geistiges leben 2012 h 2

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Geistiges Leben 2012 H 2

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  • Das Geschehen zu PfingstenDas Geschehen zu Pfingsten Vom Geist der WahrheitVom Geist der Wahrheit

    Das Gleichnis von den HohlspiegelnDas Gleichnis von den Hohlspiegeln Der russische PilgerDer russische Pilger

    Die Stimme des GewissensDie Stimme des Gewissens Die sieben Gaben des GeistesDie sieben Gaben des Geistes

    Das Gebet ohne UnterlassDas Gebet ohne Unterlass Frieden erwerben und weiterstrebenFrieden erwerben und weiterstreben

    Gott ist KraftGott ist Kraft Liebe ist allesLiebe ist alles

  • SPENDENKONTEN Baden-Wrttemb. Bank AG Bietigheim-Bissingen

    Kto.: 7818500173 BLZ: 60050101 BIC: SOLADEST IBAN: DE27 6005 0101 7818 5001 73

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    IMPRESSUM Herausgeber: Lorber-Gesellschaft e.V. Verwaltungsanschrift: Postfach 114 83731 Hausham / Deutschland Tel.: 08026-8624 / Fax: 08026-3294 E-Mail-Anschrift: [email protected] Internet-Seite: www.Lorber-Gesellschaft.de Schriftleitung: Klaus W. Kardelke Redaktion: Angelika Penkin

    INHALT Johann Scheffler Liebe die du mich zum Bilde S. 2 Klaus W. Kardelke Editorial S. 3 Max Seltmann Das Geschehen zu Pfingsten S. 5 Jakob Lorber Vom Geist der Wahrheit S. 8 Rainer Uhlmann Das Gleichnis von den Hohlspiegeln S. 10 Jakob Lorber Von der Ruhe in Gott S. 16 Pilger Der russische Pilger S. 17 Jakob Lorber Die Stimme des Gewissnes S. 26 Johannes Tauler Die sieben Gaben des Geistes S. 28 Jakob Ganz Das Gebet ohne Unterlass S. 34 Thomas von Kempen Frieden erwerben und weiterstreben S. 37 M.B. Gott ist Kraft S. 39 Liebe ist alles S. 41 Jakob Lorber So du die Liebe nicht hast S. 49 Weisheitsgeschichten Der Bauer und der liebe Gott S. 50 Pass auf, was du sprichst S. 51 Erleuchtung S. 52 Das Auge S. 52 Die Einweisung S. 52 Im Angesicht des Todes S. 52 Jakob Lorber Gttlicher Gesundheitsrat S. 53 Jakob Lorber Gebet an Jesus S. 54 Verschiedenes S. 55

    Mit Namen des Verfassers versehene Beitrge mssen nicht mit der Auffassung der Schriftleitung bereinstimmen.

    Die Zeitschrift erscheint viermal jhrlich auf freiwilliger Spendenbasis. Beitrge richten Sie bitte an die Schriftleitung.

  • Jahrgang 32 2012 Heft 2

    - Zeitschrift im Geiste christlicher Mystik -

  • 2 GL 2/2012

    Liebe, die du mich zum Bilde Deiner Gottheit hast gemacht; Liebe, die du mich so milde nach dem Fall hast wiederbracht: Liebe, dir ergeb ich mich, Dein zu bleiben ewiglich.

    Liebe, die du mich erkoren, eh ich noch geschaffen war,

    Liebe, die du Mensch geboren und mir gleich wardst ganz und gar:

    Liebe, dir ergeb ich mich, Dein zu bleiben ewiglich.

    Liebe, die fr mich gelitten und gestorben in der Zeit; Liebe, die mir hat erstritten ewge Lust und Seligkeit: Liebe, dir ergeb ich mich, Dein zu bleiben ewiglich.

    Liebe, die du Kraft und Leben Licht und Wahrheit, Geist und Wort

    Liebe, die sich ganz ergeben mir zum Heil und Seelenhort:

    Liebe, dir ergeb ich mich, Dein zu bleiben ewiglich.

    Liebe, die mich gebunden an ihr Joch mit Leib und Sinn, Liebe, die mich berwunden und mein Herz hat ganz dahin: Liebe, dir ergeb ich mich, Dein zu bleiben ewiglich.

    Liebe, die mich ewig liebet und fr meine Seele bitt'

    Liebe, die das Lsgeld gibet und mich krftiglich vertritt:

    Liebe, dir ergeb ich mich, Dein zu bleiben ewiglich.

    Liebe, die mich wird erwecken aus dem Grab der Sterblichkeit; Liebe, die mich wird umstrecken mit dem Laub der Herrlichkeit: Liebe, dir ergeb ich mich, Dein zu bleiben ewiglich. Johann Scheffler (1624 - 1677)

    Liebe, die du mich zum Bilde

  • GL 2/2012 3

    Editorial Wie in jedem Jahr wird die Lorbertagung wieder zu

    Pfingsten stattfinden, zu der jeder herzlichst eingeladen ist. Und wie die ersten Christen werden auch wir uns wieder einmtig versammeln und uns vom Himmel beschenken lassen. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versam-melt sind, da bin Ich mitten unter ihnen, spricht der Herr.

    Und wer die Tagungen bereits miterlebt hat, kann diese Aussage nur besttigen, denn wenn die Herzen offen sind, kann auch der Segen von oben nicht ausbleiben.

    Um uns nun auf dieses Treffen einzustimmen, mchte ich zu ein paar Gedanken ber Pfingsten anregen. Denn die Geschehnisse zu Pfingsten geben uns doch ein entsprechendes Bild, wie der Geist Gottes zu den Menschen kommt.

    Jesus verkndete seinen Jngern den Heiligen Geist, den Geist der Wahrheit, mit folgenden Worten: Ich Selbst htte euch allen noch gar vieles zu sagen; allein ihr wrdet es jetzt noch nicht fassen und ertragen. Aber wenn der Geist der vollen Wahrheit in euch wach werden wird, so wird er euch selbst in alle Weisheit leiten; und dieser Geist ist das gttliche Ebenma in euren Herzen, und ihr selbst werdet ihn in euch erwecken durch die rechte Sabbatfeier. (GEJ.2_150,08)

    Die Erweckung des gttlichen Geistes wird also u.a. durch eine rechte Feier des Sabbats bewirkt. Was aber ist nun eine rechte Sabbatfeier und was ist der Sabbat im geistigen Sinne?

    Der Sabbat ist weder der Samstag, noch der Sonntag, noch der Oster- und der Pfingstsonntag, noch irgendein anderer Tag in der Woche oder im Jahre, sondern er ist nichts anderes als der Tag des Geistes im Menschen, das gttliche Licht im menschlichen Geiste, die aufgehende Sonne des Lebens in der menschlichen Seele. Das ist der lebendige Tag des Herrn im Menschen, den er fortwhrend mehr erkennen und durch alle seine Handlungen heiligen soll, die er aus Liebe zu Gott und daraus aus Liebe zu seinem Nchsten verrichten soll.

    Da aber der Mensch diesen heiligen Ruhetag des Herrn im Gewhle der Welt nimmer finden kann und mag, daher soll er sich von der Welt zurckziehen und diesen Tag des Lebens der heiligen Ruhe Gottes in sich suchen. (GS.2_76,15-16)

    Denn so du nun Gott ganz sicher ber alles liebst und eben darum auch ber alles ehrst, wirst du dich da nicht gerne, und das sehr oft, von dem weltlichen Tagesgeschft zurckziehen und dich mit dem Gegenstand

    Editorial

    Klaus W. Kardelke Geschftsfhrender

    Vorsitzender der Lorber-Gesellschaft

  • 4 GL 2/2012 Editorial

    deiner heiesten Liebe beschftigen? Ja, ganz ungezweifelt wahr und sicher! Und siehe, darin besteht ja auch die wahrste und rechteste und vor Gott allein gltige Feier des Sabbats. (GEJ.7_28,7)

    Nach der Himmelfahrt Christi zogen sich die Jnger des Herrn in ihre Huser zurck und versammelten sich dort hinter verschlossenen Tren und Fenstern und harrten des Herrn. In dieser Zurckgezogenheit pflegten sie die Sabbatruhe in ihren Herzen, wie es der Herr ihnen immer wieder empfohlen hatte: Haltet die Feier des Sabbats selbst an jedem Tage ein paar Stunden hindurch, und ihr werdet alsbald die groe Segnung dafr in euch wahrzunehmen beginnen! (GEJ.2_150,01)

    Da sie dies taten, bereiteten sie sich auf den Empfang des Heiligen Geistes vor, auf die Erweckung des gttlichen Geistes in ihren Herzen.

    Durch diese Ruhe in Gott erlebten sie ihr Pfingsten und der Geist Gottes in ihren Herzen erwachte und erfllte sie. Sie gewahrten nun die Macht Gottes im Menschen und waren nun erst imstande das Evangelium frei und ohne Furcht den Menschen zu verkndigen.

    Dieses Geschehen wiederholt sich nun seit zweitausend Jahren in den Herzen derer, die den Sabbat, die Ruhe in Gott, zu feiern pflegen.

    Und so sind auch wir aufgerufen unser ganz persnliches Pfingsten zu feiern und zu erleben und uns immer wieder im Herzen zu versammeln, in unser inneres Haus einzukehren, Fenster und Tren, als da sind unsere Sinne, vor der Welt zu verschlieen und uns ganz in der Ruhe dem Herrn in Liebe hinzugeben.

    So unterlass nie, die Ruhe des Herrn zu feiern, sondern gedenke in dieser in deinem Herzen Gottes, deines Herrn und Schpfers! Denn in dieser Ruhe nur wird dich der Herr, dein Gott, ansehen und segnen dein Leben, (GS. 2_48,11) denn eine gewisse uere Ruhe ist notwendig zur Erweckung des Geistes. (GEJ. 3_60,21)

    Allein in dieser Ruhe kann uns der Herr begegnen und der Heilige Geist uns entflammen, sie ist eine geistige Notwendigkeit auf dem Weg der inneren Christusnachfolge. Denn nicht im Sturme der Welt kommt der Herr zu uns, sondern in aller Stille unseres Gemtes, im sanften Suseln unserer Liebe zu Ihm.

    Deshalb versammle sich ein jeder tiefst in seinem Herzen und bereite sich vor zum heiligen Empfange des Herrn, unseres Gottes, unseres allerheiligsten Vaters; denn Er ist schon auf dem Wege zu uns!

    Darauf ward alles stille, und der Vater kam in aller Stille zu den Seiner Harrenden. (HGt. 2_222,29-30)

    So mgen auch wir stille werden und dem Geiste Gottes den Weg in unsere Herzen bahnen, um so unser ganz persnliches Pfingsten zu erleben.

    Euer Klaus Kardelke

  • GL 2/2012 5

    Das Geschehen zu Pfingsten Max Seltmann

    Und als der Tag der Pfingsten erfllt war, waren sie alle einmtig beieinander. Und es geschah schnell ein Brausen vom Himmel wie eines gewaltigen Windes und erfllte das ganze Haus, da sie saen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen; und sie wurden alle voll des Heiligen Geistes und fingen an, zu predigen mit anderen Zungen, nach dem der Geist ihnen gab auszusprechen. (Apg. 2,1-4)

    In diesen Tagen blieben alle Jnger im Hause Marias eng versammelt, und in einmtigem Beisammensein, in innerster Stille und Erwartung wurde ihr Inneres frei von den letzten Bedenken. Mchtig arbeitete der Gottesgeist an ihrem Wesen, bis auch das letzte Hemmnis, welches der Verstand und die Eigenliebe noch aufgerichtet hatte, beseitigt war. Am Sabbatabend, neun Tage nach der Himmelfahrt, saen die Jnger auf dem Sller des Hauses und waren gemeinsam erfllt von gesteigerter Sehnsucht, aber auch voller Hoffnung auf die Verheiung Jesu! Diese stille Nacht machte ihre Herzen besonders still und aufnahmefhig, und in Petrus entwickelte sich langsam eine Klarheit und Bewusstheit von dem, was vorher nur Hoffnung war, dass er pltzlich ausrief: Ich erlebe Gewaltiges und ganz Wunderbares! Mir ist, als gehe ich ein in den Herrn, als sei ich ein Wesen ohne Fleisch und Blut und knne in der Gestalt und der Person Jesu, ja in Seiner Menschenhlle, Wohnung nehmen!

    Er schwieg - dann fuhr er leiser fort: In Wirklichkeit ist es aber doch anders. Ich fhle ein heiliges Wehen um mich und sehe nun den Meister in mir. Er wird immer grer, ich bin nichts mehr! Ja, ich sehe nur noch den Meister in meiner Form, in meiner Hlle! Er ist wie von durchsichtigem Gold, in Seinem Herzen aber leuchtet ein Flmmchen, das farbiges Licht erzeugt und damit die innersten Herzensregungen erleuchtet. Jetzt leuchtet schon das ganze Herz und strahlt wie eine Sonne, die aber nicht blendet. Diese Strahlen dringen hinaus aus mir, und, o Wunder, ich kann in diesem Lichte die ganze Schpfung durchschauen! Immer heller noch wird dieses Leuchten und wird zu einer heien Glut in mir; jetzt entschwindet meine Form und ich sehe nur noch den Meister in Seiner innersten Glorie!

    Wieder schwieg Petrus, wie in andachtsvoller Schauung, dann rief er in aufflammender Erkenntnis aus: Herr! Du bist nicht nur Sohn, Du bist der Schpfer Selbst! Du bist Gott! - der Ewige - der Heilige! - und - unser Erlser!

    Petrus atmete tief auf; nun ahnte er, was der Name Gott" uns bedeuten will! Immer leuchtender wurde sein Angesicht und auch von seinen Hnden gingen feine Lichtstrahlen aus. Johannes ergriff die Rechte des

    Das Geschehen zu Pfingsten

  • 6 GL 2/2012

    Petrus und reichte die Linke dem Jakobus; dieser aber reichte die Hand den Anderen, dass eine Kette gebildet ward. Ein heiligender Lichtstrom erfllte nun alle, und mit bittendem Herzen: Durchflamme auch mich! schauten sie ebenfalls dieses Licht in sich und erlebten die Gottheit in sich als lebendige Feuerkraft, als den Erwecker alles Lebens!

    Johannes sprach ergriffen: Brder! Nun hat der Herr Seine Verheiung erfllt! Sein eigener Heiliger Geist hat uns durchflutet! Dieser Heilige Geist als Licht aus Seinem Ur-Lichte, als Kraft aus Seiner Ur-Feuer-Kraft, als Klarheit aus Seiner Weisheit, will Wohnung in uns nehmen und in allen Menschen!

    Wie klar wird mir, dass man selber erst lebendig werden muss, um dieses neue Leben in Anderen wecken zu knnen. Nun bin ich mir bewusst: Alles, was Jesus als unser Meister uns nicht sagen durfte, finden wir von nun an als lebendige Wahrheit in uns selbst. Er ist unser Gott! Jesus, als Mensch, gab durch freiwillige Opfer dem ewigen Gottesfunken Raum in Seiner Brust! Uns aber, Seinen Zeugen, schenkt Er diese Seine erworbene Gotteskraft, und macht uns dadurch zu Trgern Seines Heiligen Geistes, damit durch diese Lichtkraft alles Trennende, welches sich immer noch zwischen Gott und das werdende Gotteskind stellen will, berwunden werde.

    Petrus erhob sich, und voll Festigkeit waren seine Worte, als er sprach: Noch nie habe ich diesen heiligen Gottesfunken in mir so als Kraft und Licht erlebt und gefhlt! Ich sehe: Gott, der Ewige, wird berall sichtbar fr uns, denn Er ist in uns und erweckte unseren Lebenskern! Dadurch wird jedes Wort des Meisters wie von Innen her in seinem Ewigkeitssinn durchleuchtet! Vor uns liegt nun die groe Aufgabe: Sein heiliges Wort in diesem Lichte allen zu verknden! Doch in diesem Lichte wird diese Aufgabe uns ja zum Bedrfnis!"

    Sinnend fuhr Petrus fort: Da nun das gewaltige Leuchten in mir verblasst, bleibt doch ein heies Drngen in mir, das immer tiefere Erkenntnisse ber Jesus, den Herrn, bringt! Er ist wahrhaft Gott - von Ewigkeit zu Ewigkeit! Seine groe Liebe zur Menschheit machte uns zu Seinen Jngern und Zeugen. Getrieben von diesem neuen uns geschenkten Heiligen Geiste, reden und zeugen wir freudig von Seiner Liebe zu allem von Ihm Geschaffenen und drfen damit wirken und weben an Seinem heiligen Erlsungs-Werke!

    Alle Zurckhaltung war pltzlich berwunden, denn dieses neue Erleben sah ein bestimmtes Ziel vor sich: die Verwirklichung all der gewaltigen Aufgaben, die Jesus, als Gottes- und Menschensohn, verwirklicht haben wollte. So wurde dieser Heilige Geist das Treibende,

    Das Geschehen zu Pfingsten

  • GL 2/2012 7

    aber auch das Beglckende in ihnen und schuf einen Strahlenkranz von Freude um die Jnger, der sich als Abglanz auch auf die Anderen bertrug. Von nun an waren sie die Gebenden! Die Quelle ihrer Kraft war Christus, der da lebte und wirkte in ihrer Brust.

    An diesem besonderen Freudenfeste zog viel Volk zum Tempel, wo sich aber schon im Vorhof zwei Parteien bildeten: die Einen waren mit den Manahmen der Templer unzufrieden, die Anderen hielten zum Tempel; und so drohte ein Streit, als der bessere Teil die Aufmerksamkeit auf die eben ankommenden Jnger Jesu richtete und rief: Dort kommen sie, diese wollen wir hren!"

    Es entstand eine Bewegung und ein Weg wurde gebahnt; die Templer aber hatten sich in den Tempel zurckgezogen. Alle schauten auf die Jnger, die in berirdischer Freude ihre Hnde segnend ausbreiteten. Als dieselben die Stufen, die in die Vorhallen fhrten, betraten, drehte sich Petrus um und segnete nochmals das ganze Volk.

    In diesem Segnen flammte der Funke seines Gotteslebens wieder hoch auf und belebte auch seine anderen Brder. Lautlos hrte die Menge seine vom Geist der Wahrheit mit berzeugung gesprochenen Worte, die ein Verstndnis fr das neue Leben und die Kraft, die ihn zum Sprechen zwang, schufen.

    Immer noch mehr wollte die Menge hren, und so wurden auch die anderen Jnger getrieben, offen von der groen, erlsenden Heilandsliebe zu zeugen. Und merkwrdig - sie wurden restlos verstanden, da ja alle Jnger aus dem Feuer ihres Herzens, und nicht aus dem Willen, dieses neue Leben durch Jesus bezeugten. Nicht einer konnte sich der Wahrheit verschlieen, etwas vernommen oder empfunden zu haben, was sein Gemt nicht beseligt htte! Je mehr die Jnger sich vom innersten Geiste fhren lieen, um so verklrter wurden ihre Gesichter. In ihren Herzen hatte die ewige Liebe ein heiliges Feuer entfacht, welches nun flammend von Herz zu Herz, von Liebe zu Liebe bergriff, und dessen Flammen als Leben weckend alles Verstandesmige beseitigten. ber ihnen war ein Glanz wie aus lichten Hhen, und man glaubte: ein Rauschen und Brausen zu vernehmen wie einen Widerhall aus den Hallen des Tempels, wie ein Echo aus dem hohen Hause, welches der Heiligkeit des Gotteswortes geweiht sein sollte! Immer ber-zeugender sprachen die Jnger, bis die Herzen der Menge selber in helle Begeisterung gerieten. Nun war die Verheiung erlebt! Alle Schranken waren gefallen! Dieser Heilige Geist hatte die Tore verkehrten Verstandeswissens verschlossen und ein anderes Tor der Erkenntnis geffnet, welches direkt zum Herzen und in das Gemt fhrte.

    Das Geschehen zu Pfingsten

  • 8 GL 2/2012 Vom Geist der Wahrheit

    Ein jeder hrte die Sprache seines Herzens, hrte, wie der Gott der Liebe zu seinem eigenen Inneren sprach! Und vor diesem Geschehen gab es kein Ausweichen. Viele wurden berzeugt, aber noch vielmehr hungrig gemacht, und verlangend nach wahrem Lebensbrot wurden auch ihre Herzen reif fr den Geist, der uns trstet und in alle Wahrheit fhrt! In der Herberge des Lazarus war groer Jubel: Nun hat der Meister Sein gegebenes Wort eingelst! Es ist eine Verbindung geschaffen von Seinen Himmeln aus bis zur Erde, die kein Feind, kein Gegner mehr unterbinden kann! Wie oft hatte der Meister darauf hingewiesen: So Ich nicht mehr unter euch bin, soll Mich doch keiner vermissen! Ja, noch mehr: Es kann mit Mir reden - wer da will, gleich, zu welcher Zeit oder Stunde!

    Nun war es erfllt! Der Beistand, der Fhrer und Trster aus den Himmeln war Eigentum dieser Erde geworden, denn die Feuerkraft dieses Heiligen Geistes war nicht Erscheinlichkeit, nicht aus zeitlichen Umstnden geboren, sondern war eine freie Gabe Dessen, der in aufnahmefhigen Herzen nun Raum und Wohnung nehmen wollte. So lste Jesus Sein Versprechen ein und gab viel mehr, als erwartet wurde, nmlich: Brot aus Seinen Himmeln, Licht aus Seinem Lichte und Kraft aus Seinem Ur-Geiste!

    Wie von Oben herab erschauen sie alle Gnadenvorgnge in einem viel herrlicheren Lichte! Nun erleben sie nochmals in aller Wirklichkeit: Gott ist Leben! Und Gott gibt immer neues Leben durch den Heiligen Geist, der allen verheien ist durch Jesum Christum! Pfingstgeist ist Erneuerung zur Freude! Pfingstgeist ist Fortsetzung und Erfllung Seines groen Erlsungswerkes. (Max Seltmann - Kstliche Szenen / Heft 14)

    Vom Geist der Wahrheit Wenn der geeinte Geist der Liebe und aller Weisheit und Wahrheit aus

    ihr kommen wird aus der Hhe in der Menschen Herzen, so wird dadurch zugrunde gehen die Snde - da die Welt wird berfhrt werden, dass der Sohn und der Vater vollkommen eins sind, also nur ein wesenhafter Gott aller unendlichen Macht und Kraft und aller Heiligkeit, Liebe und Gewalt und somit auch ein einiger Herr einer unwandelbaren Ordnung, in der da alle Welt bestehet und auch schon gerichtet ist in aller ihrer Herrschaft. Denn nur das wahrhaft Freie ist auch in und bei Mir frei, alles andere aber ist gerichtet und knnte nicht bestehen ohne das Gericht.

    Denn unter dem "Frsten der Welt wird ja verstanden alle wie frei wirkende Macht der Welt. Dessen ungeachtet aber befindet sie sich

  • GL 2/2012 9

    dennoch in Meiner alleinigen Macht, und es kann ohne Meine Zulassung kein Sonnenstubchen von der Stelle bewegt werden.

    Da aber strafen soviel heit, als jemanden werkttig berzeugen, was da ist der Ordnung und was wider dieselbe, so werden ja die Unglubigen dadurch werkttig ihrer Nacht berfhrt werden, wenn sie aus den Werken derjenigen, die in Meiner Gerechtigkeit und Ordnung sind, ersehen werden, dass der Sohn und der Vater eins sind und der Sohn aus dem Vater hervorgegangen ist, wie da hervorgeht ein Licht aus helllodernder Flamme.

    Wie aber da Flamme, Licht und Wrme eines sind, also ist auch Vater, Sohn und Geist eines!

    Die Wrme aber, welche hervorgeht aus dem Lichte, wie dieses aus der Flamme, ist der Geist, der da an und fr sich nichts ist, sondern nur die Einung des Vaters mit dem Sohne und somit alles belebt.

    Daher heit es auch: "Ich htte euch noch viel zu sagen, allein ihr wrdet es jetzt noch nicht ertragen knnen. Wenn aber der Heilige Geist kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. - Wer da solches noch nicht verstehet, der lasse nur z.B. die Sonne im Winter reden, und er wird in naturmiger Hinsicht ganz dasselbe sinnbildlich wahrnehmen. Denn spricht die Sonne im Winter nicht also zu einem Teile der Erde: "Siehe, mein Licht hat aus deinem Boden noch gar viel zu entwickeln, allein in diesem deinem dermaligen Zustande bist du einer solchen Entwicklung gar nicht fhig. Wenn aber mit dem Lichte auch die Wrme kommen wird - das ist die tatkrftige Liebe - so wird diese all die zahllosen Formen aus deinem Boden ziehen (oder dich in alle Wahrheit leiten).

    Wird aber die Wrme des Lichtes etwa neue Formen dem Boden entlocken? O nein, sondern die alten Formen der ewigen Ordnung wird sie entfalten! Also wird auch der Geist nicht von sich selbst reden, sondern Dessen Worte nur, da er ausgeht.

    Wie aber durch die Wrme in den entfalteten Formen das Licht der Sonne verklrt und verherrlicht wird, da es in seinen Urformen sich wieder wie verjngt erschaut, also wird auch der Geist den Sohn, der da eins ist mit dem Vater, in euch verklren. Denn er wird aus sich nicht sich selbst in euch hervorrufen, sondern Den nur, aus Dem er hervorgehet von Ewigkeit. - Darum ist auch gesagt: "Vom Meinen wird er's nehmen und euch verkndigen! - d.h.: Meinen Samen wird er in euch zum Wachstume bringen, und ihr werdet dann in euch Meine Herrlichkeit schauen!

    Solches also besagen diese Texte. Beachtet sie sehr wohl! Denn in ihnen liegt das Wesen der vollen Wiedergeburt. Verstehet sie daher wohl im Geiste werkttig! - Amen. (HiG. 2; S. 131-133)

    Vom Geist der Wahrheit

  • 10 GL 2/2012

    Das Gleichnis von den Hohlspiegeln Dr. Rainer Uhlmann

    Die geistige Welt, das Reich Gottes, die Himmel sind letztlich in unserer kargen Sprache nicht auszudrcken. Kein Auge hat je gesehen, kein Ohr hat es je gehrt, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben, heit es in der Heiligen Schrift. Jesus hat, um dieses Unaussprechliche den Erdenmenschen um die Flle der Zeit klarzumachen, gern in Gleichnissen gesprochen. Durch diese Entsprechungen wurde es mglich, himmlische Geheimnisse im Worte Gottes offenbar zu machen, vielen die geistige Sehe zu ffnen, wie Jakob Lorber es ausdrckt. Erinnert sei an das Gleichnis vom Senfkorn, der kostbaren Perle oder dem Schatz im Acker. Angesprochen wird hierdurch immer wieder der Zustand unseres Inneren, weniger die rtlichkeit, wenngleich auch diese miteinbezogen ist.

    Geistig erleuchtete Menschen frherer Zeiten, sozusagen Vorlufer Jesu, sprachen auch hufiger in Gleichnissen, weil sich nur von daher im Entsprechungssinne Geistiges ausdrcken lsst. Platons Hhlengleichnis erlangte in diesem Sinne groe Berhmtheit.

    In der Jesuslehre durch Jakob Lorber erfahren wir immer aufs Neue in Gleichnissen Entschlsselungen gttlicher Geheimnisse. Ein Gleichnis, durch das die persnlich-wesenhafte Allgegenwart des Herrn verdeutlicht wird, das Spiegel- bzw. Hohlspiegelgleichnis, verdiente es wahrhaftig, unter den Menschen bekannter zu werden, bertrifft es doch an Deutlichkeit und Bestimmtheit der Aussagekraft das Platonsche Hhlengleichnis.

    Dieses Gleichnis befindet sich im Jenseitswerk Die geistige Sonne Band I, Kap. 60. Jesus erklrt da einer Gesellschaft von seligen Geistern - Er belehrt den Sprecher dieser Gesellschaft und damit alle anderen mit - dieses unbegreifliche Geheimnis. Es soll hier wegen seiner Leuchtkraft wrtlich aufgenommen werden:

    Da sieh einmal empor und betrachte diese von hier aus gar nieder stehende Sonne. In dieser Sonne bin Ich ureigentmlich vollkommen zu Hause. Diese Sonne befindet sich im ewigen unverrckten Zentrum Meines gttlichen Seins. Die Strahlen, die aus dieser Sonne ausgehen, erfllen in ihrer Art die ganze Unendlichkeit und sind in sich selbst nichts anderes als Mein Liebewille und die aus demselben ewig gleichfort ausgehende Weisheit. Diese Strahlen sind demnach allenthalben vollkommen lebendig und sind allenthalben vollkommen gleich Meiner Wesenheit.

    Das Gleichnis von den Hohlspiegeln

  • GL 2/2012 11

    Wo immer demnach ein solcher Strahl hinfllt, da bin Ich Selbst also wie in der Sonne ganz vollkommen gegenwrtig, nicht nur allein wirkend, sondern auch persnlich; und diese Persnlichkeit ist demnach auch allenthalben eine und dieselbe. Wo du hier nur immer hingehen willst, da wirst du Mich auch allenthalben vollkommen zu Hause antreffen. Gehe in welches dieser dir sichtbaren kleinen Wohnhuser du nur immer willst, und du kannst versichert sein, dass du Mich in einem jeden als vollkommenen Hausherrn antreffen wirst.

    Du sagst zwar jetzt, auf diese Weise sei Ich denn doch nicht der eigentliche Grund-Christus, der da auf der Erde gewandelt und gelehrt hatte, sondern nur ein lebendiges und vollkommenes Abbild desselben und wohne an und fr sich dennoch im unzugnglichen Lichte. Du sagst noch ferner: Wenn es sich mit der Sache also verhlt, so kommt da ja offenbar eine Vielgtterei heraus.

    Hre, mein lieber Freund, Bruder und Sohn! Du denkst in dieser Hinsicht noch naturmig; wenn du aber erst vollends inwendig geistig denken wirst, so wird dir diese Sache ganz anders vorkommen. Damit du aber aus deinem naturmigen Denken desto leichter in das geistige eingehst, so will Ich dich durch naturmige Beispiele dahin leiten. -

    Siehe, auf der Welt sahst du nur eine Sonne, wenn du aber gegen die Sonne einen Spiegel hieltest, so war dieselbe Sonne auch im Spiegel, und du kannst unmglich behaupten, dass die im Spiegel vorhandene Sonne eine andere war als diejenige, die am Himmel leuchtet. Wenn du aber mehrere tausend solcher Spiegel aufgestellt httest, httest du da nicht in einem jeden Spiegel eine vollkommene Sonne erblickt, welche ein ebenso starkes Licht und eine ganz gleiche Wrme dich verspren liee?

    Du sagst, solches msse allerdings der Fall sein. - Ich will dir aber noch ein strkeres Beispiel geben.

    Du wirst auf der Erde fter von der Wirkung der so genannten groen Hohlspiegel gehrt haben. Du sprichst: O ja, ich war selbst einmal im Besitze eines solchen. - Wenn du die Strahlen der Sonne mit einem solchen Spiegel auffngst, so werden sie in ihrer Widerstrahlung aus dem Spiegel oft um mehr als das Tausendfache heftiger wirkend, denn die eigentlichen Strahlen aus der wirklichen Natursonne.

    Wenn du von solchen Spiegeln auch mehrere Tausende der Sonne gegenber aufstellst, so wirst du bei dieser Gelegenheit von einem jeden einzelnen dieselbe heftige Wirkung wahrnehmen. Solches ist sicher und vollkommen wahr.

    Was wirkt denn aber aus all diesen Spiegeln? Siehe, nichts anderes als stets eine und dieselbe Sonne, welche du durch diese bedeutende

    Das Gleichnis von den Hohlspiegeln

  • 12 GL 2/2012

    Spiegelanzahl vervielfltigt hast. Nun aber frage Ich dich: Ist durch diese Vervielfltigung wohl im Ernste die Sonne vervielfltigt worden oder nur deren Wirkung? Du sagst nun: Allerdings nur die Wirkung. Gut, sage Ich dir: Wie viele Sonnen aber hattest du demnach in deinen Spiegeln? Du sprichst: Dem Spiegel nach genommen so viele, als da Spiegel waren; aber der Sonne nach genommen hatte Ich immer nur eine und dieselbe. -

    Nun siehe, was da dieses naturmige Beispiel zeigt, das stellt sich hier in der grten lebendigen Wirklichkeit und Flle dar.

    Du sagst zwar in dir: Solches sehe ich jetzt wohl ein; wenn man aber dessen ungeachtet jede Spiegelsonne untersuchen und ihr nher kommen wollte, um eben die Sonne in ihrem eigentmlichen Wesen kennen zu lernen, so werden einem dabei all die Spiegelsonnen nichts ntzen, und der Sonne eigentliche Wesenheit bleibt dem forschenden Auge dennoch fremd.

    Solches ist richtig; was httest aber du samt der Erde dabei gewonnen, wenn sich die eigentliche Sonne der Erde und dir also genhert htte, wie du sie dir mittels des Spiegels genhert hast? Siehe, da wre wohl die ganze Erde samt dir augenblicklich wie ein kleiner Wassertropfen auf einem weiglhenden Eisen aufgelst worden. Was htte dir dann die Annherung der wirklichen Sonne gentzt?

    Siehe, bei weitem mehr ist solches mit dieser Meiner Sonne der Fall. Sie muss ewig in einem unzugnglichen Zentrum stehen, dem sich kein Wesen ber die bestimmte Ordnung nahen kann; denn jede Annherung ber das bestimmte Ma wrde jedem Wesen die vllige Vernichtung bringen. Solches wurde auch dem Moses gesagt, als er Gottes Angesicht schauen wollte; denn unter Schauen musst du hier nicht das Wahrnehmen mit den Augen verstehen, sondern das sich vllige Nahen dem Grundwesen der Gottheit.

    Siehe nun, wenn Ich aber Einer und Derselbe bin, wie Ich bin in der Sonne, und bin aber vor dir also, dass du dich Mir vollkommen nahen kannst, wie ein Bruder dem andern, - ist solches nicht mehr wert? Und ist das nicht mehr Liebe und Erbarmung, als so du dich dieser Sonne wirklich nahen knntest, von ihr aber dann bei deiner Annherung vernichtet wrdest?

    Ferner, wie unvollkommen glcklich wrest du und Ich, wenn es Mir nicht mglich wre, Mich Selbst als Vater berallhin in Meiner ganzen Flle persnlich wesenhaft zu versetzen, wo immer Meine Kinder sind.

    Siehe, der Himmel ist unendlich! Wre Mir eine solche wesenhafte, Meiner Einheit vllig unbeschadete endlose Vervielfachung nicht mglich, wie verwaist wren da Meine Kinder und wie allein dastehend

    Das Gleichnis von den Hohlspiegeln

  • GL 2/2012 13

    wre Ich Selbst mitten unter ihnen? Dass Ich aber vollkommen Derselbe bin und habe dasselbe lebendige

    gttliche Bewusstsein und alle die gttliche Liebe, Weisheit und Machtflle, solches kannst du ja daraus entnehmen, dass Ich dich persnlich wesenhaft hierher gefhrt und habe dir gezeigt auf diesem Wege die Macht Meiner Liebe, Meiner Weisheit und Meines vollkommenen gttlichen Wollens. Wenn dir dieses alles noch nicht gengen sollte, so denke dir, was du willst, und Ich will es, dass es sogleich als erschaffen vor dir erscheine.

    Siehe, du wolltest eine dir bekannte Erdgegend. Da sieh hin vor dich; Ich habe sie schon, dir sichtbar und fhlbar, geschaffen!

    Du sprichst jetzt: Wahrlich, solches kann nur der alleinige Gott tun! - Gut, sage Ich dir; also wirst du aber auch einsehen, dass Ich, der Ich hier vor dir stehe und dir die Wunder Meines Seins enthlle, vollkommen Derselbe bin, der Ich dort urwesentlich ewig bin in jener Sonne!

    Du sprichst: Ja, solches glaube ich nun vllig. Aber wenn ich nun zu einem anderen Hause ginge, Du aber hier bliebest, und ich trfe dort offenbar ein zweites Wesen, mit Dir eines und desselben Ursprungs, wird dasselbe wohl vollkommen mit Dir eins sein, und wird es Dir gleichen in allem?

    Ich sage dir: Das kommt von deiner Seite nur auf einen Versuch an. Ich will denn machen, dass du gedankenschnell dort in tiefer Ferne von hier dich bei einem Hause, wie das da ist, befindest. Ich aber werde hier verweilen, und deine Gesellschaft soll dir davon Zeugnis geben bei deiner Rckkunft; und du magst es Mir dann kundgeben, ob du Mich dort vollkommen wieder gefunden hast oder nicht. - Und so denn, sei dort!

    Nun siehe, Mein lieber Freund, Bruder und Sohn! Du bist nun hier, wie du siehst, im tiefen Morgen; das kannst du erkennen, wenn du dich nach allen Seiten umsiehst und nichts anderes mehr erblickst, auch deine Gesellschaft nicht, als nur den endlos weitgedehnten Morgen mit seinen Wohnungen. - Sage Mir nun, bin Ich hier nicht ganz Derselbe?

    Siehe, also muss es ja sein; und wre es nicht also, da wre sogar nie etwas erschaffen worden, und kein Mensch wre als solcher denkbar! Denn das Leben eines jeden Menschen ist ja eben auch nur ein Mir vollkommen ebenbildliches. Und wenn ein Mensch nach Meinem Worte gelebt hat, oder wenn Millionen also gelebt haben, kann da nur einer aus ihnen sagen: Christus lebt in mir, oder knnen das nicht alle zahllosen Gerechten sagen? Wenn aber alle solches sagen knnen, bin Ich darum ein geteilter Christus in ihnen oder ein ewig ungeteilter?

    Ich bin ewig immer Einer und Derselbe in eines jeden Menschen

    Das Gleichnis von den Hohlspiegeln

  • 14 GL 2/2012

    Herzen. Und wenn Millionen und Millionen ihre Herzen mit Mir erfllt haben, und zwar ein jeder fr sich vollkommen, so hat deswegen nicht ein jeder fr sich einen eigentmlichen, anderen Christus, sondern in eines jeden Herzen wohnt ein und derselbe Christus vollkommen! - Nun, was sagst du jetzt? Bin Ich hier nicht vollkommen derjenige, als den du Mich dort bei deiner Gesellschaft verlieest?

    Du sprichst: Ja Herr! Du bist vollkommen Ein und Derselbe und ist da kein Unterschied weder in der Gestalt noch im Worte, noch in Deinem gttlichen Wollen; und ich kann mir nichts anderes denken, als Du wrest in gleicher Schnelligkeit mit mir hier hergezogen! - Ja, so erscheint es dir wohl; aber wie Ich dir gesagt habe, dass dir bei deiner Zurckkunft deine Gesellschaft ber Meine dortige bestndige Gegenwart Zeugnis geben wird, also wirst du es auch sogleich erfahren. Ich sage dir daher: Sei wieder dort! - Nun siehe, du bist ja schon wieder hier; nun sage Mir, wie du Mich denn dort gefunden?

    Du sprichst: Du warst ja selbst dort, wie Du hier bist, und war nicht der leiseste Unterschied. Ich sage dir: Das ist richtig; aber nun frage auch deine Gesellschaft, ob Ich Mich unterdessen von hier entfernt habe? Siehe, die Gesellschaft spricht: Nicht im Geringsten, im Gegenteil hat der Herr zu uns gesprochen, wie es dir nun dort ergeht. Nun siehe, du machst jetzt groe Augen und verwunderst dich darber. Ich sage dir aber, dass solches nicht weniger als wunderbar ist, sondern es ist vollkommen geordnet.

    Wrest du auf der Welt ein Optiker gewesen, so wre dir solches noch anschaulicher begreiflich. - Wie kommt es denn, dass mehrere Menschen fr sich einen und denselben Gegenstand nur als den einen erschauen, und dennoch sieht ein jeder einzelne nur den seinigen? Siehe, das liegt im Auge des Menschen.

    Von dem Gegenstand gehen nach allen Richtungen Strahlen aus und ein jeder nimmt das Strahlenbild in sein Auge auf. Ein jeder beschaut dann in sich nur dieses aufgenommene Strahlenbild, welches in allem dem beschauten Gegenstande vollkommen hnlich ist.

    Ist deswegen der Gegenstand vervielfacht oder zerrissen worden, wenn ihn jeder als denselben in sich erschaut? Du sprichst: Mitnichten. - Siehe, also ist es auch hier der Fall lebendig, was auf der Welt nur naturmig und somit auch tot erscheinlich ist. -

    Am Ende dieses Gleichnisses weist Jesus darauf hin, dass es sich letztlich nur um ein Gleichnis aus der naturmigen Welt handelt, das aber eine geistige Entsprechung hat und in potenzierter Form im Jenseits Wirklichkeit ist.

    In hnlicher Weise gleichnishaft uert sich Jesus im fnften Band

    Das Gleichnis von den Hohlspiegeln

  • GL 2/2012 15

    vom Groen Evangelium Johannes Kap. 14. Auch hier wird wieder das Hohlspiegelgleichnis angefhrt und mit dem Spiegel unserer Seele verglichen. Der Mensch mit solch einem Seelenspiegel erkennt dann bald in grter und lebendigster Klarheit Dinge, von denen ein gewhnlicher Mensch wohl nie einen Traum haben kann. Jesus sagt wrtlich in Vers 10ff.: Ein solcher Mensch wird dann auch stets mehr und mehr Mensch; und je mehr und mehr Mensch er wird, desto vollendeter wird er auch in sich. Und wenn mit der gerechten Weile sich sein Lebensspiegelumfang oder -durchmesser mehr und mehr ausgedehnt und an Tiefe gegen das Lebenszentrum zugenommen hat, so wird der nach auen wirkende und um vieles grer und lichtdichter gewordene Brennpunkt auch sicher noch um vieles Greres bewirken als Mein fr alle Kreatur genauest abge-grenztes Sonnenlicht, von dem auf dem ordnungsmigen und natrlichen Wege nie ein gewisses auerordentliches Mehr zu erwarten ist und man nicht annehmen kann, dass der Sonne ganz natrliches auf diese Erde fallendes Licht je einen Diamanten schmelzen wird, wohl aber der verdichtete Lichtstrahl aus einem groen so genannten magischen Spiegel.

    Gerade also aber verhlt es sich dann auch mit einem hchst vollendeten Menschen, von dem Ich frher gesagt habe, dass er noch Greres leisten werde denn Ich. Ich leiste nur alles nach der von Ewigkeit her genauest abgewogenen Ordnung, und es muss die Erde in der bestimmtesten Entfernung von der Sonne ihre Bahn halten, in der sie im Allgemeinen stets unter einem gleichen Lichtgrade steht.

    Ich kann somit wohl leicht einsichtlich nie irgendeinmal des Wissens oder etwa gar eines Scherzes halber mit Meines Willens Allmacht diese oder eine andere Erde ganz knapp an die Sonne hinsetzen; denn ein solcher Versuch wrde diese ganze Erde ehest in einen puren weilichblauen Dunst verwandeln.

    Aber ihr Menschen knnet durch derlei Spiegel auf dieser Erde der Sonne zerstreutes Licht auf einen Punkt zusammenziehen und dessen Kraft an kleinen Teilen der Erde versuchen und tuet dadurch schon, naturmig betrachtet, mit dem Lichte aus der Sonne ein Mehreres und Greres denn Ich, - um wie viel mehr mit Meinem Geisteslichte aus dem vollkommen-sten Demutshohlspiegel eurer Seele!

    Ja, Meine wahren Kinder werden Dinge zustande bringen und Taten vollziehen in ihren kleineren Bezirken, die an und fr sich offenbar in dem Verhltnismae Meinen Taten gegenber grer sein mssen, weil sie nebst der vollendeten Erfllung Meines Willens auch nach ihrem freiesten Willen, in dem sich Mein Licht bis zu einer unaussprechlichen Potenz verdichten kann, zu handeln vermgen und dadurch in einem kleinen

    Das Gleichnis von den Hohlspiegeln

  • 16 GL 2/2012

    Bezirk mit der allerintensivsten Feuermacht Meines innersten Wollens Taten verrichten knnen, die Ich der Erhaltung der ganzen Schpfung wegen nie verrichten darf, wenn Ich es freilich wohl auch knnte.

    Im zehnten Band vom Groen Evangelium (195,9 ff.) betont Jesus noch einmal, dass es sich um einen Vergleich handelt, den man entsprechungsmig in die geistige Welt bertragen muss. Er uert: Freilich ist der Spiegel nur ein sehr matter Vergleich, weil er an und fr sich tot ist und daher nur die toten Formen der ihm gegenberstehenden Dinge reprsentieren kann. - Die Seele ist aber ein lebendiger Spiegel; daher kann sie die in ihr haftenden Bilder beleben und mit ihnen also umgehen und handeln, als wren sie reelle Wirklichkeit, und hat dabei den unberechenbaren Vorteil, dass sie sich durch diese in ihr belebten Bilder auch mit der leichtesten Mhe mit den wirklichen Bildern in Verkehr setzen kann. (Quelle: So sprach der Herr zu mir, Lorber-Verlag)

    Von der Ruhe in Gott Denkt und stellet euch also die geistige Sonne vor! Das von ihr

    ausgehende Licht wird von der stets wogenden Flche des geschaffenen Lebensmeeres aufgenommen, und dieses spielt mit solchem Lichte, und es entstehen daraus allerlei Zerrbilder, die wohl noch den matten Glanz von sich strahlen lassen, aber dabei jede Spur der gttlichen Urform zerstren; also ist das ganze Heidentum und nun auch das Judentum ein solches Verzerren alles rein Gttlichen.

    Wenn ihr aber sehet einen ganz ruhigen Wasserspiegel, und es scheint die Sonne darein, so wird sie aus dem Wasserspiegel in derselben Majestt und Wahrheit widerstrahlen, als wie ihr sie sehet am Himmel. Und ebenso gehrt ein ruhiges, leidenschaftsfreies Gemt, das nur durch eine gnzliche Selbstverleugnung, Demut, Geduld und reinste Liebe erreicht werden kann dazu, damit das Ebenma Gottes im Geiste des Menschen ebenso rein und wahr widerstrahle wie die Erdsonne aus einem ruhigsten Wasserspiegel.

    Ist das bei einem Menschen der Fall, so ist in ihm alles zur Wahrheit gediehen, und seine Seele ist dann fhig, ihren Blick in die Tiefen der Schpfungen Gottes zu richten und alles schauen zu knnen in aller Flle der reinsten Wahrheit. Aber sowie es in ihr zu wogen anfngt, so werden die Urbilder zerstrt, und die Seele befindet sich dann schon notwendig auf dem Felde des Truges und der Tuschungen aller Art und Gattung und kann nicht zur reinen Anschauung gelangen, bis nicht in ihr die vllige Ruhe in Gott eingetreten ist. (Gr.Ev.Joh. 2; 148,8-10)

    Von der Ruhe in Gott

    JKJKJKJKJK

  • GL 2/2012 17

    Der russische Pilger Zusammenfassende Nacherzhlung eines Berichtes,

    den ein unbekannter Pilger im 19. Jahrhundert in Russland hinterlie

    Der unbekannte Pilger berichtet:

    Ich bin ein heimatloser Pilger, von niedrigstem gesellschaftlichem Stand, und pilgere von Ort zu Ort. Auf dem Rcken trage ich einen Beutel mit trockenem Brot und auf der Brust einen Beutel mit der Bibel und einem Buch ber das Gebet. Dies ist mein ganzer Besitz.

    Vorgeschichte

    Ich wurde in einem Dorf im Gebiet Oriol als zweites Kind geboren. Mein Bruder war acht Jahre lter. Als ich zwei war, starben unsere Eltern und unser Grovater nahm uns zu sich. Mein Bruder begann bald, sich herumzutreiben und gewhnte sich das Trinken an. Als ich sieben war und einmal mit ihm auf dem Ofen lag, stie er mich herunter und ich verletzte mir den linken Arm. Der Arm verdorrte danach und seitdem kann ich ihn nicht mehr bewegen.

    Da ich nun fr krperliche Arbeiten unbrauchbar geworden war, brachte mir Grovater das Lesen bei, und zwar aus der Bibel, da wir kein anderes Buch hatten. Als ich 17 war, starb Gromutter. Grovater glaubte, wir bruchten eine Frau zur Haushaltsfhrung, und deshalb verheiratete er mich. Das Mdchen war 20 Jahre alt. Ein Jahr spter jedoch starb Grovater. Mein Bruder war auf Abwege geraten, und deshalb hatte uns Grovater sein Haus und sein ganzes Erbe vermacht. Mein Bruder wurde sehr neidisch; eines Nachts brach er bei uns ein, stahl das geerbte Geld und zndete das Haus an. Mit Mhe und Not konnten wir damals unser Leben retten.

    Mit geliehenem Geld gelang es uns danach, ein kleines Httchen zu bauen. Meine Frau ernhrte uns beide durch Spinnen, Nhen und Stickarbeiten. Ich las ihr bei der Arbeit aus der Bibel vor, denn aufgrund meiner Verletzung konnte ich keine Arbeit finden. Nachdem so zwei Jahre vergingen, starb meine Frau pltzlich an Fieber und ich blieb vllig allein zurck. Alles in der Htte erinnerte mich an sie, und ich hatte eine solche Sehnsucht nach ihr, dass ich es nicht mehr in der leeren Htte aushalten konnte. Ich verkaufte die Htte, verschenkte das Geld den Armen, nahm meine Bibel und zog als Pilger von einem Ort zum anderen.

    Der russische Pilger

  • 18 GL 2/2012

    Die Suche Als ich nach einiger Zeit der Wanderschaft in eine Kirche kam, wurde

    dort whrend der Messe der Satz vorgelesen: Betet ohne Unterlass. Dies machte mich stutzig und ich begann darber nachzudenken. Wie kann man denn stndig beten, man muss doch auch andere Dinge tun, um sein Leben zu erhalten? Ich las die Stelle noch einmal in der Bibel nach, konnte sie mir aber nicht erklren.

    Zuerst dachte ich, ich wrde die Erklrung wohl noch in einer guten Predigt hren. Ich besuchte deshalb viele Gottesdienste, in denen ber das Gebet gepredigt wurde. Dort wurde jedoch nie gesagt, wie man ohne Unterlass beten knne. Mein Verlangen, das zu verstehen, wurde immer grer. Schlielich beschloss ich, mit Gottes Hilfe einen erfahrenen Menschen zu suchen, der es mir erklren knne.

    Auf meiner Pilgerwanderschaft fragte ich nun gezielt die Leute, ob es nicht irgendwo einen geistigen Lehrer oder frommen erfahrenen Fhrer gbe. Dadurch lernte ich einige ehrenwerte und gelehrte Menschen kennen, allerdings konnte mir keiner meine Frage zufriedenstellend beantworten.

    Als ich bereits ein Jahr auf Wanderschaft war, holte mich auf der Landstrae ein altes Mnnlein ein und wir kamen ins Gesprch. Der Alte erzhlte mir, dass 10 km abseits der Landstrae eine Klostereinsiedelei mit einem Gasthof sei, in dem man Pilger kostenlos bewirte. Seine Einladung dorthin schlug ich jedoch ab mit den Worten: Ich habe genug Proviant dabei. Meine Ruhe hngt nicht von einer Herberge ab, sondern von einer spirituellen Belehrung. Das interessierte den Alten. Schlielich erzhlte ich ihm meine Geschichte. Er bekreuzigte sich und antwortete:

    Lieber Bruder, danke Gott, dass du dieses unberwindliche Verlangen nach der Erkenntnis des unablssigen Gebets hast. Erkenne in deiner langen Suche das Wirken Gottes. Er wollte dir zeigen, dass man weder durch Weisheit dieser Welt noch durch ueren Wissensdurst das unablssige Gebet erlangen kann. Schulmiges Wissen hilft hier nicht weiter. Auf diese Art begann er mich langsam zu unterweisen. Ich merkte bald, dass der Alte ein Starez war, der aus innerer Erfahrung genau wusste, was das unablssige Gebet war.

    Whrend des Gesprchs waren wir, ohne dass ich es recht bemerkt hatte, bis zu der Klostereinsiedelei gekommen, wo er zu wohnen schien.

    Der russische Pilger

  • GL 2/2012 19

    Auf meine innige Bitte, mich in das unablssige Gebet einzuweisen, lud er mich voller Liebe zu sich ein. Wir betraten seine Klosterzelle und er erklrte mir folgendes:

    Das unablssige innere Jesusgebet ist das ununter-brochene Anrufen des gttlichen Namens Jesu, wobei man sich seine stndige Anwesenheit vorstellt und ihn, bei jeder Handlung, berall, zu jeder Zeit, sogar whrend des Schlafs um sein Erbarmen bittet. Er erklrte mir, dass das Erlernen dieses Gebets vor allem eine Gewhnungssache sei, und wenn man sich einmal daran gewhnt habe, wrde es einem eine auerordentliche Freude geben. Man htte dann den Wunsch, es stndig zu verrichten, und das wrde sich wie von selbst tun. Konkrete Anweisungen las er mir aus einem Buch vor, das den seltsamen Titel trug: Philokalia, oder die Liebe zur geistlichen Schnheit derer, die die Wachsamkeit des Geistes ben. Dort hie es:

    Setze dich in der Stille und Einsamkeit hin, schliee die Augen und lasse den Atem ganz leicht flieen. Fhre dann deine Aufmerksamkeit aus dem Kopf ins Herz, so dass dein Vorstellungsvermgen, Denken und Fhlen vom Herz ausgehen. Im Rhythmus des Atems sprich in Gedanken - oder auch leise die Lippen bewegend - folgendes: Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner. Vertreibe alle fremden Gedanken, sei nur still und habe Geduld und be dieses Gebet sehr hufig.

    Er erklrte es mir dann in seinen eigenen Worten wieder und wieder und beantwortete alle meine Zweifel. Voller Begeisterung hrte ich zu und verschlang alles in meinem Gedchtnis. So verbrachten wir die ganze Nacht. Am Morgen, ohne geschlafen zu haben, gingen wir direkt zur Frhmesse in die Klosterkirche. Nach der Messe sagte mir der Starez liebevoll, ich solle regelmig zu ihm kommen, solange ich das unablssige Gebet lerne. Dann verlie er mich.

    Als ich allein in der Kirche zurckblieb, fhlte ich riesigen Eifer in mir aufkommen. Doch dann kamen mir Sorgen zur praktischen Ausfhrung: Wie sollte ich denn hier berleben? In diesem Gasthof wrde man mich hchstens drei Tage bernachten lassen. In der Nhe hatte ich kein Dorf gesehen, wo ich vielleicht Unterkunft und Lebensunterhalt htte finden knnen. Ich flehte zu Gott um Beistand. Schlielich kam jemand und ich erfuhr, dass es in einiger Entfernung doch ein Dorf gab. Sofort wanderte ich dorthin. Zu meinem Glck schenkte mir Gott eine bequeme Anstellung

    Der russische Pilger

  • 20 GL 2/2012

    bei einem Bauern: Ich sollte den ganzen Sommer seinen Gemseacker bewachen und dazu in einer Schutzhtte auf dem Acker wohnen. Gott sei Dank! Ich hatte einen ruhigen Fleck gefunden.

    Die bung des Gebets beginnt

    Etwa eine Woche versuchte ich, das innere Gebet so zu ben, wie ich es von dem Starez gehrt hatte. Anfangs schien es zu gehen. Doch bald machten sich Schwere, Trgheit, Langeweile und Schlfrigkeit in mir breit. Viele Gedanken strmten auf mich ein. Deprimiert ging ich zum Starez und berichtete ehrlich, wie es mir erging. Er antwortete mir liebevoll: Bruder, dies ist der Kampf der Finsternis gegen dich. Aber auch die Finsternis handelt nach Gottes Willen, vergiss das nie. Wahrscheinlich musst du wohl noch etwas Demut erlangen. Darum ist es auch noch zu frh, mit bereifer den hchsten Zugang zum Herzen zu suchen. Dann las er mir aus der Philokalia eine passende Anweisung vor:

    Wenn du nach einigem Bemhen nicht in das Herzensland Eingang findest, dann bediene dich deiner Fhigkeit, Worte auszusprechen. Vertreibe fremde Gedanken und spreche unaufhrlich: Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner. Und wenn es sein muss, zwinge dich dazu. Die Erfahrung hat gelehrt, dass du so den Zugang zum Herzen erlangst.

    Der Starez empfahl mir also, das Gebet erst einmal mndlich zu wiederholen. Zustzlich gab er mir einen Rosenkranz und wies mich an, das Gebet tglich 3000-mal zu wiederholen, egal ob ich stehe, sitze, gehe oder liege.

    Mit neuer Hoffnung kehrte ich zu meinem Acker zurck. In den ersten Tagen empfand ich die bung trotzdem als schwierig. Sie gelang mir nur mit etwas innerem Zwang. In den folgenden Tagen sprach sich das Gebet aber zunehmend leichter und bequemer. Bald sprte ich eine Art Verlangen, das Gebet immer wieder zu wiederholen. Nach einer Woche besuchte ich den Starez wieder und berichtete ihm alles. Er ermutigte mich weiter und wies mich an, die Anzahl auf 6000 zu erhhen.

    Die ganze folgende Woche achtete ich auf meinem einsamen Acker nur darauf, die Anweisung des Starez genau einzuhalten, egal, welche Gedanken auf mich einstrmten. Ich gewhnte mich dabei mehr und mehr an das Gebet. Wenn ich mal einen Moment damit aufhrte, hatte ich bald das Gefhl, als wrde mir etwas fehlen oder als htte ich etwas verloren. Sofort fing ich dann wieder zu beten an und mir wurde wieder ganz wohl.

    Der russische Pilger

  • GL 2/2012 21

    Als ich nach zehn Tagen noch nicht bei meinem Starez gewesen war, kam er selbst zu mir. Er hrte sich meinen Bericht erfreut an und forderte mich auf, ab jetzt 12000-mal tglich das Gebet zu verrichten. Dabei sollte ich weiterhin in der Einsamkeit bleiben und mglichst frh aufstehen und spt schlafen gehen.

    Ich befolgte, was er gesagt hatte. Am ersten Tag war es mir allerdings fast unmglich, die 12000 Male zu erreichen. Ich war damit bis ganz spt abends beschftigt. Am nchsten Tag ging es glcklicherweise schon besser. Nach fnf Tagen stellten sich ein angenehmes Empfinden und eine Lust am Gebet ein. Und eines Morgens hatte ich pltzlich das Gefhl, als htte mich das Gebet geweckt. Mein ganzes Verlangen drngte mich danach, das Jesusgebet zu verrichten. Meine blichen Morgengebete sprach meine Zunge nur noch ganz ungeschickt aus. Als ich schlielich das Jesusgebet sprach, kamen die Worte wie von selbst. Den ganzen Tag war ich voller Freude - ich war wie in einer anderen Welt, und mit Leichtigkeit schaffte ich es, die 12000 Gebete schon am frhen Abend abgeschlossen zu haben. Ich hatte groe Lust weiter zu machen, wagte aber nicht, mehr zu wiederholen als mir mein Starez gesagt hatte. Auch an den folgenden Tagen konnte ich mit derselben Leichtigkeit das Gebet wiederholen. Als ich wieder zu meinem Starez ging und ihm Bericht erstattete, freute er sich, dass ich diese Lust und Leichtigkeit gefunden hatte. Er erklrte mir, dass dies eine natrliche Folge der hufigen bung sei. Nun gestattete er mir, das Gebet so oft ich wollte und so viel wie mglich zu wiederholen. Ich sollte den Namen Jesu ohne zu zhlen anrufen, mich demtig seinem gttlichen Willen ergeben und von ihm alle Hilfe erwarten.

    Den ganzen Sommer verbrachte ich dann im unablssigen mndlichen Jesusgebet. Sogar in meinen Trumen trumte ich, dass ich das Gebet wiederhole. Ich sprte eine groe Ruhe. Alle fremden Gedanken hrten ganz von selbst auf. Ich dachte an nichts anderes als an das Gebet. Manchmal sprte ich eine selige Wrme in meinem Herzen. Ich wusste nicht, wie ich Gott danken sollte. Traf ich einen Menschen, so erschien er mir immer so liebenswert und nah, als wre er mein Verwandter, auch wenn ich gar nichts mit ihm zu tun hatte.

    Aber ich konnte mich nicht lange an der Anwesenheit meines geliebten Starez erfreuen, denn gegen Ende des Sommers starb er. Das einzige, was mir von ihm blieb, war der Rosenkranz.

    Der russische Pilger

  • 22 GL 2/2012

    Wiederaufnahme der Pilgerschaft Der Bauer, dessen Acker ich bewacht hatte, hatte jetzt nach dem

    Sommer keine Arbeit mehr fr mich. Er gab mir zwei Rubel und entlie mich. Da ich keinen Lehrer mehr hatte, wollte ich wenigstens mit Hilfe des Buches Philokalia weiter im Gebet vorankommen. Leider erfuhr ich, dass mein Geld fr ein neues Buch nicht reichte. Durch Gottes Willen jedoch fand sich schlielich jemand, der mir ein vllig zerlesenes Exemplar fr zwei Rubel berlie. Dann nahm ich meine Pilgerschaft wieder auf.

    Unablssig betend wanderte ich manchmal bis zu 70 Kilometer am Tag. Ich fhlte dabei gar nicht, dass ich ging, denn ich fhlte nur, dass ich das Gebet verrichtete. Es wurde mir wertvoller und ser als alles andere in der Welt. Kam eisige Klte, dann erwrmte mich das Gebet. Marterte mich der Hunger, dann lie mich das Gebet vergessen, dass ich essen wollte. Fhlte ich mich krank, dann machte das Gebet, dass ich den Schmerz nicht mehr sprte. Beleidigte mich jemand, so verschwand durch die Se des Jesusgebets sogleich die Krnkung und der Zorn. Ich machte mir um nichts mehr Sorgen.

    Gleichzeitig war mir bewusst, dass mein Zustand sozusagen nur knstlich durch die gewohnheitsmige Wiederholung erzeugt war. Das eigentliche Herzensgebet hatte ich noch gar nicht erlernt. Ich traute mich jedoch nicht, mir eigenmchtig das innere Herzensgebet anzueignen. Dazu wartete ich auf ein Zeichen von oben.

    Das innere Herzensgebet

    Als ich so meines Weges zog und unablssig das Gebet verrichtete, da fhlte ich nach einiger Zeit, dass das Gebet ganz von selbst ins Herz berzugehen begann. Das Herz begann, mit dem Herzschlag irgendwie innerlich die Gebetsworte auszusprechen, und zwar so: 1: Herr, 2: Jesus, 3: Christus, usw. Ich hrte auf, das Gebet mit den Lippen zu sprechen und horchte verwundert, wie das Herz es betete. Dabei hatte ich die Empfindung, als wrde ich mit den Augen nach innen schauen. Ich fhlte einen leisen Schmerz im Herzen und im Geist entzndete sich eine brennende Liebe zu Jesus. Danach entstand eine wohltuende Erwrmung im Herzen, die sich ber die ganze Brust ausbreitete.

    Eifrig studierte ich meine Philokalia, um zu verstehen, was in mir vor sich ging. Manche Stellen des Buches verstand ich nicht. Durch Gottes Gnade erschien mir jedoch mein verstorbener Starez von Zeit zu Zeit im Traum und gab mir Erluterungen. So verbrachte ich meine Zeit in groer Seligkeit, mein Herz war entflammt von der Liebe Gottes durch das innere Gebet. Ich begann zu verstehen, was gemeint ist mit: Ihr werdet in mir

    Der russische Pilger

  • GL 2/2012 23

    sein und Gib mir dein Herz. Wenn ich so mit meinem Herzen betete, schien die ganze Umgebung zu

    mir zu sprechen: die Bume, die Grser, die Vgel, die Erde, die Luft, das Licht, - alles schien die Liebe Gottes zu bezeugen. Ich begann zu verstehen, was in der Philokalia gemeint war mit der Aussage: Die Sprache der Geschpfe verstehen.

    Nach einigen Abenteuern, die ich mit Hilfe des Gebets heil berstand, traf ich in einer ganz einsamen Gegend einen Waldhter, der mir eine alte Erdhtte als Unterkunft zuwies und sein Brot mit mir teilte. Dieser Waldhter hatte sich aus Angst vor dem jngsten Gericht seit 10 Jahren schwere Kasteiungen auferlegt. Nun wurde er zunehmend von depressiven Gedanken und von Zweifeln geplagt. Ich sagte ihm, dass es knechtisch sei, etwas aus Angst zu tun, und dass man nie Ruhe vor feindlichen Gedanken habe, auer man denke stndig voller Liebe an Gott. So gut ich konnte, erklrte ich ihm das unablssige Jesusgebet.

    In der mir zugewiesenen Erdhtte vertiefte ich mich weiter in das Gebet. Mein Gott, welche Freude ich empfand, welche Ruhe, welche Wonne! Eines Nachts trumte ich, ich sei in der Zelle meines verstorbenen Starez. Er begann mir die Philokalia zu erklren. Mir war, als htte ich das Buch in den Hnden, konnte aber nicht so schnell die Stellen finden, die der Starez erklrte. Da nahm er mir das Buch aus der Hand, schlug die Stelle auf und markierte sie mit einem Stckchen Holzkohle. Als ich am nchsten Tag erwachte, blieb ich erst noch liegen und wiederholte im Gedchtnis, was er mir gesagt hatte, damit ich es ja nicht vergessen wrde. Aber dann kam der Zweifel: Vielleicht ist es ja nur meine Einbildung, die zu diesem Traum gefhrt hat? Man bildet sich ja so manches ein. Voller Zweifel stand ich auf. Meine Philokalia lag auf dem groen Stein, den ich als Tisch benutzte. Erstaunt sah ich, dass sie an genau der Stelle aufgeschlagen war, die mir der Starez im Traum gezeigt hatte und dass dort auch seine Markierung war. Ich erinnerte mich genau, dass dort vorher keine Markierung gewesen war und dass ich das Buch abends geschlossen ans Kopfende meines Schlaflagers gelegt hatte. Mein Zweifel verschwand und voller Eifer befolgte ich, was der Starez mir gesagt hatte. Ich begann nun, das

    Der russische Pilger

  • 24 GL 2/2012

    Jesusgebet zusammen mit dem Atem ins Herz ein- und wieder herauszufhren: Geistig ins Herz blickend betete ich beim Einatmen: Herr Jesus Christus, und beim Ausatmen: erbarme dich meiner.

    Anfangs bte ich das eine Stunde; langsam erhhte ich die Zeit, bis ich fast den ganzen Tag damit ausfllte. Viele neue Empfindungen sprte ich im Herzen. Manchmal war mein Herz voller Leichtigkeit, Freiheit und Trost. Ich war wie verwandelt und glaubte vor Wonne zu vergehen. Manchmal kamen mir Trnen des Dankes an Gott. Manchmal wurde mein Verstand so klar, dass ich mit Leichtigkeit Dinge erfasste, die ich frher nie verstanden htte. So erneuerte das Herzensgebet Geist, Krper und Verstand: Mein Geist erlebte die Se der Liebe Gottes, innere Ruhe und Reinheit der Gedanken, - mein Krper erlangte Leichtigkeit und Frische, Unempfindlichkeit fr Kummer und Krankheiten und ich empfand das Leben als angenehm - mein Verstand erkannte die Sprache der Schpfung, die Nhe Gottes und die Bedeutung der heiligen Schrift.

    Fnf Monate verbrachte ich in der Einsamkeit der Erdhtte mit dieser Gebetsbung, bis ich mich so sehr an das Herzensgebet gewhnt hatte, dass es sich ganz von selbst ohne irgendeine Anstrengung meinerseits verrichtete. Sogar im Schlaf wurde es durch nichts unterbrochen. Als dann der Wald abgeholzt wurde, musste ich die Erdhtte verlassen. Ich dankte dem Waldhter und nahm meine Wanderschaft wieder auf.

    Das selbstttige Herzensgebet ist seitdem auf allen Wegen mein Trost und meine Freude. Bei allen Begegnungen, die ich inzwischen hatte, hat es nie aufgehrt, mich mit Wonne zu erfllen. Diese Wonne ist nie eintnig, sondern stets neu und anders. Das Gebet selbst wird seltsamerweise durch nichts gestrt und strt seinerseits keine Ttigkeit. Wenn ich eine Arbeit vorhabe, geht mir die Arbeit durch die Anwesenheit des Gebetes leichter von der Hand. Sogar wenn ich aufmerksam zuhre oder lese, hrt das Gebet nicht auf. Ich fhle gleichzeitig das eine und das andere, als wre ich gespalten oder als htte ich zwei Seelen in meiner Brust.

    Ich habe viele Abenteuer erlebt, in denen ich manchmal geehrt und manchmal gedemtigt wurde. Mein Starez erschien mir im Traum, wenn ich dabei war, Fehler zu machen, und er wies mir den Weg. Wenn es sich ergab, fhrte ich andere in das unablssige Gebet ein, und wurde dadurch oft selbst weiter angespornt.

    Manchmal erfllt mich das Herzensgebet mit solcher Wonne, dass ich nicht glaube, es knnte jemanden geben, der glcklicher ist als ich. Nicht nur das Innere meiner Seele, sondern auch die ganze Auenwelt erscheint mir wunderbar schn. Alles verlockt mich zur Liebe und zum Dank an Gott. Menschen, Bume, Pflanzen, Tiere, alles ist mir unaussprechlich

    Der russische Pilger

  • GL 2/2012 25

    vertraut, und in allem sehe ich den Namen Jesu. Manchmal fhle ich eine solche Leichtigkeit, als htte ich berhaupt keinen Krper, etwa so, als wrde ich durch die Luft fliegen. Manchmal empfinde ich eine solche Freude, als wre ich Knig geworden, und mchte am liebsten sterben und mich in Dankbarkeit zu Gottes Fen in die geistige Welt ergieen. Und wenn es dann doch einmal vorkommt, dass unruhige Gedanken auftauchen, dann vertiefe ich mich in das Gebet und finde wieder Mut, indem ich mir selber sage: Gottes Wille geschehe; ich bin bereit, alles zu erdulden, was mir Jesus auferlegt.

    (siehe: Emmanuel Jungclaussen - Aufrichtige Erzhlungen eines russischen Pilgers, Herder-Verlag))

    O mein Gott und mein Herr, mein allergeliebtester Jesus, erbarme Dich meiner, trste mich in meiner Not, auf dass ich wieder aufleben mchte und sei voll munterer Ttigkeit nach

    Deinem allerheiligsten Willen! (HiG.1; S. 386,4)

    O Du heiliger Vater! Sei mir armem Snder gndig und barmherzig! Dein heiliger Wille geschehe ewig! Amen.

    (HGt.2; 227,34)

    Am besten aber ist es, wenn der Mensch stets sagt: ,O Herr, sei mir, dem Snder, gndig!,

    und urteilt ber niemand Arges, betet fr seine Feinde

    und tut sogar noch jenen zu aller Zeit Gutes, die bles von ihm reden und

    wo mglich ihm auch bles zufgen. (Gr.Ev.Joh. 2; 209,03)

    Der russische Pilger

  • 26 GL 2/2012

    Die Stimme des Gewissens Ein jeder Mensch hat ein geistiges Organ in seinem Herzen, das uns

    Engeln Gottes stets offen steht und unbehindert zugnglich ist! Dieses Organ vertritt stets die einfachen Begriffe: gut - schlecht, wahr - unwahr, recht - unrecht.

    Tust du gleichfort das Gute, Wahre und Rechte, so wird von uns der bejahende und gute Teil des Organs angerhrt, und in dir entsteht dadurch das lohnende Gefhl, dass du gut und recht gehandelt und geredet hast.

    Hast du aber irgend nicht gut gehandelt und geredet, so wird von uns das Gegenteil des Organs erregt, und es wird dich ein Bangen ergreifen und dir sagen, dass du aus der gttlichen Ordnung getreten bist. Und dieses Organ heit in der moralischen Sprache ganz fein das Gewissen.

    Du kannst dich auf diese Stimme gar treu verlassen, sie wird dich nie und nimmer trgen! Es msste nur sein, dass jemand dieses Organ so abstumpfen liee, dass es am Ende als ein zu materiell gewordenes unsere Berhrung gar nicht mehr wahrnhme; da wre es aber dann mit dem geistigen Teile des Menschen ohnehin schon so gut wie vllig verloren! Das aber wird wohl bei dir sicher ewig nie der Fall werden, weil du in der Gnade und Liebe des Herrn schon einen zu groen Vorsprung gemacht hast und der Herr dich samt deinen Gefhrten ganz neu umgestaltet und organisiert hat. Deine Seele ist wohl noch die alte, in der des Herrn Liebe als Sein Geist bereits gar mchtig zu walten begonnen hat; aber dein altes, arges Fleisch ist vom Herrn umgewandelt worden, dass es nicht drcke deine Seele.

    Du msstest nur in deinem Herzen fest wollen vom Herrn abfallen, da wrde dein Fleisch auch verwildert werden, wie dereinst das des Esau, dem wider des Vaters Willen die Jagd nach wilden Tieren mehr Vergngen schaffte als die Wache ber die zahmen Herden des Vaters. Aber bei dir ist auch eine solche Verwilderung unmglich, weil deine Seele schon zu mchtig und allgemein vom Geiste der Liebe zum Herrn durchdrungen ist.

    In kurzer Zeit wird deine Liebe zum Herrn durch die Ttigkeit der Nchstenliebe in die intensive Wesenheit und Form bergehen und dann mit der Seele vllig eins werden; da wirst du im Geiste und in der Wahrheit wiedergeboren sein und in die geistige Ehe mit der Urliebe in Gott eingehen und mit ihr dadurch ebenfalls eins werden.

    Dadurch aber wird Gottes Liebe dir gegenber auch erst wesenhaft werden und eine Form annehmen, und du wirst dann Gott allzeit schauen und sprechen knnen, und es wird der Herr, so wie hier leiblich nun dir

    Die Stimme des Gewissens

  • GL 2/2012 27

    sichtbar und deinem Herzen vernehmbar, dein Fhrer und Lehrer sein und bleiben fr ewig. Und da wird es wohl keine Mglichkeit mehr sein, dich vom Herrn abzuwenden in deinem Herzen und in deiner Erkenntnis; denn da wirst du im Wollen und Erkennen als ein echter und wahrer Sohn des ewigen Vaters vllig eins sein mit Ihm. (Gr.Ev.Joh. 3; 232,8-14)

    Um dir noch einen nheren Fingerzeig zu geben, sage ich dir, dass

    Gott, der Herr Himmels und dieser Erde, einem jeden nach der Wahrheit strebenden Menschen ein Gefhl in sein Herz gelegt hat, das die Wahrheit noch viel eher erkennt und erfasst als ein noch so durchgebildeter Verstand.

    In diesem Gefhle weilt auch die Liebe zur Wahrheit, die sie als solche wahrnimmt, bald mit ihrer Lebenswrme durchdringt und also lebendig macht. Wird der Glaube als eine von der Liebe durchdrungene Wahrheit aber einmal lebendig, dann wird er auch sich zu regen, zu bewegen und am Ende selbst zu handeln anfangen. In solchem zuversichtlichen Handeln liegt dann erst auch das volle Gelingen dessen, was man im Herzen, und nicht etwa im Gehirn des Kopfes, als ungezweifelt glaubt.

    Im Gehirne hat die Seele nur ihre Augen, Ohren, ihren Geruch und Geschmack; von diesen geht aber kein Leben aus, da sie selbst nur Wirkungen des Lebens sind.

    Soll denn ein Glaube wirken, so muss er eins sein mit dem Leben selbst und nicht, gleich den Augen und Ohren, der Nase und dem Gaumen, als eine bloe Wirkung des Lebens fr sich einzeln dastehen ohne einen tieferen Verband als allein den des ntigen ueren Gebrauchs. Ist aber dein Wahrheitsglaube einmal eins geworden mit deinem Leben, so hat er schon von selbst jeden Zweifel aus sich ausgeschieden, und er darf dann nur wollen, und es wird geschehen, was solch ein Lebensglaube will. (Gr.Ev.Joh. 5; 177,5-8)

    Tatest du nicht, was dein Gewissen dir gebot? Ich selbst habe dich ja gelehrt, dass das nur Snde sei, was ein Mensch tut wider die Stimme seines Gewissens; denn des Gewissens Stimme ist Gottes Stimme in uns.

    (Bischof Martin 115,05)

    Die Stimme des Gewissens

  • 28 GL 2/2012

    Die sieben Gaben des Geistes Johannes Tauler (1300-1361)

    Und sie wurden voll des Heiligen Geistes und fingen an zu predigen mit anderen Zungen, je nachdem der Geist ihnen gab zu sprechen. (Apg. 2,4)

    Die Pfingstgeschichte spricht davon, dass die Jnger vom Heiligen Geist erfllt wurden und zu jedem von Gott sprachen. Der gttliche Geist kam in die Jnger und in alle, die dafr empfnglich waren, und berflutete sie inwendig, wie wenn bei einem aufgestauten Fluss die hindernden Dmme entfernt werden, so dass er nun in einer gewaltigen Woge rauschend daherkommt, alles berflutet und ertrnkt und alle Tler und Grnde erfllt.

    So tat es der Heilige Geist den Jngern und denen, die fr ihn aufgeschlossen und empfnglich waren. Und gleichermaen tut er es heute und jederzeit ohne Unterlass: er berstrmt und fllt alle Tler und Tiefen, jedes Herz, jeden Seelengrund, in dem er eine Sttte findet, mit seinem Reichtum an gttlichen Gaben.

    Was knnen wir nun tun, dass wir den Geist Gottes empfangen? Das Hchste und Wesentlichste muss er selbst in uns wirken. Er muss

    den Seelengrund selbst fr sich bereiten und muss sich selbst empfangen im Menschen. Dabei geschieht zweierlei:

    Das erste ist, dass er uns leer macht; das zweite, dass er die Leere fllt, so weit sie reicht.

    Dieses Leersein ist die erste und wichtigste Voraussetzung und Bereitung fr den Einstrom des Geistes Gottes. Denn soweit der Mensch seinen Wesensgrund von allem anderen geleert hat, soweit ist er fr den Geist Gottes empfnglich.

    Wenn man ein Fass fllen will, muss zuerst hinaus, was darin ist. Soll Wein hinein, muss das Wasser hinaus. Gleichermaen muss alles, was an uns und in uns ,Mensch' ist, hinaus, damit Gott in uns werden kann.

    So muss sich der Mensch leer machen, alles lassen und auch das Lassen selbst lassen, indem er in sein lauteres Nichts entsinkt. In dem solchermaen Bereiteten wirkt der Geist Gottes sogleich sein Werk: er erfllt den fr ihn Empfnglichen.

    Je mehr Du Deiner Ichheit samt Eigenliebe und Eigenwillen ledig und leer bist, desto vollkommener kann der Geist Gottes Dich erfllen. Das heit: wenn das Reich Gottes offen vor Dir liegt, sollst Du nicht

    Die sieben Gaben des Geistes

    Johannes Tauler Deutscher Theologe

    und Mystiker, Schler Meister Eckharts

  • GL 2/2012 29

    hineingehen wollen, sondern erst prfen, ob Gott es so will. .. Auch wenn ein Mensch sich ungeschickt und unbereitet findet wegen

    der Schwere und Trgheit der Natur, nicht zum inneren Frieden gelangt und nicht wei, wie er dazu kommen soll, soll er sich leer machen von aller Ichheit und allem Haften, sich Gott lassen und ihn wirken lassen, mag es sein, was es will.

    ...Aber eben dieses Lassen vollbringen nur wenige, weil das Haften an ueren Dingen und Kreaturen gro ist und weil Gewohnheit und Selbstzufriedenheit den Menschen mehr auf das Tun achten lassen als auf das Nicht- Tun, das Lassen und Wirkenlassen des Geistes in einem ist.

    Erst wenn dieses Abgeschiedensein von allem ueren und das vllige Lassen erreicht ist, wirkt der Geist Gottes groe Dinge in dem vllig sich entsunkenen Menschen, auch wenn dieser nichts davon wei: gerade so, wie die Seele im Leibe wirkt, ohne dass der Leib etwas davon empfindet oder wei, so wirkt der Heilige Geist im Seelengrund des Menschen ohne sein Wissen.

    Will der Mensch dessen bewusst werden, muss es mit allen Krften des inneren Menschen geschehen, die ihn an den Seelengrund binden, in dem der Geist seine Wohnung und Wirksttte hat. Denn wenn der uere Mensch dessen gewahr wird, besteht die Gefahr, dass er diese Gabe sich selbst zuschreibt und dass er sie dadurch verdirbt. Auch wenn das aus Freude an diesen Gaben geschieht, geht der, der meint, sie seien sein Werk, ihrer verlustig.

    Nein: der Mensch muss sich selber entworden sein, wenn der Geist Gottes in ihm seine Gaben entfalten soll.

    Dass dies erreicht ist, wird daran erkannt, dass nichts von alledem, was sonst das Ich erregt, krnkt und leiden lsst, das Gemt mehr bewegt. Alles uere lsst den Menschen alsdann gelassen; der Einzige, der ihn bewegt und treibt, ist der Geist Gottes in ihm.

    Dieser Geist und das von ihm Bewegtsein ist etwas so unaussprechlich Seliges, dass alles Groe und Auerordentliche, das der Verstand sinnenhaft oder bildlich zu begreifen vermag, dagegen ein Nichts ist: Himmel, Erde, alle Kreaturen und Gter der Welt zusammen sind ihm gegenber so viel wie ein Sandkorn zum Weltall.

    Und nun wenden wir uns noch einmal dem Pfingstgeschehen zu: Die Jnger waren voll des Heiligen Geistes. Hier ist darauf zu

    achten, welcher Art die Lage war, in der die Jnger sich befanden, als sie so erfllt wurden, und die jeder Mensch einnehmen muss, wenn ihm Gleiches widerfahren soll:

    Sie waren versammelt und saen still, als der Geist Gottes ber sie kam.

    Die sieben Gaben des Geistes

  • 30 GL 2/2012

    Der Heilige Geist wird jedem Menschen so oft zuteil, so oft er sich mit aller Kraft von den Kreaturen abwendet und sich gnzlich nach innen, zu Gott, kehrt. In dem Augenblick, da der Mensch dies tut, kommt der Geist Gottes mit seinem ganzen Reichtum und erfllt sogleich alle Winkel und den Grund der Seele.

    Das Haus ward ganz erfllt, in dem die Jnger saen. Dies Haus bedeutet uerlich die Kirche, innerlich die Seele jedes Menschen, in der der Geist Gottes wohnt. Wie es in einem Hause viele Wohnungen und Kammern gibt, so sind in der Seele des Menschen viele Sinne, Krfte und Strebungen; in diese alle kommt er in besonderer Weise. Und wenn er kommt, so drngt und treibt er den Menschen und wirkt in ihm und erleuchtet ihn.

    Dieses Einstrmens, Drngens und Einwirkens werden nicht alle Menschen in gleicher Weise gewahr. Und wenn der Geist Gottes auch in allen Menschen zugegen ist, so muss doch der, der seiner Gegenwart inne werden und sein Wirken erfahren will, sich zuvor in sich selbst und zu sich selbst gesammelt, sich von allem ueren abgeschlossen und abgeschieden und dem Geist Gottes eine Sttte in sich bereitet haben, da dieser in Ruhe und Stille wirken kann. Und je mehr er sich von Mal zu Mal dem hingibt, desto deutlicher wird er seiner inne und desto leuchtender offenbart der Geist Gottes sich ihm ungeachtet dessen, da er von Anfang an in ihm war.

    Die Jnger waren ,eingeschlossen' aus Furcht vor der feindlichen Welt. Wie viel ntiger ist es dem heutigen Menschen, sein Inneres der Welt zu verschlieen, die von berall her auf ihn eindringt und ihn am Innewerden des Geistes Gottes hindern und des gttlichen Trostes berauben will.

    Denn den Jngern konnte die Welt nicht mehr nehmen als den Leib. Uns Heutigen aber kann sie Gott und die Seele und das ewige Leben nehmen. Darum wendet Euch mehr nach innen als nach auen und verschliet Euer Innerstes vor der Welt..

    ...Htet Euch insbesondere vor den Ursachen der Abkehr: vor den Zerstreuungen der Welt, der Gesellschaft, der Kurzweil der Worte und Bilder und aller ueren Weisen und Werke. Und wendet Euch den weisen und erleuchteten Menschen zu, die noch um die unmittelbare Gegenwart Gottes im Innersten der Seele wissen und davon knden.

    Die Jnger waren ,versammelt': Damit wird uns stete Sammlung aller unserer Krfte, der ueren wie der inneren, angeraten, damit der Geist Gottes eine Sttte in uns findet, wo er wirken kann.

    Die Jnger ,saen', als der Heilige Geist kam. So mssen auch wir in Wahrheit sitzen, entspannt sein, nach innen gewendet, alles uere

    Die sieben Gaben des Geistes

  • GL 2/2012 31

    lassend, alle Kreaturen und Dinge, Lust und Leid, und Willen und Unwillen in Gottes Willen setzen.

    Denen, die danach streben und in ihrem Verhalten den Jngern gleichen, gibt der Geist Gottes sieben Gaben und wirkt damit sieben Werke, von denen drei den Menschen zum Vollkommenwerden bereiten und die brigen vier ihn innerlich und uerlich vollkommen machen bis zur hchsten Stufe gttlicher Vollkommenheit.

    Die erste Gabe des Geistes, die in der Gottesfurcht besteht, ist ein sicherer Anfang auf dem Wege zur Hhe und eine starke Schutzmauer, die den Menschen vor Fehlern, Hindernissen und Fallstricken bewahrt. Sie lsst ihn den Tieren gleichen, die instinktiv vor denen, die sie fangen und vernichten wollen, zurckscheuen oder fliehen.

    Wie Gott der Natur der Kreaturen diese Gaben gegeben hat, so gibt der Heilige Geist den Seinen diese liebenswerte Vorsicht, damit sie den Hindernissen ausweichen, die sie von ihm abhalten oder entfernen wollen. Sie behtet die Menschen vor der Welt und vor allen Wegen und Weisen, Dingen und Werken, durch die er seinen inneren Frieden verliert, darin doch Gottes Sttte ist. Vor alledem soll der Mensch sich vorsehen und ihm ausweichen. Das ist der Anfang der Weisheit.

    Dann folgt die zweite Gabe. Das ist die milde Sanftmut, die den Menschen zur Gottesbereitschaft leitet. Sie nimmt ihm alle Bangigkeit und Traurigkeit, die Furcht und Vorsicht bewirken, richtet ihn wieder auf und bringt ihn in eine gttliche Duldsamkeit innerlich wie uerlich in allen Dingen, nimmt ihm Unmut und Verdrossenheit, Hartnckigkeit und Bitterkeit gegen sich selbst und andere, macht ihn milde gegenber seinen Nchsten in allen Dingen, und friedlich und gtig in seinem Denken, Verhalten und Lebenswandel.

    Es folgt die dritte Gabe, die den Menschen noch hher fhrt, wie der Geist den Menschen immer von einer Gabe zur nchsthheren aufwrts leitet: Sie heit Wissen. Durch sie wird der Mensch belehrt, Acht zu geben auf die inneren Mahnungen und Weisungen des Geistes Gottes, auf die Christus verwies: Wenn sein Wort in uns vernehmbar wird, wird es uns alle Dinge lehren, deren wir bedrfen.

    Es sind entweder Warnungen, uns vor dem oder jenem zu hten unter Bewusstmachung der leidvollen Folgen, wenn wir das Falsche tun, oder Mahnungen, uns so und so zu verhalten, etwas zu lassen, zu ertragen oder zu tun. Sie wollen unseren Geist ber alle Dinge emporziehen, ihm seinen gttlichen Adel bewusst machen und ihn anleiten, sich, solange er im Leibe weilt, mit Geduld in allen Tugenden zu ben.

    Wer diesen inneren Weisungen folgt, wird von ihnen zur vierten Gabe

    Die sieben Gaben des Geistes

  • 32 GL 2/2012

    geleitet, die heit: Gttliche Kraft. Welch edle Gabe ist dies! Mit ihr fhrt der Geist Gottes den Menschen ber alle kleinmenschliche Schwachheit und Furcht hinaus.

    Diese gttliche Kraft erfllte die Mrtyrer, dass sie mit Gottes Willen frhlich den Tod litten. Sie macht den Menschen so groherzig und gromtig, dass er zu jedem guten Werk bereit ist, weil er mit Paulus wei: Ich vermag alle Dinge durch den, der mich stark macht! In dieser Gewissheit frchtet der Mensch nichts, was von auen kommt, weder Leid noch Tod. Er wird so stark, dass er lieber stirbt, als etwas zu tun, das ihn von Gott entfernt.

    Wenn dem Menschen diese Gabe zuteil wird, bringt sie stets Licht und Erleuchtung mit sich, Liebe, Gte und Trost. Wenn der Unweise dies erlangt, gibt er sich dem mit Lust hin, begngt sich damit und entfernt sich so vom innersten Grunde. Der Weise hingegen schreitet ber diese Gabe hinweg und kehrt in hchster Luterung und Lichtwerdung seiner selbst gnzlich in den Ursprung zurck. Er sieht weder auf diese noch auf jene Gabe, sondern nur auf Gott.

    Alsdann kommt die fnfte Gabe: Der Rat und die Kraft der Gelassenheit. Dieser Gabe bedarf der Mensch sehr; denn nun nimmt ihm Gott alles, was er ihm vorher gab, um ihn ganz auf sich selbst zu weisen und zu sehen, was und wer er ist und wie er sich in der Not der Einsamkeit verhlt. Hier ist er von Grund auf verlassen, so dass er weder von Gott noch von seinen Gaben und seinem Trost wei noch von irgend etwas, das er oder irgend ein guter Mensch gewann. Das wird ihm hier alles genommen.

    Darum bedarf der Mensch dieser Gabe, damit er sich mit dem Rat und der Gelassenheit so halten kann, wie Gott es von ihm will und erwartet. So lernt der Mensch, sich selbst zu lassen und zu entwerden, das Verlassensein willig hinzunehmen, in den gttlichen Grund zu entsinken und sich dem Willen Gottes zu berlassen.

    Gegen dieses vllige Lassen und Entbehren seiner selbst und Gottes ist alle vorangegangene Abwendung von der Welt und der Verzicht auf die ueren Dinge ein Nichts. Denn nun stehen im Menschen alle Fehler und Anfechtungen, die vorher berwunden waren, wieder auf und wenden sich heftiger denn je gegen ihn. Dies alles soll er leiden, sich von Grund auf darin lassen, gelassen bleiben und immer wieder in den Grund und Willen Gottes einsenken. ..

    Mit den ersten Gaben wird man wohl ein guter und erleuchteter Mensch; aber mit dieser Gabe wird man ein gttlicher Mensch und setzt mitten im Verlassen- und Gelassensein den Fu in das ewige Leben, in das

    Die sieben Gaben des Geistes

  • GL 2/2012 33

    Reich Gottes. Nach dieser letzten Todesqual kommt kein Leiden mehr; denn es ist

    unmglich, dass Gott einen solchen Menschen je wieder lsst. So wenig Gott sich selbst verlassen kann, so wenig kann er einen solchen Menschen verlassen, denn er hat sich ihm gelassen und sich ihm gnzlich hingegeben. Er steht nun mit einem Fu im Reiche Gottes und bedarf nichts mehr, als dass er auch den anderen Fu, mit dem er noch hier in der Zeitlichkeit steht, nach sich zieht; dann ist er unmittelbar im ewigen Leben.

    Danach kommt die sechste und siebente Gabe: Erkenntnis und gttliche Weisheit. Diese beiden fhren ihn ber alle menschlichen Weisen in den gttlichen Abgrund, wo Gott sich selbst erkennt und versteht und um seine eigene Weisheit und Wesentlichkeit wei. In diesen Abgrund senkt sich der Geist so tief und vollkommen ein, dass er von sich selbst nichts wei. Er kennt da weder Wort noch Weise, weder Erkennen noch Lieben; denn hier ist alles ein Sein und ein Geist mit Gott.

    Hier gibt Gott dem Geiste, was er selbst von Natur ist, und eint den Geist seinem namenlosen, formlosen und weiselosen Wesen. Da wirkt Gott in dem Geiste und durch ihn seine Werke, und der Geist ist vllig in sich entsunken und mit ihm eins.

    In solcher Weise fhrt der Geist Gottes alle, die ihm die Sttte bereiten, damit er sie gnzlich erflle und ganz mit ihnen eins sei.

    Dass wir ihn in solcher Weise empfangen und mit ihm eins werden, das gebe uns Gott!

    Die sieben Gaben des Geistes

    Die Menschen sind versehen mit verschiedenen Vermgen oder Talenten. Der eine hat die Gabe des Rates, der andere die Gabe des Verstandes, ein anderer die Gabe der Sprachen, ein anderer die Gabe der Weissagung, ein anderer die Gabe des Gesichtes. Wieder ein anderer die Gabe der Wahrnehmung, was ihr Ahnung nennt, und wieder ein anderer die Gabe des Gehrs. Mancher hat die Gabe des Geruches, mancher die Gabe des Geschmackes. Und zwischen jeder dieser sind zahllose Abstufungen und Mischungen. Mancher hat die Gabe der Willensstrke, ein anderer wieder eine Macht in seinen Augen. Und so hat einer in dem, und einer wieder in etwas anderem eine besondere Auszeichnung.

    Durch die wahre Demut und Liebe zu Mir aber kann jeder sein angeerbtes Talent erhhen bis ins vllig geistige Leben! Jedoch hat darum keiner etwas vor dem anderen; sondern, dass er mit seinem besonderen Talente seinen Brdern in aller Liebe dienen knne und solle darum wird jedem auch Besonderes gegeben! (HiG. 2; S.95,1-2)

  • 34 GL 2/2012

    Das Gebet ohne Unterlass Jakob Ganz (17911867)

    Wachet und Betet allezeit. Das Gebet ist die Nahrung der Seele, das heilige Feuer vom Himmel, welches Tag und Nacht auf dem Altar unseres Herzens brennen sollte; ein Rauchwerk, das unaufhrlich himmelwrts steigt und alles dahin mitzieht, was sich davon anziehen lsst. Es ist wie ein Magnet, der die Seele wieder in Berhrung mit ihrem Ursprung setzt, und sie ntigt, sich bestndig dahin zu neigen, woher sie gekommen ist, bis sie wieder vllig dahin gebracht, und mit ihrem ewigen Ursprung vereinigt ist. Sobald sie davon berhrt und angezogen ist, findet sie nirgends keine wahre Ruhe mehr, in ueren Dingen und Kreaturen. Sie fhlt in sich eine unbeschreibliche schmerzliche Leere, die nach etwas sich sehnt, und ausgefllt werden will. Allein es findet sich nichts Geschaffenes, weder im Himmel noch auf Erden, um dieses groe Bedrfnis grndlich zu befriedigen.

    Nun fngt die Seele an, nach Gott, dem hchsten Gut, sich zu sehnen, zu verlangen, um Ihn allein ber alles zu besitzen. Denn sie fhlt, dass sie nur in Ihm Ruhe und Frieden findet und das was ihre Leere, diesen unergrndlich tiefen Raum, erfllen kann.

    Also ist das Gebet ohne Unterlass mit wenigen Worten, das immerwhrende Sehnen, Verlangen und Streben der Seele nach ihrem Gott ! Er allein erfllt ihr Bedrfnis.

    Alle sind fhig, ohne Unterlass zu beten. Keine Kunst noch Wissenschaft, keine besonderen Mittel werden dazu gebraucht. In allen Stnden und zu allen Zeiten, in Lagen und Verhltnissen knnen alle beten, ohne Unterlass. Sie mssen nur auf die Stimme ihres Herzensbedrfnisses hren, das in ihnen liegt und gerne wieder nach seinem Ursprung sich neigt. Dieses Bedrfnis ist wie ein entlaufendes Kind, das nirgends zu Hause, nirgends an seinem natrlichen Platz sich befindet, und daher unaufhrlich nach seiner himmlischen Mutter seufzt, nach ihr fragt und dahin strebt. Daher der allgemeine Grundtrieb und das allgemeine innerliche Streben der Menschen nach etwas Hherem und Besserem, das sie selbst noch nicht kennen. Sie fhlen, dass sie nicht an ihrem Platz sind, dass ihnen immer etwas Wesentliches fehlt. Und wenn sie tausend und tausenderlei Vergngen genossen, so ist doch keine wahre Zufriedenheit in ihrem Inneren. Alles, was neu und herrlich ist in seiner Art, berrascht sie, rhrt sie einige Augenblicke und gewhrt ihnen ein

    Das Gebet ohne Unterlass

    Jakob Ganz Schweizer Pfarrvikar

    und Erweckungsprediger

  • GL 2/2012 35

    vorbergehendes Vergngen, hat aber dann schon keinen Reiz mehr fr sie. Sie sehnen sich nach etwas Hherem, die Begierden sind unendlich und darum ist nur Gott, der Unendliche, der sie stillen, ersttigen und befriedigen kann.

    Betet ohne Unterlass! Gebt dem Bedrfnis Gehr, das in euch liegt, und immer schreit, sucht und herausstreben will, um etwas zu finden, das seinen verzehrenden Hunger stillt. Gebt diesem Verlangen die einzig gerade Richtung, nmlich nach Gott, wohin es sich neigt und den es begehrt. Er selbst hat das Verlangen nach Ihm angezndet und kann und will es auch allein stillen.

    Alles andere Beten aus Bchern und nach vorgeschriebenen Formen, sowie die Herzensergieungen in flieenden Worten, samt allen Andachtsbungen, sind gut und ntzlich. Sie helfen der Seele fort und geben ihr fr eine gewisse Zeit Nahrung, aber sie sind noch nicht dieses erhabene Gebet ohne Unterlass. Denn wie knnte einer immer das Gebetsbuch in Hnden haben, auf den Knien liegen, sich in Worten ergieen? Er hat seinen Stand und Beruf, womit er sich beschftigen muss und kann also unmglich immerwhrend auf eine uerliche Weise beten. Er wird oft unterbrochen durch Geschfte oder Krankheit, oder es mangelt ihm die Kraft; und doch heit es: Betet ohne Unterlass. Es soll also ein solches Gebet sein, das sich Tag und Nacht, zu allen Zeiten, an allen Orten, in allen Lagen und Verhltnissen ununterbrochen fortsetzt, und sich sogar bis in die Ewigkeit hinein erstreckt. So kommt denn alle und lernet dieses ewige Gebet.

    Derjenige, der bestndig ehrfurchtsvoll, mit Vertrauen und Demut vor dem Angesicht des Herrn wandelt, betet ohne Unterlass.

    Wer nur darauf bedacht ist, den gttlichen Willen immerdar zu tun und zur Ehre Gottes leben mchte, der betet ohne Unterlass.

    Wer bei sich selbst sprt, dass das Innere sich immer mehr nach Gott neigt, Ihn allein ber alles zu lieben und Ihm nur wohl zu gefallen wnscht, der betet ohne Unterlass.

    Wer gerne von allem Bsen erlst sein mchte um Gottes Willen, der betet ohne Unterlass.

    Durch dieses unablssige Gebet kommt der Mensch in Umgang und Gemeinschaft mit Gott, lernt alles andere nach seinem Wert schtzen, von allen Dingen ausgehen und in seinen Ursprung wieder eingehen. Er erfhrt, dass das Gebet ohne Unterlass gleichsam die Mutter und Knigin aller Tugenden ist, denn er wird gelassen und still, alle seine Leidenschaften und bsen Neigungen verlieren sich. Er wird mit Sanftmut und Herzensdemut, gleich wie sein Meister bekleidet; er liebt rein, sein

    Das Gebet ohne Unterlass

  • 36 GL 2/2012

    Herz ist mit Ruhe und Frieden erfllt. Kurz, er wird himmlisch gesinnt, fhrt seinen Wandel in heiliger Gottesfurcht und fhrt bestndig nach seinem inneren Menschen gen Himmel.

    Geliebte Seele, wer immer Du sein magst, wenn du bei dir selbst gewiss bist, dass dein Grundzug nur nach dem Herrn geht, dass du nach reiner Wahrheit aufrichtig dich sehnst, also dass dein ganzes Herz stets nach Gott gerichtet steht, so kannst du versichert sein, dass du ohne Unterlass betest, auch wenn du weiter kein Wort sagst, keine besondere bung der Andacht, des Lebens usw. anstellst. Das Herz kniet, betet und liegt zu den Fssen des Herrn, wenn auch dein uerer Mensch arbeitet oder leidet.

    Wessen Herz sich unaufhrlich nach Gott hin neigt, der ist schon auf dem Rckweg nach seinem seligen Ursprung, nach der Ewigkeit, wozu er anfnglich erschaffen worden und bestimmt ist. Je treuer er dieser Zuneigung zu seinem allenthalben allgegenwrtigen Gott ist, desto eher erreicht er dieses alleinige Ziel. Auch wird er einen heilsamen Einfluss auf alles verbreiten, was ihn umgibt. Er leuchtet wie eine helle Sonne, er strmt die Luft des Friedens auf seine Umgebung aus.

    Das Gebet ohne Unterlass

    Es steht zwar wohl geschrieben, dass der Mensch ohne Unterlass beten soll, so er nicht in eine Versuchung fallen will; wie lppisch und vollkommen nrrisch aber wre es, so Gott von den Menschen ein unablssiges Lippengebet verlangen wrde! Da mssten denn die Menschen, um Gott wohlgefllig zu werden, Tag und Nacht in einem fort auf den Knien liegen und unaufhrlich leere, herz- und sinnlose Lippengebete, gleich den Vgeln in der Luft, herschnattern! Wann aber wrden sie dann sonst eine ntige Arbeit bestellen knnen?

    Aber so ihr mit Hnden, Fen, Augen, Ohren und Lippen in einem fort also ttig seid und liebet in euren Herzen allzeit Gott und eure armen Nchsten, so betet ihr wahr und in der Tat ohne Unterlass zu Gott, der euch darum auch allzeit segnen und euch darum auch dereinst jenseits geben wird das allerglckseligste ewige Leben! (Gr.Ev.Joh. 2_111,09)

    Wer nicht im Herzen beten kann, der bete lieber gar nicht, auf dass er sich vor Gott nicht unanstndig gebrde! Fe, Hnde, Augen, Ohren und Lippen hat Gott dem Menschen nicht gegeben, dass er damit eitel und leer beten solle, sondern allein das Herz!

    (Gr.Ev.Joh. 2; 111,05)

  • GL 2/2012 37

    Frieden erwerben und weiterstreben Thomas von Kempen (1379-1471)

    Wir knnten reich sein an Frieden, wenn wir uns nicht so

    viel um das kmmerten, was a