdieneuestenTechnologi-enundästhetischenSensibilitäten.14ImGegensatzzurtraditionel-len,oberflächlichenApplikationkanndasOrnamentalsoobendreindenKonzeptenentwachsenundihnenmehrNachdruckundTiefeverleihen.GeradeinderVisuellenKommunikationbietetdasOr-namentdenGestalternzudemdieMöglichkeit,sichalternativzuden alltäglichenProblemlösungsprozessenzubetätigen,wiebei-spielsweisebeiOmnivore(s.u.).WennderArbeitsalltagnichtaus-schliesslichdarausbesteht,dieInhalteandererzuvereinfachenundzustrukturieren,kannsichimResultateinefreiere,persönlichereNoteentfalten.
DritterPunkt:DasOrnamentinderPraxisvonGestaltern
Harte Faktoren: Die technologische
Entwicklung
14 Skov Holt 2007, S. 45
15 Malé-Alemany 2004, S. 33
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Fallbeispiele: Standpunkte dreier Gestalterteams
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DerSchrittzurBedruckungvonGebäudeoberflä-chenerscheintunterdiesenVorzeichenfolgerich-tig,Herzog&deMeuronbesetztenaufdemGebiet
einePionierrolle.DasBauwerk,beiwelchemsieerstmalsingrossemMassstabdieFassadebedruckten,istdieProduktions-undLager-hallefürRicolaEurope(Abb.2),welchederSüsswarenhersteller,ambestenbekanntfürseineKräuterpastillen,1992beiMulhousebauenliess.DasGebäudestehtinoffenemGeländewie«eineBon-bonschachtelmitaufgeklapptenSeitendeckeln».17 DadieHallekei-nefixeRaumaufteilungbekommensollte,erhieltendieArchitek-tendenAuftrag,sichaufdieHülledesGebäudeszukonzentrieren.VomDachrinntRegenwasserandenStirnseitenausBetonhinun-terundhinterlässteinevergänglicheZeichnung.DabeibildensichmitderZeitMoose,mansiehtdasBauwerkaltern.AufdieInnen-seiteder lichtdurchlässigenPolycarbonatplatten,auswelchendieLängsseitenunddieVordächerdesGebäudesbestehen,liessendieArchitektenimSiebdruckeinPflanzenmotivdesFotografenKarlBlossfeldtapplizieren.
DiebeidenBaslerArchitektenJacquesHerzogundPierredeMeuronhabeneinunverkrampftesVer-hältniszurVergangenheit.SieglaubenauchnichtanDingewie«eineStil-oderFormtradition,dieunsvorderchaotischenRealität,inderwirleben,
schützenkönnte.»16 Traditionexistiereschlichtnichtmehr,undda-mitwerdeihreArbeitzwarschwieriger,weilmannichtbeijedemBauwerkaufbekannteVorbilderzurückgreifenkönne,dafüreröff-netensichvieleneueMöglichkeiteninBezugaufMaterialienundtechnischeHilfsmittel.
IneinerZeit,indervieleArchitektenAuswegeausderMono-toniemodernerArchitektursuchten,fielenHerzog&deMeuronzunächstdurchdeninnovativenEinsatzvonspeziellenMaterialieninderFassadengestaltungauf,wiebeispielsweiseSperrholzoderKupfer.SiethematisierendieTexturvonGebäudeninihremWerkimmerwiedereindrücklichund lassensiehäufigschon in frühenModellensichtbarwerden.Ofthabensieganzeinfache,rechteckigeBaukörperverwendet,umsodieAufmerksamkeitnochstärkeraufdieOberflächezulenken.DieselassensieineinenDialogtretenmitderjeweiligenUmgebung,demKontexteinesGebäudes.DabeiistesihneneinAnliegen,dassdieMenschenihreArchitekturverste-hen:DieKupferhülledesStellwerksbeimBaslerBahnhofbeispiels-weisewirktedel,kannindessenproblemlosinihrenZusammenhangeingeordnetwerden(Abb.1).
Herzog & de Meuron: Textile Fassade,
tätowierter Beton
DasGebäudevonRicolaEuropeinBrunstattbeiMulhouse
Abb. 1
Das Stellwerk beim Basler SBB-Bahnof, Baujahr 1997
17 Mack 2000, S. 29.
16 Herzog 1995, S. 22
Abb. 2
Produktions- und Lagerhalle Ricola Europe in Brunstatt bei Mulhouse, Baujahr 1992
Abb. 3 ≥
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33
DieBibliothekderFachhochschuleEberswaldeimdeutschenBundeslandBrandenburgwurde 1999fertiggestellt(Abb.5).Siehateineebenfallseinfa-
che,rechteckigeBauform,diesichgutindieNachbarschafteinfügt,indervielesehrunterschiedlicheGebäudestehen.DiedreiGeschos-sesinddurchOberlichtbändervoneinanderabgetrennt,wodurchdasGebäudeaussieht,alsoobesausaufeinandergestapeltenKistenbestünde.DieFassadeausBetonplattenunddieLichtbänderwur-denvorderMontageflächendeckendmitfotografischenMotivenbedruckt,welchehorizontalwiederholtwerden.Dadurchsindsiekaumnochvoneinanderzuunterscheiden,obwohlsieausvölligun-terschiedlichenMaterialienbestehen.DieFassadewirdsozueinereinzigen«Aussenhaut»,welchenurvondenschmalenFensteröff-nungenstrukturiertwird.DieGliederungdergestapeltenKistenunddieOberflächedesGebäudesrelativierensichgegenseitig.
BlossfeldtwarursprünglichBildhauer,istjedochvorallembekanntdurchseineVergrösserungsaufnahmenvonsymmetrischenPflan-zendetailsumdieJahrhundertwende(Abb.4).ErerarbeiteteseinFormeninventarimRahmenvonNaturstudien,inwelchenformaleVergleichevonOrnamentenundnatürlichenPflanzenformeneinewichtigeRollespielten.SeinBuchUrformenderKunstvon1908wareingrosserErfolg.BlossfeldtwirdderNeuenDeutschenSach-lichkeitzugeordnet,welchedieEntwicklungdermodernenFoto-grafiemitprägteundaufdiesichauchKünstlerwieThomasRuff(s.u.)beziehen.18
ZwarerinnertdasPflanzenmotiv,welchesHerzog&deMeu-ronverwendeten,symbolischandieProduktevonRicola.Dieil-lustrativeWirkungdesSujetswirdaberdadurchgemindert,dassesflächigrepetiertunddurchdenProduktionsprozessverfremdetwurde.AndenKantenistdasMusterwieeineTapeteabgeschnit-tenundwirktdadurchnichtwieeinBausteinseinesTrägers,viel-mehrverleihtesdemFestkörperdieWirkungeinesVorhangs.DieKunststoffwändenähernsichbeiTageslichtderMaterialitätderBe-tonwändean–tatsächlichwarinfrüherenEntwürfendesProjektsvorgesehen,dassauchdieseübergangslosbedrucktwürden,wobeiindiesemZusammenhangwiedervonTätowierungendieRedeist.19 InderNachtkehrtsichdieWirkungum;die«Kiste»istvoninnener-leuchtetunderscheinttransparent(Abb.3).DieDualitätvonNaturundKünstlichkeitoderObjektundAbstraktionwirdsobeidiesemGebäudegleichmehrfachthematisiert;diePolegehenineinanderüber,Grenzenverwischensich.
Abb. 4
Karl Blossfeldt: Achillea Umbellata. Blatt einer Schafgarbe.
DieBibliothekderFachhochschuleEberswalde
Abb. 5
Bibliothek der Fachhochschule Eberswalde, Baujahr 1999
18 Meyer Stump 2002, S. 315
19 Mack 2000, S. 29
Abb. 6 ≥
34 35
DasFassadenkonzeptderBibliothekentstandinZusammen-arbeitmitdemFotografenThomasRuff,welcherseinprivatesAr-chivmitZeitungsbildernzurVerfügungstellte.DarauswurdeeineAuswahlgetroffen,welcheunteranderemdenFortschrittderTech-nik,Naturmotive,fotografierteGemäldeundSzenenderdeutschenWiedervereinigungzeigt(Abb.7).Herzog&deMeuronbetonenal-lerdings,dassesihnennichtumdenBildinhaltansichgehe,sondernumdieTechnikunddieVermittlungderBilder,beziehungsweisedieverändertenParameterunsererWahrnehmung,wenneinBildbeimseriellenAuftragaufeineGebäudeoberflächegewissermassenkörperlichwird.
Herzog&deMeuronsprechenvonGemeinsamkeitenihresWerksmitdemjenigenThomasRuffs.BeidearbeitenmitseriellenElementenundmitAmbivalenzen,wiesiebeispielsweiseineinervonRuffsArbeiten sichtbar sind, inder erdigitalTeilevonGe-sichternaustauschtundschichtet.DieArchitektensehenzudemAnalogienzwischenderArbeitsweiseeinesComputerprogramms,welchesdurchIteration(d.h.durchwiederholteAnwendungeinerFunktion)organischeStrukturenerzeugt–sowiebeispielsweisefraktaleMuster – und derArt,wie überlieferteGebäudedetailswährendJahrhundertenvonBaumeisternimmerwiederleichtver-ändertundweiterentwickeltwerden.BeideVorgängebringendy-namischeStrukturenhervor.
Abb. 7
Beispiele von Zeitungsbildern aus Thomas Ruffs Fotoarchiv
36 37
EinspektakuläresBeispielausjüngererZeit,wel-chesdieoptischhomogenisierendeGebäudehüllederobenerwähntenBeispieleweiterführt,istdas
Informations-,Kommunikations-undMedienzentrumanderbtuCottbus,eröffnetEnde2004(Abb.8).DieUniversitätwurdenachderdeutschenWiedervereinigunggegründetundstehtineinemGe-biet,welchesstarkdurchOstblockarchitekturgeprägtist.DieAr-chitektenbeschlossendaher,einWahrzeichenzubauen,welchesderUmgebungeineneueQualitätverleihenwürde.
In seiner amöbenartigenGrundform sieht dasGebäude, jenachBlickwinkel,wieeinzuckerglasierterTurm20oderwieeineeindrucksvolleBurgaus.ManentschiedsichandiesemBauortfüreineorganische,fliessendeForm,derenOberflächevoneinemweis-senMusterumwölktwird.EshandeltsichumverschiedeneTexteinmehrerenSprachen,welchesooftübereinanderkopiertwurden,dassdasErgebnisnichtmehrzuentziffernist.Vonnahembetrach-tetlöstsichdasMusterineinPunktrasterauf.AusderDistanzhin-gegenwirdklar,dassderUrsprungdieserOrnamenteimgeschriebe-nenWortliegt.DirekteralsinEberswaldewurdedasFlächenmotivhierinAnlehnungaufdieFunktiondesGebäudesentworfen,ver-liertindessendurchdiegezielteVerfremdungebenfallsdenillust-rativenCharakter.
WährenddieAussenflächeunddieandieFensterfrontenan-grenzendenLesesäleinzurückhaltendenWeiss-undGrautönenge-haltensind,istderinnereTeildesGebäudesmitgrellenTönenausdemganzenFarbspektrumausgestaltet(Abb.10).DieFarbensollendieOrientierungderBesucherunterstützen,ohnetatsächlichalskodiertesLeitsystemzudienen.
20 Márquez 2006, S. 100 ff.
DasInformations-,Kommunikations-undMedienzentrumbtuCottbus
Abb. 8
Das amöbenförmige IKMZ an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus, Baujahr 2004.
Abb. 9 ≥
38 39
EsisteinerklärterAnspruchvonHerzog&deMeuron,mitderGebäudeoberflächedieForminFragezustellen.21SieschaffenBauwerke,dienichtnurgefallen,sonderngleichzeitigdieWahrneh-mung irritieren, indemsieMehrdeutigkeiten in ihrerAussenwir-kungentstehenlassen.BeivielenihrerBauwerkelöstdieBildschichtanderOberflächedenBaukörperin«immaterielleSehflächen»auf,«dieihnnachaussenvermitteln».22
ObwohlsichHerzog&deMeuronausdrücklichzudenIdeenderModernebekennen,scheuensiesichinkeinerWeisevordemDekor.Die besprochenenOrnamente haben die vordergründigeFunktion,GlasflächenabzublendenundLichtzufiltern,siestellenjedochvorallemauchgrundsätzlicheFragenzuFormundOberflä-cheeinesBauwerksundderenVerhältniszurAussenwelt.KritischeBetrachtermögenanmerken,dassdieArchitektenihrenAnspruchnurteilweiseeinlösen,denn«solangedasDekoralssekundäresMus-terauftritt,kannesdieGrossformnichtgefährden.»23 Zweifelsoh-negelingtesihnenaberuntergrossemApplaus,dieDekorationinEinklangmitdenLeitsätzenderModernezubringenundauffas-zinierendeWeiseAnsätzezukombinieren,die langeZeitalsun-vereinbargalten.
Abb. 10
Bunte Innenraumgestaltung im IKMZ BTU Cottbus
21 Herzog 1995, S. 21
22 Mack 2000, S. 69
23 Jaeger 2004, S. 16
41
DemzufolgebesticktJongeriusbeispielsweiseeinTischtuchmit einemfloralenMuster undmachtnichthaltvordemTeller,deraufdemTischsteht,
sondernbesticktihngleichmitundbefestigtihnsomitanseinerUn-terlage(Abb.12).StickereigebeihrdieGelegenheit,eineAussageüberTischmanierenund-dekorationzumachen,unddarüber,wiewiringesellschaftlichenKonventionengefangenseien–beiihrem«EmbroideredTablecloth»garbuchstäblichfestgeheftet.
Natürlichverliert derTeller infolgedessen seineursprüngli-cheFunktion;diemeistenvonJongerius’Erzeugnissensindjedochdurchausbenutzbar.SiefindetgrösstenGefallendaran,wenneinästhetischesObjektebensodenErfordernissenderMassenproduk-tiongerechtwird:KunstkönneschlichtnichtmitdemMassstabkonkurrieren,aufdemdieIndustrieoperiere.26
DieniederländischeProduktgestalterinHellaJon-geriushattealsTeildesKollektivsDroogDesignfrüheErfolge.IhrenpersönlichenDurchbrucher-lebtesiemitdemPorzellanservice«B-set»,einerLinievonTischwaren,welcheabsichtlichzuheiss
gebranntwerden,wodurchzufälligeUnregelmässigkeitenentste-hen(Abb.11).SiegründeteJongeriusLabimJahr2000undgiltheutealseinederBestenaufdemFeldderProduktgestaltung.
EsisteingrossesThemaimzeitgenössischenDesign,industri-ellgefertigtenProdukteneinengewissenCharakterzurückzugeben,welcherimtraditionellenKunsthandwerkdieMenschenanzuspre-chenvermag.JongeriuserklärtihreIdeehinterdem«B-set»mitderBeobachtung,dassunseinalter,rissigerTellervonderGrossmutteroftwertvollerscheinealseinmakellosesneuesStück.Sieistdaraninteressiert,Gebrauchsgegenstände,welchegewissermassenvonGeschichtegesättigtsind,ausihrerTraditionzulösenundineinenneuenZusammenhangzustellen,wosievölligneueAssoziationenauslösenkönnen.24 ZuihrerStrategiegehört,denBetrachterbzw.BenutzerihrerProduktezuerstmitaltbekanntenFormenzuberuh-igenundihnaufdenzweitenBlickmitfremdartigenElementenzuirritieren.SiemanipuliertTraditionenundbetreibtquasiIndustrie-Sabotage,umbekanntePerspektivenzuverschieben.25
JongeriusLab: Prächtige Tradition,
schöne Banalität
24 Schouwenberg, 2003, S. 4
25 Jackson, 2005
Abb. 11
B-Set. 1998. 20-teiliges Porzellanservice
Abb. 12
Embroidered Tablecloth. 2000. Leinen, Baumwolle, Porzellan
26 Schouwenberg 2003, S. 8 ff.
Abb. 13 ≥
EmbroideredTablecloth:AnderGrenzevonKunstundGebrauchsgegenstand
42 43
44 45
Die«NymphenburgerSkizzen»,eineSerievonTel-lernundSchalen,welcheHellaJongeriusfürdietraditionsreichePorzellanmanufaktur gestaltete,
sindallerdingsnichtvorbehaltlosalltagstauglich(Abb.14).Jonge-riusdurchstöbertezunächstdasArchivdesHerstellersnachaltenTiermotivenundsetztedieseplastischum.Vogel,Reh,Hase,Nil-pferdundSchneckeruhen,naturalistischmodelliert,aufdemBodenderSchalen,sindjedochteilweisevonmotivfremdenMusternbe-deckt,welchesichaufderFlächederSchalefortsetzen.Kennzeich-nungen,welchemanüblicherweiseaufderUnterseitederGefässefindenwürde,sindaminnerenRandangebracht,wodurchsiezuOrnamentenwerden,welchedenansonstenunsichtbarstattfinden-denHerstellungsprozesskommentieren.DieObjektekombinierenLuxusundKitschaufspektakuläreWeise.
NymphenburgerSkizzen:NeuinterpretationvonTraditionsdekor
Abb. 14
Nymphenburger Skizzen. 2004. Porzellan. Distribution Nymphenburg Porzellanmanufaktur
Abb. 15 ≥
46 47
48 49
HellaJongerius lotetmit ihrenornamentalenProduktendieGrenzenvonKunst,KunsthandwerkundIndustriedesignaus.Sieversuchtkonstant,HandarbeitundSerienproduktionaufeinneuesQualitätsniveauzuheben.Mitdertraditionsbewusstenundgleich-zeitigvonGrund aufneu erdachtenVerzierungvon alltäglichenObjektenverleihtsiediesendieAusstrahlungvonSpezialanferti-gungen.DieVereinigungvonaltenundneuenTechnikenunddieSichtbarkeitdesProzessesbringenProduktemiteinermenschli-cherenAnmutunghervor,welchedieKonsumentenstärkereinbe-ziehenalsherkömmlicheindustrielleErzeugnisse.
DieDesignerinbleibtinihrenFeststellungenwidersprüchlich,wennsieeinerseitsbetont,nichtanzeitlosschöneGestaltungzuglaubenundsichkeinenDeutdarumzuscheren,obihreProdukteinzehnJahrennochinteressantseien29 –siekönneandenKlassikernderModernedieVerzweiflungderenSchöpferablesen,welcheei-nemessenziellenWertGestaltverleihenwollten.Gleichzeitigbe-tontsie,siewolleganzbewusstkeineneuenFormenerfinden,son-dernarchetypischgeformteObjekteeineneueGeschichteerzählenlassen.Wennsiesichselbstschubladisierenmüsste,dannwürdesiesichdenPostmodernistenzurechnen.30 VieleKritikerwürdenihrindiesemPunktallerdingswidersprechen,da Jongerius’Schnör-kelnichteinembeliebigenZitatdienen,sonderneinerfunktionalenOrdnungverpflichtetsind.SogelingtesihraufunvergleichlicheArt,TraditionsbewusstseinmitdemZeitgeistzuvereinen.
JongeriuswillEinzelstückeinnerhalbvonindust-riellgefertigtenSerienschaffen,inihrenWorten«individualswithinfamilies».27DerAnsatzwirdof-
fensichtlichbeidenStoffentwürfenfürdeninNewYorkansässigenTextilherstellerMaharam,indessenAuftragJongeriusneueStoff-musterfürPolstermöbelgestaltete.DieDesignerinmanifestiertdieFreudeamindustriellenProzessnichtnurinihrenEntwürfen,oftschöpftsiegleichauch ihreInspirationdaraus,etwawennsie ineinerWebereiStoffabfällestudiert.DieIdeefürdasTextilmuster«RepeatDot»entsprangdenLochkarten,mitdenenauchheutenochWebmaschinenprogrammiertwerden.JongeriusübersetztesolcheLochsystemeinMusterausKreisenundPunkteninvielenGrössen,Bunt-undErdfarben.DieMusterüberlagernsichinmehrerenEbe-nenundwechselnsichmitVolltonflächenab(Abb.16).FürdasMus-ter«RepeatClassic»durftesiewiederumimArchivvonMaharamstöbern,worauseinStreifenmusterauswarmenErdtönenentstand,kombiniertmiteinemtraditionellenFasanenmotiv.SiebgedruckteMassangabenundMarkierungen,ähnlichsolchen,wiesiedieDe-signerin auf Stoffabschnitten vorfand, erweitern den eklektizis-tischenEntwurfumeinenBezugzumHerstellungsprozess.DereigentlicheClouliegtjedochinderDimensionderRapporte:DieSequenzensindzwischenzweiunddreiMeternlang.DieserUm-standverunmöglichtesfastgänzlich,inderWeiterverarbeitungderStoffezweiidentischeBahnenzuzuschneiden.InfolgedessenistaufSitzmöbeln,welchedamitbezogenwerden,keineWiederholungdesMusterssichtbar.Jongerius’Vorgehensweiseverhindert,dassAbnehmerihresProduktssoetwaswieeineuniformePerfektionerzeugenkönnen:28AuseinerMöbelseriewirdeineFamilievonEin-zelstücken,diesichzwarstarkähneln,abernievölliggleichen.
MaharamRepeat:TextilgestaltungmitindustriellerInspiration
27 Schouwenberg 2003, S. 16
28 Kabat 2002
Abb. 16
Maharam Repeat, Dot. 2002.
Abb. 17 ≥
29 Schouwenberg 2003, S. 94 ff.
30 Schouwenberg 2003, S. 120 ff.
50 51
52 53
DiebeidenGestalterinnenAliceChungundKarenHsulerntensichkennen,alsbeidebeiderDesign-agentur2x4inNewYorkCitytätigwaren.Spätergründeten sie ihr gemeinsames BüroOmnivore.WährendihrernochkurzenKarriereerhieltensie
eineganzeReihevonAuszeichnungen,ihreArbeitenwurdenunteranderemimCooper-HewittNationalDesignMuseumausgestellt.AnMusternfandHsubereits1998Gefallen,alssiesichderbedrü-ckendenEngeihreswinzigenNewYorkerAppartementsdadurchentzog,dasssiedieWändemitFantasietapetenausgestaltete.DereskapistischeCharakterinihremHangzumDekorativenistbisheu-tenichtverschwunden.SoerklärtHsu,daihreTätigkeitzueinemGrossteildarausbestehe,dieWorteandererumherzuschieben,sei-enMusterundOrnamentezueinerAusdrucksmöglichkeitfürihrepersönlicheStimmegeworden.31
EinAuftragwährendderZeitbei2x4bestandauseinerTapeteninstallationfürdasLadenlokalvonPradaimelegantenStadtteilSoHo.DasGrosspro-
jektsolltesichüberdieLängeeinesganzenHäuserblocksziehenundwurde inengerZusammenarbeitmitRemKoolhaas’Firmaomaentwickelt.Esentstand1999,alsonochbevordieornamentaleWel-leinderVisuellenKommunikationrichtigbegonnenhatte.Nach-demmaneinBlumenmusterindergeeignetenDichtefestgelegthat-te(Abb.18),überlegtemansichverschiedeneWege,dieTapetemitfotografischemMaterialzukombinieren,umsoeineformaleVer-bindungzudenVideowändenherzustellen.EswurdenBilderaus-gewählt,welchefüritalienischeLebensart,Shopping,Mode,denHerstellungsprozess,SchönheitundSexstehensollten.Diesear-rangiertemanineinemx-förmigenRaster,umdieRänderderein-zelnenFotografienetwaszuverbergen.DasTapetenmusterdienteschliesslichalsMaskeoderFensterüberdiesenBildern(Abb.19).InteressanterweisehandeltessichumeinMusterohneRapport,dieWiederholungeineseinzelnenGrundelementswurdealsodurchdieMotivwahlblosssuggeriert.EinenkleinenScherzerlaubtensichdieGestalterinnen,indemsieFotografienvondenFellenihrerHaus-tiereeinbauten.
TapeteninstallationfüreinenPrada-StorewährendderZeitimBüro2x4
Omnivore: Detailverliebtheit,
tierische Freude
Abb. 18
Entwürfe für eine Tapeteninstallation im Prada-Store SoHo, New York, 1999 (Büro 2x4)
31 Twemlow 2005, S. 34
Abb. 19 ≥
54 55
56 57
SchlaufenundPflanzenteilenumgibtdieTiere,dieFarbgebungistmit lindgrünund rosarotebenfallszuckersüssgeraten.DasMus-terlandeteschliesslichalsHintergrundaufderHomepagederGe-stalterinnenundwurdeinfolgedessenvoneinerSpielereizueinemidentitätsstiftendenBlickfang.Eineweitere«TapeteohneHeim»ausdiesemRepertoiresiehtaufdenerstenBlickwieeineklassischePflanzentapetemitBlüten,RankenundFrüchtenaus,obschonineinerauffallendenFarbkombinationvonrotbraunemMotivaufgel-bemHintergrund(Abb.21).BeinähererBetrachtungentfaltetdasMusterallerdingseinefrivolebismorbideNote,manerkenntzer-hacktemännlicheGeschlechtsteile insymmetrischerAnordnung.ÜberdieexakteGeschichtehinterdiesemMusterschweigensichdieGestalterinnenaus.
AuspersönlichemInteresseanderTapetengestal-tungbeschäftigensichChungundHsubeiflauerAuftragslagemitderEntwicklungvonMustern.
Sie illustrierenbisweilennachfreierAssoziation,ohnedabeieinkonkretesZielzuverfolgen.32VieledersoentstandenenTapeten-mustersindbetontniedlichundbeziehensichaufpersönlicheOb-jekteoderErinnerungsmomente.DasMuster«ChulaandCharlesandFriends»istnachdenHaustierenderGestalterinnenbenannt,welchezusammenmitabstraktenIllustrationenandererTieredieTapetezieren(Abb.20).EinMixvon–teilstraditionellen,teilsauseinermodernerenVektorästhetikgeborenen–Streifen,Bändern,
FreieIllustrationenalsZeitvertreib:TapetenohneHeim
Abb. 20
Freie Tapetenillustrationen als unterhaltsame Nebenbeschäftigung
Abb. 21 ≥
32 Kidd 2005, S. 128
58 59
60 61
VonsolchenNebenbeschäftigungeneinmalabgese-hen,sindOmnivoreprimärimPrintbereichtätig,unteranderemgestaltetensieKataloge,Identities,
BroschürenundPlakate fürnamhafteKundenwiedasWhitneyMuseum,dieBiennalefürArchitekturVenedigoderdieHarvardUniversity.DanebengestaltensieWebseitensowieWanddekora-tionenvonInnen-undAussenräumen.ImMai2004entwickeltensiegemeinsammit einerEventagenturRaumprogramme fürden«Targetpop-up store», einem temporärenVerkaufsgeschäft,wel-chesdieWarenhausketteineinemhistorischenGasthausausdem19.Jahrhunderteröffnete.DasGebäudestehtinBridgehamptonaufLongIsland,wohinsichdieNewYorkerOberschichtamWochen-endezurückzuziehenpflegt.OmnivoregestaltetenverschiedeneTapeten,welchesichthematischnachdenindenjeweiligenRäumenverkauftenProdukten richtenund ihneneineüberraschendeDi-mensionverleihen.AufderTapeteim«Grillzimmer»beispielsweise(Abb.23)prangt,rotaufweissemGrund, inmitteneinestraditio-nellenRankenmotivseineMengevonHummernund–einweitausunorthodoxeresMotiv–gutdurchzogenenSteaks.DazwischenistdasZielscheiben-LogovonTargetangeordnet,welchemauchdieFarbgebungentlehntist.DeruntereWandbereichwirddurcheinLattenzaun-Musterabgedeckt,wasdieBarbecue-Idyllegelungenabrundet.DieVerzierungkommunizierteffektivundnonverbal.
TapetenfüreineprovisorischeFilialederWarenhausketteTarget
Abb. 22
Tapeten für den «Target pop-up store» in Bridgehampton, 2004
Abb. 23 ≥
62 63
EinweiteresProjekt,welchesdiebeidenGestalter-innenalsihrmöglicherweiseseltsamstesbezeich-nen,istdieDachbemalungeinesWohnhausesdes
ehemaligenPräsidentenderPrincetonUniversity (Abb.26).DadessenHausüberverschiedenePlattformenverfügte,vondenendasDacheinsehbarwar,wollteeresmitdentierischenMaskottchenallerUniversitätenbemaltsehen,welcheerundseineAngehörigenbesuchthatten.Omnivoreunterzogendienichtdurchwegsattrakti-venZeichnungeneinerNeugestaltungaufderBasisdesPrinceton-TigersvonRobertVenturi(notabenederErfinderdesWortspiels«lessisabore»,mitwelchemerdemWahlspruchmodernistischerArchitekteneinSchnippchenschlug).DieTierschartummeltsich,eingefärbtineinemVerlaufvonRotzuBlau,inmitteneinesfreiar-rangiertenBlütenmusters.
Omnivoreversuchensooftwiemöglich,OrnamenteundMus-terinihreGestaltungeinzubeziehen.DieVisitenkarteeinesehema-ligenoma-Mitarbeitersetwa(Abb.24)istsicherlichnichtgeradezeitlos in ihrerAnmutung,dürfte jedoch inderArchitektenwelteinenauffälligenunderfrischendenKontrastpunktsetzen.SelbstArbeiten,dienichteigentlichegrafischeDekorationselementeent-halten,habenofteinenausgesprochengemustertenCharakter.DieHomepagederArchitekturabteilunganderPrincetonUniversity,obschonehersachlichgehalten,empfängtihreBesuchermiteinembuntenVorhangausGrossbuchstabenineinemSchriftschnittmittechnisch-normierterAusstrahlung(Abb.25).Hierwurdengewis-sermassendietypografischenElementedurchRasterungzueinemOrnamentumfunktioniert,bleibendabeiabergleichzeitigTrägerdereigentlichenInformation.
Abb. 24
Visitenkarte eines Architekten
Abb. 25
Homepage der Architekturabteilung an der Princeton University
Abb. 26
Motiv aus Universitätsmaskottchen für eine Dachbemalung in Avalon, New Jersey
TierischeDachbemalungzumSchmuckeineseinesPrivathauses
64 65
DieHerstellungvonOrnamentenwirdwegenderNähezumKunsthandwerkoftfemininkonnotiert.ZwarsindGender-FrageninderArbeitvonOmnivorekeinThema,dochfühlensiesichnichtzuletztdurchdiesenAspektder«Frauenarbeit»demDekorativenverbunden.WeitereInspirationsquellensehensieselbstinihrerasi-atischenAbstammung,dadieKulturderVerzierungdorttraditio-nelleinenhöherenStellenwerthat,desgleichenaberauchinaltenVideospielen(wooftganzeWeltenausRapportenbestehen).InderTätigkeitderGestalterinnenexistiertkeine scharfeGrenzezwi-schenDesignundIllustration.DiebeidengefallensichinderRol-le,ihrMaterialselbstzugenerieren–gewissermassenwieBauern,welchedavonleben,wassieaufihremeigenenHofproduzieren.33DerkonsequenteEinbezugvonOrnamentenistfürsieeinunver-zichtbarerBestandteilderMethode,VorgabenvonKundenaufihreeigeneArtzuinterpretierenundineinerWeiseumzusetzen,welchedieEntdeckungslustdesBetrachtersansprichtundimmerwiederfürÜberraschungensorgt.
33 Twemlow 2005, S. 34
≥ Scriptographer object raster,Grid size 6.6, Scale 100%
Fazit
68 69
ZumandereneinetiefgreifendeTransformationvonWerten,welchewahrscheinlichlängeranhal-tenwirdalseinkurzlebigerTrend.Selbstwenndie
heutigeornamentaleWellebalddurcheineGegenbewegungabge-löstwerdensollte:Dieästhetischen(Vor-)UrteilederModerneblei-bennachhaltig erschüttert.DurchdenunverkrampftenUmgangvonGestalternmitdemDekorativen,wieihnbeispielsweiseOm-nivorepflegen,wirdeinDiskurswiederbelebt,welcherschonseitKant,vondenPionierenderModerneübersehen,«denBegriffdesOrnamentsvonseinerKonnotationdesMinderwertigen,Schmü-ckendenbefreiteundalseigenständigeFormkategorieetablierte.»35DieRationalitätwirdmitderEmotionalitäteinEinklanggebracht,zumalbeideihreDaseinsberechtigunghaben–jenachdem,wasderLösungeinesDesignproblemsangemessen ist. IndiesemZusam-menhangkanndieklassischeDefinitiondesOrnamentsalsfunkti-onslosemSchmuckelement(welcheesinderLogikderModernis-tenebenüberflüssigmachte)durcheinezeitgemässereerweitertwerden.GuteVerzierungistnichtnurhübschanzuschauenundde-tailliertgemacht,siekannjenseitsvonsolchenQualitäteneineViel-zahlkomplexerFunktionenübernehmen.
Während auch traditionelle architektonischeOr-namenteinderRegeldurchausnichtohneFunkti-onsind,sondernbeispielsweiseFlächengliedern
oderstrukturelleEigenheitenhervorhebenkönnen,sofungierendieOrnamentebeiHerzog&deMeuronalsfasttranszendentalesElement.OmnivoredagegenführenmitWitzvor,dassdasDekoreineaufverschiedeneWeiseninterpretierbareBotschaftkommu-nizierenkann,ohnedabeiendgültigStellungbeziehenzumüssen.DesgleichenbereitensolcheOrnamente ihrenSchöpfernVergnü-gen.DenIndustrieproduktenvonJongeriusLabschliesslichwirdeinemenschlichere,denKonsumentenstärkerinvolvierendeAus-strahlungverliehen.DramatischausgedrücktscheintdasDekora-tive ineinerzunehmendatomisiertenundkaltenGeschäftswelt36neueBrückenzudenKonsumentenbzw.Rezipientenzuschlagen.Zwarkönntemanalldementgegensetzen,dassesvermessensei,denemotionalenGehaltvonProduktennurdemOrnamentzuzuschrei-ben.SchliesslichexistiereninallenGestaltungsdisziplinenüberdies
ZumfunktionalenPotenzialdesOrnamentsinderProduktwirkung
FürdieBeantwortungderFrage,wietraditionellgewachseneäs-thetischePrinzipienzuerstfürbeinaheeinJahrhundertinUngnadefallenundanschliessendplötzlichwiederallgemeinakzeptiertseinkönnen,findensichindenfliessendenWechselwirkungenvonZeit-geist,IndustrieundKonsumeinigeallgemeineErklärungsansätze,wiesieauchimThesenteilausgeführtsind.UmdieRenaissancedesOrnamentszubegründen,eignensichspezifischereBeobachtungenhingegenbesser.
ZumeinendieErkenntnis,dassvisuelleKomple-xität,wiesiedurchOrnamentehergestelltwerdenkann,aufAugeundSeelegleichermassenfaszinie-
rendwirkt.BelegefürdieseAussagefindenwir intraditionellenSakralgebäudenverschiedenerKulturenebensowieimWerkvonHerzog&deMeuron.Ihnengelingtesnichtzuletztdurchdenge-konntenUmgangmitdemOrnament,ausimGrundesehrsimplenFormenvielschichtige,aufimmerwiederneueArtenwahrnehmba-reBaukörperzuerschaffen.EbensosinddieProduktevonJongeri-usLaboftganzklassischgeformt,inihrerAusgestaltunghingegendurchwegsüberraschend.
BeobachtetmandasSchaffenvonmanchenzeitgenössischenGestaltern,sofälltauf,dassdievisuelleKulturvonderFlächeindenRaumzudrängenscheint.SichtbarwirddiesnichtnurimKlei-nen,etwawenneineStickereivomTischtuchaufdenTellerüber-greift,sondernauchbeiGrossprojektenwiebeispielsweisedervonVolkswagengesponsertenHotelrenovationinKopenhagen,womanIllustratorenganzeHotelräumeinklusivederMöbelzumDekorie-renüberliess.KunstkritikersprechenindiesemZusammenhangvoneiner«RevolutionierungdesmodernenBildbegriffs,derdahinten-diert,sichselbstzuübersteigernunddieMalereiindenRaumundaufdieWandauszudehnen.»34
ZuremotionalenWirkungdesOrnamentsundzurAusweitungdesBildbegriffs
34 Brüderlin 2001, S. 20
ZurVerschmelzungdesRationalenmitdemOrnamentalen
35 Brüderlin 2001, S. 18
36 Fiell 2007
70 71
nochvieleandereKriterien,wiebeispielsweisedieFormgebung(rund–eckig)oderdieWahlderMaterialien(warm–kalt).DemungeachtetzeigendievorgestelltenGestalterinderAnwendungdesOrnamentseinhochentwickeltesselbstreflexivesVermögenundwissenjeweilsgenauzuformulieren,worinfürsiederSinndesDe-korsbesteht.LetztlichbringtderemotionaleGehaltvonOrnamen-tendieindustriellproduziertenProduktedemtraditionellenKunst-begriffnäher.37Folglichlässtsichargumentieren,dassKunstundDesignlangsamzusammenrücken,wasnichtzuletztdemUmstandzuverdankenist,dassscheinbarharmlose,dekorativeMusterPara-digmenaufzuweichenundGrenzenzuüberschreitenvermögen.
37 Lasky 2007, S. 16
≥ Scriptographer object raster,Grid size 6.6, Scale 100%
Anhang
74 75
Abb. 1–7
Herzog1995Abb. 8–10
Márquez2006Abb. 11–17
JongeriusLab®,RotterdamAbb. 18–26
Kidd2005
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KulturgeschibtlibeDiplomarbeit2007
FabhobschuleNordwewschweizHobschulefürGewaltungundKunw|BaselInwitutVisuelleKommunikation
Mentoren
MathiasRemmele,DozentDesigngeschibteMarionFink,DozentinTypograneKonzeption, Gestaltung, Satz
SamuelLüscherSchriften
Fleischmannst(DutbTypeLibrary)AkkuratLight(Lineto)WieynkFrakturInitialen(DieterStefmann)Papier
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