räume zwischen leben und tod - kulturfenster

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Sonntag, 20. Oktober 2013 / Nr. 42 Zentralschweiz am Sonntag Kultur 23 Räume zwischen Leben und Tod KUNST In der Turbine Giswil zeigt der Obwaldner Künstler Kurt Sigrist eine umfassende Retrospektive. Sein Werk ist voller Bezüge zum Thema Zeit und Raum. URS BUGMANN [email protected] «Das ist die Landschaft, in der ich aufgewachsen bin», sagt Kurt Sigrist vor der ehemaligen Turbinenhalle Giswil. «Hier die Talsperre mit der Melchaa- Schlucht, dort die Öffnung über den See hin, die Holzbrücke als Übergang – das sind Formen und emen, die mich geprägt haben.» Übergänge und Durchsichten begeg- nen einem im Schaffen von Kurt Sigrist immer wieder. Das begehbare kreuz- förmige Haus, das zwar auf Rädern ruht, aber durch die widerstrebenden Be- wegungsrichtungen unverrückbar bleibt, öffnet bei der Gotthard-Raststätte an der Autobahn Durchblick und Durchgang, nimmt den Weg durch den Tunnel vor- weg und ist gleichzeitig ein Zeichen für einen existenziellen Weg. Archaisch und universal «Raumdurchdringungen und Kreu- zungen interessieren mich seit je», sagt der 1943 in Sachseln geborene Künstler, der heute in Sarnen lebt und arbeitet. «Es sind fundamentale Gedanken, denen er Form gibt», sagt Beat Stutzer, der die grosse Retrospektive von Kurt Sigrist in der Turbine Giswil kuratiert hat. «Er nimmt die Anregungen zwar aus der regionalen Landschaft, aber es sind archaische und universale emen, womit er sich auseinandersetzt.» Die Turbinenhalle bietet der Werk- schau eine grossartige Bühne: Der kreuz- förmige «Zeitraum» von der Gotthard- Autobahn steht als Haus im Haus neben dem zwölf Meter langen «Durchgang», einer lang gezogenen Hausform auf vier Rädern, die in die rechtwinklige Folge der Arbeiten aus Holz und Stahl einen diagonalen Akzent legt. «Die Werke sind nicht chronologisch angeordnet, son- dern nach ihren Bezügen, materiell, inhaltlich und mental», sagt Beat Stutzer. «Mich hat selber überrascht, wie sich durch dieses ‹Neumischen der Karten› die Stringenz des Schaffens von Kurt Sigrist offenbart. Werke, die nun nicht in Nachbarschaft liegen, treten mitein- ander in einen Dialog.» Kurt Sigrist verdeutlicht das mit einem Experiment und stellt eine Situation wieder her, die sich zufällig beim Ein- richten der Ausstellung ergeben hat: Er stellt ein weisses hölzernes Objekt, das «Durchgang und Grab» wechselweise auf den Seiten eines Würfels öffnet und wieder verschliesst, neben einen in den 60er-Jahren entstandenen Kopf, der halb aus Stein, halb aus Holz geformt und ineinandergesteckt ist. Die figurative Skulptur, die in einem Glaskasten liegt, löst die Gegensätze zwischen Stein und Holz in einer Bewegung auf – dem In- einanderschieben und Auseinander- ziehen, die sich im Blick auf den weis- sen hölzernen Kubus ebenfalls einstel- len: Der Blick geht durch die Öffnung hindurch, bleibt an ihrem Ende stecken und zieht sich wieder zurück. Behausungen für die Seele «Wie man Raum definieren und er- fahrbar machen kann, das hat mich von allem Anfang an beschäftigt», sagt Kurt Sigrist. «Zum Raum gehört die Leere. Beide bedingen einander.» Vorn in der Halle stehen als Gruppe die menschen- grossen «Behausungen». In ihrem Nebeneinander machen sie ihr Arche- typisches sichtbar, in der Wiederholung der Grundform wird die Differenz deut- lich. Das Material, Holz oder Stahl und die unterschiedliche Ausgestaltung ver- ändern Aussage und Atmosphäre, die Behausungen werden mit eins lesbar als Körper – als Behausungen für die Seele. Kurt Sigrist, der zahlreiche sakrale Räume gestaltet hat, betont das seelische und geistige Innenleben seiner Skulp- turen, und er bezieht sich mit Werken wie einem lang gezogenen Totenschlit- ten oder einem Schlitten, der eine Rei- he von Grabstelen oder Hausschemen trägt, explizit auf Leben und Tod als existenzielle Durchgänge. Blick aufs Frühwerk Die Ausstellung, die mit einem halben Hundert Zeichnungen ergänzt ist, zeigt, wie Beat Stutzer betont, «alle Schlüssel- werke: Es fehlt nichts Wesentliches». Ausgespart bleiben nur die Sakralraum- gestaltungen – die sich einzig an ihrem jeweiligen Ort erfahren lassen. Werke wie die «Melchtaler Venus» oder die Kultfigur des «Steinflügels» er- lauben einen Blick auf die frühen Jahre im Schaffen von Kurt Sigrist: Von den figürlichen Skulpturen, den Köpfen und Geweihen, die den Raum im Bezug zum menschlichen Körper erfahrbar mach- ten, den Blick in die Weite in den auf- gemalten Augen erkennen liessen, be- wegte sich der Künstler in die streng reduzierten Raumformen, die durch Materialität und Mass dann doch wieder aufs höchste sinnlich erlebbar sind. HINWEIS Turbine Giswil, Unteraastrasse 42, Giswil. Bis 24. November, Fr 18–21 Uhr, Sa/So 11–17 Uhr. Sonntag, 20. Oktober, 17.15 Uhr, Vortrag von Friedhelm Mennekes, Frankfurt a. M.: «Kunst als Verstören und Verbinden». Donnerstag, 24. Oktober, 20.30 Uhr, Konzert des Jazzmusikers Roland von Flüe. Freitag, 25. Oktober, 19 Uhr: öffentliche Führung; 20 Uhr: Lesung von Benedikt Loderer aus seinem Buch «Die Landesverteidigung. Eine Beschreibung des Schweizerzustandes». Rock ’n’ Roll à la Edoardo Bennato – eine Zeitreise CASINEUM Neue und alte, aber aktuell gebliebene Songs brachte Cantautore Edoardo Bennato in Luzern auf die Büh- ne. Jung wie die Liederkunst ist auch ihr Interpret geblieben. Gut 20 Lieder aus vier Jahrzehnten in pausenlosen zwei Konzertstunden vom 64-jährigen Neapolitaner Edoardo Ben- nato: Das sind die Eckdaten zum frei- täglichen Auftritt des Italieners im Ca- sineum Luzern. Auf den Monat genau vor 28 Jahren, am 3. Oktober 1985, war er schon einmal hier in der Stadt – da- mals auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, im früheren Kunsthaussaal. Diesmal zieht er es vor, in der familiären Klubatmosphäre zu spielen, so wie es der Rockpoet, der auch Stadien füllt, zwischendurch immer wieder gerne gut. Die Begrüssung ist polyglott: «Grüezi mitenand – are you ready for Rock ’n’ Roll?» Bennato steht allein auf der Büh- ne: eine akustische Gitarre, Mundhar- monika und Kazoo in den umgehängten Halter geklemmt, dazu eine Fusstrom- mel. Als folkrockige One-Man-Band fängt er an mit dem flotten «Abbi Dub- bi». Die nächste Nummer zeigt ihn als Ironiker, der behauptet «Sono solo can- zonette» – es sind ja nur so Schlager- liedchen, «io faccio solo Rock ’n’ Roll». Freilich eine starke Untertreibung. Da ist bei Bennato über die Musik hinaus immer mehr. Das wird sich gleich zeigen, wenn die junge fünfköpfige Band dazu- stösst. Von Kriegen und Fremden Es wird nicht nur schön hardrockig laut, sondern auch expliziter. Ein auf die Leinwand projizierter Text lautet: «Nel mio paese nessuno è un straniero.» Niemand in seinem Land sei ein Frem- der. Ein Statement zur aktuellen Flücht- lingsfrage (Lampedusa), illustriert durch dokumentarische Filmbilder mit Booten voller Menschen im Meer zum 20 Jahre alten Song «Il paese dei balocchi». Das Stück «Asia» stammt aus dem Jahr 1985. Es wird mit Bildern von Kriegen, 9/11 und Bin Laden unterlegt. Die Geschich- te der Menschheit ist die Geschichte von Kriegen: Das war die Botschaft der Cover-Illustration des Albums «La torre di Babele» (1976). Die Babelturm-Bilder von damals sind im Oktober 2013 auf der Leinwand als Animation zu sehen. Für alle, die es noch nicht wussten, erklärt Bennato, dass er aus Neapel stamme, der «Megalopolis Südeuropas»; es sei «die Hölle» und: «Ich lebe dort – ich bin verliebt in Neapel, e basta.» Es sind erklärende Worte zum Klagelied mit einem «Trotzdem» drin. Bei allem, was dort schiefläuft – «è la mia città». Es ist halt seine Stadt, die er liebt. Das Bennato-Konzert ist eine Reise durch die Zeit und durch die Jahrzehn- te, um am Ende immer im Heute an- zukommen. Vergangenheit und Gegen- wart verschränken sich: Edoardo Ben- nato kann Lieder aus seinen Anfängen vor 40 Jahren hervorholen – aber nicht, um sie für sich und fürs Publikum als nostalgische Referenz in angestaubtem Zustand vorzutragen. Im Gegenteil: Sie haben sich ihre Aktualität bewahrt, weil die Welt im Grunde nicht gross eine andere geworden ist und sich nicht (zum Besseren) verändert hat. «Il Rock di Capitan Uncino» berichtet von Käpt’n Hook aus «Peter Pan» und verklärt nicht etwa eine märchenhaft- romantische Abenteuergeschichte. Viel- mehr meint er mit dem vielen vertrauten Bild und entsprechendem Songtext, man solle keinen falschen Führern folgen. Oder einen falschen Kandidaten wählen wie bei «Il grillo parlante» (ein Motiv aus «Pinocchio»), letzten Frühling als Single erschienen und auf das politische Trei- ben von Beppo Grillo gemünzt. Mit dem anrührenden «L’isola che non c’è», auch schon 33 Jahre alt, verkündet Bennato die Botschaft: Pure Vernunft darf niemals siegen. URS HANGARTNER [email protected] HINWEIS: Die nächsten Daten in der neuen Casineum-Kon- zertreihe Live on Stage: Hendrix Ackle (21. 11.); Philipp Fankhauser (20. 12.); jeweils 21 Uhr. Räume mit ihren Durchgängen und Durchblicken: Kurt Sigrist in seiner Ausstellung in der Turbinenhalle in Giswil. Bild Nadia Schärli «Zum Raum gehört die Leere. Beide bedingen einander.» KURT SIGRIST «Are you ready for Rock ’n’ Roll?» – Edoardo Benna- to (64) trat zum zweiten Mal in Luzern auf. Bild Nadia Schärli

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Sonntag, 20. Oktober 2013 / Nr. 42 Zentralschweiz am Sonntag Kultur 23

Räume zwischen Leben und Tod KUNST In der Turbine Giswil zeigt der Obwaldner Künstler Kurt Sigrist eine umfassende Retrospektive. Sein Werk ist voller Bezüge zum Thema Zeit und Raum.

URS BUGMANN [email protected]

«Das ist die Landschaft, in der ich aufgewachsen bin», sagt Kurt Sigrist vor der ehemaligen Turbinenhalle Giswil. «Hier die Talsperre mit der Melchaa-Schlucht, dort die Öffnung über den See hin, die Holzbrücke als Übergang – das sind Formen und Themen, die mich geprägt haben.»

Übergänge und Durchsichten begeg-nen einem im Schaffen von Kurt Sigrist immer wieder. Das begehbare kreuz-förmige Haus, das zwar auf Rädern ruht, aber durch die widerstrebenden Be-wegungsrichtungen unverrückbar bleibt, öffnet bei der Gotthard-Raststätte an der Autobahn Durchblick und Durchgang, nimmt den Weg durch den Tunnel vor-weg und ist gleichzeitig ein Zeichen für einen existenziellen Weg.

Archaisch und universal«Raumdurchdringungen und Kreu-

zungen interessieren mich seit je», sagt der 1943 in Sachseln geborene Künstler, der heute in Sarnen lebt und arbeitet. «Es sind fundamentale Gedanken, denen er Form gibt», sagt Beat Stutzer, der die grosse Retrospektive von Kurt Sigrist in der Turbine Giswil kuratiert hat. «Er nimmt die Anregungen zwar aus der regionalen Landschaft, aber es sind archaische und universale Themen, womit er sich auseinandersetzt.»

Die Turbinenhalle bietet der Werk-schau eine grossartige Bühne: Der kreuz-förmige «Zeitraum» von der Gotthard-Autobahn steht als Haus im Haus neben dem zwölf Meter langen «Durchgang», einer lang gezogenen Hausform auf vier Rädern, die in die rechtwinklige Folge der Arbeiten aus Holz und Stahl einen diagonalen Akzent legt. «Die Werke sind nicht chronologisch angeordnet, son-dern nach ihren Bezügen, materiell, inhaltlich und mental», sagt Beat Stutzer. «Mich hat selber überrascht, wie sich durch dieses ‹Neumischen der Karten› die Stringenz des Schaffens von Kurt Sigrist offenbart. Werke, die nun nicht in Nachbarschaft liegen, treten mitein-ander in einen Dialog.»

Kurt Sigrist verdeutlicht das mit einem Experiment und stellt eine Situation wieder her, die sich zufällig beim Ein-richten der Ausstellung ergeben hat: Er

stellt ein weisses hölzernes Objekt, das «Durchgang und Grab» wechselweise auf den Seiten eines Würfels öffnet und wieder verschliesst, neben einen in den

60er-Jahren entstandenen Kopf, der halb aus Stein, halb aus Holz geformt und ineinandergesteckt ist. Die figurative Skulptur, die in einem Glaskasten liegt, löst die Gegensätze zwischen Stein und Holz in einer Bewegung auf – dem In-einanderschieben und Auseinander-

ziehen, die sich im Blick auf den weis-sen hölzernen Kubus ebenfalls einstel-len: Der Blick geht durch die Öffnung hindurch, bleibt an ihrem Ende stecken und zieht sich wieder zurück.

Behausungen für die Seele«Wie man Raum definieren und er-

fahrbar machen kann, das hat mich von allem Anfang an beschäftigt», sagt Kurt Sigrist. «Zum Raum gehört die Leere. Beide bedingen einander.» Vorn in der Halle stehen als Gruppe die menschen-grossen «Behausungen». In ihrem Nebeneinander machen sie ihr Arche-typisches sichtbar, in der Wiederholung der Grundform wird die Differenz deut-lich. Das Material, Holz oder Stahl und die unterschiedliche Ausgestaltung ver-ändern Aussage und Atmosphäre, die Behausungen werden mit eins lesbar als Körper – als Behausungen für die Seele.

Kurt Sigrist, der zahlreiche sakrale Räume gestaltet hat, betont das seelische und geistige Innenleben seiner Skulp-turen, und er bezieht sich mit Werken wie einem lang gezogenen Totenschlit-ten oder einem Schlitten, der eine Rei-he von Grabstelen oder Hausschemen trägt, explizit auf Leben und Tod als existenzielle Durchgänge.

Blick aufs FrühwerkDie Ausstellung, die mit einem halben

Hundert Zeichnungen ergänzt ist, zeigt, wie Beat Stutzer betont, «alle Schlüssel-werke: Es fehlt nichts Wesentliches». Ausgespart bleiben nur die Sakralraum-gestaltungen – die sich einzig an ihrem jeweiligen Ort erfahren lassen.

Werke wie die «Melchtaler Venus» oder die Kultfigur des «Steinflügels» er-lauben einen Blick auf die frühen Jahre im Schaffen von Kurt Sigrist: Von den

figürlichen Skulpturen, den Köpfen und Geweihen, die den Raum im Bezug zum menschlichen Körper erfahrbar mach-ten, den Blick in die Weite in den auf-gemalten Augen erkennen liessen, be-wegte sich der Künstler in die streng reduzierten Raumformen, die durch Materialität und Mass dann doch wieder aufs höchste sinnlich erlebbar sind.

HinweisTurbine Giswil, Unteraastrasse 42, Giswil. Bis 24. november, Fr 18–21 Uhr, sa/so 11–17 Uhr. Sonntag, 20. Oktober, 17.15 Uhr, Vortrag von Friedhelm Mennekes, Frankfurt a. M.: «Kunst als Verstören und Verbinden».Donnerstag, 24. Oktober, 20.30 Uhr, Konzert des Jazzmusikers Roland von Flüe.Freitag, 25. Oktober, 19 Uhr: öffentliche Führung; 20 Uhr: Lesung von Benedikt Loderer aus seinem Buch «Die Landesverteidigung. eine Beschreibung des schweizerzustandes».

Rock ’n’ Roll à la Edoardo Bennato – eine ZeitreiseCASiNeUm Neue und alte, aber aktuell gebliebene Songs brachte Cantautore Edoardo Bennato in Luzern auf die Büh-ne. Jung wie die Liederkunst ist auch ihr Interpret geblieben.

Gut 20 Lieder aus vier Jahrzehnten in pausenlosen zwei Konzertstunden vom 64-jährigen Neapolitaner Edoardo Ben-nato: Das sind die Eckdaten zum frei-täglichen Auftritt des Italieners im Ca-sineum Luzern. Auf den Monat genau vor 28 Jahren, am 3. Oktober 1985, war er schon einmal hier in der Stadt – da-mals auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, im früheren Kunsthaussaal. Diesmal zieht er es vor, in der familiären Klubatmosphäre zu spielen, so wie es der Rockpoet, der auch Stadien füllt, zwischendurch immer wieder gerne gut.

Die Begrüssung ist polyglott: «Grüezi mitenand – are you ready for Rock ’n’ Roll?» Bennato steht allein auf der Büh-ne: eine akustische Gitarre, Mundhar-monika und Kazoo in den umgehängten Halter geklemmt, dazu eine Fusstrom-mel. Als folkrockige One-Man-Band fängt er an mit dem flotten «Abbi Dub-bi». Die nächste Nummer zeigt ihn als Ironiker, der behauptet «Sono solo can-zonette» – es sind ja nur so Schlager-

liedchen, «io faccio solo Rock ’n’ Roll». Freilich eine starke Untertreibung. Da ist bei Bennato über die Musik hinaus immer mehr. Das wird sich gleich zeigen, wenn die junge fünfköpfige Band dazu-stösst.

Von Kriegen und FremdenEs wird nicht nur schön hardrockig

laut, sondern auch expliziter. Ein auf die Leinwand projizierter Text lautet: «Nel mio paese nessuno è un straniero.» Niemand in seinem Land sei ein Frem-der. Ein Statement zur aktuellen Flücht-lingsfrage (Lampedusa), illustriert durch dokumentarische Filmbilder mit Booten voller Menschen im Meer zum 20 Jahre alten Song «Il paese dei balocchi». Das Stück «Asia» stammt aus dem Jahr 1985. Es wird mit Bildern von Kriegen, 9/11 und Bin Laden unterlegt. Die Geschich-te der Menschheit ist die Geschichte von Kriegen: Das war die Botschaft der Cover-Illustration des Albums «La torre di Babele» (1976). Die Babelturm-Bilder von damals sind im Oktober 2013 auf der Leinwand als Animation zu sehen.

Für alle, die es noch nicht wussten, erklärt Bennato, dass er aus Neapel stamme, der «Megalopolis Südeuropas»; es sei «die Hölle» und: «Ich lebe dort – ich bin verliebt in Neapel, e basta.» Es sind erklärende Worte zum Klagelied mit einem «Trotzdem» drin. Bei allem, was dort schiefläuft – «è la mia città». Es ist halt seine Stadt, die er liebt.

Das Bennato-Konzert ist eine Reise durch die Zeit und durch die Jahrzehn-te, um am Ende immer im Heute an-zukommen. Vergangenheit und Gegen-wart verschränken sich: Edoardo Ben-nato kann Lieder aus seinen Anfängen vor 40 Jahren hervorholen – aber nicht, um sie für sich und fürs Publikum als nostalgische Referenz in angestaubtem Zustand vorzutragen. Im Gegenteil: Sie haben sich ihre Aktualität bewahrt, weil die Welt im Grunde nicht gross eine andere geworden ist und sich nicht (zum Besseren) verändert hat.

«Il Rock di Capitan Uncino» berichtet von Käpt’n Hook aus «Peter Pan» und verklärt nicht etwa eine märchenhaft-romantische Abenteuergeschichte. Viel-mehr meint er mit dem vielen vertrauten Bild und entsprechendem Songtext, man solle keinen falschen Führern folgen. Oder einen falschen Kandidaten wählen wie bei «Il grillo parlante» (ein Motiv aus «Pinocchio»), letzten Frühling als Single erschienen und auf das politische Trei-ben von Beppo Grillo gemünzt. Mit dem anrührenden «L’isola che non c’è», auch schon 33 Jahre alt, verkündet Bennato die Botschaft: Pure Vernunft darf niemals siegen. URS HANGARTNER

[email protected]

Hinweis:Die nächsten Daten in der neuen Casineum-Kon-zertreihe Live on stage: Hendrix Ackle (21. 11.); Philipp Fankhauser (20. 12.); jeweils 21 Uhr.

Räume mit ihren Durchgängen und Durchblicken: Kurt Sigrist in seiner Ausstellung in der Turbinenhalle in Giswil.

Bild Nadia Schärli

«Zum Raum gehört die Leere. Beide

bedingen einander.»KURT SIGRIST

«Are you ready for Rock ’n’ Roll?» – Edoardo Benna-to (64) trat zum zweiten Mal in Luzern auf. Bild Nadia Schärli