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„Untherapierbare“ Straftäter im Straf- und Maßregelvollzug Strafrechtliche und kriminologische Anmerkungen Erfurt, 20. Mai 2011 Dr. Matthias Braasch, Universität Gießen

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„Untherapierbare“ Straftäter im Straf- und Maßregelvollzug Strafrechtliche und kriminologische Anmerkungen. Erfurt, 20. Mai 2011 Dr. Matthias Braasch, Universität Gießen. „Sollen wir sie alle nach Helgoland bringen?“. - PowerPoint PPT Presentation

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„Untherapierbare“ Straftäter im Straf- und Maßregelvollzug

Strafrechtliche und kriminologischeAnmerkungen

Erfurt, 20. Mai 2011

Dr. Matthias Braasch, Universität Gießen

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Dr. Matthias Braasch, Universität Gießen

„Sollen wir sie alle nach Helgoland bringen?“

Immer wieder neue Thematisierung eines im Grunde sehr alten Problems („Regensburger Donautonne“)

Aktuell vor allem im Zusammenhang mit der „Refor-mierung“ der Sicherungsverwahrung diskutiert: Urt. des BVerfG vom 4. Mai 2011!

„Behandelbarkeit“ im Grunde falscher Terminus – es geht um „Gefährlichkeit“ bzw. Rückfallvermeidung

Unterschiedliche Auswirkungen im Rahmen der einzelnen Vollzugsformen

Auch im Zusammenhang mit der Freiheitsstrafe Diskussion um „resozialisierungsunfähige“ Täter

Frage der „Behandelbarkeit“ bei Maßnahmen von unbestimmter Dauer von zentraler Bedeutung

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Die zeitliche Begrenzung der Behandlung – unvermeidbar?

Allgemeiner Zweck der §§ 63, 66 StGB: Schutz der Allgemeinheit; Unterschiede in der Klientel

Primäres Vollzugsmittel bei § 63: medizinisch-therapeutische Behandlung, siehe § 136 S. 2 StVollzG

Auf Entlassung ausgerichtete Behandlung bei SV? Hauptkritikpunkt durch EGMR

Forderung nach zeitlicher Begrenzung der gesetzlich angeordneten Therapiemaßnahmen erscheint nicht unbegründet

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Die zeitliche Begrenzung der Behandlung – unvermeidbar?

Gestiegene Zahl von Patienten mit komplizier- ten Störungen, gravierenden Unterbringungs- delikten, erheblicher strafrechtlicher Vorbelast- ung; ähnliche Entwicklung im Strafvollzug

Große Kapazitätsprobleme: vermehrte Anord- nung der Maßregel des § 63 StGB, Zurückhal- tung bei der Aussetzung nach § 67 d Abs. 2 StGB; Anstieg der Unterbringungsdauer

§ 63: 1995: 2.902 Patienten 2010: 6.569 § 66: 1995: 183 Verwahrte 2010: 536 FS: 1995: 46.516 Gefangene 2010: 60.693

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Die zeitliche Begrenzung der Behandlung – unvermeidbar?

Andauernd gefährliche Patienten grundsätzliches Problem für fürsorgerisch-therapeutisch ausgerich- teten Maßregelvollzug

Akzeptanz der Existenz von „Problempatienten“ bzw. „dauerhaft gefährlichen Tätern“

Streit um Terminus der „Untherapierbarkeit“ Ausgliederung bestimmter Patientengruppen zum

„Platz schaffen“ logische Konsequenz? Verlangen der Öffentlichkeit nach „hartem Durch-

greifen“: siehe „Fall Heinsberg“

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Das Longstay-Konzept in den Niederlanden

Konzept der Aussonderung sog. „ausbehandelter Patienten“ in spezielle Longstay-Einrichtungen

Erlebt Renaissance in der dt. Kriminalpolitik Teil einer umfassende Reorganisation des Maßre-

gelvollzugssystems seit Ende der 1990er Jahre Primäres Ziel: deutliche Kostensenkung Zentrales Element: Festlegung einer durchschnitt-

lichen Behandlungsdauer von sechs Jahren; An- gleichung der Unterbringungsbedingungen in den einzelnen Kliniken

Dort hat man sich dem Problem gestellt

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Das Longstay-Konzept in den Niederlanden

Seit 1999 erste Longstay-Abteilung in Veldzicht, später eine zweite bei der Pompeklinik in Nijmegen; weiterer Ausbau geplant

Vorgesehen für „anhaltend gefährliche“ und „ausbehandelte“ Patienten

Ziel: es soll den Bedürfnissen der Patienten nach adäquater Pflege und Versorgung sowie dem Interesse der Gesellschaft nach sicherer und kostengünstiger Unterbringung entsprochen werden

Eine die Entlassung anstrebende Behandlung findet nicht mehr statt

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Das Longstay-Konzept in den Niederlanden

Für die Verlegung entscheidende Kriterien: Zweimaliger ernsthafter Behandlungsversuch In zwei verschiedenen Kliniken Die Versuche müssen jeweils mindestens drei Jahre

gedauert haben; Schlussfolgerung, dass die Deliktgefahr sich nicht verringert hat

Abermalige Feststellung des Fortdauerns der Deliktgefahr durch den „Centrale Raad van Strafrechtstoepassing“

Vorrangiges Kriterium ist die „Unbehandelbarkeit“ des Patienten; die Pathologie des Täters oder die Art des Delikts sind nur von sekundärer Bedeutung

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Das Longstay-Konzept in den Niederlanden

Merkmale der Longstay-Patienten: Unterbringungsdelikt überdurchschnittlich häufig

von sexueller Komponente dominiert Sehr häufig chronisch-psychotische Störungen,

schwere Persönlichkeitsstörungen sowie schwere geistige Behinderungen

Oftmals kombiniert mit verfestigten Suchtproblematiken

Hauptproblem: schwere Komorbidität

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Das Longstay-Konzept in den Niederlanden

Ausgestaltung des Longstay-Vollzuges: Die auf eine Reduzierung der Gefährlichkeit und die

Entlassung des Patienten ausgerichtete Behandlung findet nicht mehr statt (Kostenersparnis)

Den „Bewohnern“ soll ein „humanes Dasein“ in diesem speziellen Setting ermöglicht werden

Förderung des Wohlbefindens, „soziales Funktionieren“ durch die Gewährleistung eines hohen Maßes an Selbständigkeit und Bewegungsfreiheit innerhalb der geschlossenen Klinik

Intensive Trauerarbeit, Akzeptanz der sehr wahrscheinlichen lebenslangen Unterbringung

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Das Longstay-Konzept in den Niederlanden

Regelmäßige Überprüfung der Fortdauer der Deliktgefährlichkeit durch die Nationale Beratungskommission für Unterbringungen sowie die Anstalt selber

Grundsätzlich ist ein Zurück aus der Longstay-Abteilung nicht ausgeschlossen, aber selbst Regierungsvertreter bezeichnen diese Wahr- scheinlichkeit als (erwünschtermaßen) sehr gering

„Die Hintertür nach draußen steht nur einen sehr kleinen Spalt offen“

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„(Un-)therapierbarkeit – ein unzulässiges Auswahlkriterium

Schon die Festlegung jeder zeitlichen Grenze ist willkürlich und verfassungsrechtlich problematisch: warum sechs Jahre ernsthafte Therapiemaßnahmen?

Trotz Verbesserungen bei der Kriminalprognose (Kriterienkataloge) zweifelhaft, ob nach Ablauf einer bestimmten Frist mit der erforderlichen Sicherheit eine „andauernde Deliktgefahr“ vorhergesagt werden kann

Legitimationsgrundlage des gesamten Maßregelrechts erschüttert

Risiko einer Fehlprognose hat fatale, kaum wieder rückgängig zu machende Konsequenzen

Gefahr des willkürlichen „Abschiebens“ unbequemer Problempatienten

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„(Un-)therapierbarkeit – ein unzulässiges Auswahlkriterium

Art. 1 GG berührt bei dem Versuch, ab einem bestimmten Zeitpunkt von einer Aussichtslosig-keit der Behandlung auszugehen

„Behandelbarkeit“ keine fixe Eigenschaft der Persönlichkeit, sondern ein von vielen Variab- len abhängiges Phänomen

Reduzierung der Gefährlichkeit hängt nicht nur vom Patienten selbst ab; entscheidend sind ebenso die vorhandenen Behandlungsmöglich-keiten sowie die Qualität des Behandelnden

Weiteres Problem: Angleichung der Vollzugs- bedingungen in den Einrichtungen

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„Patienten des MRV gemäß § 63 StGB mit geringen Entlassungsaussichten“

Studie des Instituts für Forensische Psychiatrie der Universität Duisburg-Essen (2003)

Projektphase I: 60 angeschriebene Einrichtun- gen sollten über „nicht therapierbare“ Patienten berichten; 23 Einrichtungen haben geantwortet, einige haben Terminus generell abgelehnt, andere gaben an, dieses Phänomen sei dort nicht bekannt

Aufgabe des Begriffes „Nicht-Therapierbarkeit“ in Untersuchungsphase II

Gegensatzpaar von „therapierbaren“ und „nicht therapierbaren“ Patienten wird Aufgabenfeld des Maßregelvollzuges nicht gerecht

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„Patienten des MRV gemäß § 63 StGB mit geringen Entlassungsaussichten“

Es stellt sich immer die Frage des notwendigen Risikomanagements nach der Entlassung aus einer stationären Einrichtung

Die Vorstellung, man könne einen Teil der Patienten erfolgreich therapieren und als dauerhaft geheilt und ungefährlich entlassen, ist nicht realitätsgemäß

Entscheidend ist nicht die „Therapierbarkeit“, sondern die Reduzierung der Gefährlichkeit in dem Maße, dass eine Entlassung vertretbar erscheint

Eine objektive und empirisch gut begründete Aussage zur Anzahl „unbehandelbarer“ Patienten ist nicht möglich

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„Patienten des MRV gemäß § 63 StGB mit geringen Entlassungsaussichten“

Schwerpunkt der Betrachtung in Phase II: nicht mehr die Frage der „Nicht-Therapierbar- keit“, sondern der „Nicht-Entlassbarkeit“

Zielgruppe der Erhebung: Patienten, die sich seit mindestens fünf Jahren in der Unterbringung befinden und bei denen die Verantwortlichen längerfristig keine Entlassungsperspektive sehen, da von den Patienten weiterhin Gefahren ausgehen

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„Untherapierbarkeit“ – ein verfassungswidriger Begriff

Mit Aufgabe des Merkmals der „Untherapier- barkeit“ auch Beseitigung des Problems der Endgültigkeit des Urteils (Verletzung von Art. 1 GG)

Berücksichtigung jahrzehntelanger therapeu- tischer Erfahrungen, dass Patienten ganz individuellen Wandlungen unterliegen können

Therapeutische Erreichbarkeit auch nach mehr als sechs Jahren möglich

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„Untherapierbarkeit“ – ein verfassungswidriger Begriff

Entwicklung neuer Therapieprogramme (z.B. kognitiv-behaviorale Methoden) und Verbesse- rung von Prognosetechniken;

früher galten auch manche Formen der Psychosen als „unbehandelbar“

Statt „untherapierbar“ ist der Terminus „zur Zeit nicht entlassbar“ oder „langfristig nicht entlassbar“ zu empfehlen

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Unlegitimierbarkeit der zeitlichen Be- grenzung von Behandlungsmaßnahmen

Gemäß dem Zweck aller Maßregeln ist das Ziel der Unterbringung nach §§ 63, 66 StGB ein ungefährlicher Täter nach § 67 d Abs. 2, 3 StGB

Anspruch des Täters auf eine adäquate Behand- lung, seine Gefährlichkeit auf das in § 67 d Abs. 2, 3 StGB festgelegte Maß zu reduzieren und so schnell wie möglich eine Entlassung zu erreichen

Verständnis der Maßregel als Sonderopfer Daher soll die dem Verurteilten zu gewährende Be-

handlung alle Maßnahmen umfassen, die das Sonderopfer der Unterbringung so schnell wie möglich beenden

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Unlegitimierbarkeit der zeitlichen Be- grenzung von Behandlungsmaßnahmen

Falls baldige Entlassung unrealistisch erscheint: Einleitung solcher Maßnahmen, die Sonderopfer so erträglich wie möglich machen, siehe § 136 S. 3 StVollzG (Minimum einer menschenwürdigen Unterbringung)

Entscheidend: daneben bleibt der ärztliche Heil- bzw. Besserungsauftrag (Reduzierung der Gefährlichkeit) bestehen

In einem an Art. 1 und 20 GG orientierten Maßregel- vollzug darf es eine bloße Verwahrung der vom Regel- vollzug isolierten Betroffenen nicht geben (Sicherungs- verwahrung an psychisch kranken Tätern)

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Unlegitimierbarkeit der zeitlichen Be- grenzung von Behandlungsmaßnahmen

Nur das Konzept der eine Entlassung anstrebenden Behandlungsarbeit kann eine jahrelange, u.U. lebenslange Unterbringung rechtfertigen

Bei einer Vollzugsorganisation i.S.d. Longstay-Konzeptes würde das Kollektivinteresse an größtmög- licher Sicherheit zu Lasten des Freiheitsanspruchs des Täters in unzulässiger Weise bevorzugt

Führt zum Verstoß gegen die Grundsätze zum lebens- langen Freiheitsentzug des BVerfG

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Unlegitimierbarkeit der zeitlichen Be- grenzung von Behandlungsmaßnahmen

Verstoß gegen Art. 1, 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG Der verfassungsrechtlich geschützte soziale Wert- und

Achtungsanspruch des im MRV Untergebrachten würde negiert und sein Eigenwert verletzt, der jedem Menschen zur Gewährleistung einer menschenwürdi- gen Existenz zuteil werden muss

Jedem, dem durch den Staat die Freiheit entzogen wird, muss die (vage) Hoffnung verbleiben, jemals wieder seine Freiheit wiedergewinnen zu können

Beim Longstay-Konzept wird diese Hoffnung auf ein nicht zu rechtfertigendes Minimum reduziert

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Wer gilt als „langfristig nicht entlassbar“?

Empirisch noch immer schwer erfassbar Vielzahl unterschiedlicher Bezeichnungen: „nicht

therapiefähig“, „therapeutisch nicht erreichbar“, „therapieunwillig“…

Mangels statistischer Belege Schätzung des Anteils auf ca. 10 % aller im Vollzug der Maßregel des § 63 StGB untergebrachten Täter

Überwiegend genannt: Patienten mit schweren dissozialen Persönlichkeitsstörungen in Komorbidität mit einer progredienten Form der sexuellen Devianz (traditionelle Problemklientel)

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Wer gilt als „langfristig nicht entlassbar“?

Bestätigung durch Studie zu „Patienten mit geringen Entlassungsaussichten“

Daten über 225 „nicht entlassbare“ Patienten erhoben (Phase I), in Phase II Einholung differenzierter Einschätzungen über 134 Patienten mit geringen Entlassungsaussichten; Vergleich mit 322 Patienten aus einer Progno-sestudie, die tatsächlich entlassen worden sind

Akut psychiatrisch erkrankte (schizophrene) Patienten weisen eine relativ günstige Entlassungsperspektive auf, bei einer vergleichsweise kurzen Unterbringungsdauer

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Wer gilt als „langfristig nicht entlassbar“?

Bei dieser Gruppe kann auch bei schwerem Anlassdelikt und einer Affinität zu Suchtmitteln nach einigen Jahren stationärer Behandlung ein geeigneter Entlassungsraum organisiert werden

Perspektive ist umso schlechter, je deutlicher eine Entwicklungsstörung vorliegt, die sich schon im Schul- und Jugendalter in Problemverhalten manifestiert hat

Diagnose „Persönlichkeitsstörung ohne Minderbega- bung“ macht Zugehörigkeit zur Gruppe der Patienten mit geringer Entlassungsperspektive wahrscheinlich

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Wer gilt als „langfristig nicht entlassbar“?

Suchtprobleme verschlechtern Entlassungsaussichten weiter; besonders ungünstig: Anlassdelikt war Sexualstraftat mit manifester Gewaltanwendung

Ursachen für restriktives Vorgehen bei dieser Patien- tengruppe: gründlichere prognostische Einschätzung sowie Veränderung des kriminalpolitischen Klimas

Betonung der Bedeutung des Empfangsraumes: personell gut ausgestattete forensische Ambulanzen können helfen, den Anteil der „entlassbaren Patienten zu erhöhen

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Alternativen und Fazit

Problempatienten sollten grundsätzlich im regulären Behandlungsvollzug verbleiben; nur auf diese Weise ist die Entwicklung effizienterer Behandlungspro- gramme möglich

Verhinderung eines „umgekehrten Dammbruchs“, d.h. der Einstufung von Patienten als „fehlplatziert“ mit Hilfe des Kriteriums der „Unbehandelbarkeit“ und ihrer anschließenden Ausgliederung

Wichtig bleibt aber die Akzeptanz der Tatsache, dass bestimmte Patienten/Täter möglicherweise lebens- lang untergebracht bleiben müssen

Diskussion um „Zwangsbehandlung“ muss intensi- viert werden: Legitimation von Zwang durch Fürsorge?

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Alternativen und Fazit

Durchlässigkeit der „zwei Spuren“ im Strafrecht (Strafe/Maßregeln) erhöhen?

§ 67 a Abs. 1, 2 StGB lässt nur die Überweisung vom psychiatrischen Krankenhaus in die Entzie- hungsanstalt sowie von der SV in ein psychia- trisches Krankenhaus zu, nicht aber umgekehrt (Voraussetzung: bessere Förderung der Resozialisierung)

Ausnahme: Rücküberweisung nach § 67 a Abs. 3 StGB in die SV, wenn mit dem Vollzug der Maßregel des § 63 StGB kein Erfolg erzielt werden kann

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Alternativen und Fazit

Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge nach § 67 Abs. 2 StGB (Vorwegvollzug der Strafe), wenn der Zweck der Maßregel so leichter erreicht wird

D.h., die Behandlungsmöglichkeiten im Strafvoll- zug (Sozialtherapeutische Anstalt) müssten Erfolg versprechender erscheinen als in einem psychia- trischen Krankenhaus

Erledigung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus nach § 67 d Abs. 6 StGB: Vorauss. der Maßregel sind nicht mehr gegeben, oder Unverhältnismäßigkeit der weiteren Vollstreckung

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Alternativen und Fazit

Erfasst wird z.B. die Fallgruppe der Fehleinweisung, worunter aber nicht die Konstellationen einer schlech- ten Behandlungsprognose oder einer „Unbehandelbar- keit“ fallen

Sinnvolle Weiterentwicklung: Spezialstationen für Langzeitpatienten

Sozialtherapeutische Anstalten für Sicherungsverwahr- te? Sicherheit und Humanität müssen effizient verbunden werden

Einfach nur „mehr Therapie“? Aber welche, und wo? Regelungen des ThUG problematisch (verfassungs-

konform?); „Psychiatrisierung von Gefährlichkeit“?

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Alternativen und Fazit

Aber: keine dauerhafte Ausgliederung, sondern gesetzliche Verpflichtung zur Wiedereingliederung in Behandlungsvollzug in einem überschaubaren Zeitraum

Parallel: fortlaufende Verbesserung der Diagnose- und Prognosetechniken, um Problempatienten so früh wie möglich zu erkennen

Appell an den Gesetzgeber: Ausstattung der Einrichtungen mit den erforderlichen Ressourcen

Nachhaltige Verbesserung der ambulanten Nachsorge und Schaffung von Übergangseinrich- tungen

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Eine große Herausforderung für Gesellschaft und Justiz…

„Sollen wir Helgoland räumen und sie alle dorthin bringen? Aber selbst dann müssten wir den Strand einzäunen, damit keiner davonschwimmt. Und was sagt der Menschenrechts-Gerichtshof dann zu dem Zaun?“

Ein Münchener Staatsanwalt auf der Suche nach einer Lösung…