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„Mein Leipzig lob‘ ich mir?“ Webquest - NS-Zwangsarbeit Aus dem Licht in den Schatten? Darstellender Text zur Firmengeschichte der HASAG Quelle: Schreiber, Carsten: Elite im Verborgenen. Ideologie und regionale Herr- schaftspraxis des Sicherheitsdienstes der SS und seines Netzwerkes am Beispiel Sachsens; Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH; München 2008; S. 329 & 434 ff. http://www.hasag.jimdo.com/über-die-hasag/ Sammlung Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig / http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d9/Hugo_Schneider_1888.jpg . Aus dem Licht in den Schatten? Im Jahr 1863 wurde Hugo Schneider, der am 10.03.1836 in Siegroth in Schlesien geboren wurde, Teilhaber einer kleinen Werkstatt zur Herstellung von Petroleulampen, die unter dem Namen Lampenfabrik Häkel & Schneider in Reudnitz am Markt Nr. 14 ihren Sitz hatte. Dieses Unternehmen ging acht Jahre später in den alleinigen Besitz von Hugo Schneider über. In seiner Fabrik waren zu dieser Zeit 60 5 Personen beschäftigt, die Petroleumlampen herstellten. Im Jahr 1877 wurde die Pro- duktion von ihrem alten Standort in ein modernes Fabrikgebäude in der Kohlgartenstraße 43 in Reudnitz verlegt. Hugo Schneider war in diesen ersten Jahren nicht nur auf wirtschaftlicher Ebe- 10 ne engagiert, sondern war zwischen 1880 und 1887 auch Stadtverordneter von Leipzig und lei- tete ab 1886 den Ausschuss für Ökonomiewe- sen. Außerdem übernahm er den Vorsitz der Norddeutschen Edel- und Unedelmetallindustrie- 15 Berufsgenossenschaft. Ab 1887 exportierte der Betrieb seine Waren nicht mehr nur auf den europäischen Markt, son- dern auch nach Südamerika, Indien, China, Ja- pan und Australien. Im Dreikaiserjahr 1888 wur- 20 de Hugo Schneider im Januar zum unbesoldeten Stadtrat der Stadt Leipzig gewählt, bevor er am 1. Juni starb. Die Leitung des Unternehmens übernahm sein Sohn Johannes Schneider- Dörffel. 25 In den Jahren 1888 bis 1891 gab die Firma die Fertigung kompletter Lampen zugunsten der Produktion von Petroleumbrennern auf. Damit galt sie als weltweit bedeutendster Produzent von Petroleumbrennern. Im Jahr 1894 trat Martin Schneider, der jüngere Sohn der Familie, in die Direktion des Unter- nehmens ein und kümmerte sich vor allem um die Auslandsgeschäfte. Zwischen 30 1895 und 1896 beschloss die Geschäftsleitung ein eigenes Messingwalzwerk zu er- richten. In den beiden darauffolgenden Jahren erwarb die Firma ein 25 664 Quad- ratmeter großes Areal auf Paunsdorfer und Schönefelder Flur. Das Grundstück be- fand sich östlich von Leipzig. Besonders günstig war dabei die Verkehrsanbindung zum Rangierbahnhof Schönefeld. Im Jahr 1899 wurde das Unternehmen unter Mit- 35 wirkung der Allgemeinen Deutschen Creditanstalt (ADCA), der Darmstädter Bank und der Privatbank Georg Meyer in die Hugo Schneider Aktiengesellschaft (HASAG) umgewandelt, um dem einsetzenden erhöhten Kapitalbedarf zu entsprechen. In Gemeinschaft mit zwei anderen Gesellschaften und der Internationalen Handels- bank gründete die HASAG in Warschau eine Lampenbrenner- und Metallwarenfab- 40 Hugo Schneider 1888

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Page 1: Aus dem Licht in den Schatten? · Webquest - NS-Zwangsarbeit Aus dem Licht in den Schatten? ... Streik. 1921 gründete die HASAG gemeinsam mit zwei weiteren Firmen die Aktien-

„Mein Leipzig lob‘ ich mir?“ Webquest - NS-Zwangsarbeit

Aus dem Licht in den Schatten?

Darstellender Text zur Firmengeschichte der HASAG

Quelle: Schreiber, Carsten: Elite im Verborgenen. Ideologie und regionale Herr-schaftspraxis des Sicherheitsdienstes der SS und seines Netzwerkes am Beispiel Sachsens; Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH; München 2008; S. 329 & 434 ff. http://www.hasag.jimdo.com/über-die-hasag/ Sammlung Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig / http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d9/Hugo_Schneider_1888.jpg.

Aus dem Licht in den Schatten?

Im Jahr 1863 wurde Hugo Schneider, der am 10.03.1836 in Siegroth in Schlesien geboren wurde, Teilhaber einer kleinen Werkstatt zur Herstellung von Petroleulampen, die unter dem Namen Lampenfabrik Häkel & Schneider in Reudnitz am Markt Nr. 14 ihren Sitz hatte. Dieses Unternehmen ging acht Jahre später in den alleinigen Besitz von Hugo Schneider über. In seiner Fabrik waren zu dieser Zeit 60 5 Personen beschäftigt, die Petroleumlampen herstellten. Im Jahr 1877 wurde die Pro-duktion von ihrem alten Standort in ein modernes Fabrikgebäude in der Kohlgartenstraße 43 in Reudnitz verlegt. Hugo Schneider war in diesen ersten Jahren nicht nur auf wirtschaftlicher Ebe-10 ne engagiert, sondern war zwischen 1880 und 1887 auch Stadtverordneter von Leipzig und lei-tete ab 1886 den Ausschuss für Ökonomiewe-sen. Außerdem übernahm er den Vorsitz der Norddeutschen Edel- und Unedelmetallindustrie- 15 Berufsgenossenschaft. Ab 1887 exportierte der Betrieb seine Waren nicht mehr nur auf den europäischen Markt, son-dern auch nach Südamerika, Indien, China, Ja-pan und Australien. Im Dreikaiserjahr 1888 wur-20 de Hugo Schneider im Januar zum unbesoldeten Stadtrat der Stadt Leipzig gewählt, bevor er am 1. Juni starb. Die Leitung des Unternehmens übernahm sein Sohn Johannes Schneider-Dörffel. 25 In den Jahren 1888 bis 1891 gab die Firma die Fertigung kompletter Lampen zugunsten der Produktion von Petroleumbrennern auf. Damit galt sie als weltweit bedeutendster Produzent von Petroleumbrennern. Im Jahr 1894 trat Martin Schneider, der jüngere Sohn der Familie, in die Direktion des Unter-nehmens ein und kümmerte sich vor allem um die Auslandsgeschäfte. Zwischen 30 1895 und 1896 beschloss die Geschäftsleitung ein eigenes Messingwalzwerk zu er-richten. In den beiden darauffolgenden Jahren erwarb die Firma ein 25 664 Quad-ratmeter großes Areal auf Paunsdorfer und Schönefelder Flur. Das Grundstück be-fand sich östlich von Leipzig. Besonders günstig war dabei die Verkehrsanbindung zum Rangierbahnhof Schönefeld. Im Jahr 1899 wurde das Unternehmen unter Mit-35 wirkung der Allgemeinen Deutschen Creditanstalt (ADCA), der Darmstädter Bank und der Privatbank Georg Meyer in die Hugo Schneider Aktiengesellschaft (HASAG) umgewandelt, um dem einsetzenden erhöhten Kapitalbedarf zu entsprechen. In Gemeinschaft mit zwei anderen Gesellschaften und der Internationalen Handels-bank gründete die HASAG in Warschau eine Lampenbrenner- und Metallwarenfab-40

Hugo Schneider 1888

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„Mein Leipzig lob‘ ich mir?“ Webquest - NS-Zwangsarbeit

rik. Am Paunsdorfer Standort entstand nun nach dem neuen Messingwerk ein Werk für die Herstellung von Petroleumbrennern. Im Jahr 1900 besuchte das Sächsische Königspaar die Paunsdorfer Fabrik. Zu diesem Zeitpunkt wurden rund drei Viertel der Erzeugnisse der HASAG exportiert. Drei Jahre Später übernahm die HASAG die Brennerabteilung der Berliner Firma Wild & Wessel. Bereits ein Jahr später errichtete 45 das Unternehmen eine Fertigungslinie für die Herstellung von Autolampen. 1905 ent-stand in Paunsdorf ein hochmoderner Fabrikneubau, in den die gesamte Produktion und Verwaltung aus dem Reudnitzer Werk verlegt wurde, nachdem dieses Verkauft wurde. Als im Jahr 1906 Martin Schneider starb, übernahm Johannes Schneider-Dörffel als Generaldirektor die Leitung des Unternehmens. 1909 wurde die Berliner 50 Brennerfirma Otto Müller unter alleiniger Mitwirkung der HASAG in eine Aktiengesell-schaft umgewandelt, an der sich die HASAG maßgebliche Anteile sicherte. Ein Jahr darauf erwarb die HASAG eine kleine Berliner Lampenfabrik als „Grundstock für die Aufnahme der Fabrikation von Metallfadenlampen“. Zu dieser Firma gehörte eine eigene Glasbläserei im thüringischen Oberweißbach. 55 Schon wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkrieges erhielt die Firma eine Reihe großer Heeresaufträge (Infanteriemunition) und stellte die Produktion bis zum Frühjahr 1915 fast vollständig auf Rüstungsgüter um. Im Jahr 1916 eröffnete die HASAG eine Zweigniederlassung in Wien. Zwischen 1916 und 1917 kam es am Paunsdorfer Standort zu umfangreichen Baumaßnahmen, die durch das Hindenburg-60 Programm ausgelöst wurden, welches die Mobilisierung aller Kräfte der Wirtschaft für den Kriegseinsatz vorsah. 1917 erwarb die HASAG die Zenith-Vergaser GmbH in Berlin Halensee, welche sie nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages, 1919, wieder an ihren französischen Vorbesitzer zurückgeben musste. Anfang März 1918 kaufte die HASAG das Kupferwerk Trotha in Halle und im Mai die Metallgießerei Ri-65 chard Weidner in Leipzig-Sellerhausen. Im Jahr 1919 verstarb der Geheime Kom-merzienrat Johannes Schneider-Dörffel. Selbst die Krisen der jungen Weimarer Republik machten vor der HASAG nicht halt. Während des Generalstreiks im März 1920 (Kapp-Putsch) und dem Leipziger Metall-arbeiterstreik im Dezember trat die Belegschaft in der Paunsdorfer Fabrik in den 70 Streik. 1921 gründete die HASAG gemeinsam mit zwei weiteren Firmen die Aktien-gesellschaft „Hüttenwerke Trotha“. Von Januar bis März 1924 streikte die gesamte Belegschaft erneut. Erst als die Löhne der Arbeiter um etwa ein Drittel angehoben wurden konnte der Streik beendet werden. Im selben Jahr übernahm Ernst Schoen von 75 Wildebegg, ein führender Vertreter der ADCA, den Posten des Aufsichtsrastvorsitzenden. Zwei Jahre später wurde das Messingwerk mit be-trächtlichem Aufwand modernisiert. Als im Jahr 1927 die Straßenbahnlinie Leipzig - Taucha ein-80 geweiht wurde, verbesserte sich auch die Ver-kehrsanbindung an das Betriebsgelände der HASAG. Durch die einsetzende Rezession hatte die HASAG jedoch ab 1930 erhebliche Umsatz-einbußen. Das Unternehmen übernahm die Otto 85 Müller Aktiengesellschaft, an der es schon vor-her beteiligt war. Dessen Produktion wurde in den Jahren 1930 bis 1932 schrittweise nach Leipzig verlagert. Am 1. Oktober 1931 trat Paul Budin in den Vorstand der HASAG ein. 90

HASAG Werksgelände mit dem Hauptgebäude im Hintergrund

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„Mein Leipzig lob‘ ich mir?“ Webquest - NS-Zwangsarbeit

Paul Budin arbeitete im Laufe der Jahre zunehmend mit SD und SS zusammen und trat im Jahr 1938 selbst der SS bei. Er unterstand direkt Heinrich Himmler, dem Füh-rer der SS, und war einer seiner nützlichsten Wirtschaftsfunktionäre während des Zweiten Weltkrieges. Noch vor Beginn der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten besaß die 95 Dresdner Bank im Jahr 1932 über 50% der Aktienanteile der HASAG. Zur selben Zeit wurde die Eisenacher Glühlampenfabrik Germina aufgekauft und mit der Glühlam-penfabrik Oberweißbach fusioniert. Es entstand die Hugo Schneider Vereinigte Glüh-lampenwerke GmbH. In diesem Tochterunternehmen arbeiteten 450 Personen, wäh-rend im Hauptwerk 1100 Mitarbeiter beschäftigt waren. Im Jahr 1934 entstand ein 100 erstes Munitionswerk zur Belieferung der Reichswehr mit Infanteriemunition. Die Fer-tigung von Lampenteilen macht nur noch einen geringen Anteil aus. Ein Jahr später wird weiterhin ein Munitionswerk in Berlin-Köpenick eröffnet. Zwischen 1936 und 1938 entstehen weitere Werke unter Beteiligung der Wehrmacht und der Banken. Zur Herstellung von Sturmlaternen errichtete die HASAG 1937 ein weiteres Werk in 105 Meuselwitz. Zum 75. Firmenjubiläum arbeiten bei der HASAG 14 000 Beschäftigte. Im Meuselwitzer Werk wird ab 1939 ebenfalls Munition produziert und mit dem begin-nenden Kriegsausbruch fertigt die HASAG nur noch für die Wehrmacht, da der Au-ßenhandel fast vollständig eingebrochen ist. Bald darauf arbeiten rund 27 000 Be-110 schäftigte für Deutschlands größten Munitionshersteller. Es folgt die Errichtung des HASAG-Munitionswerkes in Altenburg. Ab 1940 wird in Taucha an einem neu errich-teten Standort zuerst Artilleriemunition produziert, bevor ab 1942 mit der Herstellung der Panzerfaust begonnen wird, welche von der HASAG entwickelt wurde. Nach dem Überfall auf Polen übernahm die HASAG weitere Werke in Polen und er-115 richtet in der Nähe ihrer Werke Lager für Zwangsarbeiter. Ab Juni 1943 arbeiten in den Fabriken der HASAG rund 17 000 zumeist polnische Juden als Zwangsarbeiter. Die arbeitsunfähigen Zwangsarbeiter wurden Opfer von Massenerschießungen und anschließend durch neue Zwangsarbeiter ersetzt. 1944 endete die Ostproduktion der HASAG mit der sich nähernden 120 Front. Als das Dritte Reich 1945 be-dingungslos Kapitulieren muss, wird die Hugo Schneider Aktiengesell-schaft aufgelöst. Eine großangelegte Verurteilungswelle der Hauptakteure 125 in der HASAG, so wie sie bei ande-ren Rüstungskonzernen und Unter-nehmen, die Zwangsarbeiter be-schäftigten, in den Nürnberger Pro-zessen stattfand, wurde nicht durch-130 geführt. Damit endete die Geschichte eines deutschen Unternehmens, das zuerst Licht und anschließend Schatten in viele Länder brachte. 135

HASAG Gelände 1945

HASAG Gelände 1945