energie und klimaforschung

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    Dieter Oesterwind

    Energie und Klimaforschung

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    Dieter Oesterwind

    Energie undKlimaforschungIn 28 Tagen rund um den Globus

    POPULR

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    Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber abrufbar.

    Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche hnlichkeit mit lebendenoder realen Personen wre rein zufllig.

    1. Auflage 2011

    Alle Rechte vorbehalten Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

    Lektorat: Ulrich Sandten | Kerstin Hoffmann

    Vieweg+Teubner Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien.Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media.www.viewegteubner.de

    Das Werk einschlielich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. JedeVerwertung auerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmung des Verlags unzulssig und strafbar. Das gilt insbesondere fr

    Vervielfltigungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherungund Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werkberechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen imSinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wren und dahervon jedermann benutzt werden drften.

    Umschlaggestaltung: KnkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg

    Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin

    Gedruckt auf surefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.Printed in Germany

    ISBN 978-3-8348-1210-0

    Innenlayout: Ivonne DomnickFreies Lektorat: Nina Hoyer

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    Inhalt

    Hellseher mitSammelleidenschaft

    Bei der Internationalen Energieagentur in Paris lernen die

    beiden Preistrger die globalen Herausforderungen der Energie-

    versorgung und des Klimawandels kennen.

    Die Effizienzpioniere

    In Mnchen erfahren Lia und Nils bei der Fraunhofer-Gesellschaft

    etwas ber die Energie-Efzienzrevolution.

    Das Morgen und das Gestern

    Im renommierten Forschungszentrum Jlich werden sie in die

    naturwissenschaftlich-technischen Grundlagen der Energie-

    technik und des Klimawandels eingefhrt und erhalten einen

    Einblick in innovative Energiesysteme. Ein Ausug in das

    fossile Energiezeitalter rundet ihren Besuch ab.

    Die Preisverleihung

    Lia und Nils haben den Kopernikus-Preis fr junge Nachwuchs-

    forscher gewonnen. Eine vierwchige Reise fhrt sie an die

    Sttten des Weltenwandels.

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    Die Preismacher

    Bei der OPEC in Wien lernen sie die Funktionsweise

    der Weltenergiemrkte kennen.

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    Fortschrittliche Nuklearentwick-lungen und Innovationsforschung

    Am Massachusetts Institute of Technology und an der

    Harvard University in den USA studieren Lia und Nils die

    neuesten Entwicklungen in der Nuklearforschung und erfahren

    welche Faktoren fr erfolgreiche Innovationen notwendig sind.

    Think big!

    In der Wste von Nevada lernen sie etwas ber die Entwicklung

    solarthermischer Kraftwerke fr die industrielle Nutzung.

    Megacitys

    In Shanghai erfahren die beiden, wie die Gestaltung von

    Ballungsrumen die Energie- und Klimazukunft entscheidend

    beeinussen kann.

    Erkenntnisse

    Lia und Nils haben whrend ihrer Reise viel ber die

    Zusammenhnge von Physik, Technik und konomie gelernt

    und welche Rolle sie fr die Energie- und Klimazukunft spielen.

    Aber auch viel ber sich selbst erfahren

    Anhang

    Dank | Formeln | Chemische Verbindungen | Umrechnungen

    von Maeinheiten | Umrechnungsfaktoren | Abkrzungen

    Glossar | Bildnachweis | Literatur

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    Paris JlichHalle

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    Die PreisverleihungLia und Nils haben den Kopernikus-Preis

    fr junge Nachwuchsforscher gewonnen.

    Eine vierwchige Reise fhrt sie an die

    Sttten des Weltenwandels.

    Mnchen Wien

    Nevada Shanghai Paris

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    in der ltesten naturwissenschaftlich-medizinischen Gelehrtengesell-schaft der Welt der Deutschen Akademie der Naturforscher Leo-poldina in Halle an der Saale steigt die Spannung. Im Festsaal war-

    ten ber dreihundert Gste auf Namen. Namen von jungen Menschen,

    die den europischen Kopernikus-Preis fr junge Nachwuchsforschererhalten haben. Das weiche Licht der barocken Deckenleuchten und die

    farbenprchtigen Blumengre, die von unzhligen Schulen aus den

    Nachbarlndern berbracht wurden, geben dem Ereignis einen festlichen

    Anstrich. Als der Prsident des Europaparlaments erneut ans Mikrofon

    tritt, halten alle sprbar den Atem an.

    Und nun wrdigen wir die herausragendsten Leistungen. Aus der Stadt

    Coimbra in Portugal, von der Escola Secundaria Quinta das Flores erhlt

    fr ihre Studie Natur und Migrationden ersten Preis auf dem Gebiet der

    Geograe Es folgt eine lange Pause. Lia Da Silva.Lia springt freudestrahlend von ihrem Stuhl auf und wirft ihren Eltern

    einen triumphierenden Blick zu.

    Und in Physik, fhrt der Prsident betont langsam fort, in Physik ver-

    leihen wir einem jungen Mann aus dem hohen Norden, vom Sdra Latins

    Gymnasium aus Stockholm, den ersten Preis fr seine Arbeit Nanotech-

    nologie und Energieefzienz. Wieder eine lange Pause.

    Er heit Nils Svensson. Bitte kommen Sie beide zu mir aufs Podium.

    Whrend sich Lia und Nils den Weg zum Podium bahnen, werden sie von

    heftigem Applaus begleitet. Mit einem Nicken nehmen sie ihre Urkundenentgegen.

    Nach der feierlichen Urkundenbergabe ist es Zeit fr das obligatorische

    Foto, natrlich mit der Europaagge im Hintergrund. So wie Lia zwischen

    dem stattlichen, korpulenten Wrdentrger und dem hochgewachsenen

    Blondschopf steht, bietet sich dem Publikum das Bild eines wehenden

    Bambusbumchens zwischen einem sanften Riesen und einer Nord-

    manntanne. Lia lsst sich davon jedoch nicht beeindrucken und trotzt der

    scheinbaren krperlichen bermacht mit ihrer kecken Bubikopffrisur undihren lebhaften Blicken in den Festsaal.

    Erneut nhert sich der Prsident dem Mikrofon.

    Bitte schenken Sie mir noch einen Augenblick Ihre Aufmerksamkeit. Die

    fachkundige Jury hat es sich nicht leicht gemacht, aus den vielen quali-

    zierten Schlern die richtige Wahl zu treffen. Dafr wollen wir ihr danken.

    Und den jungen Leuten, die heute keinen Preis erhalten haben, mchte

    ich sagen: Seien Sie nicht traurig. Ich habe in meinem ganzen Leben

    noch keinen Preis gewonnen und bin trotzdem Prsident des Europapar-

    laments geworden.

    D. Oesterwind,Energie und Klimaforschung, DOI 10.1007/978-3-8348-9787-9_1,

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    DiePreisverleihung

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    Lautes, entspanntes Gelchter ertnt im Saal. Einige Besucher erheben

    sich bereits von den Sthlen, um im Foyer noch einen Imbiss einzuneh-

    men, als der Prsident ins Mikrofon ruft:

    Noch eine Minute, bitte. Eine wichtige Nachricht habe ich noch. Lia Da

    Silva und Nils Svensson haben sich auf den Weg gemacht, Neues zuentdecken. Und so wie Kopernikus der Namenspatron dieses Preises

    das geozentrische Weltbild der Menschheit revolutionierte und seine

    Lehrjahre an fremden Orten verbrachte, so ist auch dieser Nachwuch-

    spreis mit einer vierwchigen Reise an die Sttten des Weltenwandels

    verbunden. Also an die Forschungssttten unserer heutigen Energie-

    und Klimaforscher.

    Ein erstauntes Raunen geht durch den Saal, dann brandet Applaus auf.

    Auer sich vor Freude und bermut dreht Lia sich ruckartig um, um sich

    persnlich bei dem Prsidenten zu bedanken, und rennt dabei fast Nilsber den Haufen, der den gleichen Gedanken hatte. Er wirft ihr einen

    leicht genervten Blick zu. Na, das kann ja heiter werden, denkt Lia.

    Spter im Foyer werden die beiden frisch gekrten Preistrger von einem

    Fernsehteam abgefangen.

    Drfen wir Ihnen beiden ein paar Fragen stellen?

    Ja, natrlich, antwortet Lia prompt.

    Wie kamen Sie zu dem Thema Ihrer Arbeit?, fragt sie der Journalist.

    In meiner Heimat Portugal leben viele Neubrger aus Afrika. Ihren Wegzu uns haben sie meist unter groer Lebensgefahr zurckgelegt, und

    schauen wir in ihre Gesichter, sind sie von unermesslicher Traurigkeit

    gezeichnet. Ich habe mich gefragt, was diese Menschen dazu bewo-

    gen hat, ihre Heimat aufzugeben und ihre Familien zu verlassen. Also

    habe ich in den Schulferien viele von ihnen dazu befragt. Ich wollte den

    Ursachen dafr auf den Grund gehen und etwas ber ihre persnlichen

    Beweggrnde erfahren. Als ich darber Bescheid wusste, zumindest

    ber einige, habe ich mit ihnen gemeinsam Vorschlge erarbeitet, die

    ihnen ermglichen knnten, in ihrer Heimat zu bleiben. So kam mir dieIdee zu diesem Projekt.

    Der Journalist wendet sich an Nils: Und wie war es bei Ihnen?

    Bei einem Unternehmenspraktikum habe ich mich mit Nanomaterialien

    befasst. Dabei habe ich Ideen skizziert, wie die Nanotechnologie zur

    Energieefzienzverbesserung eingesetzt werden knnte. Und dann hat

    das eine das andere ergeben.

    Sie sind gerade erst siebzehn und achtzehn Jahre alt. Waren Sie nicht

    neidisch auf Ihre Freunde, wenn die abends in die Disco gingen und Sie

    ber Ihrer Arbeit brten mussten?, stellt der Journalist ihnen die nchste

    Frage.

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    Ganz und gar nicht, antwortet Lisa zuerst. Teilweise habe ich die

    Interviews sogar in der Disco durchgefhrt.

    Ich mach mir nichts aus Disco, ich bin Jazz-Fan und spiele in einer

    Baltik-Jazz-Band Saxofon. Wir sind hug in Skandinavien unterwegs,

    antwortet Nils.Apropos unterwegs. Sie beide werden bald vier Wochen gemeinsam

    auf Reisen sein und zwangslug viel Zeit miteinander verbringen. Was

    schiet einem da so durch den Kopf?

    Ich habe zwei jngere Schwestern zu Hause, ergreift Nils das Wort.

    Mal sind sie s und mal nervig und ungestm. Er grinst Lia zugleich

    bezeichnend und entwaffnend an und nimmt seinem etwas gnnerhaften

    Kommentar damit die Spitze. Vielleicht ist er ja doch ganz in Ordnung,

    denkt Lia. Es wird auf alle Flle ein Abenteuer, schliet Nils.

    Wir wissen noch nicht mal, wohin es geht, noch ist es ein Geheimnis,meldet sich Lia zu Wort. Aber wir Portugiesen sind ein neugieriges Volk,

    von Portugal aus wurde einst die Welt neu vermessen. Was mich anbe-

    langt, so kann ich es kaum erwarten. Von mir aus knnte es sofort losge-

    hen. Und mit feiner Ironie und einem kurzen Seitenblick auf Nils ergnzt

    sie: Und mit einem so groen, starken Bruderan meiner Seite kann ja

    wohl kaum etwas schieaufen.

    Kurz darauf suchen Lia und Nils fr wenige Minuten das Weite, um der

    lauten Geruschkulisse und dem nicht enden wollenden Glckwunschrei-

    gen zu entkommen und ein paar erste Worte miteinander zu wechseln.Sie stehen auf der Eingangstreppe der ehrwrdigen Leopoldina, als wie

    aus dem Nichts eine alte Frau vor sie hintritt.

    Fr Ihr Alter haben Sie schon viel erreicht, sagt sie, Sie knnen sich

    zu einem wirklichen Vorbild mausern. Aber passen Sie gut auf sich auf

    und vergessen Sie bei allem, was Sie tun, nicht, aus Ihrem Leben ein

    Kunstwerk zu schmieden.

    Lia und Nils sehen sich verwundert an. Noch bevor sie reagieren knnen,

    taucht die alte Frau im dichten, abendlichen Februarnebel unter.

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    Mnchen Wien

    Nevada Shanghai Paris

    Hellseher mit

    Sammelleidenschaft

    Bei der Internationalen Energieagentur in Paris

    lernen die beiden Preistrger die globalen

    Herausforderungen der Energieversorgung und

    des Klimawandels kennen.

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    Wie man dem steigenden Energiebedarf

    gerecht wird, ohne die Interessen der

    Menschheit und die Natur zu verletzen

    Pass doch auf!, schreit Nils und reit Lia zurck. Oder mchtestdu als Khlergur enden? Du willst doch sicher noch was von Paris und

    der Reise haben, oder?

    Die Autos fahren hier aber auch wie sie wollen, ereifert sich Lia.

    Hr lieber mal auf zu simsen und schau mit auf den Stadtplan. Du bist

    hier doch die Geogran, sagt Nils ungeduldig.

    Wir sind jetzt hier, verkndet sie und tippt selbstbewusst mit einemFinger auf die Karte. Dort hinten muss die Rue de la Fdration und

    somit die Internationale Energieagentur liegen.

    Ein paar Minuten spter biegen sie in die richtige Strae ein.

    Du hattest recht, Glckwunsch!

    Das bernchste Gebude msste die Hausnummer neun sein. Was

    fr ein schmuckloser Kasten, dabei ist Paris so schn! Aber in diesem

    Viertel stehen anscheinend nur Brokltze. Hinter diesen Mauern wrde

    ich nicht arbeiten wollen.

    Nils berprft den Sitz seines Sakkos und seiner Jeans. Du sollst jaerst einmal auch nur reingehen, da drben ist der Empfang. Sie gehen

    zum Tresen. Guten Tag, wir sind die Kopernikus-Preistrger , setzt

    er an.

    Der Pfrtner fllt ihm mit einer unwirschen Geste ins Wort: Und ich bin

    der Kaiser von China. Nils schweigt perplex, whrend Lia einen weiteren

    Versuch startet: Wir sind Nils Svensson und Lia Da Silva. Wir haben

    wirklich eine Einladung.

    Der Pfrtner gibt seine abwehrende Haltung auf und meint lchelnd: Na,

    wenn das so ist warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt? Liaund Nils wechseln einen amsierten Blick.

    Sie werden schon erwartet. Bitte setzen Sie sich in den Empfangsraum,

    dort werden Sie dann abgeholt.

    Whrend sie warten, blttert Nils gelangweilt durch die auf dem Tisch

    ausliegenden Informationsbroschren und wirft dabei hin und wieder

    einen verstohlenen Blick zu Lia hinber.

    Fast alle Lnder, die der Organisation fr wirtschaftliche Zusammen-

    arbeit und Entwicklung, kurz OECD, angehren, sind Mitglied in dieser

    internationalen Agentur, sagt er nach ein paar Minuten. Hier dreht sich

    alles um Energie. Die Agentur hat eine stndige beratende Funktion bei

    D. Oesterwind,Energie und Klimaforschung, DOI 10.1007/978-3-8348-9787-9_2,

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    den grten Industrienationen, den G-20-Staaten. Sie erstellt weltweit

    nationale Analysen und Szenarien, verffentlicht Berichte zu potenziellen

    Versorgungsengpssen, notwendigen Forschungs- und Entwicklungs-

    strategien und beobachtet die weltweiten Energiemrkte. Sie wurde 1974

    als Reaktion auf die erste Energiekrise gegrndet.Ja, davon haben mir meine Eltern erzhlt, schaltet sich Lia ein. Die

    arabischen Lnder haben damals den lhahn zugedreht. Die Folge war,

    dass der lpreis explosionsartig anstieg. Viele Lnder haben sogar fr

    einige Tage den privaten Verkehr untersagt.

    Was du nicht sagst, grinst Nils, ich wusste gar nicht, dass der Staat

    auch im Schlafzimmer ein Wrtchen mitzureden hat.

    Ha, ha, erwidert Lia, verzieht das Gesicht und muss selbst lachen.

    Salut, mein Name ist Christel, ertnt pltzlich eine Stimme hinter ihnen.

    Herzlich willkommen bei der Internationalen Energieagentur, auch IEAgenannt.

    Salut, erwidern Nils und Lia den Gru.

    Heute scheint zum ersten Mal die Maisonne, sagt Christel. Bevor ihr

    sie genieen knnt, msst ihr jetzt aber erst mal meine Powerpoint-Pr-

    sentation ertragen. Wir gehen in den ersten Stock; wir knnen gleich die

    Treppe hier nehmen. Ach ja ist es euch brigens recht, wenn wir uns

    duzen? Wir sind hier alle nicht so formell.

    Klar doch, gerne, antworten Nils und Lia im Chor. Nachdem sie im

    Sitzungssaal angekommen sind, wirft Christel geschwind den Laptopund den Beamer an und kurz darauf erscheinen die ersten Bilder auf der

    Leinwand.

    Christel schaut Nils und Lia eindringlich an. Ich werde euch heute in

    die Welt der Energie entfhren. Aber eigentlich geht es nicht nur um

    Energie, denn der Klimawandel ist mittlerweile zur Leitgre der Ener-

    gieversorgung geworden. Aber eins nach dem anderen. Und bitte, setzt

    euch und bedient euch bei den

    Erfrischungen, sagt sie und deu-

    tet auf den Tisch an der Wand. Liaund Nils bedanken sich.

    Schaut euch das Bild an,

    beginnt Christel, ihr seht hier

    die Entwicklung des weltweiten

    Energiebedarfs der letzten Jahr-

    zehnte. Mit dem Beginn der Indus-

    trialisierung vor ber einhundert

    Jahren wuchs der Energiebedarf

    sprunghaft an. Kohle, spter aber

    auch l und Gas, kamen bei der

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    Jahr

    Primrenergieverbrauch[EJ]

    Kernenergie

    Wasser

    Erdgas

    Kohle

    Erdl

    Historische Entwicklung

    des weltweiten Primr-

    energieverbrauchs

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    Stromerzeugung und bei der Beheizung von Wohnungen zum Einsatz

    und auch durch die vermehrte Mobilitt der Menschen war immer mehr

    Energie vonnten. Auch in Zukunft wird der Energiebedarf weiter wach-

    sen, in den nchsten zwanzig Jahren allein um 30 %. Das knnt ihr hier

    sehr schn sehen.

    Diesen Energiebedarf stndig und berall zu decken, Energie gleichzeitig

    bezahlbar zu halten und dabei keinen Raubbau an der Natur zu betrei-ben, ist eine der grten Herausforderungen, vor der unsere Weltgesell-

    schaft steht.

    Aber weshalb muss der Energiebedarf denn steigen, ich brauch doch zu

    Hause nicht noch mehr Energie?, wirft Lia ein.

    Du vielleicht nicht. In den hoch industrialisierten Lndern wird der Ener-

    gieverbrauch in Zukunft tatschlich nur noch mig anwachsen. Und

    wenn wir uns anstrengen, mit allergrter Wahrscheinlichkeit sogar

    schrumpfen.

    Das schaffen wir mit ef

    zienteren, also wirtschaftlicheren Techniken,schaltet sich Nils ein. Frher lag der Benzinverbrauch eines Mittelklas-

    sewagens, bei zwlf Litern und mehr auf 100 Kilometern. Heute sind es

    nur noch sechs Liter und bald werdens noch weniger sein. Und das ist

    nur ein Beispiel von vielen.

    Diese hhere Efzienz wird aber von den weniger entwickelten Natio-

    nen wieder aufgefressen. In Europa kommen auf 1 000 Einwohner ber

    400 Pkws, in China sind es bisher unter 30. Der Zuwachs an Autos dort

    aber ist rasant. Und dieser enorme Nachholbedarf Chinas und anderer

    Lnder fhrt zu diesem Energiezuwachs, gibt Christel zu Bedenken.

    Nimmt man allein China und Indien, so gilt das schon fr 2,4 Milliarden

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    Primre

    nergieverbrauch[EJ]

    OECD Osteuropa/Eurasien Asien Mittlerer Osten Afrika Lateinamerika

    Zuknftige Entwicklung

    des Primrenergiever-

    brauchs nach Regionen

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    Menschen. Das sind immerhin 36 % der Weltbevlkerung, meint Lia.

    Hrt, hrt, die Geogran hat gesprochen. Da kennt sich aber jemand gut

    aus, sagt Nils und wirft Lia einen anerkennenden Blick zu. Lia lchelt in

    sich hinein.

    China ist die verlngerte Werkbank der Welt und produziert Gter frden heimischen wie fr den Weltmarkt. Diese verlngerte Werkbank

    wchst jhrlich um 10 %, erlutert Christel.

    Mir wird ganz schwindelig, kommentiert Lia.

    Und neben den Lndern des asiatischen Raumes gibt es noch viele

    weitere Nationen, die wir nicht vergessen sollten.

    Hier seht ihr die Verteilung des Pro-Kopf-Verbrauchs an Energie und die

    derzeitige daraus resultierende Verteilung in den Weltregionen, fhrt

    Christel fort.

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    Ver. Arab. Emirate

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    Kuwait

    Kanada

    Norwegen

    USA

    Australien

    Belgien

    Sdkorea

    Frankreich

    Japan

    Deutschland

    UK

    Europa

    Italien

    Welt

    China

    Zentral- und Sdamerika

    Asien/Ozeanien

    Nordkorea

    Indien

    Afrika

    Philippinen

    Primrenergieverbrauch pro Kopf [GJ]

    Primrenergieverbrauch

    pro Kopf ausgewhlter

    Lnder und Regionen

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    Die Kluft zwischen Arm und Reich ist gewaltig. Nehmen wir als Modell-

    rechnung doch mal an, der Energieverbrauch der Entwicklungs- und

    Schwellenlnder verdoppelt sich von derzeit 40 GJ pro Kopf und Jahr auf

    80 GJ, so ergibt sich Lia, wie viele Menschen leben noch gleich in die-

    sen Lndern?, fragt Nils und dreht sich zu ihr um.

    Fnf Milliarden.

    Danke, Superhirn. Also, so ergbe sich ein zustzlicher Energiebedarf

    von 200 EJ knapp 40 % mehr als heute. Und das, ohne zu bercksich-tigen, dass in Zukunft noch viel mehr Menschen auf der Welt leben wer-

    den.

    Sehr gut erkannt, sagt Christel erfreut. Und eben solche Hochrech-

    nungen, eben nur noch detaillierter und komplexer, sind unser tglich

    Brot. Wir sammeln Daten von allen Lndern dieser Erde. Daten ber

    die Bevlkerungs- und Wirtschaftsentwicklung, Daten ber die volkswirt-

    schaftliche Energieefzienz, Daten ber den Mobilittsgrad der Nationen,

    Daten ber den Gertebestand der Haushalte, Daten, Daten, Daten, die

    wir dann in mathematische Modelle stopfen. Heraus kommen Szenarienber den zuknftigen weltweiten Energiebedarf. Wir sind sozusagen Hell-

    seher mit Sammelleidenschaft.

    Hey, ruft Lia und wendet sich mit einem Augenzwinkern an Christel,

    dann sagt dir deine Glaskugel doch bestimmt, wie die Welt in dreiig

    oder fnfzig Jahren aussehen wird, oder? Christel lacht.

    Das wr zu schn, um wahr zu sein, leider hat unsere Glaskugel so

    ihre Tcken. Manche Vergangenheitswerte sind ungenau. Und wer kann

    schon mit Gewissheit sagen, wie sich die Wirtschaftsleistung weltweit

    entwickelt oder welche Kapriolen der lpreis schlagen wird. Oder denkt

    an das unerwartete Zusammenbrechen der kommunistischen Idee vor

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    Primrenergieverbrauch[EJ]

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    Primrenergieverbrauch [EJ] Primrenergieverbrauch pro Kopf [GJ] Bevlkerung in Mio.

    Primrenergieverbrauch

    nach Lndergruppen

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    15

    20

    25

    30

    35

    40

    45

    1990 2007 2020 2030

    Jahr

    CO2-Emissionen[Gt/a]

    OECD+* Other Major Economies Other Countries

    *OECD-Lnder inkl. die europischen Lnder, die eigentlich kein Mitglied der OECD sind

    HellsehermitSammelleidensc

    haft

    21

    20 Jahren, in deren Folge die Europische Gemeinschaft von 15 auf

    27 Mitgliedsstaaten anwuchs. Auch die rasante Wirtschaftsentwicklung

    in China haben wir unterschtzt. Die Zukunft ist immer voller berra-

    schungen, deshalb halten wir uns lieber an die Weisheit der Bergarbei-

    ter Vor der Hacke ist es duster. Wir helfen nur mit, die Zukunft etwasaufzuhellen, sie neu zu denken. Oder erarbeiten Vorschlge, wie man

    bestimmte Ziele erreichen kann.

    Gibt es Beispiele dafr?, will Nils wissen.

    Ja, ganz aktuelle, sagt Christel frhlich. Ihr seht hier den weltwei-

    ten Energiebedarf bis zum Jahr 2030 und die Energietrger, die diesen

    Bedarf vermutlich decken werden.

    Was heit vermutlich?, hakt Nils nach.

    Wir haben die Entwicklungstrends der Vergangenheit fortgeschrieben,

    das ist unser Referenzszenario, das heit darauf haben wir unsere Pro-

    gnosen aufgebaut. Sprunghafte Entwicklungen werden dabei auer Acht

    gelassen, wesentliche Vernderungen nden nicht statt. Eine solche Ent-

    wicklung nennen wir Business as usualoder

    auch Referenzszenario.Das knnt ihr in die Tonne klopfen, sagt

    Nils leicht erregt. Das ist die Welt der Fos-

    silen wie Kohle und Erdl. Im Jahr 2030 ist

    die Energiebasis dann immer noch zu 80 %

    fossil. Ans Klima hat wohl keiner gedacht?

    Christel dreht sich mit ernstem Gesichtsaus-

    druck zu Nils um. Du hast ganz recht. In die-

    sem Szenario steigen die Treibhausgase bis

    zum Jahr 2030 von 30 auf 40 Gigatonnen pro

    Jahr bzw. Gt/a an.

    670

    754

    Primrenergieverbrauch[EJ]

    Sonstige Erneuerbare

    Biomasse

    Wasserkraft

    Kernenergie

    Gas

    l

    Kohle

    WEO-2008 total

    0

    84

    167

    251

    335

    419

    502

    586

    1980 1990 2000 2010 2020 2030 Jahr

    Zuknftige Entwicklung

    des Primrenergiever-

    brauchs nach Energie-

    trgern

    Zuknftige Entwicklung

    der energiebedingten

    CO2-Emissionen nach

    Lndergruppen

    (business as usual)

  • 7/25/2019 Energie und Klimaforschung

    23/236

    Lia posaunt hinaus: Das darf doch nicht wahr sein!

    Wir haben auch ein Fortschrittsszenario errechnet. Hier seht ihr, mit

    welchen Manahmen wir den Aussto von Treibhausgase begrenzen

    knnen: Die Energieefzienz vorantreiben, die regenerativen Energien

    ausbauen und auch die Atomenergie verstrkt nutzen.

    Nils lehnt sich erleichtert zurck. Das sieht doch schon viel fortschritt-

    licher aus.Christel hebt mahnend den Zeigenger. Aber das bekommt ihr nicht

    umsonst. Fr euer Lieblingsszenario msst ihr bis zum Jahr 2030 insge-

    samt 12 000 Billionen US-Dollar auf den Tisch blttern.

    Mit dieser Zahl kann ich nichts anfangen, sie ist unvorstellbar, ndet

    Lia.

    Wahrscheinlich sind das mehr Dollarnoten als Sandkrner in der

    Wste, meint Nils.

    Christel setzt ihre Brille auf der Nase zurecht und fhrt fort: Ich gebe euch

    einen Anhaltswert. Verteilt man diese Summe gleichmig auf 20 Jahre,sind das etwa 0,8 % des jhrlichen weltweiten Sozialproduktes. Wenn

    man das zum Beispiel proportional auf Deutschland verteilen wrde, ent-

    sprche das den Ausgaben fr alkoholische Getrnke pro Jahr.

    Das klingt ja schon wieder berschaubar. Lias Augen beginnen zu fun-

    keln.

    Diese Summe muss doch aufzubringen sein! Wir mssen eigentlich

    blo mit dem Trinken aufhren und der Klimawandel ist gestoppt, meint

    Nils.

    Christel reibt sich die Stirn. Gnzlich aufhalten knnen wir ihn leider

    nicht mehr. Wohl aber knnen wir mit dieser Summe die Treibhausgase

    Abatement

    Jahr

    (Mt CO2)

    2020

    26

    28

    3032

    34

    36

    38

    40

    42

    2007 20152010 2020 2025 2030

    Gt/a

    450 Scenario

    Reference Scenario

    Efficiency 2 517 7 880

    End-use 2 284 7 145

    Power plants 233 735

    Renewables 680 2 741Biofuels 57 429

    Nuclear 493 1 380

    CCS 102 1 410

    2030

    1 999 5 586

    1 933 5 551

    66 35

    527 2 26027 378

    125 491

    56 646

    Investment($2008 billion)

    2010-2020

    2021-2030

    Zuknftige Entwicklung

    der weltweiten energiebe-

    dingten CO2-Emissionen

    (450 Fortschrittszenario)

  • 7/25/2019 Energie und Klimaforschung

    24/236

    HellsehermitSammelleidensc

    haft

    23

    reduzieren und den Temperaturanstieg auf 2 C begrenzen. Diese 2 C

    bzw. eine maximale CO2-Konzentration von 450 ppm geben die Klimato-

    logen als Obergrenze an, wenn die Folgen des Wandels vertrglich blei-

    ben sollen. Zur Zeit liegt die Konzentration noch bei knapp unter 400 ppm.

    Aber die Tendenz ist steigend. Umkehren knnen wir die Entwicklung nurdann, wenn wir den CO2-Aussto bis 2030 auf 26,4 Gt begrenzen.

    Nils richtet sich in seinem Stuhl auf. Also, mein Fazit lautet: Wenn wir

    knapp 1 % des Welteinkommens in Zukunftstechnologien statt in Konsum

    investieren, haben wir das Klimaproblem halbwegs gelst.

    Lia springt freudig erregt vom Stuhl auf. Na prima, dann sollten wir das

    doch tun und schleunigst damit anfangen. Christel dmpft Lias Eifer.

    Langsam, langsam. Als ich bei der IEA anng, war ich genauso ein

    Heisporn wie du. Und ich habe im Laufe der Jahre an vielen Studien

    mitgearbeitet und warnende Kommentare noch und ncher geschrieben.Doch, was glaubst du, ist bisher passiert? Herzlich wenig. Vernderungen

    durchzusetzen ist ein langer, beschwerlicher Weg, man braucht einen

    langen Atem. Wir mssen noch viele Hrden nehmen. Fr alle Manah-

    men brauchen wir nach Mglichkeit eine weltweite Einigkeit.

    Der Klimawandel wartet nicht, meint Lia energisch. Wir mssen jetzt

    ber diese Hrden springen.

    Christel schaut nachdenklich, als ob sie berlegt, wie sie Lia am besten

    fr die Problematik sensibilisieren kann.

    Zunchst einmal ist zu bedenken, dass die vom Menschen verursachteMenge an Treibhausgasen in der Atmosphre von den Industrienationen

    stammt. Warum sollen die rmsten der Armen fr unseren atmosph-

    rischen Wohlstandsmll bluten?

    Dann mssen wir eben die Betrge fr die Entwicklungshilfe erhhen,

    kommt es von Lia wie aus der Pistole geschossen.

    In diese Richtung wird auch gedacht, geht Christel darauf ein. Wenn

    die afrikanischen Lnder sich verpichten, in emissionsarme Technologien

    zu investieren, wollen die Industrielnder diese mitzunanzieren

    Nils fllt ihr ins Wort: Und was ist mit den Chinesen? Die werden dochganz bestimmt noch gewaltige Mengen an Treibhausgasen in die Luft

    blasen, um ihren Energiehunger zu stillen.

    Christel rattert hinunter: China ist schon jetzt der grte Schadstoffe-

    mittent weltweit. Obwohl China nur einen Anteil von 11 % am Weltsozial-

    produkt hlt, liegt der Anteil, was die Weltemissionen anbelangt, bei 21 %

    Tendenz steigend. Zum Vergleich: Europas Anteil am Weltsozialprodukt

    liegt bei 22 % und der Beitrag zu den Weltemissionen bei 13 % Tendenz

    sinkend.

    Lia uert sich emprt: Aber dann muss China mehr in Umweltschutz-

    techniken investieren!

  • 7/25/2019 Energie und Klimaforschung

    25/236

    Christel wirkt nachdenklich und antwortet mit ruhiger Stimme: Sie fangen

    zaghaft damit an. Aber um etwas dagegen zu tun, das wirklich Wirkung

    zeigt, sind in den nchsten zwanzig Jahren Investitionen in einer Gren-

    ordnung von 2 100 Billionen US-Dollar notwendig. Die erste Prioritt der

    chinesischen Regierung ist zunchst, dafr zu sorgen, dass in diesemriesigen Reich jeder Chinese ausreichend Energie fr seinen tglichen

    Bedarf zur Verfgung hat. Stellt euch vor, in Europa wrden 40 Millionen

    Menschen ohne Strom leben. und dazu wrde noch hug in ganzen

    Regionen die Stromversorgung wegen technischer Pannen zusammen-

    brechen. Dieses Beispiel zeigt, dass nicht jedes Land dem Klimaschutz

    die erste Prioritt einrumt. In Indien und Russland ist es hnlich. Zu

    unterschiedlich sind die Interessen der einzelnen Nationen.

    Nils schaut mit ernchtertem Blick in die Runde: Und dann gibt es

    bestimmt noch welche, die gar nichts tun wollen, oder?Das kann ich mir nicht vorstellen, fhrt Lia mit entsetzter Miene auf.

    So verantwortungslos wird doch wohl niemand sein?!

    Leider doch, antwortet Christel mit starrer Krperhaltung, es gibt

    gengend Trittbrettfahrer. Saubere Luft ist nicht teilbar, das wissen die

    und hoffen, dass andere in saubere Techniken investieren und sie dann

    daraus auch Nutzen ziehen knnen.

    Nils schlgt ganz wider seine ruhige Natur mit der rechten Faust auf den

    Tisch und posaunt verchtlich hinaus: Schmarotzer!

    Lia senkt den Kopf. Alles hoffnungslos, murmelt sie niedergeschlagen.Nils berhrt sie trstend am Arm und Lia schenkt ihm einen dankbaren

    Blick.

    Nicht ganz, meldet sich Christel zu Wort. Es gibt schon einen Hoff-

    nungsschimmer, denkt an das Kyoto-Protokoll. Die Treibhausgase sind

    zwar weltweit angestiegen, aber die Lnder, die das Kyoto-Protokoll

    unterzeichnet haben insgesamt sind es 156 werden ihr Versprechen

    vermutlich schon einhalten. Es gibt vielleicht einige Ausnahmen, aber ins-

    gesamt sind wir zuversichtlich, dass sie ihr Ziel erreichen werden und

    bis zum Jahr 2012 5,2 % der Treibhausgase gegenber dem Stand von1990 reduzieren.

    Und was ist mit den USA?, wirft Nils ein.

    Christel holt tief Luft: Die USA hatten das Protokoll ratiziert, doch

    dann kam der Prsidentschaftswahlkampf und die Demokraten wurden

    von den Republikanern abgelst. Bevor der Prsident seine endgltige

    Unterschrift leisten konnte, stellte sich der Kongress quer. Denn viele

    Kongressmitglieder und Lobbyisten, die aus den Kohlerevieren West Vir-

    ginias stammten, waren der Meinung, dass die Reduktionsziele zu ehr-

    geizig und die Umsetzung zu teuer seien. Sie meinten, die Wirtschaft

    werde dadurch geschwcht und die internationale Wettbewerbsfhigkeit

  • 7/25/2019 Energie und Klimaforschung

    26/236

    HellsehermitSammelleidensc

    haft

    25

    werde darunter leiden. Doch mittlerweile hat in den USA ein Umdenken

    eingesetzt, nicht zuletzt aufgrund des beharrlichen Mahnens der Euro-

    per. Und die Mehrheitsverhltnisse im Kongress haben sich inzwischen

    auch wieder gendert.

    Lia hebt in einer hilosen Geste ihre Hnde. Und schon sind dabei vieleJahre ungenutzt verstrichen. Christel, du hast Recht. Man braucht wirk-

    lich einen langen Atem.

    Christel nimmt erschpft ihre Brille von der Nase. Jetzt lasst uns erst

    mal Mittagessen gehen.

    Nils macht eine ausholende Bewegung mit seinem linken Arm und ereifert

    sich: Das alles ist total unbefriedigend, solange Trittbrettfahrer und Lob-

    byisten ihre Finger mit im Spiel haben. Gibt es denn keinen verlsslichen

    Mechanismus, der aufgrund von objektiven Kriterien gewhrleistet, dass

    die Reduktionsziele eingehalten werden und die entstehenden Kostengerecht verteilt werden knnen?

    Den gibt es, sagt Christel an Nils gewandt, whrend sie ihre Power-

    point-Prsentation herunterfhrt. Mein Kollege Peter wird euch heute

    Nachmittag etwas darber erzhlen, das ist nicht mein Metier. Wenn ihr

    Lust habt, knnen wir aber heute Abend zusammen in ein Bistro gehen,

    ich habe mir extra Zeit fr euch genommen.

    Klar, wir kommen gerne mit.

    Schn, ich hoffe, es wird euch gefallen.

    Wie Umweltinteressen, Wirtschaftsinte-

    ressen und staatliche Manahmen mitei-

    nander verknpft sind

    Pnktlich um 14 Uhr nden sich Lia und Nils nach dem Kantinenbesuch

    wieder im Besprechungsraum ein. Kurz darauf erscheint Christels Kol-lege Peter, gekleidet in ein leichtes Sommerjackett und ein lssigbuntes

    Hemd.

    Hallo, wie ich von Christel gehrt habe, habt ihr heute Morgen schon

    eine Menge diskutiert,

    Hallo, ja, stimmt, erwidern die beiden.

    Eine zentrale Frage sollten wir noch vertiefen, legt er los. Es herrscht

    Einigkeit darber, dass die Treibhausgase reduziert werden mssen.

    Dass das auch geht, haben die Kyoto-Staaten bewiesen. Doch wie haben

    sie das geschafft?

    Mit Sonnenenergie und Wasserkraft, sagt Lia erfreut.

  • 7/25/2019 Energie und Klimaforschung

    27/236

    Und die Industrie hat efzientere Produktionsverfahren eingesetzt, fgt

    Nils hinzu.

    Das war aber nicht allein ausschlaggebend, erwidert Peter energisch

    Ihr msst bedenken, dass die Unternehmen auch auf ihre Kosten ach-

    ten mssen. Umweltschutzmanahmen kosten viel Geld, sie mssenerst mal nanziert werden. Und Geld ist knapp, es ist nicht unbegrenzt

    vorhanden

    Mmm, Lia gibt einen zustimmenden Laut von sich. Das stelle ich auch

    immer wieder fest. Von dem, was ich mir durchs Jobben verdiene, kann

    ich mir auch nicht alles kaufen, was ich mir wnsche.

    Und dasselbe gilt fr Unternehmen, erklrt Peter.

    Aber die bekommen doch Kredite, wendet Nils ein.

    Die htte ich auch gern, uert Lia keck und schiebt eine Hand in die

    Tasche ihrer Jeans.Kredite bekommen Unternehmen aber nur, wenn sie Eigenkapital besit-

    zen und die Bank davon berzeugt ist, dass die Unternehmen die Kredite

    auch mit Zinsen zurckzahlen knnen.

    Aber das gilt doch fr jeden, meint Nils.

    Ja, zumindest wenn man verantwortungsvoll mit dem Geld umgeht, und

    in der Regel tut ein Unternehmen das auch. Wenn es Umweltschutzma-

    nahmen umzusetzen gilt, setzt es das Geld dort ein, wo es den grten

    Umweltnutzen erreichen kann. Das knnt ihr hier sehen. Peter fummelt

    am Laptop herum und kurz darauf erscheint eine Darstellung auf derLeinwand.

    Es setzt das Geld also dort ein, wo der grte Umweltnutzen zu erreichen

    ist, greift Peter seine Worte wieder auf. Hierfr stellt das Unternehmen

    ein Treibhausgas-Vermeidungskostendiagramm auf, eine Art Hitliste.

    0

    50.000

    100.000

    150.000

    200.000

    250.000

    300.000

    350.000

    009006003

    vermiedenes Kohlendioxid [ t ]

    KostenCO2-Vermeidung[

    ]

    CO2-Vermeidungs-

    kostendiagramm

  • 7/25/2019 Energie und Klimaforschung

    28/236

    HellsehermitSammelleidensc

    haft

    27

    Stellt euch vor, ihr msstet innerhalb von drei Jahren 900 Tonnen Kohlen-

    dioxid bzw. CO2vermeiden und euch stnden drei Manahmen zur Ver-

    fgung, die alle dieselbe Menge CO2einsparen, sprich rund 300 Tonnen.

    Eine Manahme kostet 300 000 Euro, eine zweite 200 000 Euro und die

    dritte 100 000 Euro. Welche Nils fllt Peter ins Wort: Natrlich wrde ich zuerst die Manahme fr

    100 000 Euro realisieren.

    Richtig, kommt es erfreut von Peter. Das ist aus unternehmerischer

    Sicht eine efziente kologische Entscheidung. Aber ist das auch eine

    sinnvolle Entscheidung fr die gesamte Volkswirtschaft?

    Lia guckt nachdenklich von einem zum anderen und zuckt die Schultern.

    Keine Ahnung. Woher soll man das auch wissen?

    Du sagst es.. Peter unterstreicht seine uerung mit einer eifrigen

    Geste. Selbst das einzelne Unternehmen kann das nicht wissen. Umaber eben diese Wissenslcke zu schlieen, hatten die Wirtschaftswis-

    senschaftler eine glnzende Idee, und diese Idee heit Emissionshandel.

    Vergesst nicht, die Treibhausgase und infolgedessen der Klimawandel

    sind globale Phnomene. Deshalb ist es aus volkswirtschaftlicher Sicht

    schlau, die Treibhausgase dort zu bekmpfen, wo das am kostengn-

    stigsten ist. Wo ich sozusagen mit einem Euro die grte Wirkung erzie-

    len kann.

    Gehrt habe ich von diesem Handel, sagt Nils, aber so ganz kapiert

    hab ichs nicht.Peter referiert mit Feuereifer, als wrde die Idee in eben diesem Augen-

    blick das Licht der Welt erblicken. Im Detail ist es kompliziert. Aber der

    Grundgedanke des Emissionsrechtehandels ist genial, man nennt ihn

    im englischen Sprachgebrauch brigens Cap and Trade. Europa hat

    sich, wie ihr ja wisst, dem vlkerrechtlich verbindlichen Kyoto-Protokoll

    angeschlossen und sich verpichtet, im Zeitraum von 1990 bis 2012 8 %

    an Treibhausgasen einzusparen. Wahrscheinlich wird das Ziel bis 2012

    sogar bererfllt werden. Was der im Jahre 2005 eingefhrte Emissions-

    handel damit zu tun hat, mchte ich euch jetzt erlutern.Peter beginnt zu erzhlen. Ihr seht auf den nchsten Bildern die ange-

    strebte europische Treibhausgasentwicklung bis zum Jahre 2020.

    Einen solchen Pfad gibt es auch fr jedes europische Land. Innerhalb

    eines Landes wird die CO2-Ausstomenge auf Unternehmen mit hohen

    Schadstoffemissionen, wie zum Beispiel die Stahlindustrie, verteilt. Dies

    geschieht, indem den Unternehmen Zertikate zugeteilt werden, die sie

    berechtigen, eine ganz bestimmte Schadstoffmenge auszustoen. Diese

    Zertikate erhalten sie fr jedes Jahr. Und mit jedem Jahr mssen sie

    die Ausstomenge in Hhe ihrer zugeteilten Zertikate vermindern. Das

    kostet Geld, das haben wir vorher an dem Vermeidungskostendiagramm

  • 7/25/2019 Energie und Klimaforschung

    29/236

    gesehen. Nun kann aber die Situation eintreten, dass ein Unternehmeneinen Teil seiner Zertikate nicht bentigt.

    Lia verwundert: Wie kann das passieren?

    Zum Beispiel, wenn die Stahlindustrie aufgrund einer schwachen Nach-

    frage weniger Stahl produziert und in der Folge weniger Treibhausgase

    emittiert. Dann hat das Stahlunternehmen Zertikate brig, die es an der

    Brse in Leipzig oder London verkaufen kann. Und dort kaufen Unter-

    nehmen diese Zertikate, die aufgrund einer unerwartet hohen Produk-

    tionsauslastung mehr Treibhausgase emittieren und deshalb zustzlich

    Zertikate kaufen, weil diese preiswerter sind als in eigene teure Vermei-

    dungsmanahmen zu investieren.

    EUCAP EU27

    1

    1,2

    1,4

    1,6

    1,8

    2

    2,2

    20 05 20 06 2 00 7 2 00 8 2 00 9 20 10 20 11 2 01 2 2 01 3 20 14 20 15 2 01 6 2 01 7 2 01 8 20 19 20 20

    Jahr

    Mrd.

    tCO

    2/a

    EUweite IstEmissionen 2005

    2007EUweites CAP20082012

    EUweites CAP20132020

    Minderungspfad

    nach Artikel 9 derRichtlinie

    EU-Treibhausgas-

    emissionspfad der dem

    Handelssystem unterliegt

    -40%

    -35%

    -30%

    -25%

    -20%

    -15%

    -10%

    -5%

    0%

    1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020

    Jahr

    EntwicklungderTreibhausgasemissione

    n[%]

    - 20 %

    Entwicklung der

    Treibhausgasemis-

    sionen in der EU

    (EU-27)

  • 7/25/2019 Energie und Klimaforschung

    30/236

    HellsehermitSammelleidensc

    haft

    29

    Lia schaut Peter nachdenklich an: Und das funktioniert?

    Ja, weil von der Europischen Kommission insgesamt nicht mehr Zer-

    tikate ausgegeben werden, als der jhrliche Zielwert von CO2-Emissi-

    onen vorgibt. Deshalb wird dieses Ziel automatisch erreicht.

    Peter schliet seine Ausfhrungen.Das ist ja toll, was die sich da ausgedacht haben, ndet Lia.

    Nils lehnt sich nachdenklich zurck. Ich habe da so meine Zweifel, ob

    das wirklich so reibungslos funktioniert, meldet sich Nils zu Wort.

    Wieso?, stellt Peter die Gegenfrage.

    Noch mal von vorn: Wer legt noch gleich die Zielwerte fest?

    Peter nickt nachdenklich mit dem Kopf. Ich wei, worauf du hinauswillst.

    Dazu muss ich etwas weiter ausholen.

    Im Rahmen des Kyoto-Protokolls, das bis 2012 gilt, und fr das Nach-

    folgeprotokoll nennen wir es Kyoto plus, legt die Europische Kom-mission in enger Abstimmung mit den nationalen Regierungen ihr Ver-

    handlungsziel fr die internationale Staatenkonferenz fest. Dort ist dann

    groes diplomatisches Geschick gefragt, um einerseits die anderen

    Staaten auf akzeptable Vermeidungsziele festzulegen, andererseits aber

    auch selbst nicht berfordert zu werden.

    Und wie legt die Europische Kommission die nationalen Ziele fest?

    Muss jedes Land gleich viel vermeiden?, fragt Nils dazwischen.

    Nein, antwortet Peter schlicht.

    Lia erhebt erbost die Stimme. Das ist aber ungerecht!Das kommt darauf an, wie man es sieht, geht Peter auf Lias Kom-

    mentar ein. Die wohlhabenderen Lnder in der EU, wie beispielsweise

    Deutschland, sparen mehr ein als dein Heimatland Portugal. Whrend

    Deutschland sich verpichtet hat, bis 2012 seine Schadstoffe um 21 % zu

    reduzieren, ist es Portugal sogar erlaubt, bis 2012 27 % mehr zu emittie-

    ren als im Jahr 1990.

    Nils schaut Lia verschmitzt an. Du hast recht, das ist ungerecht.

    Jetzt kommen wir schon zu den Detailproblemen, fhrt Peter fort. Fr

    jedes Land wird ein Kriterienkatalog festgelegt. In diesen

    ieen derBevlkerungsanteil, der derzeitige Schadstoffaussto pro Kopf, Wohl-

    standsmerkmale und vieles mehr ein.

    Und das dient dann als Entscheidungsgrundlage?, fragt Nils nach.

    Peter berlegt und antwortet schlielich mit einem lang gezogenen Jein.

    Als Entscheidungsgrundlage schon. Aber am Ende gibt es dann doch

    noch ein ganz schnes Geschacher. So hat man Polen geringere Reduk-

    tionsziele zugestanden, als Polen nach dem Entscheidungskatalog

    eigentlich zustnden.

    Warum das?, fragt Lia an Peter gewandt.

    Weil Polens Stromerzeugung berwiegend auf Steinkohlekraftwerken

  • 7/25/2019 Energie und Klimaforschung

    31/236

    basiert und es dementsprechend hohe Schadstoffausste hat. Die

    Umrstung auf emissionsarme Kraftwerke wrde Milliarden Euro kosten

    und die polnische Volkswirtschaft berfordern.

    Gut, jetzt sind wir also bei den nationalen Zielwerten angekommen. Und

    wie erhalten die Unternehmen ihre Vorgaben?, fragt Nils.Zuerst wird der durchschnittliche Aussto der letzten drei Jahre ermit-

    telt. Anschlieend werden die Reduktionsziele vereinbart, Zum Beispiel

    jhrlich 2 %. Es gibt aber auch immer wieder Ausnahmen, insbesondere

    fr Industrien, die im harten internationalen Wettbewerb stehen, wie bei-

    spielsweise die Stahlunternehmen.

    Lia schlgt die Hnde ber dem Kopf zusammen. Was fr eine Wahn-

    sinnsbrokratie, und dann noch so viele Schlupcher!

    Das stimmt, meint Peter. So ein ausgeklgeltes Regelwerk hat es in

    sich. Und es mssen ja auch Kontrollen durchgefhrt werden, die sindsehr wichtig. Deshalb entstanden in jedem Land groe brokratische

    Apparate riesige Behrden. Unternehmen, die mehr ausstoen, als sie

    drfen, mssen empndliche Strafen zahlen.

    Warum sind die konomen denn nicht schon viel frher auf diese Idee

    gekommen?, fragt Lia mit vorwurfsvoller Miene.

    Ja, dann wr uns die ganze Klimamisere erspart geblieben, meint

    auch Nils.

    Peter fhlt sich in seiner Ehre als konom gekrnkt. Nun ja, frher warman von dem Grundsatz berzeugt, dass Luft ein freies Gut sei, das allen

    frei zur Verfgung stnde, und so haben die Unternehmen ihre Schad-

    stoffe in die Luft geblasen. Aber als sich das Debakel langsam abzeich-

    nete, haben die Wirtschaftswissenschaftler doch ruck, zuck reagiert und

    kurz darauf das Emissionshandelssystem entwickelt, verteidigt er sei-

    nen Berufsstand. Es hat leider noch Jahre gedauert, bis sich die Idee

    durchsetzen konnte. Die Europer aber waren die Vorreiter auf diesem

    Gebiet, erlutert Peter, jetzt ganz in seinem Element. Eine Idee durch-

    zusetzen dauert leider hu

    g Jahre, wenn es berhaupt gelingt, da sindviele Interessen mit im Spiel. Aber dabei handelt es sich um durchaus

    legitime Interessen. Denn wenn ein Unternehmen hohe Umweltkosten

    hat, verteuern sich dadurch bei den Industrien, die viel Energie ver-

    brauchen, die gesamten Produktionskosten. Das ist zum Beispiel in der

    Aluminium- und Ziegelindustrie der Fall. Dann besteht die Gefahr, auf

    den internationalen Mrkten nicht mehr wettbewerbsfhig zu sein. Also

    versucht ein Unternehmen seinen Einuss schon im Gesetzgebungsver-

    fahren geltend zu machen, damit die Belastungen tragbar bleiben. Oder

    es droht damit, seine Produktion ins Ausland zu verlagern, wo es keinen

    Emissionshandel gibt.

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    Ihr seht, wie wichtig es ist, dass sich mglichst alle Lnder, wie beispiels-

    weise die USA und China, diesem Handel anschlieen. Das Ideal wre

    ein weltweiter Kohlenstoffmarkt, schliet Peter seine Ausfhrungen.

    Lia wendet mit erhobener Hand ein: Aber das ist doch gelenkte Demo-

    kratie!Vielleicht, meint Nils an Lia gewandt. Aber sei nicht zu kritisch, denk

    an dein Portugal.

    Aber mal was anderes. Ich wei nicht genau, ob meine Frage zum Thema

    gehrt. Aber wenn es richtig ist, dass sich durch das Handelssystem eine

    durch den Markt gesteuerte, efziente Schadstoffreduktion ergibt, warum

    leisten sich dann noch so viele Lnder zustzlich eine staatliche Frde-

    rung der regenerativen Energien?

    Peter klingt schon leicht erschpft, als er auf Nils Frage eingeht. Damit

    erffnest du jetzt ein ganz neues Themenfeld; aber Schnittmengen gibtes schon. Zwar ist es die Aufgabe des Staates, Grundlagenforschung

    zu betreiben und neue Technologien, zum Beispiel durch die Frderung

    von sogenannten Demonstrationsanlagen, die die neuen Technologien

    testen, bis zur Marktreife zu entwickeln. Die Marktdurchsetzung ist in

    einer Marktwirtschaft aber die Aufgabe der Unternehmen nicht die des

    Staates. In vielen Lndern aber werden Milliardeneurobetrge fr Tech-

    nologien ausgegeben, die zur Treibhausgasreduktion so gut wie nichts

    beitragen. In Deutschland ist hierber eine Diskussion entbrannt. Ein

    wichtiges Argument ndet ihr in diesem kurzen Artikel, den ich in meinemOrdner dabeihabe. Lest ihn in Ruhe durch, ich schone so lange meine

    Stimme.

    ... in Deutschland leistet man sich zwei

    parallele Systeme: Den Emissionshandel und

    ein ffentliches Frdersystem, das Erneuer-

    bare-Energien-Gesetz (EEG) fr regenerative

    Energien.

    Der grne Strom wird durch die Einspeisetarife

    des EEG stark gefrdert.

    Solarstrom kann in Deutschland um 700 %

    und Windstrom um 80 % ber dem Grohan-

    delspreis in das Netz eingespeist werden. Hier-

    durch verdrngt der grne Strom den fossilen

    Strom. Das hilft aber der Umwelt nicht, weil die

    bei den Kraftwerken frei werdenden Emissions-

    zertikate ber die Brse an andere EU-Lnder

    verkauft werden und dort zu entsprechend mehr

    Emissionen fhren. Die deutschen Frderma-

    nahmen verteuern den Strom in Deutschland,

    senken den Preis der Emissionszertikate und

    frdern so in anderen EU-Lndern den fossilen

    Strom zu Lasten des grnen Stroms.

    Die Windkraftanlagen oder Fotovoltaikdcher,

    die in Deutschland wegen des EEG zustzlich

    aufgestellt werden, verhindern entsprechend

    viele Windanlagen oder Fotovoltaikdcher in

    anderen europischen Lndern. Dies bedeutet,

    dass gegenber der von der EU festgelegten

    Menge an Emissionszertikaten nicht eine ein-

    zige Tonne weniger Kohlendioxid in die Luft

    geblasen wird ...

    > Wirtschaft Seite 9

    Erklrung zum Emissionshandel und

    Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG)

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    Als Lia und Nils von dem Text wieder aufschauen setzt Peter seine Aus-

    fhrungen fort: Ihr seht an diesem Beispiel, dass staatliche Eingriffe

    in das Wirtschaftsgeschehen zu unverhofften Ergebnissen fhren kn-

    nen und die guten Absichten der Politik oft wirkungslos, vielleicht sogar

    schdlich sind. Auch muss man bedenken, dass sich hinter so manchervon der Politik nach Auen hin als gute Tatverkaufter Klimaschutzma-

    nahme ganz andere Interessen verbergen. Wie beispielsweise die Schaf-

    fung neuer staatlich nanzierter Arbeitspltze und die Frderung struktur-

    schwacher Regionen.

    Nils lsst nicht locker. Aber es werden doch zukunftsweisende Arbeits-

    pltze geschaffen. Und wenn die regenerativen Energietechniken auf

    lange Sicht kostengnstiger werden als die klassischen Energietech-

    niken, dann ist mit ihnen in Zukunft doch ein Kostenvorteil verbunden.

    Ihr seid ja ganz schn hartnckig, aber dein Einwand ist berechtigt.Peter geht an das Flipchart und zeichnet eine Kurve. Schaut, hier.

    Nach dem Verstndnis der klassischen Umweltkonomie kann durch

    den Emissionshandel ein angestrebtes Klimaziel, das ihr hier als E-X

    dargestellt seht, mit minimalem Kostenaufwand erreicht werden. Das ist

    die Flche B, die sich unter dem Kurvenverlauf (GVK) der traditionellen

    CO2-Vermeidungsmanahmen auftut.

    Anfnglich sind die Emissionsvermeidungskosten niedrig. Doch mit

    zunehmender Vermeidung (Richtung E-X) steigen die Kosten rapide an.

    Wenn die Kostenkurve den Zertikatpreis (P) schneidet, ist es gnstigerZertikate zu kaufen, als weiterhin Vermeidungsmanahmen umzuset-

    zen. Nehmen wir nun an, es existiert ein zweiter Kurvenverlauf (GVK) fr

    die regenerativen Energien, der sich mit der anderen Kurve schneidet.

    Strategische und

    dynamische

    Kosten im Klimaschutz

    Emissionen

    GVK GVK

    GVK

    p

    0

    angestrebtesEmissionsniveau

    (E X)

    Preis derEmissions-rechte (p)

    gegenwrtigesEmissionsniveau

    E

    BA

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    33

    Dann sind die Kosten (GVK) zunchst zwar hher, fallen aber im sp-

    teren Verlauf deutlich ab. Und wenn, wie ihr hier seht, die Flche B in

    Zukunft grer ist als die Flche A, dann sind die regenerativen Energie-

    techniken bei einer dynamischen Betrachtung wirklich kostengnstiger.

    Davon kann man doch ausgehen, meint Nils.Vielleicht hast du recht. Aber wir kennen weder den genauen Kurven-

    verlauf noch den Schnittpunkt. Auch ist es nicht die Aufgabe des Staates,

    durch Frdermanahmen eine Kostenabnahme herbeizufhren. Dafr

    sind die Unternehmen zustndig. Oder anders formuliert: Wenn der

    Schnittpunkt absehbar wre, knnte die staatliche Frderung durch

    unternehmerisches Risikokapital ersetzt werden.

    Mit einem Stoseufzer und ermatteter Stimme kommentiert Nils: Puha,

    die konomischen Wirkungszusammenhnge sind ganz schn verzwickt.

    Heute habe ich eine Menge gelernt, danke.Lia, der ebenfalls der Kopf schwirrt, stimmt zu. Wohl wahr. Danke, Peter.

    Ich muss euch danken. Ihr wart sehr aufmerksame Zuhrer. Ihr seht ja

    heute Abend noch mal Christel. Sie bat mich, euch auszurichten, dass

    ihr sie um 19 Uhr im ersten Arrondissement an der Pont Neuf unter dem

    Bronzepferd treffen sollt.

    Vorher gehen wir aber erst mal ein bisschen an die frische Luft, meinen

    die beiden, whrend sie sich von den Sthlen erheben. Und genieen

    die Maisonne, fgt Lia mit einem Augenzwinkern hinzu. Ich wnsch

    euch eine schne Zeit, verabschiedet sich Peter winkend.

    Wie die Interessen der unterschiedlichen

    Generationen bewertet werden knnen

    Als Lia und Nils am verabredeten Treffpunkt eintreffen, ist Christel schon

    dort. Sich als Fremde durch das Pariser Verkehrsgetmmel zu wuseln,

    ist wirklich eine Kunst, meint Christel, die in ihrem langen Faltenrock,der halblangen Baumwolljacke und den achen Schuhen etwas altba-

    cken und wenig lebenslustig aussieht.

    Ja, die U-Bahnen waren rappeldickevoll, erwidert Nils.

    Lia zeigt auf die Bronzestatue und fragt interessiert: Was ist das fr ein

    Standbild?

    Ich stamme aus Tschechien, bin also keine gebrtige Pariserin, auch

    wenn ich schon viele Jahre hier lebe. Aber fragt man die Pariser, so

    bekommt man widersprchliche Antworten. Die einen sagen, es zeige

    Knig Heinrich IV, unter dessen Regentschaft die Brcke 1640 fertig-

    gestellt wurde. Andere wiederum behaupten, es handele sich um den

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    Groherzog Ferdinand von Toskana, einen Medici. Das Pferd war lange

    Zeit ohne Reiter, viele nennen es deshalb einfach das Bronzepferd. Wir

    gehen jetzt ber die Brcke hier, weist Christel ihnen den Weg und fhrt

    dabei fort: Die Pont Neuf, zu Deutsch Neue Brcke, ist ironischerweise

    die lteste noch erhaltene Brcke ber die Seine. Hier schlgt das Herzvon Paris. Sie ist ein Tummelplatz fr Clowns, Gaukler und Straenhnd-

    ler. Ich habe uns einen Tisch im Caveau du Palaisam Place Dauphine

    reserviert, ebenfalls ein Ort mit Geschichte. Es wird erzhlt, dass in die-

    sem Restaurant der berhmte Kommissar Maigret die traditionelle fran-

    zsische Kche genossen habe. Um dorthin zu kommen, biegen wir jetzt

    auf den Quai des Orfvres ab, sie gilt als die Uferstrae der Goldschmie-

    demeister. ber die berchtigten und geheimnisvollen Quais von Paris

    anierten in der Vergangenheit brigens auch viele deutsche Knstler

    und Literaten. Sie durchstberten die unzhligen Buchlden und ver-brachten Stunden in den kleinen, romantischen Straencafs.

    Hier hat ja wirklich ein lebhaftes Treiben geherrscht, meint Lia.

    Von 1831 bis zu seinem Tod im Jahr 1856 hat auch der Schriftsteller

    Heinrich Heine, der wohl berhmteste Sohn Dsseldorfs, in Paris gelebt,

    spricht Christel weiter, als sie merkt, dass Nils und Lia ihr interessiert

    lauschen. Hier bezog er seine Matratzengruft, wie er sein Krankenla-

    ger nannte, und fand schlielich auf dem Friedhof Pre Lachaise neben

    anderen Berhmtheiten seine letzte Ruhesttte. Die Verlockungen und

    der Zauber des frivol-verrufenen Paris des Fin de Sicle und der 20er-und 30er-Jahre zogen dann spter ganze Generationen von Knstlern

    in ihren Bann. Nicht nur Schriftsteller wie Hemingway oder Joyce waren

    dem Flair dieser faszinierenden Grostadt erlegen. Auch fr deutsche

    Literaten wurde sie zu einem wohl einzigartigen Mekka knstlerischer

    Inspiration. Wusstet ihr eigentlich, dass hier einige der bedeutendsten

    Werke der literarischen Moderne entstanden sind, wie zum Beispiel Ril-

    kes Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge?

    Schweigend gehen sie weiter, bis Christel die Stille mit den Worten wir

    sind angekommen unterbricht.

    Nachdem sie aus dem reichhaltigen Angebot auf der Speisekarte ihr

    Men gewhlt und beim Ober bestellt haben, fragt Christel neugierig,

    aber auch um das Gesprch anzukurbeln: In welchem Beruf mchtet ihr

    denn spter mal arbeiten?

    Ich mchte meine Krten als Entwicklungsingenieur in einem Unterneh-

    men verdienen, ergreift Nils zuerst das Wort.

    Und ich mchte gerne im Umweltschutz arbeiten und neue Siedlungs-

    konzepte fr Stdte entwickeln. Schon bald werden ber 50 % der Welt-

    bevlkerung in Ballungsgebieten leben. Wie man diese kologisch und

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    Ich bin gespannt, sagt Lia und wirft Nils einen Seitenblick zu.

    Stellt euch vor, ihr httet nur eure Zeitgenossen in euren Heimatln-

    dern im Blick, dann wrde sich eure Verantwortung allein auf deren heu-

    tiges Wohlergehen reduzieren. Auf das Hier und Jetzt. Die zuknftigen

    Generationen blieben dabei auf der Strecke. Wenn ihr aber diesen ein-geschrnkten Blickwinkel erweitert und die Bedrfnisse der kommenden

    Generationen ebenso in Betracht zieht und achtet wie die der jetzt leben-

    den Menschen, dann habt ihr die Picht, zumindest ein ausreichendes

    Ma an Erdressourcen und intakter Umwelt zu erhalten. Oder anders for-

    muliert: Ihr msstet den zuknftigen Generationen alternativ mehr tech-

    nologisches Wissen an die Hand geben, als ihr von euren Eltern geerbt

    habt, um die aufgebrauchten Rohstoffe ersetzen zu knnen. Im Idealfall

    hinterlasst ihr den Menschen, die nach euch kommen, einen Wissenszu-

    wachs, ein Mehr an Know-how als ihr vorgefunden habt. Sodass sie dieProbleme ihrer jeweiligen Lebenszeit besser lsen knnen als ihr.

    Das ist ja wirklich interessant und hrt sich schon viel verantwortungs-

    voller an. Aber trotzdem bleibt es doch bei einer Art Durchwurschteln von

    Generation zu Generation, meint Lia nachdenklich.

    Nils, der die Ellenbogen auf den Tisch gesttzt hat, gibt zu bedenken:

    Unser Universum ist vor 14 Milliarden Jahren entstanden, unsere Erde

    vor 4,6 Milliarden Jahren.

    Wie du siehst, hab ich auch ein paar Zahlen drauf, meint Nils mit einem

    Augenzwinkern zu Lia.Ja, ich bin beeindruckt, lchelt Lia ihn an.

    Also, die ersten Frhmenschen in Afrika traten erst vor fnf Millionen

    Jahren ins Weltgeschehen ein, nimmt Nils den Faden wieder auf. Stell

    dir vor, der Neandertaler htten schon vor 150 000 Jahren die Probleme

    aller Zeiten gelst.

    Das wr doch wunderbar, sagt Lia erfreut und lsst sich ihr Bresse-

    huhn in Weiweinsoe schmecken. Ich muss sagen, so bei leckerem

    Essen zu philosophieren bringt echt Spa..

    Christel knpft an das an, was Nils sagte: Das bleibt eine Utopie, einNicht-Ort, den es wohl niemals geben wird, aber den es sich durchaus

    anzustreben lohnt. Doch bereits ber das Lebensideal von Leuten wird

    es Streit geben. Erst recht, wenn Machteliten ohne demokratisches Ver-

    stndnis versuchen, ihre Utopien umzusetzen. In der Geschichte nden

    sich zahlreiche solcher Irrtmer.

    Aber der Mensch ist auch unersttlich neugierig, bringt Nils einen

    anderen Aspekt ins Spiel. Und das ist der Motor fr laufend neue Ideen

    auf den Gebieten Kultur, Wissenschaft und Technik.

    Nun schaut er zu Lia hinber: Deshalb wrde ich den Menschen auch

    nicht die Fhigkeit zur Entwicklung und Weitsicht absprechen und das so

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    abschtzig Durchwurschtelnnennen. Der Neandertaler hat mit seinem

    Wissen fr sich bestimmt das Beste aus der Situation gemacht.

    Der Mensch ist immer auf der Suche nach der optimalen Lsung. Ist er

    davon berzeugt, eine bessere gefunden zu haben, lst er die berkom-

    mene damit ab, ergnzt Christel.Ja, so ist es in den Naturwissenschaften, Nils nickt zustimmend. Und

    so werden Schritt fr Schritt neue, ausgeklgelte Techniken entwickelt.

    Bist du da nicht ein bisschen blauugig?, meint Lia leicht vorwurfsvoll.

    Wenn du demnchst in einem Unternehmen eine neue Umwelttechnik

    erndest, lsst dein Chef die doch erst mal in der Schublade verschwin-

    den.

    Warum sollte er das tun?, fragt Nils ganz erstaunt.

    Meine Gte, ist der naiv, denkt Lia und antwortet mit energischem Ton-

    fall: Nur wenn der Staat den Unternehmen zwingend neue Gesetze undNormen vorschreibt, oder wenn deine Erndung wirtschaftlicher ist als

    die alte Technik, wird sie auch eingesetzt. Dessen kannst du dir sicher

    sein.

    Natrlich muss sich eine neue Technik lohnen. Was ist denn so verwerf-

    lich daran?, reagiert Nils ganz gelassen.

    Weil die alte Technik hohe Umweltschden verursacht, die den zuknf-

    tigen Generationen aufgebrdet werden, natrlich, kommt es von Lia

    schon leicht genervt. Dabei sollten wir doch alle Kants Kategorischen

    Imperativ kennen.Nils, der gerade einen Bissen zu sich genommen hat, verschluckt sich.

    Verzeihung. Gleich darauf hakt er provozierend nach: Und der lau-

    tet?

    Lia fhrt ihn an: Den habe ich verinnerlicht, und das solltest du auch

    Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der

    Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals blo

    als Mittel brauchst. Fr Generationsinteressen oder Interessen Einzelner

    ist da kein Platz mehr, platzt es leidenschaftlich aus Lia heraus. Dieser

    universale Wert gilt fr alle Menschen heute wie morgen.Nils kommentiert das nicht weiter, er sagt nur ganz ruhig: Dann rei du

    als revolutionre Stadtplanerin doch demnchst alle Stdte ab und baue

    sie interessenfrei wieder neu auf.

    Lia entgegnet ber den Tisch gelehnt: Und du deine altmodischen Kraft-

    werke. Im nchsten Moment mssen sie beide grinsen.

    Christel lchelt beide an. Wenn ihr euch wieder beruhigt habt, htte ich

    da auch noch einen Aspekt, den ich gerne in die Waagschale werfen

    wrde, whrend ihr euren Nachtisch geniet. Die Frage, die sich jetzt

    stellt, ist doch, wie der Wirtschaftswissenschaftler diesen universellen

    Wert in praktische konomische Vernunft umsetzt.

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    Wie bewertet er die unterschiedlichen Interes-

    sen der Generationen?

    Ich glaube ja persnlich immer noch, dass

    sie sich darber berhaupt keine Gedanken

    machen, meint Lia. Das sehen wir doch.Ganz so einfach solltest du es dir nicht

    machen, wendet Christel ein. Und auch

    nicht die Wirtschaftswissenschaftler und die

    Unternehmer ber einen Kamm scheren und

    so pauschalisieren. Der methodische Standard

    ist die Diskontierung. Was das ist und wie das

    funktioniert, erklre ich euch mal. Ich habe

    immer Papier, Bleistift und einen Taschenrech-

    ner dabei, um mir Gedanken, die ich gerade frwichtig halte, aufzuschreiben oder schnell eine

    Berechnung durchzufhren.

    Als Christel ihre Ausfhrungen beendet hat,

    resmiert Lia: Wenn ich das richtig verstan-

    den habe, dann fhrt das dann aber doch dazu,

    dass die Kosten von zuknftigen Umweltsch-

    den abgezinst und diese mit den Kosten der

    heutigen Treibhausgasreduktionsmanahmen

    verglichen werden. Da dieser Gegenwartswertaber hug hher liegt alsder so abdiskontierte Schaden, unterbleiben sie doch. Das hab ich schon

    immer geahnt, fgt Lia nach einer kurzen Pause noch hinzu.

    Wenn die Unternehmen bei ihrer Entscheidung fr den Bau von Win-

    danlagen geringere Zinserwartungen haben als bei normalen Investiti-

    onen, dann ist schon viel gewonnen, gibt Christel zu bedenken. Lias

    Schlussfolgerung klingt messerscharf. Dann muss der Staat die Wind-

    anlagen bauen.

    Da bist du aber auf dem Holzweg, das wre eine ganz falsche Weichen-

    stellung, wendet Christel mit resoluter Stimme ein. Die groen Indus-trienationen haben als Wirtschaftsmodell die Marktwirtschaft gewhlt und

    China ist auf dem Weg dorthin. In einer Marktwirtschaft ist das Wissen

    ber das Wirtschaftsgeschehen auf unzhlige Kpfe verteilt. Auf viele

    Anbieter und noch mehr Abnehmer von Gtern. Selbst wenn die Pla-

    nungsbrokratie eines Staates noch so gut wre, knnte sie niemals auch

    nur ansatzweise das Wissen der vielen Millionen Wirtschaftssubjekte

    bndeln und so umsetzen, dass eine optimale Gterverteilung gewhr-

    leistet ist. Wir bekmen Autos ohne Reifen oder Anzge ohne Hosen.

    Eine graue Tristesse im Mangelland. In meinem Heimatland Tschechien

    mussten wir auch fr alles Schlange stehen.

    Bewertung von Umweltschden

    Zuknftige Umweltkosten werden mit einem Dis-

    kontsatz, den die konomen fr angemessen hal-

    ten, auf den heutigen Wert abgezinst.

    Betrgt beispielsweise im Jahr 2050 ein Umwelt-

    schaden 10 Millionen Euro, so wird dieser Schaden

    im Jahr 2010 bei einer Abzinsung von 3 % pro Jahr

    mit 3,01 Millionen und bei einer Abzinsung von 10 %

    pro Jahr nur noch mit 0,18 Millionen bewertet.

    Whlt die heutige Generation eine hohe Abzinsung,

    verniedlicht sie den Umweltschaden in der Zukunft.

    konomische Modelle, die mit diesem Ansatz rech-

    nen, kommen wahrscheinlich zu dem Schluss,

    dass sich Emissionsreduktionen nicht lohnen, weil

    der Nutzen zu gering ist oder erst in vielen Jahr-

    zehnten sichtbar wird. Unternehmen rechnen hug

    mit einem Marktzins von 68 %, der ungefhr dem

    durchschnittlichen Renditesatz risikobehafteter

    Aktien entspricht.

    Hierdurch wird zuknftigen Kosten und Nutzen

    wenig Gewicht beigemessen. Wird ein Umweltscha-

    den, der in etwa 50 Jahren auftritt, jhrlich mit 6 %

    diskontiert, hat er einen zwanzigfach niedrigeren

    Wert, als wenn er heute auftreten wrde.

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    Aber wie lsen wir das Marktversagen?, wirft Nils ein.

    Jedenfalls nicht dadurch, dass wir Marktversagen durch Staatsversagen

    ersetzen, sondern dadurch, dass der Staat den Unternehmen einen Rah-

    men vorgibt. Innerhalb dieses Rahmens knnen die Unternehmen dann

    selber entscheiden, mit welcher Technologie sie Strom umweltfreundlicherzeugen wollen.

    Wie muss man sich diesen Rahmen vorstellen?, fragt Nils nach.

    Dazu gehren gesetzliche Auagen, wie beispielsweise Schadstoff-

    grenzwerte, Steuern und Abgaben auf Energie und das Emissionshan-

    delssystem.

    Lia macht eine abwehrende Geste. Bitte nicht noch mal erklren, das

    war heute Nachmittag schon kompliziert genug.

    Christel lacht auf. Das hab ich auch nicht vor. Es ist schon spt.

    Lia schaut Nils schmunzelnd an. Der Staat murkst, die Wirtschaft murkst.Es gibt viel fr uns zu tun.

    Gestaltet eure Zukunft nach euren Vorstellungen, sagt Christel, wh-

    rend sie ihren Blick zwischen Nils und Lia hin- und herschweifen lsst.

    Aber lasst euren Kindern und Kindeskindern auch noch ein wenig

    Gestaltungsfreiheit.

    Eigentlich bin ich ganz froh, dass uns die Neandertaler noch ein paar

    Probleme zurckgelassen haben, meint Lia vergngt, sonst htten wir

    nachher gar nichts mehr zu tun. Wie langweilig!

    Stattdessen wrden wir uns noch vor lauter Langeweile die Kpfe ein-hauen, setzt Nils noch eins drauf.

    Und das Spiel wrde von vorne beginnen, zieht Lia ihr Fazit. Alle

    lachen. Nach dem heutigen Tag muss ich im Kopf erst mal einiges neu

    ordnen, meint Lia, whrend sie sich erheben.

    Merci, dass du dir so viel Zeit fr uns genommen hast, Christel. Und das

    Bistro war auch ne klasse Idee!, sagt Nils lchelnd.

    Mit einer herzlichen Umarmung verabschieden sich Lia und Nils vor der

    Bistrotr von Christel und nehmen Kurs auf ihre Unterkunft. Whrend sie

    im nchtlichen Menschengewimmel ber die Pont Neuf zurckschlen-dern, sagt Lia: Es macht Spa, mit dir zu streiten.

    Nils berhrt sie an der Schulter. Ja, auch wenn du manchmal eine Plage

    bist. Lia wirft ihm spielerisch eine Kusshand zu. Ihre Blicke verhaken

    sich ineinander.

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    Wieso sich nicht alles nur ums Klima dreht

    Am nchsten Morgen nutzen Lia und Nils die freie Zeit, um ein wenig am

    Ufer der Seine entlangzubummeln.

    Ich glaub ich hab mich zu warm angezogen, wollen wir uns nicht einenMoment hinsetzen?, meint Nils.

    Die Bnke sind aber alle besetzt, erwidert Lia.

    Da drben ist doch noch ein Pltzchen frei, neben dem alten Herrn.

    Nachdem Lia und Nils den Mann gefragt haben, ob sie sich setzen drf-

    ten, nehmen sie Platz und schauen auf die vorbeischippernden Touri-

    stenschiffe. Nils legt seinen Arm auf die Lehne hinter Lia, der kurz darauf

    wie zufllig auf ihre Schultern rutscht. Lia lsst sich nichts anmerken,

    rckt aber auch nicht weg.

    Sich zu Lia und Nils umdrehend, sagt der alte Mann, der bis eben nochseine Zeitung studiert hat: Schn, hier auch mal ein paar junge Leute zu

    treffen. Nur schade, dass Sie schon bald wieder fortmssen.

    Lia und Nils schauen den alten Mann erstaunt an.

    Ihr fragt euch, wie ich das wissen kann? Der Mensch ist immer auf der

    Durchreise. Er kommt nirgends richtig an. Selbst kurz vor dem Tod wissen

    wir nicht, ob dieser das endgltige Ende bedeutet oder ein neuer Anfang

    ist. Ich wohne in der Bretagne, in der Nhe eines kleinen Fischerdorfes.

    Die Huschen sind aus Granitblcken gebaut und ducken sich vor den

    Herbststrmen. Wenn ich aus meinem Haus schaue, dann sehe ich dieunendliche Weite des Meeres. Ebbe und Flut wechseln sich ab. In einem

    unabnderlichen Rhythmus. So vergeht die Zeit.

    Davon habe ich immer getrumt, ich mchte auch mal in so engem

    Einklang mit der Natur leben, bemerkt Lia leise.

    Ja, das ist wunderschn. Keine Hektik. Kein Beton. Kein Geplapper von

    stdtischen Wichtigtuern, meint er.

    Sie haben es bestimmt romantisch und kennen nicht das Geimmer

    greller Neonrhren vor grauen Hausfassaden, seufzt Lia. Ich mchte

    kein Sandkorn im Treibsand der Menschenstrme sein, fgt sie inGedanken versunken hinzu.

    Wie kommt es, dass Sie in Ihrem Alter schon so gut meine Gefhle und

    Gedanken nachvollziehen knnen?, meint der alte Mann.

    Hin und wieder besuche ich meine Kinder in Paris, fhrt er fort. Mein

    Enkelkind Jeanette ist eine richtige ko-Aktivistin.

    Es ist bestimmt beruhigend zu wissen, dass Ihre Kinder und Enkel auch

    der Natur verbunden sind, obwohl sie in der Stadt wohnen.

    Ja, schon, antwortet der Mann. Zaghaft fhrt er fort: Gestern hat Jea-

    nette gesagt, ich solle doch fr immer nach Paris ziehen. Ich fhlte mich

    geschmeichelt und dachte, sie wrde sich um ihren alten Opa sorgen.

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    Das tut sie sicher.

    Nein, nein, es kam ganz anders. Sie erklrte mir nmlich, dass mein

    narzisstisches Tunin der Bretagne der Natur sehr abtrglich sei.

    Wieso das denn?

    Sie hat mir wie ein Buchhalter vorgerechnet, dass Menschen auf demLande mehr Schadstoffe in die Luft pulvern als Stdter.

    Die Rechnung will ich hren, schaltet sich jetzt auch Nils ein.

    Ich habe die Zahlen nicht mehr im Kopf, aber sie erklrte mir, dass ein

    frei stehendes Haus viel mehr Wrmeenergie verbraucht als eine Woh-

    nung in der zwanzigsten Etage eines Hochhauses. Und das die Wege zur

    Arbeit, zum Bcker, zum Metzger, zum Arzt und so weiter auf dem Land

    viel mehr Energie verschlingen als der Weg zum Bcker um die Ecke in

    der Stadt. Auch mssten fr jeden Landbewohner viel mehr Lastwagen

    unterwegs sein, um die Geschfte mit Lebensmitteln zu fllen.Diese Jeanette spinnt doch. Das hat sie doch nicht ernst gemeint, sagt

    Lia mit Nachdruck.

    Ich glaube schon, antwortet der alte Mann darauf.

    Die Rechnung mag stimmen, uert sich Nils.

    Meine Gromutter Elisabeth pegte immer zu sagen: Gefhlt ist anders

    als gezhlt!, fhrt Lia ins Feld. Sollen wir denn etwa alle in rechte-

    ckigen Betonschluchten leben?

    Nils lchelt verschmitzt. Sieht wohl so aus.

    Niemals. Ich nicht!, sagt Lisa vehement.Der alte Mann uert ganz offen: Diese Rechnung hat mich nicht son-

    derlich beeindruckt. Ich lebe weiter wie bisher.

    Das ist auch richtig so. Ihr Leben sollten Sie nicht ndern, stimmt Lia

    ihm zu.

    Also Business as usual und weiterwurschteln wie bisher. Oder vielleicht

    sogar murksen?!, wendet sich Nils provozierend an Lia und grinst sie

    an.

    Bldmann!, sagt Lia und greift nach der Zeitung, um ihm damit spiele-

    risch eins berzuziehen. Nils duckt sich und lacht.Nanu, wo ist denn der alte Mann abgeblieben?, meint Lia da.

    Der alte Mann ist gerade gegangen, fgt Nils sanft hinzu und hlt ihren

    Blick fest.

    Da schaut Lia auf die Uhr und sagt hektisch: Mensch, in zwei Stun-

    den fhrt der Zug! Wir mssen uns beeilen! Unser Gepck ist noch im

    Hotel.

    Na, dann mal los, kommt es trocken von Nils. Sie springen auf und

    machen sich auf den Weg.

    Abgehetzt kommen sie am Gare du Nord an, gerade noch rechtzeitig,

    um in den TGV zu springen. Ermattet sinken sie auf die Sitze, wo Lia ihre

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    Beine dicht neben Nils ausstreckt. Nach einer kleinen Verschnaufpause

    nimmt Lia ihre Schirmmtze vom Kopf und sagt ernchtert zu Nils, der ihr

    gegenber sitzt: Der Klimawandel ist wohl das Problem des 21. Jahr-

    hunderts. Das ist mir gerade noch mal so durch den Kopf gegangen,

    nach all dem, was wir hier in Paris erfahren haben.Ich lese gerade einen Zeitungsartikel mit der berschrift Eine Milliarden

    Menschen hungern.

    Lies mal vor.

    Es ist ein Interview, das ein Journalist mit einer Mitarbeiterin der Welter-

    nhrungsorganisation fhrt. Der Journalist sagt, dass so viele Menschen

    hungern, habe er bis heute noch nicht verstanden. Die Frau antwortet,

    dass das keine Folge echter Knappheit sei. Auf der Erde leben 6,6 Milli-

    arden Menschen. Um das Jahr 2030 werden es 8,2 Milliarden Menschen

    sein. Die knnten wir alle ernhren. Die Landwirtschaft hat groe Fort-schritte erzielt. Es ist eine Folge politischer Ignoranz und Kurzsichtigkeit.

    Viele Menschen wurden in Afrika noch nie richtig satt. Zudem fordern

    Malaria und Diarrh jedes Jahr etwa eine Million Kinderleben. Diesen

    armen Seelen hat man den Hunger erspart. Der Journalist ist der Auf-

    fassung, dass verdorrte Ackerbden und Krankheiten doch die Auswir-

    kungen des Klimawandels seien. Die Vertreterin der Welthungerorgani-

    sation dagegen wendet ein, dass der Klimawandel auf die heutige Armut

    trifft und das Elend verschrft. Der Journalist schliet daraus, dass dann

    die erste Prioritt die Bekmpfung der Armut sein muss. Die Bekmp-fung des Klimawandels kommt dann erst an zweiter Stelle. In dem Artikel

    betont die Frau, dass man Armut nicht gegen den Klimawandel ausspie-

    len darf.

    Lia unterbricht Nils mit einer knappen Zwischenbemerkung: Das sehe

    ich genau so.

    Ich auch. Aber ich lese jetzt mal weiter vor:

    Die Mitarbeiterin der WHO warnt ich zitiere mal wrtlich: Die Manah-

    men zur Bekmpfung des Klimawandels mssen nanziert werden. Die

    EU-Staaten beabsichtigen die Entwicklungslnder mit Millionen Eurobe-trgen zu untersttzen. Diese Manahmen wirken aber erst mittel- bis

    langfristig. Und deshalb ist es wichtig die Armut heute zu bekmpfen .

    Der Journalist entgegnet ihr: Dafr gibt es doch die Entwicklungshilfe.

    Die Frau: Aber ich befrchte, dass diese Gelder zur Finanzierung von

    Klimaschutzmanahmen umgelenkt werden. Und fr die Bekmpfung

    der Armut weniger brig bleibt als bisher. Auch habe ich hug erfahren

    mssen, dass die reichen Lnder ihr Versprechen nicht einhalten.

    Lia und Nils schtteln unverstndlich ihre Kpfe.

    Das ist aber frustrierend.

    Aber so tickt wohl die Welt.

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    Paris JlichHalle

    Boston

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    Mnchen Wien

    Nevada Shanghai Paris

    Das Morgen und

    das GesternIm renommierten Forschungszentrum

    Jlich werden sie in die naturwissen-

    schaftlich-technischen Grundlagen der

    Energietechnik und des Klimawandels

    eingefhrt und erhalten einen Einblick in

    innovative Energiesysteme. Ein Ausflug in

    das fossile Energiezeitalter rundet ihren

    Besuch ab.

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    Die naturwissenschaftlichen und tech-

    nischen Grundlagen der Energieversorgung

    der Zug saust weiter und verlsst franzsischen Boden. Lia und Nilsschauen aus dem Fenster und hngen ihren Gedanken nach. Hin

    und wieder werfen sie sich verstohlene Blicke zu.

    Von Paris in die Pampa, ergreift Nils nach einer Weile das Wort. Dabei

    dachte ich, wir fahren in ein Forschungszentrum.

    Na klar, aber da gibts kein Meer. Keine Berge. Nur achen Acker, sagt

    Lia. Keine Ablenkungen, so lsst es sich wohl besonders gut forschen.

    Im internationalen Ranking zhlen die Forscher in Jlich zur weltweiten

    Spitzengruppe. Das heit die mssen richtig gut sein. 4 500 Mitarbeiter

    widmen sich dort der Forschung, darunter 1 300 Wissenschaftler aussmtlichen naturwissenschaftlichen Disziplinen. Ein internationales Netz-

    werk sorgt zudem fr einen regen Gedankenaustausch. Zustzlich arbei-

    ten in den Laboren fast 1 000 Gastwissenschaftler aus ber 60 Lndern.

    Hab ich im Internet gelesen.

    Blo schade, dass wir in Paris so wenig Zeit hatten, wechselt Nils das

    Thema. Ich htte gerne noch so vieles gesehen.

    Ich auch, stimmt Lia ein. Sogar mit dir. Sie lchelt ihn an und ihre Bli-

    cke tauchen einen langen Moment ineinander. Dann wenden sich beide

    mit einer abrupten Bewegung ab und starren geradeaus. Aber whrendder restlichen Fahrt rcken sie wie zufllig immer dichter zusammen. Als

    es vom Klner Hauptbahnhof mit dem Regionalzug nach Dren geht,

    schlafen sie eng aneinandergekuschelt ein. Ein feines Lcheln liegt auf

    ihren Gesichtern.

    Am Bahnhof von Dren werden Nils und Lia von der Fahrbereitschaft

    des Forschungszentrums abgeholt und zu ihren Quartieren gebracht. Am

    nchsten Morgen um Punkt neun Uhr nden sie sich am Institut fr Ener-

    gieforschung ein.In einem kleinen, schmucklosen Hrsaal werden sie von Prof. Dr. Hansen

    begrt: Moin, moin und herzlich willkommen bei der Summer School

    des Forschungszentrums Jlich. Mit seiner schlanken, drahtigen Figur

    und seinem leicht ergrauten schtteren Haar wirkt er eher wie ein Fregat-

    tenkapitn als wie ein Professor.

    Die jungen Studenten in der Runde heien Lia und Nils mit lautem Tisch-

    klopfen willkommen. Nach diesem Begrungsritual beginnt Professor

    Hansen mit seinem Vortrag.

    Heute stehen die naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen

    der Energieversorgung und des Klimas auf dem Programm. Und Morgen

    D. Oesterwind,Energie und Klimaforschung, DOI 10.1007/978-3-8348-9787-9_3,

    Vieweg+Teubner Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011

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    DasMorgenunddasGestern

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    besuchen wir dann die Forschungslabore. Welche Themen

    uns beschftigen werden, sehen Sie hier auf dem Flipchart.

    In meiner Vorlesung komme ich zum ersten Thema:

    Was ist Energie?

    Zunchst: Energie ist eine grundlegende physikalische

    Gre. Niemand wei, was vor dem Urknall und in der

    anschlieenden allerheiesten ersten Phase geschah; wir

    knnen noch nicht mal irgendwelche intelligenten Vermu-

    tungen anstellen. Dieser fundamentale Vorgang bedarf in

    seinen Prozessablufen noch der wissenschaftlichen For-

    schung. Wir wissen aber mit ziemlicher Sicherheit, dass am

    Anfang unserer Welt ein riesiges Startkapital an Energie

    stand. Und diese Energie liegt in Form von elektromagne-tischer Strahlung vor, das heit Licht. Sie kennen ja sicher

    den SpruchAm Anfang war , meint Prof. Dr. Hansen an

    die Studenten gewandt. Einige nicken. Von diesem Ener-

    giekapital zehrt das gesamte Universum noch heute, denn

    Energie kann nicht erzeugt und nicht vernichtet werden.

    Aber Energie kann in die verschiedensten Formen umge-

    wandelt werden.

    Einstein hat einst genial erkannt, dass Energie auch in

    Materie umgewandelt werden kann. Man braucht aller-dings sehr viel Energie, um daraus Materie herzustel-

    len. Aber so gesehen, ist Materie ein gigantischer Energiespeicher.

    Umgekehrt kann Materie unter gewissen Voraussetzungen aber

    auch zu Energie zerstrahlen. Diese stndige Umwandlung von Strah-

    lungsenergie in unterschiedliche Materieformen steht am Anbeginn

    der Welt. So besagt die berhmteste Gleichung der Relativittstheo-

    rie, dass Materie und Energie ineinander verwandelt werden knnen.

    Das knnen Sie hier sehen, meint der Professor zu den Studenten.

    Aber wie denieren wir Energie?, fhrt er fort und dreht sich den

    aufmerksam lauschenden Studenten zu. Wir Wissenschaftler tun uns

    schwer, den Begriff Energie przise zu denieren. Wir kennen allerdings

    verschiedenste Formen von Energie und knnen sie nutzbar machen.

    Themen

    Grundlagen der Energieversorgung Was ist Energie? Hauptstze der Wrmelehre Reversible und irreversible Vor-

    gnge Was ist Entropie? Die Physik eines Kraftwerkspro-

    zesses

    Wofr brauchen wir Energie?

    Umwelt und Rohstoffe

    Fortschrittliche Kraftwerkstechniken

    Klimaphysik

    Laborerkundungen Fotovoltaik Plasmaphysik Brennstoffzellen Wasserstoff

    Systemanalyse

    Energiesysteme heute und morgen

    Neue, pfge Ideen

    Einstein-Gleichung

    E = m c2

    Energie = Masse Lichtgeschwindigkeit2

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    Man kann es vielleicht auf folgenden Nenner bringen: Energie ist letztlich

    alles, was sich in Arbeit umwandeln lsst.

    Da verzichte ich doch lieber auf Energie, meint ein Student scherzend,

    Arbeit hrt sich nie gut an.

    Prof. Dr. Hansen lchelt ber den Kommentar, geht aber nicht darauf ein.Also, wiederholt er noch einmal, Energie ist das, was sich in Arbeit

    umwandeln lsst. Die Umwandlung und die Nutzung der Energie hinge-

    gen unterliegen strengen physikalischen Regeln. Nun beobachten wir in

    der Natur folgendes Phnomen: Bei allen Vorgngen, bei denen Reibung

    mit im Spiel ist, wird mechanische Energie in Wrmeenergie berfhrt.

    Ebenso kann elektrische Energie in Wrmeenergie umge-

    wandelt werden. Das geschieht zum Beispiel in einer Heiz-

    platte oder in einem Tauchsieder. Auch in einem Elektro-

    motor oder einer Glhlampe wird ein Teil der zugefhrtenelektrischen Energie in Wrmeenergie umgewandelt, was

    allerdings ein unerwnschter Nebeneffekt ist, der sich

    durch gezielte Manahmen zwar verringern, jedoch nicht

    ganz beseitigen lsst. Man versucht deshalb in der Technik

    diese sogenannten Verlustenergien so klein wie mglich zu

    halten. Und hier kommen weitere physikalische Gesetze

    zum Tragen, wie der 1. Hauptsatz der Wrmelehre.

    Der 1. Hauptsatz der WrmelehreDie fangen ja hier bei Adam und Eva an, stert Lia Nils

    zu und berhrt ihn am Arm. Das kann ja lange dauern.

    Die anderen hren aber ganz konzentriert zu, erwidert

    Nils. Whrend sie noch tuscheln, fhrt Prof. Dr. Hansen

    aus: Dieser 1. Hauptsatz der Wrmelehre postuliert, dass

    bei der Energieumwandlung keine Energie verloren gehen

    kann. Man nennt ihn auch Energieerhaltungssatz. Ich will

    ihn kurz erlutern. Die exakte Formulierung habe ich Ihnen

    vorab hier auf das Flipchart geschrieben.Prof. Hansen lsst die Studenten lesen und setzt dann

    fort: Was lernen wir vom 1. Hauptsatz? Wir lernen, dass

    in der Regel zweierlei geschieht, wenn wir einem Krper

    von auen Wrmeenergie zufhren: Die innere Energie

    erhht sich und das System kann mechanische Arbeit ver-

    richten.

    Das hatten wir doch schon alles in der Schule. Hoffentlich

    wirds bald spannender, meint Lia.

    Gedulde dich, das ist doch nur zur Einfhrung, erwidert

    Nils mit einem kurzen Seitenblick.

    1. Hauptsatz der Thermodynamik

    Es wird zunchst untersucht, was

    geschieht, wenn einem Krper die Wr-

    meenergie (Q) zugefhrt wird. Die Erfah-

    rung zeigt, dass im Allgemeinen zweierlei

    geschieht: Ein Teil der zugefhrten Wr-

    meenergie wird im Krper gespeichert.

    Sie erhht die kinetische und die poten-

    tielle Energie der Molekle und damit

    die innere Energie (U) des Systems.

    Der Zuwachs der i